Language of document : ECLI:EU:C:2024:346

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

25. April 2024(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 258 AEUV – Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden – Richtlinie (EU) 2019/1937 – Unterbliebene Umsetzung und unterbliebene Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen – Art. 260 Abs. 3 AEUV – Antrag auf Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds – Kriterien für die Festlegung der Höhe der Sanktion – Automatische Anwendung eines Schwerekoeffizienten – Bestimmung der Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaats – Demografisches Kriterium“

In der Rechtssache C‑147/23

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 und Art. 260 Abs. 3 AEUV, eingereicht am 10. März 2023,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter. T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. März 2024

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission,

–        festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 26 Abs. 1 und 3 der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. 2019, L 305, S. 17), verstoßen hat, dass sie die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, nicht erlassen und der Kommission diese Vorschriften nicht mitgeteilt hat;

–        gegen die Republik Polen die Zahlung eines Pauschalbetrags zu verhängen, der dem höheren der beiden folgenden Beträge entspricht:

–        ein täglicher Pauschalbetrag von 13 700 Euro, multipliziert mit der Anzahl der Tage, die zwischen dem Tag nach Ablauf der in der Richtlinie 2019/1937 festgelegten Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie und dem Tag, an dem der Verstoß abgestellt wird, oder, falls der Verstoß andauert, dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache, verstrichen sind;

–        ein Mindestpauschalbetrag von 3 836 000 Euro;

–        falls die im ersten Gedankenstrich festgestellte Vertragsverletzung bis zur Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache andauert, gegen die Republik Polen die Zahlung eines Zwangsgelds in Höhe von 53 430 Euro für jeden Tag des Verzugs ab dem Tag der Verkündung dieses Urteils bis zur Erfüllung der sich aus der Richtlinie 2019/1937 ergebenden Verpflichtungen durch die Republik Polen zu verhängen, und

–        der Republik Polen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 2019/1937

2        Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2019/1937 heißt es:

„… [P]otenzielle Hinweisgeber [schrecken] aus Angst vor Repressalien häufig davor zurück, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden. In diesem Zusammenhang wird sowohl auf Unionsebene als auch auf internationaler Ebene zunehmend anerkannt, dass es eines ausgewogenen und effizienten Hinweisgeberschutzes bedarf.“

3        Art. 1 der Richtlinie 2019/1937 bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik in bestimmten Bereichen durch die Festlegung gemeinsamer Mindeststandards, die ein hohes Schutzniveau für Personen sicherstellen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden.“

4        Art. 26 der Richtlinie 2019/1937 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 nachzukommen.

(3)      Bei Erlass der Vorschriften gemäß den Absätzen 1 und 2 nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.“

 Die Mitteilung aus dem Jahr 2023

5        Die Mitteilung der Kommission 2023/C 2/01 mit dem Titel „Finanzielle Sanktionen in Vertragsverletzungsverfahren“ (ABl. 2023, C 2, S. 1, im Folgenden: Mitteilung von 2023) widmet sich in den Abschnitten 3 und 4 dem „Zwangsgeld“ bzw. dem „Pauschalbetrag“.

6        Abschnitt 3 dieser Mitteilung sieht in seinem zweiten Absatz vor:

„Der Tagessatz für das Zwangsgeld wird wie folgt berechnet:

–        Multiplikation eines Grundbetrags mit einem Schwerekoeffizienten und einem Dauerkoeffizienten,

–        Multiplikation des ermittelten Ergebnisses mit einem festen Betrag je Mitgliedstaat (Faktor n), der die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats widerspiegelt.“

7        Abschnitt 3.2 der genannten Mitteilung, der sich auf die Anwendung des Schwerekoeffizienten im Rahmen der Berechnung des täglichen Zwangsgelds bezieht, lautet:

„Ein Verstoß, der darin besteht, dass ein Mitgliedstaat einem Urteil nicht nachgekommen ist oder es versäumt hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erlassenen Richtlinie mitzuteilen, wird immer als schwerwiegend angesehen. Um die Höhe der Sanktion an die besonderen Umstände des Falles anzupassen, bestimmt die Kommission den Schwerekoeffizienten auf der Grundlage von zwei Parametern: der Bedeutung der verletzten oder nicht umgesetzten Unionsvorschriften und den Auswirkungen des Verstoßes auf allgemeine und besondere Interessen.

Unter Berücksichtigung der nachstehenden Erwägungen wird die Schwere des Verstoßes durch einen von der Kommission festgelegten Koeffizienten bestimmt, der zwischen mindestens 1 und höchstens 20 liegt.“

8        Abschnitt 3.2.2 der Mitteilung bestimmt:

„Bei Klagen nach Artikel 260 Absatz 3 AEUV wendet die Kommission systematisch einen Schwerekoeffizienten von 10 an, wenn die Umsetzungsmaßnahmen nicht vollständig mitgeteilt wurden. In einer Union, in der das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gilt, sind alle Richtlinien als gleichrangig zu betrachten und müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb der von ihnen gesetzten Fristen vollständig umgesetzt werden.

Bei einer teilweisen Nichtmitteilung von Umsetzungsmaßnahmen ist die Bedeutung der Umsetzungslücke bei der Festsetzung des Schwerekoeffizienten zu berücksichtigen, der niedriger als 10 ist. Darüber hinaus können die Auswirkungen des Verstoßes auf allgemeine und besondere Interessen in Betracht gezogen werden …“

9        In Abschnitt 3.3 („Anwendung des Dauerkoeffizienten“) der Mitteilung von 2023 heißt es:

„…

Der Dauerkoeffizient wird als Multiplikator zwischen 1 und 3 ausgedrückt. Er wird zu einem Satz von 0,10 pro Monat ab dem Datum des ersten Urteils oder ab dem Tag nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der betreffenden Richtlinie berechnet.

…“

10      Abschnitt 3.4 („Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaats“) der Mitteilung sieht vor:

„…

Wie hoch Sanktionen sein müssen, damit sie eine abschreckende Wirkung haben, hängt von der Zahlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten ab. Diese Abschreckungswirkung spiegelt sich im Faktor n wider. Er ist definiert als ein gewichteter geometrischer Mittelwert des Bruttoinlandsprodukts (BIP) … des betreffenden Mitgliedstaats im Vergleich zum durchschnittlichen BIP der Mitgliedstaaten mit einer Gewichtung von zwei und der Bevölkerungszahl des betreffenden Mitgliedstaats im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerungszahlen der Mitgliedstaaten mit einer Gewichtung von eins. Dies entspricht der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats im Verhältnis zur Zahlungsfähigkeit der anderen Mitgliedstaaten.

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Die Kommission hat … beschlossen, ihre Methode zur Berechnung des Faktors n zu überarbeiten. Er stützt sich nun in erster Linie auf das BIP der Mitgliedstaaten und erst in zweiter Linie auf ihre Bevölkerungszahl als demografisches Kriterium, das eine angemessene Abweichung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten ermöglicht. Durch die Berücksichtigung der Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten zu einem Drittel bei der Berechnung des Faktors n werden die Abweichungen zwischen den Faktoren n der Mitgliedstaaten im Vergleich zu einer Berechnung, die ausschließlich auf dem BIP der Mitgliedstaaten beruht, auf ein angemessenes Maß reduziert. Dadurch erhält die Berechnung des Faktors n auch ein stabiles Element, da die Bevölkerungszahl auf jährlicher Basis wahrscheinlich nicht stark schwanken wird. Im Gegensatz dazu kann das BIP eines Mitgliedstaats stärkeren jährlichen Schwankungen unterliegen, insbesondere in Zeiten einer Wirtschaftskrise. Da das BIP eines Mitgliedstaats nach wie vor zwei Drittel der Berechnung ausmacht, bleibt es der wichtigste Faktor für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaats.

…“

11      In Abschnitt 4.2 der Mitteilung von 2023 wird die Methode zur Berechnung des Pauschalbetrags folgendermaßen präzisiert:

„Die Berechnung des Pauschalbetrags erfolgt weitgehend wie die Berechnung des Zwangsgeldes, d. h. durch

–        Multiplikation eines Grundbetrags mit einem Schwerekoeffizienten,

–        Multiplikation des Ergebnisses mit dem Faktor n,

–        Multiplikation des Ergebnisses mit der anhaltenden Dauer des Verstoßes in Tagen …

…“

12      Abschnitt 4.2.1 der Mitteilung sieht vor:

„Zur Berechnung des Pauschalbetrags wird der Tagessatz mit der Anzahl der Tage, an denen der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachkommt, multipliziert. Die Letztere ist wie folgt gerechnet:

–        bei Klagen nach Artikel 260 Absatz 3 AEUV die Anzahl der Tage nach Ablauf der Umsetzungsfrist der betreffenden Richtlinie bis zu dem Tag, an dem der Verstoß abgestellt wird bzw. in Fällen, in denen der Verstoß fortbesteht, dem Tag der Urteilsverkündung gemäß Artikel 260 AEUV.

…“

13      In Abschnitt 4.2.2 der Mitteilung von 2023 heißt es:

„Bei der Berechnung des Pauschalbetrags zieht die Kommission den gleichen Schwerekoeffizienten und den gleichen Faktor n wie bei der Berechnung des Zwangsgeldes heran …

Der Grundbetrag für den Pauschalbetrag ist niedriger als der für das Zwangsgeld. …

Der für Pauschalbeträge geltende Grundbetrag ist in Punkt 2 des Anhangs festgelegt.

…“

14      Anhang I („Daten, die zur Festlegung der dem Gerichtshof vorgeschlagenen finanziellen Sanktionen verwendet werden“) der Mitteilung sieht in Punkt 1 vor, dass der Grundbetrag für das in Abschnitt 3 der genannten Mitteilung angeführte Zwangsgeld auf 3 000 Euro pro Tag festgesetzt wird, in Punkt 2, dass der Grundbetrag für den in Abschnitt 4.2.2 dieser Mitteilung angeführten Pauschalbetrag auf 1 000 Euro pro Tag festgesetzt wird und damit bei einem Drittel des Grundbetrags für das Zwangsgeld liegt, und in Punkt 3, dass der Faktor „n“ für die Republik Polen auf 1,37 festgesetzt ist. In Punkt 5 dieses Anhangs I wird präzisiert, dass sich der für die Republik Polen festgelegte Mindestpauschalbetrag auf 3 836 000 Euro beläuft.

 Vorverfahren

15      Am 27. Januar 2022 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben an die Republik Polen, in dem sie dieser vorwarf, ihr die zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 erlassenen Maßnahmen nicht mitgeteilt zu haben. In ihrer Antwort vom 23. März 2022 wies die Republik Polen lediglich darauf hin, dass der Erlass dieser Maßnahmen in Vorbereitung sei.

16      Am 15. Juli 2022 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Republik Polen, in der sie diese aufforderte, ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie 2019/1937 innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab dem Tag der Zustellung dieser Stellungnahme nachzukommen.

17      In ihrer Antwort vom 15. September 2022 unterstrich die Republik Polen die Notwendigkeit eingehender ministerieller Konsultationen zu den die Richtlinie 2019/1937 betreffenden Fragen, so dass der Abschluss der parlamentarischen Arbeiten für das Ende des Jahres 2022 vorgesehen sei und die Veröffentlichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 im polnischen Amtsblatt für Januar 2023 geplant sei. In einer E‑Mail vom 11. Januar 2023 ergänzte die Republik Polen, dass diese Veröffentlichung im Lauf des Monats August 2023 erfolgen solle.

18      Unter diesen Umständen hat die Kommission am 15. Februar 2023 beschlossen, den Gerichtshof mit der vorliegenden Klage zu befassen.

 Zur Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV

 Vorbringen der Parteien

19      Die Kommission weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet seien, die Vorschriften, die für die Umsetzung der Richtlinien innerhalb der in diesen Richtlinien festgelegten Fristen in das jeweilige nationale Recht erforderlich seien, zu erlassen und ihr diese Vorschriften unverzüglich mitzuteilen.

20      Das Vorliegen einer Verletzung dieser Verpflichtungen sei anhand der Situation des Mitgliedstaats zu beurteilen, wie sie sich bei Ablauf der Frist darstelle, die in der an ihn gerichteten mit Gründen versehenen Stellungnahme festgelegt sei.

21      Im vorliegenden Fall habe die Republik Polen jedoch vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 festgesetzten Frist weder die genannten Vorschriften erlassen noch die Kommission über deren Erlass unterrichtet.

22      Die Republik Polen räumt zwar die in Rede stehende Vertragsverletzung ein, rechtfertigt die Verzögerung bei der Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 in ihre innerstaatliche Rechtsordnung jedoch zunächst damit, dass es notwendig gewesen sei, die Gesetzgebungsarbeiten angesichts des breiten Anwendungsbereichs dieser Richtlinie zu verlängern. Die Verabschiedung der zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften habe umfangreiche öffentliche Konsultationen durch das Ministerium für Familie und Sozialpolitik erfordert. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 habe ferner im Zuge der interministeriellen Beratungen zahlreiche Änderungen erfahren.

23      Sodann habe sich das Verfahren zur Ausarbeitung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 aufgrund der durch die Covid‑19-Pandemie bedingten Schwierigkeiten, die die Organisation der Gesetzgebungsarbeiten beeinträchtigt hätten, verzögert.

24      Schließlich hätten der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Flüchtlingsströme die Ressourcen des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik, das für die Ausarbeitung dieses Gesetzes zuständig sei, stark in Anspruch genommen.

25      In ihrer Erwiderung weist die Kommission zum einen darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber eine Frist von zwei Jahren als ausreichend angesehen habe, um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, ihren Verpflichtungen zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 nachzukommen. Die von der Republik Polen geltend gemachten Schwierigkeiten bezögen sich jedoch auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung, die nach ständiger Rechtsprechung eine Verzögerung bei der Umsetzung dieser Richtlinie nicht rechtfertigen könnten.

26      Zum anderen könnten die besonderen Umstände im Zusammenhang mit der Covid‑19-Pandemie sowie dem Krieg in der Ukraine nur dann für die Rechtfertigung einer solchen Verzögerung relevant sein, wenn der betreffende Unionsrechtsakt die Möglichkeit von Abweichungen oder Ausnahmen unter solchen Umständen vorsehe oder die Kriterien für eine Situation höherer Gewalt erfüllt seien, was vorliegend nicht der Fall sei. Im Übrigen könnten sich die Mitgliedstaaten nur für denjenigen Zeitraum auf höhere Gewalt berufen, der erforderlich sei, um die sich aus der betreffenden Situation ergebenden Hindernisse zu überwinden, wobei die Dauer dieses Zeitraums zwei Jahre nicht überschreiten dürfe. Die vorliegende Klage sei jedoch mehr als 13 Monate nach Ablauf der in der Richtlinie 2019/1937 vorgesehenen Umsetzungsfrist von zwei Jahren erhoben worden. Schließlich habe die zweite Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation am 24. Februar 2022 begonnen, also nach Ablauf dieser Frist.

 Würdigung durch den Gerichtshof

27      Gemäß Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 mussten die Mitgliedstaaten bis zum 17. Dezember 2021 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Nach Art. 26 Abs. 3 dieser Richtlinie waren die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet, der Kommission den Wortlaut dieser Vorschriften mitzuteilen.

28      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung aufgrund der Situation zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzt wurde, und spätere Veränderungen können vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (Urteile vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 15, sowie vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Im vorliegenden Fall wurde der Republik Polen in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 eine Frist von zwei Monaten gesetzt, um ihren in dieser Stellungnahme genannten Verpflichtungen nachzukommen.

30      Wie sich aus der von der Republik Polen im vorliegenden Verfahren eingereichten Klagebeantwortung und Gegenerwiderung ergibt, hatte die Republik Polen bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist jedoch nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, um der Richtlinie 2019/1937 nachzukommen, und daher hatte dieser Mitgliedstaat der Kommission diese Vorschriften bei Ablauf dieser Frist auch nicht mitgeteilt.

31      Wie in den Rn. 22 bis 24 des vorliegenden Urteils ausgeführt, rechtfertigen nach Ansicht der Republik Polen jedoch mehrere Umstände die Nichteinhaltung der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie.

32      Erstens beruft sich dieser Mitgliedstaat auf die Verlängerung der Gesetzgebungsarbeiten aufgrund des breiten Anwendungsbereichs dieser Richtlinie.

33      Insoweit ist daran zu erinnern, dass sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung von aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen – wie die fehlende Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der gesetzten Frist – zu rechtfertigen (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Darüber hinaus hat der Unionsgesetzgeber gemäß Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren als ausreichend erachtet, um den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nachzukommen.

35      Zweitens bringt die Republik Polen vor, dass das Verfahren zur Umsetzung dieser Richtlinie aufgrund der Schwierigkeiten, die durch die Covid‑19-Pandemie sowie durch den Flüchtlingsstrom infolge des Angriffs auf die Ukraine verursacht worden seien, verzögert worden sei.

36      Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass die Republik Polen die organisatorischen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Covid‑19-Pandemie und dem Flüchtlingsstrom infolge des Angriffs auf die Ukraine als einen Fall höherer Gewalt ansieht, der die Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 innerhalb der vorgeschriebenen Frist verhindert habe, ist zunächst festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat diese Ereignisse erstmals im Stadium der Klagebeantwortung als Rechtfertigung für die Verspätung bei der Umsetzung dieser Richtlinie anführt. Sodann setzt der Begriff „höhere Gewalt“ nach ständiger Rechtsprechung zwar keine absolute Unmöglichkeit voraus, erfordert aber, dass die fragliche Vertragsverletzung auf vom Willen desjenigen, der sich auf höhere Gewalt beruft, unabhängigen, außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen beruht, deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können, wobei eine Berufung auf höhere Gewalt nur für den Zeitraum möglich ist, der zur Ausräumung der betreffenden Schwierigkeiten erforderlich ist (Urteil vom 8. Juni 2023, Kommission/Slowakei [Recht auf kostenfreien Rücktritt], C‑540/21, EU:C:2023:450, Rn. 81). Auch wenn eine Gesundheitskrise von einem Ausmaß wie der Covid‑19-Pandemie und der Flüchtlingsstrom infolge des Angriffs auf die Ukraine für die Republik Polen von außen einwirkende Ereignisse sind, die außergewöhnlich und unvorhersehbar sind, hätte dieser Mitgliedstaat gleichwohl mit aller gebotenen Sorgfalt handeln müssen, indem er die Kommission rechtzeitig über die aufgetretenen Schwierigkeiten unterrichtet, jedenfalls vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist. Schließlich steht fest, dass die Republik Polen am Ende des schriftlichen Verfahrens des vorliegenden Verfahrens, d. h. fast ein Jahr nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist und mehr als eineinhalb Jahre nach Ablauf der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 vorgesehenen Frist, noch immer nicht für die Umsetzung dieser Richtlinie gesorgt hatte.

37      Unter diesen Umständen kann die in Rede stehende Vertragsverletzung weder durch das Auftreten einer Pandemie im Lauf des Jahres 2020 noch durch die Schwierigkeiten, denen dieser Mitgliedstaat aufgrund des Angriffs auf die Ukraine begegnet ist, gerechtfertigt werden; diese Ereignisse können, wie der Generalanwalt in den Nrn. 45 und 48 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nur einen mittelbaren Einfluss auf den Prozess der Umsetzung der genannten Richtlinie gehabt haben.

38      Die Republik Polen kann sich daher nicht mit Erfolg auf diese Umstände berufen, um die fehlende Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 innerhalb der gesetzten Frist zu rechtfertigen. Somit ist festzustellen, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 26 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2019/1937 verstoßen hat, dass sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, und diese Vorschriften daher nicht der Kommission mitgeteilt hat.

 Zu den finanziellen Sanktionen gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV

 Vorbringen der Parteien

39      Da die der Republik Polen vorgeworfene Vertragsverletzung zu dem Zeitpunkt, als die Kommission den Gerichtshof mit der vorliegenden Klage befasste, fortbestand, schlägt die Kommission auf Grundlage von Art. 260 Abs. 3 AEUV vor, gegen diesen Mitgliedstaat die Zahlung sowohl eines Pauschalbetrags als auch eines täglichen Zwangsgelds zu verhängen.

40      Bei der Festsetzung der Höhe dieser finanziellen Sanktionen stützt sich die Kommission auf die in Abschnitt 2 der Mitteilung von 2023 aufgeführten allgemeinen Grundsätze sowie auf die in den Abschnitten 3 und 4 dieser Mitteilung dargelegte Berechnungsmethode. Die Kommission weist insbesondere darauf hin, dass die Festlegung dieser Sanktionen auf den grundlegenden Kriterien der Schwere des Verstoßes, seiner Dauer und der erforderlichen Abschreckungswirkung der finanziellen Sanktionen, um einen erneuten Verstoß zu verhindern, beruhen müsse.

41      Was als Erstes die Schwere des Verstoßes betrifft, weist die Kommission darauf hin, dass der nach der Mitteilung von 2023 anwendbare Koeffizient zwischen einem Minimalwert von 1 und einem Maximalwert von 20 liege. Sie wende gemäß Abschnitt 3.2.2 dieser Mitteilung systematisch einen Schwerekoeffizienten von 10 an, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht vollständig mitgeteilt worden seien, da jede Nichtumsetzung einer Richtlinie und jede nicht erfolgte Mitteilung dieser Maßnahmen unabhängig von der Art der Bestimmungen der betreffenden Richtlinie denselben Schweregrad habe. Ein solcher Automatismus gewährleiste die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV.

42      Als Zweites stellt die Kommission in Bezug auf die Dauer des Verstoßes fest, dass nach Abschnitt 3.3 der Mitteilung von 2023 der Dauerkoeffizient in der Form eines Multiplikators zwischen 1 und 3 ausgedrückt werde und zu einem Satz von 0,10 pro Monat ab dem Tag nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der betreffenden Richtlinie bis zur Entscheidung der Kommission, den Gerichtshof anzurufen, berechnet werde. Da die Dauer dieses Zeitraums im vorliegenden Fall 13 Monate betrage, sei der zu berücksichtigende Dauerkoeffizient 1,3.

43      Was als Drittes das Kriterium der erforderlichen Abschreckungswirkung der finanziellen Sanktionen unter Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats betreffe, so werde dieses durch den Faktor „n“ ausgedrückt, der für jeden Mitgliedstaat in Punkt 3 des Anhangs I der Mitteilung von 2023 festgelegt sei. Seine Berechnung beruhe auf dem Verhältnis zwischen dem BIP des betreffenden Staates und dem durchschnittlichen nationalen BIP der Union, multipliziert mit dem Verhältnis zwischen der Bevölkerung dieses Staates und der durchschnittlichen nationalen Bevölkerung der Union. Das erste Verhältnis werde zu zwei Dritteln gewichtet, während das zweite Verhältnis zu einem Drittel gewichtet werde. Daraus ergebe sich für die Republik Polen ein Faktor „n“ von 1,37. Der Kommission zufolge ermöglicht die Berücksichtigung der Bevölkerung des betreffenden Mitgliedstaats als sekundäres Kriterium für die Festlegung dieses Faktors, eine angemessene Abweichung beim Faktor „n“ zwischen den Mitgliedstaaten beizubehalten und eine gewisse Stabilität dieses Koeffizienten im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu gewährleisten. Da die von der Kommission verwendeten Daten jedes Jahr aktualisiert würden, werde zudem den Schwankungen des BIP des betreffenden Mitgliedstaats in angemessener Weise Rechnung getragen.

44      Somit schlägt die Kommission erstens in Bezug auf die Berechnung des Pauschalbetrags gemäß Abschnitt 4.2 der Mitteilung von 2023 vor, einen Schwerekoeffizienten von 10 anzusetzen und den Faktor „n“ in Höhe von 1,37 anzuwenden. Das Produkt dieser beiden Elemente solle mit dem in Punkt 2 des Anhangs I dieser Mitteilung festgelegten Grundbetrag für den Pauschalbetrag, d. h. 1 000 Euro, multipliziert werden, was einem Betrag von 13 700 Euro entspreche, der gemäß Abschnitt 4.2.1 dieser Mitteilung mit der Anzahl der Tage zu multiplizieren sei, an denen der Verstoß fortbestanden habe. Die Kommission weist darauf hin, dass die Zahlung dieses Pauschalbetrags unter der Bedingung auferlegt werden solle, dass er 3 836 000 Euro übersteige, den Mindestpauschalbetrag, der für die Republik Polen gemäß Punkt 5 des Anhangs I der Mitteilung aus dem Jahr 2023 festgelegt worden sei.

45      Zweitens schlägt die Kommission in Bezug auf die Festsetzung der Höhe des Zwangsgelds vor, den in Punkt 1 des Anhangs I der Mitteilung von Jahr 2023 festgelegten Grundbetrag für das Zwangsgeld in Höhe von 3 000 Euro pro Tag mit dem Schwerekoeffizienten 10, dem Dauerkoeffizienten 1,3 sowie dem Faktor „n“ von 1,37 zu multiplizieren, was einem Zwangsgeld in Höhe von 53 430 Euro pro Tag entspreche.

46      Schließlich schlägt die Kommission vor, als Zeitpunkt, zu dem die Zahlungsverpflichtung wirksam werde, den Zeitpunkt der Verkündung des in dieser Rechtssache anstehenden Urteils heranzuziehen.

47      Die Republik Polen ist der Ansicht, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Beträge des Zwangsgelds und des Pauschalbetrags überhöht und unverhältnismäßig seien.

48      Zum einen weist dieser Mitgliedstaat darauf hin, dass die systematische Anwendung eines Schwerekoeffizienten von 10 im Fall einer nicht vollständigen Mitteilung der Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie jegliche Berücksichtigung der spezifischen und individuellen Umstände des Gesetzgebungsverfahrens und des Stands des Fortschritts der nationalen Gesetzgebung verhindere. Im vorliegenden Fall entsprächen verschiedene Bestimmungen der Richtlinie 2019/1937 geltenden Normen im bestehenden nationalen Recht, die, auch wenn sie der Kommission nicht als solche mitgeteilt worden seien, bei der Bestimmung des Schwerekoeffizienten berücksichtigt werden müssten. Zunächst enthalte das polnische Arbeitsgesetzbuch eine Bestimmung, die Art. 19 der Richtlinie 2019/1937 umsetze. Ferner sehe das polnische Verwaltungsverfahrensgesetz die Einrichtung von Meldekanälen für Rechtsverstöße sowie den Schutz von Personen vor, die solche Verstöße meldeten. Schließlich verpflichte das polnische Gesetz über das Bankrecht die Banken, interne Management- und Kontrollsysteme einzurichten, die Meldungen von Rechtsverletzungen ermöglichten und den Schutz von Personen gewährleisteten, die solche Rechtsverletzungen meldeten.

49      Die automatische Festlegung eines Schwerekoeffizienten berücksichtige jedoch weder diese Elemente des nationalen Rechts noch die konkreten Auswirkungen der festgestellten Vertragsverletzung auf die privaten und öffentlichen Interessen.

50      Die Republik Polen weist außerdem darauf hin, dass sie während des gesamten Vorverfahrens mit der Kommission zusammengearbeitet habe, so dass dieser Umstand ihrer Ansicht nach zu einer Verringerung des Schwerekoeffizienten führen sollte.

51      Zum anderen führe die Einbeziehung eines demografischen Kriteriums im Rahmen der Methode zur Berechnung des Faktors „n“ dazu, dass die finanzielle Sanktion nicht die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats widerspiegele, was im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs stehe. Die Republik Polen betont, dass die Anwendung eines solchen demografischen Kriteriums in ihrem besonderen Fall zu einer ungerechtfertigten Verschärfung des Faktors „n“ führe.

52      In jedem Fall ist die Republik Polen der Ansicht, dass die von der Kommission geforderten Beträge der finanziellen Sanktionen aufgrund eines starken Rückgangs des Wirtschaftswachstums sowie einer hohen Inflation im Lauf des Jahres 2023 in diesem Mitgliedstaat revidiert werden sollten.

53      In ihrer Erwiderung macht die Kommission in Bezug auf den Schwerefaktor zunächst geltend, dass, wenn der Gerichtshof, wie von der Republik Polen im Wesentlichen vorgebracht, beschließe, die Bedeutung der unionsrechtlichen Bestimmungen zu berücksichtigen, dies zur Folge hätte, dass dieser Faktor erhöht werden müsste, da die Richtlinie 2019/1937 sowohl für das Allgemeininteresse als auch für die Einzelinteressen eine besondere Bedeutung habe. Außerdem seien die von diesem Mitgliedstaat geltend gemachten nationalen Bestimmungen im Rahmen der Bestimmung dieses Schwerefaktors irrelevant, da sie ihr nicht als Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie mitgeteilt worden seien. Schließlich spiele die von diesem Mitgliedstaat geltend gemachte loyale Zusammenarbeit keine Rolle, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie überhaupt nicht mitgeteilt worden seien, und jedenfalls könne die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Kommission keinen mildernden Umstand darstellen, da es sich dabei um eine Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 EUV handele.

54      In ihrer Gegenerwiderung macht die Republik Polen geltend, dass die Kommission bei der Festlegung des Schwerekoeffizienten die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht allein deshalb ignorieren könne, weil diese ihr nicht mitgeteilt worden seien. Außerdem habe der Gesetzentwurf über den Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht meldeten, die aufeinanderfolgenden Phasen des Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

 Zur Anwendung von Art. 260 Abs. 3 AEUV

55      Art. 260 Abs. 3 AEUV sieht in seinem ersten Unterabsatz vor, dass, wenn die Kommission beim Gerichtshof Klage nach Art. 258 AEUV erhebt, weil sie der Auffassung ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer gemäß einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzuteilen, dieses Organ, wenn es dies für zweckmäßig erachtet, die Höhe des von diesem Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds benennen kann, die es den Umständen nach für angemessen hält. Gemäß Art. 260 Abs. 3 Unterabs. 2 kann der Gerichtshof, wenn er einen Verstoß feststellt, gegen den betreffenden Mitgliedstaat die Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds bis zur Höhe des von der Kommission genannten Betrags verhängen, wobei die Zahlungsverpflichtung ab dem vom Gerichtshof in seinem Urteil festgelegten Zeitpunkt gilt.

56      Da, wie sich aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, feststeht, dass die Republik Polen bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um die Bestimmungen der Richtlinie 2019/1937 in ihr nationales Recht umzusetzen, weder erlassen noch folglich der Kommission mitgeteilt hatte, fällt die somit festgestellte Vertragsverletzung in den Anwendungsbereich von Art. 260 Abs. 3 AEUV.

57      Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass mit der Einführung des in Art. 260 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Mechanismus nicht nur das Ziel verfolgt wurde, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, innerhalb kürzester Zeit eine Vertragsverletzung zu beenden, die ohne eine solche Maßnahme tendenziell fortbestanden hätte, sondern auch das Ziel, das Verfahren zur Verhängung finanzieller Sanktionen bei Verletzungen der Pflicht, eine nationale Maßnahme zur Umsetzung einer gemäß einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzuteilen, zu vereinfachen und zu beschleunigen (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Um dieses Ziel zu erreichen, sieht Art. 260 Abs. 3 AEUV die Verhängung zweier Arten von finanziellen Sanktionen vor, nämlich eines Pauschalbetrags und eines täglichen Zwangsgelds.

59      Während die Verhängung eines täglichen Zwangsgelds besonders geeignet erscheint, um einen Mitgliedstaat dazu anzuhalten, eine Vertragsverletzung innerhalb kürzester Zeit zu beenden, beruht die Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags eher auf der Beurteilung der Folgen einer Nichterfüllung der Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats für die vorliegenden privaten und öffentlichen Interessen, insbesondere wenn die Vertragsverletzung über einen längeren Zeitraum fortbestanden hat (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Die Kommission begründet die Art und die Höhe der beantragten finanziellen Sanktionen insoweit unter Berücksichtigung der von ihr erlassenen Leitlinien, wie sie in ihren Mitteilungen enthalten sind; diese binden den Gerichtshof zwar nicht, tragen aber dazu bei, die Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit des Vorgehens der Kommission zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Januar 2021, Kommission/Slowenien [MiFID II], C‑628/18, EU:C:2021:1, Rn. 50).

61      Im vorliegenden Fall stützte sich die Kommission auf die Mitteilung von 2023, um die Verurteilung der Republik Polen zur Zahlung eines täglichen Zwangsgelds und eines Pauschalbetrags zu begründen sowie um deren Beträge festzulegen.

 Zur Zweckmäßigkeit der Verhängung von finanziellen Sanktionen in der von der Kommission vorgeschlagenen Form

62      Um die Zweckmäßigkeit der Verhängung einer finanziellen Sanktion zu beurteilen, hat der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung in jeder Rechtssache und anhand der Umstände des Einzelfalls, mit dem er befasst ist, sowie nach Maßgabe des ihm erforderlich erscheinenden Grades an Überzeugungs- und Abschreckungswirkung die angemessenen finanziellen Sanktionen zu bestimmen, um insbesondere die Wiederholung ähnlicher Verstöße gegen das Unionsrecht zu verhindern (Urteile vom 13. Januar 2021, Kommission/Slowenien [MiFID II], C‑628/18, EU:C:2021:1, Rn. 71, und vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 72).

63      Erstens ist in Bezug auf die Erhebung eines Pauschalbetrags festzustellen, dass trotz des Umstands, dass die Republik Polen im Vorverfahren mit den Dienststellen der Kommission kooperiert hat und diese über die Schwierigkeiten informiert hat, auf die dieser Mitgliedstaat bei dem Versuch gestoßen ist, die Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 in das nationale Recht sicherzustellen, alle rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte der festgestellten Vertragsverletzung, nämlich das gänzliche Fehlen der Mitteilung der zur Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist und sogar noch zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof, darauf hindeuten, dass die wirksame Verhinderung einer zukünftigen Wiederholung entsprechender Verstöße gegen das Unionsrecht den Erlass einer abschreckenden Maßnahme wie der Verhängung eines Pauschalbetrags erfordern kann (vgl. entsprechend Urteile vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 70, und vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 73).

64      Zweitens ist, was die Verhängung eines Zwangsgelds betrifft, eine solche Sanktion grundsätzlich nur insoweit geboten, als die Vertragsverletzung, die mit dem Zwangsgeld geahndet werden soll, bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof fortbesteht, wobei davon auszugehen ist, dass diese Prüfung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens stattfindet (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 89). Es ist klarzustellen, dass in einem Fall, in dem wie hier keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, das insoweit zu berücksichtigende Datum dasjenige des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens ist.

65      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Republik Polen bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens vor dem Gerichtshof, d. h. bis zum 9. August 2023, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um die Richtlinie 2019/1937 in ihr innerstaatliches Recht umzusetzen, weder erlassen noch folglich mitgeteilt hatte. Somit ist festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof seine Vertragsverletzung fortgesetzt hat.

66      Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass die Verurteilung der Republik Polen zur Zahlung eines täglichen Zwangsgelds, wie von der Kommission beantragt, ein angemessenes finanzielles Mittel ist, um sicherzustellen, dass dieser Mitgliedstaat die festgestellte Vertragsverletzung schnellstmöglich beendet und seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie 2019/1937 nachkommt. Da andererseits nicht auszuschließen ist, dass die Umsetzung dieser Richtlinie zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache vollständig abgeschlossen ist, ist die Verhängung eines Zwangsgelds nur insoweit angemessen, als die Vertragsverletzung zum Zeitpunkt dieser Verkündung noch andauert (vgl. entsprechend Urteile vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 61, und vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 91).

 Zur Höhe der finanziellen Sanktionen

–       Zur Methode der Festsetzung der Höhe der finanziellen Sanktionen

67      Gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV ist nur der Gerichtshof befugt, gegen einen Mitgliedstaat eine finanzielle Sanktion zu verhängen. Im Rahmen eines auf der Grundlage dieser Bestimmung eingeleiteten Verfahrens verfügt der Gerichtshof jedoch nur über ein begrenztes Ermessen, da im Fall der Feststellung einer Vertragsverletzung durch den Gerichtshof dieser hinsichtlich der Art und des Höchstbetrags der Sanktion, die er verhängen kann, an die Vorschläge der Kommission gebunden ist (Urteil vom 13. Januar 2021, Kommission/Slowenien [MiFID II], C‑628/18, EU:C:2021:1, Rn. 49 und 51).

68      Bei der Ausübung seines diesbezüglichen Ermessens innerhalb des Rahmens der Vorschläge der Kommission ist es, wie in Rn. 62 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Sache des Gerichtshofs, die Höhe der gegen einen Mitgliedstaat gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV verhängten finanziellen Sanktionen so festzusetzen, dass dieser Betrag zum einen den Umständen angepasst ist und zum anderen in angemessenem Verhältnis zu dem begangenen Verstoß steht. Zu den insoweit relevanten Faktoren zählen u. a. die Schwere der festgestellten Vertragsverletzung, der Zeitraum, in dem sie fortbestanden hat, und die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats (Urteile vom 13. Januar 2021, Kommission/Slowenien [MiFID II], C‑628/18, EU:C:2021:1, Rn. 74, und vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 74 und 93).

69      Dies vorausgeschickt, ist auch daran zu erinnern, dass im Rahmen dieses Ermessens Leitlinien, wie sie in den Mitteilungen der Kommission enthalten sind, in denen mathematische Variablen als indikative Regeln festgelegt sind, den Gerichtshof nicht binden, jedoch dazu beitragen, die Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit des Handelns der Kommission selbst zu gewährleisten, wenn dieses Organ dem Gerichtshof Vorschläge unterbreitet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 116, sowie vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 95 und 110).

70      Was erstens die Schwere des festgestellten Verstoßes betrifft, so geht aus Abschnitt 3.2 der Mitteilung von 2023 hervor, dass nach Auffassung der Kommission das Versäumnis, die Maßnahmen zur Umsetzung einer im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erlassenen Richtlinie mitzuteilen, immer als schwerwiegend angesehen wird. Daher rechtfertige dieser Verstoß die automatische Anwendung eines Schwerekoeffizienten von 10.

71      Die Republik Polen beanstandet den Wert dieses Koeffizienten und den Automatismus seiner Anwendung unter den Umständen des festgestellten Verstoßes.

72      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Pflicht, Maßnahmen zu erlassen, um die vollständige Umsetzung einer Richtlinie sicherzustellen, und die Pflicht, diese Vorschriften der Kommission mitzuteilen, wesentliche Pflichten der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts darstellen und dass die Verletzung dieser Pflichten mit Sicherheit als gewichtig zu erachten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73      Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass die Richtlinie 2019/1937 ein entscheidendes Instrument des Unionsrechts ist, da sie nach ihrem Art. 1 in Verbindung mit ihrem ersten Erwägungsgrund gemeinsame Mindeststandards festlegt, die ein hohes Maß an ausgewogenem und effizientem Schutz von Personen gewährleisten, die Verstöße gegen dieses Recht in Bereichen melden, in denen solche Verstöße das Allgemeininteresse besonders beeinträchtigen können. Durch die Schaffung eines Systems zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht in einem beruflichen Kontext melden, trägt diese Richtlinie nämlich dazu bei, Verletzungen des öffentlichen Interesses in besonders sensiblen Bereichen wie der öffentlichen Auftragsvergabe, der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, dem Umweltschutz oder den finanziellen Interessen der Union zu verhindern. So sehen die Bestimmungen der genannten Richtlinie die Verpflichtung für juristische Personen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors vor, interne Meldekanäle sowie Verfahren für die Entgegennahme von Meldungen und entsprechende Folgemaßnahmen einzurichten, wobei die Rechte der Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, sowie die Bedingungen, unter denen sie den so konzipierten Schutz in Anspruch nehmen können, gewährleistet werden müssen.

74      Die unterbliebene Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2019/1937 beeinträchtigt jedoch zwangsläufig die Achtung des Unionsrechts und seine einheitliche und wirksame Anwendung, da Verstöße gegen dieses Recht möglicherweise nicht gemeldet werden, wenn Personen, die von solchen Verstößen Kenntnis haben, keinen Schutz vor möglichen Repressalien genießen.

75      In Anbetracht dessen muss die Höhe der finanziellen Sanktionen, die gegen einen Mitgliedstaat gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV verhängt werden, den Umständen angepasst sein und in einem angemessenen Verhältnis zu dem begangenen Verstoß stehen, wie in Rn. 68 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufen wurde.

76      Die automatische Anwendung desselben Schwerekoeffizienten in allen Fällen, in denen eine Richtlinie nicht vollständig umgesetzt worden ist und in denen daher die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie nicht mitgeteilt werden, hindert also notwendigerweise die Anpassung der Höhe der finanziellen Sanktionen an die Umstände, die den Verstoß kennzeichnen, und die Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen.

77      Insbesondere ist die Kommission, wie der Generalanwalt in den Nrn. 84 bis 89 seiner Schlussanträge festgestellt hat, aufgrund der Annahme, dass die Verletzung der Pflicht zur Mitteilung der Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie unabhängig von der betreffenden Richtlinie als gleich schwerwiegend anzusehen sei, nicht in der Lage, die finanziellen Sanktionen entsprechend den Auswirkungen der Nichterfüllung dieser Pflicht auf private und öffentliche Interessen anzupassen, wie es in Abschnitt 3.2.2 der Mitteilung von 2023 vorgesehen ist.

78      Insoweit kann sich die Kommission nicht auf den in Art. 4 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen berufen, um die automatische Anwendung eines einheitlichen Schwerekoeffizienten in dem Fall zu rechtfertigen, dass eine Richtlinie nicht vollständig umgesetzt wird und daher die für ihre Umsetzung erforderlichen Maßnahmen nicht mitgeteilt werden. Es ist nämlich offensichtlich, dass die Folgen der Nichterfüllung der den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtungen für die in Rede stehenden privaten und öffentlichen Interessen nicht nur von einem Mitgliedstaat zum anderen, sondern auch je nach dem normativen Inhalt der nicht umgesetzten Richtlinie unterschiedlich sein können. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt dieser Grundsatz aber insbesondere, dass unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil vom 19. Dezember 2018, Kommission/Österreich, C‑51/18, EU:C:2018:1035, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Folglich kann sich die Kommission nicht ihrer Verpflichtung, in jedem Mitgliedstaat und in jedem spezifischen Fall die Folgen des festgestellten Verstoßes für die privaten und öffentlichen Interessen zu beurteilen, dadurch entledigen, dass sie sich darauf beschränkt, im Rahmen der Festsetzung der finanziellen Sanktionen automatisch einen Schwerekoeffizienten anzuwenden, und dies unter Berücksichtigung etwaiger mildernder oder erschwerender Umstände. Insbesondere ist im vorliegenden Fall der Verstoß gegen die Verpflichtung, die zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, besonders schwerwiegend, da, wie in Rn. 73 des vorliegenden Urteils hervorgehoben wurde, die Bestimmungen dieser Richtlinie, soweit sie den Schutz von Personen bezwecken, die Verstöße gegen das Unionsrecht in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen melden, dazu beitragen, die einheitliche und wirksame Anwendung dieses Rechts sicherzustellen.

80      Zweitens ist im Zusammenhang mit der Beurteilung der Dauer des Verstoßes daran zu erinnern, dass in Bezug auf den Beginn des Zeitraums, der bei der Festsetzung des Pauschalbetrags zu berücksichtigen ist, für die Bemessung der Dauer der betreffenden Vertragsverletzung nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission gesetzt worden ist, sondern auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in der fraglichen Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist abzustellen ist (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Drittens geht in Bezug auf die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats aus der Rechtsprechung hervor, dass unbeschadet der Möglichkeit der Kommission, auf einer Vielzahl von Kriterien beruhende finanzielle Sanktionen vorzuschlagen, um es u. a. zu ermöglichen, eine angemessene Differenzierung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten beizubehalten, das BIP dieses Staates als vorrangiger Faktor bei der Beurteilung seiner Zahlungsfähigkeit und bei der Festsetzung hinreichend abschreckender und verhältnismäßiger Sanktionen zu berücksichtigen ist, um zukünftigen ähnlichen Verstößen gegen das Unionsrecht wirksam vorzubeugen (Urteile vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 111, 116 und 130, sowie vom 28. September 2023, Kommission/Vereinigtes Königreich [Steuerliche Kennzeichnung von Gasöl], C‑692/20, EU:C:2023:707, Rn. 115).

82      Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die jüngste Entwicklung des BIP des Mitgliedstaats zu berücksichtigen ist, wie sie sich zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof darstellt (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Im vorliegenden Fall ist der Faktor „n“, der die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats im Verhältnis zur Zahlungsfähigkeit der anderen Mitgliedstaaten darstellt und von der Kommission gemäß den Abschnitten 3.4 und 4.2 der Mitteilung von 2023 angewendet wird, definiert als gewichteter geometrischer Mittelwert des BIP des betreffenden Mitgliedstaats im Verhältnis zum durchschnittlichen BIP der Mitgliedstaaten, gewichtet mit zwei Dritteln bei der Berechnung des Faktors „n“, und der Bevölkerung des betreffenden Mitgliedstaats im Verhältnis zur durchschnittlichen Bevölkerung der Mitgliedstaaten, gewichtet mit einem Drittel bei der Berechnung des Faktors „n“, wie aus der in Rn. 10 des vorliegenden Urteils angegebenen Gleichung hervorgeht. Die Kommission rechtfertigt diese Methode zur Berechnung des Faktors „n“ sowohl mit dem Ziel, eine angemessene Abweichung zwischen den Faktoren „n“ der Mitgliedstaaten im Vergleich zu einer Berechnung, die ausschließlich auf dem BIP der Mitgliedstaaten beruhe, zu ermöglichen, als auch mit dem Ziel, eine gewisse Stabilität bei der Berechnung des Faktors „n“ zu gewährleisten, da die Bevölkerungszahl auf jährlicher Basis wahrscheinlich nicht stark schwanken werde.

84      Zum einen trifft es zwar zu, dass die sich aus der Mitteilung von 2023 ergebende Methode zur Berechnung des Faktors „n“ hauptsächlich das BIP des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtigt, doch ist festzustellen, dass diese Methode auf der Annahme beruht, dass eine Korrelation zwischen der Bevölkerungsgröße eines Mitgliedstaats und seiner Zahlungsfähigkeit bestehe, was nicht unbedingt der Fall ist. Daher führt die Berücksichtigung eines demografischen Kriteriums, wie sie sich bei dieser Methode ergibt, zu einer Entkopplung des Faktors „n“ von der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats, was zur Festsetzung eines Faktors „n“ führen kann, der nicht notwendigerweise dieser Zahlungsfähigkeit entspricht, wie der Generalanwalt in den Nrn. 119 bis 121 seiner Schlussanträge festgestellt hat.

85      Zum anderen kann, auch wenn die Berücksichtigung eines demografischen Kriteriums bei der Festsetzung des Faktors „n“ zur Bestimmung der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats es ermöglicht, eine gewisse Differenzierung zwischen den Faktoren „n“ der Mitgliedstaaten beizubehalten, dieses Ziel es nicht rechtfertigen, dass die Zahlungsfähigkeit dieses Mitgliedstaats anhand von Kriterien bestimmt wird, die diese Fähigkeit nicht widerspiegeln.

86      Daher kann die Bestimmung der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats in die Methode der Berechnung des Faktors „n“ nicht die Berücksichtigung eines demografischen Kriteriums gemäß den in den Abschnitten 3.4 und 4.2 der Mitteilung von 2023 vorgesehenen Modalitäten einbeziehen.

–       Zum Pauschalbetrag

87      Nach der in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist es für die Berechnung des Pauschalbetrags, zu dessen Zahlung ein Mitgliedstaat nach Art. 260 Abs. 3 AEUV verurteilt werden kann, Sache des Gerichtshofs, in Ausübung seines Ermessens dessen Höhe so zu bestimmen, dass er zum einen den Umständen angepasst ist und zum anderen in angemessenem Verhältnis zu dem begangenen Verstoß steht. Zu den insoweit relevanten Faktoren zählen u. a. Aspekte wie die Schwere der festgestellten Vertragsverletzung, der Zeitraum, in dem sie fortbestanden hat, und die Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Was zunächst die Schwere des begangenen Verstoßes betrifft, so kann diese nicht durch die automatische Anwendung eines Schwerekoeffizienten festgelegt werden, wie in Rn. 79 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde.

89      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass aus den in den Rn. 72 bis 74 des vorliegenden Urteils genannten Gründen die Verletzung der Verpflichtung zum Erlass der für die vollständige Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie der Verpflichtung zur Mitteilung dieser Vorschriften an die Kommission als besonders schwerwiegend anzusehen ist.

90      Die Schwere dieser Vertragsverletzung wird zudem durch den Umstand verstärkt, dass die Republik Polen am Ende des schriftlichen Verfahrens noch immer nicht die zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hatte, wie dieser Mitgliedstaat in seinen schriftlichen Erklärungen selbst eingeräumt hat.

91      Dies vorausgeschickt, hat die Republik Polen in ihrer Klagebeantwortung, ohne dass ihr die Kommission insoweit widersprochen hätte, geltend gemacht, dass bestimmte, den Anforderungen der Richtlinie 2019/1937 entsprechende Vorschriften zum Schutz von Personen, die Rechtsverletzungen melden, bereits in ihrer Gesetzgebung existierten.

92      Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in Nr. 144 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, festzustellen, dass nicht nachgewiesen worden ist, dass die Folgen der im vorliegenden Fall festgestellten Vertragsverletzung für die privaten und öffentlichen Interessen so negativ sind wie im Fall einer vollständigen Nichtumsetzung der Richtlinie 2019/1937. Soweit die Kommission geltend macht, dass diese nationalen Rechtsvorschriften bei der Beurteilung des Schwerefaktors nicht zu berücksichtigen seien, da sie ihr nicht mitgeteilt worden seien, genügt die Feststellung, dass diese Argumentation unerheblich ist, da die fehlende Mitteilung die Tatsache, dass sich die Existenz der genannten Rechtsvorschriften auf diese Interessen auswirkt, nicht beeinflusst.

93      Allerdings hat die Republik Polen in ihrer Klagebeantwortung selbst eingeräumt, dass die Vorschriften zum Schutz von Personen, die Rechtsverletzungen melden, in der polnischen Rechtsordnung verstreut seien und entgegen den Anforderungen von Art. 26 Abs. 3 der Richtlinie 2019/1937 keinen ausdrücklichen Hinweis auf den Schutz dieser Personen enthielten.

94      Das Fehlen spezifischer und klarer Vorschriften für den Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, wie in der Richtlinie 2019/1937 vorgesehen, behindert jedoch einen wirksamen Schutz dieser Personen und ist daher geeignet, die einheitliche und wirksame Anwendung dieses Rechts in den von dieser Richtlinie erfassten Bereichen in Frage zu stellen.

95      Denn wie in Rn. 73 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufen wurde, trägt die Richtlinie 2019/1937 durch die Schaffung eines Systems zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht in einem beruflichen Kontext melden, dazu bei, Beeinträchtigungen des öffentlichen Interesses in besonders sensiblen Bereichen wie der öffentlichen Auftragsvergabe, der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, dem Schutz der Umwelt oder der finanziellen Interessen der Union zu verhindern.

96      Wie in Rn. 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt, werden jedoch Personen, die Kenntnis von einem Verstoß gegen das Unionsrecht in diesen Bereichen haben, mangels eines wirksamen Schutzes möglicherweise davon abgehalten, diesen Verstoß zu melden, da sie sich hierdurch Repressalien aussetzen könnten.

97      Mit Blick auf das in Art. 1 der Richtlinie 2019/1937 genannte Ziel und den ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie beabsichtigt die Richtlinie 2019/1937 somit, wie in Rn. 73 des vorliegenden Urteils ausgeführt wird, gemeinsame Mindeststandards festzulegen, die ein hohes Maß an ausgewogenem und wirksamem Schutz von Personen gewährleisten, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, so dass das Versäumnis, die für die vollständige und genaue Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, besonders schwer wiegt.

98      Soweit die Republik Polen außerdem geltend macht, sie habe während des gesamten Vorverfahrens mit der Kommission zusammengearbeitet, ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV ohnehin zur loyalen Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet sind, was bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern muss, die nach Art. 17 EUV darin besteht, als Hüterin der Verträge unter der Kontrolle des Gerichtshofs für die Anwendung des Unionsrechts Sorge zu tragen. Folglich kann nur eine Zusammenarbeit mit der Kommission, die sich durch Schritte auszeichnet, die die Intention belegen, den Verpflichtungen aus einer Richtlinie schnellstmöglich nachzukommen, im Rahmen der Beurteilung der Schwere der Verletzung als mildernder Umstand berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. September 2023, Kommission/Vereinigtes Königreich [Steuerliche Kennzeichnung von Gasöl], C‑692/20, EU:C:2023:707, Rn. 106 und 107 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

99      Im vorliegenden Fall hatte die Republik Polen jedoch, wie aus Rn. 17 des vorliegenden Urteils hervorgeht, in ihrem Schreiben vom 15. September 2022 angekündigt, dass die zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1937 erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Lauf des Monats Januar 2023 oder sogar, wie in der E‑Mail vom 11. Januar 2023 angekündigt, im Lauf des Monats August 2023 im polnischen Amtsblatt veröffentlicht würden, was jedoch nicht der Fall war. Unter diesen Umständen kann die Zusammenarbeit der Republik Polen mit der Kommission während des Vorverfahrens nicht als mildernder Umstand berücksichtigt werden.

100    Sodann steht hinsichtlich der Dauer des Verstoßes fest, dass die Republik Polen bis zum Ablauf der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 vorgesehenen Umsetzungsfrist, d. h. bis zum 17. Dezember 2021, die zur Gewährleistung der Umsetzung dieser Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht erlassen und daher auch der Kommission nicht mitgeteilt hatte.

101    Da das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof am 9. August 2023 abgeschlossen wurde, dauerte die in Rede stehende Vertragsverletzung zum Zeitpunkt dieses Abschlusses fast ein Jahr und acht Monate an.

102    Was schließlich die Bestimmung der Zahlungsfähigkeit der Republik Polen betrifft, so ist es, wie in den Rn. 84 bis 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht angebracht, bei der Methode zur Berechnung des Faktors „n“ die Größe der Bevölkerung dieses Mitgliedstaats in einem Umfang zu berücksichtigen, wie es die Kommission aufgrund der Mitteilung von 2023 getan hat.

103    Aufgrund dieser Erwägungen und unter Berücksichtigung des Ermessens, das dem Gerichtshof durch Art. 260 Abs. 3 AEUV eingeräumt wird, wonach er in Bezug auf den Pauschalbetrag, dessen Zahlung er verhängt, keinen Betrag festsetzen darf, der über den von der Kommission genannten Betrag hinausgeht, ist davon auszugehen, dass die wirksame Verhinderung der zukünftigen Wiederholung von Verstößen, die demjenigen entsprechen, der sich aus der Verletzung von Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 ergibt und der die volle Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt, die Verhängung eines Pauschalbetrags erfordert, dessen Höhe auf 7 000 000 Euro festzusetzen ist.

–       Zum täglichen Zwangsgeld

104    Bei der Ausübung seines Ermessens hat der Gerichtshof ein tägliches Zwangsgeld so festzusetzen, dass es zum einen den Umständen angepasst ist und in angemessenem Verhältnis zur festgestellten Vertragsverletzung sowie zur Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats steht und zum anderen, im Einklang mit Art. 260 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV, den von der Kommission genannten Betrag nicht übersteigt (Urteil vom 29. Februar 2024, Kommission/Irland [Audiovisuelle Mediendienste], C‑679/22, EU:C:2024:178, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

105    Im Rahmen der vom Gerichtshof bei der Festlegung der Höhe des Zwangsgelds vorzunehmenden Beurteilung sind daher zur Gewährleistung seines Wesens als Druckmittel im Hinblick auf die einheitliche und wirksame Anwendung des Unionsrechts grundsätzlich die Dauer der Zuwiderhandlung, ihr Schweregrad und die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats als Kriterien heranzuziehen. Bei der Anwendung dieser Kriterien hat der Gerichtshof insbesondere zu berücksichtigen, welche Folgen die Nichterfüllung der Verpflichtungen für die in Rede stehenden öffentlichen und privaten Interessen hat und wie dringend es ist, dass der betreffende Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nachkommt (Urteil vom 25. Februar 2021, Kommission/Spanien [Richtlinie über personenbezogene Daten – Strafrechtlicher Bereich], C‑658/19, EU:C:2021:138, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

106    Was zunächst die Schwere des in Rede stehenden Verstoßes betrifft, steht fest, dass die Republik Polen bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist gegen die in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1937 genannten Verpflichtungen verstoßen hat, so dass auch unter Berücksichtigung der Erwägungen in den Rn. 91 bis 97 des vorliegenden Urteils festzustellen ist, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts offensichtlich nicht sichergestellt worden ist.

107    Was sodann die Dauer des Verstoßes anbelangt, die bei der Festsetzung der Höhe des zu verhängenden Zwangsgelds berücksichtigt werden muss, ist festzustellen, dass der in Rede stehende Verstoß nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist fortdauerte.

108    Was schließlich die Bestimmung der Zahlungsfähigkeit der Republik Polen betrifft, so besteht, wie in den Rn. 84 bis 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, keine Notwendigkeit, bei der Methode zur Berechnung des Faktors „n“ die Bevölkerungszahl dieses Mitgliedstaats in einem Maß zu berücksichtigen, wie es die Kommission aufgrund der Mitteilung von 2023 getan hat.

109    Nach alledem und unter Berücksichtigung des dem Gerichtshof durch Art. 260 Abs. 3 AEUV eingeräumten Ermessens, wonach er hinsichtlich des von ihm verhängten Zwangsgelds keinen Betrag festsetzen darf, der den von der Kommission angegebenen Betrag übersteigt, ist es angebracht, für den Fall, dass die in Rn. 38 des vorliegenden Urteils festgestellte Vertragsverletzung am Tag der Verkündung dieses Urteils noch andauern sollte, die Republik Polen zu verurteilen, an die Kommission ab diesem Tag und bis zur Beendigung dieser Vertragsverletzung durch diesen Mitgliedstaat ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von 40 000 Euro zu zahlen.

 Kosten

110    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Republik Polen beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die der Kommission entstanden sind.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 26 Abs. 1 und 3 der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, verstoßen, dass sie bis zum Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 15. Juli 2022 gesetzten Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, nicht erlassen und diese Vorschriften daher der Kommission nicht mitgeteilt hat.

2.      Die Republik Polen hat dadurch, dass sie zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof weder die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2019/1937 in ihr innerstaatliches Recht erlassen noch folglich diese Maßnahmen der Europäischen Kommission mitgeteilt hat, ihre Vertragsverletzung fortgesetzt.

3.      Die Republik Polen wird verurteilt, an die Europäische Kommission

–        einen Pauschalbetrag in Höhe von 7 000 000 Euro zu zahlen;

–        für den Fall, dass die in Nr. 1 des Tenors festgestellte Vertragsverletzung am Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils noch andauern sollte, ab diesem Tag ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von 40 000 Euro zu zahlen, bis dieser Mitgliedstaat diese Vertragsverletzung beendet hat.

4.      Die Republik Polen wird verurteilt, neben ihren eigenen Kosten die Kosten zu tragen, die der Europäischen Kommission entstanden sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.