URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
18. Juni 1998 (1)
„Freier Dienstleistungsverkehr Seeschiffahrt Ausschließliche Rechte von
Unternehmen Fest- und Losmachen der Schiffe in den Häfen Festsetzung
der Tarife“
In der Rechtssache C-266/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunale
Genua (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Corsica Ferries France SA
gegen
Gruppo Antichi Ormeggiatori del porto di Genova Coop. arl,
Gruppo Ormeggiatori del Golfo di La Spezia Coop. arl,
Ministero dei Trasporti e della Navigazione
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 3, 5,
30, 59, 85, 86 und 90 Absatz 1 EG-Vertrag sowie der Verordnung (EWG) Nr.
4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des
freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie
zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABl. L 378, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter
M. Wathelet (Berichterstatter), J. C. Moitinho de Almeida, J.-P. Puissochet und
L. Sevón,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Corsica Ferries France SA, vertreten durch die Rechtsanwälte G. Conte
und G. Giacomini, Genua,
des Gruppo Antichi Ormeggiatori del porto di Genova Coop. arl, vertreten
durch die Rechtsanwälte A. Tizzano, Neapel, und F. Munari, Genua,
des Gruppo Ormeggiatori del Golfo di La Spezia Coop. arl, vertreten durch
die Rechtsanwälte S. M. Carbone und G. Sorda, Genua, und G. M. Roberti,
Neapel,
der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des
Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als
Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato P. G. Ferri,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater G. Marenco und L. Pignataro, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Corsica Ferries France SA,
vertreten durch die Rechtsanwälte G. Conte und G. Giacomini, des Gruppo Antichi
Ormeggiatori del porto di Genova Coop. arl, vertreten durch Rechtsanwalt
F. Munari, des Gruppo Ormeggiatori del Golfo di La Spezia Coop. arl, vertreten
durch die Rechtsanwälte S. M. Carbone, G. Sorda und G. M. Roberti, der
italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. Aiello, und der
Kommission, vertreten durch L. Pignataro, in der Sitzung vom 6. November 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22.
Januar 1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Tribunale Genua hat mit Beschluß vom 5. Juli 1996, beim Gerichtshof
eingegangen am 2. August 1996, dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung
der Artikel 3, 5, 30, 59, 85, 86 und 90 Absatz 1 EG-Vertrag sowie der Verordnung
(EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des
Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen
Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABl. L 378, S. 1)
zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Corsica Ferries France
SA (Corsica Ferries) und dem Gruppo Antichi Ormeggiatori del porto di Genova
Coop. arl (Festmachergruppe von Genua), dem Gruppo Ormeggiatori del Golfo
di La Spezia Coop. arl (Festmachergruppe von La Spezia) und dem Ministero dei
Trasporti e della Navigazione (Ministerium für Verkehr und Schiffahrt).
- 3.
- Die Corsica Ferries ist eine Gesellschaft französischen Rechts, die seit dem 1.
Januar 1994 als Seeschiffahrtsunternehmen mit Fährschiffen einen Linienverkehr
zwischen Korsika und verschiedenen italienischen Häfen, darunter Genua und La
Spezia, betreibt. Sie setzt hierzu von der Tourship Ltd mit Sitz in Jersey auf Zeit
gecharterte, in Panama registrierte und unter panamaischer Flagge fahrende Schiffe
ein. Sowohl an der Corsica Ferries als auch an der Tourship Ltd ist die Tourship
SA, eine in Luxemburg niedergelassene Gesellschaft luxemburgischen Rechts,
mehrheitlich beteiligt. Von 1994 bis 1996 zahlte die Corsica Ferries an die
Festmachergruppe von Genua und an die Festmachergruppe von La Spezia
bestimmte Beträge für die Festmachmanöver (Festmachen und Losmachen der
Schiffe), die sich beim Anlaufen der von ihr betriebenen Schiffe in diesen Häfen
ergaben.
- 4.
- Die Corsica Ferries leistete ihre Zahlungen immer unter ausdrücklichem Vorbehalt,
wobei sie angab, die Verpflichtung, auf die Dienste der genannten Gruppen
zurückzugreifen, stelle eine Beschränkung des freien Warenverkehrs und des freien
Dienstleistungsverkehrs dar, und die ihr in Rechnung gestellten Beträge ergäben
sich aus einem Tarif, der in keinem Verhältnis zu den Kosten der tatsächlich
erbrachten Leistungen stehe und der unter Verletzung der gemeinschaftlichen
Wettbewerbsregeln festgelegt worden sei.
- 5.
- Am 2. Juli 1996 leitete die Corsica Ferries beim Tribunale Genua ein
Mahnverfahren nach Artikel 633 der italienischen Zivilprozeßordnung ein, in dem
sie von der Festmachergruppe von Genua die Erstattung von 669 838 425 LIT, von
der Festmachergruppe von La Spezia die Erstattung von 188 472 802 LIT und vom
Ministerium für Verkehr und Schiffahrt als Gesamtschuldner die Erstattung von
858 311 227 LIT begehrte, jeweils zuzüglich Zinsen. Die von ihr geleisteten
Zahlungen seien ohne rechtlichen Grund erfolgt. Zur Begründung macht sie
zweierlei geltend.
- 6.
- Erstens stünden die für die Festmachmanöver in den betreffenden Häfen
angewandten Tarife in keinem Verhältnis zu den von den Festmachern für die
Schiffe tatsächlich erbrachten Leistungen und seien außerdem von Hafen zu Hafen
unterschiedlich, so daß sowohl ein Verstoß gegen den im Sektor der Seeschiffahrt
durch die Verordnung Nr. 4055/86 gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehr
als auch gegen den durch Artikel 30 EG-Vertrag gewährleisteten freien
Warenverkehr vorliege.
- 7.
- Zweitens seien diese Zahlungen unter Verstoß gegen die gemeinschaftlichen
Wettbewerbsregeln festgesetzt worden. Dieser Verstoß ergebe sich nicht nur
daraus, daß die Tarife auf gegen Artikel 85 EG-Vertrag verstoßende
Vereinbarungen zwischen den Festmachergruppen zurückgingen, sondern auch
daraus, daß die Festmachergruppen von Genua und von La Spezia unter Verstoß
gegen Artikel 86 EG-Vertrag ihre beherrschende Stellung auf einem wesentlichen
Teil des Gemeinsamen Marktes mißbräuchlich ausnutzten, indem sie
unangemessene Tarife anwendeten und die Schiffahrtsunternehmen daran
hinderten, für die Festmachmanöver auf ihr eigenes qualifiziertes Personal
zurückzugreifen, und indem sie für die einzelnen Häfen für gleiche Leistungen, die
für die gleichen Schiffe erbracht würden, unterschiedliche Tarife festsetzten.
- 8.
- Zur Unterstützung ihres Antrags, die Italienische Republik als Gesamtschuldner zur
Zahlung der von ihr geforderten Beträge zu verurteilen, beruft sich die Corsica
Ferries auf die Verantwortlichkeit dieses Mitgliedstaats aufgrund der Tatsache, daß
dieser nicht eingeschritten sei, um die ihr gegenüber begangenen Verstöße gegen
das Gemeinschaftsrecht abzustellen.
- 9.
- Nach den im Ausgangsverfahren anwendbaren Rechtsvorschriften sind die
Dienstleistungen des Festmachens im Codice della navigazione
(Seerechtsgesetzbuch), im Regolamento per la navigazione marittima
(Durchführungsverordnung zum Seerechtsgesetzbuch; nachstehend:
Durchführungsverordnung) und für jeden einzelnen Hafen in den von der örtlich
zuständigen Seerechtsbehörde erlassenen Bestimmungen geregelt.
- 10.
- Gemäß den Artikeln 62 und 63 des Seerechtsgesetzbuchs regelt und überwacht der
Hafendirektor die Ein- und Ausfahrt, die Bewegungen, das Ankern und das
Festmachen der Schiffe im Hafen, ordnet die Fest- und Losmachmanöver an,
befiehlt erforderlichenfalls die Durchführung der angeordneten Manöver von Amts
wegen auf Kosten des Schiffes und ordnet schließlich im äußersten Notfall das
Kappen der Taue an.
- 11.
- Nach Artikel 116 des Seerechtsgesetzbuchs gehören die Festmacher zur Gruppe
der Hafendienstleistungen verrichtenden Personen. Die sie im einzelnen
betreffenden Vorschriften finden sich in Kapitel VI (Artikel 208 bis 214) der
Durchführungsverordnung. Gemäß Artikel 209 der Durchführungsverordnung regelt
der Hafendirektor die Dienstleistung des Festmachens; er stellt die Angemessenheit
der Dienstleistung im Hinblick auf die Erfordernisse des Hafens sicher und kann
u. a. in den Häfen, in denen ein solches Erfordernis besteht, die Festmacher in
Gruppen organisieren. Artikel 212 der Durchführungsverordnung sieht schließlich
vor, daß in jedem Hafen die Tarife für die Festmachmanöver vom Direktor des
Seeamtsbezirks festgelegt werden.
- 12.
- Die für den Hafen von Genua geltende spezifische Regelung ist das Dekret Nr. 759
des Präsidenten des Consorzio autonomo del porto di Genova (unabhängiger
Hafenverband Genua), durch das die Festmachergruppe von Genua errichtet
wurde, sowie der Erlaß über die maritimen Dienstleistungen und die Hafenpolizei
vom 1. März 1972, dessen Artikel 13 bestimmt:
„Die Inanspruchnahme der Leistungen der Festmacher für die Fest- und
Losmachmanöver der Schiffe ist freigestellt ...
Sofern das Schiff keine Leistungen von Festmachern anfordert, ist das Festmachen
ausschließlich von der Schiffsbesatzung durchzuführen.“
- 13.
- Nach den Ausführungen des nationalen Gerichts macht der zweite Absatz dieser
Bestimmung die Inanspruchnahme der Dienste der Festmachergruppe von Genua
faktisch obligatorisch.
- 14.
- Für den Hafen von La Spezia ist die spezifische Regelung in dem Dekret Nr. 20
des Direktors des Seeamtsbezirks La Spezia vom 16. Juli 1968 enthalten. Durch
Artikel 1 dieses Dekrets wird eine Festmachergruppe errichtet. Artikel 2 bestimmt,
daß diese Gruppe
„die Dienstleistungen des Fest- und Losmachens erbringt und für die
Gewährleistung der Sicherheit im Hafen sorgt. Diese Dienstleistung ist verbindlich
für Schiffe von mehr als 500 BRT. Schiffe mit geringerer Bruttoregistertonnenzahl
können das betreffende Manöver von der Schiffsbesatzung durchführen lassen,
sofern sie den Verkehr nicht behindern und weder die Sicherheit im Hafen noch
die Sicherheit der Besatzung gefährden. Es ist ausdrücklich verboten, zur
Durchführung der Dienstleistungen des Festmachens Personen heranzuziehen, die
nicht der genannten Gruppe angehören.“
- 15.
- Was die Festlegung der Tarife für die Festmachmanöver angeht, weicht die
Darstellung im Vorlagebeschluß, der im Rahmen eines summarischen,
nichtstreitigen Verfahrens ergangen ist und somit nur die sachlichen Darstellungen
und rechtlichen Ausführungen der Corsica Ferries enthält, von der Darstellung der
Festmachergruppen von Genua und von La Spezia, der italienischen Regierung und
der Kommission ab. Trotz der der Corsica Ferries vom Gerichtshof gestellten
schriftlichen Frage zu diesem Punkt konnten einige Aspekte nicht geklärt werden,
und die Parteien bleiben zu bestimmten Punkten bei einer unterschiedlichen
Auslegung.
- 16.
- Nach dem Vorlagebeschluß gibt es keine gesetzliche Regelung darüber, welche
Kriterien die Hafendirektoren bei der Festsetzung der Tarife für die
Dienstleistungen des Festmachens zugrunde zu legen haben. Diese Tarife würden
in manchen Fällen auf der Grundlage von zwischen Unternehmen des Sektors
getroffenen Vereinbarungen festgelegt und anschließend durch einen Akt der
Verwaltung für anwendbar erklärt.
- 17.
- Die Festmachergruppen von Genua und von La Spezia, die italienische Regierung
und die Kommission hingegen machen geltend, es sei das Gesetz Nr. 160/89 vom
5. Mai 1989 (GURI Nr. 139 vom 16. Juni 1989) zugrunde zu legen, das in Artikel
9 Absatz 7 bestimme, daß der Minister für die Handelsmarine nach Konsultation
der auf nationaler Ebene repräsentativsten gewerkschaftlichen Organisationen des
Sektors, der anderen Sozialpartner und der betroffenen Unternehmen nationale
Harmonisierungsvorschriften hinsichtlich der Tarife für Hafendienstleistungen und -manöver festsetze. Die so vorgesehene Neuordnung der Tarife sei insbesondere
durch den Erlaß Nr. 8/1994 des Ministers für die Handelsmarine vom 19.
September 1994 geregelt worden, in dem die Kriterien niedergelegt seien, die die
Hafenbehörden bei der Festsetzung der Tarife zu beachten hätten.
- 18.
- Nach dem Vorbringen der genannten Parteien werden die Tarife aufgrund einer
Formel berechnet, durch die die mit der Erbringung der Dienstleistung des
Festmachens verbundenen Kosten anteilig auf die verschiedenen Gruppen der
Hafenbenutzer verteilt werden sollen. Im Hinblick auf die Anwendung der Tarife
würden die Benutzer nach der Bruttotonnage der Schiffe in verschiedene Gruppen
eingeteilt; sie könnten für bestimmte Arten von Schiffen, wie Fahrzeugfähren, oder
im Zusammenhang mit häufigem Anlegen Ermäßigungen erhalten. Die Höhe des
für zwei Jahre geltenden Tarifs werde auf der Grundlage des voraussichtlichen
Gesamtumsatzes jeder Festmachergruppe berechnet, der wiederum vomVerkehrsaufkommen in dem betreffenden Hafen abhänge. Vor Erlaß der
Entscheidung der Hafenbehörde, mit der der Tarif für jeden einzelnen Hafen
festgesetzt werde, könnten die Betroffenen, sowohl auf der Angebots- als auch auf
der Nachfrageseite, ihren Standpunkt geltend machen.
- 19.
- Die Tarife für die Häfen Genua und La Spezia wurden durch Dekrete vom 20.
Oktober 1994 bzw. vom 27. September 1994 veröffentlicht.
- 20.
- Nach den Ausführungen des nationalen Gerichts erbringen die Festmachergruppen
von Genua und von La Spezia Dienstleistungen an die Corsica Ferries, die selbst
wiederum Dienstleistungen anbietet, die unter die Verordnung Nr. 4055/86 fallen;
die genannten Gruppen seien Unternehmen im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag, die über ausschließliche Rechte auf einem wesentlichen Teil des
Gemeinsamen Marktes verfügten. Das nationale Gericht hat Zweifel, ob die Natur
der ausschließlichen Rechte, der Zwang zur Inanspruchnahme der Dienstleistung,
die Art und Weise der Festsetzung der Tarife und ihre Höhe den
innergemeinschaftlichen Handel mit Waren und Dienstleistungen behindern und
die über diese Rechte verfügenden Unternehmen veranlassen können, ihre
beherrschende Stellung mißbräuchlich auszunutzen und dadurch den Handel
zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, da die Kosten an die Unternehmen,
die Beförderungen zwischen den Mitgliedstaaten durchführten, weitergegeben
würden; es hat demgemäß dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 30 des Vertrages dahin auszulegen, daß er einem durch
Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraxis eines Mitgliedstaats eingeführten
Verbot entgegensteht, durch das es in einem anderen Mitgliedstaat
ansässigen Seeschiffahrtsunternehmen untersagt wird, ihre Schiffe bei der
Ankunft in Häfen des erstgenannten Mitgliedstaats fest- und/oder bei der
Abfahrt von dort loszumachen, sofern sie nicht die von einem örtlichen
Unternehmen im Rahmen einer ausschließlichen Konzession für das Fest-
und Losmachen erbrachten Leistungen in Anspruch nehmen und diesem
Unternehmen ein gemessen an den tatsächlichen Kosten der erbrachten
Leistungen unverhältnismäßig hohes Entgelt zahlen?
2. Verbietet es die Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 des Rates vom 22.
Dezember 1986 in Verbindung mit Artikel 59 des Vertrages, daß ein
Mitgliedstaat die Inanspruchnahme der Dienstleistung des Fest- und
Losmachens verbindlich vorschreibt, wobei auf in einem anderen
Mitgliedstaat ansässige Seeschiffahrtsunternehmen bei der Ankunft ihrer
Schiffe im erstgenannten Mitgliedstaat und der Abfahrt von dort nicht durch
Gesetz geregelte, sondern völlig im Ermessen der Verwaltung stehende
Tarife angewendet werden?
3. Steht Artikel 3 in Verbindung mit den Artikeln 5, 90 Absatz 1, 85 und 86
des Vertrages den Rechtsvorschriften und/oder der Verwaltungspraxis eines
Mitgliedstaats entgegen, die für ein in diesem Mitgliedstaat ansässiges
Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Erbringung der Dienstleistung
des Fest- und Losmachens begründen, das es ermöglicht, die
Inanspruchnahme dieser Leistung vorzuschreiben, ein gemessen an den
tatsächlichen Kosten der Leistungen unverhältnismäßig hohes Entgelt zu
verlangen, abgestimmte und/oder im Ermessen der Verwaltung stehende
Tarife anzuwenden und für die einzelnen Häfen unterschiedliche
Tarifregelungen für gleiche Leistungen festzulegen?
Zur Zulässigkeit
- 21.
- Die italienische Regierung und die Festmachergruppen von Genua und La Spezia
haben Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlagefragen geltend gemacht, erstens
im Zusammenhang mit der Natur des Verfahrens vor dem nationalen Gericht und
zweitens im Zusammenhang mit der fehlenden Erheblichkeit der gestellten Fragen
für den Ausgangsrechtsstreit.
- 22.
- Zur Natur des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht weist die italienische
Regierung darauf hin, daß es sich um ein summarisches, nichtstreitiges Verfahren
handele, das von jedem anhängig gemacht werden könne, der die Vollstreckung
einer Forderung aufgrund eines schriftlichen Beweises beantrage, um ohne
Anhörung der Gegenpartei eine Zahlungsanordnung zu erwirken, wobei das
mögliche streitige Verfahren erst später folge, wenn die verurteilte Partei gegen
den Mahnbescheid Widerspruch einlege. Das Fehlen des streitigen Charakters und
die Unmöglichkeit, andere Beweise als die von der Klägerin vorgelegten
schriftlichen Beweise zu erhalten, führten dazu, daß der Gerichtshof nicht über die
erforderlichen Informationen verfüge, um Fragen zu beantworten, die komplexe
tatsächliche und rechtliche Verhältnisse im Bereich des Wettbewerbsrechts
beträfen.
- 23.
- Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß der Präsident eines italienischen
Gerichts im Rahmen eines Mahnverfahrens nach der italienischen
Zivilprozeßordnung eine richterliche Tätigkeit im Sinne des Artikels 177 EWG-Vertrag ausübt und daß die Anrufung des Gerichtshofes nach dieser Vorschrift
nicht davon abhängt, ob das Verfahren, in dem das nationale Gericht die
Vorlagefragen abfaßt, streitigen Charakter hat (Urteil vom 17. Mai 1994 in der
Rechtssache C-18/93, Corsica Ferries, Slg. 1994, I-1783, Randnr. 12, und dort
zitierte Rechtsprechung).
- 24.
- Allerdings muß das nationale Gericht dem Gerichtshof im Rahmen solcher
Verfahren eine detaillierte und vollständige Darstellung des tatsächlichen und
rechtlichen Zusammenhangs des Rechtsstreits geben.
- 25.
- Im vorliegenden Fall ist die Darstellung des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens
unzureichend, so daß der Gerichtshof einige der ihm vorgelegten Fragen nicht mit
der gewünschten Präzision beantworten kann. Die in den Akten enthaltenen
Angaben erlauben es dem Gerichtshof jedoch, die Vorlagefragen unter
Offenlassung einiger Aspekte zu beantworten.
- 26.
- Was die Erheblichkeit der Vorlagefragen angeht, machen die Festmachergruppen
von Genua und von La Spezia geltend, in dem Verfahren vor dem nationalen
Gericht werde die Rückzahlung der gesamten von der Corsica Ferries an sie
entrichteten Beträge beantragt. Sie hätten aber jedenfalls Anspruch auf eine
gewisse Vergütung, da die Dienstleistungen des Festmachens tatsächlich erbracht
worden seien, so daß die Klage der Corsica Ferries eine der Voraussetzungen des
Artikels 633 der italienischen Zivilprozeßordnung, nämlich, daß die Klageforderung
bestimmt sein müsse, nicht erfülle. Deshalb sei die Antwort auf die Vorlagefragen
für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.
- 27.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei
denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu treffende
gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der
jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für
den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen
vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur
zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der
erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Realität oder dem
Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (Urteile vom 6. Juli 1995 in der
Rechtssache C-62/93, BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1833, Randnr. 10, und vom 26.
Oktober 1995 in der Rechtssache C-143/94, Furlanis, Slg. 1995, I-3633, Randnr. 12).
Dies ist im Ausgangsverfahren nicht der Fall.
- 28.
- Das Vorabentscheidungsersuchen ist demgemäß zulässig.
Zur ersten Frage
- 29.
- Die erste Frage des nationalen Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 30
EG-Vertrag einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der in einem
anderen Mitgliedstaat niedergelassene Seeschiffahrtsunternehmen, deren Schiffe die
Häfen des erstgenannten Mitgliedstaats anlaufen, gegen Zahlung eines Entgelts, das
über die tatsächlichen Kosten der erbrachten Leistung hinausgeht, die
Dienstleistungen der örtlichen Festmachergruppen, die Inhaber ausschließlicher
Konzessionen sind, in Anspruch nehmen müssen. Das nationale Gericht hat
Zweifel, ob die im Ausgangsrechtsstreit streitige Regelung, obwohl sie nicht
unmittelbar die Waren betreffe, insoweit gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstoße, als
sie die Beförderung verteuere und somit die Einfuhr von Waren aus anderen
Mitgliedstaaten behindere.
- 30.
- Die im Ausgangsverfahren streitige Regelung findet unterschiedslos auf alle
italienischen und ausländischen Schiffe Anwendung, die einen der betreffenden
Häfen anlaufen. Sie schreibt vor, daß die Dienstleistungen der örtlichen
Festmacher, die für das Los- und Festmachen über eine ausschließliche Konzession
verfügen, gegen Entgelt in Anspruch genommen werden müssen. Was die
möglichen Auswirkungen dieser Verpflichtung auf den freien Warenverkehr angeht,
handelt es sich erstens im vorliegenden Fall im wesentlichen um eine Dienstleistung
der Seeschiffahrt, die sowohl Personen als auch Waren betrifft. Selbst wenn es nur
um die Beförderung von Waren ginge, ergibt sich zweitens aus den Akten des
Vorlageverfahrens, daß bei einem Schiff der Preis der Festmacherleistungen
weniger als 5 % der Hafenkosten ausmacht, die insgesamt 12 % bis 14 % der
Beförderungskosten betragen, die wiederum in die Kosten der beförderten Waren
zu 5 % bis 10 % eingehen. Die Inanspruchnahme der Dienstleistungen des
Festmachens würde für die beförderten Waren zusätzliche Kosten von etwa 0,5 o/oo
bedeuten.
- 31.
- Eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens unterscheidet folglich nicht nach
dem Ursprung der beförderten Waren und soll nicht den Warenhandel mit den
anderen Mitgliedstaaten regeln; die beschränkenden Wirkungen, die sie auf dem
freien Warenverkehr haben könnte, sind zu ungewiß und zu indirekt, als daß die
in ihr aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel
zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern (Urteile vom 14. Juli 1994 in der
Rechtssache C-379/92, Peralta, Slg. 1994, I-3453, Randnr. 24, und vom 5. Oktober
1995 in der Rechtssache C-96/94, Centro Servizi Spediporto, Slg. 1995, I-2883,
Randnr. 41).
- 32.
- Die erste Frage ist deshalb dahin zu beantworten, daß Artikel 30 EG-Vertrag einer
Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht
entgegensteht, nach der die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen
Seeschiffahrtsunternehmen, deren Schiffe die Häfen des erstgenannten
Mitgliedstaats anlaufen, gegen Zahlung eines Entgelts, das über die tatsächlichen
Kosten der erbrachten Leistung hinausgeht, die Dienstleistungen der örtlichen
Festmachergruppen, die Inhaber ausschließlicher Konzessionen sind, in Anspruch
nehmen müssen.
Zur dritten Frage
- 33.
- Die dritte Frage, die vor der zweiten Frage zu untersuchen ist, um die in den
Akten enthaltenen Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen optimal
zu nutzen, geht im wesentlichen dahin, ob die Artikel 3, 5, 85, 86 und 90 EG-Vertrag der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die für in diesem Staat
niedergelassene Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Erbringung der
Dienstleistung des Fest- und Losmachens begründet, die zur Inanspruchnahme
dieser Leistung gegen ein Entgelt verpflichtet, das über die tatsächlichen Kosten
der Leistungen hinausgeht, und die für die einzelnen Häfen unterschiedliche Tarife
für gleiche Leistungen vorsieht.
- 34.
- Die Wettbewerbsregeln des Vertrages finden auf den Verkehrssektor Anwendung
(vgl. Urteile vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-185/91, Reiff, Slg. 1993,
I-5801, Randnr. 12, und vom 9. Juni 1994 in der Rechtssache C-153/93, Delta
Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft, Slg. 1994, I-2517, Randnr. 12).
- 35.
- Die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag betreffen an sich nur das Verhalten von
Unternehmen, nicht aber durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen
der Mitgliedstaaten. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die Mitgliedstaaten
jedoch aufgrund der Artikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag
keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder
Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die
Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten (Urteil Centro
Servizi Spediporto, Randnr. 20, und die dort zitierte Rechtsprechung).
Zu den Artikeln 86 und 90 EG-Vertrag
- 36.
- Das nationale Gericht hat Zweifel, ob die Festmachergruppen von Genua und von
La Spezia nicht die beherrschende Stellung mißbrauchen, die sie auf einem
wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes aufgrund der ihnen von den
italienischen Behörden eingeräumten ausschließlichen Rechte innehaben.
- 37.
- Der hier geltend gemachte Mißbrauch umfasse drei Aspekte. Er könne in der
Einräumung ausschließlicher Rechte an die örtlichen Festmachergruppen bestehen,
die die Schiffahrtsunternehmen daran hindere, bei den Festmachmanövern auf ihr
eigenes Personal zurückzugreifen, in der unverhältnismäßigen Höhe des Entgelts
der Dienstleistung, das in keinem Zusammenhang mit den tatsächlichen Kosten der
tatsächlich erbrachten Leistung stehe, und in der Festlegung unterschiedlicher
Tarife für gleiche Leistungen in den verschiedenen Häfen.
- 38.
- Bezüglich der Abgrenzung des relevanten Marktes geht aus dem Vorlagebeschluß
hervor, daß es sich hierbei um den Markt der Durchführung von
Festmachmanövern in den Häfen von Genua und La Spezia für Rechnung Dritter
handelt. Angesichts des Umfangs des Verkehrs in diesen Häfen und ihrer
Bedeutung für den innergemeinschaftlichen Handel kann dieser Markt als ein
wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes angesehen werden (Urteile vom 10.
Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90, Merci convenzionali porto di Genova,Slg. 1991, I-5889, Randnr. 15, und vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache
C-163/96, Raso u. a., Slg. 1998, I-0000, Randnr. 26).
- 39.
- Was das Bestehen ausschließlicher Rechte angeht, so kann nach ständiger
Rechtsprechung ein Unternehmen, das für einen wesentlichen Teil des
Gemeinsamen Marktes mit einem gesetzlichen Monopol ausgestattet ist, als ein
Unternehmen angesehen werden, das eine beherrschende Stellung im Sinne von
Artikel 86 des Vertrages besitzt (Urteile vom 23. April 1991 in der Rechtssache
C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 28, vom 18. Juni 1991 in der
Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 31, und Urteil Merci
convenzionali porto di Genova, Randnr. 14, und Raso u. a., Randnr. 25).
- 40.
- Die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung ausschließlicher
Rechte im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages ist zwar als solche noch
nicht mit Artikel 86 unvereinbar, doch verstößt ein Mitgliedstaat gegen die in
diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende
Unternehmen durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen
Rechte seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese
Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen
solchen Mißbrauch begeht (Urteile Höfner und Elser, Randnr. 29, ERT, Randnr.
37, Merci convenzionali porto di Genova, Randnr. 17, und vom 5. Oktober 1994
in der Rechtssache C-323/93, Centre d'insémination de la Crespelle, Slg. 1994,
I-5077, Randnr. 18, und Raso u. a., Randnr. 27).
- 41.
- Hieraus folgt, daß ein Mitgliedstaat ohne Verstoß gegen Artikel 86 EG-Vertrag
örtlichen Festmachergruppen ein ausschließliches Recht zur Erbringung der
Dienstleistung des Fest- und Losmachens einräumen kann, wenn diese Gruppen
ihre beherrschende Stellung nicht mißbräuchlich ausnutzen oder nicht gezwungen
sind, einen solchen Mißbrauch zu begehen.
- 42.
- Die Festmachergruppen von Genua und von La Spezia berufen sich auf Artikel 90
Absatz 2 EG-Vertrag, um darzutun, daß ein solcher Mißbrauch nicht vorliege. Nach
Artikel 90 Absatz 2 gelten für die Unternehmen, die mit Dienstleistungen von
allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die gemeinschaftlichen
Wettbewerbsregeln nur, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die
Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich
verhindert. Außerdem darf nach dieser Vorschrift die Entwicklung des
Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse
der Gemeinschaft zuwiderläuft.
- 43.
- Die Festmachergruppen machen geltend, die angewandten Tarife seien zur
Bereitstellung eines allgemeinen Festmacherdienstes unerläßlich. Erstens enthielten
die Tarife einen Bestandteil, der den zusätzlichen Kosten entspreche, die sich aus
der Bereitstellung eines allgemeinen Festmacherdienstes ergebe. Zweitens seien die
unterschiedlichen Tarife in den verschiedenen Häfen, die sich nach den Akten aus
der Berücksichtigung von Berichtigungsfaktoren ergeben, die den Einfluß örtlicher
Bedingungen widerspiegeln was darauf hindeutet, daß die erbrachten Leistungen
nicht die gleichen sind , durch die Besonderheiten der Dienstleistung und das
Erfordernis gerechtfertigt, einen allgemeinen Dienst sicherzustellen.
- 44.
- Es ist also zu prüfen, ob die in Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene
Ausnahme von der Geltung der Wettbewerbsregeln hier anwendbar ist. Hierzu ist
zu untersuchen, ob die Dienstleistung des Festmachens als eine Dienstleistung von
allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist,
und, falls ja, ob erstens die Erfüllung dieser besonderen Aufgabe nur durch
Dienstleistungen gesichert werden kann, für die ein die tatsächlichen Kosten der
Dienstleistungen übersteigendes Entgelt zu entrichten ist und deren Tarife für die
einzelnen Häfen unterschiedlich sind, und ob zweitens die Entwicklung des
Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der
Gemeinschaft zuwiderläuft (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 23. Oktober 1997
in der Rechtssache C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg. 1997, I-5699,
Randnr. 32).
- 45.
- Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß an den Festmachmanövern
ein allgemeines wirtschaftliches Interesse besteht, das im Vergleich zu anderen
Tätigkeiten des Wirtschaftslebens besondere Merkmale aufweist und aufgrund
dessen diese Tätigkeiten deshalb in den Anwendungsbereich des Artikels 90 Absatz
2 EG-Vertrag fallen können. Die Festmacher sind nämlich verpflichtet, jederzeit
für alle Hafenbenutzer einen allgemeinen Festmacherdienst bereitzustellen, und
zwar aus Gründen der Sicherheit in den Hafengewässern. Jedenfalls durfte es die
Italienische Republik aus Gründen der öffentlichen Sicherheit für erforderlich
halten, örtlichen Festmachergruppen das ausschließliche Recht einzuräumen, den
allgemeinen Festmacherdienst sicherzustellen.
- 46.
- Unter diesen Voraussetzungen verstößt es nicht gegen die Artikel 86 und 90 Absatz
1 EG-Vertrag, in den Preis der Dienstleistung einen Bestandteil aufzunehmen,
durch den die Kosten der Bereitstellung des allgemeinen Festmacherdienstes
gedeckt werden sollen, soweit dieser Bestandteil den zusätzlichen Kosten entspricht,
die sich aus den besonderen Merkmalen dieser Dienstleistung ergeben, und für
diese Dienstleistung aufgrund der besonderen Situation jedes Hafens
unterschiedliche Tarife vorzusehen.
- 47.
- Sofern die Festmachergruppen tatsächlich von dem Mitgliedstaat mit der
Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im
Sinne des Artikels 90 Absatz 2 EG-Vertrag betraut worden sind und die weiteren
in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen für die Anwendung der
Ausnahme von der Geltung der Vertragsregeln vorliegen, verstößt folglich eine
Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche nicht gegen Artikel 86 in
Verbindung mit Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag.
Zu Artikel 85 EG-Vertrag
- 48.
- Das nationale Gericht hat auch Zweifel, ob das bei der Festsetzung der Tarife für
die Dienstleistungen des Festmachens angewandte Verfahren mit Artikel 85 EG-Vertrag vereinbar ist.
- 49.
- Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, liegt eine Verletzung der Artikel 5
und 85 vor, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstoßende Kartellabsprachen
vorschreibt oder erleichtert oder die Auswirkungen solcher Absprachen verstärkt
oder wenn er seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt,
daß er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen
privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt (Urteil Centro Servizi Spediporto,
Randnr. 21, und die dort zitierte Rechtsprechung).
- 50.
- Zum einen enthalten die Akten des Vorlageverfahrens nichts, was auf das
Vorliegen einer Absprache im Sinne des Artikels 85 EG-Vertrag schließen ließe.
- 51.
- Zwar sind nämlich die Festmachergruppen tatsächlich Unternehmen im Sinne der
genannten Bestimmung, doch führt eine Vereinbarung zwischen diesen Gruppen
auf nationaler Ebene, sollte sie vorliegen, nicht zur Festlegung eines gemeinsamen
Preises für alle Häfen, da der Tarif anhand einer mathematischen Formel
berechnet wird, auf die verschiedene mit den Besonderheiten der einzelnen Häfen
zusammenhängende Berichtigungsfaktoren angewandt werden. Im übrigen ist es,
selbst wenn nachgewiesen würde, daß die Häfen innerhalb eines einzigen
geographischen Marktes miteinander im Wettbewerb stehen, wovon der
Vorlagebeschluß ausgeht, kaum möglich, die einschränkenden Wirkungen einer
möglichen Vereinbarung festzustellen, da in jedem der betroffenen Häfen
ausschließliche Rechte eingeräumt werden und es somit keinen potentiellen
Wettbewerber für die örtliche Festmachergruppe gibt. Aus den Akten des
Ausgangsverfahrens ist somit nicht ersichtlich, daß eine Vereinbarung zwischen
Unternehmen vorliegt, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder
bewirkt.
- 52.
- Zum anderen ergibt sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens auch nicht, daß
die italienischen Behörden ihre Befugnisse im Bereich der Tariffestsetzung den
Festmachergruppen von Genua und von La Spezia übertragen hätten. In den
beiden betroffenen Häfen wurden die Tarife für die Dienstleistung des
Festmachens nämlich gemäß Artikel 212 der Durchführungsverordnung von der
örtlichen Seeamtsbehörde nach einer allgemeinen Formel festgesetzt, die auf
nationaler Ebene von den Verwaltungsbehörden festgelegt worden war, und zwar
nach Anhörung nicht nur der betroffenen Festmachergruppen, sondern auch der
Vertreter der Benutzer und der Schiffahrtsagenten der Häfen Genua und La
Spezia. Die Beteiligung der Festmacher an dem Verwaltungsverfahren zur
Erstellung der Tarife kann nicht als eine Absprache zwischen
Wirtschaftsteilnehmern angesehen werden, die die Behörden vorgeschrieben oder
gefördert oder deren Wirkungen sie verstärkt hätten.
- 53.
- Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige verstößt somit nicht gegen
Artikel 85 EG-Vertrag.
- 54.
- Die Vorlagefrage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß die Artikel 5, 85, 86
und 90 Absatz 1 EG-Vertrag einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im
Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen,
die für in diesem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen ein
ausschließliches Recht zur Erbringung der Dienstleistung des Fest- und
Losmachens begründet,
die zur Inanspruchnahme dieser Leistung gegen ein Entgelt verpflichtet, das
über die tatsächlichen Kosten der Leistungen hinaus die Kosten umfaßt, die
die Bereitstellung eines allgemeinen Festmacherdienstes mit sich bringt, und
die für die einzelnen Häfen unterschiedliche Tarife vorsieht, um den
Besonderheiten dieser Häfen Rechnung zu tragen.
Zur zweiten Frage
- 55.
- Die zweite Frage des nationalen Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die
Verordnung Nr. 4055/86 in Verbindung mit Artikel 59 EG-Vertrag der Regelung
eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die in einem anderen Mitgliedstaat
niedergelassenen Seeschiffahrtsunternehmen gegen Entgelt die Dienstleistungen der
örtlichen Festmachergruppen, die Inhaber einer ausschließlichen Konzession sind,
in Anspruch nehmen müssen, wenn ihre Schiffe die Häfen des erstgenannten
Mitgliedstaats anlaufen.
- 56.
- Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 59 EG-Vertrag nicht nur die
Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen von Dienstleistungserbringern aufgrund
ihrer Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen
selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistungserbringer wie für
solche anderer Mitgliedstaaten gelten , die geeignet sind, die Tätigkeit von
Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und
dort rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringen, zu unterbinden oder zu
behindern (Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991,
I-4221, Randnr. 12, und vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-398/95, SETTG,
Slg. 1997, I-3091, Randnr. 16).
- 57.
- In dieser Hinsicht scheint die beanstandete Regelung, wie der Generalanwalt in
Nummer 35 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, keine Artikel 59 EG-Vertrag und
Artikel 9 der Verordnung Nr. 4055/86 zuwiderlaufende offene oder verdeckte
Diskriminierung zu enthalten.
- 58.
- Im Hafen von Genua gilt die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der Leistungen
des Festmachens, die von der Festmachergruppe von Genua erbracht werden,
unterschiedslos für alle Seeschiffahrtsunternehmen. Im Hafen von La Spezia
müssen alle Betreiber von Schiffen mit mehr als 500 BRT die Leistungen der
Festmachergruppen von La Spezia in Anspruch nehmen. Ein Unternehmen wie die
Corsica Ferries, das Fahrzeugfähren betreibt, ist also genauso verpflichtet, die
Dienstleistungen des Festmachens in Anspruch zu nehmen, wie die italienischen
Seeschiffahrtsunternehmen, die Schiffe gleicher Größe betreiben.
- 59.
- Zur Frage einer möglichen Beschränkung der freien Erbringung der Dienstleistung
des Festmachens genügt die Verweisung auf die Ausführungen zur Anwendung der
in Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahme von den
Vertragsregeln, um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß eine solche
Beschränkung, selbst wenn sie vorliegen sollte, nicht gegen Artikel 59 EG-Vertrag
verstößt, sofern die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 90 Absatz 2
vorliegen.
- 60.
- Was die Frage einer möglichen Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
in bezug auf die Seeschiffahrt betrifft, so ist die Dienstleistung des Festmachens
eine nautische Leistung, die für die Aufrechterhaltung der Sicherheit in den
Hafengewässern wesentlich ist und die die Merkmale eines öffentlichen
Versorgungsdienstes (Allgemeinheit, Beständigkeit, Erfüllung von im öffentlichen
Interesse liegenden Erfordernissen, Regelung und Aufsicht durch die Verwaltung)
aufweist. Unter dem Vorbehalt, daß der über die tatsächlichen Kosten der Leistung
hinausgehende Teil des Entgelts tatsächlich den zusätzlichen Kosten entspricht, die
die Bereitstellung eines allgemeinen Festmacherdienstes mit sich bringt, könnte die
Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines örtlichen Festmacherdienstes, selbst
wenn sie eine Behinderung oder Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im
Bereich der Seeschiffahrt darstellen könnte, nach Artikel 56 EG-Vertrag aus den
von den Festmachergruppen geltend gemachten Erwägungen der öffentlichenSicherheit, auf deren Grundlage die nationale Regelung über das Festmachen
erlassen wurde, gerechtfertigt werden.
- 61.
- Die zweite Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß die Verordnung Nr.
4055/86 und Artikel 59 EG-Vertrag der Regelung eines Mitgliedstaats wie der im
Ausgangsverfahren fraglichen, nach der die in einem anderen Mitgliedstaat
niedergelassenen Seeschiffahrtsunternehmen gegen Entgelt die Dienstleistungen der
örtlichen Festmachergruppen, die Inhaber einer ausschließlichen Konzession sind,
in Anspruch nehmen müssen, wenn ihre Schiffe die Häfen des erstgenannten
Mitgliedstaats anlaufen, nicht entgegenstehen. Eine solche Regelung wäre nämlich,
selbst wenn sie eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Bereich
der Seeschiffahrt darstellen würde, durch Erwägungen der öffentlichen Sicherheit
im Sinne des Artikels 56 EG-Vertrag gerechtfertigt.
Kosten
- 62.
- Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschluß vom 5. Juli 1996 vorgelegten
Fragen für Recht erkannt:
- 1.
- Artikel
30 EG-Vertrag steht einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im
Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegen, nach der die in einem
anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Seeschiffahrtsunternehmen, deren
Schiffe die Häfen des erstgenannten Mitgliedstaats anlaufen, gegen Zahlung
eines Entgelts, das über die tatsächlichen Kosten der erbrachten Leistung
hinausgeht, die Dienstleistungen der örtlichen Festmachergruppen, die
Inhaber ausschließlicher Konzessionen sind, in Anspruch nehmen müssen.
- 2.
- Die Artikel 5, 85, 86 und 90 Absatz 1 EG-Vertrag stehen einer Regelung
eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht
entgegen,
die für in diesem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen ein
ausschließliches Recht zur Erbringung der Dienstleistung des Fest-
und Losmachens begründet,
die zur Inanspruchnahme dieser Leistung gegen ein Entgelt
verpflichtet, das über die tatsächlichen Kosten der Leistungen hinaus
die Kosten umfaßt, die die Bereitstellung eines allgemeinen
Festmacherdienstes mit sich bringt, und
die für die einzelnen Häfen unterschiedliche Tarife vorsieht, um den
Besonderheiten dieser Häfen Rechnung zu tragen.
- 3.
- Die Verordnung (EWG) Nr. 4055/86 und Artikel 59 EG-Vertrag stehen der
Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen,
nach der die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen
Seeschiffahrtsunternehmen gegen Entgelt die Dienstleistungen der örtlichen
Festmachergruppen, die Inhaber einer ausschließlichen Konzession sind, in
Anspruch nehmen müssen, wenn ihre Schiffe die Häfen des erstgenannten
Mitgliedstaats anlaufen, nicht entgegen. Eine solche Regelung wäre
nämlich, selbst wenn sie eine Beschränkung des freien
Dienstleistungsverkehrs im Bereich der Seeschiffahrt darstellen würde,
durch Erwägungen der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Artikels 56 EG-Vertrag gerechtfertigt.
GulmannWathelet
Moitinho de Almeida
Puissochet Sevón
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Juni 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
C. Gulmann