Language of document : ECLI:EU:T:2010:355

Rechtssache T‑29/05

Deltafina SpA

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Spanischer Markt für den Kauf und die Erstverarbeitung von Rohtabak – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Festsetzung der Preise und Aufteilung des Marktes – Übereinstimmung zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der angefochtenen Entscheidung – Verteidigungsrechte – Definition des relevanten Marktes – Geldbußen – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Rolle als Anführer – Zusammenarbeit“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Kartelle – Zurechnung an ein Unternehmen – Entscheidung der Kommission, mit der die Verantwortlichkeit eines Unternehmens festgestellt wird, das auf einem dem betroffenen Markt unmittelbar nachgeschalteten Markt tätig ist und aktiv und vorsätzlich an dem Kartell beteiligt war

(Art. 3 Abs.1 Buchst. g EG und Art. 81 Abs. 1 EG)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte – Umfang

(Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Vereinbarungen zwischen Unternehmen – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Beurteilungskriterien

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4.      Handlungen der Organe – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

5.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilung – Einzelfallprüfung

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

6.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilung – Wechselbeziehung zwischen den drei ausdrücklich in den Leitlinien der Kommission erwähnten Kriterien – Einstufung einer Zuwiderhandlung als besonders schwer – Vorrangige Rolle des Kriteriums der Art der Zuwiderhandlung

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

7.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 Teil A Abs. 1)

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Rechtlicher Rahmen – Bestimmung – Unbeachtlichkeit der früheren Entscheidungspraxis der Kommission

(Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates)

9.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang

(Art. 253 EG)

10.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte

(Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 2)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände – Rolle als Anführer der Zuwiderhandlung – Begriff

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 2)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Mildernde Umstände – Beurteilung – Erforderlichkeit der gesonderten Berücksichtigung aller Umstände – Fehlen – Gesamtbeurteilung

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Mildernde Umstände – Von den kartellinternen Vereinbarungen abweichendes Verhalten – Beurteilung

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15, und Nr. 1/2003, Art. 23 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3 zweiter Gedankenstrich)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Mildernde Umstände – Beendigung der Zuwiderhandlung vor dem Eingreifen der Kommission – Ausschluss

(Verordnungen Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 3 des Rates; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3 dritter Gedankenstrich)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Bestimmung – Kriterien – Herabsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Voraussetzungen

(Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates; Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission)

16.    Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Bestimmung – Kriterien – Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 82 EG; Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates)

1.      Die Kommission geht nicht dadurch über die Grenzen des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots hinaus, dass sie die Verantwortlichkeit eines Unternehmens für eine Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift für den Fall feststellt, dass sich dieses, obwohl es auf einem Markt tätig ist, der demjenigen unmittelbar nachgeschaltet ist, auf dem die wettbewerbsbeschränkenden Handelspraktiken ausgeübt wurden, aktiv und vorsätzlich an einem Kartell zwischen Herstellern beteiligt, die auf einem anderen Markt als es selbst tätig sind.

Ein Unternehmen kann nämlich gegen das in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellte Verbot verstoßen, wenn sein mit dem anderer Unternehmen koordiniertes Verhalten die Einschränkung des Wettbewerbs auf einem relevanten speziellen Markt innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt, ohne dass dies unbedingt voraussetzen würde, dass es selbst auf diesem relevanten Markt tätig ist.

Daher kann sich ein Unternehmen an der Durchführung einer Wettbewerbsbeschränkung auch dann beteiligen, wenn es seine eigene Handlungsfreiheit auf dem Markt, auf dem es hauptsächlich tätig ist, nicht einschränkt. Jede andere Auslegung könnte nämlich die Bedeutung des in Art. 81 Abs. 1 EG aufgestellten Verbots in einer Weise mindern, die im Widerspruch zu seiner Wirksamkeit und seinem in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG niedergelegten Hauptziel der Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes stünde, da die aktive Beteiligung eines Unternehmens an einer Wettbewerbsbeschränkung dann allein deshalb nicht verfolgt werden könnte, weil diese Beteiligung nicht von einer wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem relevanten Markt ausgeht, auf dem die Beschränkung eintritt oder eintreten soll.

Eine Betrachtung der Wendung „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“ im Licht der mit Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG verfolgten Ziele spricht für eine Konzeption des Kartells und des zuwiderhandelnden Unternehmens, bei der nicht danach unterschieden wird, in welchem Sektor oder auf welchem Markt die betroffenen Unternehmen tätig sind.

Es entspricht den Erfordernissen des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit, einem an einem Kartell beteiligten Unternehmen die Zuwiderhandlung insgesamt zur Last zu legen, wenn zwei Voraussetzungen, eine objektive und eine subjektive, erfüllt sind.

Was die erste Voraussetzung betrifft, ist diese, sofern es um das Verhältnis zwischen auf demselben relevanten Markt tätigen Unternehmen sowie zwischen solchen Wettbewerbern und ihren Kunden geht, erfüllt, wenn das teilnehmende Unternehmen – auch in untergeordneter Stellung, nebensächlich oder passiv – zur Durchführung des Kartells beigetragen hat, etwa durch eine stillschweigende Billigung und die unterbliebene Anzeige des entsprechenden Kartells bei den Behörden.

Was die zweite Voraussetzung betrifft, kann einem beteiligten Unternehmen im Übrigen die Gesamtheit einer Zuwiderhandlung nur dann zur Last gelegt werden, wenn es seinen eigenen Willen so geäußert hat, dass deutlich wird, dass es – und sei es nur stillschweigend – die Ziele des Kartells teilt.

(vgl. Randnrn. 48-49, 51, 57-58, 62)

2.      Die Beachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, verlangt vor allem, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die die Kommission an ein Unternehmen richtet, gegen das sie eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen beabsichtigt, die wesentlichen diesem Unternehmen zur Last gelegten Gesichtspunkte wie den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, dessen Einstufung und die von der Kommission herangezogenen Beweismittel enthält, damit sich das Unternehmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, das gegen es eingeleitet worden ist, sachgerecht äußern kann.

Eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren ist anhand der Rügen zu beurteilen, die die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der Entscheidung erhoben hat, die dieses Verfahren beendet. Unter diesen Umständen setzt die Feststellung einer Verletzung der Verteidigungsrechte voraus, dass die Rüge, die dem Unternehmen zufolge in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erhoben worden sein soll, von der Kommission in ihrer abschließenden Entscheidung ausgesprochen wird. In einer bloß unterschiedlichen Darstellung des Sachverhalts, mit der diesem in der endgültigen Entscheidung genauer Rechnung getragen werden soll, kann keine inhaltliche Änderung der Beschwerdepunkte gesehen werden.

(vgl. Randnrn. 113-115, 120)

3.      Ein Beschluss, eine Vereinbarung oder eine Verhaltensweise kann den Handel zwischen Mitgliedstaaten nur dann beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell die Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflussen, die die Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes hemmen könnte. Außerdem darf diese Beeinträchtigung nicht nur geringfügig sein. Damit ergibt sich eine Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Handel im Allgemeinen daraus, dass mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, die für sich allein genommen nicht unbedingt entscheidend sind.

Art. 81 Abs. 1 EG setzt nämlich nicht voraus, dass die Kartelle, auf die er sich bezieht, den innergemeinschaftlichen Handel tatsächlich spürbar beeinträchtigen, sondern lässt den Nachweis genügen, dass sie hierzu geeignet sind.

(vgl. Randnrn. 167-169)

4.      Auch wenn die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden können, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, stellen sie doch eine Verhaltensnorm dar, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind.

(vgl. Randnr. 230)

5.      Die Kommission ist dadurch, dass sie in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ihre Vorgehensweise bei der Bewertung der Schwere eines Verstoßes präzisiert hat, nicht daran gehindert, die Schwere umfassend anhand aller relevanten Umstände des Einzelfalls einschließlich der Gesichtspunkte zu beurteilen, die in den Leitlinien nicht ausdrücklich erwähnt sind.

(vgl. Randnr. 230)

6.      Bei den drei Kriterien, die nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zu berücksichtigen sind, handelt es sich um die Art des Verstoßes, seine konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie die Größe des betreffenden räumlichen Marktes. Diese drei Kriterien für die Bewertung der Schwere des Verstoßes haben im Rahmen der Gesamtprüfung nicht das gleiche Gewicht. Die Art der Zuwiderhandlung spielt insbesondere bei der Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ eine vorrangige Rolle.

Insoweit ergibt sich aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den Leitlinien, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere wie hier auf die Festsetzung der Preise abzielen, allein schon aufgrund ihres Wesens als „besonders schwer“ eingestuft werden können, ohne dass diese Verhaltensweisen durch eine besondere Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet zu sein brauchen. Dies wird dadurch bekräftigt, dass zwar in der Beschreibung der schweren Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Marktes zum Tragen kommen, während die Beschreibung der besonders schweren Verstöße kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder von Auswirkungen in einem besonderen räumlichen Bereich enthält.

Zwischen den drei Kriterien für die Ermittlung der Schwere eines Verstoßes besteht insofern eine Wechselbeziehung, als ein höherer Schweregrad hinsichtlich des einen oder anderen Kriteriums die geringere Schwere der Zuwiderhandlung unter anderen Aspekten ausgleichen kann.

Der Umfang des räumlichen Marktes stellt nur eines der drei einschlägigen Kriterien für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung insgesamt dar und ist kein eigenständiges Kriterium in dem Sinn, dass nur Zuwiderhandlungen, die die Mehrzahl der Mitgliedstaaten betreffen, als „besonders schwer“ eingestuft werden könnten. Weder der EG-Vertrag noch die Verordnung Nr. 17 oder die Verordnung Nr. 1/2003, die Leitlinien oder die Rechtsprechung lassen die Annahme zu, dass nur räumlich sehr ausgedehnte Beschränkungen so eingestuft werden können. Der geringe Umfang des relevanten räumlichen Marktes steht daher der Einstufung der festgestellten Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ nicht entgegen. Dies gilt umso mehr im Hinblick auf den geringen Umfang des relevanten Produktmarkts, da der Umfang des Produktmarkts grundsätzlich kein Kriterium darstellt, das zwingend zu berücksichtigen ist, sondern für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und die Festsetzung der Geldbuße nur ein Kriterium unter anderen bildet.

Der den Tabakverarbeitern und einem betroffenen Unternehmen, zu dessen Tätigkeiten die Vermarktung von verarbeitetem Tabak gehört, vorgeworfene Verstoß, der in der Festsetzung der Preise der verschiedenen Rohtabaksorten in Spanien und der Aufteilung der Mengen für jede Sorte Rohtabak, die jeder Verarbeiter bei den Erzeugern kaufen konnte, besteht, ist seiner Art nach klar ein besonders schwerer Verstoß. Solche Zuwiderhandlungen werden als besonders schwerwiegend eingestuft, da sie einen unmittelbaren Eingriff in die wesentlichen Wettbewerbsparameter auf dem betreffenden Markt oder offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bedeuten.

(vgl. Randnrn. 231, 233-234, 238, 240-242)

7.      Im Rahmen der Beurteilung der Schwere des Verstoßes gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln bei Festsetzung der Geldbuße hat die Tatsache, dass die Kommission nicht rechtlich hinreichend dargetan hat, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Markt hat, keinen Einfluss auf die Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwer“.

Der Ausgangsbetrag der Geldbuße, den die Kommission nach der Schwere der Zuwiderhandlung festgelegt hat, kann nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil konkrete Auswirkungen auf den Markt nicht hinreichend nachgewiesen sind.

(vgl. Randnrn. 250-251)

8.      Die frühere Entscheidungspraxis der Kommission bildet nicht selbst den rechtlichen Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen.

(vgl. Randnrn. 292, 426)

9.      Die Begründung einer Einzelfallentscheidung muss die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, weil die Frage, ob sie den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand des Wortlauts des fraglichen Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand des Zusammenhangs, in dem dieser Rechtsakt erlassen wurde, sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.

(vgl. Randnr. 319)

10.    Die Kommission erfüllt ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie die Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung anführt sowie darlegt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht sie die Angaben, die für eine Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße erforderlich sind. Eine Verpflichtung der Kommission, den beschuldigten Unternehmen zum Zeitpunkt der Mitteilung der Beschwerdepunkte konkrete Angaben zur Höhe der in Aussicht genommenen Geldbußen zu machen, liefe jedoch darauf hinaus, von ihr eine nicht sachgerechte Vorwegnahme der endgültigen Entscheidung zu verlangen.

In diesem Zusammenhang führt die Einstufung eines Unternehmens als Anführer zu erheblichen Auswirkungen auf die Höhe der gegen dieses Unternehmen zu verhängenden Geldbuße. So handelt es sich gemäß Nr. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, um einen erschwerenden Umstand, der zu einer nicht unerheblichen Steigerung des Grundbetrags der Beihilfe führt. Außerdem schließt eine solche Einstufung gemäß Abschnitt B Buchst. e der Mitteilung über Zusammenarbeit eine wesentliche Herabsetzung der Geldbuße von vornherein aus, selbst wenn das als Anführer eingestufte Unternehmen alle Bedingungen für eine solche Herabsetzung erfüllt. Daher obliegt es der Kommission, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die aus ihrer Sicht einschlägigen Gesichtspunkte anzuführen, um dem Unternehmen, das als Anführer eines Kartells eingestuft werden kann, Gelegenheit zu geben, sich zu einer solchen Rüge zu äußern. Da eine solche Mitteilung nur ein Schritt im Verfahren zur Annahme der endgültigen Entscheidung ist und daher keine endgültige Stellungnahme der Kommission darstellt, kann nicht verlangt werden, dass diese in diesem Stadium bereits eine rechtliche Bewertung der Kriterien vornimmt, auf die sie sich in ihrer endgültigen Entscheidung über die Einstufung eines Unternehmens als Anführer des Kartells stützen wird.

(vgl. Randnrn. 324-325, 327)

11.    Bei der Festsetzung der Geldbuße für den Verstoß gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln muss ein betroffenes Unternehmen, um als Anführer angesehen zu werden, eine wichtige Antriebskraft für das Kartell gewesen sein und eine besondere und konkrete Verantwortung für dessen Funktionieren getragen haben.

Auch wenn mit den von der Kommission angeführten Umständen dargetan wird, dass dieses Unternehmen eine aktive und unmittelbare Rolle in einem Kartell gespielt hat, sind sie gleichwohl kein ausreichender Nachweis dafür, dass es eine bedeutende Antriebskraft für dieses Kartell darstellte, vor allem, wenn nichts in den Akten darauf hinweist, dass das betroffene Unternehmen irgendeine Initiative ergriffen hätte, um dieses Kartell zu errichten oder eines der anderen Unternehmen zu einem Beitritt zu bewegen, und wenn auch nichts in den Akten darauf hinweist, dass das betroffene Unternehmen die Tätigkeiten übernommen hat, die normalerweise mit der Rolle des Anführers eines Kartells verbunden sind, wie beispielsweise den Vorsitz bei den Treffen oder die Zentralisierung und Verteilung bestimmter Informationen.

(vgl. Randnrn. 332-335)

12.    Die Kommission muss sich bei der Festsetzung der Höhe von Geldbußen für Verstöße gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln grundsätzlich an ihre eigenen Leitlinien halten. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, schreiben ihr aber nicht vor, alle in Nr. 3 der Leitlinien aufgeführten mildernden Umstände stets gesondert zu berücksichtigen; die Kommission ist nicht verpflichtet, insoweit automatisch eine zusätzliche Herabsetzung zu gewähren, weil die Frage, ob eine Herabsetzung der Geldbuße wegen mildernder Umstände angemessen ist, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Weg einer Gesamtwürdigung zu beurteilen ist.

Der Erlass der Leitlinien hat der früheren Rechtsprechung nicht ihre Bedeutung genommen, nach der die Kommission über ein Ermessen verfügt, das es ihr erlaubt, bei der Bemessung der von ihr zu verhängenden Geldbußen insbesondere nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls bestimmte Gesichtspunkte zu berücksichtigen oder nicht.

Da sich aus den Leitlinien kein zwingender Anhaltspunkt dafür ergibt, welche mildernden Umstände berücksichtigt werden können, ist davon auszugehen, dass der Kommission ein gewisser Spielraum verblieben ist, um im Weg einer Gesamtwürdigung über die Höhe einer etwaigen Herabsetzung der Geldbußen wegen mildernder Umstände zu entscheiden.

(vgl. Randnrn. 347-348)

13.    Bei der Festsetzung der Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln braucht die Kommission das Vorliegen eines mildernden Umstands wegen tatsächlicher Nichtanwendung einer Vereinbarung nur anzuerkennen, wenn das Unternehmen, das diesen Umstand geltend macht, nachweisen kann, dass es sich der Anwendung der Vereinbarung so eindeutig und nachdrücklich widersetzt hat, dass dadurch sogar deren Funktionieren gestört wurde, und dass es der Vereinbarung auch nicht scheinbar zugestimmt und dadurch andere Unternehmen zu deren Anwendung veranlasst hat. Unternehmen könnten nämlich das Risiko, eine beträchtliche Geldbuße zahlen zu müssen, zu leicht minimieren, wenn sie zunächst aus einer rechtswidrigen Vereinbarung Vorteil ziehen und anschließend eine Herabsetzung der Geldbuße mit der Begründung beanspruchen könnten, dass sie bei der Durchführung der Zuwiderhandlung nur eine begrenzte Rolle gespielt hätten, obgleich ihre Haltung andere Unternehmen dazu veranlasste, sich in stärkerem Maße wettbewerbsschädigend zu verhalten.

(vgl. Randnr. 350)

14.    Bei der Festsetzung der Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln kann die in Nr. 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, erwähnte „Beendigung der Zuwiderhandlung nach dem ersten Eingreifen der Kommission (insbesondere Nachprüfungen)“ logischerweise nur dann einen mildernden Umstand bilden, wenn es Gründe für die Annahme gibt, dass die fraglichen Unternehmen durch dieses Eingreifen zur Beendigung ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens veranlasst wurden, während der Fall, dass die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet worden war, dieser Bestimmung der Leitlinien nicht unterfällt.

(vgl. Randnrn. 354-355)

15.    Der Kommission steht hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen für Verstöße gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln ein weites Ermessen zu; sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. Sie verfügt bei der Beurteilung von Qualität und Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, über ein weites Ermessen. Die Herabsetzung einer Geldbuße wegen Kooperation ist nur gerechtfertigt, wenn das Verhalten eines Unternehmens der Kommission die Wahrnehmung ihrer Aufgabe erleichtert hat, diese Zuwiderhandlungen festzustellen und zu verfolgen. Die Kommission darf bei der Beurteilung der Kooperation der Unternehmen nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung außer Acht lassen, der verletzt ist, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist.

(vgl. Randnrn. 389-390, 399)

16.    Die Kommission ist dadurch, dass sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in einer bestimmten Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der durch die Verordnung Nr. 1/2003 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.

Die Wirtschaftsteilnehmer sind nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können.

Folglich können Unternehmen, die von einem Verwaltungsverfahren betroffen sind, das zu einer Geldbuße führen kann, nicht darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte Bußgeldniveau nicht überschreiten wird.

Jedes Unternehmen, das von einem Verwaltungsverfahren betroffen ist, das zur Verhängung einer Geldbuße führen kann, muss die Möglichkeit berücksichtigen, dass die Kommission jederzeit entscheiden kann, die Höhe der Geldbußen gegenüber den in der Vergangenheit verhängten Geldbußen zu erhöhen.

(vgl. Randnrn. 426, 435)