URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
21. Januar 1999 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 und 86 EG-Vertrag Einheitliche Bankbedingungen
für die Gewährung eines Kontokorrentkredits und zur Generalbürgschaft“
In den verbundenen Rechtssachen C-215/96 und C-216/96
betreffend zwei dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunale
Genua (Italien) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Carlo Bagnasco u. a.
gegen
Banca Popolare di Novara soc. coop. arl (BPN) (C-215/96),
Cassa di Risparmio di Genova e Imperia SpA (Carige) (C-216/96)
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 85 und
86 EG-Vertrag im Hinblick auf bestimmte einheitliche Bankbedingungen, die die
Associazione Bancaria Italiana ihren Mitgliedern für den Abschluß von Verträgen
über die Gewährung eines Kontokorrentkredits und über die Generalbürgschaft
vorschreibt,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer G. Hirsch in
Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten (Berichterstatter) sowie der
Richter G. F. Mancini, J. L. Murray, H. Ragnemalm und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von Carlo Bagnasco u. a., vertreten durch Rechtsanwältin Anna Collivadino,
Genua,
der Banca Popolare di Novara soc. coop. arl (BPN), vertreten durch
Rechtsanwalt Giacomo Traverso, Genua,
der Cassa di Risparmio di Genova e Imperia SpA (Carige), vertreten durch
Rechtsanwältin Laura Granata, Genua,
der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza,
Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als
Bevollmächtigten, im Beistand von Avvocato dello Stato Oscar Fiumara,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Fabiola
Mascardi und Wouter Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15.
Januar 1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Tribunale Genua hat mit zwei Beschlüssen vom 15. Mai 1996, die am 21. Juni
1996 beim Gerichtshof eingegangen sind, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier
Fragen nach der Auslegung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag im Hinblick auf
bestimmte einheitliche Bankbedingungen („Norme bancarie uniformi“;
nachstehend: NBU), die die Associazione Bancaria Italiana (nachstehend: ABI)
ihren Mitgliedern für den Abschluß von Verträgen über die Gewährung eines
Kontokorrentkredits und über eine Generalbürgschaft vorschreibt, zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen den
Klägern Bagnasco u. a. und der Banca Popolare di Novara soc. coop. arl
(nachstehend: BPN) (Rechtssache C-215/96) bzw. der Cassa di Risparmio di
Genova e Imperia SpA (nachstehend: Carige) (Rechtssache C-216/96) wegen der
Rückzahlung von Krediten, die diese Bankinstitute eingeräumt hatten.
- 3.
- Die Kläger der Ausgangsverfahren, der Hauptschuldner Bagnasco und seine
Bürgen als Gesamtschuldner, haben gegen zwei Vollstreckungsbescheide vom 1.
Juni 1992 Einspruch eingelegt, mit denen ihnen der Präsident des Tribunale Genua
auf Antrag der BPN und der Carige aufgegeben hatte, diesen Banken folgende
Beträge zu zahlen:
der BPN den Betrag von 222 440 332 LIT, der sich wie folgt zusammensetzt:
170 440 332 LIT als Schuldsaldo eines Kontokorrents, das aufgrund eines
am 8. Oktober 1991 geschlossenen Vertrages auf den Namen des Klägers
Bagnasco eröffnet worden war, zuzüglich Zinsen ab 1. April 1992 zum
Zinssatz von 17 %;
9 400 000 LIT als Schuldsaldo eines Kontokorrents, das aufgrund eines am
27. Dezember 1991 geschlossenen Vertrages auf den Namen des Klägers
Bagnasco eröffnet worden war, zuzüglich Zinsen ab 1. April 1992 zum
Zinssatz von 17,5 %;
21 600 000 LIT als Betrag von vier Eigenwechseln, die von der BPN
diskontiert und von der Einzelfirma Fidaurum des Klägers Bagnasco
ausgestellt worden waren und für die die anderen Kläger am 22. Januar
1992 Bürgschaften in Höhe von jeweils 5 400 000 LIT gestellt hatten,
zuzüglich Zinsen ab 22. Mai 1992 zum gesetzlichen Zinssatz von 10 %,
sowie
21 000 000 LIT für Wechsel zu Lasten von Anna Sbardella, die diskontiert
und dem Kontokorrent unter dem Vermerk „Eingang der Zahlung des
Hauptschuldners vorbehalten“ gutgeschrieben worden waren, wie sich aus
den vom Kläger Bagnasco unterzeichneten Vordrucken zur Diskontierung
ergibt, sowie für verpfändete Wechsel, ebenfalls zu Lasten von Anna
Sbardella, die vom Kläger Bagnasco diskontiert wurden, wobei sämtliche
Wechsel zu Lasten des Protestgegners gingen, so daß kraft Vertrag auch die
Wechsel, die nicht fällig geworden waren, verfielen, zuzüglich Zinsen ab
dem Zeitpunkt des Erlasses des Vollstreckungsbescheids zum Satz von
15 %;
der Carige den Betrag von 124 119 497 LIT, der sich wie folgt zusammensetzt:
48 798 664 LIT als Schuldsaldo eines Kontokorrents, das aufgrund eines am
28. August 1989 geschlossenen Vertrages auf den Namen des Klägers
Bagnasco eröffnet worden war, zuzüglich Zinsen ab 11. Juni 1992 zum
Zinssatz von 17,5 %;
75 320 833 LIT zuzüglich Zinsen ab 11. Juni 1992 zum Zinssatz von 15 %
für einen am 12. November 1991 vereinbarten „Bankvorschuß“ von
95 000 000 LIT, für den der Kläger Bagnasco 19 Eigenwechsel gegeben
hatte.
- 4.
- Der Vollstreckungsbescheid gegen diejenigen Kläger, die Gesamtschuldner sind,
wurde aufgrund der Bürgschaft, die sie für die nicht eingelösten Wechsel gestellt
hatten, und aufgrund der „Generalbürgschaft“ (fidejussione omnibus) erlassen, die
sie in Höhe des Betrages von 300 000 000 LIT (Rechtssache C-215/96) bzw.
195 000 000 LIT (Rechtssache C-216/96) übernommen hatten.
- 5.
- Diese Kläger haben beim vorlegenden Gericht beantragt, die betreffenden
Vollstreckungsbescheide für ungültig und/oder unanwendbar zu erklären, hilfsweise,
den Betrag festzulegen, der tatsächlich den beiden Banken geschuldet wird. Sie
berufen sich insbesondere auf die Unvereinbarkeit der NBU, auf die die Beklagten
ihre Ansprüche stützen, mit den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag.
- 6.
- Das Tribunale Genua führt aus, es stehe fest, daß die Artikel 85 und 86
EG-Vertrag den einzelnen Rechte verliehen, auf die sie sich vor den nationalen
Gerichten berufen könnten. Außerdem stellten die NBU, die die ABI ihren
Mitgliedsbanken vorschreibe und die von allen italienischen Banken in ihren
Beziehungen zu ihren Kunden „unmittelbar“ verwendet würden, ein Kartell,
genauer: einen Beschluß von Unternehmensvereinigungen im Sinne des Artikels 85
Absatz 1 EG-Vertrag dar.
- 7.
- Nach Auffassung des nationalen Gerichts werfen bestimmte Klauseln der Verträge
über die Gewährung eines Kontokorrentkredits und über die Generalbürgschaft die
Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag auf.
- 8.
- Die vom Kläger Bagnasco mit der BPN geschlossenen Verträge über die
Gewährung eines Kontokorrentkredits sähen in Klausel 2 die Anwendung eines
Jahreszinssatzes von 17 % bzw. von 17,5 % zuzüglich einer Provision von 0,125 %
auf den höchsten im jeweiligen Quartal oder auch nur zeitweise erreichten
Schuldenstand vor.
- 9.
- In dieser Klausel 2 sei im übrigen vorgesehen, daß die „Zinssätze ... aufgrund der
Entwicklung auf dem Geldmarkt erhöht oder gesenkt werden“ könnten. Die
Klausel 12 des Vertrages sehe vor: „Nach dem Ermessen der Bank können die
Zinssätze jederzeit ... geändert werden; die Änderung ist durch Aushang in den
Geschäftsräumen ihrer Niederlassungen oder in einer anderen der Bank
zweckmäßig erscheinenden Weise bekanntzumachen.“ Solche dem Mustervertrag
der ABI entnommene Klauseln fänden sich auch in dem vom Kläger Bagnasco mit
der Carige geschlossenen Vertrag.
- 10.
- Nur die anfängliche Festlegung des Zinssatzes beruhe auf einer unmittelbaren
Aushandlung zwischen den Vertragsparteien; die spätere Erhöhung des Zinssatzes
aufgrund späterer Entwicklung auf dem Geldmarkt sei vom durchschnittlichen
Bankkunden nicht oder nur schwer vorhersehbar. Auf diese Weise werde die
Befugnis der Bank, über die Wahl des Zeitpunkts der Änderungen dieses Satzes
und die Einzelheiten ihrer Mitteilung an den Kunden zu entscheiden, erweitert.
- 11.
- Zur Generalbürgschaft führt das Tribunale Genua aus, die im
Musterbürgschaftsvertrag der ABI und in den streitgegenständlichen Verträgen
enthaltenen einschlägigen Klauseln beträfen folgendes:
die Verpflichtung, eine Bürgschaft auch „für Zinsen der gesicherten
Forderung [zu stellen], der Satz keinesfalls geringer als banküblich,“ „zur
Erfüllung sämtlicher Forderungen der Bank aus Geschäften jeglicher Art,
die bereits geschlossen sind oder die unter dem genannten Namen (oder
vom jeweiligen Nachfolger) geschlossen werden“; die Generalbürgschaft
sichere im übrigen „jede andere Verpflichtung des Hauptschuldners
gegenüber der Bank aufgrund der Stellung von (künftigen) Sicherheiten
zugunsten Dritter“ (wobei es zu einer „Bürgschaft für die Bürgschaft“
komme, so daß eine praktisch unbegrenzte und unkontrollierbare
persönliche Haftung möglich sei);
in Klausel 5 die Verpflichtung des Bürgen, sich über die
Vermögensverhältnisse des Schuldners ständig auf dem Laufenden zu
halten, und insbesondere sich bei diesem über die Entwicklung seiner
Beziehungen zur Bank zu informieren, die von der Verpflichtung befreit sei,
beim Bürgen die in Artikel 1956 CC vorgesehene besondere Genehmigung
einzuholen (Artikel 1956 CC: „Der Bürge einer zukünftigen Schuld wird
frei, wenn der Gläubiger ohne besondere Genehmigung des Bürgen dem
Dritten ein Darlehen gewährt hat, obwohl er weiß, daß dessen
Vermögensverhältnisse sich so entwickelt haben, daß die Rückzahlung des
Darlehens bedeutend schwieriger geworden ist“);
in Klausel 6 die Befreiung der Bank von der Obliegenheit, innerhalb der in
Artikel 1957 CC vorgesehenen Frist (Artikel 1957 CC: „Der Bürge bleibt
auch nach der Fälligkeit der Hauptschuld verpflichtet, sofern der Gläubiger
innerhalb von sechs Monaten Klage gegen den Schuldner erhoben und das
Verfahren sorgfältig betrieben hat“) Klage zu erheben, so daß der Bürge
abweichend von dieser Bestimmung „auch wenn die Bank gegen den
Schuldner und die etwaigen Mitschuldner keine Klage erhoben und das
Verfahren nicht betrieben habe“, und „bis zum vollständigen Erlöschen der
Schuld unbedingt und zeitlich unbegrenzt“ gesamtschuldnerisch hafte;
in Klausel 7, erster Absatz, die vom Bürgen übernommene Verpflichtung,
„der Bank unverzüglich auf einfache schriftliche Anforderung ungeachtet
etwaiger Einwendungen des Schuldners, Zahlung in bezug auf Kapital,
Zinsen, Kosten, Steuern, Abgaben und alle weiteren Zusatzkosten zu
leisten“;
in Klausel 7, dritter Absatz, folgende Erklärung: „In bezug auf die Höhe der
gesicherten Schuld erbringen die Bücher der Bank gegenüber dem Bürgen,
seinen Erben und sonstigen Rechtsnachfolgern vollen Beweis; die Bank ist
nicht verpflichtet, von sich aus dem Bürgen Mitteilungen über den Stand der
Konten und allgemein die Beziehungen zum Schuldner zu machen“;
in Klausel 7, fünfter Absatz, die Ausnahme von Artikel 1939 CC (Artikel
1939 CC: „Die Bürgschaft ist unwirksam, wenn die Hauptschuld nicht
besteht, es sei denn, sie wird für die von einem Geschäftsunfähigen
übernommene Schuld gestellt“), mit der Folge, daß „die Verpflichtung ...
ihre volle Wirksamkeit [behält], auch wenn die Hauptschuld, aus welchen
Gründen auch immer, nicht besteht, ... so daß der Bürge im Falle einer
Feststellung der Nichtigkeit oder einer Annullierung der Hauptschuld so
haftet, als ob er diese selbst übernommen hätte“.
- 12.
- Hinsichtlich dieser Klauseln hält das nationale Gericht eine Entscheidung des
Gerichtshofes in bezug auf die Beträge, die die BPN und die Carige aus den mit
dem Kläger Bagnasco abgeschlossenen Kontokorrentkreditverträgen und den von
den übrigen Klägern gestellten Bürgschaften fordern, für erheblich. Es hat
demgemäß die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden vier
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Einheitlichen Bankbedingungen für die Gewährung eines
Kontokorrentkredits, die die ABI ihren Mitgliedern vorschreibt, soweit sie
von den in der ABI zusammengeschlossenen Banken einheitlich und
zwingend verwendet werden und die Gewährung des Kredits einer Regelung
unterwerfen, nach der der Zinssatz weder von vornherein festgesetzt noch
vom Kunden feststellbar ist, mit Artikel 85 EG-Vertrag vereinbar, sofern sie
den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und
eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken?
2. Welche Auswirkungen kann die etwaige Feststellung der Unvereinbarkeitim Sinne der ersten Frage auf die entsprechenden Klauseln in Verträgen
über die Gewährung von Kontokorrentkrediten, die von den
Mitgliedsbanken mit den einzelnen Kunden geschlossen werden, haben,
wenn die Gesamtheit der in der ABI zusammengeschlossenen Banken im
Sinne und mit Wirkung für Artikel 86 EG-Vertrag als Inhaber einer
kollektiven beherrschenden Stellung auf dem nationalen Kreditmarkt
anzusehen ist und sich die Verwendung der streitigen Regelung (in bezug
auf die Festsetzung des Schuldzinssatzes) als mißbräuchliche Ausnutzung
dieser Stellung erweist?
3. Sind die von der ABI ihren Mitgliedern vorgeschriebenen Einheitlichen
Bankbedingungen für den „General“bürgschaftsvertrag zur Sicherung der
Kreditgewährung soweit sie von den Mitgliedern einheitlich und zwingend
verwendet werden hinsichtlich der einzelnen Klauseln, die in den Gründen
des vorliegenden Beschlusses dargestellt sind, und in ihrer Gesamtheit mit
Artikel 85 EG-Vertrag vereinbar, soweit sie den Handel zwischen
Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des
Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken?
4. Welche Auswirkungen kann die etwaige Feststellung der Unvereinbarkeit
im Sinne der dritten Frage auf die entsprechenden Klauseln des
„General“bürgschaftsvertrags und auf die Verträge, die von den einzelnen
Banken geschlossen wurden, haben, wenn die Gesamtheit der in der ABI
zusammengeschlossenen Banken im Sinne und mit Wirkung für Artikel 86
EG-Vertrag als Inhaber einer kollektiven beherrschenden Stellung auf dem
nationalen Kreditmarkt anzusehen ist und sich die Verwendung der
streitigen Regelung als mißbräuchliche Ausnutzung dieser Stellung erweist?
- 13.
- Nach Abschluß der streitigen Verträge wurden die italienischen Rechtsvorschriften
über die Gewährung eines Kontokorrentkredits und über die Generalbürgschaft
geändert. Durch das Gesetz Nr. 154/92 wurden die Banken verpflichtet, den
Höchstbetrag der Generalbürgschaft im voraus festzulegen.
- 14.
- Außerdem legte die ABI ihre Einheitlichen Bankbedingungen mit Schreiben vom
22. Februar 1993 der Kommission zur Prüfung im Licht des Artikels 85 EG-Vertrag
vor. Die Bankbedingungen wurden auch der Banca d'Italia als der für die
Anwendung der Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs auf dem Kreditmarkt
zuständigen nationalen Behörde vorgelegt.
- 15.
- Mit Schreiben vom 7. Juli 1993 teilte die Kommission der Banca d'Italia mit, daß
sie nur drei der 26 angemeldeten Vereinbarungen prüfen werde. Ohne zu der
Frage einer möglichen Wettbewerbsbeschränkung Stellung zu nehmen, teilte die
Kommission mit, die meisten Vereinbarungen, darunter diejenigen über die
Gewährung eines Kontokorrentkredits und über die Generalbürgschaft, erschienen
jedenfalls nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu
beeinträchtigen. Zum einen seien die betreffenden Bankdienstleistungen auf das
Staatsgebiet beschränkt und beträfen wirtschaftliche Tätigkeiten, die aufgrund
vertraglicher Festlegung oder naturgemäß nur auf dem italienischen Staatsgebiet
ausgeübt würden oder einen sehr geringen Einfluß auf den Handel zwischen
Mitgliedstaaten hätten; zum anderen sei die Beteiligung der Tochtergesellschaften
oder Zweigstellen nichtitalienischer Finanzinstitute beschränkt. Die Kommission
wolle daher diese Vereinbarungen nicht weiter überprüfen, weil Artikel 85
EG-Vertrag auf sie nicht anwendbar sei.
- 16.
- Nur hinsichtlich von Vereinbarungen über die Bedingungen für die Gewährung von
Kontokorrentkrediten in Fremdwährungen und für Dienste im Rahmen der
Einlösung und Annahme von in- und ausländischen Effekten oder sonstigen
Papieren bejahte die Kommission ihre Zuständigkeit.
- 17.
- Am 23. November 1993 eröffnete die Banca d'Italia ein Verfahren nach dem
Gesetz Nr. 287/90, dessen Artikel 2 Absatz 2 Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
entspricht, zur Prüfung der 23 Vereinbarungen, die von der Kommission nicht
geprüft worden waren. Das Verfahren wurde mit Entscheidung Nr. 12 vom 3.
Dezember 1994 (Bolletino dell'Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato
vom 19. Dezember 1994, Jahr IV, Nr. 48, S. 75) abgeschlossen, in der die Banca
d'Italia feststellte, daß die NBU über die Bürgschaften für die Gewährung eines
Kredits ebenso wie die über die Gewährung eines Kontokorrentkredits geeignet
seien, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. In dieser Entscheidung wurde die ABI
aufgefordert, die Vereinbarungen zu ändern und diese Änderung ihren Mitgliedern
mitzuteilen. Die ABI wurde außerdem aufgefordert, den Banken mitzuteilen, daß
die NBU nur eine Leitlinie ohne jeden zwingenden Charakter darstellten, sie auch
nicht den Wert einer Empfehlung hätten, und es somit jedem Mitglied freistehe,
sie zu übernehmen, nicht zu verwenden oder beliebig abzuändern.
- 18.
- In der Folge dieser Entscheidung änderte die ABI die NBU in dem von der Banca
d'Italia geforderten Sinn. Diese Änderungen wirken jedoch nicht auf frühere
Verträge zurück.
Zur Zulässigkeit der Vorlage
- 19.
- Die BPN macht zunächst geltend, die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen seien
für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich. Aus den
vertraglichen Unterlagen und dem Vollstreckungsbescheid ergebe sich hinsichtlich
der Kreditgewährung eindeutig, daß die Klauseln und demgemäß die von der ABI
vorgeschriebenen Regelungen keine variablen oder von den Marktbedingungen
abhängige Zinssätze vorsähen, sondern im Gegenteil feste Zinssätze, sowie
hinsichtlich der Bürgschaft, daß es sich um einen Vertrag handele, bei dem ein
möglicher Verstoß einer Klausel gegen die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag ohne
Belang sei.
- 20.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache der nationalen Gerichte, die mit
einem Rechtsstreit befaßt sind und die die zu treffende Entscheidung verantworten
müssen, unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage sowohl die
Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die
Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl.
Urteile vom 7. Dezember 1995 in der Rechtssache C-472/93, Spano u. a., Slg. 1995,
I-4321, Randnr. 15, und vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache C-373/95, Maso u. a.,
Slg. 1997, I-4051, Randnr. 26). Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur
zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der
Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder der Prüfung der Gültigkeit einer
Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, um die das Gericht ersucht, und der Realität
oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits besteht (vgl. insbesondere Urteile
Spano u. a., Randnr. 15, und vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93,
Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 61).
- 21.
- Im vorliegenden Fall enthalten die zwischen den Parteien der Ausgangsverfahren
geschlossenen Verträge Klauseln, die denen der NBU entsprechen; das nationale
Gericht hat es für erforderlich gehalten, den Gerichtshof um eine Auslegung des
Gemeinschaftsrechts zu ersuchen, um die Vereinbarkeit dieser NBU mit den
Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag beurteilen zu können.
- 22.
- Damit kann den von der BPN erhobenen Einwänden gegen die Zulässigkeit der
Vorlagefragen nicht gefolgt werden; diese sind zu beantworten.
Zur ersten Frage
- 23.
- Die erste Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob die NBU eine
Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken oder geeignet sind, den
Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu
beeinträchtigen, soweit sie es den Banken gestatten, in den Verträgen über die
Gewährung eines Kontokorrentkredits vorzusehen, daß der Zinssatz jederzeit
aufgrund der Entwicklung auf dem Geldmarkt geändert werden kann, wobei die
Änderung durch Aushang in den Geschäftsräumen der Niederlassungen der Bank
oder in einer anderen ihnen zweckmäßig erscheinenden Weise, bekanntzumachen
ist.
- 24.
- Die Kläger machen geltend, in Italien bestehe ein Kartell für die Festsetzung der
Zinssätze, die die Banken von ihren Schuldnern fordern; es gebe sogar
Vereinbarungen oder Absprachen über die allgemeinen Vertragsbedingungen, die
die ABI mittels der NBU ausarbeite und die die Banken systematisch in die
Musterverträge aufnähmen, die sie ihren Kunden vorlegten. Aufgrund dieser
Klauseln werde die Position des Hauptschuldners und des Bürgen, die
Verpflichtungen bei einer italienischen Bank hätten, unabhängig von deren
Staatsangehörigkeit, gegenüber der Stellung jedes anderen Schuldners und/oder
Bürgen geschwächt, der mit einer Bank in einem anderen Mitgliedstaat
Verhandlungen führe.
- 25.
- Selbst der Anfangszins sei nicht das Ergebnis einer freien Aushandlung zwischen
den Parteien, weil die Mitgliedsbanken der ABI verpflichtet seien, die
Kartellentscheidungen zu beachten; der Kunde könne deswegen keine wesentlichen
Unterschiede zwischen den Zinssätzen der verschiedenen Kreditinstitute feststellen.
- 26.
- Zudem hätten die Banken die Möglichkeit, die Zinssätze, die Gebühren und die
anderen Bedingungen einseitig zu ändern. Der einzige Schutz für den Kunden
bestehe in der Kündigung des Vertrages. Diese Möglichkeit sei jedoch rein
theoretisch, weil der Kunde aufgrund des Bankenkartells nur mit großen
Schwierigkeiten ein Kreditinstitut finde, das andere Zinssätze anwende. Der Kunde,
der einen Kontokorrentkredit in Anspruch nehmen wolle, sei daher von den
Mitgliedsbanken der ABI vollkommen abhängig.
- 27.
- Die BPN macht geltend, die Annahme, ihre Verträge beruhten auf von der ABI
ausgeübten Zwängen und auferlegten Verpflichtungen, wie im Vorlagebeschluß
beschrieben, sei rein fiktiv und wirklichkeitsfremd. Außerdem zeige die
Untersuchung des relevanten Marktes sowohl hinsichtlich der angebotenen
Leistungen als auch geographisch , daß die Tätigkeit der Banken keinen
hinreichend weiten Spielraum lasse, um eine einheitliche „Bankenpolitik“ zu
verfolgen, durch die der Wettbewerb verhindert, beschränkt oder verfälscht werden
könnte.
- 28.
- Die Carige führt aus, die Regelung, die die nicht bestimmten und feststellbaren
Zinssätze betreffe, verstoße nicht gegen Artikel 85 EG-Vertrag, da sie nicht das
Ergebnis von Vereinbarungen zwischen Unternehmen sei, die geeignet seien, den
Wettbewerb auf dem Markt der Leistungen hinsichtlich des Kapitaltransfers
spürbar zu beeinträchtigen.
- 29.
- Die italienische Regierung führt aus, die ABI habe der Kommission mit Schreiben
vom 22. Februar 1993 die die NBU enthaltenden Rundschreiben, die sie an ihre
Mitglieder versandt habe, zur Kenntnis gebracht, damit diese sie im Lichte des
Artikels 85 EG-Vertrag prüfe. Die Bankbedingungen seien auch der Banca d'Italia
als der für die Anwendung der Regelung im Bereich des Schutzes des Wettbewerbs
und des Marktes auf dem Kreditsektor zuständigen nationalen Behörde vorgelegt
worden.
- 30.
- Nur hinsichtlich von Vereinbarungen über die Bedingungen für die Gewährung von
Kontokorrentbarkrediten, von Kontokorrentkrediten in Fremdwährungen und für
Dienste im Rahmen der Einlösung und Annahme von in- und ausländischen
Effekten und sonstigen Papieren habe die Kommission ihre Zuständigkeit bejaht.
Um diese Vereinbarungen gehe es in der vorliegenden Rechtssache nicht.
- 31.
- Die Kommission führt aus, es sei zwar nicht ausgeschlossen, daß die betreffenden
Klauseln wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hätten, weil sie zu einer
Beschränkung der Vertragsfreiheit der Mitgliedsbanken der ABI führten, sie seien
jedoch nicht mit Artikel 85 EG-Vertrag unvereinbar, weil eine spürbare
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten nicht vorliege.
- 32.
- Nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag sind alle Vereinbarungen zwischen
Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen verboten, welche den Handel zwischen
Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen
Marktes bezwecken oder bewirken.
- 33.
- Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist für die Beurteilung der Frage,
ob eine Vereinbarung wegen der durch sie bewirkten Wettbewerbsstörungen als
verboten anzusehen ist, der Wettbewerb so zu betrachten, wie er ohne die fragliche
Vereinbarung bestehen würde (vgl. die Urteile vom 28. Mai 1998 in der
Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnr. 76, und in der
Rechtssache C-8/95 P, New Holland Ford/Kommission, Slg. 1998, I-3175,
Randnr. 90).
- 34.
- Auch wenn Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag diese Betrachtung nicht auf die
tatsächlichen Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb im
Gemeinsamen Markt beschränkt, sondern auch potentielle Auswirkungen zu
berücksichtigen sind, wird eine Vereinbarung nicht von der Verbotsvorschrift des
Artikels 85 erfaßt, wenn sie den Markt nur geringfügig beeinträchtigt (Urteile
Deere/Kommission, Randnr. 77, und New Holland Ford/Kommission, Randnr. 91).
- 35.
- Die Gewährung eines Kontokorrentkredits hängt naturgemäß von der Befugnis der
Bank ab, den zunächst vereinbarten Zinssatz nach Maßgabe von
Referenzgesichtspunkten, insbesondere den Bedingungen der Refinanzierung des
Kredits, zu ändern. Zwar birgt diese Befugnis für den Bankkunden das Risiko einerZinserhöhung während der Vertragsdauer, sie eröffnet ihm jedoch auch die
Möglichkeit einer Zinssenkung. Wenn demnach wie im vorliegenden Fall die
Änderung des Zinssatzes von objektiven Gesichtspunkten wie der Entwicklung auf
dem Geldmarkt abhängt, so kann ein Kartell, das die Möglichkeit ausschließt, einen
festen Zinssatz zu vereinbaren, keine spürbaren wettbewerbsbeschränkenden
Auswirkungen haben.
- 36.
- Was die Klausel betrifft, nach der die Banken Änderungen des Zinssatzes durch
Aushang in ihren Geschäftsräumen oder in einer anderen ihnen zweckmäßig
erscheinenden Weise bekanntzumachen haben, so wird ihnen damit keine geeignete
Form der Mitteilung an ihre Kunden untersagt.
- 37.
- Die erste Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß die NBU keine
Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag
bezwecken oder bewirken, soweit sie es den Banken gestatten, in Verträgen über
die Gewährung eines Kontokorrentkredits vorzusehen, daß der Zinssatz jederzeit
aufgrund der Entwicklung auf dem Geldmarkt geändert werden kann, wobei die
Änderung durch Aushang in den Geschäftsräumen der Niederlassungen der Bank
oder in einer anderen ihnen zweckmäßig erscheinenden Weise bekanntzumachen
ist.
Zur dritten Frage
- 38.
- Die dritte Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob die NBU, soweit sie die
Generalbürgschaft zur Sicherung der Gewährung eines Kontokorrentkredits, wie
in Randnummer 11 beschrieben, regeln, in ihrer Gesamtheit eine Einschränkung
des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken oder geeignet sind, den Handel
zwischen Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu
beeinträchtigen.
- 39.
- Die Kläger führen aus, nach der italienischen Rechtsprechung sei derjenige, der bei
einer in Italien tätigen Bank eine Bürgschaft übernehme, verpflichtet, alle Beträge
zu zahlen, die die Bank aufgrund gegenwärtiger oder zukünftiger Geschäfte mit
dem Hauptschuldner fordere, gleichgültig, ob es sich dabei um übliche,
untergeordnete oder gelegentliche Geschäfte handele, selbst wenn sich dadurch im
Laufe der Geschäftsbeziehungen aufgrund des Ermessens der Bank die Schuld des
Kunden in unvorhergesehener Weise erhöhte.
- 40.
- Die Kläger berufen sich auf Punkt 7 Absatz 5 des Bürgschaftsvertrags, wonach die
Verpflichtung ihre volle Wirksamkeit behalte, auch wenn die Hauptschuld, aus
welchen Gründen auch immer, nicht bestehe, so daß der Bürge im Falle einer
Feststellung der Nichtigkeit oder einer Annullierung der Hauptschuld so hafte, als
ob er diese selbst übernommen hätte.
- 41.
- Die Carige führt demgegenüber aus, die von der ABI für den
Generalbürgschaftsvertrag zur Sicherung einer Kreditgewährung vorgeschriebenen
NBU seien mit Artikel 85 EG-Vertrag vereinbar, weil sie aufgrund der Art der
erbrachten Dienstleistungen nicht geeignet seien, den Wettbewerb auf dem Markt
spürbar zu beeinflussen.
- 42.
- Die Kommission führt aus, soweit ihr gegenwärtig bekannt sei, hätten
grenzüberschreitende Angebote und Nachfragen von Bankdienstleistungen, die die
Gewährung eines Kontokorrentkredits mit Generalbürgschaft beträfen, keine
entscheidende Bedeutung für das Tätigwerden von Banken anderer Mitgliedstaaten
auf dem italienischen Finanzmarkt. Sie verweist auf ihre Erwägungen in dem
Schreiben vom 7. Juli 1993 und macht geltend, die NBU, aufgrund deren die
beiden in den Ausgangsverfahren streitigen Verträge geschlossen worden seien,
erfüllten eine der Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 85 Absatz 1
EG-Vertrag nicht: Sie seien nicht geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten
spürbar zu beeinträchtigen.
- 43.
- Die Bürgschaft stellt eine klassische Sicherungsform dar, durch die u. a. der
Schuldsaldo eines Kontokorrents gesichert werden kann. Im italienischen Recht ist
die Bürgschaft Gegenstand einer eigenen Regelung im Zivilgesetzbuch, die in
bestimmtem Umfang abdingbar ist.
- 44.
- Die in den NBU enthaltenen „Bedingungen für die Bürgschaft für Bankgeschäfte“,
die von der Regelung des Zivilgesetzbuchs abweichen, sollen die Forderungen der
Banken möglichst wirksam schützen.
- 45.
- Andererseits beschränken diese Bedingungen, da sie nach den Feststellungen des
nationalen Gerichts für die Mitglieder der ABI bindend sind, die Vertragsfreiheit
der Banken und hindern sie, ihren Kunden bei der Kreditgewährung günstigere
Bedingungen für den lediglich akzessorischen Bürgschaftsvertrag einzuräumen, der
jedoch in der Praxis häufig Voraussetzung für den Abschluß des Hauptvertrags ist
(vgl. Urteil vom 17. März 1998 in der Rechtssache C-45/96, Dietzinger, Slg. 1998,
I-1199, Randnr. 18).
- 46.
- Unter diesen Umständen ist vor der Frage, ob diese Einschränkung der
Vertragsfreiheit spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, die Frage zu
untersuchen, welche möglichen Auswirkungen auf den Handel zwischen
Mitgliedstaaten Klauseln wie die haben, die in den Ausgangsverfahren in den
streitigen Generalbürgschaftsverträgen enthalten sind.
- 47.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Vereinbarung zwischen Unternehmen
geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn sich
anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß sie den Warenverkehr
zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell in
einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes
nachteiligen Sinn beeinflussen kann (Urteil vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache
42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 22). Somit ergibt sich eine
Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels regelmäßig aus dem
Zusammenwirken mehrerer Umstände, die für sich genommen nicht in jedem Fall
erheblich wären (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-250/92,
DLG, Slg. 1994, I-5641, Randnr. 54).
- 48.
- Nach ständiger Rechtsprechung fordert Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag ferner
nicht, daß die dort genannten Vereinbarungen den innergemeinschaftlichen Handel
tatsächlich spürbar beeinträchtigen, sondern verlangt nur den Nachweis ihrer
Eignung, eine derartige Wirkung zu entfalten (vgl. Urteil vom 17. Juli 1997 in der
Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I-4411, Randnr. 19).
- 49.
- Im vorliegenden Fall könnte sich die Regelung der Generalbürgschaft in der Weise
auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken, daß sich in Italien
niedergelassene Tochtergesellschaften oder Zweigstellen von Banken anderer
Mitgliedstaaten verpflichtet sähen, die NBU zu verwenden und damit auf die
Anwendung günstigerer Bedingungen zu verzichten, um in den Genuß der Vorteile
der Zugehörigkeit zur ABI zu gelangen. Auch könnte die Freiheit von Kunden zum
Abschluß eines Vertrages über die Gewährung eines Kontokorrentkredits bei einer
Bank ihrer Wahl wegen der Zugehörigkeit der meisten italienischen Banken zur
ABI eingeschränkt sein, wenn der Abschluß von der Stellung einer Bürgschaft
abhängig ist, die den im wesentlichen bindenden NBU unterworfen ist.
- 50.
- Grundsätzlich ist die Beantwortung der Frage, ob der Tatbestand des Artikels 85
Absatz 1 EG-Vertrag erfüllt ist, von komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen
abhängig, die das nationale Gericht, gegebenenfalls anhand der in der
Rechtsprechung des Gerichtshofes aufgestellten Kriterien, vorzunehmen hat. Unter
gewissen Voraussetzungen erscheint eine solche Prüfung angesichts der vom
Gerichtshof gegebenen Hinweise jedoch nicht erforderlich (vgl. Urteil DLG,
Randnr. 55). Dies ist hier der Fall.
- 51.
- Die Kommission, der die ABI die Frage der Vereinbarkeit der Klauseln über die
Generalbürgschaft mit Artikel 85 EG-Vertrag vorgelegt hatte, stellte fest, daß die
betreffende Bankdienstleistung nur einen sehr beschränkten Einfluß auf den
Handel zwischen Mitgliedstaaten habe und daß auch die Beteiligung von
Tochtergesellschaften und Zweigstellen nichtitalienischer Finanzinstitute gering sei
(vgl. Randnr. 15). Außerdem hat die Kommission in Beantwortung einer Frage des
Gerichtshofes ausgeführt, die mit einer Generalbürgschaft verbundenen
Kreditverträge hätten für die Hauptkundschaft der ausländischen Banken, bei der
es sich um Großunternehmen und ausländische Wirtschaftsteilnehmer handele,
keine große, jedenfalls aber keine ausschlaggebende Bedeutung für die
Entscheidung ausländischer Banken, sich in Italien niederzulassen. Denn Verträge
wie die in den Ausgangsverfahren streitigen würden von diesem Kundenkreis nur
selten geschlossen. Diese Feststellungen der Kommission wurden im Rahmen des
vorliegenden Verfahrens nicht entkräftet.
- 52.
- Im übrigen enthalten die Akten keinen Hinweis, aus dem mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit auf spürbare Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen
Handel geschlossen werden könnte, wenn Kunden, die einen Vertrag über die
Gewährung eines Kontokorrentkredits abschließen möchten, aufgrund der NBU zur
Generalbürgschaft bei der Entscheidung für eine Bank Zurückhaltung üben.
- 53.
- Die dritte Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß vom allgemeinen
Bürgschaftsrecht abweichende NBU, die die Generalbürgschaft zur Sicherung der
Gewährung eines Kontokorrentkredits regeln, wie die in den Ausgangsverfahren
streitigen, in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Handel zwischen
Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu beeinträchtigen.
Zur zweiten und zur vierten Frage
- 54.
- Die zweite und die vierte Frage des vorlegenden Gerichts gehen zunächst dahin,
ob die Verwendung der NBU die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden
Stellung durch die Mitgliedsbanken der ABI im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag
darstellt. Weiter stellt es die Frage, welche Auswirkungen eine mögliche
Unvereinbarkeit der NBU mit den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag auf die
entsprechenden Klauseln der Verträge haben könnte, die die Banken mit ihren
Kunden geschlossen haben.
- 55.
- Die BPN sieht nicht, inwieweit die streitigen Klauseln Ausdruck einer
beherrschenden Stellung sein könnten, weil die Selbstbeschränkung, die sich aus der
Überziehungshöchstgrenze und aus den Klauseln, durch die für die Bürgschaft
spezifische Kündigungs-, Informations- und ähnliche Rechte eingeräumt würden,
ergebe, der Annahme widerspreche, daß durch einheitliche oder „Kartell-“Klauseln
ein vertraglicher Wille von unbeteiligten Dritten zur Beschränkung des freien
Wettbewerbs umgesetzt werden solle.
- 56.
- Die Kommission verweist zunächst auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl.
Urteil vom 17. Oktober 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-140/94 bis
C-142/94, DIP u. a., Slg. 1995, I-3257, Randnrn. 26 und 27) und macht geltend,
allein der Umstand, daß die ABI fast alle italienischen Banken erfasse, erlaube
noch nicht die Annahme, ihre Mitglieder hätten in ihrer Gesamtheit eine kollektive
beherrschende Stellung inne.
- 57.
- Selbst unterstellt, die Mitgliedsbanken der ABI nähmen in ihrer Gesamtheit eine
kollektive beherrschende Stellung ein, könnte nicht davon ausgegangen werden, daß
die vom nationalen Gericht beschriebenen Verhaltensweisen einen Mißbrauch
dieser Stellung darstellten.
- 58.
- Nach Artikel 86 EG-Vertrag ist die mißbräuchliche Ausnutzung einer
beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem
wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar oder verboten, soweit dies dazu führen kann, den
Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
- 59.
- Es kann dahinstehen, ob die Mitgliedsbanken der ABI eine kollektive
beherrschende Stellung im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag innehaben. Hängt die
Änderung des Zinssatzes eines Kontokorrentkredits, wie sich aus der Prüfung der
ersten Frage ergibt, von objektiven Gesichtspunkten wie der Entwicklung auf dem
Geldmarkt ab, dann stellt diese Verhaltensweise jedenfalls keine mißbräuchliche
Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag
dar.
- 60.
- Hinsichtlich der NBU, die die Generalbürgschaft zur Sicherung der Gewährung
eines Kontokorrentkredits regeln, folgt aus der Prüfung der dritten Frage, daß ihre
Verwendung insgesamt nicht geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten
spürbar zu beeinträchtigen.
- 61.
- Die zweite und die vierte Frage sind demgemäß dahin zu beantworten, daß die
Verwendung der genannten NBU keine mißbräuchliche Ausnutzung einer
beherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag darstellt.
- 62.
- Angesichts der Antworten auf die vorangehenden Fragen erübrigt sich die
Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen eine mögliche Unvereinbarkeit der
NBU mit den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag auf die entsprechenden Klauseln der
Verträge haben könnte, die die Banken mit ihren Kunden geschlossen haben.
Kosten
- 63.
- Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der EuropäischenGemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschlüssen vom 15. Mai 1996 vorgelegten
Fragen für Recht erkannt:
1. Einheitliche Bankbedingungen bezwecken oder bewirken keine
Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne des Artikels 85 Absatz 1
EG-Vertrag, soweit sie es den Banken gestatten, in Verträgen über die
Gewährung eines Kontokorrentkredits vorzusehen, daß der Zinssatz
jederzeit aufgrund der Entwicklung auf dem Geldmarkt geändert werden
kann, wobei die Änderung durch Aushang in den Geschäftsräumen der
Niederlassungen der Bank oder in einer anderen ihnen zweckmäßig
erscheinenden Weise bekanntzumachen ist.
2. Vom allgemeinen Bürgschaftsrecht abweichende Einheitliche
Bankbedingungen, die die Generalbürgschaft zur Sicherung der Gewährung
eines Kontokorrentkredits regeln, wie die in den Ausgangsverfahren
streitigen, sind in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, den Handel zwischen
Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu
beeinträchtigen.
3. Die Verwendung der genannten Einheitlichen Bankbedingungen stellt keine
mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des
Artikels 86 EG-Vertrag dar.
Hirsch Mancini Murray
Ragnemalm Ioannou
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Januar 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
P. J. G. Kapteyn