URTEIL DES GERICHTSHOFES
14. Juli 1998 (1)
„Verordnung (EG) Nr. 3093/94 Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
Beschränkungen der Verwendung von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen und von Halonen Gültigkeit“
In der Rechtssache C-284/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Giudice di Pace
Genua (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Safety Hi-Tech Srl
gegen
S. & T. Srl
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung und die Gültigkeit
der Verordnung (EG) Nr. 3093/94 des Rates vom 15. Dezember 1994 über Stoffe,
die zum Abbau der Ozonschicht führen (ABl. L 333, S. 1),
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten C. Gulmann, H. Ragnemalm und M. Wathelet sowie der
Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, P. J. G. Kapteyn,
D. A. O. Edward, P. Jann, L. Sevón und K. M. Ioannou (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Safety Hi-Tech Srl, vertreten durch die Rechtsanwälte Maurizio
Maresca und Salvatore Elio La Rosa, Genua,
der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza,
Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als
Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato Pier Giorgio Ferri,
der österreichischen Regierung, vertreten durch Wolf Okresek,
Ministerialrat im Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigten,
des Rates der Europäischen Union, vertreten durch Anna Lo Monaco und
Guus Houttuin, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Laura
Pignataro und Antonio Aresu, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Safety Hi-Tech Srl, vertreten
durch Rechtsanwalt Maurizio Maresca, der italienischen Regierung, vertreten durch
Pier Giorgio Ferri, der spanischen Regierung, vertreten durch Rosario Silva de
Lapuerta und Nuria Díaz Abad, Abogados del Estado, als Bevollmächtigte, der
französischen Regierung, vertreten durch Romain Nadal, stellvertretender Sekretär
für Auswärtige Angelegenheiten in der Direktion für Rechtsfragen des
Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, des Rates,
vertreten durch Anna Lo Monaco und Guus Houttuin, und der Kommission,
vertreten durch Laura Pignataro und Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 11. November 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3.
Februar 1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der Giudice di Pace Genua hat mit Beschluß vom 8. August 1995, beim
Gerichtshof eingegangen am 28. August 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
mehrere Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr.
3093/94 des Rates vom 15. Dezember 1994 über Stoffe, die zum Abbau der
Ozonschicht führen (ABl. L 333, S. 1), zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin Safety Hi-Tech Srl und der Beklagten S. & T. Srl über die Erfüllung eines zwischen ihnen
geschlossenen Kaufvertrags über die Lieferung eines aus teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen (im folgenden: HCFC) hergestellten Produktes mit
der Bezeichnung „NAF S III“, das als Brandbekämpfungsmittel eingesetzt wird.
- 3.
- Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß sich die Klägerin in diesem
Vertrag verpflichtet hatte, an die Beklagte eine bestimmte Menge dieses Produktes
zum Preis von 3 213 000 LIT einschließlich Mehrwertsteuer zu liefern, es zu lagern
und der Beklagten auf Abruf in Genua zur Verfügung zu stellen.
- 4.
- Am 4. August 1995, an dem die Zahlung durch die Beklagte auf Vorlage der
Rechnung seitens der Klägerin hätte erfolgen sollen, weigerte sich die Beklagte, das
Produkt abzunehmen, weil der Vertrag ungültig sei, da die Verwendung und
infolgedessen das Inverkehrbringen von HCFC als Brandbekämpfungsmittel nach
Artikel 5 der Verordnung verboten seien.
- 5.
- Die Klägerin beantragte am 8. August 1995 beim Giudice di Pace den Erlaß eines
Mahnbescheids gegen die Beklagte über den vereinbarten Preis zuzüglich
Nebenforderungen und Gebühren.
- 6.
- Die Klägerin hält das von der Beklagten geltend gemachte Verbot, HCFC als
Brandbekämpfungsmittel zu verwenden und in den Verkehr zu bringen, für
rechtswidrig. Die Verordnung sei ungültig, weil in ihr kein entsprechendes Verbot
für andere Stoffe wie die Halone vorgesehen sei, die auch schädlich, wenn nicht
noch schädlicher für die Umwelt seien. Das Verbot der Verwendung und des
Inverkehrbringens von HCFC sei unvereinbar mit den Artikeln 130r, 30, 85 und 86
EG-Vertrag. Daher solle der Gerichtshof zur Gültigkeit der Verordnung befragt
werden.
- 7.
- Die Verordnung, die auf die Rechtsgrundlage des Artikels 130s Absatz 1 EG-Vertrag gestützt ist, der zur Erreichung der Ziele des Artikels 130r dienen soll,
bezweckt nach ihren Begründungserwägungen unter Berücksichtigung der
wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie des Vorhandenseins von
Substitutionsstoffen den Erlaß von Maßnahmen zur schrittweisen Eliminierung der
Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen.
- 8.
- Wie aus der dritten, der vierten und der fünften Begründungserwägung hervorgeht,
wurde die Verordnung insbesondere erlassen, um die Verpflichtungen zu erfüllen,
die von der Gemeinschaft nach dem Wiener Übereinkommen vom 22. März 1985
zum Schutz der Ozonschicht (im folgenden: Wiener Übereinkommen) und dem
Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der
Ozonschicht führen (Entscheidung 88/540/EWG des Rates vom 14. Oktober 1988,
ABl. L 297, S. 8), das durch die Änderung vom 29. Juni 1990 geändert wurde
(Entscheidung 91/690/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991, ABl. L 377, S. 28),
sowie nach der zweiten Änderung des Montrealer Protokolls vom 25. November
1992 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (Entscheidung
94/68/EG des Rates vom 2. Dezember 1993, ABl. 1994, L 33, S. 1), übernommen
wurden; diesen Übereinkünften sind alle Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft
beigetreten.
- 9.
- Nach Artikel 1 der Verordnung, der den Geltungsbereich festlegt, findet die
Verordnung Anwendung auf die Produktion, die Einfuhr, die Ausfuhr, das
Angebot, die Verwendung und die Rückgewinnung der darin aufgeführten Stoffe,
die als „geregelte Stoffe“ bezeichnet werden; unter diesen Stoffen werden auch die
HCFC und die Halone genannt.
- 10.
- Die HCFC sind in Artikel 2 zwölfter Gedankenstrich der Verordnung definiert als
die in Gruppe VIII des Anhangs I aufgeführten geregelten Stoffe, einschließlich
ihrer Isomere. Die Halone sind in Artikel 2 siebter Gedankenstrich definiert als die
in Gruppe III des Anhangs I aufgeführten geregelten Stoffe, einschließlich ihrer
Isomere.
- 11.
- Insbesondere bezüglich der Verwendung von HCFC sieht Artikel 4 Absätze 8, 9
Unterabsatz 2 und 10 der Verordnung eine Sonderregelung für die HCFC vor, die
von Herstellern oder Importeuren in den Verkehr gebracht oder für eigene Zwecke
verwendet werden.
- 12.
- Jede Verwendung von HCFC außer der durch Hersteller oder Importeure für
eigene Zwecke fällt unter Artikel 5 Regelung der Verwendung teilhalogenierter
Fluorchlorkohlenwasserstoffe der Verordnung, der bestimmt:
„(1) Ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach Inkrafttreten dieser
Verordnung ist die Verwendung von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen verboten, ausgenommen
als Lösungsmittel;
als Kältemittel;
zur Herstellung von Hartschaumstoffen, die als Isolationsstoffe verwendet
werden, und von Integralschaumstoffen für Sicherheitszwecke;
zur Verwendung in Labors, einschließlich für Forschungs- und
Entwicklungszwecke;
als Ausgangsmaterial bei der Herstellung anderer Chemikalien und
als Trägergas für Sterilisationsstoffe in geschlossenen Systemen.
(2) Ab dem 1. Januar 1996 ist die Verwendung von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen in folgenden Fällen verboten:
zur Verwendung als Lösungsmittel in nichtgeschlossenen Systemen,
einschließlich offenen Reinigungsgeräten und offenen Trockenanlagen ohne
Kühlbereich, in Klebstoffen und Trennmitteln, die nicht in Geräten mit
geschlossenem Kreislauf verwendet werden, in Mitteln zum Entstopfen von
Abflußrohren, wenn die teilhalogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe nicht
zurückgewonnen werden, und in Aerosolen, mit Ausnahme der Verwendung
als Lösungsmittel für Reagenzien zur Entwicklung von Fingerabdrücken auf
porösen Oberflächen wie Papier und mit Ausnahme der Verwendung als
Fixiermittel für vor dem 1. Januar 1996 hergestellte Laserdrucker;
in nach dem 31. Dezember 1995 hergestellten Geräten für folgende
Verwendungszwecke:
a) als Kältemittel in nichtgeschlossenen Direktverdampfungssystemen;
b) als Kältemittel in Haushaltskühlgeräten und -gefriergeräten;
c) zur Klimatisierung von Kraftfahrzeugen;
d) zur Klimatisierung von Straßenfahrzeugen im öffentlichen Verkehr.
(3) Ab dem 1. Januar 1998 ist die Verwendung von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen in nach dem 31. Dezember 1997 hergestellten
Geräten für folgende Verwendungszwecke verboten:
zur Klimatisierung in Schienenfahrzeugen für den öffentlichen Verkehr,
als Trägergas für Sterilisationsstoffe in geschlossenen Systemen.
(4) Ab dem 1. Januar 2000 ist die Verwendung von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen in nach dem 31. Dezember 1999 hergestellten
Geräten für folgende Verwendungszwecke verboten:
als Kältemittel in öffentlichen bzw. Verteilerkühlhäusern und -lagern,
als Kältemittel in Geräten mit einer Eingangsleistung von 150 kW oder
mehr,
soweit keine Vorschriften, Sicherheitsbestimmungen oder andere Auflagen für die
Verwendung von Ammoniak bestehen.
(5) Die Einfuhr, die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr und das
Inverkehrbringen von Geräten, deren Verwendung gemäß diesem Artikel
beschränkt wird, sind ab dem Datum des Inkrafttretens der
Verwendungsbeschränkung verboten. Geräte, die nachweislich vor dem Datum der
Verwendungsbeschränkung hergestellt wurden, unterliegen diesem Verbot nicht.
(6) Die Kommission kann nach dem Verfahren des Artikels 16 in der Liste in
den Absätzen 1 bis 4 unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts
Einfügungen, Streichungen oder Änderungen vornehmen.“
- 13.
- Für Halone sieht Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung vorbehaltlich der Ausnahmen
in den Absätzen 8 bis 12 folgendes vor:
„[D]ie Hersteller [stellen] sicher, daß sie nach dem 31. Dezember 1993 keine
Halone mehr herstellen.
Entsprechend den Vorschlägen der Mitgliedstaaten legt die Kommission nach dem
Verfahren des Artikels 16 jedes Jahr etwaige wesentliche Verwendungszwecke, für
die die Produktion und die Einfuhr von Halonen nach dem 31. Dezember 1993 in
der Gemeinschaft zugelassen sind, sowie die Verwender fest, die sich diese
wesentlichen Verwendungszwecke für den eigenen Bedarf zunutze machen dürfen;
hierbei wendet sie die Kriterien an, die in der von den Parteien des Montrealer
Protokolls getroffenen Entscheidung IV/25 vorgesehen sind. Diese Produktion und
Einfuhr sind nur dann zulässig, wenn keine geeigneten Ersatzstoffe oder keine
rezyklierten Halone von anderen Vertragsparteien des Protokolls zur Verfügung
stehen.
Die Kommission erteilt Lizenzen für die in Unterabsatz 2 genannten Verwender
und teilt ihnen mit, für welchen Verwendungszweck diese Lizenz gilt sowie welche
Stoffe und welche Stoffmengen sie verwenden dürfen.
Ein Hersteller kann von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem er
den betreffenden Stoff/die betreffenden Stoffe herstellt, die Erlaubnis erhalten,
nach dem 31. Dezember 1993 Halone zur Deckung des lizenzierten Bedarfs der in
Unterabsatz 2 genannten Verwender herzustellen. Die zuständige Behörde des
betreffenden Mitgliedstaats unterrichtet die Kommission vorab von ihrer Absicht,
eine solche Erlaubnis zu erteilen.“
- 14.
- Außerdem bestimmt Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung in bezug auf die Halone:
„[D]ie Hersteller [stellen] sicher, daß sie nach dem 31. Dezember 1993 keine
Halone mehr in Verkehr bringen oder für eigene Zwecke verwenden.
Ein Hersteller kann von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem er den
betreffenden Stoff/die betreffenden Stoffe herstellt, die Erlaubnis erhalten, Halonenach dem 31. Dezember 1993 zur Deckung des lizenzierten Bedarfs der in Artikel
3 Absatz 3 genannten Verwender in Verkehr zu bringen.“
- 15.
- Ferner ist nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung vorbehaltlich einer
Ausnahmegenehmigung der Kommission die Überführung u. a. von unbenutzten,
zurückgewonnenen oder aufgearbeiteten Halonen, die aus Nichtvertragsstaaten
eingeführt werden, in den zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft untersagt;
nach Artikel 9 der Verordnung ist auch die Überführung von Erzeugnissen, die
u. a. Halone enthalten und aus Nichtvertragsstaaten eingeführt werden, in den
zollrechtlich freien Verkehr der Gemeinschaft untersagt.
- 16.
- Die Verordnung enthält keine Vorschrift über die Verwendung von Halonen, die
Artikel 5 über die Verwendung von HCFC entspricht.
- 17.
- Angesichts der Regelung für HCFC und für Halone sowie des Vorbringens der
Klägerin hat das vorlegende Gericht, nach dessen Ansicht der Ausgang des
Rechtsstreits von der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung abhängt, das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Ist die Verordnung Nr. 3093/94 des Rates (in Übereinstimmung mit Artikel
130r EG-Vertrag) so auszulegen, daß Halone (also stark umweltschädliche
Produkte) frei verwendet werden dürfen, da nur ihre Produktion oder ihre
Verwendung durch die Hersteller beschränkt ist, sie jedoch frei eingeführt
werden dürfen, während die Verwendung (und damit sowohl die Produktion
als auch die Einfuhr) von HCFC (also von gering umweltschädlichen
Erzeugnissen) für andere als die in Artikel 5 genannten Zwecke vollständig
verboten ist?
2. Stellt die Regelung in der Verordnung Nr. 3093/94 eine Maßnahme mit
gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen dar, indem sie, ohne
daß die in Artikel 36 EG-Vertrag genannten Gründe vorliegen, den freien
Verkehr eines Erzeugnisses im gesamten Gemeinschaftsgebiet beschränkt?
3. Stellt das Handeln der Gemeinschaft und ihrer Organe im Rahmen des
Erlasses der Verordnung Nr. 3093/94 sowie insbesondere in den Phasen
nach dem Erlaß ein öffentlich-rechtliches Eingreifen zur Stärkung der
beherrschenden Stellung einzelner Wirtschaftsteilnehmer dar, das für sich
den Tatbestand des erheblichen Mißbrauchs im Sinne von Artikel 86 EG-Vertrag erfüllt?
4. Können die Vorschriften über den Umweltschutz insbesondere die
Verordnung Nr. 3093/94 so ausgelegt werden, daß sie von der
gemeinschaftlichen Regelung des Wettbewerbs abweichen (indem sie das
Zustandekommen von Kartellen oder die mißbräuchliche Ausnutzung einer
beherrschenden Stellung ermöglichen oder erleichtern), oder sind die in
dieser Regelung enthaltenen Verbote unbedingt und unabdingbar, so daß
Ausnahmen oder Beschränkungen weder von der Gemeinschaft noch von
den einzelnen Mitgliedstaaten angeordnet werden können?
- 18.
- Für eine sachdienliche Antwort an das vorlegende Gericht sind die Fragen im Licht
der tatsächlichen Umstände einzugrenzen, wie sie sich aus den Fragen und aus den
vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten ergeben.
- 19.
- Die Vorlagefragen stellen die Gültigkeit der Verordnung insgesamt in Frage. Der
Ausgangsrechtsstreit betrifft jedoch nur das in der Verordnung enthaltene Verbot
der Verwendung und gegebenenfalls des Inverkehrbringens von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel, nicht aber etwaige andere Verwendungen dieser Stoffe.
Somit sind weder die Vorschriften der Verordnung über andere Stoffe als HCFC
noch die über andere Verwendungen von HCFC Gegenstand des
Ausgangsrechtsstreits. Demzufolge kann die Gültigkeit dieser Vorschriften im
vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nicht geprüft werden.
Zur ersten Frage
- 20.
- Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht zum einen dahin, ob Artikel 5 der
Verordnung die Verwendung und infolgedessen das Inverkehrbringen von HCFC
als Brandbekämpfungsmittel untersagt, und wirft zum anderen die Frage der
Rechtmäßigkeit dieses Verbotes im Hinblick auf Artikel 130r EG-Vertrag auf.
Zur Auslegung von Artikel 5 der Verordnung
- 21.
- Mit der Verordnung einschließlich ihres Artikels 5 sollen die Verpflichtungen erfüllt
werden, die die Gemeinschaft nach dem Wiener Übereinkommen und dem
Montrealer Protokoll sowie nach dessen zweiter Änderung eingegangen ist.
- 22.
- Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sind nach Möglichkeit im Licht des
Völkerrechts auszulegen, insbesondere wenn sie einen von der Gemeinschaft
geschlossenen völkerrechtlichen Vertrag durchführen sollen (vgl. Urteil vom 10.
September 1996 in der Rechtssache C-61/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996,
I-3989, Randnr. 52).
- 23.
- Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Wiener Übereinkommens dürfen die
Vertragsparteien zusätzlich innerstaatliche Maßnahmen treffen, wenn diese unter
Berücksichtigung wissenschaftlicher Bewertungen die Verwendung alternativer
Stoffe fördern sollen, die sich weniger schädlich auf die Ozonschicht auswirken.
- 24.
- In Anbetracht dieser Befugnis heißt es in der sechsten Begründungserwägung der
Verordnung, daß es insbesondere aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse in
bestimmten Fällen angebracht ist, strengere Kontrollmaßnahmen einzuführen als
sie in der zweiten Änderung des Montrealer Protokolls vorgesehen sind.
- 25.
- Im Hinblick auf die Erreichung dieses Zieles verbietet Artikel 5 der Verordnung
die Verwendung von HCFC.
- 26.
- Von diesem seit dem 1. Juni 1995 geltenden grundsätzlichen Verbot gibt es jedoch
eine Reihe von Ausnahmen, die in Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung abschließend
aufgezählt werden. Danach dürfen HCFC nach dem 1. Juni 1995 als Lösungsmittel,
als Kältemittel, zur Herstellung von Hartschaumstoffen, die als Isolationsstoffe
verwendet werden, und von Integralschaumstoffen für Sicherheitszwecke, zur
Verwendung in Labors, einschließlich für Forschungs- und Entwicklungszwecke, als
Ausgangsmaterial bei der Herstellung anderer Chemikalien und als Trägergas für
Sterilisationsstoffe in geschlossenen Systemen verwendet werden.
- 27.
- Außerdem verbietet Artikel 5 Absätze 2, 3 und 4 der Verordnung entsprechend
dem grundsätzlichen Verwendungsverbot ab dem 1. Januar 1996, dem 1. Januar
1998 und dem 1. Januar 2000 die Verwendung von HCFC in weiteren Fällen.
- 28.
- Aus diesen Vorschriften ergibt sich, daß die Verwendung von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel in der Verordnung nicht vorgesehen ist, so daß diese
Verwendung nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung vom 1. Juni 1995 an
verboten ist.
- 29.
- Daher stellt sich die Frage, ob das vollständige Verbot der Verwendung von HCFC
als Brandbekämpfungsmittel auch das Verbot ihres Inverkehrbringens zur Folge
hat.
- 30.
- Das Inverkehrbringen von HCFC als Brandbekämpfungsmittel ist in Artikel 5 der
Verordnung nicht erwähnt. Jedoch geht das Inverkehrbringen von HCFC zu diesen
Zwecken der Verwendung dieser Stoffe voraus und dient keinem anderen Zweck
als ihrer Verwendung zu eben diesen Zwecken. Da die Verwendung von HCFC
vom 1. Juni 1995 an vollständig verboten ist, folgt hieraus, daß ihr Inverkehrbringen
als Brandbekämpfungsmittel von diesem Zeitpunkt an ebenfalls verboten ist.
- 31.
- Für diese Auslegung sprechen sowohl Artikel 3 als auch die Artikel 6 bis 13 der
Verordnung, die mit der Produktion und der Einfuhr der geregelten Stoffe
Handlungen betreffen, die ebenfalls deren Verwendung vorausgehen. Daß in diesen
Vorschriften die Produktion oder die Einfuhr von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel nicht erwähnt ist, deutet nämlich darauf hin, daß der
Gemeinschaftsgesetzgeber, nachdem er das grundsätzliche Verbot der Verwendung
dieser Stoffe zu solchen Zwecken angeordnet hatte, der Ansicht war, daß eine
Regelung der Produktion, der Einfuhr und damit auch des Inverkehrbringens dieser
Stoffe gegenstandslos sei.
- 32.
- Daher verbietet Artikel 5 der Verordnung die Verwendung und infolgedessen das
Inverkehrbringen von HCFC als Brandbekämpfungsmittel vollständig.
Zur Rechtmäßigkeit des Verbotes der Verwendung von HCFC im Hinblick auf Artikel
130r EG-Vertrag
- 33.
- Die Klägerin ist der Ansicht, daß das Verbot der Verwendung von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel im Hinblick auf Artikel 130r EG-Vertrag rechtswidrig sei,
weil der Rat die Grenzen seines Ermessens dadurch überschritten habe, daß er
nicht das Ziel, die Grundsätze und die Kriterien dieser Vorschrift beachtet habe.
- 34.
- Der Rat vertritt dagegen die Auffassung, Artikel 130r EG-Vertrag verleihe ihm ein
freies Ermessen; der Gerichtshof könne das Ergebnis der Betätigung dieses
Ermessens nicht überprüfen. Außerdem verleihe ihm Artikel 130r bezüglich der
Wahl der Maßnahmen zur Verwirklichung der Umweltschutzpolitik ein weites
Ermessen. Diese Maßnahmen seien nur rechtswidrig, wenn sie im Hinblick auf das
verfolgte Ziel offensichtlich ungeeignet seien.
- 35.
- Artikel 130r EG-Vertrag bestimmt:
„(1) Die Umweltpolitik der Gemeinschaft trägt zur Verfolgung der
nachstehenden Ziele bei:
Erhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität;
Schutz der menschlichen Gesundheit;
umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen;
Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung
regionaler oder globaler Umweltprobleme.
(2) Die Umweltpolitik der Gemeinschaft zielt unter Berücksichtigung der
unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft auf
ein hohes Schutzniveau ab. Sie beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und
Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem
Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip. Die Erfordernisse des
Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und Durchführung anderer
Gemeinschaftspolitiken einbezogen werden.
...
(3) Bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik berücksichtigt die Gemeinschaft
die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten;
die Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft;
die Vorteile und die Belastung aufgrund des Tätigwerdens bzw. eines
Nichttätigwerdens;
die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gemeinschaft insgesamt
sowie die ausgewogene Entwicklung ihrer Regionen.
(4) ...“
- 36.
- Diese Vorschrift sieht somit eine Reihe von Zielen, Grundsätzen und Kriterien vor,
die der Gemeinschaftsgesetzgeber im Rahmen der Durchführung der Umweltpolitik
zu beachten hat.
- 37.
- Da bestimmte in Artikel 130r genannte Ziele und Grundsätze gegeneinander
abgewogen werden müssen und die Anwendung der Kriterien komplex ist, muß sich
die gerichtliche Nachprüfung zwangsläufig auf die Frage beschränken, ob der Rat
beim Erlaß der Verordnung die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 130r EG-Vertrag offensichtlich falsch beurteilt hat.
- 38.
- Daher ist zu prüfen, ob die Verordnung in Anbetracht ihres Zweckes unter Verstoß
gegen Artikel 130r EG-Vertrag erlassen wurde.
- 39.
- Die Klägerin trägt dafür drei Argumente vor.
- 40.
- Erstens berücksichtige die Verordnung, indem sie die Verwendung anderer Stoffe
wie der Halone erlaube, nicht zwei andere, für den Umweltschutz grundlegende
Parameter, nämlich das Treibhauspotential (Global Warming Potential; im
folgenden: GWP) und die „Atmosphärische Verweildauer“ (Atmospheric Lifetime;
im folgenden: ALT) der HCFC; diese Faktoren müßten zusammen mit dem
Ozonabbaupotential (Ozone Depletion Potential; im folgenden: ODP)
berücksichtigt werden. Bei Berücksichtigung all dieser Faktoren erwiesen sich die
HCFC als weit weniger schädlich als die Halone. Daher habe die Verordnung,
indem sie nur den ODP-Index berücksichtigt habe und sich auf die Anordnung von
Maßnahmen gegen den Abbau der Ozonschicht beschränkt habe, nicht, wie Artikel
130r EG-Vertrag dies vorsehe, den Schutz der Umwelt insgesamt, sondern nur
eines Teiles davon gesichert.
- 41.
- Selbst wenn das Fehlen eines Verbotes der Verwendung anderer Stoffe
rechtswidrig sein sollte, kann es für sich allein nicht die Gültigkeit des Verbotes der
Verwendung von HCFC beeinträchtigen.
- 42.
- Bezüglich der Rüge, der GWP- und der ALT-Index der HCFC sei nicht
berücksichtigt worden, ist von Belang, daß Artikel 130r Absatz 1 EG-Vertrag unter
anderen Zielen der Umweltpolitik der Gemeinschaft die Erhaltung und den Schutz
der Umwelt sowie die Verbesserung ihrer Qualität vorsieht.
- 43.
- Wie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-379/92
(Peralta, Slg. 1994, I-3453, Randnr. 57) entschieden hat, legt Artikel 130r EG-Vertrag nur die allgemeinen Ziele der Gemeinschaft im Umweltbereich fest.Gemäß Artikel 130s EG-Vertrag ist der Rat damit betraut, über das Tätigwerden
zu beschließen. Überdies bestimmt Artikel 130t EG-Vertrag, daß die
Schutzmaßnahmen, die aufgrund des Artikels 130s gemeinsam getroffen werden,
die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran hindern, verstärkte Schutzmaßnahmen
beizubehalten oder zu ergreifen, die mit dem EG-Vertrag vereinbar sind.
- 44.
- Aus diesen Vorschriften ergibt sich nicht, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber nach
Artikel 130r Absatz 1 EG-Vertrag, wenn er Maßnahmen zur Erhaltung, zum Schutz
und zur Verbesserung der Umwelt erläßt, die ein spezielles Umweltproblem
behandeln sollen, stets gleichzeitig Maßnahmen erlassen müßte, die auf die Umwelt
insgesamt abzielen.
- 45.
- Daraus folgt, daß Artikel 130r Absatz 1 EG-Vertrag den Erlaß von Maßnahmen
erlaubt, die nur bestimmte Aspekte der Umwelt betreffen, sofern diese
Maßnahmen zur Erhaltung und zum Schutz der Umwelt sowie zur Verbesserung
ihrer Qualität beitragen.
- 46.
- Die Verordnung bezweckt nach ihrem Titel eine Regelung der Stoffe, die zum
Abbau der Ozonschicht führen. Daß diese Verordnung nur diesen Aspekt der
Erhaltung, des Schutzes und der Verbesserung der Umwelt erfaßt, kann daher nicht
als unvereinbar mit der Zielsetzung des Artikels 130r Absatz 1 EG-Vertrag
angesehen werden.
- 47.
- Zweitens hat die Verordnung, indem sie die Verwendung von Halonen erlaube, die
verglichen mit den HCFC einen viel höheren ODP-Index hätten und daher für das
Ozon weitaus gefährlicher seien, nach Ansicht der Klägerin kein hohes
Umweltschutzniveau gesichert, wie Artikel 130r Absatz 2 EG-Vertrag dies verlange.
- 48.
- Die Verordnung sichert jedoch ein hohes Schutzniveau. Aus der vierten und der
fünften Begründungserwägung ergibt sich nämlich, daß sie aufgrund der
wissenschaftlichen Erkenntnisse und zur Erfüllung der Verpflichtungen der
Gemeinschaft aus dem Wiener Übereinkommen und der zweiten Änderung des
Montrealer Protokolls Maßnahmen bezweckt, um u. a. auf die Verwendung von
HCFC einzuwirken. In der sechsten Begründungserwägung der Verordnung heißt
es außerdem, daß es insbesondere aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse in
bestimmten Fällen angebracht ist, strengere Kontrollmaßnahmen einzuführen als
sie in der zweiten Änderung des Protokolls vorgesehen sind. Der
Gemeinschaftsgesetzgeber hat dadurch, daß er in Artikel 5 Absatz 1 der
Verordnung die Verwendung von HCFC verboten und damit eine Maßnahme
getroffen hat, die über die Maßnahmen hinausgeht, die ihm aufgrund seiner
internationalen Verpflichtungen obliegen, nicht gegen den in Artikel 130r Absatz
2 EG-Vertrag verankerten Grundsatz eines hohen Schutzniveaus verstoßen.
- 49.
- Wenn schließlich die Umweltpolitik der Gemeinschaft nach Artikel 130r Absatz 2
EG-Vertrag auf ein hohes Schutzniveau abzielen muß, so doch nicht unbedingt auf
das in technischer Hinsicht höchstmögliche. Denn wie in Randnummer 43 dieses
Urteils bereits ausgeführt wurde, gestattet Artikel 130t EG-Vertrag den
Mitgliedstaaten, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen.
- 50.
- Drittens ist die Klägerin der Ansicht, die Verordnung habe, da sie die Verwendung
anderer Brandbekämpfungsmittel darunter Fluorkohlenwasserstoffe und
Perfluorkohlenstoffe nicht verbiete, nicht die verfügbaren wissenschaftlichen und
technischen Daten berücksichtigt, wie Artikel 130r Absatz 3 EG-Vertrag dies
verlange, weil diese Stoffe, deren GWP- und deren ALT-Index sehr hoch seien,
umweltschädlicher seien als HCFC, deren ODP-, GWP- und ALT-Index als
annehmbar angesehen würden.
- 51.
- Nach Artikel 130r Absatz 3 EG-Vertrag hat die Gemeinschaft bei der Erarbeitung
ihrer Umweltpolitik u. a. die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten
zu berücksichtigen. Die Verordnung erfüllt jedoch dieses Erfordernis.
- 52.
- Neben der Berücksichtigung der in der vierten und der fünften
Begründungserwägung erwähnten wissenschaftlichen Erkenntnisse weist die siebte
Begründungserwägung der Verordnung darauf hin, daß „es [sich] empfiehlt ..., die
zugelassenen Verwendungszwecke von ozonabbauenden Stoffen ... regelmäßig zu
überprüfen“, und in der achten Begründungserwägung heißt es: „Die Entwicklung
des Marktes für ozonabbauende Stoffe insbesondere zur Sicherstellung eines
ausreichenden Angebots für wichtige Verwendungszwecke sowie der Stand der
Entwicklung geeigneter Substitutionserzeugnisse müssen ständig verfolgt werden;
ferner muß die Einfuhr ozonabbauender Stoffe, seien sie unbenutzt,
zurückgewonnen oder aufgearbeitet, die zum zollrechtlich freien Verkehr in der
Europäischen Gemeinschaft abgefertigt werden, auf ein Mindestmaß beschränkt
werden.“
- 53.
- Gerade im Hinblick auf die Berücksichtigung der verfügbaren wissenschaftlichen
und technischen Daten kann die Kommission nach Artikel 5 Absatz 6 der
Verordnung, der die Verwendung von HCFC betrifft, in der Liste der verbotenen
Verwendungen unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts Einfügungen,
Streichungen oder Änderungen vornehmen.
- 54.
- Hinzu kommt, daß es, wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, beim
Erlaß der Verordnung aus wissenschaftlicher Sicht für die Verwendung von HCFC
Ersatzstoffe gab, die für die Ozonschicht weniger schädlich sind, wie Wasser, Pulver
und Inertgase.
- 55.
- Daher hat der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlaß des Verbotes der
Verwendung und infolgedessen des Inverkehrbringens von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.
Damit ist die Rüge der Rechtswidrigkeit der Verordnung im Hinblick auf Artikel
130r EG-Vertrag zurückzuweisen.
- 56.
- Die Klägerin ist außerdem der Ansicht, daß das Verbot der Verwendung und
infolgedessen des Inverkehrbringens von HCFC als Brandbekämpfungsmittel im
Hinblick auf den Schutz der Umwelt unverhältnismäßig sei.
- 57.
- Nach ständiger Rechtsprechung entspricht eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung
des angestrebten Zweckes geeignet sind und sie das Maß des hierzu Erforderlichen
nicht übersteigen (vgl. u. a. Urteil vom 13. Mai 1997 in der Rechtssache C-233/94,
Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnr. 54).
- 58.
- Das Mittel, das die Verordnung in Artikel 5 Absatz 1 einsetzt, d. h. das Verbot der
Verwendung und infolgedessen des Inverkehrbringens von HCFC als
Brandbekämpfungsmittel, war geeignet, den Zweck der Verordnung, nämlich den
Schutz der Ozonschicht, zu erreichen. Da jedoch andere, für die Ozonschicht
ebenfalls schädliche, wenn nicht noch schädlichere Stoffe wie die Halone als
Brandbekämpfungsmittel erlaubt sind, ist zu prüfen, ob dieses Verbot nicht die
Grenzen überschreitet, die sich aus der Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit ergeben.
- 59.
- Wie aus den Akten des Ausgangsverfahrens hervorgeht, weisen die Halone eine
insbesondere zur Bekämpfung von Bränden in engen Räumen nicht zu ersetzende
Löschkapazität bei extrem geringen toxischen Wirkungen auf, während für die
Erzielung des gleichen Ergebnisses eine größere Menge HCFC mit größeren
toxischen Auswirkungen erforderlich wäre.
- 60.
- Da es für HCFC, wie in Randnummer 54 dieses Urteils ausgeführt wurde,
wirksame Substitutionserzeugnisse wie Wasser, Pulver und Inertgase und für
bestimmte wichtige Verwendungen, wie in Randnummer 59 ausgeführt, nicht zu
ersetzende Substitutionserzeugnisse wie die Halone gibt, verstößt das Verbot der
Verwendung von HCFC nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
- 61.
- Es ergibt sich somit, daß die Prüfung des Artikels 5 Absatz 1 der Verordnung im
Hinblick auf Artikel 130r EG-Vertrag nichts ergeben hat, was seine Gültigkeit in
Frage stellen könnte.
Zur zweiten Frage
- 62.
- Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts betrifft die Gültigkeit des in Artikel 5
Absatz 1 der Verordnung aufgestellten Verbotes der Verwendung und des
Inverkehrbringens von HCFC als Brandbekämpfungsmittel im Hinblick auf Artikel
30 EG-Vertrag.
- 63.
- Nach ständiger Rechtsprechung gilt das Verbot von mengenmäßigen
Beschränkungen sowie von Maßnahmen gleicher Wirkung nicht nur für nationale
Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane (vgl.
insbesondere Urteil vom 17. Mai 1984 in der Rechtssache 15/83, Denkavit
Nederland, Slg. 1984, 2171, Randnr. 15, und vom 9. August 1994 in der
Rechtssache C-51/93, Meyhui, Slg. 1994, I-3879, Randnr. 11).
- 64.
- Der Umweltschutz ist vom Gerichtshof bereits als eines der wesentlichen Ziele der
Gemeinschaft bezeichnet worden (vgl. Urteil vom 7. Februar 1985 in der
Rechtssache 240/83, Association de défense des brûleurs d'huiles usagées, Slg. 1985,
531, Randnr. 13). Im Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 302/86
(Kommission/Dänemark, Slg. 1988, 4607, Randnr. 9) hat der Gerichtshof
festgestellt, daß der Umweltschutz ein zwingendes Erfordernis darstellt, das die
Anwendung des Artikels 30 EG-Vertrag einschränken kann.
- 65.
- Die Klägerin vertritt jedoch die Auffassung, daß auch im Hinblick auf Artikel 30
EG-Vertrag der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt sei.
- 66.
- Aus dem Zweck der Verordnung und den Randnummern 59 bis 61 dieses Urteils
ergibt sich, daß ein zum Schutz der Ozonschicht angeordnetes Verbot der
Verwendung und des Inverkehrbringens von HCFC nicht außer Verhältnis zum
verfolgten Ziel steht.
- 67.
- Daher ist zu antworten, daß die Prüfung der vorgelegten Frage nichts ergeben hat,
was die Gültigkeit des Artikels 5 der Verordnung in Frage stellen könnte.
Zur dritten und zur vierten Frage
- 68.
- Die dritte und die vierte Frage des vorlegenden Gerichts gehen dahin, ob Artikel
5 Absatz 1 der Verordnung durch das Verbot der Verwendung und des
Inverkehrbringens von HCFC bewirkt, daß entgegen Artikel 85 EG-Vertrag
Absprachen zwischen den Herstellern und Verkäufern anderer, nach der
Verordnung erlaubter Stoffe oder entgegen Artikel 86 EG-Vertrag der Mißbrauch
einer beherrschenden Stellung dieser Hersteller und Verkäufer gefördert werden,
und ob diese Vorschrift der Verordnung als Vorschrift, die den Schutz der
Ozonschicht gewährleistet, Ausnahmen von den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag
rechtfertigen kann.
- 69.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß das nationale Gericht die Sach- und
Rechtslage schildern, in der sich die von ihm aufgeworfenen Fragen stellen, oder
zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutern, auf denen diese Fragen beruhen;
sonst ist eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht möglich (vgl.
insbesondere Urteil vom 26. Januar 1993 in den Rechtssachen C-320/90 bis
C-322/90, Telemarsicabruzzo u. a., Slg. 1993, I-393, Randnr. 6, und Beschluß vom
19. März 1993 in der Rechtssache C-157/92, Banchero, Slg. 1993, I-1085,
Randnr. 4).
- 70.
- Nach dem Urteil Telemarsicabruzzo u. a. und dem Beschluß Banchero (Randnrn.
7 und 5) gilt dies ganz besonders in bestimmten Bereichen, wie dem des
Wettbewerbs, die durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse
gekennzeichnet sind.
- 71.
- Der Vorlagebeschluß entspricht diesen Anforderungen nicht.
- 72.
- Er übernimmt nämlich das klägerische Vorbringen unverändert, das, wie die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof selbst eingeräumt
hat, nicht erklärt, wie dieses Verbot Absprachen oder aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen begünstigen soll. Das Vorbringen enthält zudem weder die zur
Abgrenzung des relevanten Marktes erforderlichen Angaben, noch erläutert es die
Auswirkung des Verbotes des Inverkehrbringens von HCFC auf das Funktionieren
dieses Marktes. Außerdem hat das vorlegende Gericht die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag nur angeführt, ohne die genauen Gründe anzugeben, deretwegen es im
Hinblick auf den Sachverhalt, mit dem es befaßt ist, die Gültigkeit des Verbotes
des Artikels 5 Absatz 1 der Verordnung bezweifelt.
- 73.
- Daher sind die Angaben im Vorlagebeschluß zur Sach- und Rechtslage nicht
hinreichend genau, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, das Gemeinschaftsrecht
in sachdienlicher Weise auszulegen.
- 74.
- Daher ist gemäß den Artikeln 92 und 103 § 1 der Verfahrensordnung festzustellen,
daß die dritte und die vierte Vorlagefrage offensichtlich unzulässig sind.
Kosten
- 75.
- Die Auslagen der italienischen, der spanischen, der französischen und der
österreichischen Regierung sowie des Rates und der Kommission, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die
Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beidem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist
daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Giudice di Pace Genua mit Beschluß vom 8. August 1995
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
- 1.
- Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 3093/94 des Rates vom 15. Dezember
1994 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, verbietet die
Verwendung und infolgedessen das Inverkehrbringen von teilhalogenierten
Fluorchlorkohlenwasserstoffen als Brandbekämpfungsmittel vollständig.
- 2.
- Die Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit
des Artikels 5 der Verordnung Nr. 3093/94 in Frage stellen könnte.
Rodríguez Iglesias Gulmann Ragnemalm
Wathelet Mancini Moitinho de Almeida
Kapteyn Edward Jann
Sevón Ioannou
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juli 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias