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Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Neunte erweiterte Kammer)

17. Juli 2024(*)

„ Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Beschränkung der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden oder deren Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten Beschränkungen unterliegt – Aufnahme des Namens des Klägers in diese Liste und Belassung seines Namens auf der Liste – Erbe einer Person, gegen die bereits restriktive Maßnahmen verhängt wurden – Rechte der Verteidigung – Beurteilungsfehler – Verhältnismäßigkeit – Eigentumsrecht – Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Recht auf Familienleben – Außervertragliche Haftung “

In der Rechtssache T‑208/22,

Kinda Makhlouf, wohnhaft in Warschau (Polen), vertreten durch Rechtsanwalt G. Karouni und Rechtsanwältin E. Assogba,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Limonet und V. Piessevaux als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot, des Richters H. Kanninen, der Richterin R. Frendo (Berichterstatterin), des Richters M. Sampol Pucurull und der Richterin T. Perišin,

Kanzler: L. Ramette, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, Frau Kinda Makhlouf, zum einen nach Art. 263 AEUV die Nichtigerklärung erstens des Durchführungsbeschlusses (GASP) 2022/242 des Rates vom 21. Februar 2022 zur Durchführung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2022, L 40, S. 26) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/237 des Rates vom 21. Februar 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2022, L 40, S. 6) (im Folgenden zusammen: ursprüngliche Rechtsakte) sowie zweitens des Beschlusses (GASP) 2023/1035 des Rates vom 25. Mai 2023 zur Änderung des Beschlusses 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2023, L 139, S. 49) und der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1027 des Rates vom 25. Mai 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2023, L 139, S. 1) (im Folgenden zusammen: Fortsetzungsrechtsakte), soweit diese Rechtsakte sie betreffen (im Folgenden zusammen: angefochtene Rechtsakte); zum anderen begehrt die Klägerin nach Art. 268 AEUV Ersatz des Schadens, den sie infolge des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte erlitten habe.

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits und weitere Entwicklung nach Klageerhebung

2        Die Klägerin ist eine der Töchter von Mohammed Makhlouf, eines Geschäftsmanns mit syrischer Staatsangehörigkeit.

3        Das vorliegende Verfahren steht im Zusammenhang mit den restriktiven Maßnahmen, die der Rat der Europäischen Union seit 2011 gegen Syrien und gegen die für die gewaltsame Unterdrückung der syrischen Zivilbevölkerung verantwortlichen Personen verhängt hat.

4        Am 9. Mai 2011 erließ der Rat den Beschluss 2011/273/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2011, L 121, S. 11), in dem er „es auf das Schärfste verurteilt[e], dass an verschiedenen Orten in Syrien friedliche Proteste gewaltsam … unterdrückt worden sind“. Er sah gegenüber Personen und Organisationen, die „für die gewaltsame Repression gegen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlich“ waren, u. a. Beschränkungen für ihre Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union sowie das Einfrieren ihrer Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen vor. Da der Rat zur Umsetzung des Beschlusses 2011/273 eine Regelung auf Unionsebene für erforderlich hielt, erließ er auch die Verordnung (EU) Nr. 442/2011 vom 9. Mai 2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien (ABl. 2011, L 121, S. 1).

5        Die Namen der „für die gewaltsame Repression gegen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlichen“ Personen sowie der mit ihnen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen und Organisationen waren im Anhang des Beschlusses 2011/273 und in Anhang II der Verordnung Nr. 442/2011 aufgeführt.

6        Am 1. August 2011 erließ der Rat den Durchführungsbeschluss 2011/488/GASP zur Durchführung des Beschlusses 2011/273 (ABl. 2011, L 199, S. 74) und die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 755/2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 442/2011 (ABl. 2011, L 199, S. 33), um u. a. den Namen von Mohammed Makhlouf in die Anhänge aufzunehmen, in denen die von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen und Organisationen jeweils aufgeführt waren (siehe oben, Rn. 5).

7        Der Rat erließ am 18. Januar 2012 die Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 (ABl. 2012, L 16, S. 1) und am 31. Mai 2013 den Beschluss 2013/255/GASP über restriktive Maßnahmen gegen Syrien (ABl. 2013, L 147, S. 14) (im Folgenden zusammen: Basisrechtsakte), um u. a. restriktive Maßnahmen gegen Personen, die Nutznießer oder Unterstützer des syrischen Regimes waren, und gegen Personen, die mit Letzteren in Verbindung standen, zu verhängen. Die Namen dieser Personen sind nunmehr in Anhang II der Verordnung Nr. 36/2012 und im Anhang des Beschlusses 2013/255 aufgeführt (im Folgenden: streitige Listen).

8        Am 12. Oktober 2015 erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2015/1836 zur Änderung des Beschlusses 2013/255 (ABl. 2015, L 266, S. 75) und die Verordnung (EU) 2015/1828 zur Änderung der Verordnung Nr. 36/2012 (ABl. 2015, L 266, S. 1) (im Folgenden zusammen: Rechtsakte von 2015), da er ausweislich des fünften Erwägungsgrundes des Beschlusses 2015/1836 die Lage in Syrien für sehr ernst hielt.

9        In diesem Zusammenhang war der Rat der Auffassung, dass die ursprünglich mit dem Beschluss 2011/273 verhängten restriktiven Maßnahmen nicht zur Beendigung der gewaltsamen Unterdrückung der Zivilbevölkerung durch das syrische Regime geführt hätten, weshalb er es laut dem fünften Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/1836 „als notwendig [erachtete], die Wirksamkeit der bereits geltenden restriktiven Maßnahmen aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, indem die Maßnahmen weiterentwickelt werden, wobei der gezielte und differenzierte Ansatz erhalten bleibt und die humanitäre Lage der syrischen Bevölkerung berücksichtigt“ sowie dem Umstand Rechnung getragen werde, „dass bestimmte Kategorien von Personen und Organisationen aufgrund des spezifischen Kontexts in Syrien für die Wirksamkeit der restriktiven Maßnahmen besonders relevant sind“.

10      Daher wurde der Wortlaut der Art. 27 und 28 des Beschlusses 2013/255 durch den Beschluss 2015/1836 geändert. Diese Artikel sehen nunmehr für Personen, die zu den in Anhang I aufgeführten Personengruppen im Sinne des jeweiligen Abs. 2 Buchst. a bis g gehören, Beschränkungen der Einreise in oder der Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sowie das Einfrieren ihrer Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen vor, es sei denn, dass gemäß ihrem jeweiligen Abs. 3 „ausreichende Angaben darüber vorliegen, dass [diese Personen] nicht oder nicht mehr mit dem Regime in Verbindung stehen oder Einfluss auf dieses ausüben oder keine reale Gefahr besteht, dass sie restriktive Maßnahmen umgehen“.

11      Da ausweislich des siebten Erwägungsgrundes des Beschlusses 2015/1836 „die Macht in Syrien traditionell auf Familienbasis ausgeübt wird [und] die einflussreichen Mitglieder der Familien Assad und Makhlouf das Machtzentrum innerhalb des derzeitigen syrischen Regimes bilden“, sollten restriktive Maßnahmen insbesondere gegen bestimmte Mitglieder dieser Familien verhängt werden, um sowohl das Regime durch diese Familienmitglieder unmittelbar dazu zu bewegen, seine repressive Politik zu ändern, als auch die Gefahr der Umgehung restriktiver Maßnahmen durch solche Familienmitglieder zu vermeiden.

12      Somit werden nach Erlass der Rechtsakte von 2015 die restriktiven Maßnahmen gemäß Art. 27 Abs. 2 Buchst. b und Art. 28 Abs. 2 Buchst. b des Beschlusses 2013/255 nun auch gegen „Mitglieder der Familien Assad bzw. Makhlouf“ verhängt (im Folgenden: Kriterium der Familienzugehörigkeit). Zugleich wurde Art. 15 der Verordnung Nr. 36/2012 um einen Abs. 1a Buchst. b ergänzt, der das Einfrieren der Vermögenswerte der Mitglieder dieser Familien vorsieht (im Folgenden zusammen mit Art. 27 Abs. 2 Buchst. b und Art. 28 Abs. 2 Buchst. b des Beschlusses 2013/255: Bestimmungen zur Einführung des Kriteriums der Familienzugehörigkeit).

13      Am 12. September 2020 verstarb Mohammed Makhlouf (im Folgenden: der Verstorbene). Zu diesem Zeitpunkt befand sich sein Name immer noch auf den streitigen Listen.

14      Am 21. Februar 2022 nahm der Rat durch die ursprünglichen Rechtsakte den Namen der Klägerin mit folgender Begründung in Zeile 321 der streitigen Listen auf:

„Tochter von Mohammed Makhlouf. Mitglied der Makhlouf-Familie.“

15      Zur Rechtfertigung der Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen stützte sich der Rat auf den Beschluss eines syrischen Richters vom 27. September 2020 über die Eröffnung des Nachlasses des Verstorbenen (im Folgenden: Beschluss über die Nachlasseröffnung).

16      Drei Tage nach Erlass der ursprünglichen Rechtsakte – am 24. Februar 2022 – erließ der Rat den Beschluss (GASP) 2022/306 zur Durchführung des Beschlusses 2013/255 (ABl. 2022, L 46, S. 95) und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/299 zur Durchführung der Verordnung Nr. 36/2012 (ABl. 2022, L 46, S. 1), um den Namen des Verstorbenen von den streitigen Listen zu streichen.

17      Am 19. April 2022 beantragte die Klägerin beim Rat, ihren Namen von den streitigen Listen zu streichen (im Folgenden: Überprüfungsantrag).

18      Der Rat lehnte den Überprüfungsantrag mit Schreiben vom 31. Mai 2022 (im Folgenden: Antwort des Rates) mit der Begründung ab, dass es ausreichende Gründe dafür gebe, den Namen der Klägerin als Mitglied der Familie Makhlouf und Erbin des Verstorbenen auf den streitigen Listen zu belassen. Bei dieser Gelegenheit übermittelte er der Klägerin den Beschluss über die Nachlasseröffnung, der den Grund für die Aufnahme ihres Namens in diese Listen untermauere, sowie eine Akte mit zusätzlichen belastenden Beweisen (im Folgenden: Zusatzakte). Diese Beweise waren ebenso wie der besagte Beschluss bei Erlass der angefochtenen Rechtsakte verfügbar.

19      In seiner Antwort unterrichtete der Rat die Klägerin über den Erlass des Beschlusses (GASP) 2022/849 vom 30. Mai 2022 zur Änderung des Beschlusses 2013/255 (ABl. 2022, L 148, S. 52) und der Durchführungsverordnung (EU) 2022/840 vom 30. Mai 2022 zur Durchführung der Verordnung Nr. 36/2012 (ABl. 2022, L 148, S. 8), mit denen er ihren Namen bis zum 1. Juni 2023 auf den streitigen Listen beibehalten habe.

20      Am 25. Mai 2023 erließ der Rat die Fortsetzungsrechtsakte, mit denen die Anwendung der Basisrechtsakte und der streitigen Listen u. a. gegenüber der Klägerin im Wesentlichen bis zum 1. Juni 2024 verlängert wurde.

II.    Anträge der Parteien

21      Nach Anpassung der Klageschrift gemäß Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt die Klägerin,

–        die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären;

–        den Rat zu verurteilen, ihr eine Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro für den ihr durch den Erlass der ursprünglichen Rechtsakte verursachten immateriellen Schaden sowie eine Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro für den ihr durch die Fortsetzungsrechtsakte verursachten immateriellen Schaden zu zahlen;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

22      Der Rat beantragt,

–        die Klage in vollem Umfang abzuweisen;

–        hilfsweise, für den Fall, dass die ursprünglichen Rechtsakte für nichtig erklärt werden sollten, soweit sie die Klägerin betreffen, dieser gegenüber die Wirkungen des Durchführungsbeschlusses 2022/242 bis zum Wirksamwerden der Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2022/237 fortbestehen zu lassen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Entscheidungsgründe

A.      Zur Zulässigkeit der Anpassung der Klageschrift

23      Mit ihrem Anpassungsschriftsatz beantragt die Klägerin, ihre Klage gemäß Art. 86 der Verfahrensordnung so erweitern zu dürfen, dass sie auch auf die Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte gerichtet ist, soweit diese sie betreffen.

24      Der Rat hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Anpassung der Klageschrift sei unzulässig, weil die Klägerin vor Erlass der Fortsetzungsrechtsakte weder den Beschluss 2022/849 noch die Durchführungsverordnung 2022/840 angefochten habe, mit denen ihr Name auf den streitigen Listen belassen worden sei.

25      Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung bestimmt: „Wird ein Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, durch einen anderen Rechtsakt mit demselben Gegenstand ersetzt oder geändert, so kann der Kläger vor Abschluss des mündlichen Verfahrens … die Klageschrift anpassen, um diesem neuen Umstand Rechnung zu tragen.“

26      Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass sowohl die ursprünglichen Rechtsakte als auch die Fortsetzungsrechtsakte, soweit sie die Klägerin betreffen, die Verhängung individueller restriktiver Maßnahmen gegen die Klägerin zum Gegenstand haben, die in Einreisebeschränkungen und dem Einfrieren all ihrer Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen bestehen.

27      Zweitens ergehen im Rahmen der Regelung zur Einführung restriktiver Maßnahmen gegen Syrien die individuellen restriktiven Maßnahmen in der Form, dass die Namen der betroffenen Personen, Organisationen oder Einrichtungen in die streitigen Listen in den Anhängen des Beschlusses 2013/255 und der Verordnung Nr. 36/2012 aufgenommen werden.

28      In diesem Zusammenhang wurden die Anhänge des Beschlusses 2013/255 und der Verordnung Nr. 36/2012 durch die ursprünglichen Rechtsakte geändert, um u. a. den Namen der Klägerin in die streitigen Listen aufzunehmen. Zu den Fortsetzungsrechtsakten ist festzustellen, dass mit dem Beschluss 2023/1035 die Anwendbarkeit des Beschlusses 2013/255, dessen Anhang I in der durch den Durchführungsbeschluss 2022/242 geänderten Fassung diesen Namen enthält, bis zum 1. Juni 2024 verlängert wurde und dass mit der Durchführungsverordnung 2023/1027 Anhang II der Verordnung Nr. 36/2012 geändert wurde, wobei dieser Name in diesem Anhang zumindest implizit belassen wurde. Daher ist festzustellen, dass die Fortsetzungsrechtsakte die ursprünglichen Rechtsakte im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung ersetzt haben.

29      Die Klägerin durfte also gemäß dem Art. 86 der Verfahrensordnung zugrunde liegenden Ziel der Verfahrensökonomie (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Almaz-Antey/Rat, T‑515/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:545, Rn. 43 und 44), nachdem sie in der Klageschrift die Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte beantragt hatte, im vorliegenden Verfahren die Klageschrift anpassen, um auch die Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte zu beantragen, obwohl sie zuvor die Klageschrift nicht angepasst hatte, um die Nichtigerklärung des Beschlusses 2022/849 und der Durchführungsverordnung 2022/840 zu beantragen.

30      Die Anpassung der Klageschrift ist somit zulässig.

B.      Zum Antrag auf Nichtigerklärung

31      Die Klägerin stützt ihren Nichtigkeitsantrag auf vier Klagegründe, mit denen sie im Wesentlichen

–        erstens eine Verletzung von Verfahrensgarantien,

–        zweitens einen Beurteilungsfehler sowie

–        drittens und viertens eine rechtswidrige Einschränkung der Ausübung von Grundrechten

geltend macht.

1.      Zum ersten Klagegrund, mit dem im Wesentlichen eine Verletzung von Verfahrensgarantien gerügt wird

32      Der vorliegende Klagegrund besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, der Rat habe ihre Verteidigungsrechte dadurch verletzt, dass er sie vor Erlass der ursprünglichen Rechtsakte nicht angehört habe. Mit dem zweiten Teil wirft sie dem Rat vor, ihren Überprüfungsantrag nur knapp beantwortet zu haben, was beweise, dass er diesen Antrag pflichtwidrig nicht sorgfältig und unparteiisch geprüft habe.

a)      Zur Zulässigkeit des im Anpassungsschriftsatz vorgebrachten Klagegrundes, mit dem im Wesentlichen eine Verletzung von Verfahrensgarantien gerügt wird

33      Die Klägerin stützt ihren Antrag auf Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte im Anpassungsschriftsatz auf dieselben Argumente, mit denen sie in der Klageschrift eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Rat gerügt hat. Sie bringt kein neues Argument vor, das speziell auf die Einhaltung der Verfahrensgarantien beim Erlass der Fortsetzungsrechtsakte gerichtet wäre.

34      Dies gilt im Wesentlichen auch für die im Stadium der Erwiderung vorgebrachte Argumentation der Klägerin im Rahmen des zweiten Teils des vorliegenden Klagegrundes, der sich auf den von ihr nach Erlass der ursprünglichen Rechtsakte gestellten Überprüfungsantrag bezieht. Die Klägerin wiederholt im Anpassungsschriftsatz lediglich dieselben Argumente, die sie zu diesem die ursprünglichen Rechtsakte betreffenden Antrag vorgebracht hat.

35      Nach Art. 86 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Kläger, wenn ein Rechtsakt, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, durch einen anderen Rechtsakt mit demselben Gegenstand ersetzt oder geändert wird, vor Abschluss des mündlichen Verfahrens oder vor der Entscheidung des Gerichts, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden, die Klageschrift anpassen, um diesem neuen Umstand Rechnung zu tragen. Außerdem bestimmt Art. 86 Abs. 4 Buchst. b der Verfahrensordnung, dass der Anpassungsschriftsatz erforderlichenfalls die angepassten Klagegründe und Argumente enthalten muss.

36      Nach der Rechtsprechung kann, wenn ein mit der Anpassung der Klageschrift angefochtener späterer Rechtsakt im Wesentlichen derselbe ist wie ein ursprünglich angefochtener Rechtsakt oder sich nur durch rein formale Unterschiede von diesem unterscheidet, nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Kläger dadurch, dass er seinem Anpassungsantrag keine ihrerseits angepassten Klagegründe und Argumente hinzugefügt hat, zwar implizit, aber eindeutig an die Klagegründe und Argumente seiner Klageschrift halten wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2019, Haswani/Rat, C‑313/17 P, EU: C:2019:57, Rn. 37).

37      In einem solchen Fall hat das Gericht, wenn es die Zulässigkeit des Anpassungsschriftsatzes prüft, festzustellen, ob der mit der Anpassung der Klageschrift angefochtene Rechtsakt gegenüber dem mit der Klageschrift angefochtenen Rechtsakt so wesentliche Unterschiede aufweist, dass sie eine Anpassung der Klagegründe und Argumente, auf die die Klageschrift gestützt wurde, notwendig machten (Urteil vom 24. Januar 2019, Haswani/Rat, C‑313/17 P, EU:C:2019:57, Rn. 38).

38      Schließlich müssen nach der Rechtsprechung die Klagegründe und Argumente, welche gegen den die Anpassung der Klageschrift rechtfertigenden Rechtsakt vorgebracht werden, im Anpassungsschriftsatz so klar und genau dargelegt werden, dass der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht über diese Anpassung entscheiden kann (vgl. Urteil vom 28. April 2021, Sharif/Rat, T‑540/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:220, Rn. 185 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Außerdem geht aus der Rechtsprechung weiter hervor, dass der Kläger grundsätzlich erläutern muss, inwiefern die zuvor vorgebrachten Klagegründe und Argumente auf den von seiner Anpassung betroffenen Rechtsakt übertragbar sind. Fehlt es nämlich an entsprechenden Erläuterungen seitens des Klägers, sind die von ihm in der Klageschrift entwickelten Klagegründe bezüglich des von seiner Anpassung betroffenen Rechtsakts nur insoweit zulässig, als ihre Übertragung auf den spezifischen Kontext dieses Rechtsakts keiner Erläuterung bedarf (vgl. Urteil vom 28. April 2021, Sharif/Rat, T‑540/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:220, Rn. 186 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Im vorliegenden Fall hat der Rat durch die ursprünglichen Rechtsakte den Namen der Klägerin erstmals in die streitigen Listen aufgenommen. Hierzu ist festzustellen, dass die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen schon aufgrund ihrer Natur überraschend kommen mussten, wenn das mit den streitigen Rechtsakten verfolgte Ziel erreicht werden sollte. Der Rat war daher insbesondere nicht verpflichtet, die Klägerin anzuhören, bevor ihr Name erstmals in die streitigen Listen aufgenommen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, EU:C:2012:718, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Dagegen bedarf es beim Erlass von Fortsetzungsrechtsakten nicht mehr des Überraschungseffekts, der die Ausnahme vom Anspruch auf rechtliches Gehör vor der Einführung restriktiver Maßnahmen rechtfertigt. Das Verfahren, das zum Erlass von Fortsetzungsrechtsakten führt, unterscheidet sich daher wesentlich von dem Verfahren, das zum Erlass der ursprünglichen Rechtsakte führt, weshalb eine Anpassung der Klagegründe und Argumente erforderlich ist, auf die die Klageschrift gestützt wurde und die mutmaßliche Mängel des Verfahrens zum Erlass der ursprünglichen Rechtsakte zum Gegenstand haben.

42      Wie oben in Rn. 33 festgestellt, beschränkt sich die Klägerin im Anpassungsschriftsatz aber auf die Erklärung, sie „erstreck[e] ihren Nichtigkeitsantrag“ auf die Fortsetzungsrechtsakte und „verweis[e] auf den Sachverhalt und die verschiedenen Klagegründe, die in der Klageschrift dargelegt sind“. Die mit dem vorliegenden Klagegrund in der Klageschrift vorgebrachten Argumente zu den vom Rat angeblich begangenen Verfahrensfehlern bezogen sich ausschließlich auf die ursprünglichen Rechtsakte und wurden im Anpassungsschriftsatz ohne die geringste Erläuterung wiederholt, mittels deren nachvollzogen werden könnte, inwiefern sie auf den speziellen Kontext des Verfahrens zum Erlass der Fortsetzungsrechtsakte übertragbar sein sollten.

43      Da der Anpassungsschriftsatz kein einziges Argument speziell zu den Verfahrensfehlern enthält, die zur Rechtswidrigkeit der Fortsetzungsrechtsakte führen könnten, ist der vorliegende Klagegrund, soweit er in diesem Schriftsatz vorgebracht wird, um den Antrag auf Nichtigerklärung der Fortsetzungsrechtsakte zu stützen, somit als unzulässig zurückzuweisen.

44      Deshalb ist der vorliegende Klagegrund nur insoweit zulässig, als er den Antrag auf Nichtigerklärung der ursprünglichen Rechtsakte stützen soll.

b)      Zum ersten Teil, mit dem gerügt wird, dass der Rat die Klägerin vor Erlass der ursprünglichen Rechtsakte nicht angehört habe

45      Die Klägerin macht geltend, der Rat habe beim Erlass der ursprünglichen Rechtsakte ihre Verteidigungsrechte und ihr Recht auf ein faires Verfahren nach den Art. 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom (im Folgenden: EMRK), und nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verletzt, da er sie vor Erlass dieser Rechtsakte nicht angehört habe. Dies gelte umso mehr, als die restriktiven Maßnahmen Zwangscharakter, womöglich sogar strafrechtlichen Charakter hätten und die Rechte des Einzelnen gravierend und dauerhaft beeinträchtigten.

46      Erstens ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung die von der Union erlassenen restriktiven Maßnahmen nicht zu einer Einziehung der Vermögenswerte der Betroffenen als Erträge aus einer Straftat führen, sondern zu einem vorsorglichen Einfrieren, so dass sie keine strafrechtliche Sanktion darstellen. Sie enthalten im Übrigen auch keinen derartigen Vorwurf (vgl. Urteil vom 21. Juli 2016, Hassan/Rat, T‑790/14, EU:T:2016:429, Rn. 77 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Daher kann die Klägerin mit ihrer Argumentation, die auf den vermeintlich strafrechtlichen Charakter der restriktiven Maßnahmen abhebt, keinen Erfolg haben.

48      Zweitens ist wiederum einleitend darauf hinzuweisen, dass die EMRK – auch wenn die durch sie anerkannten Grundrechte, wie Art. 6 Abs. 3 EUV bestätigt, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind –, solange die Union ihr nicht beigetreten ist, kein Rechtsinstrument darstellt, das formell in die Unionsrechtsordnung übernommen worden ist (vgl. Urteil vom 3. September 2015, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission, C‑398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Folglich ist im vorliegenden Fall die Gültigkeit der ursprünglichen Rechtsakte anhand der einschlägigen Bestimmungen der Charta zu prüfen.

50      Soweit die Klägerin hier also rügt, dass sie vor Erlass der ursprünglichen Rechtsakte nicht angehört worden sei, ist der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes so zu verstehen, dass damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta gerügt wird.

51      Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta ist integraler Bestandteil der Wahrung der Verteidigungsrechte und garantiert jeder Person, dass sie die Möglichkeit hat, in einem Verwaltungsverfahren in sachdienlicher und wirksamer Weise ihren Standpunkt vorzutragen, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung ergeht (vgl. Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Regel soll es u. a. dem Betroffenen ermöglichen, einen Fehler zu berichtigen oder Umstände vorzutragen, die seine persönliche Situation betreffen und die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt der Entscheidung sprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Wie der Rat ausführt, ist er nach ständiger Rechtsprechung, wenn er den Namen einer Person oder Organisation erstmals in die Liste der von restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen und Organisationen aufnimmt, jedoch nicht verpflichtet, dem Betroffenen zuvor die Gründe mitzuteilen, aus denen er diese Aufnahme beabsichtigt. Denn eine solche Maßnahme muss, um ihre Wirksamkeit nicht zu gefährden, naturgemäß einen Überraschungseffekt haben und unverzüglich zur Anwendung kommen. In diesem Fall genügt es also grundsätzlich, dass das Organ gleichzeitig mit oder unmittelbar nach Erlass der Entscheidung der betroffenen Person oder Organisation die Gründe mitteilt und sie anhört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 338 bis 341, und vom 1. Oktober 2020, Makhlouf/Rat, C‑157/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:777, Rn. 43).

53      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass der Rat mit den ursprünglichen Rechtsakten die restriktiven Maßnahmen erstmals gegen die Klägerin erlassen hat, so dass er diese nach der oben in Rn. 52 angeführten Rechtsprechung vor deren Erlass nicht anzuhören brauchte.

54      Sodann wurde ausweislich der Akten am 22. Februar 2022, d. h. am Tag des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte, im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2022, C 85 I, S. 10) eine Mitteilung an die Personen veröffentlicht, die den mit diesen Rechtsakten verhängten restriktiven Maßnahmen unterliegen. Durch diese Mitteilung wurde die Klägerin u. a. darüber informiert, dass sie beim Rat eine Überprüfung der Aufnahme ihres Namens in die streitigen Listen beantragen konnte. Unter diesen Umständen ist der Rat auch seiner Pflicht nachgekommen, der Klägerin die Gründe für die Aufnahme ihres Namens in diese Listen im Sinne der oben in Rn. 52 angeführten Rechtsprechung zu nennen.

55      Schließlich reichte die Klägerin beim Rat den Überprüfungsantrag ein, mit dem sie u. a. verlangte, ihren Namen von den streitigen Listen zu streichen. Diesen Antrag lehnte der Rat mit der Begründung ab, es gebe hinreichende Gründe dafür, den Namen auf diesen Listen zu belassen.

56      Es ist daher festzustellen, dass der Rat die Klägerin in die Lage versetzt hat, ihren Standpunkt in sachdienlicher Weise vorzutragen, wie es die oben in den Rn. 51 und 52 angeführte Rechtsprechung verlangt, weshalb er ihren Anspruch auf rechtliches Gehör beim Erlass der ursprünglichen Rechtsakte beachtet hat.

57      Die Klägerin macht jedoch geltend, ihr Name sei nicht aufgrund eines Vorgangs, der ihr zur Last gelegt werden könnte, in die streitigen Listen aufgenommen worden, sondern allein wegen des Todes ihres Vaters, um den Übergang des Nachlassvermögens zu verhindern. Der Name des Verstorbenen sei nach seinem Tod auf diesen Listen belassen worden, so dass sein Vermögen zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte eingefroren geblieben sei. Daher hätte die Wirksamkeit dieser Rechtsakte nicht beeinträchtigt werden können, wenn es ihr möglich gewesen wäre, vor deren Erlass ihr Recht auf Anhörung wahrzunehmen.

58      Wie bereits oben in Rn. 52 erwähnt, soll durch die Ausnahme von der Wahrnehmung des Rechts des Betroffenen auf Anhörung, bevor sein Name erstmals in die Liste der von restriktiven Maßnahmen erfassten Personen und Organisationen aufgenommen wird, nach ständiger Rechtsprechung ein Überraschungseffekt insbesondere für das Einfrieren von Geldern gewährleistet werden, damit die Wirksamkeit des Handelns der Union nicht gefährdet wird.

59      Im vorliegenden Fall enthielten die streitigen Listen, wie die Klägerin vorträgt, zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte noch immer den Namen des Verstorbenen, obwohl dessen Tod vom 12. September 2020 datierte. Sein Name wurde erst durch den Beschluss 2022/306 und die Durchführungsverordnung 2022/299 entfernt, die am 25. Februar 2022, d. h. vier Tage nach der Aufnahme des Namens der Klägerin in diese Listen, in Kraft traten.

60      Zwar wäre die Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte durch die Klägerin vor Erlass der ursprünglichen Rechtsakte nicht geeignet gewesen, die Wirksamkeit des Handelns der Union bezüglich des Nachlassvermögens, das der Klägerin zukommen sollte, zu beeinträchtigen; dieses Vermögen blieb eingefroren, weil der Name des Verstorbenen mehrere Monate nach dessen Tod auf den streitigen Listen verblieb.

61      Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Rat mit Erlass der ursprünglichen Rechtsakte nicht nur den Nachlass, der zuvor das Vermögen des Verstorbenen bildete, sondern auch alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin, einschließlich der zu ihrem eigenen Vermögen gehörenden Güter, eingefroren hat. Im Hinblick auf diese letzteren Güter steht aber fest, dass es sich um eine erstmalige Aufnahme in die Listen handelte, hinsichtlich deren die oben in Rn. 52 angeführte Rechtsprechung anerkennt, dass es eines Überraschungseffekts bedarf, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten.

62      Unter diesen Umständen kann die Klägerin mit ihrem Vorbringen, es habe vorliegend keines Überraschungseffekts bedurft, da das Vermögen des Verstorbenen zum Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte eingefroren geblieben sei, nicht durchdringen.

63      Der vorliegende Teil ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

c)      Zum zweiten Teil, mit dem der summarische Charakter der Antwort des Rates gerügt wird

64      Die Klägerin wirft dem Rat vor, er habe den Überprüfungsantrag summarisch und geradezu „im Schnellverfahren“ beantwortet, ohne „die Begründetheit der entlastenden Aspekte wenigstens erörtert“ zu haben, die von ihr angeführt worden seien. Dadurch habe der Rat gegen die Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Prüfung dieses Antrags verstoßen und ihre Verteidigungsrechte missachtet.

65      Im vorliegenden Fall machte die Klägerin in ihrem Überprüfungsantrag im Wesentlichen geltend, sie habe ihr Leben mittlerweile außerhalb Syriens organisiert, wo sie im Übrigen nie eine politische oder wirtschaftliche Rolle gespielt oder eine Verbindung zum herrschenden Regime unterhalten habe. Hierzu legte sie Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass sie einen polnischen Staatsbürger geheiratet hatte, der Anteile an Gesellschaften polnischen Rechts hielt. Sie legte auch einen Mietvertrag und Kopien von zwei Aufenthaltsgenehmigungen vor, um nachzuweisen, dass sie nicht mehr in Syrien wohne.

66      In dem Überprüfungsantrag erklärte die Klägerin weiter, die Situation der Familie Makhlouf habe sich „bekanntlich geändert“, worüber insbesondere in den westlichen Medien ausführlich berichtet worden sei. Dies werde durch einen auf einer News- und Nachrichten-Website veröffentlichten Artikel belegt.

67      Insoweit ist zu beachten, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta u. a. bedeutet, dass die zuständige Unionsbehörde, wenn die betroffene Person zu der Begründung Stellung nimmt, verpflichtet ist, die Stichhaltigkeit der angeführten Gründe im Licht dieser Stellungnahme und der ihr gegebenenfalls beigefügten entlastenden Gesichtspunkte sorgfältig und unparteiisch zu prüfen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 114).

68      Soweit die Klägerin geltend macht, der Rat habe ihr Vorbringen nicht auf seine Begründetheit geprüft, ist darauf hinzuweisen, dass die Unionsorgane zur Achtung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf rechtliches Gehör zwar der von einer beschwerenden Maßnahme betroffenen Person Gelegenheit geben müssen, ihren Standpunkt sachgerecht zu vertreten, aber nicht dazu verpflichtet sind, diesen Standpunkt zu übernehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juli 2017, Arbuzov/Rat, T‑221/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:478, Rn. 84, und vom 27. September 2018, Ezz u. a./Rat, T‑288/15, EU:T:2018:619, Rn. 330).

69      Daher kann der Umstand, dass der Rat die ursprünglichen Rechtsakte nicht für ungerechtfertigt erklärt hat, nicht bedeuten, dass er die von der Klägerin im Rahmen ihres Überprüfungsantrags vorgebrachten Aspekte und Argumente nicht zur Kenntnis genommen hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 2018, Ezz u. a./Rat, T‑288/15, EU:T:2018:619, Rn. 330 und 331).

70      Zudem hat der Rat in seiner Antwort erklärt, er habe die Stellungnahme der Klägerin geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass sie seine Beurteilung nicht in Frage stelle, so dass es hinreichende Gründe dafür gebe, ihren Namen als Mitglied der Familie Makhlouf und Erbin des Verstorbenen auf den streitigen Listen zu belassen. Dieser Antwort waren Belege zur Begründung der ursprünglichen Rechtsakte beigefügt.

71      Infolgedessen ist festzustellen, dass der Rat seinen Verpflichtungen zur Wahrung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör in dem Verfahren, das zum Erlass der ursprünglichen Rechtsakte geführt hat, nachgekommen ist.

72      Daher ist der vorliegende Teil und folglich der erste Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Klagegrund, mit dem ein Beurteilungsfehler gerügt wird

73      Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes, der formal auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler gestützt ist, macht die Klägerin geltend, die angefochtenen Rechtsakte seien rechtswidrig, so dass ihr Name zu Unrecht in die streitigen Listen aufgenommen worden sei. Die bloße Tatsache, dass sie der Familie Makhlouf angehöre, könne es nicht rechtfertigen, dass ihr restriktive Maßnahmen auferlegt worden seien.

74      Der Rat tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

a)      Vorbemerkungen

75      Zunächst ist davon auszugehen, dass mit dem vorliegenden Klagegrund ein Beurteilungsfehler und nicht ein offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt wird. Denn der Rat hat zwar ein gewisses Ermessen, um im Einzelfall festzustellen, ob die rechtlichen Kriterien, auf die die betreffenden restriktiven Maßnahmen gestützt werden, erfüllt sind, doch müssen die Unionsgerichte eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union gewährleisten (vgl. Urteil vom 26. Oktober 2022, Ovsyannikov/Rat, T‑714/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:674, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Wegen der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten Effektivität der gerichtlichen Kontrolle muss sich der Unionsrichter vergewissern, ob die Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen erlassen oder aufrechterhalten werden und die eine individuelle Betroffenheit der jeweiligen Person oder Organisation begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119).

77      Der Unionsrichter hat bei dieser Prüfung gegebenenfalls von der zuständigen Unionsbehörde – vertrauliche oder nicht vertrauliche – Informationen oder Beweise anzufordern, die für eine solche Prüfung relevant sind (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 120).

78      Im Streitfall ist es Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person vorliegenden Gründe nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den negativen Nachweis zu erbringen, dass diese Gründe nicht stichhaltig sind (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121).

79      Hierzu braucht die betreffende Behörde dem Unionsrichter nicht sämtliche Informationen und Beweise vorzulegen, die mit der in dem angefochtenen Rechtsakt übermittelten Begründung zusammenhängen. Die vorgelegten Informationen oder Beweise müssen jedoch die Gründe stützen, die gegen die betroffene Person vorliegen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 122).

80      Übermittelt die zuständige Unionsbehörde relevante Informationen oder Beweise, muss der Unionsrichter die inhaltliche Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen anhand dieser Informationen oder Beweise prüfen und deren Beweiskraft anhand der Umstände des Einzelfalls und im Licht etwaiger dazu abgegebener Stellungnahmen, insbesondere der betroffenen Person oder Organisation, würdigen (Urteil vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 124).

81      Bei der Beurteilung, ob die Aufnahme eines Namens in eine Liste stichhaltig ist, sind die Beweise nicht isoliert, sondern in dem Zusammenhang zu prüfen, in dem sie stehen (vgl. Urteil vom 16. März 2022, Sabra/Rat, T‑249/20, EU:T:2022:140, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82      Im Rahmen der Beurteilung des Gewichts der betroffenen Belange, die zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gehört, kann schließlich dem Zusammenhang, in dem diese Maßnahmen stehen, der Dringlichkeit des Erlasses solcher Maßnahmen, mit denen Druck auf das syrische Regime ausgeübt werden soll, damit es die gewaltsame Repression gegen die Bevölkerung beendet, und der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, in einem Staat mit einem autoritären Regime, in dem Bürgerkrieg herrscht, präzisere Beweise zu erlangen (vgl. Urteil vom 16. März 2022, Sabra/Rat, T‑249/20, EU:T:2022:140, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Daher müssen die Unionsbehörden, da sie in Drittländern keine Ermittlungsbefugnisse haben, nach der Rechtsprechung ihre Beurteilung in der Praxis auf allgemein zugängliche Informationsquellen, Berichte, Presseartikel oder sonstige ähnliche Informationsquellen stützen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2020, Haswani/Rat, T‑521/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:608, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Anhand dieser Grundsätze ist der vorliegende Klagegrund zu prüfen.

b)      Zur Stichhaltigkeit der Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen

85      Der Name der Klägerin wurde in die streitigen Listen aufgenommen, weil sie „Tochter von Mohammed Makhlouf [und] Mitglied der Makhlouf-Familie“ war (siehe oben, Rn. 14). Der Rat stützte sich somit auf das Kriterium der Familienzugehörigkeit, um in den angefochtenen Rechtsakten den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen die Klägerin zu rechtfertigen, wobei er auf den Beschluss über die Nachlasseröffnung (siehe oben, Rn. 15) verwies, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin eine der Erbinnen des Verstorbenen war.

86      Die Klägerin bestreitet weder die Echtheit noch die Beweiskraft des Beschlusses über die Nachlasseröffnung. Sie bestreitet auch nicht ihre Abstammung vom Erblasser und damit ihre Zugehörigkeit zur Familie Makhlouf.

87      Unter diesen Umständen durfte sich der Rat auf den Beschluss über die Nachlasseröffnung stützen, um den Grund für die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen zu untermauern.

88      Die Klägerin macht jedoch geltend, die Bestimmungen zur Einführung des Kriteriums der Familienzugehörigkeit stünden einer automatischen Aufnahme in diese Listen aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Familie Makhlouf entgegen. Nach dem Beschluss 2015/1836 könnten restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien nur gegen ein einflussreiches Mitglied dieser Familie verhängt werden.

89      In diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass nach dem allgemeinen Aufnahmekriterium der Verbindung mit dem syrischen Regime, das in Art. 27 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie bezüglich des Einfrierens von Geldern entsprechend in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung festgelegt ist, eine Person oder Organisation, die vom syrischen Regime profitiert oder dieses unterstützt, sowie mit ihr in Verbindung stehende Personen in die streitigen Listen aufgenommen werden können.

90      Später, d. h. im Jahr 2015, wurde das allgemeine Kriterium der Verbindung mit dem syrischen Regime durch spezifische Aufnahmekriterien ergänzt. Diese sind nun in Art. 27 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 2 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie in Art. 15 Abs. 1a Buchst. b der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung enthalten. Nach der Rechtsprechung wird mit diesen Bestimmungen gegenüber sieben Kategorien von Personen, die bestimmten Gruppen angehören, eine widerlegliche Vermutung ihrer Verbindung mit dem syrischen Regime aufgestellt. Zu diesen Kategorien gehören u. a. die „Mitglieder der Familien Assad bzw. Makhlouf“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, Makhlouf/Rat, C‑157/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:777, Rn. 98).

91      Schließlich wurde entschieden, dass die spezifischen Aufnahmekriterien betreffend die oben in Rn. 90 genannten sieben Personenkategorien gegenüber dem allgemeinen Kriterium der Verbindung mit dem syrischen Regime eigenständig sind, weshalb die bloße Zugehörigkeit zu einer dieser sieben Personenkategorien für den Erlass der in diesen Artikeln vorgesehenen restriktiven Maßnahmen ausreicht, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass die betreffenden Personen das derzeitige syrische Regime unterstützen oder von ihm profitieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, Makhlouf/Rat, C‑157/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:777, Rn. 83).

92      Daraus ist zu schließen, dass das mit den Rechtsakten von 2015 eingeführte Kriterium der Familienzugehörigkeit ein objektives, eigenständiges und für sich genommen ausreichendes Kriterium darstellt, das den Erlass restriktiver Maßnahmen gegen „Mitglieder der Familie … Makhlouf“ durch die Aufnahme ihrer Namen in die Listen der Personen, die Gegenstand solcher Maßnahmen sind, allein deshalb rechtfertigt, weil sie dieser Familie angehören. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin oben in Rn. 88 ist das Kriterium nicht auf „einflussreiche“ Mitglieder dieser Familie beschränkt.

93      Allerdings sehen Art. 27 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 3 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 15 Abs. 1b der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung im Wesentlichen vor, dass die Namen der von den Bestimmungen über die Aufnahmekriterien erfassten Personen nicht in die streitigen Listen aufgenommen werden, wenn ausreichende Angaben darüber vorliegen, dass sie weder mit dem syrischen Regime in Verbindung stehen noch Einfluss auf dieses ausüben und dass keine reale Gefahr besteht, dass sie restriktive Maßnahmen umgehen.

94      In Anbetracht der Ausführungen oben in den Rn. 90 bis 92 durfte der Rat also unter Berücksichtigung des Beschlusses zur Nachlasseröffnung a priori den Namen der Klägerin, gestützt auf die aus dem Kriterium der Familienzugehörigkeit resultierende widerlegliche Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime, in die streitigen Listen aufnehmen.

95      Es war sodann Sache der Klägerin, im Streitfall Beweise beizubringen, um die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime zu widerlegen, auf die der Rat die angefochtenen Rechtsakte gestützt hat.

96      Hierzu wurde, wie oben in Rn. 78 erwähnt, entschieden, dass die Beweislast für die Stichhaltigkeit der für die restriktiven Maßnahmen maßgeblichen Gründe in der Regel dem Rat obliegt, weshalb keine übermäßigen Beweisanforderungen an einen Kläger gestellt werden dürfen, um die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime zu widerlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2022, Sabra/Rat, T‑249/20, EU:T:2022:140, Rn. 132 und 133 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

97      Es ist somit davon auszugehen, dass ein Kläger die insbesondere durch die Bestimmungen zur Einführung des Kriteriums der Familienzugehörigkeit aufgestellte Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime erfolgreich widerlegt hat, wenn er Argumente oder Umstände geltend macht, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit der vom Rat vorgelegten Beweise oder deren Beurteilung ernstlich in Frage zu stellen, oder wenn er vor dem Unionsrichter ein Bündel konkreter, genauer und übereinstimmender Indizien dafür vorlegt, dass gemäß Art. 27 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 3 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 15 Abs. 1b der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung die Verbindung mit dem syrischen Regime nicht oder nicht mehr gegeben ist, dass kein Einfluss auf dieses Regime ausgeübt wird oder dass keine reale Gefahr der Umgehung von restriktiven Maßnahmen besteht (vgl. Urteil vom 16. März 2022, Sabra/Rat, T‑249/20, EU:T:2022:140, Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Im vorliegenden Fall macht die Klägerin, um die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime zu widerlegen, im Wesentlichen zwei Reihen von Argumenten geltend, die erstens ihr Privat- und Familienleben und zweitens den Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime betreffen.

99      Die Klägerin trägt erstens vor, sie habe nie eine direkte persönliche Verbindung mit dem syrischen Regime, den Aktivitäten ihres Vaters oder den staatlichen Behörden unterhalten und habe nach ihrer Heirat mit einem polnischen Staatsbürger auch den Schwerpunkt ihrer Interessen ins Ausland verlagert. Ihr Privat- und Familienleben finde mittlerweile fern vom syrischen Umfeld statt. Ihr Name hätte daher nicht in die streitigen Listen aufgenommen werden dürfen, da sie mit dem syrischen Regime nichts zu tun habe.

100    Die Klägerin stützt ihr Vorbringen auf folgende Beweise, die ihre Ehe mit einem Unionsbürger und ihren Wohnsitz außerhalb Syriens zum Gegenstand haben:

–        eine Kopie der Urkunde über ihre in Damaskus (Syrien) mit ihrem zweiten Ehemann geschlossene Ehe sowie eine Kopie von dessen von den polnischen Behörden ausgestelltem Reisepass und zwei Auszüge aus dem polnischen Gesellschaftsregister, die sich auf die von ihrem Ehemann gehaltenen Gesellschaftsanteile beziehen;

–        eine Kopie ihrer Aufenthaltsgenehmigung, die von den polnischen Behörden am 10. Februar 2020 ausgestellt wurde und am 21. Januar 2021 ablaufen sollte;

–        eine Kopie zweier Mietverträge für eine Wohnung in Warschau (Polen) für den Zeitraum vom 17. August 2018 bis zum 31. August 2021 bzw. vom 1. Juli 2022 bis zum 31. August 2023;

–        eine Kopie ihrer Aufenthaltsgenehmigung, die von den Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate am 3. März 2022 ausgestellt wurde und am 2. März 2024 ablaufen sollte.

101    Insoweit genügt der Hinweis, dass nach der Rechtsprechung der bloße Umstand, außerhalb Syriens zu leben, für sich genommen nicht für die Feststellung ausreicht, dass die Verbindung mit dem syrischen Regime nicht oder nicht mehr gegeben ist, dass kein Einfluss auf dieses Regime ausgeübt wird oder dass keine reale Gefahr der Umgehung von restriktiven Maßnahmen besteht (Urteile vom 12. März 2014, Al Assad/Rat, T‑202/12, EU:T:2014:113, Rn. 104, und vom 14. April 2021, Al Tarazi/Rat, T‑260/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:187, Rn. 149).

102    Gleiches gilt auch für den Umstand, dass die Klägerin mit einem Unionsbürger verheiratet ist und dass ihr Ehemann Anteile an zwei polnischen Gesellschaften hält.

103    Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe in Syrien nie eine politische oder wirtschaftliche Rolle gespielt, ist daran zu erinnern, dass nach dem siebten Erwägungsgrund des Beschlusses 2015/1836 die aufgrund des Kriteriums der Familienzugehörigkeit ergriffenen restriktiven Maßnahmen nicht nur Personen erfassen sollen, die am politischen Leben in Syrien teilnehmen. Vielmehr richten sich diese Maßnahmen, wie die angefochtenen Rechtsakte, gegen bestimmte Mitglieder namentlich der Familie Makhlouf, wobei der Rat insbesondere meint, über diese Familienmitglieder das syrische Regime unmittelbar zur Änderung seiner repressiven Politik bewegen zu können. Dies gilt umso mehr, als gemäß demselben Erwägungsgrund die Macht in Syrien traditionell auf Familienbasis ausgeübt wird (siehe oben, Rn. 11).

104    Demnach ist das Vorbringen der Klägerin zu ihrem Privat- und Familienleben als solches nicht geeignet, die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime zu widerlegen.

105    Die Klägerin macht zweitens geltend, seit dem Jahr 2018 habe sich „die Situation der Familie Makhlouf bekanntlich geändert“, und zwar so, dass es nunmehr einen Konflikt zwischen dieser Familie und dem syrischen Regime gebe. Ihr Name dürfe nicht auf den streitigen Listen erscheinen, da sie keine Verbindung zu diesem Regime unterhalte.

106    Sie stützt ihre Argumentation auf folgende Dokumente:

–        einen am 20. Mai 2020 auf der Website von France 24 veröffentlichten Artikel (im Folgenden: „France 24“-Artikel);

–        einen auf der Website „Freethinker“ am 12. September 2020 in arabischer Sprache veröffentlichten Artikel mit einer freien Übersetzung ins Französische, in dem die Todesanzeige für den Verstorbenen analysiert wird (im Folgenden: Presseartikel zur Todesanzeige);

–        einen auf der Website „Arabi21.com“ veröffentlichten Artikel vom 2. Mai 2020 (im Folgenden: „Arabi21.com“-Artikel);

–        eine Mitteilung vom 31. Dezember 2022, die den Rücktritt von Hafez Makhlouf vom Amt eines Brigadegenerals der syrischen Armee belegt.

107    Nach Ansicht der Klägerin kann anhand der Angaben in den oben in Rn. 106 erwähnten Dokumenten bewiesen werden, dass es zu einem Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime gekommen sei.

108    Hierzu ist erstens festzustellen, dass in dem „France 24“-Artikel nur von einem Konflikt die Rede ist, der mittlerweile zwischen einem Bruder der Klägerin, Rami Makhlouf, und der syrischen Regierung bestehe und der diesen Bruder, seine Frau, seine Kinder und seine Mitarbeiter betreffe. In einem Video, das dem Artikel beigefügt ist, appelliert Rami Makhlouf an seinen Vetter, den syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad, einzuschreiten, um die wirtschaftliche Repression zu beenden, der er seitens der syrischen Behörden ausgesetzt sei.

109    Dem „France 24“-Artikel lässt sich somit zwar entnehmen, dass Rami Makhlouf meint, unter Verletzungen seiner Vermögensrechte seitens der syrischen Behörden zu leiden. Der Artikel erlaubt jedoch nicht die Feststellung, dass die Verbindung mit dem syrischen Regime nicht oder nicht mehr gegeben wäre, dass kein Einfluss auf dieses Regime ausgeübt würde oder dass keine reale Gefahr der Umgehung von restriktiven Maßnahmen bestünde, und zwar weder für die anderen Mitglieder der Familie Makhlouf noch auch nur für den Betroffenen selbst, da dieser sich seinem Vetter, dem syrischen Präsidenten, weiterhin so eng verbunden fühlt, dass er ihn direkt und öffentlich auffordern kann, insbesondere zur Unterstützung seiner Interessen zu intervenieren.

110    Zweitens wird in dem „Arabi21.com“-Artikel davon berichtet, dass die Klägerin über eines der sozialen Netzwerke auf das oben in Rn. 108 erwähnte, von ihrem Bruder Rami Makhlouf veröffentlichte Video reagiert hat, in dem er das syrische Regime kritisierte und zugleich seinen Vetter, den syrischen Präsidenten, zum Einschreiten aufforderte. In ihrer eigenen Veröffentlichung betete die Klägerin um Schutz und Sicherheit für ihren Bruder sowie darum, dass „Gott die Kinder des Verbotenen von [diesem Bruder] fernhält“. Solche Äußerungen, mit denen die Klägerin eine moralische Unterstützung für ihren Bruder demonstriert, ohne diejenigen wirklich zu benennen, die angeblich die Interessen ihres Bruders verletzten, können aber nicht ihr Vorbringen stützen, wonach es zu einem Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime gekommen sei.

111    Drittens ist in dem Presseartikel zur Todesanzeige zunächst von der Scheidung der Klägerin von ihrem früheren Ehemann, einem Vetter des syrischen Präsidenten, die Rede. Darin heißt es weiter, die Scheidung sei darauf zurückzuführen, dass das Telefon der Klägerin gehackt und eine Reihe der darauf befindlichen Fotos verbreitet worden sei. Es wird also nicht so dargestellt, als wäre der Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime, auf den sich die Klägerin beruft, der Grund für die Trennung der Klägerin von ihrem früheren Ehemann.

112    Im Übrigen geht aus dem Presseartikel zur Todesanzeige zwar hervor, dass es in dieser Anzeige an einem Datum für Beileidsbekundungen, „wie es üblicherweise angegeben wird“, fehlte und dass die Bestattungszeremonie für den Verstorbenen abgesagt worden war, wobei „diese Entscheidung einigen Quellen zufolge auf eine direkte Anweisung [des syrischen Präsidenten] zurückgeht“. In den Akten findet sich jedoch kein Beleg für diese Behauptung, die daher rein spekulativ bleibt, zumal der Verstorbene bekanntlich im September 2020 verstarb und bei seinem Tod gesundheitspolizeiliche Einschränkungen wegen der Covid‑19-Pandemie galten.

113    Außerdem werden laut dem Presseartikel zur Todesanzeige in dieser Anzeige nicht die Namen der Söhne von Hafez Al-Assad, insbesondere der des syrischen Präsidenten, genannt, obwohl es üblich sei, dass „die Familie des Verstorbenen die Namen bekannter und einflussreicher Persönlichkeiten nennt“, was „das Ausmaß des zwischen beiden Seiten bestehenden Familienstreits beweist“.

114    Diese Bemerkungen sind jedoch eine bloße Interpretation des Inhalts der Todesanzeige durch den Autor des diese Anzeige betreffenden Presseartikels, die auf Schlussfolgerungen aus bestimmten in Syrien angeblich üblichen sozialen Praktiken oder auf nicht weiter belegten Behauptungen beruht. Somit reicht diese Einschätzung als solche nicht aus, um den Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime zu belegen.

115    Die Klägerin legt viertens eine Mitteilung vom 31. Dezember 2022 vor, die den Rücktritt von Hafez Makhlouf vom Amt eines Brigadegenerals der syrischen Armee bescheinigt. Insoweit genügt die Feststellung, dass diese Mitteilung lediglich erwähnt, Brigadegeneral Hafez Makhlouf sei auf seinen Antrag mit Wirkung vom 3. Januar 2023 pensioniert worden. Die Klägerin hat jedoch weder die Bedeutung dieses Beweises verdeutlicht noch diesen Rücktritt näher erläutert, sondern beschränkt sich auf die Bemerkung, dass ihr „die Berücksichtigung dieses Umstands [durch das Gericht] für die Entscheidung des Rechtsstreits wichtig [erscheint]“. Daher kann dieser Umstand nicht als geeignet angesehen werden, den Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime zu belegen.

116    Demzufolge sind die Beweise, die die Klägerin vorgelegt hat, um ihr Vorbringen erstens zu ihrem Privat- und Familienleben und zweitens zum Bruch in den Beziehungen zwischen der Familie Makhlouf und dem syrischen Regime zu stützen, unter Berücksichtigung der oben in Rn. 97 erwähnten Rechtsprechung nicht geeignet, die Vermutung einer Verbindung mit diesem Regime zu widerlegen.

117    Dieses Ergebnis drängt sich umso mehr auf, wenn das in der Zusatzakte enthaltene Material in Betracht gezogen wird.

118    Die Zusatzakte enthält zum einen den „Arabi21.com“-Artikel und den Presseartikel zur Todesanzeige, die bereits oben in den Rn. 110 bis 114 geprüft wurden, da sich auch die Klägerin auf diese Artikel stützt, um die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Rechtsakte geltend zu machen.

119    Die Zusatzakte enthält zum anderen auch

–        einen auf der Website „verify-sy.com“ veröffentlichten Artikel vom 18. März 2021;

–        einen auf der Website der Financial Times veröffentlichten Artikel vom 11. September 2019 (im Folgenden: „Financial Times“-Artikel).

120    Der auf der Website „verify-sy.com“ veröffentlichte Artikel berichtet über einen von einer gewissen „Amani Makhlouf“, einer angeblichen Schwester von Rami Makhlouf, verwalteten gefälschten Twitter-Account, der aber in Wirklichkeit keinem Mitglied der Familie Makhlouf gehöre. Unter diesen Umständen ist dieser Artikel als für den vorliegenden Fall irrelevant anzusehen.

121    Der „Financial Times“-Artikel berichtet darüber, dass mehrere Mitglieder der Familie Makhlouf in den sechs Jahren vor seiner Veröffentlichung mindestens 20 Wohnungen in einem luxuriösen Wohnkomplex in Moskau (Russland) für einen Gesamtwert von 40 Mio. US-Dollar (USD) gekauft hätten. Diese Käufe seien durch die Nutzung mehrerer Kredite und Finanzarrangements erfolgt, um Gelder aus Syrien abzuziehen. Insbesondere im Jahr 2015 habe die Klägerin eine Wohnung im Wert von mehreren Mio. USD erworben. Drei Brüder und eine Schwägerin der Klägerin hätten außerdem weitere Wohnungen im selben Gebäude erworben.

122    In dem „Financial Times“-Artikel heißt es weiter, seit Beginn des Krieges in Syrien seien Investitionen in Russland, einem Land, welches das syrische Regime unterstütze, für die Mitglieder der Familien Assad und Makhlouf zu einem Mittel geworden, um ihre Gelder abzusichern und vor den ihnen auferlegten restriktiven Maßnahmen zu schützen. Aus dem genannten Artikel geht hervor, dass Investitionen in Immobilien in Russland offenbar eine finanzielle Strategie zur Umgehung der u. a. von der Union verhängten restriktiven Maßnahmen darstellen.

123    Zunächst bestreitet die Klägerin nicht die klaren, präzisen und ausführlichen Angaben in dem „Financial Times“-Artikel. Sodann lässt der Umstand, dass die oben in Rn. 121 erwähnten Investitionen gleichzeitig getätigt wurden, erkennen, dass Kontakte zwischen der Klägerin und anderen Mitgliedern der Familie Makhlouf bestanden, die ausweislich der Akten von restriktiven Maßnahmen der Union betroffen sind. Schließlich erklärt die Klägerin zwar, sie übe keinen Beruf aus, macht aber keine Angaben zur Herkunft der Mittel, mit denen sie die fragliche Immobilie erwerben konnte. Die Entscheidung der Klägerin, in Russland zu investieren, erfolgte somit in einem Kontext, der nach der Beschreibung in diesem Artikel der Entwicklung von Strategien zur Umgehung der restriktiven Maßnahmen der Union dient.

124    Hinzu kommt, dass der ebenfalls in der Zusatzakte enthaltene „Arabi21.com“-Artikel von der öffentlichen Unterstützung der Klägerin für ihren Bruder Rami Makhlouf durch eine Veröffentlichung in sozialen Netzwerken berichtet. Wie aus der vorstehenden Rn. 110 hervorgeht, ist der Inhalt dieser Veröffentlichung in einem politischen Kontext zu sehen und belegt die enge Verbindung zwischen der Klägerin und ihrem Bruder, nicht nur auf familiärer, sondern auch auf politischer Ebene. Daher bestätigt der „Arabi21.com“-Artikel die Erkenntnisse, die sich aus dem „Financial Times“-Artikel ergeben.

125    Nach alledem beruhen die angefochtenen Rechtsakte, da die Klägerin die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime nicht wirksam widerlegt hat, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage im Sinne der oben in Rn. 76 angeführten Rechtsprechung.

126    Daher ist der zweite Klagegrund, da die angefochtenen Rechtsakte mit keinem Beurteilungsfehler behaftet sind, zurückzuweisen.

3.      Zum dritten und vierten Klagegrund, mit denen im Wesentlichen eine rechtswidrige Einschränkung der Ausübung von Grundrechten gerügt wird

127    Die Klägerin stützt die vorliegenden Klagegründe im Kern auf zwei Rügen, mit denen sie

–        erstens eine rechtswidrige Einschränkung der Ausübung ihres Eigentumsrechts sowie

–        zweitens eine rechtswidrige Einschränkung der Ausübung ihres Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens

geltend macht.

128    In diesem Zusammenhang weist die Klägerin insbesondere darauf hin, dass nach Art. 5 Abs. 4 EUV „die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus[gehen]“ und dass nach Art. 28 Abs. 4 des Beschlusses 2013/255 bei allen Beschlüssen über eine Aufnahme in die Liste der Personen in dessen Anhang I „die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in jedem einzelnen Fall berücksichtigt [wird]“.

a)      Zur ersten Rüge: rechtswidrige Einschränkung der Ausübung des Eigentumsrechts der Klägerin

129    Die Klägerin trägt vor, durch die angefochtenen Rechtsakte, mit denen der Rat u. a. all ihre Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren habe, werde ihr Eigentumsrecht in ungerechtfertigter und unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt.

130    Der Rat tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

131    Art. 17 Abs. 1 der Charta bestimmt: „Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“

132    Im vorliegenden Fall hat der Rat mit den angefochtenen Rechtsakten alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin eingefroren, wodurch er unbestreitbar den Gebrauch ihres in Art. 17 Abs. 1 der Charta vorgesehenen Eigentumsrechts beschränkt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 358, und vom 13. September 2013, Makhlouf/Rat, T‑383/11, EU:T:2013:431, Rn. 99).

133    Jedoch beansprucht das Eigentumsrecht, wie es in Art. 17 Abs. 1 der Charta geschützt wird, keine absolute Geltung und kann folglich unter den Voraussetzungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta begrenzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2014, Ezz u. a./Rat, T‑256/11, EU:T:2014:93, Rn. 195, und vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 254 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

134    Art. 52 Abs. 1 der Charta erkennt nämlich Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte und Freiheiten an. Nach dieser Bestimmung muss „[j]ede Einschränkung der Ausübung der in [der] Charta anerkannten Rechte und Freiheiten … gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten“ und dürfen „[u]nter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit … Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen“.

135    Um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, muss eine Einschränkung der Ausübung der Grundrechte somit vier Voraussetzungen erfüllen. Erstens muss die in Rede stehende Einschränkung insofern „gesetzlich vorgesehen“ sein, als das Unionsorgan, das Maßnahmen erlässt, die geeignet sind, das Recht oder die Freiheit einer natürlichen oder juristischen Person zu beschränken, hierfür über eine Rechtsgrundlage verfügen muss. Zweitens muss die fragliche Einschränkung den Wesensgehalt dieser Rechte achten. Drittens muss mit dieser Einschränkung ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgt werden, das die Union als solches anerkennt. Viertens muss die Einschränkung verhältnismäßig sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juli 2022, RT France/Rat, T‑125/22, EU:T:2022:483, Rn. 145).

1)      Zur Erfüllung der ersten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts „gesetzlich vorgesehen“ sein muss

136    Die Einschränkung der Ausübung des Grundrechts auf Eigentum muss, um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, insofern „gesetzlich vorgesehen“ sein, als das Unionsorgan, das eine Maßnahme erlässt, die die Ausübung dieses Rechts durch eine Person beschränken kann, hierfür über eine Rechtsgrundlage verfügen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2017, Ben Ali/Rat, T‑149/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:693, Rn. 161).

137    Restriktive Maßnahmen sind gesetzlich vorgesehen, wenn sie in Basisrechtsakten mit allgemeiner Geltung und mit einer eindeutigen unionsrechtlichen Rechtsgrundlage festgelegt sind und sowohl im Hinblick auf ihre Tragweite als auch auf die Gründe, die ihre Anwendung gegenüber dem Kläger rechtfertigen, hinreichend genau formuliert sind (vgl. Urteil vom 5. November 2014, Mayaleh/Rat, T‑307/12 und T‑408/13, EU:T:2014:926, Rn. 176 und die dort angeführte Rechtsprechung).

138    Im vorliegenden Fall wurden die angefochtenen Rechtsakte im Wesentlichen auf der Grundlage der Bestimmungen zur Einführung des Kriteriums der Familienzugehörigkeit erlassen, die in den Basisrechtsakten enthalten sind. Letztere beruhen auf den Vorschriften über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), insbesondere auf Art. 29 EUV und Art. 215 AEUV.

139    Daher ist die erste Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta, die eine Einschränkung eines Grundrechts rechtfertigt, im vorliegenden Fall erfüllt.

2)      Zur Erfüllung der zweiten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts dessen Wesensgehalt achten muss

140    Um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, muss die Einschränkung der Ausübung des Grundrechts auf Eigentum den Wesensgehalt dieses Rechts achten.

141    Das Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen stellt unionsrechtlich eine Sicherungsmaßnahme und keine Einziehung der Vermögenswerte des Betroffenen dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2016, Hassan/Rat, T‑790/14, EU:T:2016:429, Rn. 77 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung). Die angefochtenen Rechtsakte sind daher keine Maßnahme, die der Klägerin den Wesensgehalt ihres Eigentumsrechts endgültig entziehen würde.

142    Ferner ist es nach Art. 28 Abs. 6 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 16 der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung möglich, zum einen die Verwendung eingefrorener Gelder zur Deckung von Grundbedürfnissen oder zur Erfüllung bestimmter Verpflichtungen zu erlauben und zum anderen spezifische Genehmigungen für die Freigabe eingefrorener Gelder, sonstiger Vermögenswerte oder wirtschaftlicher Ressourcen zu erteilen (vgl. Urteil vom 28. April 2021, Sharif/Rat, T‑540/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:220, Rn. 203 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143    Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass restriktive Maßnahmen ihrer Natur nach befristet und reversibel sind, da der Rat sie gemäß Art. 34 Sätze 2 und 3 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 32 Abs. 4 der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung regelmäßig überprüfen muss (vgl. Urteil vom 24. November 2021, Foz/Rat, T‑258/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:820, Rn. 173 und die dort angeführte Rechtsprechung).

144    Daraus folgt, dass die angefochtenen Rechtsakte, obwohl sie die Klägerin in der Ausübung ihres Eigentumsrechts beschränken, in Anbetracht von Art und Umfang des Einfrierens all ihrer vorgesehenen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen den Wesensgehalt dieses Rechts achten.

145    Daher ist die zweite Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta im vorliegenden Fall erfüllt.

3)      Zur Erfüllung der dritten Voraussetzung, wonach mit der Einschränkung des Rechts ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgt werden muss, das die Union als solches anerkennt

146    Um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein, muss mit der Einschränkung der Ausübung des Grundrechts auf Eigentum ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgt werden, das die Union als solches anerkennt. Zu diesen Zielen gehören die für die Völkergemeinschaft grundlegenden Ziele des Schutzes der Zivilbevölkerung vor gewaltsamer Unterdrückung sowie der Erhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 258 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

147    Die Bedeutung der mit den fraglichen restriktiven Maßnahmen verfolgten Ziele kann somit selbst erhebliche negative Konsequenzen für die betroffenen Personen oder Einrichtungen rechtfertigen (vgl. Urteil vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 254 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

148    Daraus folgt, dass die dritte Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta im vorliegenden Fall erfüllt ist, denn die angefochtenen Rechtsakte dienen dem Schutz der Zivilbevölkerung vor gewaltsamer Unterdrückung sowie der Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit, wobei es sich um dem Gemeinwohl dienende Ziele handelt, die von der Union als solche anerkannt werden.

4)      Zur Erfüllung der vierten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts verhältnismäßig sein muss

149    Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Grundrechte und ‑freiheiten verhältnismäßig sein.

150    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und in Art. 5 Abs. 4 EUV übernommen wurde, verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, und nicht über das zu deren Erreichung Erforderliche hinausgehen. Somit ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen, und die verursachten Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. April 2019, Sharif/Rat, T‑5/17, EU:T:2019:216, Rn. 90, und vom 24. November 2021, Foz/Rat, T‑258/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:820, Rn. 168 und die dort angeführte Rechtsprechung).

151    Im vorliegenden Fall ist, wie aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes hervorgeht, festzustellen, dass die angefochtenen Rechtsakte, da die Klägerin die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime nicht widerlegen konnte, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage im Sinne der oben in Rn. 76 angeführten Rechtsprechung beruhen, so dass die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen gerechtfertigt ist.

152    Daher kann der Erlass restriktiver Maßnahmen gegenüber der Klägerin als Mitglied der Familie Makhlouf, die eine Verbindung mit dem syrischen Regime unterhielt, nicht als unangemessen angesehen werden, weil damit ein für die Völkergemeinschaft derart grundlegendes Ziel wie der Schutz der Zivilbevölkerung verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 258 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

153    Außerdem gehen restriktive Maßnahmen wie die hier in Rede stehenden nach ständiger Rechtsprechung nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um den angestrebten Schutz der Zivilbevölkerung zu erreichen, da mit alternativen und weniger belastenden Maßnahmen, wie z. B. einer Verpflichtung, die Verwendung der gezahlten Beträge nachträglich zu belegen, das verfolgte Ziel – nämlich über die Mitglieder der Familien Assad und Makhlouf das syrische Regime unmittelbar zur Änderung seiner repressiven Politik zu bewegen und dabei die Gefahr einer Umgehung der restriktiven Maßnahmen durch Mitglieder dieser Familien zu vermeiden – nicht ebenso wirksam erreicht werden kann (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 16. Januar 2019, Haswani/Rat, T‑477/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:7, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

154    Im Übrigen ist es, wie der Rat bemerkt, nach Art. 28 Abs. 6 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 16 der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung möglich, zum einen die Verwendung eingefrorener Gelder zur Deckung von Grundbedürfnissen oder zur Erfüllung bestimmter Verpflichtungen zu erlauben und zum anderen spezifische Genehmigungen für die Freigabe eingefrorener Gelder, sonstiger Vermögenswerte oder wirtschaftlicher Ressourcen zu erteilen (vgl. Urteil vom 24. November 2021, Foz/Rat, T‑258/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:820, Rn. 171 und die dort angeführte Rechtsprechung).

155    Es lässt sich also nicht sagen, dass die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen über das hinausginge, was erforderlich ist, um die mit der Regelung über restriktive Maßnahmen gegen Syrien verfolgten Ziele zu erreichen. Deshalb kann die durch die angefochtenen Rechtsakte verursachte Einschränkung der Ausübung des Eigentumsrechts der Klägerin nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.

156    Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen in Frage gestellt, mit dem die Klägerin geltend macht, das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen könne auf die Güter beschränkt werden, die zum Nachlass des Verstorbenen gehörten.

157    Denn der Beschluss über die Nachlasseröffnung stützt, wie aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes hervorgeht, den Grund für die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen, der auf ihrer Zugehörigkeit zur Familie Makhlouf beruht, wodurch die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime begründet wird, die die Klägerin nicht widerlegen konnte.

158    Zudem tragen im vorliegenden Fall die Beweise in der Zusatzakte die Feststellung, dass die angefochtenen Rechtsakte nicht nur auf Erwägungen zur Erbfolge oder auf dem der Klägerin zustehenden Anteil am Vermögen des Verstorbenen beruhen, sondern auch darauf, dass nachweislich die Gefahr einer Umgehung der restriktiven Maßnahmen durch die Klägerin bestand (siehe oben, Rn. 121 bis 124). Somit rechtfertigen es die vom Rat angeführten belastenden Beweise, dass auch die eigenen Mittel der Klägerin eingefroren wurden.

159    Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Erlass restriktiver Maßnahmen ihr gegenüber keine positive Wirkung im Hinblick auf die Erreichung des Ziels, die Zivilbevölkerung in Syrien zu schützen, habe entfalten können oder dass er unverhältnismäßig sei.

160    Daher ist auch die vierte Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta im vorliegenden Fall erfüllt, so dass die erste Rüge als unbegründet zurückzuweisen ist.

b)      Zur zweiten Rüge: rechtswidrige Einschränkung der Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Klägerin

161    Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, da ihr Ehemann polnischer Staatsangehöriger sei und in Polen lebe, verletzten die angefochtenen Rechtsakte, denen zufolge sie nicht in das Hoheitsgebiet der Union einreisen dürfe, ihr durch die EMRK garantiertes „Recht auf Familienleben“.

162    Der Rat tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

163    Aufgrund der Erwägungen oben in den Rn. 48 und 49 ist festzustellen, dass es sich bei dem Grundrecht, bezüglich dessen die Klägerin eine rechtswidrige Beschränkung der Ausübung rügt, um das in Art. 7 der Charta verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens handelt.

164    Um ihr Vorbringen zu stützen, legt die Klägerin eine Kopie zweier Mietverträge für eine Wohnung in Warschau für den Zeitraum vom 17. August 2018 bis zum 31. August 2021 bzw. vom 1. Juli 2022 bis zum 31. August 2023 sowie die ihr von den polnischen Behörden erteilte, am 21. Januar 2021 abgelaufene Aufenthaltsgenehmigung vor.

165    Im Übrigen erklärt die Klägerin zwar, dass ihr Wohnsitz für die Zwecke dieses Verfahrens Warschau sei und dass ihr Ehemann in Polen lebe, „dem Land, in dem sich der Mittelpunkt seiner vitalen, beruflichen und familiären Interessen befindet“, weist in der Klageschrift jedoch darauf hin, dass „das Ehepaar vor Kurzem beschlossen hat, sich alternativ in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) niederzulassen“. Um diese Behauptung zu untermauern, legt sie eine von den Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate erteilte Aufenthaltserlaubnis vor, die am 2. März 2024 ablaufen sollte.

166    Zum einen kann somit anhand des Vorbringens der Klägerin und der zu den Akten gereichten Beweise nicht ermittelt werden, ob sich ihr Haushalt am Tag des Erlasses der ursprünglichen Rechtsakte, dem 21. Februar 2022, tatsächlich in Polen oder in einem anderen Land befand. Die Klägerin weist daher nicht nach, dass das gegen sie verhängte Verbot der Einreise in das Gebiet der Union und folglich nach Polen am Tag seines Inkrafttretens ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beeinträchtigt hat.

167    Zum anderen kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass sie wegen des Verbots der Einreise in das Gebiet der Union, dem sie aufgrund des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte unterliegt, daran gehindert wäre, ihr Leben in Dubai zu führen, wo sie nach eigenen Angaben bei Einreichung der Klageschrift mit ihrem Ehemann wohnte.

168    Soweit die Klägerin geltend macht, die angefochtenen Rechtsakte beschränkten sie in der Ausübung ihres Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens insoweit, als sie sie daran hinderten, sich mit ihrem Ehemann, obwohl dieser die polnische Staatsangehörigkeit besitze, vorübergehend oder dauerhaft in Polen aufzuhalten, ist Folgendes zu beachten.

169    Nach der Rechtsprechung gilt das in Art. 7 der Charta verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das durch Maßnahmen des Verbots der Einreise in das Hoheitsgebiet der Union effektiv beeinträchtigt werden kann, nicht absolut, sondern darf Einschränkungen unterworfen werden, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Union gerechtfertigt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2021, Al‑Imam/Rat, T‑203/20, EU:T:2021:605, Rn. 254 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

170    Daher kann der Rat durch den Erlass restriktiver Maßnahmen im Bereich der GASP grundsätzlich das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens einschränken.

171    Wie sich aber aus den vorstehenden Rn. 133 und 134 ergibt, müssen restriktive Maßnahmen, soweit sie die in der Charta verankerten Grundrechte einschränken, die in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen erfüllen.

1)      Zur Erfüllung der ersten und der dritten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts „gesetzlich vorgesehen“ sein bzw. ein dem Gemeinwohl dienendes Ziel verfolgen muss, das von der Union als solches anerkannt wird

172    Die Erwägungen in den vorstehenden Rn. 136 bis 139 zur ersten Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta gelten entsprechend für die Vorschriften über die Beschränkungen der Einreise in das Hoheitsgebiet der Union sowie der Freizügigkeit in diesem Gebiet und folglich auch für die Einschränkung der Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Ebenso verhält es sich mit den Erwägungen in den vorstehenden Rn. 146 und 147 zur dritten Voraussetzung dieser Bestimmung bezüglich der Verfolgung eines dem Gemeinwohl dienenden Ziels, das von der Union als solches anerkannt wird.

173    Diese Voraussetzungen sind demnach im vorliegenden Fall erfüllt.

2)      Zur Erfüllung der zweiten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts dessen Wesensgehalt achten muss

174    Restriktive Maßnahmen, die die Einreise in das Hoheitsgebiet der Union und dadurch möglicherweise die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens beschränken, stellen unionsrechtlich vorläufige Maßnahmen dar, die nur vorübergehend die Möglichkeit des Inhabers eines solchen Rechts, sich darauf gegebenenfalls im Unionsgebiet zu berufen, beeinträchtigen und ihm somit nicht den Wesensgehalt dieses Rechts entziehen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 21. Juli 2016, Hassan/Rat, T‑790/14, EU:T:2016:429, Rn. 77 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

175    Restriktive Maßnahmen sind nämlich ihrer Natur nach befristet und reversibel, da der Rat sie gemäß Art. 34 Sätze 2 und 3 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung sowie Art. 32 Abs. 4 der Verordnung Nr. 36/2012 in der durch die Verordnung 2015/1828 geänderten Fassung regelmäßig überprüfen muss (vgl. Urteil vom 24. November 2021, Foz/Rat, T‑258/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:820, Rn. 173 und die dort angeführte Rechtsprechung).

176    Zudem darf nicht übersehen werden, dass die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats nach Art. 27 Abs. 9 des Beschlusses 2013/255 in der durch den Beschluss 2015/1836 geänderten Fassung auch die Einreise einer von den restriktiven Maßnahmen betroffenen Person in ihr Hoheitsgebiet insbesondere aufgrund einer humanitären Notlage zulassen kann, wodurch eine Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens einer solchen Person begrenzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2015, Makhlouf/Rat, T‑509/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:33, Rn. 113).

177    Nach alledem wahren die angefochtenen Rechtsakte, obwohl sie die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens beschränken, in Anbetracht von Art und Umfang der die Einreise der Klägerin in das Unionsgebiet betreffenden Einschränkung den Wesensgehalt dieses Rechts.

178    Die zweite Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta ist somit im vorliegenden Fall erfüllt.

3)      Zur Erfüllung der vierten Voraussetzung, wonach die Einschränkung des Rechts verhältnismäßig sein muss

179    Die Erwägungen in den vorstehenden Rn. 149 bis 160 zur Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahmen, mit denen die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der Klägerin eingefroren wurden, gelten entsprechend für die Vorschriften der angefochtenen Rechtsakte, mit denen die Einreise in das Hoheitsgebiet der Union beschränkt wurde. Daher sind die durch die restriktiven Maßnahmen verursachten Einschränkungen der Ausübung des Rechts der Klägerin auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens nicht unverhältnismäßig (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 12. Februar 2020, Kanyama/Rat, T‑167/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:49, Rn. 132 und die dort angeführte Rechtsprechung).

180    Insbesondere gehen die Beschränkungen der Einreise in das Hoheitsgebiet der Union und der Freizügigkeit in diesem Gebiet nach ständiger Rechtsprechung nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um den angestrebten Schutz der Zivilbevölkerung zu erreichen, da das verfolgte Ziel mit alternativen und weniger belastenden Maßnahmen, wie z. B. einem System einer vorherigen Erlaubnis, nicht ebenso wirksam erreicht werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2013, Makhlouf/Rat, T‑383/11, EU:T:2013:431, Rn. 101 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 16. Januar 2019, Haswani/Rat, T‑477/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:7, Rn. 76).

181    Die durch die restriktiven Maßnahmen verursachten Einschränkungen der Ausübung des Rechts der Klägerin auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens können deshalb gemessen an dem im Interesse des Gemeinwohls verfolgten Ziel nicht als unverhältnismäßig eingestuft werden.

182    Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall auch die vierte Voraussetzung des Art. 52 Abs. 1 der Charta erfüllt ist.

183    Daher ist die vorliegende Rüge als unbegründet zurückzuweisen.

184    Nach alledem sind der dritte und der vierte Klagegrund und damit der Antrag auf Nichtigerklärung insgesamt zurückzuweisen.

C.      Zum Schadensersatzantrag

185    Die Klägerin behauptet, die angefochtenen Rechtsakte schadeten ihrem Ruf erheblich, und beantragt, den Rat zu verurteilen, ihr eine Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen, den sie in der Klageschrift auf 50 000 Euro und im Anpassungsschriftsatz auf 50 000 Euro beziffert.

186    Der Rat tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

187    Insoweit genügt der Hinweis, dass die außervertragliche Haftung der Union für ein rechtswidriges Verhalten ihrer Organe im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV von mehreren Voraussetzungen abhängt, nämlich davon, dass das den Unionsorganen vorgeworfene Verhalten rechtswidrig ist, dass ein Schaden vorliegt und dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden besteht. Da diese drei Haftungsvoraussetzungen kumulativ sind, genügt es für die Abweisung einer Schadensersatzklage, dass eine von ihnen nicht erfüllt ist, ohne dass es einer Prüfung der anderen Voraussetzungen bedarf (Urteil vom 22. Juni 2022, Haswani/Rat, T‑479/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:383, Rn. 155).

188    Die Klägerin stützt ihren Schadensersatzantrag auf einen einzigen Rechtsverstoß, mit dem sie geltend macht, der Rat verfüge über keine Informationen oder Beweise, die die Stichhaltigkeit der gegen sie erlassenen restriktiven Maßnahmen rechtlich hinreichend belegten.

189    Wie sich jedoch aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes ergibt (siehe oben, Rn. 125), ist die Aufnahme des Namens der Klägerin in die streitigen Listen im Hinblick auf das Kriterium der Familienzugehörigkeit gerechtfertigt, da es der Klägerin nicht gelungen ist, die Vermutung einer Verbindung mit dem syrischen Regime zu widerlegen.

190    Somit kann dem Rat nicht vorgeworfen werden, durch den Erlass der angefochtenen Rechtsakte rechtswidrig gehandelt zu haben.

191    Daraus folgt, dass die Voraussetzung eines rechtswidrigen Verhaltens im Sinne der oben in Rn. 187 angeführten Rechtsprechung nicht erfüllt ist. Im Übrigen wurden auch alle von der Klägerin vorgebrachten Klagegründe zurückgewiesen, so dass im Verhalten des Rates keinerlei Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann.

192    Da die eine Haftung der Union begründenden Voraussetzungen kumulativ sind, ist der Schadensersatzantrag zurückzuweisen, ohne dass es einer Prüfung der anderen oben in Rn. 187 genannten Voraussetzungen, geschweige denn der Zulässigkeit dieses Antrags bedarf.

193    Nach alledem ist die vorliegende Klage in vollem Umfang abzuweisen.

IV.    Kosten

194    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

195    Da die Klägerin im vorliegenden Fall unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Rates die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Frau Kinda Makhlouf trägt die Kosten.

Truchot

Kanninen

Frendo

Sampol Pucurull

 

Perišin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juli 2024.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.