Language of document : ECLI:EU:T:2006:121

Rechtssache T‑279/03

Galileo International Technology LLC u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Schadensersatzklage – Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft – Gemeinschaftliches Vorhaben eines Satellitennavigationssystems (Galileo) – Angeblicher Schaden der Inhaberinnen von Marken und Handelsnamen mit dem Wort ‚Galileo‘ – Haftung der Gemeinschaft ohne rechtswidriges Verhalten ihrer Organe – Außergewöhnlicher und besonderer Schaden“

Leitsätze des Urteils

1.      Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse

(Satzung des Gerichtshofes, Artikel 21 Absatz 1 und 53 Absatz 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 44 § 1)

2.      Schadensersatzklage – Befugnisse des Gemeinschaftsrichters

(Artikel 235 EG und 288 Absatz 2 EG)

3.      Gemeinschaftsmarke – Rechtsangleichung – Marken – Auslegung der Verordnung Nr. 40/94 und der Richtlinie 89/104 – Recht des Inhabers einer eingetragenen Marke, sich der unzulässigen Verwendung seiner Marke zu widersetzen – Mit der Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b; Richtlinie 89/104 des Rates, Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b)

4.      Außervertragliche Haftung – Benutzung eines Zeichens durch ein Gemeinschaftsorgan zur Benennung eines Vorhabens

(Artikel 288 Absatz 2 EG)

5.      Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen

(Artikel 288 Absatz 2 EG; Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b; Richtlinie 89/104 des Rates, Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b)

1.      Nach den Artikeln 21 Absatz 1 und 53 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Darstellung muss aus sich heraus hinreichend klar und deutlich sein, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht über die Klage entscheiden kann.

Im Rahmen einer Klage auf Ersatz des von einem Gemeinschaftsorgan verursachten Schadens können Rügen, wonach Rechte aus in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eingetragenen nationalen Marken im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/104 über die Marken verletzt worden seien, nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass der Kläger die angeblich verletzten nationalen Rechtsvorschriften nicht näher bezeichnet habe. Denn eine Bezugnahme auf Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ist deshalb als hinreichend eindeutig und bestimmt anzusehen, weil diese Richtlinienbestimmung eine Harmonisierung der Vorschriften über die Rechte aus einer Marke vornimmt, das ausschließliche Recht von Markeninhabern in der Gemeinschaft festlegt und in das nationale Recht der Mitgliedstaaten, in denen die geltend gemachten Marken eingetragen sind, unstreitig umgesetzt worden ist.

Hingegen ist die Rüge einer Verletzung von Artikel 5 Absätze 2 und 5 der Richtlinie, da die darin niedergelegte Regelung den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit einräumt, bekannten Marken einen erweiterten Schutz zu gewähren, für unzulässig zu erklären, wenn in der Klageschrift Angaben dazu fehlen, woraus sich die spezifische Bekanntheit der fraglichen Marken ergeben soll und auf welche Schutztatbestände der einen oder anderen nationalen Regelung insoweit Bezug genommen wird.

Was im Übrigen in Drittländern eingetragene Marken angeht, so erscheint eine Bezugnahme auf die Richtlinie nicht geeignet, eine mangelnde Bestimmtheit des Vorbringens zur Art und Reichweite der angeblich verletzten Markenrechte aus außergemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu heilen.

(vgl. Randnrn. 36, 40-42, 44-45)

2.      Den Artikeln 288 Absatz 2 EG und 235 EG ist zu entnehmen, dass der Gemeinschaftsrichter die Befugnis besitzt, der Gemeinschaft jede Form des Schadensausgleichs aufzuerlegen, die mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung gemeinsam sind, in Einklang steht, und zwar, soweit sie diesen Grundsätzen entspricht, auch eine Naturalrestitution, die gegebenenfalls die Form einer Anordnung eines bestimmten Handelns oder Unterlassens annehmen kann.

Der einheitliche Schutz des Inhabers einer innergemeinschaftlichen nationalen Marke nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 89/104 über die Marken, wonach eine solche Marke ihrem Inhaber das Recht gibt, es „Dritten zu verbieten“, die Marke zu benutzen, gehört zu den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Sinne von Artikel 288 Absatz 2 EG. Denn mit der Richtlinie 89/104 wird im Bereich der Marken bezweckt, dass nationale eingetragene Marken in allen Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen, und mit ihrem Artikel 5 Absatz 1 werden die Vorschriften über die Rechte aus einer Marke in der Gemeinschaft harmonisiert. Überdies bestimmt die Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, die nach Artikel 249 Absatz 2 EG in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, in Artikel 98 Absatz 1, dass die Gemeinschaftsmarkengerichte, wenn sie feststellen, dass der Beklagte eine Gemeinschaftsmarke verletzt hat oder zu verletzen droht, es ihm „verbiete[n] … die Handlungen, die die Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen“, und die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird.

Auch wenn der einheitliche Schutz eines Markeninhabers in den Mitgliedstaaten dadurch verwirklicht wird, dass die zuständigen nationalen Gerichte über die verfahrensrechtliche Möglichkeit verfügen, dem Beklagten durch Urteil eine Verletzung der geltend gemachten Markenrechte zu untersagen, kann die Gemeinschaft einer entsprechenden verfahrensrechtlichen Maßnahme des Gemeinschaftsrichters nicht grundsätzlich entzogen bleiben, da dieser ausschließlich dafür zuständig ist, über Klagen auf Ersatz eines Schadens zu entscheiden, für den die Gemeinschaft haftet.

(vgl. Randnrn. 63-67)

3.      Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/104 über die Marken und Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke machen den Schutz des Markeninhabers erstens vom Bestehen einer Verwechslungsgefahr abhängig, die u. a. durch die Identität oder Ähnlichkeit der von den beiden fraglichen Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen begründet wird, und zweitens davon, dass die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten „im geschäftlichen Verkehr“ stattfindet.

Die Benutzung eines Zeichens durch ein Gemeinschaftsorgan zur Benennung eines gemeinschaftlichen Vorhabens kann gegen diese Bestimmungen folglich nur dann verstoßen, wenn nachgewiesen wird, dass die Benutzung zur Bezeichnung von Waren oder Dienstleistungen erfolgt ist, die den von den geltend gemachten Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen ähnlich oder mit ihnen identisch sind, und im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten gewerblichen Tätigkeit steht.

(vgl. Randnrn. 105-106, 111, 114)

4.      Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft kann nur durch Handlungen oder Verhaltensweisen begründet werden, die einem Organ oder einer Einrichtung der Gemeinschaft zuzurechnen sind. So muss sich der geltend gemachte Schaden mit hinreichender Unmittelbarkeit aus dem gerügten Verhalten ergeben, d. h., dieses Verhalten muss der ausschlaggebende Grund für den Schaden sein. Hingegen besteht keine Verpflichtung der Gemeinschaft zu Schadensersatz für jede noch so entfernte nachteilige Folge von rechtswidrigen Verhaltensweisen ihrer Organe.

Was die Benutzung eines Zeichens, das ein Gemeinschaftsorgan zur Benennung eines gemeinschaftlichen Vorhabens verwendet, durch an diesem Vorhaben interessierte Privatunternehmen in Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit angeht, so kann sie die Haftung der Gemeinschaft deshalb nicht begründen, weil diese Benutzung auf einer Entscheidung beruht, die diese Unternehmen eigenständig getroffen haben. Da diese Unternehmen nämlich gegen sich die Kenntnis des Gemeinschaftsrechts und des Markenrechts gelten lassen müssen, erscheint es angemessen, sie nach den einschlägigen Rechtsvorschriften als haftbar für ihr eigenes Verhalten auf dem Markt anzusehen. Folglich ist die eigene Entscheidung dieser Unternehmen als der unmittelbare und ausschlaggebende Grund für den geltend gemachten Schaden anzusehen, während ein etwaiger Beitrag der Kommission zu diesem Schaden zu entfernt ist, um die Haftung der Unternehmen auf die Kommission zu verlagern.

(vgl. Randnrn. 129-130, 132, 134-135)

5.      Ist ein Schaden durch ein Verhalten der Gemeinschaftsorgane entstanden, dessen Rechtswidrigkeit nicht dargetan ist, so kann die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nur dann ausgelöst werden, wenn die Voraussetzungen des tatsächlichen Vorliegens des Schadens, des Kausalzusammenhangs zwischen ihm und dem Verhalten der Gemeinschaftsorgane sowie der Außergewöhnlichkeit und Besonderheit des fraglichen Schadens nebeneinander erfüllt sind. Bei Schäden, die Wirtschaftsteilnehmer durch die Tätigkeit der Gemeinschaftsorgane erleiden können, handelt es sich dann um außergewöhnliche Schäden, wenn sie die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken, die der Tätigkeit in dem betroffenen Sektor innewohnen, überschreiten.

Es kann nicht angenommen werden, dass der Schaden, der durch die Benutzung eines bestimmten Wortes durch ein Gemeinschaftsorgan zur Benennung eines Vorhabens verursacht wird, die Grenzen der Risiken, die der markenmäßigen Nutzung dieses Wortes innewohnen, überschritte, wenn sich der Markeninhaber durch die Charakteristika des gewählten Wortes freiwillig dem Risiko ausgesetzt hat, dass ein anderer rechtmäßig, also ohne Verletzung von Markenrechten, ein derartiges Vorhaben mit demselben Namen bezeichnen könnte.

(vgl. Randnrn. 147-150)