Language of document : ECLI:EU:C:2022:400

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

19. Mai 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Marken – Richtlinie 2008/95/EG – Art. 9 – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 54, 110 und 111 – Verwirkung durch Duldung – Begriff der Duldung – Unterbrechung der Verwirkungsfrist – Abmahnung – Zeitpunkt der Unterbrechung der Verwirkungsfrist bei Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs – Wirkungen der Verwirkung – Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Vernichtung von Waren“

In der Rechtssache C‑466/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2020, in dem Verfahren

HEITEC AG

gegen

HEITECH Promotion GmbH,

RW

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richter S. Rodin und J.‑C. Bonichot sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der HEITEC AG, vertreten durch Rechtsanwältin B. Ackermann,

–        der HEITECH Promotion GmbH und von RW, vertreten durch Rechtsanwälte C. Rohnke, T. Winter und C. Augenstein,

–        der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch T. Scharf, É. Gippini Fournier und J. Samnadda, dann durch T. Scharf und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2022

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25) sowie der Art. 54 und 111 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der HEITEC AG (im Folgenden: Heitec) einerseits und der HEITECH Promotion GmbH (im Folgenden: Heitech) sowie RW andererseits wegen der Verwendung des Unternehmenskennzeichens HEITECH Promotion GmbH und der Benutzung von Marken mit dem Wortbestandteil „heitech“ durch die Letztgenannten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2008/95

3        Der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95 lautete:

„Aus Gründen der Rechtssicherheit und ohne in die Interessen der Inhaber älterer Marken in unangemessener Weise einzugreifen, muss vorgesehen werden, dass diese nicht mehr die Ungültigerklärung einer jüngeren Marke beantragen oder sich deren Benutzung widersetzen können, wenn sie deren Benutzung während einer längeren Zeit geduldet haben, es sei denn, dass die Anmeldung der jüngeren Marke bösgläubig vorgenommen worden ist.“

4        Art. 4 dieser Richtlinie („Weitere Eintragungshindernisse oder Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit älteren Rechten“) sah vor:

„(1)      Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung,

a)      wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet oder eingetragen worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt;

b)      wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

(2)      ‚Ältere Marken‘ im Sinne von Absatz 1 sind

a)      Marken mit einem früheren Anmeldetag als dem Tag der Anmeldung der Marke, gegebenenfalls mit der für diese Marken in Anspruch genommenen Priorität, die den nachstehenden Kategorien angehören:

i)      [Union]smarken;

ii)      in dem Mitgliedstaat oder, soweit Belgien, Luxemburg und die Niederlande betroffen sind, beim Benelux-Amt für geistiges Eigentum eingetragene Marken;

iii)      mit Wirkung für den Mitgliedstaat international registrierte Marken;

b)      [Union]smarken, für die wirksam der Zeitrang … in Anspruch genommen wird, …;

c)      Anmeldungen von Marken nach Buchstaben a und b, vorbehaltlich ihrer Eintragung;

(4)      Jeder Mitgliedstaat kann zudem vorsehen, dass eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen ist oder im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung unterliegt, wenn und soweit

a)      sie mit einer älteren nationalen Marke im Sinne des Absatzes 2 identisch ist oder dieser ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen eingetragen werden soll oder eingetragen worden ist, die nicht denen ähnlich sind, für die die ältere Marke eingetragen ist, falls diese ältere Marke in dem Mitgliedstaat bekannt ist und die Benutzung der jüngeren Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde;

b)      Rechte an einer nicht eingetragenen Marke oder einem sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Zeichen vor dem Tag der Anmeldung der jüngeren Marke oder gegebenenfalls vor dem Tag der für die Anmeldung der jüngeren Marke in Anspruch genommenen Priorität erworben worden sind und diese nicht eingetragene Marke oder dieses sonstige Zeichen dem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen;

c)      die Benutzung der Marke aufgrund eines sonstigen, nicht in Absatz 2 oder in vorliegendem Absatz unter Buchstabe b genannten älteren Rechts untersagt werden kann, insbesondere aufgrund eines

i)      Namensrechts;

ii)      Rechts an der eigenen Abbildung;

iii)      Urheberrechts;

iv)      gewerblichen Schutzrechts;

…“

5        Art. 9 („Verwirkung durch Duldung“) der Richtlinie bestimmte:

„(1)      Hat in einem Mitgliedstaat der Inhaber einer älteren Marke im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 die Benutzung einer jüngeren eingetragenen Marke in diesem Mitgliedstaat während eines Zeitraums von fünf aufeinander folgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet, so kann er für die Waren oder Dienstleistungen, für die die jüngere Marke benutzt worden ist, aufgrund der älteren Marke weder die Ungültigerklärung der jüngeren Marke verlangen noch sich ihrer Benutzung widersetzen, es sei denn, dass die Anmeldung der jüngeren Marke bösgläubig vorgenommen worden ist.

(2)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Absatz 1 auch für den Inhaber einer in Artikel 4 Absatz 4 Buchstabe a genannten älteren Marke oder eines sonstigen in Artikel 4 Absatz 4 Buchstabe[n] b oder c genannten älteren Rechts gilt.

(3)      In den Fällen der Absätze 1 oder 2 kann der Inhaber der jüngeren eingetragenen Marke sich der Benutzung des älteren Rechts nicht widersetzen, auch wenn dieses Recht gegenüber der jüngeren Marke nicht mehr geltend gemacht werden kann.“

6        Die Richtlinie 2008/95, mit der die Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) aufgehoben und ersetzt worden war, wurde ihrerseits mit Wirkung vom 15. Januar 2019 durch die Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1) aufgehoben und ersetzt. Angesichts des nach dem Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits maßgebenden Zeitraums ist das Vorabentscheidungsersuchen jedoch im Hinblick auf die Richtlinie 2008/95 zu prüfen.

 Verordnung Nr. 207/2009

7        In Art. 8 („Relative Eintragungshindernisse“) der Verordnung Nr. 207/2009 hieß es:

„(1)      Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

a)      wenn sie mit der älteren Marke identisch ist und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, mit den Waren oder Dienstleistungen identisch sind, für die die ältere Marke Schutz genießt;

b)      wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

(2)      ‚Ältere Marken‘ im Sinne von Absatz 1 sind

a)      Marken mit einem früheren Anmeldetag als dem Tag der Anmeldung der [Union]smarke, gegebenenfalls mit der für diese Marken in Anspruch genommenen Priorität, die den nachstehenden Kategorien angehören:

i)      [Union]smarken;

ii)      in einem Mitgliedstaat oder, soweit Belgien, Luxemburg und die Niederlande betroffen sind, beim BENELUX-Amt für geistiges Eigentum eingetragene Marken;

iii)      mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registrierte Marken;

iv)      aufgrund internationaler Vereinbarungen mit Wirkung in der [Europäischen Union] eingetragene Marken;

b)      Anmeldungen von Marken nach Buchstabe a, vorbehaltlich ihrer Eintragung;

(4)      Auf Widerspruch des Inhabers einer nicht eingetragenen Marke oder eines sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Kennzeichenrechts von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn und soweit nach dem für den Schutz des Kennzeichens maßgeblichen Recht der [Union] oder des Mitgliedstaats

a)      Rechte an diesem Kennzeichen vor dem Tag der Anmeldung der [Union]smarke, gegebenenfalls vor dem Tag der für die Anmeldung der [Union]smarke in Anspruch genommenen Priorität, erworben worden sind;

b)      dieses Kennzeichen seinem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen.

…“

8        Art. 54 („Verwirkung durch Duldung“) dieser Verordnung bestimmte:

„(1)      Hat der Inhaber einer [Union]smarke die Benutzung einer jüngeren [Union]smarke in der [Union] während eines Zeitraums von fünf aufeinander folgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet, so kann er für die Waren oder Dienstleistungen, für die die jüngere Marke benutzt worden ist, aufgrund dieser älteren Marke weder die Nichtigerklärung dieser jüngeren Marke verlangen noch sich ihrer Benutzung widersetzen, es sei denn, dass die Anmeldung der jüngeren [Union]smarke bösgläubig vorgenommen worden ist.

(2)      Hat der Inhaber einer in Artikel 8 Absatz 2 genannten älteren nationalen Marke oder eines in Artikel 8 Absatz 4 genannten sonstigen älteren Kennzeichenrechts die Benutzung einer jüngeren [Union]smarke in dem Mitgliedstaat, in dem diese ältere Marke oder dieses sonstige ältere Kennzeichenrecht geschützt ist, während eines Zeitraums von fünf aufeinander folgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet, so kann er für die Waren oder Dienstleistungen, für die die jüngere [Union]smarke benutzt worden ist, aufgrund dieser älteren Marke oder dieses sonstigen älteren Kennzeichenrechts weder die Nichtigerklärung der [Union]smarke verlangen noch sich ihrer Benutzung widersetzen, es sei denn, dass die Anmeldung der jüngeren [Union]smarke bösgläubig vorgenommen worden ist.

…“

9        Art. 110 („Untersagung der Benutzung von [Union]smarken“) Abs. 1 der Verordnung sah vor:

„Diese Verordnung lässt, soweit nichts anderes bestimmt ist, das nach dem Recht der Mitgliedstaaten bestehende Recht unberührt, Ansprüche wegen Verletzung älterer Rechte im Sinne des Artikels 8 … gegenüber der Benutzung einer jüngeren [Union]smarke geltend zu machen. Ansprüche wegen Verletzung älterer Rechte im Sinne des Artikels 8 Absätze 2 und 4 können jedoch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Inhaber des älteren Rechts nach Artikel 54 Absatz 2 nicht mehr die Nichtigerklärung der [Union]smarke verlangen kann.“

10      Art. 111 („Ältere Rechte von örtlicher Bedeutung“) der Verordnung Nr. 207/2009 lautete:

„(1)      Der Inhaber eines älteren Rechts von örtlicher Bedeutung kann sich der Benutzung der [Union]smarke in dem Gebiet, in dem dieses ältere Recht geschützt ist, widersetzen, sofern dies nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats zulässig ist.

(2)      Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Inhaber des älteren Rechts die Benutzung der [Union]smarke in dem Gebiet, in dem dieses ältere Recht geschützt ist, während fünf aufeinander folgender Jahre in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat, es sei denn, dass die Anmeldung der [Union]smarke bösgläubig vorgenommen worden ist.

(3)      Der Inhaber der [Union]smarke kann sich der Benutzung des in Absatz 1 genannten älteren Rechts nicht widersetzen, auch wenn dieses ältere Recht gegenüber der [Union]smarke nicht mehr geltend gemacht werden kann.“

11      Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2017 durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) aufgehoben und ersetzt. Angesichts des nach dem Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits maßgebenden Zeitraums ist das Vorabentscheidungsersuchen jedoch im Hinblick auf die Verordnung Nr. 207/2009 zu prüfen.

 Deutsches Recht

12      § 21 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: MarkenG) sieht vor:

„(1)      Der Inhaber einer Marke oder einer geschäftlichen Bezeichnung hat nicht das Recht, die Benutzung einer eingetragenen Marke mit jüngerem Zeitrang für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, zu untersagen, soweit er die Benutzung der Marke während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat, es sei denn, dass die Anmeldung der Marke mit jüngerem Zeitrang bösgläubig vorgenommen worden ist.

(2)      Der Inhaber einer Marke oder einer geschäftlichen Bezeichnung hat nicht das Recht, die Benutzung … einer geschäftlichen Bezeichnung … mit jüngerem Zeitrang zu untersagen, soweit er die Benutzung diese[r geschäftlichen Bezeichnung] während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat, es sei denn, dass der Inhaber dieses Rechts im Zeitpunkt des Rechtserwerbs bösgläubig war.

…“

13      § 125b Nr. 3 MarkenG bestimmt:

„Werden Ansprüche aus einer eingetragenen [Union]smarke gegen die Benutzung einer nach diesem Gesetz eingetragenen Marke mit jüngerem Zeitrang geltend gemacht, so ist § 21 Abs. 1 … entsprechend anzuwenden.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Heitec, ist Inhaberin der Unionswortmarke HEITEC, die am 18. März 1998 mit einer Seniorität vom 13. Juli 1991 angemeldet und am 4. Juli 2005 eingetragen wurde.

15      Heitec wurde 1984 unter der Firma Heitec Industrieplanung GmbH in das Handelsregister eingetragen. 1988 wurde ihre Firma in Heitec GmbH geändert. Seit 2000 firmiert sie als Heitec AG.

16      Heitech, deren Geschäftsführer RW ist, wurde am 16. April 2003 in das Handelsregister eingetragen.

17      Heitech ist Inhaberin der am 17. September 2002 angemeldeten und am 4. Februar 2003 eingetragenen deutschen Bildmarke mit dem Wortbestandteil „heitech promotion“, die sie spätestens seit dem 29. September 2004 nutzt, sowie der am 6. Februar 2008 angemeldeten und am 20. November 2008 eingetragenen Unionsbildmarke mit dem Wortbestandteil „heitech“, die sie spätestens seit dem 6. Mai 2009 nutzt.

18      Mit Schreiben vom 29. November 2004 fragte Heitech bei den Vertretern von Heitec an, ob mit dem Abschluss einer Abgrenzungs- und Vorrechtsvereinbarung (im Folgenden: Koexistenzvereinbarung) Einverständnis bestünde.

19      Am 7. Juli 2008 erfuhr Heitec von Heitechs Anmeldung der Unionsbildmarke mit dem Wortbestandteil „heitech“.

20      Mit Schreiben vom 22. April 2009 mahnte Heitec Heitech wegen der Benutzung ihres Unternehmenskennzeichens und der Unionsmarke mit dem Wortbestandteil „heitech“ ab. In ihrer Antwort vom 6. Mai 2009 schlug Heitech erneut den Abschluss einer Koexistenzvereinbarung vor.

21      Am 31. Dezember 2012 ging beim Landgericht Nürnberg-Fürth (Deutschland) per Fax eine auf den 15. Dezember 2012 datierte Klageschrift von Heitec gegen Heitech und RW ein. Mit Verfügung vom 4. Januar 2013 wurde Heitec zur Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses aufgefordert.

22      Am 12. März 2013 wies das Landgericht den Vertreter von Heitec darauf hin, dass weder dieser Vorschuss eingezahlt noch Originale der Klageschrift eingereicht worden seien.

23      Mit Schreiben vom 23. September 2013 lehnte Heitec gegenüber Heitech den Abschluss einer Koexistenzvereinbarung ab, bot ihr den Abschluss einer Lizenzvereinbarung an und teilte mit, sie habe ein gerichtliches Verfahren eingeleitet.

24      Mit Schreiben vom 29. Dezember 2013 teilte Heitec Heitech mit, sie stütze sich auf ihr Unternehmenskennzeichen und sei Inhaberin der Unionsmarke HEITEC; das gerichtliche Verfahren sei anhängig.

25      Am 30. Dezember 2013 ging beim Landgericht Nürnberg-Fürth ein auf den 12. Dezember 2013 datierter Schriftsatz von Heitec mit einem Verrechnungsscheck für die Gerichtskosten sowie einer neuen, auf den 4. Oktober 2013 datierten Klageschrift ein.

26      Am 14. Januar 2014 wies das Landgericht Heitec darauf hin, dass auch die Klageschrift vom 15. Dezember 2012 zugestellt werden müsse, weshalb um Einreichung der Originale gebeten werde. Diese Originale gingen beim Landgericht am 22. Februar 2014 ein.

27      Am 24. Februar 2014 wies das Landgericht Heitec darauf hin, dass die Anträge in den am 22. Februar 2014 eingegangenen Originalen der Klage nicht mit den Anträgen der am 31. Dezember 2012 eingereichten Klageschrift übereinstimmten.

28      Am 16. Mai 2014 leitete das Landgericht das schriftliche Vorverfahren ein und veranlasste die Zustellung der bei Gericht gefertigten Abschriften der Klageschrift vom 15. Dezember 2012 an die Beklagten des Ausgangsverfahrens. Die Zustellung erfolgte schließlich am 23. Mai 2014.

29      Mit ihrer Klage verfolgte Heitec in erster Linie Ansprüche aus der Verletzung ihres Unternehmenskennzeichens HEITEC und hilfsweise auf die Verletzung ihrer Unionsmarke HEITEC gestützte Ansprüche. Sie beantragte die Verurteilung von Heitech zur Unterlassung der Kennzeichnung ihres Geschäftsbetriebs mit der Bezeichnung HEITECH Promotion GmbH, zur Unterlassung der Anbringung der Wortbestandteile „heitech promotion“ und „heitech“ auf Waren, zur Unterlassung des Inverkehrbringens oder der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen unter den entsprechenden Zeichen, zur Unterlassung der Verwendung oder Übertragung der Internet-Domain heitech promotion.de für geschäftliche Nutzungszwecke und zur Einwilligung in die Löschung ihrer Firma im Handelsregister. Ferner machte Heitec Ansprüche auf Auskunft, auf Schadensersatzfeststellung, auf Vernichtung von Waren und auf Zahlung von Abmahnkosten geltend.

30      Das Landgericht Nürnberg-Fürth erkannte Heitec gegenüber Heitech einen Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 1 353,80 Euro nebst Zinsen zu und wies die Klage im Übrigen ab.

31      Heitec legte gegen die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth Berufung beim Oberlandesgericht Nürnberg (Deutschland) ein.

32      Das Oberlandesgericht Nürnberg sah die Klage von Heitec wegen Verwirkung als unbegründet an. Es führte insoweit aus, Heitech habe ihre prioritätsjüngeren Zeichen während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Jahren benutzt und Heitec habe dies geduldet, weil sie in Kenntnis dieser Benutzung keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen habe, um die Benutzung zu unterbinden.

33      Die Klage habe den Duldungszeitraum nicht unterbrochen, weil sie Heitech und RW erst zugestellt worden sei, nachdem bereits fünf Jahre seit der vor der Klage ausgesprochenen Abmahnung vergangen gewesen seien.

34      Heitec legte dagegen Revision beim vorlegenden Gericht ein.

35      Dieses stellt fest, dass es für die Revisionsentscheidung darauf ankomme, ob die von Heitec geltend gemachten Unterlassungs- und Folgeansprüche nach § 21 Abs. 1 und 2 MarkenG sowie Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verwirkt seien.

36      Es führt aus, dass sich die Verwirkung der Ansprüche von Heitec, die im Wesentlichen gegen die Benutzung der deutschen Marke von Heitech durch Letztere gerichtet seien, nach § 21 Abs. 1 in Verbindung mit § 125b Nr. 3 Markengesetz richte, soweit diese Ansprüche auf die Unionsmarke gestützt seien, deren Inhaberin Heitec sei.

37      Mit § 21 Abs. 1 MarkenG sei die in Art. 9 der Richtlinie 2008/95 vorgesehene Verwirkung von Ansprüchen aus Marken (Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95) und aus sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Zeichen – darunter Unternehmenskennzeichen – (Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95) gegen die Benutzung einer eingetragenen Marke in deutsches Recht umgesetzt worden.

38      Soweit Heitec gegen die Benutzung des Unternehmenskennzeichens von Heitech vorgehe, richte sich die Verwirkung nach § 21 Abs. 2 MarkenG. Ungeachtet dessen, dass der Regelungsgehalt dieser Bestimmung über den der Richtlinie 2008/95 hinausgehe und sich auch in Art. 54 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht widerspiegle, sei bei ihrer Auslegung der richtlinienkonformen Auslegung, die § 21 Abs. 1 MarkenG zuteilwerden müsse, Rechnung zu tragen.

39      Für die Ansprüche von Heitec, die sich gegen die Benutzung der Unionsmarke von Heitech durch Letztere richteten, seien die Art. 54 und 110 sowie Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 maßgeblich.

40      Das Oberlandesgericht Nürnberg habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass es eine „Benutzung“ im Sinne des § 21 Abs. 1 und 2 MarkenG sowie der Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 im vorliegenden Fall spätestens ab dem 6. Mai 2009 gegeben habe und dass Heitec von ihr durch das von Heitech an sie gerichtete Schreiben vom 6. Mai 2009 Kenntnis gehabt habe. Im Übrigen stehe fest, dass Heitech kein bösgläubiges Handeln vorgeworfen werde.

41      In Anbetracht dieser Umstände sei das Tatbestandsmerkmal der Duldung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie der Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 klärungsbedürftig.

42      Insoweit sei zum einen klärungsbedürftig, ob eine Duldung nicht nur dann, wenn ein Rechtsbehelf bei einer Behörde oder einem Gericht eingelegt werde, sondern auch bei einer Abmahnung ausgeschlossen werden könne. Zum anderen bestehe Klärungsbedarf, ob im Fall eines gerichtlichen Rechtsbehelfs für die Feststellung, ob der Rechtsbehelf vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingelegt worden sei, auf den Zeitpunkt der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder auf den Zeitpunkt des Zugangs dieses Schriftstücks beim Anspruchsgegner abzustellen sei. In diesem Zusammenhang sei zu klären, ob dem Umstand, dass die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks durch Verschulden des Inhabers der älteren Marke zu spät erfolgt sei, insoweit Bedeutung zukomme.

43      Außerdem sei klärungsbedürftig, ob eine Verwirkung nur auf Unterlassungsansprüche durchschlage oder auch auf Neben- oder Folgeansprüche wie Schadensersatzansprüche, Auskunftsansprüche und Warenvernichtungsansprüche.

44      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann eine Duldung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/95 sowie von Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 nicht nur durch einen bei einer Behörde oder einem Gericht einzulegenden Rechtsbehelf, sondern auch durch ein Verhalten ausgeschlossen werden, das ohne Einschaltung einer Behörde oder eines Gerichts erfolgt?

2.      Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:

Stellt eine Abmahnung, mit der der Inhaber des älteren Zeichens vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens vom Inhaber des jüngeren Zeichens die Verpflichtung zur Unterlassung der Zeichennutzung und den Abschluss einer Vertragsstrafenverpflichtung für den Fall der Zuwiderhandlung verlangt, ein der Duldung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/95 sowie von Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entgegenstehendes Verhalten dar?

3.      Kommt es für die Berechnung des fünfjährigen Duldungszeitraums im Sinne von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/95 sowie von Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 im Falle eines gerichtlichen Rechtsbehelfs auf die Einreichung des Rechtsbehelfs bei Gericht oder den Zugang des Rechtsbehelfs beim Anspruchsgegner an? Erlangt in diesem Zusammenhang Bedeutung, dass sich der Zugang des Rechtsbehelfs beim Anspruchsgegner aufgrund Verschuldens des Inhabers der älteren Marke bis über den Ablauf der Fünfjahresfrist hinaus verzögert?

4.      Umfasst die Verwirkung nach Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/95 sowie nach Art. 54 Abs. 1 und 2 und Art. 111 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 neben Unterlassungsansprüchen auch etwa auf Schadensersatz, Auskunft und Vernichtung gerichtete markenrechtliche Folgeansprüche?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

45      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass eine Handlung – wie z. B. eine Abmahnung –, mit der sich der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts der Benutzung einer jüngeren Marke widersetzt, ohne jedoch einen behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, die Duldung im Sinne dieser Bestimmungen beenden kann.

46      Die im Markenrecht der Union vorgesehene Regelung der Verwirkung durch Duldung steht im Zusammenhang mit dem Ziel der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen dem Interesse des Inhabers einer Marke an der Wahrung ihrer Hauptfunktion und dem Interesse der anderen Wirtschaftsteilnehmer an der Verfügbarkeit von Zeichen, die ihre Waren und Dienstleistungen bezeichnen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. April 2006, Levi Strauss, C‑145/05, EU:C:2006:264, Rn. 29, und vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, EU:C:2011:605, Rn. 34).

47      Insbesondere wollte der Unionsgesetzgeber mit der Einrichtung einer Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis der Benutzung der jüngeren Marke sicherstellen, dass der Schutz, den eine ältere Marke ihrem Inhaber vermittelt, auf die Fälle beschränkt bleibt, in denen sich dieser hinreichend wachsam zeigt, indem er sich der Benutzung von Zeichen, die diese Marke verletzen können, durch andere Wirtschaftsteilnehmer widersetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Levi Strauss, C‑145/05, EU:C:2006:264, Rn. 30).

48      Ganz besonders soll mit der Regel der Verwirkung durch Duldung, wie im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95 hervorgehoben wird, die Rechtssicherheit gewahrt werden. Hat der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts im Sinne der Richtlinie 2008/95 oder der Verordnung Nr. 207/2009 die Benutzung einer gutgläubig angemeldeten jüngeren Marke während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren wissentlich „geduldet“, muss der Inhaber der letztgenannten Marke die rechtliche Gewissheit erlangen, dass diese Benutzung vom Inhaber dieser älteren Marke oder dieses sonstigen älteren Rechts nicht mehr in Frage gestellt werden kann.

49      Für die Anwendung dieser Regel bedeutet der Begriff „Duldung“, der in der Richtlinie 2008/95 und in der Verordnung Nr. 207/2009 die gleiche Bedeutung hat, dass der Inhaber der älteren Marke oder des sonstigen älteren Rechts untätig bleibt, obwohl er Kenntnis von der Benutzung einer jüngeren Marke hat, der er sich widersetzen könnte. Wer „geduldet“ hat, hat davon abgesehen, die Maßnahmen zu ergreifen, die ihm zur Verfügung standen, um diesem Zustand abzuhelfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, EU:C:2011:605, Rn. 35 und 44).

50      Aus diesen Punkten ergibt sich, dass der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts es verwirkt, die Nichtigerklärung einer gutgläubig angemeldeten jüngeren Marke zu verlangen oder sich deren Benutzung zu widersetzen, wenn er während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung von der Vornahme einer Handlung abgesehen hat, die klar seinen Willen zum Ausdruck bringt, sich dieser Benutzung zu widersetzen und der behaupteten Verletzung seiner Rechte abzuhelfen.

51      Diese Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie der Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 gilt auch für deren Art. 110, der in den Vorlagefragen zwar nicht erwähnt wird, aber in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden relevant sein kann. Insoweit ist festzustellen, dass die in Art. 9 der Richtlinie 2008/95 aufgestellte Regel, dass Verwirkung durch Duldung eintritt, sobald ein Zeitraum von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis der Benutzung der jüngeren Marke verstrichen ist, in Bezug auf die Unionsmarke in den Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 enthalten ist.

52      Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass der Inhaber der älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts eine Handlung vorgenommen hat, die die oben in Rn. 50 genannten Wirkungen entfaltet und daher die Verwirkungsfrist unterbricht, hat der Gerichtshof entschieden, dass jedenfalls die Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs vor Ablauf dieser Frist die Duldung beendet und folglich die Verwirkung verhindert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, EU:C:2011:605, Rn. 49).

53      Durch die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs bringt der Inhaber der älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts nämlich eindeutig seinen Willen zum Ausdruck, sich der Benutzung der jüngeren Marke zu widersetzen und der behaupteten Verletzung seiner Rechte abzuhelfen.

54      Ist der Einlegung dieses Rechtsbehelfs wie im vorliegenden Fall eine Abmahnung vorausgegangen, der der Inhaber der jüngeren Marke nicht nachgekommen ist, kann diese Abmahnung die Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung unterbrechen, sofern der Inhaber der älteren Marke oder des sonstigen älteren Rechts nach der nicht zufriedenstellenden Reaktion auf die Abmahnung weiterhin seinen Widerstand gegen die Benutzung der jüngeren Marke zum Ausdruck bringt und die ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreift, um seine Rechte geltend zu machen.

55      Hat der Inhaber der älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts dagegen zwar seinen Widerspruch gegen die Benutzung der jüngeren Marke durch eine Abmahnung zum Ausdruck gebracht, aber, nachdem er festgestellt hat, dass sich der Adressat dieser Abmahnung geweigert hat, derselben nachzukommen oder Verhandlungen aufzunehmen, seine Bemühungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist fortgesetzt, um diesem Zustand abzuhelfen – gegebenenfalls durch Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs –, muss daraus geschlossen werden, dass er nicht die Maßnahmen ergriffen hat, die ihm zur Verfügung standen, um die behauptete Verletzung seiner Rechte abzustellen.

56      Jede Auslegung von Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie der Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009, wonach das Versenden einer Abmahnung an sich genügt, um die Verwirkungsfrist zu unterbrechen, würde es dem Inhaber der älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts gestatten, die Regelung der Verwirkung durch Duldung dadurch zu umgehen, dass wiederholt, in Abständen von fast fünf Jahren, eine Abmahnung versandt wird. Eine solche Situation würde aber die oben in den Rn. 46 bis 48 angeführten Ziele dieser Regelung beeinträchtigen und ihr ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

57      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass eine Handlung – wie z. B. eine Abmahnung –, mit der sich der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts der Benutzung einer jüngeren Marke widersetzt, ohne jedoch die für die Herbeiführung einer rechtsverbindlichen Lösung notwendigen Schritte zu unternehmen, die Duldung nicht beendet und dementsprechend nicht die Verwirkungsfrist im Sinne dieser Bestimmungen unterbricht.

 Zur dritten Frage

58      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts die Nichtigerklärung einer jüngeren Marke begehrt oder sich deren Benutzung widersetzt, die Verwirkung durch Duldung im Sinne dieser Bestimmungen verhindert, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingereicht, dem Anspruchsgegner aber aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers erst danach zugestellt wurde.

59      Wie oben in Rn. 52 ausgeführt, beendet die Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs vor Ablauf dieser Frist die Duldung und verhindert folglich die Verwirkung.

60      Zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt ein gerichtlicher Rechtsbehelf als eingelegt zu gelten hat, hat der Gerichtshof im Rahmen seiner Auslegung von im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen erlassenen Vorschriften festgestellt, dass dieser Zeitpunkt derjenige der Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks sein kann, wobei das betreffende Gericht jedoch nur dann als zu diesem Zeitpunkt angerufen gelten kann, wenn der Rechtsbehelfsführer es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, damit dem Anspruchsgegner dieses Schriftstück zugestellt wird (vgl. insbesondere Urteile vom 6. Oktober 2015, A, C‑489/14, EU:C:2015:654, Rn. 32, und vom 4. Mai 2017, HanseYachts, C‑29/16, EU:C:2017:343, Rn. 29).

61      Diese im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen erlassenen Vorschriften sind zwar im vorliegenden Fall formal nicht anwendbar, doch ist ihr Inhalt für die Beantwortung der dritten Frage relevant. Die Verwirkungsfrist schlägt nämlich unmittelbar und unverzüglich auf die Möglichkeit für den Inhaber der älteren Marke oder des sonstigen älteren Rechts durch, sich vor Gericht gegenüber dem Inhaber der jüngeren Marke auf die ältere Marke oder das sonstige ältere Recht zu berufen. Für den Rechtsbehelfsführer tritt also keine Verwirkung ein, solange der Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist von fünf Jahren eingelegt wird.

62      Insoweit ist davon auszugehen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks normalerweise die ernsthafte und eindeutige Absicht des Rechtsbehelfsführers widerspiegelt, seine Rechte geltend zu machen, was grundsätzlich genügt, um die Duldung zu beenden und damit die Verwirkungsfrist zu unterbrechen.

63      Das Verhalten dieser Partei kann jedoch in bestimmten Fällen Zweifel an dieser Absicht und der Ernsthaftigkeit der beim angerufenen Gericht eingeleiteten Schritte aufkommen lassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers, obwohl es nicht den formalen Anforderungen entspricht, die das nationale Recht für seine Zustellung an den Anspruchsgegner aufstellt, nicht rechtzeitig mit diesen Anforderungen in Einklang gebracht wird.

64      Unter solchen Umständen, die dem Rechtsbehelfsführer zuzurechnen sind, kann dieser nämlich nicht geltend machen, dass er der Duldung der Benutzung der jüngeren Marke durch Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ein Ende gesetzt hat. Erst mit Behebung der Mängel dieses Schriftstücks gemäß den Anforderungen des anwendbaren nationalen Rechts ist davon auszugehen, dass der Rechtsbehelfsführer eindeutig die klare und ernsthafte Absicht zum Ausdruck gebracht hat, seine Rechte geltend zu machen, und kann daher der Rechtsbehelf als tatsächlich eingelegt gelten.

65      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den oben in den Rn. 22 bis 28 zusammengefassten Angaben im Vorlagebeschluss, dass das Gericht, bei dem Heitec am 31. Dezember 2012 eine Klageschrift eingereicht hatte, wiederholt an den Vertreter von Heitec herantrat, um auf Mängel hinzuweisen, die an der Zustellung sowohl dieser Klageschrift als auch der später von Heitec eingereichten neuen Klageschrift an Heitech und RW hinderten. Letztlich scheinen die Mängel der Klageschrift zwischen dem 24. Februar 2014, dem Tag der letzten Mängelmitteilung des angerufenen Gerichts an Heitec, und dem 16. Mai 2014, dem Tag, an dem dieses Gericht das schriftliche Vorverfahren einleitete, behoben worden zu sein.

66      Aus dem Vorlagebeschluss geht auch hervor, dass nach den vom vorlegenden Gericht zugrunde gelegten tatrichterlichen Feststellungen die Kenntnisnahme von der Benutzung der jüngeren Marke am 6. Mai 2009 erfolgte.

67      Unter diesen Umständen wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, zu welchem Zeitpunkt die Mängel der Klageschrift so behoben wurden, dass das angerufene Gericht das Verfahren einleiten und die Klageschrift den Beklagten des Ausgangsverfahrens zustellen konnte. Sollte die Mängelbehebung erst nach Ablauf der Frist für den Eintritt der Verwirkung durch Duldung erfolgt sein, hätte das vorlegende Gericht zu prüfen, ob dieser Umstand hauptsächlich einem Verhalten der Klägerin des Ausgangsverfahrens geschuldet war, das als mangelnde Sorgfalt bezeichnet werden kann. Sollte das vorlegende Gericht dies bejahen, hätte es darauf zu erkennen, dass für Heitec wegen ihrer mangelnden Sorgfalt Verwirkung eingetreten ist.

68      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts die Nichtigerklärung einer jüngeren Marke begehrt oder sich deren Benutzung widersetzt, die Verwirkung durch Duldung im Sinne dieser Bestimmungen verhindert, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingereicht wurde, aber aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers nicht die Anforderungen des nationalen Rechts erfüllte, die für die Zwecke der Zustellung gelten, und die Mängel aus Gründen, die dem Rechtsbehelfsführer zuzurechnen sind, erst nach Ablauf der Verwirkungsfrist behoben wurden.

 Zur vierten Frage

69      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts im Sinne dieser Bestimmungen bei Verwirkung seines Anspruchs auf Nichtigerklärung einer jüngeren Marke und auf Unterlassung ihrer Benutzung durch die Verwirkung auch daran gehindert ist, Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz, auf Auskunft oder auf Vernichtung von Waren zu erheben.

70      Wie im Rahmen der Prüfung der ersten und der zweiten Frage ausgeführt, hat der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts, der zwar Kenntnis von der Benutzung einer gutgläubig angemeldeten jüngeren Marke erlangt hat, aber während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren davon abgesehen hat, in einer Weise zu handeln, die eindeutig seinen Willen zum Ausdruck bringt, sich dieser Benutzung zu widersetzen und der behaupteten Verletzung seiner Rechte abzuhelfen, es verwirkt, die Benutzung dieser jüngeren Marke in Frage zu stellen.

71      Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde es den Zielen der Regelung der Verwirkung durch Duldung, nämlich insbesondere der Wahrung der Rechtssicherheit, zuwiderlaufen, es dem besagten Inhaber in einer solchen Situation zu erlauben, nach Ablauf dieses Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren gegen den Inhaber dieser jüngeren Marke Klage zu erheben, damit dieser zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wird oder Anordnungen an ihn ergehen.

72      Könnten eine solche Klage oder solche Ansprüche nach Ablauf der Verwirkungsfrist Erfolg haben, liefe dies darauf hinaus, dass über diesen Zeitpunkt hinaus die Möglichkeit unberührt bliebe, feststellen zu lassen, dass die Benutzung der jüngeren Marke die ältere Marke oder das ältere Recht verletzt, und auf dieser Grundlage den Inhaber der jüngeren Marke auf außervertragliche Haftung in Anspruch zu nehmen. Eine solche Auslegung der Regelung der Verwirkung durch Duldung würde aber das mit dieser Regelung verfolgte Ziel beeinträchtigen, dem Inhaber der jüngeren Marke mit Ablauf dieser Frist die Gewissheit zu verschaffen, dass derjenige, der die Benutzung der jüngeren Marke während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren wissentlich geduldet hat, gegen diese nicht mehr mit irgendeinem Rechtsbehelf vorgehen kann.

73      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 dahin auszulegen sind, dass der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts im Sinne dieser Bestimmungen bei Verwirkung seines Anspruchs auf Nichtigerklärung einer jüngeren Marke und auf Unterlassung ihrer Benutzung durch die Verwirkung auch daran gehindert ist, Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz, auf Auskunft oder auf Vernichtung von Waren zu erheben.

 Kosten

74      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 9 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke sind dahin auszulegen, dass eine Handlung – wie z. B. eine Abmahnung –, mit der sich der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts der Benutzung einer jüngeren Marke widersetzt, ohne jedoch die für die Herbeiführung einer rechtsverbindlichen Lösung notwendigen Schritte zu unternehmen, die Duldung nicht beendet und dementsprechend nicht die Verwirkungsfrist im Sinne dieser Bestimmungen unterbricht.

2.      Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 sind dahin auszulegen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts die Nichtigerklärung einer jüngeren Marke begehrt oder sich deren Benutzung widersetzt, die Verwirkung durch Duldung im Sinne dieser Bestimmungen verhindert, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück zwar vor Ablauf der Verwirkungsfrist eingereicht wurde, aber aufgrund mangelnder Sorgfalt des Rechtsbehelfsführers nicht die Anforderungen des nationalen Rechts erfüllte, die für die Zwecke der Zustellung gelten, und die Mängel aus Gründen, die dem Rechtsbehelfsführer zuzurechnen sind, erst nach Ablauf der Verwirkungsfrist behoben wurden.

3.      Art. 9 der Richtlinie 2008/95 sowie die Art. 54, 110 und 111 der Verordnung Nr. 207/2009 sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer älteren Marke oder eines sonstigen älteren Rechts im Sinne dieser Bestimmungen bei Verwirkung seines Anspruchs auf Nichtigerklärung einer jüngeren Marke und auf Unterlassung ihrer Benutzung durch die Verwirkung auch daran gehindert ist, Neben- oder Folgeansprüche wie Ansprüche auf Schadensersatz, auf Auskunft oder auf Vernichtung von Waren zu erheben.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.