URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
25. Juni 1998 (1)
„Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe“
In der Rechtssache C-203/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom niederländischen
Raad van State in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Chemische Afvalstoffen Dusseldorp BV u. a.
gegen
Minister van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 34,
86, 90 und 130t EG-Vertrag, der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli
1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 47) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG
des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32) und der Verordnung (EWG) Nr.
259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der
Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft
(ABl. L 30, S. 1, berichtigt im ABl. 1995, L 18, S. 38)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten H. Ragnemalm (Berichterstatter) sowie
der Richter G. F. Mancini, P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray und G. Hirsch,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Chemische Afvalstoffen Dusseldorp BV u. a., vertreten durch die
Rechtsanwälte B. J. M. Veldhoven, Den Haag, O. W. Brouwer, Amsterdam,
und F. P. Louis, Brüssel,
der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers,
stellvertretender Rechtsberater im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
der französischen Regierung, vertreten durch C. de Salins, Abteilungsleiterin
in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und R. Nadal, stellvertretender Sekretär für Auswärtige
Angelegenheiten in dieser Direktion, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. van
Vliet und M. Condou, beide Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Chemische Afvalstoffen
Dusseldorp BV u. a., vertreten durch O. W. Brouwer und F. P. Louis, der
niederländischen Regierung, vertreten durch J. S. van den Oosterkamp,
beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigten, der dänischen Regierung, vertreten durch P. Biering,
Abteilungsleiter im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch H. van Vliet, in der Sitzung
vom 3. Juli 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23.
Oktober 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der niederländische Raad van State hat mit Urteil vom 23. April 1996, beim
Gerichtshof eingegangen am 14. Juni 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier
Fragen nach der Auslegung der Artikel 34, 86, 90 und 130t EG-Vertrag, der
Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194,
S. 47) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991
(ABl. L 78, S. 32; im folgenden: Richtlinie) und der Verordnung (EWG) Nr. 259/93
des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung
von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 30,
S. 1, berichtigt im ABl. 1995, L 18, S. 38; im folgenden: Verordnung) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Chemische
Afvalstoffen Dusseldorp BV (im folgenden: Firma Dusseldorp), der Factron
Technik GmbH (im folgenden: Firma Factron) und der Dusseldorp Lichtenvoorde
BV (im folgenden: Firma Dusseldorp Lichtenvoorde) einerseits und dem Minister
van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer (niederländischer
Minister für Wohnungswesen, Raumordnung und Umweltfragen; im folgenden:
Minister) andererseits wegen der Ausfuhr zur Verwertung bestimmter Abfälle nach
Deutschland.
Die Gemeinschaftsregelung
Die Richtlinie
- 3.
- In Artikel 1 der Richtlinie werden die Verfahren zur Beseitigung von Abfällen und
die Verfahren zur Verwertung von Abfällen definiert, wobei auf die Anhänge II A
und II B verwiesen wird, die eine genaue Liste der jeweiligen Verfahren enthalten.
- 4.
- In den Artikeln 3, 4 und 5 der Richtlinie werden folgende Ziele festgelegt: zunächst
die Verhütung, die Verringerung, die Verwertung und die Nutzung von Abfällen,
dann der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beim Umgang
sowohl mit den zur Beseitigung als auch mit den zur Verwertung bestimmten
Abfällen und schließlich die Errichtung eines integrierten Netzes von
Abfallbeseitigungsanlagen auf Gemeinschaftsebene und, wenn möglich, auf
nationaler Ebene.
- 5.
- Artikel 5 der Richtlinie lautet daher:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen in Zusammenarbeit mit anderen
Mitgliedstaaten, wenn sich dies als notwendig oder zweckmäßig erweist
Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen
zu errichten, die den derzeit modernsten, keine übermäßig hohen Kosten
verursachenden Technologien Rechnung tragen. Dieses Netz muß es der
Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es
jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, wobei die
geographischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für
bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.
(2) Dieses Netz muß es darüber hinaus gestatten, daß die Abfälle in einer der
am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von
Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein
hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten.“
- 6.
- Durch Artikel 7 der Richtlinie werden die Mitgliedstaaten sodann verpflichtet, zur
Umsetzung der Ziele der Artikel 3, 4 und 5 Abfallbewirtschaftungspläne zu
erstellen, und es wird ihnen gestattet, Maßnahmen zu ergreifen, um das Verbringen
von Abfällen zu unterbinden, das diesen Plänen nicht entspricht.
Die Verordnung
- 7.
- Die Verordnung betrifft u. a. die Verbringung von Abfällen zwischen
Mitgliedstaaten.
- 8.
- Titel II der Verordnung, der mit „Verbringung von Abfällen zwischen
Mitgliedstaaten“ überschrieben ist, enthält zwei gesonderte Abschnitte, von denen
der eine (Abschnitt A) das Verfahren bei der Verbringung von zur Beseitigung
bestimmten Abfällen und der andere (Abschnitt B) das Verfahren bei der
Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen behandelt. Das für die
zweite Kategorie von Abfällen vorgesehene Verfahren ist weniger streng als das für
die erste Kategorie geltende.
- 9.
- Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i, der zu dem die Verbringung von zur
Beseitigung bestimmten Abfällen betreffenden Abschnitt A gehört, lautet:
„Um das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz
der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene gemäß
der Richtlinie 75/442/EWG zur Anwendung zu bringen, können die Mitgliedstaaten
im Einklang mit dem Vertrag Maßnahmen ergreifen, um die Verbringung von
Abfällen allgemein oder teilweise zu verbieten oder um gegen jede Verbringung
Einwand zu erheben. Diese Maßnahmen werden unverzüglich der Kommission
mitgeteilt, die die anderen Mitgliedstaaten unterrichtet.“
- 10.
- In dem die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen betreffenden
Abschnitt B werden die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe
dagegen nicht erwähnt.
- 11.
- In dem zu Abschnitt B gehörenden Artikel 7 heißt es in Absatz 2 und in Absatz 4
Buchstabe a:
„(2) Die zuständige[n] Behörde[n] am Bestimmungsort und am Versandort und
die für die Durchfuhr zuständige Behörde können innerhalb einer Frist von 30
Tagen nach der Absendung der Empfangsbestätigung Einwände gegen die
Verbringung erheben. Derartige Einwände sind auf Absatz 4 zu stützen. Einwände
sind der notifizierenden Person und den übrigen betroffenen zuständigen Behörden
innerhalb der 30tägigen Frist schriftlich mitzuteilen.
...
(4) a) Die zuständigen Behörden am Versandort und am Bestimmungsort
können gegen die geplante Verbringung mit Gründen zu versehende
Einwände erheben, und zwar
gemäß der Richtlinie 75/442/EWG, insbesondere ... Artikel 7;
oder
wenn die Verbringung nicht gemäß den einzelstaatlichen
Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum Schutz der Umwelt,
zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder zum
Schutz der Gesundheit erfolgt ...“
Die nationale Regelung
- 12.
- Der niederländische Mehrjahresplan zur Beseitigung gefährlicher Abfälle vom Juni
1993 (im folgenden: Mehrjahresplan) sieht in Paragraph 6.5 folgendes vor:
„Ist im Ausland eine hochwertigere Verwertungstechnik vorhanden und/oder reicht
die in den Niederlanden vorhandene Kapazität nicht aus, um bestimmte Abfälle zu
verwerten, so wird die Ausfuhr genehmigt, es sei denn, daß dies die Verwirklichung
einer zumindest gleichwertigen Beseitigung in den Niederlanden beeinträchtigt.
Dann ist bis zu deren Verwirklichung eine Lagerung vorzunehmen.“
- 13.
- In Abschnittsplan 19 von Teil II des Mehrjahresplans heißt es in bezug auf Ölfilter,
daß Ausfuhren nicht genehmigt werden, wenn im Ausland keine hochwertigere
Verwertung dieser Filter erfolgt als in den Niederlanden.
- 14.
- In Abschnittsplan 10 von Teil II des Mehrjahresplans, der zu verbrennende Abfälle
betrifft, wird aus dem Grundsatz der Entsorgungsautarkie abgeleitet, daß die
Ausfuhr zu verbrennender gefährlicher Abfälle u. a. deshalb soweit wie möglich
einzuschränken ist, weil in anderen Ländern für die Verbrennung weniger strenge
Emissionsvorschriften gelten als in den Niederlanden.
- 15.
- Das Bestreben, zu einer möglichst hochwertigen Beseitigungsweise zu gelangen,
wird in diesem Abschnittsplan dadurch weiter konkretisiert, daß der AVR Chemie
CV (im folgenden: AVR Chemie) eine „Abfallmanagementfunktion“ übertragen
wird. Die AVR Chemie wird dabei zum einzigen Endverarbeiter für die
Verbrennung gefährlicher Abfälle in einem hochwertigen Drehtrommelofen
bestimmt. Abfälle, die in einem solchen Ofen verbrannt werden müssen, dürfen
allein durch die AVR Chemie ausgeführt werden; um zu verhindern, daß es zu
unerwünschten Preissteigerungen kommt, ist die Genehmigung für die AVR
Chemie an bestimmte Bedingungen geknüpft.
- 16.
- Die AVR Chemie ist eine Kommanditgesellschaft, deren Gesellschafter der
niederländische Staat, die Gemeinde Rotterdam und acht Industrieunternehmen,
darunter die Akzo Nobel Nederland, sind. Der niederländische Staat und die
Gemeinde Rotterdam halten zusammen 55 % der Anteile an der AVR Chemie.
- 17.
- Der Leiter der Abteilung Abfälle des Umweltministeriums ist zugleich der
Vertreter des niederländischen Staates im Aufsichtsrat der AVR Chemie. Durch
diese Abteilung wird die niederländische Exportpolitik bei Abfällen festgelegt, und
sie entscheidet konkret darüber, ob eine Ausfuhr genehmigt oder untersagt wird.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
- 18.
- Die Firma Dusseldorp beantragte 1994 die Genehmigung für die Ausfuhr von zwei
Partien Ölfiltern und verwandten Abfällen im Umfang von 2 000 Tonnen und von
60 Tonnen nach Deutschland zur Verwertung durch die Firma Factron.
- 19.
- Durch zwei Beschlüsse vom 22. August 1994 erhob der Minister gemäß dem
Mehrjahresplan in Verbindung mit Artikel 7 Absätze 2 und 4 Buchstabe a der
Verordnung Einwände gegen diese Ausfuhr.
- 20.
- Am 13. September 1994 legten die Firmen Dusseldorp, Factron und Dusseldorp
Lichtenvoorde gegen diese beiden Beschlüsse Beschwerde ein.
- 21.
- Nachdem zwei Beamte des niederländischen Umweltministeriums die Anlagen der
Firma Factron besichtigt hatten, erklärte der Minister das Vorbringen der
betreffenden Firmen durch einen neuen Beschluß vom 8. Dezember 1994 für
unbegründet, da die Verarbeitung durch die Firma Factron nicht hochwertiger sei
als die Verarbeitung durch das niederländische Abfallverwertungs- und
-managementunternehmen AVR Chemie.
- 22.
- Mit Klageschrift vom 18. Januar 1995 erhoben die Firmen Dusseldorp, Factron und
Dusseldorp Lichtenvoorde beim niederländischen Raad van State Klage auf
Nichtigerklärung des Beschlusses des Ministers vom 8. Dezember 1994, der ihrer
Ansicht nach gegen die Gemeinschaftsregelung verstößt.
Die Vorlagefragen
- 23.
- Da sich das nationale Gericht nicht sicher ist, ob die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe in der im Mehrjahresplan umgesetzten Form
auf die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen angewandt werden
können, hat es dem Gerichtshof folgende vier Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. a) Gelten die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe
angesichts der Systematik der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1.
Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von
Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft in
Verbindung mit der Richtlinie 75/442/EWG vom 15. Juli 1975 über
Abfälle (in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG) allein für die
Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen
Mitgliedstaaten oder auch für die zur Verwertung bestimmten
Abfälle?
b) Falls der Gerichtshof der Ansicht ist, daß die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe nicht aufgrund der Verordnung
(EWG) Nr. 259/93 und der Richtlinie 75/442/EWG auf die
Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen zwischen
Mitgliedstaaten angewandt werden können, kann Artikel 130t EG-Vertrag dann eine Grundlage für eine Regelung bieten, wie sie der
von der niederländischen Regierung erstellte Mehrjahresplan zur
Beseitigung gefährlicher Abfälle vom Juni 1993 in diesem Punkt
enthält?
2. In dem genannten Mehrjahresplan werden die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe durch ein Streben nach einer möglichst
hochwertigen Beseitigungsweise (einschließlich der Verwertung) und nach
der Kontinuität der Beseitigung konkretisiert. Ist dies eine korrekte
Umsetzung dieser Grundsätze?
3. a) Handelt es sich, sofern die im Mehrjahresplan festgelegten Kriterien
für die Erhebung von Einwänden gegen die Ausfuhr von zur
Verwertung bestimmten Abfällen als solche zulässig sind, hier um eine
Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 34 EG-Vertrag,
und gibt es dafür eine Rechtfertigung?
b) Spielt es in diesem Zusammenhang eine Rolle, ob die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe, wenn sie auf zur Verwertung
bestimmte Abfälle angewandt werden können, primär innerhalb der
Gemeinschaft als Ganzes oder ausschließlich auf nationaler Ebene
angewandt werden?
4. Stehen die ausschließlichen Rechte, wie sie der niederländische Staat in
Abschnittsplan 10 von Teil II des Mehrjahresplans der AVR Chemie CV für
die Verbrennung gefährlicher Abfälle gewährt hat, angesichts der hierfür im
Mehrjahresplan gegebenen Begründung im Einklang mit Artikel 90
Absätze 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag?
Zur ersten Frage
- 24.
- Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob
die Richtlinie und die Verordnung dahin auszulegen sind, daß die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur Verwertung
bestimmten Abfällen anwendbar sind. Sind sie dies nicht, so möchte es wissen, ob
Artikel 130t den Mitgliedstaaten die Erstreckung dieser Grundsätze auf solche
Abfälle gestattet.
Zur Auslegung der Richtlinie und der Verordnung
- 25.
- Die niederländische und die dänische Regierung tragen vor, die fehlende
ausdrückliche Erwähnung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe
in der Richtlinie und der Verordnung im Zusammenhang mit den zur Verwertung
bestimmten Abfällen schließe die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf derartige
Abfälle nicht aus. In Artikel 7 der Richtlinie würden nämlich die Angaben, die in
den Abfallbewirtschaftungsplänen enthalten sein müßten, nicht abschließend
aufgezählt.
- 26.
- Die Firma Dusseldorp, die französische Regierung und die Kommission sind
dagegen der Ansicht, aus der fehlenden ausdrücklichen Erwähnung der Grundsätze
der Entsorgungsautarkie und der Nähe in der Richtlinie und der Verordnung im
Zusammenhang mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen und aus der
Systematik der Verordnung ergebe sich, daß diese Grundsätze bei den zur
Verwertung bestimmten Abfällen nicht herangezogen werden könnten.
- 27.
- Hierzu ist erstens festzustellen, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 7 der
Richtlinie insbesondere zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 3, 4 und 5
Abfallbewirtschaftungspläne erstellen. Von diesen Bestimmungen nimmt nur Artikel
5 auf die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe Bezug, und dies allein
im Zusammenhang mit den zur Beseitigung bestimmten Abfällen. Auch die siebte
Begründungserwägung, in der diese Grundsätze angesprochen werden, betrifft
ausschließlich die genannte Kategorie von Abfällen.
- 28.
- Zweitens werden diese Grundsätze in der Verordnung nur in der zehnten
Begründungserwägung, wo sie allein mit den zur Beseitigung bestimmten Abfällen
in Verbindung gebracht werden, und in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i und
Buchstabe b ausdrücklich erwähnt, wo festgelegt wird, welche Art von Maßnahmen
die Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden am Bestimmungs- und am
Versandort ergreifen können, um sie zur Anwendung zu bringen. Da diese
Vorschrift zu Abschnitt A von Titel II der Verordnung gehört, betrifft sie nur die
Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen.
- 29.
- Artikel 7 der Verordnung, der in Abschnitt B über die Verbringung von zur
Verwertung bestimmten Abfällen enthalten ist und das Gegenstück zum
vorgenannten Artikel 4 darstellt, sieht nicht vor, daß Maßnahmen zur Umsetzung
der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe ergriffen werden können.
- 30.
- Den Vorschriften der Richtlinie und der Verordnung sowie der Systematik der
Verordnung ist somit zu entnehmen, daß weder die Richtlinie noch die Verordnung
die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur
Verwertung bestimmten Abfälle vorsieht.
- 31.
- Dieses Ergebnis wird durch die Entschließung des Rates vom 7. Mai 1990 über die
Abfallpolitik (ABl. C 122, S. 2) bestätigt, auf die in der zweiten
Begründungserwägung der Richtlinie verwiesen wird. In dieser Entschließung führt
der Rat nämlich aus, daß das Ziel der Entsorgungsautarkie nicht für die
Wiederverwertung gelte.
- 32.
- Außerdem heißt es in der Begründung des ursprünglichen Verordnungsvorschlags
(KOM [90] 415 endg. SYN 305 vom 26. Oktober 1990), daß das Nähekriterium
bei den zur Beseitigung bestimmten Abfällen ein Eingreifen der Behörden
rechtfertigen könne. Im Zusammenhang mit den zur Verwertung bestimmten
Abfällen wird dieses Kriterium nicht erwähnt; auf sie konnte nur das Kriterium der
ökologisch sinnvollen Abfallwirtschaft angewandt werden.
- 33.
- Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß in der unterschiedlichen Behandlung der zur
Beseitigung und der zur Verwertung bestimmten Abfälle die unterschiedliche Rolle
zum Ausdruck kommt, die jede dieser beiden Abfallarten bei der Entwicklung der
Umweltpolitk der Gemeinschaft zu spielen hat. Definitionsgemäß können nur die
zur Verwertung bestimmten Abfälle dazu beitragen, den in Artikel 4 Absatz 3 der
Verordnung angesprochenen Vorrang für die Verwertung umzusetzen. Zur
Stimulierung dieser Verwertung in der gesamten Gemeinschaft, insbesondere durch
die Entwicklung möglichst hochwertiger Techniken, hat der
Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehen, daß ein freier Verkehr derartiger Abfälle
zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck ihrer Verwertung möglich sein muß,
sofern der Transport nicht zu einer Gefährdung der Umwelt führt. Er hat daher
für den grenzüberschreitenden Transport dieser Abfälle ein flexibleres Verfahren
geschaffen, dem die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe
zuwiderlaufen.
- 34.
- Nach den vorstehenden Erwägungen ist somit davon auszugehen, daß die
Verordnung und die Richtlinie dahin auszulegen sind, daß die Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle
nicht anwendbar sind.
Zur Auslegung von Artikel 130t des Vertrages
- 35.
- Nach Ansicht der Firma Dusseldorp und der Kommission wurden die Vorschriften
über die Verbringung von Abfällen zwischen den Mitgliedstaaten durch die
Verordnung vollständig harmonisiert, so daß sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich
nur auf der Grundlage dieser Verordnung gegen die Verbringung von Abfällen
wenden könnten. Außerdem müsse eine Regelung, die sie gemäß Artikel 130t des
Vertrages erließen, u. a. mit den Artikeln 30 ff. des Vertrages vereinbar sein. Der
Mehrjahresplan enthalte aber gegen Artikel 34 des Vertrages verstoßende
Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen, die
weder durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes noch nach Artikel 36
EG-Vertrag gerechtfertigt seien.
- 36.
- Die niederländische Regierung führt aus, dem Wortlaut und der Systematik der
Verordnung und von Artikel 130t des Vertrages lasse sich entnehmen, daß die
gemäß Artikel 130s getroffenen Maßnahmen eine Mindestharmonisierung
darstellten. Unter diesen Umständen seien die Mitgliedstaaten nicht daran
gehindert, gestützt auf Artikel 130t ein höheres Schutzniveau anzustreben. Im
übrigen verstoße der Mehrjahresplan nicht gegen den Vertrag und enthalte
insbesondere kein Ausfuhrverbot. Hilfsweise trägt die niederländische Regierung
vor, falls der Mehrjahresplan ein Ausfuhrverbot im Sinne von Artikel 34 enthalte,
sei dieses Verbot gemäß Artikel 36 des Vertrages durch das Streben nach einer
möglichst hochwertigen Beseitigungsweise der Abfälle und nach der Kontinuität der
Beseitigung, die zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen
dienten, gerechtfertigt.
- 37.
- Die Richtlinie und die Verordnung wurden auf der Grundlage von Artikel 130s des
Vertrages erlassen, auf den Artikel 130t des Vertrages Bezug nimmt.
- 38.
- Artikel 130t des Vertrages lautet:
„Die Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Artikels 130s getroffen werden, hindern
die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen
beizubehalten oder zu ergreifen. Die betreffenden Maßnahmen müssen mit diesem
Vertrag vereinbar sein. Sie werden der Kommission notifiziert.“
- 39.
- Daher ist zu prüfen, ob nach dieser Bestimmung Maßnahmen, wie sie im
Mehrjahresplan zur Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der
Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle getroffen wurden, mit Artikel 34
des Vertrages vereinbar sind.
- 40.
- Die letztgenannte Bestimmung verbietet mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen
sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung. Nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofes bezieht sie sich auf nationale Maßnahmen, die spezifische
Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit zu einer
Ungleichbehandlung des Binnenhandels und des Außenhandels eines Mitgliedstaats
führen, so daß die inländische Produktion oder der Binnenmarkt des betreffenden
Staates einen besonderen Vorteil erlangt (Urteil vom 14. Juli 1981 in der
Rechtssache 155/80, Oebel, Slg. 1981, 1993, Randnr. 15).
- 41.
- Abschnittsplan 19 von Teil II des Mehrjahresplans sieht vor, daß Ausfuhren nur
genehmigt werden, wenn die Verwertung der Ölfilter im Ausland hochwertiger ist
als in den Niederlanden.
- 42.
- Eine solche Bestimmung bezweckt und bewirkt, daß die Ausfuhr beschränkt wird
und die inländische Produktion einen besonderen Vorteil erlangt.
- 43.
- Die niederländische Regierung hat jedoch erstens geltend gemacht, daß die
genannte Bestimmung des Mehrjahresplans durch ein zwingendes Erfordernis des
Umweltschutzes gerechtfertigt werden könne. Die betreffenden Maßnahmen seien
notwendig, damit die AVR Chemie genügend zu beseitigendes Material erhalte, um
rentabel arbeiten zu können, und damit ihre ausreichende Versorgung mit Ölfiltern
zur Verwendung als Brennstoff sichergestellt sei. Bei unzureichender Versorgung
wäre die AVR Chemie gezwungen, einen weniger umweltfreundlichen Brennstoff
zu verwenden oder sich andere ebenso umweltfreundliche, aber mit zusätzlichen
Kosten verbundene Brennstoffe zu verschaffen.
- 44.
- Selbst wenn man unterstellt, daß die fragliche nationale Maßnahme aus Gründen
des Umweltschutzes gerechtfertigt werden könnte, braucht nur festgestellt zu
werden, daß das Vorbringen der niederländischen Regierung zur Rentabilität des
inländischen Unternehmens AVR Chemie und zu den von ihm zu tragenden
Kosten wirtschaftlicher Art ist. Wie der Gerichtshof entschieden hat, können rein
wirtschaftliche Ziele aber eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des
freien Warenverkehrs nicht rechtfertigen (Urteil vom 28. April 1998 in der
Rechtssache C-120/95, Decker, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 39).
- 45.
- Zweitens sieht die niederländische Regierung eine Rechtfertigung für die streitige
Bestimmung des Mehrjahresplans in der Ausnahme in Artikel 36 des Vertrages für
Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen.
- 46.
- Eine solche Rechtfertigung würde vorliegen, wenn die Verwertung der Ölfilter inanderen Mitgliedstaaten und ihr durch die Ausfuhr bedingter Transport über
größere Entfernung eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen
darstellen würden.
- 47.
- Aus den Akten geht jedoch nicht hervor, daß dies der Fall ist. Zum einen hat die
niederländische Regierung selbst eingeräumt, daß die Verwertung der Filter in
Deutschland mit der Verwertung durch die AVR Chemie vergleichbar ist. Zum
anderen hat sie nicht nachgewiesen, daß der Transport der Filter eine Gefahr für
die Umwelt oder die Gesundheit und das Leben von Menschen darstellte.
- 48.
- Folglich waren Beschränkungen der Ausfuhr von zur Verwertung bestimmten
Abfällen, wie sie durch die niederländische Regelung geschaffen wurden, zum
Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gemäß Artikel 36 des
Vertrages nicht erforderlich.
- 49.
- Im Ergebnis bezweckt und bewirkt die Anwendung der Grundsätze der
Entsorgungsautarkie und der Nähe auf zur Verwertung bestimmte Abfälle wie
Ölfilter somit eine Beschränkung der Ausfuhren dieser Abfälle, ohne in einem Fall
wie dem des Ausgangsverfahrens durch ein zwingendes Erfordernis des
Umweltschutzes oder durch das Bestreben gerechtfertigt zu sein, gemäß Artikel 36
des Vertrages die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen. Deshalb
kann ein Staat die Anwendung der Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der
Nähe auf solche Abfälle nicht auf Artikel 130t des Vertrages stützen.
- 50.
- Unter diesen Umständen ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, daß die
Richtlinie und die Verordnung nicht dahin ausgelegt werden können, daß die
Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die Verbringung von zur
Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind. Artikel 130t des Vertrages
gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, diese Grundsätze auf solche Abfälle zu
erstrecken, wenn sie sich als Ausfuhrbeschränkung erweisen, die weder durch eine
zwingende Maßnahme des Umweltschutzes noch durch eine der in Artikel 36 des
Vertrages vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
- 51.
- Die zweite und die dritte Frage werden vom vorlegenden Gericht nur für den Fall
gestellt, daß der Gerichtshof die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe
entweder gemäß der Richtlinie und der Verordnung oder gemäß Artikel 130t des
Vertrages auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle für anwendbar hält.
- 52.
- Angesichts der auf die erste Frage gegebenen Antwort brauchen diese Fragen nicht
beantwortet zu werden.
Zur vierten Frage
- 53.
- Die vierte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ausschließliche Rechte,
wie sie der AVR Chemie im Rahmen der gemäß dem Mehrjahresplan
angewandten Politik eingeräumt wurden, mit den Wettbewerbsregeln in den
Artikeln 90 und 86 des Vertrages vereinbar sind. Wie der Generalanwalt in
Nummer 97 seiner Schlußanträge ausführt, sind zu den ausschließlichen Rechten,
von denen das vorlegende Gericht spricht, sowohl die allgemeine ausschließliche
Befugnis zur Abfallverbrennung als auch alle anderen ausschließlichen Rechte zu
zählen, die sich aus der streitigen Bestimmung ergeben. Diese betrifft das Verbot
der Ausfuhr von Ölfiltern, sofern die Verwertung im Ausland nicht hochwertiger
ist als in den Niederlanden.
- 54.
- Das vorlegende Gericht möchte somit im wesentlichen wissen, ob Artikel 90 des
Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 einer Regelung wie dem Mehrjahresplan
entgegensteht, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen verpflichtet, ihre zur
Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter einem inländischen Unternehmen, dem
er das ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen, zu
überlassen, sofern die Verwertung ihrer Abfälle in einem anderen Mitgliedstaat
nicht hochwertiger ist als die Verwertung durch dieses Unternehmen.
- 55.
- Nach Ansicht der niederländischen Regierung stehen der AVR Chemie keine
ausschließlichen Rechte zu, so daß Artikel 90 im Ausgangsverfahren keine
Anwendung finden könne.
- 56.
- Die Firma Dusseldorp trägt vor, die der AVR Chemie vom niederländischen Staat
eingeräumten ausschließlichen Rechte seien mit Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages
in Verbindung mit Artikel 86 unvereinbar. Diese Rechte könnten auch nicht gemäß
Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages gerechtfertigt werden, da der Fortbestand der
niederländischen Abfallbeseitigungsstruktur durch Maßnahmen sichergestellt
werden könne, die den Wettbewerb und den freien Warenverkehr weniger
beeinträchtigten.
- 57.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat nur
einem einzigen in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen eine
Genehmigung zur Verwertung bestimmter Abfälle erteile, als solche nicht mit
Artikel 90 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 unvereinbar sei.
- 58.
- Nach den Akten wurde die AVR Chemie zum einzigen Endverarbeiter für die
Verbrennung gefährlicher Abfälle bestimmt. Somit ist davon auszugehen, daß
dieses Unternehmen über ein ausschließliches Recht im Sinne von Artikel 90
Absatz 1 des Vertrages verfügt.
- 59.
- Diese Bestimmung sieht vor, daß die Mitgliedstaaten insbesondere im Bereich des
Wettbewerbs keine dem Vertrag widersprechenden Maßnahmen treffen oder
beibehalten werden.
- 60.
- Durch die Übertragung ausschließlicher Rechte für die Verbrennung gefährlicher
Abfälle im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats wird dem begünstigten
Unternehmen eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des
Gemeinsamen Marktes eingeräumt (in diesem Sinne auch Urteil vom 18. Juni 1991
in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 31).
- 61.
- Auch wenn die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung als solche nicht mit
Artikel 86 des Vertrages unvereinbar ist, verstößt ein Mitgliedstaat gegen das in
Artikel 90 in Verbindung mit Artikel 86 aufgestellte Verbot, wenn er im Bereich
der Gesetzgebung oder Verwaltung eine Maßnahme trifft, die ein Unternehmen,
dem er ausschließliche Rechte eingeräumt hat, zum Mißbrauch seiner
beherrschenden Stellung veranlaßt (in diesem Sinne auch Urteil vom 13. Dezember
1991 in der Rechtssache C-18/88, GB-Inno-BM, Slg. 1991, I-5941, Randnr. 20).
- 62.
- Hierzu ist den Akten zu entnehmen, daß die niederländische Regierung, gestützt
auf den Mehrjahresplan, der Klägerin des Ausgangsverfahrens die Ausfuhr
untersagte und ihr damit die Verpflichtung auferlegte, ihre Ölfilter zur
Verwertung bestimmte Abfälle dem inländischen Unternehmen, dem das
ausschließliche Recht zur Verbrennung gefährlicher Abfälle zusteht, zu überlassen,
obwohl die in einem anderen Mitgliedstaat angebotene Qualität der Verwertung
mit der des inländischen Unternehmens vergleichbar war.
- 63.
- Eine solche Verpflichtung bewirkt eine Begünstigung des inländischen
Unternehmens, da sie ihm die Verwertung von Abfällen ermöglicht, die durch ein
drittes Unternehmen verwertet werden sollten. Sie führt folglich zu einer gegen
Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages in Verbindung mit Artikel 86 verstoßenden
Beschränkung der Absatzmärkte.
- 64.
- Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Verpflichtung durch eine Aufgabe von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des
Vertrages gerechtfertigt sein könnte.
- 65.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann diese Bestimmung zur
Rechtfertigung einer gegen Artikel 86 des Vertrages verstoßenden Maßnahme
zugunsten eines Unternehmens, dem ein Staat ausschließliche Rechte eingeräumt
hat, herangezogen werden, wenn die Maßnahme erforderlich ist, um dem
Unternehmen die Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Aufgabe zu
ermöglichen, und wenn sie die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einer dem
Interesse der Gemeinschaft zuwiderlaufenden Weise beeinträchtigt (in diesem
Sinne auch Urteile vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91, Corbeau, Slg.
1993, I-2533, Randnr. 14, und vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94,
Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 49).
- 66.
- Insoweit macht die niederländische Regierung geltend, die streitige Regelung solle
die Kosten des mit der Verbrennung gefährlicher Abfälle betrauten Unternehmens
senken und damit dessen wirtschaftliche Existenzfähigkeit ermöglichen.
- 67.
- Selbst wenn die diesem Unternehmen übertragene Aufgabe im allgemeinen
wirtschaftlichen Interesse liegen sollte, müßte die niederländische Regierung, wie
der Generalanwalt in Nummer 108 seiner Schlußanträge ausführt, in einer das
vorlegende Gericht überzeugenden Weise darlegen, daß dieses Ziel nicht ebenso
mit anderen Mitteln erreicht werden kann. Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages
könnte somit nur Anwendung finden, wenn nachgewiesen würde, daß das fragliche
Unternehmen die ihm übertragene Aufgabe ohne die streitige Maßnahme nicht
erfüllen könnte.
- 68.
- Unter diesen Umständen ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, daß eine
Regelung wie der Mehrjahresplan, durch die ein Mitgliedstaat die Unternehmen
verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie Ölfilter sofern deren
Verwertung in einem anderen Mitgliedstaat nicht hochwertiger ist als die
Verwertung durch ein inländisches Unternehmen, dem der Mitgliedstaat das
ausschließliche Recht eingeräumt hat, gefährliche Abfälle zu verbrennen diesem
inländischen Unternehmen zu überlassen, gegen Artikel 90 des Vertrages in
Verbindung mit Artikel 86 verstößt, wenn sie ohne objektiven Grund und ohne
daß es zur Erfüllung einer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich
wäre eine Begünstigung des inländischen Unternehmens und den Ausbau seiner
beherrschenden Stellung zur Folge hat.
Kosten
- 69.
- Die Auslagen der niederländischen, der dänischen und der französischen Regierung
sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben,
sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom niederländischen Raad van State mit Urteil vom 23. April 1996
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
- 1.
- Die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle in der
Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 und die
Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur
Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die
und aus der Europäischen Gemeinschaft können nicht dahin ausgelegt
werden, daß die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die
Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen anwendbar sind.
Artikel 130t EG-Vertrag gestattet es den Mitgliedstaaten nicht, diese
Grundsätze auf solche Abfälle zu erstrecken, wenn sie sich als
Ausfuhrbeschränkung erweisen, die weder durch eine zwingende Maßnahme
des Umweltschutzes noch durch eine der in Artikel 36 des Vertrages
vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt ist.
- 2.
- Eine Regelung wie der Mehrjahresplan, durch die ein Mitgliedstaat die
Unternehmen verpflichtet, ihre zur Verwertung bestimmten Abfälle wie
Ölfilter sofern deren Verwertung in einem anderen Mitgliedstaat nicht
hochwertiger ist als die Verwertung durch ein inländisches Unternehmen,
dem der Mitgliedstaat das ausschließliche Recht eingeräumt hat,
gefährliche Abfälle zu verbrennen diesem inländischen Unternehmen zu
überlassen, verstößt gegen Artikel 90 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel
86, wenn sie ohne objektiven Grund und ohne daß es zur Erfüllung einer
im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich wäre eine
Begünstigung des inländischen Unternehmens und den Ausbau seiner
beherrschenden Stellung zur Folge hat.
RagnemalmMancini
Kapteyn
Murray Hirsch
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Juni 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
H. Ragnemalm