URTEIL DES GERICHTSHOFES
21. September 1999 (1)
„Pflichtmitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds Vereinbarkeit mit den
Wettbewerbsregeln Qualifizierung eines Betriebsrentenfonds als
Unternehmen“
In der Rechtssache C-67/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234
EG) vom Kantongerecht Arnheim (Niederlande) in den bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Albany International BV
gegen
Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 85,
86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter
J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), C. Gulmann, J. L. Murray,
D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, L. Sevón und M. Wathelet,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Albany International BV, vertreten durch die Rechtsanwälte
T. R. Ottervanger, Rotterdam, und H. van Coeverden, Den Haag,
der Stichting Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie, vertreten duch die
Rechtsanwälte E. Lutjens, Amsterdam, und O. Meulenbelt, Utrecht,
der niederländischen Regierung, vertreten durch A. Bos, Rechtsberater im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und
Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, beide Bundesministerium für
Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Leiterin
der Abteilung für internationales Wirtschaftsrecht und Gemeinschaftsrecht
in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und C. Chavance, Sekretär für Auswärtige
Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
W. Wils, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Albany International BV,
vertreten durch Rechtsanwalt T. R. Ottervanger, der Stichting
Bedrijfspensioenfonds Textielindustrie, vertreten durch die Rechtsanwälte
E. Lutjens und O. Meulenbelt, der niederländischen Regierung, vertreten durch
M. A. Fierstra, Leiter der Abteilung Europäisches Recht im Ministerium für
Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der französischen Regierung,
vertreten durch C. Chavance, der schwedischen Regierung, vertreten durch
A. Kruse, Departementsråd im Juristischen Sekretariat (EU) des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten
durch W. Wils, in der Sitzung vom 17. November 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28.
Januar 1999,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Kantongerecht Arnheim hat mit Urteil vom 4. März 1996 gemäß Artikel 177
EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 85,
86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Albany International
BV (im folgenden: Firma Albany) und der Stichting Bedrijfspensioenfonds
Textielindustrie (Stiftung Betriebsrentenfonds für die Textilindustrie; im folgenden:
Fonds) über die Weigerung der Firma Albany, an den Fonds die Beiträge für das
Jahr 1989 zu zahlen, und zwar mit der Begründung, daß die Pflichtmitgliedschaft
im Fonds, aufgrund deren diese Beiträge von ihr gefordert würden, gegen Artikel
3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g
EG) sowie die Artikel 85, 86 und 90 des Vertrages verstoße.
Die nationalen Rechtsvorschriften
- 3.
- Das niederländische Rentensystem ruht auf drei Pfeilern.
- 4.
- Der erste besteht aus einer gesetzlichen Grundrente, die vom Staat nach der
Algemene Ouderdomswet (Gesetz zur Einführung eines allgemeinen
Altersrentensystems; im folgenden: AOW) und der Algemene Nabestaandenwet
(Gesetz über die Allgemeine Hinterbliebenenversicherung) gewährt wird. Dieses
allgemeinverbindliche gesetzliche System begründet für die gesamte Bevölkerung
einen Anspruch auf eine Rente von beschränkter Höhe, die unabhängig von dem
zuvor tatsächlich bezogenem Lohn ist und auf der Grundlage des gesetzlichen
Mindestlohns berechnet wird.
- 5.
- Den zweiten Pfeiler bilden die im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit
als Arbeitnehmer oder Selbständiger gewährten Zusatzrenten, die in den meisten
Fällen die Grundrente ergänzen. Diese Zusatzrenten werden im allgemeinen im
Rahmen von kollektiven Systemen, die für einen Wirtschaftssektor, einen Beruf
oder die Arbeitnehmer eines Unternehmens gelten, durch Rentenfonds verwaltet,
bei denen die Mitgliedschaft wie in den Ausgangsverfahren u. a. durch die Wet van
17 maart 1949 houdende vaststelling van en regeling betreffende verplichte
deelneming in een bedrijfspensioenfonds (Gesetz vom 17. März 1949 über die
Festlegung einer Regelung betreffend die Pflichtmitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds; im folgenden: BPW) verbindlich vorgeschrieben worden ist.
- 6.
- Der dritte Pfeiler wird durch individuelle Rentenversicherungs- oder
Lebensversicherungsverträge gebildet, die auf freiwilliger Grundlage geschlossen
werden können.
- 7.
- Nach der Wet op de loonbelasting (Lohnsteuergesetz) sind Prämien, die dazu
dienen, einen Rentenanspruch zu begründen, nur abzugsfähig, wenn diese Rente
ein „angemessenes“ Niveau nicht überschreitet. Die Prämien sind bei der
Begründung eines Rentenanspruchs, der dieses Niveau überschreitet, nicht
abzugsfähig. Dieses Niveau beträgt für eine Berufslaufbahn von 40 Jahren 70 % der
individuellen Bezüge am Ende der Berufslaufbahn. Diese steuerliche Regelung hat
zur Folge, daß die gegenwärtig in den Niederlanden geltende Norm in bezug auf
die Begründung eines Rentenanspruchs eine Rente einschließlich der Rente im
Rahmen der AOW ist, die sich auf 70 % des letzten Lohnes beläuft.
- 8.
- Artikel 1 Absatz 1 BPW in der Fassung des Gesetzes vom 11. Februar 1988
bestimmt:
„1. In diesem Gesetz und den darauf beruhenden Bestimmungen bedeutet:
...
b. Betriebsrentenfonds: ein in einem Wirtschaftszweig tätiger Fonds, in
dem entweder nur zugunsten von Personen, die als Arbeitnehmer,
oder auch zugunsten von Personen, die in einer anderen Eigenschaft
in diesem Wirtschaftszweig tätig sind, Mittel für Renten gesammelt
werden.
...
f. unser Minister: der Minister für soziale und Arbeitsmarktfragen.“
- 9.
- Artikel 3 BPW in seiner geänderten Fassung sieht folgendes vor:
„1. Unser Minister kann auf Antrag einer seiner Auffassung nach hinreichend
repräsentativen Vertretung der organisierten gewerblichen Wirtschaft in einem
Wirtschaftszweig nach Rücksprache mit dem Leiter des Departement von
Algemeen Bestuur (Abteilung für Allgemeine Verwaltung), in dessen Zuständigkeit
die Angelegenheiten des betreffenden Wirtschaftszweigs fallen, und nach Anhörung
des Sociaal-Economische Raad (Wirtschafts- und Sozialrat) und der
Verzekeringskamer (Versicherungskammer) die Mitgliedschaft im
Betriebsrentenfonds für alle oder für bestimmte Gruppen von Angehörigen des
Wirtschaftszweigs verbindlich vorschreiben.
2. In dem im vorstehenden Absatz geregelten Fall sind alle zu den in diesem
Absatz genannten Gruppen gehörenden Personen sowie, soweit es sich um
Arbeitnehmer handelt, ihre Arbeitgeber verpflichtet, die in bezug auf sie durch die
aufgrund der Satzungen und Geschäftsordnungen des Betriebsrentenfonds
getroffenen Regelungen zu beachten. Die Beachtung dieser Regelungen kann, auch
was die Zahlung der Prämien angeht, gerichtlich durchgesetzt werden.“
- 10.
- Artikel 5 Absatz 2 BPW in seiner geänderten Fassung zählt mehrere
Voraussetzungen dafür auf, daß der Minister für soziale und Arbeitsmarktfragen
einem Antrag auf Anordnung der Pflichtmitgliedschaft im Sinne von Artikel 3
Absatz 1 entsprechen kann. So müssen die Satzungen und die Geschäftsordnungen
des Betriebsrentenfonds gemäß Artikel 5 Absatz 2, III und IV BPW in der
geänderten Fassung die Interessen der Mitglieder ausreichend gewährleisten, und
die Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände des betreffenden
Wirtschaftszweigs müssen mit der gleichen Zahl von Sitzen im Verwaltungsausschuß
des Fonds vertreten sein.
- 11.
- Artikel 5 Absatz 2, II, Buchstabe l BPW in der geänderten Fassung sieht außerdem
vor, daß die Satzungen und Geschäftsordnungen des Betriebsrentenfonds
Bestimmungen für die Fälle und die Voraussetzungen enthalten müssen, in denen
bzw. unter denen Angehörige des betreffenden Wirtschaftszweigs nicht verpflichtet
sind, Mitglieder dieses Fonds zu werden, oder von bestimmten Verpflichtungen
gegenüber dem Fonds freigestellt werden können.
- 12.
- Artikel 5 Absatz 3 BPW der geänderten Fassung bestimmt:
„Unser Minister für soziale und Arbeitsmarktfragen erläßt nach Anhörung der
Versicherungskammer und des Wirtschafts- und Sozialrates Richtlinien für die in
Absatz 2, II, Buchstabe l genannten Fragen. Beim Erlaß dieser Richtlinien ist davon
auszugehen, daß die betroffenen Angehörigen des Wirtschaftszweigs, die bereits
mindestens sechs Monate vor der Stellung des Antrags im Sinne von Artikel 3
Absatz 1 Mitglieder eines Unternehmensrentenfonds waren oder sich bei einer
Lebensversicherungsgesellschaft versichert hatten, nicht verpflichtet sind, Mitglieder
dieses Betriebsrentenfonds zu werden oder von der Verpflichtung zur Zahlung von
Prämien an diesen Fonds ganz oder zu einem angemessenen Teil freigestellt
werden, sofern und solange sie nachweisen können, daß sie während des Zeitraums,
für den sie nicht Mitglied zu werden brauchen oder aber ganz oder zu einem
angemessenen Teil von der Verpflichtung zur Prämienzahlung freigestellt sind,
Rentenansprüche erwerben, die zumindest den Ansprüchen gleichwertig sind, die
sie bei Mitgliedschaft in dem Betriebsrentenfonds erwerben würden. In bezug auf
andere Teile des zweiten Absatzes kann unser Minister ebenfalls Richtlinien
erlassen.“
- 13.
- Durch die Beschikking van 29 december 1952 betreffende de vaststelling van de
richtlijnen voor de vrijstelling van deelneming in een bedrijfspensioenfonds wegens
een bijzondere pensioenvoorziening (Erlaß vom 29. Dezember 1952 betreffend die
Festlegung der Richtlinien für die Freistellung von der Mitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds wegen einer besonderen Rentenversorgung in der Fassung des
Erlasses vom 15. August 1988; im folgenden: Freistellungsrichtlinien) hat der
Minister für soziale und Arbeitsmarktfragen die in Artikel 5 Absatz 3 BPW in der
geänderten Fassung genannten Richtlinien erlassen.
- 14.
- Artikel 1 der Freistellungsrichtlinien in ihrer geänderten Fassung sieht vor:
„Eine Freistellung von der Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds oder von der Verpflichtung zur Zahlung von Prämien an einen
solchen Fonds kann auf Antrag eines Betroffenen durch diesen Fonds gewährt
werden, wenn für den betroffenen Angehörigen des Wirtschaftszweigs eine
besondere Rentenversicherung besteht, die folgenden Voraussetzungen entspricht:
a. sie muß bei einem Unternehmensrentenfonds, einem anderen
Betriebsrentenfonds, einem Versicherer, der im Besitz einer Konzession im Sinne
von Artikel 10 der Wet toezicht verzekeringsbedrijf (Versicherungsaufsichtsgesetz;
Stb. 1986, 638) ist, bestehen oder aber auf die Algemene burgerlijke pensioenwet
(Allgemeines Gesetz über die Zivilrenten des öffentlichen Dienstes, Stb. 1986, 540),
die Spoorwegenpensioenwet (Gesetz über die Renten der Beschäftigten der
niederländischen Eisenbahnen und ihrer Familienangehörigen, Stb. 1986, 541) oder
auf die Algemene Militaire pensioenwet (Allgemeines Gesetz über die
Militärrenten, Stb. 1979, 305) gestützt sein;
b. sie muß, was die Ansprüche angeht, die daraus hergeleitet werden können,
insgesamt gesehen der Regelung des Betriebsrentenfonds mindestens gleichwertig
sein;
c. die Rechte des betroffenen Angehörigen des Wirtschaftszweigs und die
Beachtung seiner Verpflichtungen müssen angemessen gewährleistet sein;
d. wenn die Freistellung den Austritt aus dem Fonds zur Folge hat, muß ein
nach Ansicht der Versicherungskammer angemessener Ausgleich für sich eventuell
daraus ergebende versicherungstechnische Nachteile für den Fonds angeboten
werden.“
- 15.
- Artikel 5 dieser Richtlinien in ihrer geänderten Fassung bestimmt außerdem:
„1. Die Freistellung muß gewährt werden, wenn die in Artikel 1 Buchstaben a,
b und c genannten Voraussetzungen erfüllt sind und wenn die besondere
Rentenversorgung sechs Monate vor der Stellung des Antrags galt, aufgrund dessendie Mitgliedschaft in dem Betriebsrentenfonds verbindlich vorgeschrieben worden
ist, und wenn nachgewiesen worden ist, daß der betroffene Angehörige des
Wirtschaftszweigs während des Zeitraums, in dem er nicht Mitglied zu werden
braucht oder aber ganz oder zu einem angemessenen Teil von der Verpflichtung
zur Prämienzahlung freigestellt ist, Rentenansprüche erwirbt, die zumindest den
Ansprüchen gleichwertig sind, die er bei Mitgliedschaft im Betriebsrentenfonds
erwerben würde.
2. Entspricht die besondere Rentenversicherung zu dem in Absatz 1 genannten
Zeitpunkt der in Artikel 1 Buchstabe b genannten Voraussetzung nicht, muß vor
der Entscheidung über den Antrag genügend Zeit für die Anpassung an diese
Voraussetzung gelassen werden.
3. Eine Freistellung im Sinne dieses Artikels muß zu dem Zeitpunkt in Kraft
treten, in dem die Mitgliedschaft im Betriebsrentenfonds verbindlich vorgeschrieben
wird.“
- 16.
- Artikel 9 dieser Richtlinien in ihrer geänderten Fassung bestimmt:
„1. Gegen eine Entscheidung im Sinne von Artikel 8 kann binnen 30 Tagen
nach dem Eingang der Entscheidung bei dem Betroffenen Beschwerde bei der
Versicherungskammer eingelegt werden. Gleichzeitig mit dieser Entscheidung setzt
der Betriebsrentenfonds den Betroffenen schriftlich von dem im vorstehenden Satz
Bestimmten in Kenntnis.
2. Die Versicherungskammer setzt den Betriebsrentenfonds und den
Beschwerdeführer von ihrer Entscheidung über die Beschwerde in Kenntnis.“
- 17.
- Die Beurteilung durch die Versicherungskammer stellt einen Schlichtungsversuch
dar. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung, die im Rahmen eines
Rechtsstreits verbindlich ist. Die Beurteilung durch die Versicherungskammer kann
weder mit einer Beschwerde noch mit einer Klage angefochten werden.
- 18.
- Außer den Vorschriften des BPW gilt für die Betriebsrentenfonds, bei denen die
Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben worden ist, die Wet van 15 mei 1962
houdende regelen betreffende pensioen- en spaarvoorzieningen (Gesetz vom 15.
Mai 1962 über Rentenfonds und Sparfonds, in der Folge mehrfach geändert; im
folgenden: PSW).
- 19.
- Die PSW soll soweit wie möglich gewährleisten, daß gegenüber den Arbeitnehmern
gemachte Rentenzusagen tatsächlich eingehalten werden.
- 20.
- Dazu verpflichtet Artikel 2 Absatz 1 PSW die Arbeitgeber, eine von drei
Regelungen zu wählen, durch die die für Rentenzwecke gesammelten Mittel vom
restlichen Vermögen des Unternehmens getrennt werden sollen. Der Arbeitgeber
kann sich einem Betriebsrentenfonds anschließen, einen Unternehmensrentenfonds
bilden oder Gruppen- oder Einzelversicherungen bei einer
Versicherungsgesellschaft abschließen.
- 21.
- Nach Artikel 1 Absatz 6 PSW gilt dieses Gesetz auch für Betriebsrentenfonds, bei
denen die Mitgliedschaft nach der BPW verbindlich vorgeschrieben ist.
- 22.
- Die PSW sieht auch eine Reihe von Voraussetzungen vor, denen die Satzungen
und Geschäftsordnungen eines Betriebsrentenfonds entsprechen müssen. So
bestimmt Artikel 4 PSW, daß die Bildung eines solchen Fonds dem Minister für
soziale und Arbeitsmarktfragen sowie der Versicherungskammer zu melden ist.
Artikel 6 Absatz 1 PSW bekräftigt, daß die Vertreter der
Arbeitgeberorganisationen und die Vertreter der Arbeitnehmerorganisationen des
betreffenden Wirtschaftszweigs im Verwaltungsausschuß eines Betriebsrentenfonds
mit der gleichen Zahl von Sitzen vertreten sein müssen.
- 23.
- Darüber hinaus legt die PSW in den Artikeln 9 und 10 die Regeln für die
Bewirtschaftung der gesammelten Mittel fest. Die allgemeine Regel dafür ist in
Artikel 9 formuliert, der die Rentenfonds verpflichtet, das mit den Rentenzusagen
verbundene Risiko zu verlagern oder es rückzuversichern. Abweichend von der
letztgenannten Regel erlaubt Artikel 10 den Rentenfonds, das gesammelte Kapital
auf eigene Gefahr selbst zu bewirtschaften und anzulegen. Will ein Rentenfonds
die Erlaubnis erhalten, in dieser Weise vorzugehen, so muß er den dafür
verantwortlichen Stellen einen Wirtschaftsplan vorlegen, in dem genau dargelegt
ist, wie er dem versicherungsmathematischen Risiko und dem finanziellen Risiko
zu begegnen denkt. Der Plan muß von der Versicherungskammer genehmigt
werden. Darüber hinaus stehen die Rentenfonds unter ständiger Überwachung. Die
versicherungsmathematischen Erfolgsrechnungen des Systems müssen der
Versicherungskammer regelmäßig zur Genehmigung vorgelegt werden.
- 24.
- Die Artikel 13 bis 16 der PSW enthalten schließlich die Regeln für die Anlage der
gesammelten Beträge. Nach Artikel 13 müssen die Aktiva des Systems zuzüglich
der voraussichtlichen Einnahmen ausreichen, um die Rentenzusagen zu decken.
Artikel 14 bestimmt, daß das Kapital umsichtig anzulegen ist.
Das Ausgangsverfahren
- 25.
- Der Fonds wurde nach der BPW errichtet. Durch einen Erlaß des Ministers für
soziale und Arbeitsmarktfragen vom 4. Dezember 1975 (im folgenden:
Pflichtmitgliedschaftserlaß) wurde die Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben.
- 26.
- Die Firma Albany betreibt ein Textilunternehmen, das seit 1975 Mitglied des Fonds
ist.
- 27.
- Bis 1989 war die Rentenregelung des Fonds eine Regelung mit Festbeträgen. Die
den Arbeitnehmern gewährte Rente stand nicht im Verhältnis zu ihrem Lohn,
sondern stellte einen Festbetrag für jeden Arbeitnehmer dar. Die Firma Albany
war der Auffassung, daß diese Rentenregelung zu dürftig sei und vereinbarte 1981
mit einer Versicherungsgesellschaft eine Zusatzrentenregelung für ihre
Arbeitnehmer mit dem Ziel, daß die Gesamtrente, auf die diese Anspruch haben
werden, sich auf 70 % ihres letzten Lohnes beläuft.
- 28.
- Mit Wirkung vom 1. Januar 1989 änderte der Fonds seine Rentenregelung. Nach
dieser erhalten die Arbeitnehmer nun einen Betrag, der ebenfalls 70 % des letzten
Lohnes entspricht.
- 29.
- Nach der Änderung der Rentenregelung des Fonds beantragte die Firma Albany
am 22. Juli 1989 eine Freistellung von der Mitgliedschaft. Dieser Antrag wurde vom
Fonds am 28. Dezember 1990 abgelehnt. Dieser war nämlich der Auffassung, nach
den Freistellungsrichtlinien dürfe eine solche Freistellung nur gewährt werden,
wenn die in diesen Richtlinien festgelegten Voraussetzungen erfüllt seien, und die
besonderen Rentenbestimmungen seien bereits sechs Monate vor der Stellung des
Antrags der Sozialpartner anwendbar, aufgrund dessen die Mitgliedschaft im
Betriebsrentenfonds für verbindlich erklärt worden sei.
- 30.
- Die Firma Albany legte gegen die Entscheidung des Fonds Beschwerde bei der
Versicherungskammer ein. Mit Entscheidung vom 18. März 1992 stellte diese fest,
auch wenn der Fonds im vorliegenden Fall nicht verpflichtet sei, die beantragte
Freistellung zu gewähren, müsse von ihm verlangt werden, daß er von seiner
Befugnis Gebrauch mache, eine Freistellung zu gewähren oder mindestens eine
Kündigungsfrist insoweit einzuräumen, als die Firma Albany für ihr Personal seit
mehreren Jahren eine Zusatzrentenregelung vertraglich vereinbart habe und als
diese Regelung seit dem 1. Januar 1989 der vom Fonds eingeführten Regelung
entspreche.
- 31.
- Der Fonds folgte der Stellungnahme der Versicherungskammer nicht und ließ der
Firma Albany am 11. November 1992 einen Mahnbescheid zustellen, mit dem ihr
aufgegeben wird, einen Betrag in Höhe von 36 700,29 NLG zu zahlen, der dem
Betrag der satzungsmäßigen Beiträge für 1989 zuzüglich Zinsen, Inkassokosten,
außergerichtlichen Kosten und Kosten für Rechtsbeistand entsprach.
- 32.
- Die Firma Albany legte gegen diesen Mahnbescheid Widerspruch beim
Kantongerecht Arnheim ein. Sie machte u. a. geltend, daß das System der
Pflichtmitgliedschaft beim Fonds gegen Artikel 3 Buchstabe g des Vertrages, 52 und
59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) sowie gegen
Artikel 85, 86 und 90 des Vertrages verstoße.
- 33.
- Die Firma Albany trägt vor, die Weigerung des Fonds, ihr eine Freistellung zu
gewähren, habe für sie nachteilige Auswirkungen. Ihre Versicherungsgesellschaft
räume ihr nämlich ungünstigere Bedingungen ein, da sie sich dem durch den Fonds
eingeführten Zusatzversicherungssystem anschließen müsse. Außerdem hätten
andere Betriebsrentenfonds, wie z. B. der Bedrijfspensioenfonds voor de
Bouwnijverheid (Betriebsrentenfonds für das Baugewerbe) und der
Bedrijfspensioenfonds voor het Schildersbedrijf (Betriebsrentenfonds für das
Malerhandwerk) den Unternehmen, die früher eine Zusatzrentenregelung
vereinbart hätten, eine Freistellung gewährt.
- 34.
- Der Fonds blieb bei der Auffassung, daß es im vorliegenden Fall keine rechtliche
Verpflichtung gebe, die beantragte Freistellung zu gewähren. Das Gericht könne
daher in diesem Zusammenhang nur eine marginale Prüfung vornehmen. Nach
Artikel 5 Absatz 3 BPW bestehe nur dann eine Verpflichtung zur Gewährung einer
Freistellung, wenn ein Unternehmen eine gleichwertige Rentenregelung mindestens
sechs Monate, bevor die Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben war, eingeführt
habe. Diese Freistellungsverpflichtung bestehe nur im Zeitpunkt des ersten Beitritts
zum Fonds und gelte nicht bei Änderung der Rentenregelung. Der Fonds betonte
außerdem die Bedeutung einer guten, auf Solidarität gegründeten Rentenregelung
für alle Arbeitnehmer und Unternehmen des Wirtschaftszweigs Textilindustrie und
wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Gewährung einer Freistellung
für die Firma Albany bedeuten würde, daß 110 seiner etwa 8 800 Mitglieder
ausscheiden würden.
- 35.
- Das Kantongerecht hat sich der Auffassung der Versicherungskammer
angeschlossen, daß die Zusatzrentenregelung der Firma Albany seit dem 1. Januar
1989 der vom Fonds eingeführten Rentenregelung gleichwertig sei. Die
Beziehungen zwischen einem Betriebsrentenfonds und einem Mitglied würden
beherrscht durch die Erfordernisse der Gerechtigkeit und der Billigkeit sowie durch
die allgemeinen Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung. Ein
Betriebsrentenfonds müsse daher bei seiner Entscheidung über die Gewährung
einer Freistellung die Stellungnahme einer durch Gesetz bestimmten unabhängigen
und sachverständigen Stelle weitgehend berücksichtigen.
- 36.
- Das Kantongerecht hat ausgeführt, daß die letzten drei Fragen nach der
Vereinbarkeit des niederländischen Systems der Pflichtmitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds mit den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft vom Gerichtshof
im Urteil vom 14. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-430/93 und
C-431/93 (Van Schijndel und Van Veen, Slg. 1995, I-4705) nicht geprüft worden
seien.
- 37.
- Unter diesen Voraussetzungen hat das Kantongerecht Arnheim unter Verweisung
auf seine Zwischenurteile vom 19. April 1993, 17. Januar 1994 und 9. Januar 1995
das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorbentscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Betriebsrentenfonds im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b
BPW ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85, 86 oder 90 EG-Vertrag?
2. Bei Bejahung der ersten Frage: Ist es eine von einem Mitgliedstaat
getroffene Maßnahme, die die praktische Wirksamkeit der für Unternehmen
geltenden Wettbewerbsregeln aufhebt, wenn die Mitgliedschaft für
Industrieunternehmen verbindlich vorgeschrieben wird?
3. Bei Verneinung der zweiten Frage: Können sonstige Umstände dazu führen,
daß die Pflichtmitgliedschaft mit Artikel 90 des Vertrages unvereinbar ist,
und wenn ja, welche?
Zur Zulässigkeit
- 38.
- Die französische Regierung, die niederländische Regierung und die Kommission
bezweifeln wegen des Fehlens einer hinreichend genauen Darstellung des
tatsächlichen und rechtlichen Rahmens der Ausgangsrechtsstreitigkeiten in
Vorlageurteil die Zulässigkeit der Vorlagefragen. Mangels einer detaillierten
Darstellung der für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten geltenden Regelung, der
Umstände, unter denen der Fonds errichtet worden sei, sowie der Regeln für die
Bewirtschaftung des Fonds durch das vorlegende Gericht könne der Gerichtshof
keine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts vornehmen und die
Mitgliedstaaten sowie die sonstigen Beteiligten seien nicht in der Lage, schriftliche
Erklärungen vorzulegen, in denen eine Antwort auf die Vorabentscheidungsfragen
vorgeschlagen werde.
- 39.
- Nach ständiger Rechtsprechung macht die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen
Gericht nützlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, es erforderlich,
daß dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von
ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen
Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Dies gilt insbesondere in
bestimmten Bereichen, wie dem des Wettbewerbs, die durch komplexe tatsächliche
und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet sind (siehe u. a. Urteile vom 26. Januar
1993 in den verbundenen Rechtssachen C-320/90 bis C-322/90, Telemarsicabruzzo
u. a., Slg. 1993 I-393, Randnrn. 6 und 7, vom 14. Juli 1998 in der Rechtssache C-284/95, Safety Hi-Tech, Slg. 1998, I-4301, Randnrn. 69 und 70, und in der
Rechtssache C-341/95, Bettati, Slg. 1998, I-4355, Randnrn. 67 und 68).
- 40.
- Die Angaben und Fragen in den Vorlageentscheidungen sollen dem Gerichtshof
nicht nur sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen derMitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, gemäß Artikel
20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben. Der Gerichtshof hat
darauf zu achten, daß diese Möglichkeit gewahrt wird; dabei ist zu berücksichtigen,
daß den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt
werden (siehe u. a. Beschlüsse vom 30. April 1998 in den verbundenen
Rechtssachen C-128/97 und C-137/97, Testa und Modesti, Slg. 1998, I-2181,
Randnr. 6, und vom 11. Mai 1999 in der Rechtssache C-325/98, Anssens, Slg. 1999,
I-0000, Randnr. 8).
- 41.
- Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den von den Regierungen der Mitgliedstaaten
und den anderen Beteiligten gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes
eingereichten Erklärungen, daß die in den Vorlageurteilen enthaltenen Angaben
sie nicht daran gehindert haben, zu den dem Gerichtshof vorgelegten Fragen
sachdienlich Stellung zu nehmen.
- 42.
- Darüber hinaus verweist die französische Regierung in ihren Erklärungen auf ihre
Erklärungen in den Rechtssachen Brentjens (Urteil vom heutigen Tage in den
verbundenen Rechtssachen C-115/97 bis C-117/97, Slg. 1999, I-0000), in denen
ausdrücklich auf die Rechtssache Bokken (Urteil vom heutigen Tag in der
Rechtssache C-219/97, Slg. 1999, I-0000), wonach die Kommission die letztgenannte
Rechtssache in ihren Erklärungen unmittelbar anspricht, Bezug genommen wird.
Der Vorlagebeschluß in der Rechtssache Bokken, die ebenfalls die Vereinbarkeit
der Pflichtmitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds mit den Wettbewerbsregeln
der Gemeinschaft betrifft, enthält aber eine eingehende Darstellung der für den
Ausgangsrechtsstreit geltenden Regelung.
- 43.
- Selbst wenn die niederländische und die französische Regierung im vorliegenden
Fall annehmen durften, daß sie anhand der Angaben des vorlegenden Gerichts zu
einigen Gesichtspunkten der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen nicht Stellung
nehmen konnte, ist ferner zu unterstreichen, daß diese Angaben durch Angaben
ergänzt worden sind, die aus den von dem nationalen Gericht übermittelten Akten,
den schriftlichen Erklärungen und den Antworten auf Fragen des Gerichtshofes
hervorgehen. Alle diese im Sitzungsbericht wiedergegebenen Angaben sind den
Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten im Hinblick auf die
mündliche Verhandlung, in der sie gegebenenfalls ihre Erklärungen haben ergänzen
können, zur Kenntnis gebracht worden.
- 44.
- Schließlich ist festzustellen, daß die Angaben des vorlegenden Gerichts, soweit
erforderlich ergänzt durch die oben genannten Angaben, dem Gerichtshof eine
ausreichende Kenntnis des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens des
Ausgangsrechtsstreits verschafft, so daß er die Wettbewerbsregeln der
Gemeinschaft in bezug auf den Sachverhalt, der Gegenstand dieses Rechtsstreits
ist, auslegen kann.
- 45.
- Die vorgelegten Fragen sind folglich zulässig.
Zur zweiten Frage
- 46.
- Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts, die zuerst zu prüfen ist, geht im
wesentlichen dahin, ob die Artikel 3 Buchstabe g des Vertrages, 5 EG-Vertrag
(jetzt Artikel 10 EG) und 85 des Vertrages der Entscheidung des Staates
entgegenstehen, auf Antrag der Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer
eines bestimmten Wirtschaftszweigs vertreten, die Mitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds verbindlich vorzuschreiben.
- 47.
- Die Firma Albany macht geltend, der Antrag der Sozialpartner, die Mitgliedschaft
in einem Betriebsrentenfonds verbindlich vorzuschreiben, stelle eine Vereinbarung
zwischen den in dem betreffenden Wirtschaftszweig tätigen Unternehmen dar, die
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoße.
- 48.
- Eine solche Vereinbarung beschränke den Wettbewerb unter zwei
Gesichtspunkten; zum einen nehme sie den in dem betreffenden Wirtschaftszweig
tätigen Unternehmen dadurch, daß sie die Durchführung eines
Pflichtversicherungssystems einem einzigen Betreiber übertrage, die Möglichkeit,
sich einem von anderen Versicherern verwalteten abweichenden Rentensystem
anzuschließen. Zum anderen schließe diese Vereinbarung diese Versicherer von
einem erheblichen Teil des Rentenversicherungsmarktes aus.
- 49.
- Die Auswirkungen einer solchen Vereinbarung auf den Wettbewerb seien insoweit
„spürbar“, als sie den gesamten niederländischen Textilsektor betreffen. Diese
Auswirkungen würden durch die kumulative Wirkung verstärkt, die damit
verbunden sei, daß die Mitgliedschaft in Rentensystemen in zahlreichen
Wirtschaftszweigen und für alle Unternehmen dieser Wirtschaftszweige verbindlich
vorgeschrieben worden sei.
- 50.
- Darüber hinaus beeinträchtige eine solche Vereinbarung den Handel zwischen den
Mitgliedstaaten insoweit, als sie Unternehmen betreffe, die eine
grenzüberschreitende Tätigkeit ausübten und sie den in anderen Mitgliedstaaten
niedergelassenen Versicherern die Möglichkeit nehme, in den Niederlanden ein
vollständiges Rentensystem als grenzüberschreitende Dienstleistung oder durch
Tochtergesellschaften oder Zweigstellen anzubieten.
- 51.
- Der Staat habe somit dadurch, daß er einen gesetzlichen Rahmen geschaffen und
dem Antrag der Sozialpartner, die Mitgliedschaft im Betriebsrentenfonds
verbindlich vorzuschreiben, stattgegeben habe, die Durchführung und das
Funktionieren von gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßenden
Vereinbarungen zwischen in den betreffenden Wirtschaftszweigen tätigen
Unternehmen gefördert oder wirksamer gemacht und damit gegen die Artikel 3
Buchstabe g, 5 und 85 des Vertrages verstoßen.
- 52.
- Zur Beantwortung der zweiten Frage ist zunächst zu prüfen, ob der Beschluß, den
die Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten
Wirtschaftszweigs vertreten, im Rahmen eines Tarifvertrags treffen, in diesem
Wirtschaftszweig einen einzigen Rentenfonds einzurichten, der mit der Verwaltung
eines Zusatzrentensystems betraut ist, und beim Staat zu beantragen, die
Mitgliedschaft in diesem Fonds für alle Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweigs
verbindlich vorzuschreiben, gegen Artikel 85 des Vertrages verstößt.
- 53.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages alle
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von
Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen
verbietet, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind
und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Die Wichtigkeit
dieser Regel hat die Verfasser des Vertrages dazu veranlaßt, in Artikel 85 Absatz
2 des Vertrages ausdrücklich vorzusehen, daß die nach dieser Vorschrift verbotenen
Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind.
- 54.
- Ferner umfaßt die Tätigkeit der Gemeinschaft nach Artikel 3 Buchstaben g und i
EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben g und j EG) nicht
nur „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor
Verfälschungen schützt“, sondern auch „eine Sozialpolitik“. Nach Artikel 2
EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 2 EG) ist es nämlich u. a. Aufgabe der
Gemeinschaft, „eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des
Wirtschaftslebens“, „ein hohes Beschäftigungsniveau“ und „ein hohes Maß an
sozialem Schutz“ zu fördern.
- 55.
- In diesem Zusammenhang bestimmt Artikel 118 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis
120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden), daß
die Kommission die Aufgabe hat, eine enge Zusammenarbeit zwischen den
Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, und zwar insbesondere auf dem
Gebiet des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern.
- 56.
- Nach Artikel 118b EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die
Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) bemüht sich die Kommission außerdem
darum, den Dialog zwischen den Sozialpartnern, der, wenn diese es für
wünschenswert halten, zu vertraglichen Beziehungen führen kann, auf europäischer
Ebene zu entwickeln.
- 57.
- Darüber hinaus haben die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten nach Artikel 1 des
Abkommens über die Sozialpolitik (ABl. 1992, C 191, S. 91) u. a. folgende Ziele:
die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen angemessenen
sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials
im Hinblick auf ein dauerhaftes hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung
von Ausgrenzungen.
- 58.
- Gemäß Artikel 4 Absätze 1 und 2 des Abkommens über die Sozialpolitik kann der
Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene, falls sie es wünschen,
zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von
Vereinbarungen, führen, deren Durchführung entweder nach den jeweiligen
Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder auf
gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates
auf Vorschlag der Kommission erfolgt.
- 59.
- Zwar sind mit Tarifverträgen zwischen Organisationen, die die Arbeitgeber und die
Arbeitnehmer vertreten, zwangsläufig gewisse den Wettbewerb beschränkende
Wirkungen verbunden. Die Erreichung der mit derartigen Verträgen angestrebten
sozialpolitischen Ziele wäre jedoch ernsthaft gefährdet, wenn für die Sozialpartner
bei der gemeinsamen Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der
Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen Artikel 85 Absatz 1 Geltung hätte.
- 60.
- Bei einer sachgerechten und zusammenhängenden Auslegung der Bestimmungen
des Vertrages in ihrer Gesamtheit ergibt sich daher, daß die im Rahmen von
Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Hinblick auf diese Ziele
geschlossenen Verträge aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstands nicht unter
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fallen.
- 61.
- Es ist daher zu prüfen, ob die Art und der Gegenstand der im Ausgangsverfahren
streitigen Vereinbarung rechtfertigen, sie dem Anwendungsbereich des Artikels 85
Absatz 1 des Vertrages zu entziehen.
- 62.
- Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, daß die im Ausgangsverfahren
streitige Vereinbarung wie die oben genannten durch den Dialog zwischen den
Sozialpartnern zustande gekommenen Vereinbarungen in Form eines Tarifvertrags
abgeschlossen worden ist und das Ergebnis einer Tarifverhandlung zwischen den
Organisationen ist, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten.
- 63.
- Zum anderen wird durch die im Ausgangsverfahren streitige Vereinbarung, was
ihren Gegenstand angeht, in einem bestimmten Wirtschaftszweig ein
Zusatzrentensystem geschaffen, das durch einen Rentenfonds verwaltet wird, bei
dem die Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben werden kann. Ein solches System
soll in seiner Gesamtheit ein bestimmtes Rentenniveau für alle Arbeitnehmer
dieses Wirtschaftszweigs gewährleisten und trägt daher unmittelbar zur
Verbesserung einer der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, nämlich ihrer
Entlohnung, bei.
- 64.
- Die im Ausgangsverfahren streitige Vereinbarung fällt daher aufgrund ihrer Art
und ihres Gegenstands nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.
- 65.
- Wie der Gerichtshof u. a. im Urteil vom 21. September 1988 in der Rechtssache
267/86 (Van Eycke, Slg. 1988, 4769, Randnr. 16) entschieden hat, betrifft Artikel
85 des Vertrages an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch
Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes dürfen die Mitgliedstaaten jedoch
aufgrund des Artikels 85 in Verbindung mit Artikel 5 des Vertrages keine
Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen,
treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen
geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten. Nach der Rechtsprechung ist ein
solcher Fall dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat gegen Artikel 85 verstoßende
Kartellabsprachen vorschreibt, erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt oder
wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, daß er
die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten
Wirtschaftsteilnehmern überträgt (siehe auch Urteile vom 17. November 1993 in
der Rechtssache C-2/91, Meng, Slg. 1993, I-5751, Randnr. 14, in der Rechtssache
C-185/91, Reiff, Slg. 1993, I-5801, Randnr. 14, in der Rechtssache C-245/91, Ohra
Schadeverzekeringen, Slg. 1993, I-5851, Randnr. 10, sowie vom 18. Juni 1998 in der
Rechtssache C-35/96, Kommission/Italien, Slg. 1998, I-3851, Randnrn. 53 und 54,
und in der Rechtssache C-266/96, Corsica Ferries France, Slg. 1998, I-3949,
Randnrn. 35, 36 und 49).
- 66.
- In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß der von den Organisationen, die die
Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten, beim Staat gestellte Antrag, die
Mitgliedschaft in dem von ihnen errichteten Betriebsrentenfonds verbindlich
vorzuschreiben, sich in eine in mehreren nationalen Rechtssystemen vorgesehene
Regelung einfügt, die die Ausübung der Befugnis zum Erlaß von Verordnungen in
sozialen Fragen betrifft. Da die im Ausgangsverfahren streitige Vereinbarung nicht
unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages fällt, wie sich aus den Randnummern 52
bis 64 dieses Urteils ergibt, steht es den Mitgliedstaaten frei, sie für Personen, die
durch die Vereinbarung nicht gebunden sind, für verbindlich zu erklären.
- 67.
- Im übrigen ist in Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens über die Sozialpolitik
ausdrücklich vorgesehen,daß die Sozialpartner gemeinsam vom Rat die
Durchführung ihrer Vereinbarungen verlangen können.
- 68.
- Die Entscheidung des Staates, die Mitgliedschaft in einem solchen Fonds
verbindlich anzuordnen, schreibt daher keine gegen Artikel 85 verstoßende
Kartellabsprachen vor, noch erleichtert sie solche Absprachen oder verstärkt deren
Auswirkungen.
- 69.
- Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die Entscheidung des Staates,
die Mitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds verbindlich vorzuschreiben, nicht
zu den Arten von Verwaltungsmaßnahmen gehört, die nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofes die praktische Wirksamkeit der Artikel 3 Buchstabe g, 5 und 85
des Vertrages beeinträchtigen.
- 70.
- Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 3 Buchstabe g, 5 und
85 des Vertrages der Entscheidung des Staates nicht entgegenstehen, auf Antrag
der Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten
Wirtschaftszweigs vertreten, die Mitgliedschaft in einem Betriebsrentenfonds
verbindlich vorzuschreiben.
Zur ersten Frage
- 71.
- Die erste Frage des vorlegenden Gerichts, die an zweiter Stelle zu prüfen ist, geht
im wesentlichen dahin, ob ein mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems
betrauter Rentenfonds, der durch einen Tarifvertrag zwischen den Organisationen,
die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten Wirtschaftszweigs vertreten,
eingerichtet worden ist und bei dem die Mitgliedschaft von den Trägern der
öffentlichen Gewalt für alle Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweigs verbindlich
vorgeschrieben worden ist, ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff. des
Vertrages ist.
- 72.
- Nach Auffassung des Fonds und der am Verfahren beteiligten Regierungen stellt
ein solcher Fonds kein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff. des Vertrages dar.
Dabei verweisen sie auf die einzelnen Merkmale des Betriebsrentenfonds und des
von ihm verwalteten Zusatzrentensystems.
- 73.
- Erstens habe die Pflichtmitgliedschaft aller Arbeitnehmer eines bestimmten
Wirtschaftszweigs in einem Zusatzrentensystem in dem in den Niederlanden
geltenden Rentensystem wegen der äußerst geringen Höhe der auf der Grundlage
des gesetzlichen Mindestlohns berechneten gesetzlichen Rente eine wesentliche
soziale Funktion. Da ein Zusatzrentensystem durch Tarifvertrag in einem durch
Gesetz bestimmten Rahmen geschaffen worden sei und die Mitgliedschaft in
diesem System vom Staat verbindlich vorgeschrieben worden sei, stelle es einen
Bestandteil des niederländischen Systems des sozialen Schutzes dar, und der mit
seiner Verwaltung betraute Betriebsrentenfonds wirke an der Verwaltung des
staatlichen Systems der sozialen Sicherheit mit.
- 74.
- Zweitens habe der Betriebsrentenfonds keinen Gewinnzweck. Er werde durch die
im Verwaltungsausschuß paritätisch vertretenen Sozialpartner gemeinsam verwaltet.
Der Betriebsrentenfonds erhalte einen durchschnittlichen Beitrag, der durch diesen
Ausschuß nach einem Gesamtgleichgewicht zwischen der Höhe der Prämien, dem
Umfang der Leistungen und dem Ausmaß der Risiken festgesetzt werde. Darüber
hinaus dürften die Beiträge nicht unter einer bestimmten Höhe liegen, damit
angemessene Rückstellungen gebildet werden könnten, und dürften, damit
weiterhin kein Gewinnzweck gegeben sei, einen Höchstbetrag, dessen Einhaltung
durch die Sozialpartner und die Versicherungskammer sichergestellt werde, nicht
überschreiten. Auch wenn die einbehaltenen Beiträge nach dem System der
Kapitalbildung angelegt würden, würden diese Anlagen unter der Aufsicht der
Versicherungskammer und gemäß der PSW und der Satzung des
Betriebsrentenfonds vorgenommen.
- 75.
- Drittens arbeite der Betriebsrentenfonds nach dem Grundsatz der Solidarität. Diese
Solidarität äußere sich in der Verpflichtung, alle Arbeitnehmer ohne vorherige
ärztliche Untersuchung aufzunehmen, in der Fortsetzung des Erwerbs von
Rentenansprüchen unter Befreiung von der Beitragszahlung bei Arbeitsunfähigkeit,
in der Übernahme der vom Arbeitgeber geschuldeten Beitragsrückstände durch den
Fonds bei Konkurs des Arbeitgebers sowie in der Indexierung der Höhe der
Renten zur Erhaltung ihres Wertes. Der Grundsatz der Solidarität komme auch
dadurch zum Ausdruck, daß im Einzelfall keine Gleichwertigkeit zwischen dem
gezahlten Beitrag, bei dem es sich um einen durchschnittlichen und
risikounabhängigen Beitrag handele, und den Rentenansprüchen, bei deren
Festlegung ein Durchschnittslohn zugrunde gelegt werde, bestehen. Eine solche
Solidarität mache die Pflichtmitgliedschaft im Zusatzrentensystem unabdingbar.
Andernfalls hätte das Ausscheiden der „guten“ Risiken ein negative Kettenreaktion
zur Folge, die das finanzielle Gleichgewicht des Systems gefährden würde.
- 76.
- Nach alledem sind der Fonds und die am Verfahren beteiligten Regierungen der
Auffassung, daß der Betriebsrentenfonds eine mit der Verwaltung eines Systems
der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung wie jene Einrichtung darstelle, um die
es im Urteil vom 17. Februar 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-159/91 und
C-160/91 (Poucet und Pistre, Slg. 1993, I-637) gegangen sei, und zwar im Gegensatz
zu der im Urteil vom 16. November 1995 in der Rechtssache C-244/94 (Fédération
française des sociétés d'assurance u. a., Slg. 1995, I-4013) betroffenen Einrichtung,
die als ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff. des Vertrages angesehen
worden sei.
- 77.
- Es ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Rahmen des Wettbewerbsrechts
entschieden hat, daß der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche
Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer
Finanzierung umfaßt (siehe u. a. Urteil vom 23. April 1991 in der Rechtssache
C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 21, sowie Urteile Poucet und
Pistre, Randnr. 17, und Fédération française des sociétés d'assurance u. a.,
Randnr. 14).
- 78.
- Im Urteil Poucet und Pistre hat der Gerichtshof weiter entschieden, daß
Einrichtungen, die obligatorische, auf dem Grundsatz der Solidarität beruhende
Systeme der sozialen Sicherheit verwalten, nicht unter den Begriff des
Unternehmens fallen. In dem dort geprüften Versicherungssystem für Krankheit
und Mutterschaft waren die Leistungen für alle Empfänger die gleichen, während
sich die Beiträge nach dem Einkommen richteten; in dem ebenfalls dort geprüften
Rentenversicherungssystem wurden die Renten von den erwerbstätigen
Arbeitnehmern finanziert; die Rentenansprüche waren gesetzlich festgelegt und
richteten sich nicht nach den Beiträgen zur Rentenversicherung. Soweit die Systeme
schließlich Überschüsse erwirtschafteten, waren sie an der Finanzierung der
Systeme mit strukturellen finanziellen Schwierigkeiten beteiligt. Diese Solidarität
hatte zur notwendigen Voraussetzung, daß die verschiedenen Versicherungssysteme
von einem einzigen Träger verwaltet wurden und eine Pflichtmitgliedschaft bestand.
- 79.
- Dagegen hat der Gerichtshof im oben genannten Urteil Fédération française des
sociétés d'assurance u. a. für Recht erkannt, daß eine Einrichtung ohne
Gewinnerzielungsabsicht, die ein zur Ergänzung einer Grundpflichtversicherung
durch Gesetz geschaffenes, auf Freiwilligkeit beruhendes
Rentenversicherungssystem verwaltet, das nach dem Kapitalisierungsprinzip
arbeitet, ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff. EG-Vertrag ist. Die
freiwillige Mitgliedschaft, die Anwendung des Kapitalisierungsprinzips und der
Umstand, daß die Leistungen sich ausschließlich nach der Höhe der von den
Leistungsempfängern gezahlten Beiträge und den Erträgen der von der das System
verwaltenden Einrichtung vorgenommenen Investitionen richteten, implizierten, daß
diese Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit
Lebensversicherungsunternehmen ausübte. Weder die Verfolgung eines sozialen
Zwecks, noch das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht, noch die Anforderungen
der Solidarität, noch die sonstigen Regelungen, die u. a. die Beschränkungen
betreffen, denen der Versicherungsträger bei der Durchführung von Investitionen
unterliegt, nahmen der vom Versicherungsträger ausgeübten Tätigkeit ihren
wirtschaftlichen Charakter.
- 80.
- Im Licht des Vorstehenden ist zu beurteilen, ob eine Einrichtung wie der im
Ausgangsverfahren betroffene Betriebsrentenfonds unter den Begriff des
Unternehmens im Sinne der Artikel 85 ff. des Vertrages fällt.
- 81.
- In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß der Betriebsrentenfonds die Höhe
der Beiträge und der Leistungen selbst bestimmt und daß der Fonds nach dem
Kapitalisierungsprinzip arbeitet.
- 82.
- Anders als bei den Leistungen, die von den mit der Verwaltung von Pflichtsystemen
der sozialen Sicherheit betrauten Einrichtungen gewährt werden, auf die sich das
Urteil Poucet und Pistre bezieht, hängt die Höhe der vom Fonds gewährten
Leistungen von den Erträgen der Anlagen ab, die er vornimmt und bei denen er
wie eine Versicherungsgesellschaft der Aufsicht der Versicherungskammer
unterliegt.
- 83.
- Wie aus Artikel 5 BPW sowie den Artikeln 1 und 5 der Freistellungsrichtlinien
hervorgeht, ist ein Betriebsrentenfonds außerdem verpflichtet, einem Unternehmen
eine Freistellung zu gewähren, wenn dieses seine Arbeitnehmer mindestens sechs
Monate vor der Stellung des Antrags, aufgrund dessen die Mitgliedschaft im Fonds
verbindlich vorgeschrieben worden ist, in einem Rentensystem versichert hat, das
ihnen Ansprüche einräumt, die den Ansprüchen mindestens gleichwertig sind, die
sie bei Mitgliedschaft in dem Fonds erwerben würden. Ferner hat der Fonds gemäß
Artikel 1 dieser Richtlinien auch die Befugnis, einem Unternehmen eine
Freistellung zu gewähren, wenn dieses für seine Arbeitnehmer eine
Rentenversicherung bietet, die diesen Ansprüche einräumt, die den sich aus dem
Fonds ergebenden mindestens gleichwertig sind, sofern bei Ausscheiden aus dem
Fonds eine von der Versicherungskammer als angemessen angesehene
Entschädigung für den Schaden angeboten wird, den der Fonds infolge des
Ausscheidens versicherungstechnisch möglicherweise erleidet.
- 84.
- Ein Betriebsrentenfonds wie der im Ausgangsverfahren betroffene übt folglich eine
wirtschaftliche Tätigkeit im Wettbewerb mit den Versicherungsgesellschaften aus.
- 85.
- Unter diesen Umständen genügen das Fehlen eines Gewinnerzielungszwecks und
die Solidaritätsgesichtspunkte, auf die der Fonds und die am Verfahren beteiligten
Regierungen sich berufen, nicht, um dem Betriebsrentenfonds die Eigenschaft eines
Unternehmens im Sinne der Wettbewerbsregeln des Vertrages zu nehmen.
- 86.
- Gewiß könnten die Verfolgung einer sozialen Zielsetzung, die genannten
Solidaritätsgesichtspunkte und die Beschränkungen oder Kontrollen in bezug auf
Investitionen des Betriebsrentenfonds die von diesem Fonds erbrachte
Dienstleistung weniger wettbewerbsfähig als die vergleichbare von
Versicherungsgesellschaften erbrachte Dienstleistungen machen. Zwar hindern
derzeitige Zwänge nicht daran, die vom Fonds ausgeübte Tätigkeit als
wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, sie könnten aber das ausschließliche Recht
einer solchen Einrichtung zur Verwaltung eines Zusatzrentensystems rechtfertigen.
- 87.
- Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß ein Rentenfonds, der mit der
Verwaltung eines Zusatzrentensystems betraut ist, das durch einen Tarifvertrag
zwischen den Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten
Wirtschaftszweigs vertreten, geschaffen worden ist und bei dem die Mitgliedschaft
für alle Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweigs durch den Staat verbindlich
vorgeschrieben worden ist, ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff. des
Vertrages ist.
Zur dritten Frage
- 88.
- Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die
Artikel 86 und 90 des Vertrages es einem Staat verwehren, einem Rentenfonds das
ausschließliche Recht zur Verwaltung eines Zusatzrentensystems in einem
bestimmten Wirtschaftszweig einzuräumen.
- 89.
- Die niederländische Regierung macht geltend, der Erlaß, durch den die
Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben werde, bewirke lediglich, daß die
Arbeitnehmer des betreffenden Wirtschaftszweigs dazu verpflichtet würden, sich
dem Fonds anzuschließen. Dieser Erlaß räume dem Fonds kein auschließliches
Recht im Bereich der Zusatzrenten ein. Der Fonds verfüge auch nicht über eine
beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages.
- 90.
- Zunächst ist festzustellen, daß die Entscheidung des Staates, die Mitgliedschaft in
einem Betriebsrentenfonds wie im vorliegenden Fall verbindlich vorzuschreiben,
notwendigerweise impliziert, daß diesem Fonds das ausschließliche Recht verliehen
wird, die zur Begründung von Rentenansprüchen gezahlten Beiträge zu sammeln
und zu verwalten. Ein solcher Fonds ist daher als ein Unternehmen, dem der Staat
ausschließliche Rechte gewährt hat, im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages
anzusehen.
- 91.
- Sodann kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Unternehmen, das
auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes mit einem gesetzlichen
Monopol ausgestattet ist, als ein Unternehmen angesehen werden, das eine
beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages besitzt (siehe Urteile
vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90, Merci convenzionali portodi Genova, Slg. 1991, I-5889, Randnr. 14, und vom 13. Dezember 1991 in der
Rechtssache C-18/88, GB-Inno-BM, Slg. 1991, I-5491, Randnr. 17).
- 92.
- Ein Betriebsrentenfonds wie der im Ausgangsverfahren betroffene, der über das
ausschließliche Recht zur Verwaltung eines Zusatzrentensystems in einem
Wirtschaftszweig eines Mitgliedstaats und damit in einem wesentlichen Teil des
Gemeinsamen Marktes verfügt, kann daher als Inhaber einer beherrschenden
Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages angesehen werden.
- 93.
- Zwar ist die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung
ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 des Vertrages als solche
noch nicht mit Artikel 86 unvereinbar, jedoch verstößt ein Mitgliedstaat gegen die
in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende
Unternehmen durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen
Rechte seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt oder wenn durch diese
Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen
solchen Mißbrauch begeht (Urteil Höfner und Elser, Randnr. 29, Urteil vom 18.
Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 37, Urteil
Merci convenzionali porto di Genova, Randnrn. 16 und 17, sowie Urteile vom 5.
Oktober 1994 in der Rechtssache C-323/93, Centre d'insémination de la Crespelle,
Slg. 1994, I-5077, Randnr. 18, und vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache
C-163/96, Raso u. a., Slg. 1998, I-533, Randnr. 27).
- 94.
- Die Firma Albany macht in diesem Zusammenhang geltend, das System der
Pflichtmitgliedschaft in dem vom Fonds verwalteten Zusatzrentensystem verstoße
gegen Artikel 86 in Verbindung mit Artikel 90 des Vertrages. Die vom Fonds
angebotenen Rentenleistungen entsprächen den Bedürfnissen der Unternehmen
nicht oder nicht mehr. Diese Leistungen seien zu niedrig, nicht an die Löhne
gekoppelt und demzufolge regelmäßig unzureichend. Die Arbeitgeber müßten
daher für die Renten andere Vorkehrungen treffen. Das System der
Pflichtmitgliedschaft nehme ihnen aber die Möglichkeit, bei einer
Versicherungsgesellschaft für die Renten eine globale Deckung zu vereinbaren. Der
Abschluß von Versicherungen bei mehreren Rentensystemen mit verschiedenen
Versicherern erhöhe die Verwaltungkosten und mindere die Effizienz.
- 95.
- Im bereits genannten Urteil Höfner und Elser hat der Gerichtshof in Randnummer
34 entschieden, daß ein Mitgliedstaat, der einem öffentlichen Unternehmen das
ausschließliche Recht zur Arbeitsvermittlung gewährt hat, gegen Artikel 90 Absatz
1 des Vertrages verstößt, wenn er damit eine Lage schafft, in der das betroffene
Unternehmen gezwungen ist, gegen Artikel 86 zu verstoßen, insbesondere, weil es
offensichtlich nicht in der Lage ist, die Nachfrage auf dem Markt nach solchen
Leistungen zu befriedigen.
- 96.
- Im vorliegenden Fall ist das von dem Fonds angebotene Zusatzrentensystem auf
die gegenwärtig in den Niederlanden geltende Norm gestützt, wonach ein
Arbeitnehmer, der während der Höchstdauer der Mitgliedschaft in diesem System
Beiträge geleistet hat, eine Rente einschließlich der Rente nach der AOW in Höhe
von 70 % seines letzten Lohnes erhält.
- 97.
- Zwar könnten einige Unternehmen des Wirtschaftszweigs den Wunsch haben, ihre
Arbeitnehmer bei einem Versicherungssystem zu versichern, das über das vom
Fonds angebotene hinausgeht. Die für diese Unternehmen bestehende
Unmöglichkeit, die Verwaltung eines solchen Rentensystems einem einzigen
Versicherer zu übertragen, und die sich daraus ergebenden
Wettbewerbsbeschränkungen beruhen jedoch unmittelbar auf dem dem
Betriebsrentenfonds übertragenen ausschließlichen Recht.
- 98.
- Es ist daher zu prüfen, ob wie der Fonds, die niederländische Regierung und die
Kommission vortragen das ausschließliche Recht des Betriebsrentenfonds, die
Zusatzrenten in einem bestimmten Wirtschaftszweig zu verwalten, und die sich
daraus ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen nach Artikel 90 Absatz 2 des
Vertrages als Maßnahme gerechtfertigt werden können, die zur Erfüllung einer im
allgemeinen Interesse liegenden besonderen sozialen Aufgabe erforderlich ist, mit
der dieser Fonds betraut ist.
- 99.
- Die Firma Albany macht geltend, die Pflichtmitgliedschaft im Betriebsrentenfonds
sei nicht erforderlich, um eine angemessene Höhe der Rente für die Arbeitnehmer
zu gewährleisten. Dieses Ziel könne dadurch erreicht werden, daß
Mindestanforderungen, denen die Renten entsprechen müßten, entweder von den
Sozialpartnern auf Betreiben des Staates oder unmittelbar durch den Staat
festgelegt würden. Die Tarifverträge sähen regelmäßig die Verpflichtung der
Arbeitnehmer vor, eine Mindestrentenregelung zu gewährleisten, wobei sie es ihnen
freistellten, einen unternehmenseigenen Rentenfonds einzurichten, sich einem
Betriebsrentenfonds anzuschließen oder sich an eine Versicherungsgesellschaft zu
wenden.
- 100.
- Auch die Zahlung einer „Durchschnittsprämie“ rechtfertige die Pflichtmitgliedschaft
nicht. Zum einen verlangten weder die BPW noch der Erlaß, durch die die
Mitgliedschaft verbindlich vorgeschrieben werde, ein auf eine solche Prämie
gestütztes System. Zum anderen funktionierten verschiedene Betriebsrentenfonds,
bei denen die Mitgliedschaft nicht verbindlich vorgeschrieben sei, sehr gut auf der
Grundlage eines Systems von „Durchschnittsprämien“.
- 101.
- Zur Aufnahme aller Arbeitnehmer eines Wirtschaftszweigs ohne vorherige ärztliche
Untersuchung, damit die „schlechten“ Risiken nicht zurückgewiesen werden
könnten, trägt die Firma Albany vor, in der Praxis sähen die mit den Versicherern
geschlossenen Rentenversicherungsverträge eine Verpflichtung des Arbeitgebers,
alle seine Arbeitnehmer zu melden, sowie eine Verpflichtung des Versicherers, alle
angemeldeten Arbeitnehmer ohne vorherige ärztliche Untersuchung aufzunehmen,
vor.
- 102.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 90 Absatz 2 für die
Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse
betraut sind, die Wettbewerbsregeln gelten, soweit die Anwendung dieser
Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe
rechtlich oder tatsächlich verhindert.
- 103.
- Artikel 90 Absatz 2 soll dadurch, daß er unter bestimmten Voraussetzungen
Ausnahmen von den allgemeinen Vorschriften des Vertrages zuläßt, das Interesse
der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere solcher des
öffentlichen Sektors, als Instrument der Wirtschafts- oder Sozialpolitik mit dem
Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der
Wahrung der Einheit des Gemeinsamen Marktes in Einklang bringen (Urteile vom
19. März 1991 in der Rechtssache C-202/88, Frankreich/Kommission, Slg. 1991, I-1223, Randnr. 12, und vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-157/94,
Kommission/Niederlande, Slg. 1997, I-5699, Randnr. 39).
- 104.
- Unter Berücksichtigung dieses Interesses der Mitgliedstaaten kann es diesen nicht
verboten sein, bei der Umschreibung der Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichem Interesse, mit denen sie bestimmte Unternehmen betrauen, die
eigenen Ziele ihrer staatlichen Politik zu berücksichtigen und diese durch
Verpflichtungen und Beschränkungen zu verwirklichen zu suchen, die sie diesen
Unternehmen auferlegen (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 40).
- 105.
- Das im Ausgangsverfahren betroffene Zusatzrentensystem erfüllt aber im
Rentensystem in den Niederlanden wegen der auf der Grundlage des gesetzlichen
Mindestlohns berechneten äußerst geringen Höhe der gesetzlichen Rente eine
wesentliche soziale Funktion.
- 106.
- Darüber hinaus ist die Bedeutung der den Zusatzrenten zugewiesenen sozialen
Funktion kürzlich dadurch anerkannt worden, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber
die Richtlinie 98/49/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Wahrung ergänzender
Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 209, S. 46), erlassen hat.
- 107.
- Ferner ist der Tatbestand des Artikels 90 Absatz 2 des Vertrages nicht erst dann
erfüllt, wenn das finanzielle Gleichgewicht oder das wirtschaftliche Überleben des
mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten
Unternehmens bedroht ist. Vielmehr genügt es, daß ohne die streitigen Rechte die
Erfüllung der dem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgaben gefährdet
wäre, wie sie sich aus den ihm obliegenden Verpflichtungen und Beschränkungen
ergeben, oder daß die Beibehaltung dieser Rechte erforderlich ist, um ihrem
Inhaber die Erfüllung seiner im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden
Aufgaben zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen (Urteil vom 19.
Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnrn. 14
bis 16, und Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 53).
- 108.
- Bei Wegfall des ausschließlichen Rechts des Fonds, das Zusatzrentensystem für alle
Arbeitnehmer eines bestimmten Wirtschaftszweigs zu verwalten, würden sich die
Unternehmen, die junges und gesundes Personal mit nicht gefährlichen Tätigkeiten
beschäftigen, bei privaten Versicherern um günstigere Versicherungsbedingungen
bemühen. Das fortschreitende Ausscheiden von „guten“ Risiken beließe dem
Betriebsrentenfonds die Verwaltung eines wachsenden Anteils von „schlechten“
Risiken, was zu einer Erhöhung des Aufwands für die Renten der Arbeitnehmer,
insbesondere derjenigen kleiner und mittlerer Unternehmen mit einem älteren,
gefährliche Tätigkeiten ausübenden Personal, führen würde, denen der Fonds zu
annehmbaren Kosten keine Renten mehr anbieten könnte.
- 109.
- Dies würde um so mehr gelten, wenn das ausschließlich vom Fonds verwaltete
Zusatzrentensystem wie in den Ausgangsverfahren durch einen erhöhten Grad an
Solidarität gekennzeichnet ist, und zwar insbesondere wegen der Unabhängigkeit
der Beiträge vom Risiko, der Verpflichtung, alle Arbeitnehmer ohne vorherige
ärztliche Untersuchung aufzunehmen, der Fortsetzung der Begründung von
Rentenansprüchen unter Befreiung von der Beitragszahlung bei Arbeitsunfähigkeit,
der Übernahme von vom Arbeitgeber bei dessen Konkurs geschuldeten
Beitragsrückständen durch den Fonds sowie der Indexierung der Höhe der Renten
zur Erhaltung ihres Wertes.
- 110.
- Derartige Zwänge, die die vom Fonds erbrachte Dienstleistung weniger
wettbewerbsfähig als eine vergleichbare von Versicherungsgesellschaften erbrachte
Dienstleistung machen, tragen nämlich dazu bei, das ausschließliche Recht dieses
Fonds zur Verwaltung des Zusatzrentensystems zu rechtfertigen.
- 111.
- Nach alledem könnte die Entziehung des dem Fonds übertragenen ausschließlichen
Rechts dazu führen, daß es ihm unmöglich würde, die ihm übertragenen Aufgaben
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unter wirtschaftlich annehmbaren
Bedingungen zu erfüllen, und daß sein finanzielles Gleichgewicht gefährdet würde.
- 112.
- Unter Verweisung auf das bereits genannte Urteil GB-Inno-BM vertritt die Firma
Albany jedoch die Auffassung, der Umstand, daß der Fonds die doppelte
Eigenschaft eines Verwalters des Rentensystems und der mit der Befugnis zur
Gewährung von Freistellungen ausgestatteten Stelle habe, könne Anlaß zu einer
ungerechten Ausübung der Freistellungsbefugnis geben.
- 113.
- Im Urteil GB-Inno-BM (Randnr. 28) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß
die Artikel 3 Buchstabe g, 86 und 90 des Vertrages es einem Mitgliedstaat
untersagen, der Gesellschaft, die das öffentliche Fernmeldenetz betreibt, die
Befugnis zu übertragen, Normen für Fernsprechgeräte zu erlassen und deren
Einhaltung durch die Wirtschaftsteilnehmer zu überwachen, wenn diese
Gesellschaft gleichzeitig auf dem Markt für diese Geräte im Wettbewerb mit den
Wirtschaftsteilnehmern steht.
- 114.
- In Randnummer 25 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich entschieden, daß die
Vereinigung der Befugnisse in der Hand einer solchen Gesellschaft, den Anschluß
von Fernsprechgeräten an das Netz zu genehmigen oder zu verweigern, und zum
anderen die technischen Normen festzulegen, denen diese Anlagen genügen
müssen, um zu prüfen, ob die nicht von ihr hergestellten Geräte den von ihr
erlassenen Spezifikationen entsprechen, darauf hinausläuft, ihr die Befugnis zu
übertragen, nach Belieben zu bestimmen, welche Endgeräte an das öffentliche Netz
angeschlossen werden können und ihr damit einen eindeutigen Vorteil gegenüber
ihren Wettbewerbern zu verschaffen.
- 115.
- Der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt weist aber
Unterschiede gegenüber dem Sachverhalt auf, der Gegenstand des Urteils
GB-Inno-BM ist.
- 116.
- Erstens ist ein Betriebsrentenfonds nach Artikel 5 Absatz 1 der
Freistellungsrichtlinien verpflichtet, einem Unternehmen eine Freistellung zu
gewähren, wenn dieses seinen Arbeitnehmern mindestens sechs Monate vor der
Stellung des Antrags, aufgrund dessen die Mitgliedschaft im Fonds verbindlich
vorgeschrieben worden ist, bereits eine Rentenversicherung geboten hat, die den
Arbeitnehmern Ansprüche einräumt, die denjenigen, die sie bei Mitgliedschaft im
Fonds erwerben würden, mindestens gleichwertig sind.
- 117.
- Da die genannte Vorschrift den Betriebsrentenfonds in bezug auf die Ausübung
seiner Freistellungsbefugnis bindet, kann nicht angenommen werden, daß sie den
Fonds zum Mißbrauch dieser Befugnis veranlassen könnte. Der Fonds beschränkt
sich in einem solchen Fall nämlich auf die Prüfung, ob die vom zuständigen
Minister festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind (siehe in diesem Sinne Urteil
vom 27. Oktober 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-46/90 und C-93/91,
Lagauche u. a., Slg. 1993, I-5267, Randnr. 49).
- 118.
- Ferner hat ein Betriebsrentenfonds gemäß Artikel 1 der Freistellungsrichtlinien die
Befugnis, einem Unternehmen eine Freistellung einzuräumen, wenn dieses seinen
Arbeitnehmern eine Rentenversicherung bietet, die diesen Ansprüche einräumt, die
den sich aus dem Fonds ergebenden mindestens gleichwertig sind, sofern bei
Ausscheiden aus dem Fonds eine von der Versicherungskammer als angemessen
angesehene Entschädigung für den Schaden angeboten wird, den der Fonds aus
versicherungstechnischer Sicht infolge des Ausscheidens gegebenenfalls erleidet.
- 119.
- Nach der genannten Vorschrift kann ein Betriebsrentenfonds also von der
Verpflichtung zur Mitgliedschaft ein Unternehmen freistellen, das seinen
Arbeitnehmern eine Rentenversicherung bietet, die derjenigen des Fonds
gleichwertig ist, wenn eine solche Freistellung das finanzielle Gleichgewicht des
Fonds nicht gefährdet. Die Ausübung dieser Freistellungsbefugnis setzt eine
komplexe Bewertung der die beteiligten Rentensysteme und das finanzielle
Gleichgewicht des Fonds betreffenden Daten voraus, was notwendigerweise einen
weiten Ermessensspielraum impliziert.
- 120.
- In Anbetracht der Komplexität einer solchen Bewertung sowie der Risiken, die die
Gewährung von Freistellungen für das finanzielle Gleichgewicht des
Betriebsrentenfonds und damit für die Erfüllung der ihm übertragenen sozialen
Aufgabe mit sich bringt, kann ein Mitgliedstaat der Auffassung sein, daß die
Freistellungsbefugnis keiner anderen Stelle eingeräumt werden darf.
- 121.
- Jedoch haben die nationalen Gerichte, bei denen wie im vorliegenden Fall eine
Klage gegen eine Aufforderung zur Zahlung der Beiträge anhängig ist, eine
Kontrolle über die Entscheidung des Fonds, mit der eine Freistellung von der
Mitgliedschaft abgelehnt wird, auszuüben, die ihnen zumindest die Prüfung
ermöglicht, ob der Fonds von seiner Befugnis, eine Freistellung zu gewähren,
keinen willkürlichen Gebrauch gemacht hat, und ob das Diskriminierungsverbot
sowie die sonstigen die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung betreffenden
Voraussetzungen beachtet worden sind.
- 122.
- Was das Vorbringen der Firma Albany angeht, daß ein angemessenes
Rentenniveau für die Arbeitnehmer durch die Festlegung von
Mindestanforderungen sichergestellt werden könne, denen die von den
Versicherungsgesellschaften angebotenen Renten genügen müßten, ist schließlich
festzustellen, daß es in Anbetracht der sozialen Funktion der Zusatzrentensysteme
und des Ermessensspielraums, über den die Mitgliedstaaten nach ständiger
Rechtsprechung bei der Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit
verfügen (Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82, Duphar u. a., Slg.
1984, 523, Randnr. 16, Urteil Poucet und Pistre, Randnr. 6, und Urteil vom 17. Juni
1997 in der Rechtssache C-70/95, Sodemare u. a., Slg. 1997, I-3395, Randnr. 27),
Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, unter Berücksichtigung der Besonderheiten
seines nationalen Rentensystems zu prüfen, ob die Festlegung von
Mindestanforderungen ihm noch ermöglichen würde, das Rentenniveau
sicherzustellen, das er in einem Wirtschaftszweig dadurch zu gewährleisten
beabsichtigt, daß er die Mitgliedschaft in einem Rentenfonds verbindlich
vorschreibt.
- 123.
- Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 86 und 90 des
Vertrages dem Staat nicht verwehren, einem Rentenfonds das ausschließliche Recht
zur Verwaltung eines Zusatzrentensystems in einem bestimmten Wirtschaftszweig
einzuräumen.
Kosten
- 124.
- Die Auslagen der niederländischen, der deutschen, der französischen und der
schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Kantongerecht Arnheim mit Urteil vom 4. März 1996 vorgelegten
Fragen für Recht erkannt:
1. Die Artikel 3 Buchstabe g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3
Absatz 1 Buchstabe g EG), 5 und 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG und
81 EG) stehen der Entscheidung des Staates nicht entgegen, auf Antrag der
Organisationen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten
Wirtschaftszweigs vertreten, die Mitgliedschaft in einem
Betriebsrentenfonds verbindlich vorzuschreiben.
3. Ein Rentenfonds, der mit der Verwaltung eines Zusatzrentensystems
betraut ist, das durch einen Tarifvertrag zwischen den Organisationen, die
Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines bestimmten Wirtschaftszweigs
vertreten, geschaffen worden ist und bei dem die Mitgliedschaft für alle
Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweigs durch den Staat verbindlich
vorgeschrieben worden ist, ist ein Unternehmen im Sinne der Artikel 85 ff.
des Vertrages.
4. Die Artikel 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG und 86 EG)
verwehren dem Staat nicht, einem Rentenfonds das ausschließliche Recht
zur Verwaltung eines Zusatzrentensystems in einem bestimmten
Wirtschaftszweig einzuräumen.
Rodríguez IglesiasPuissochet
Hirsch
Jann Moitinho de Almeida
Gulmann
Murray Edward
Ragnemalm
Sevón Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
C. G. Rodríguez Iglesias