Language of document : ECLI:EU:C:2022:74

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 3. Februar 2022(1)

Rechtssache C121/21

Tschechische Republik

gegen

Republik Polen

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 259 AEUV – Verlängerung einer Betriebsgenehmigung für den Tagebau Turów in Polen nahe der tschechischen Grenze – Meinungsverschiedenheit zwischen der Tschechischen Republik und der Republik Polen über die Auswirkungen auf die Umwelt in der Tschechischen Republik – Richtlinie 2011/92/EU – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten (UVP) – Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Rechtsvorschriften, der UVP-Entscheidung und der Betriebsgenehmigung“






I.      Einleitung

1.        Mit ihrer gemäß Art. 259 AEUV erhobenen Klage beantragt die Tschechische Republik, unterstützt von der Europäischen Kommission, die Feststellung, dass die Republik Polen mit dem Erlass von Maßnahmen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Verlängerung der Betriebsgenehmigung für den Braunkohletagebau Turów (Polen) bis 2026 gegen verschiedene unionsrechtliche Bestimmungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes verstoßen hat.

2.        Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind die grenzüberschreitenden Auswirkungen der Bergbautätigkeiten des polnischen Betreibers in dem vorgenannten Tagebau, über die zwischen den beiden Mitgliedstaaten Streit besteht. Die Tschechische Republik auf der einen Seite macht geltend, es sei nicht zu rechtfertigen, dass ihre Bürger im grenznahen Raum die Umweltauswirkungen der Tagebautätigkeiten erlitten, nämlich eine erhebliche Absenkung des Grundwasserspiegels und Bodensenkungen. Auf der anderen Seite führt die Republik Polen an, dass eine Schließung des Tagebaus schwerwiegende wirtschaftliche Verluste sowohl bei der Energieversorgung als auch bei der Beschäftigung zur Folge hätte.

3.        Da es sich um den ersten zwischenstaatlichen Rechtsstreit vor dem Gerichtshof handelt, der ausschließlich in den Bereich des Umweltrechts der Union fällt, kann dessen Urteil in der vorliegenden Rechtssache einen wichtigen Beitrag zur Rechtsprechung internationaler Gerichte leisten(2). In diesem Kontext ist zu hoffen, dass die Feststellungen des Gerichtshofs in diesem Urteil den beiden Mitgliedstaaten als Grundlage für eine gütliche Einigung dienen werden, die es ihnen erlaubt, ihre jeweiligen Interessen im Geist guter Nachbarschaft bei gleichzeitiger voller Beachtung des Unionsrechts miteinander in Einklang zu bringen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2000/60/EG

4.        In Art. 4 Abs. 1, 4 und 5 der Richtlinie 2000/60/EG(3) heißt es:

„(1)      In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt folgendes:

a)      bei Oberflächengewässern:

ii)      die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Oberflächenwasserkörper, vorbehaltlich der Anwendung der Ziffer iii betreffend künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper, mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhangs V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8 einen guten Zustand der Oberflächengewässer zu erreichen;

b)      bei Grundwasser:

ii)      die Mitgliedstaaten schützen, verbessern und sanieren alle Grundwasserkörper und gewährleisten ein Gleichgewicht zwischen Grundwasserentnahme und ‑neubildung mit dem Ziel, spätestens 15 Jahre nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gemäß den Bestimmungen des Anhangs V, vorbehaltlich etwaiger Verlängerungen gemäß Absatz 4 sowie der Anwendung der Absätze 5, 6 und 7, unbeschadet des Absatzes 8 und vorbehaltlich des Artikels 11 Absatz 3 Buchstabe j) einen guten Zustand des Grundwassers zu erreichen;

(4)      Die in Absatz 1 vorgesehenen Zeitspannen können zum Zweck der stufenweisen Umsetzung der Ziele für Wasserkörper verlängert werden, sofern sich der Zustand des beeinträchtigten Wasserkörpers nicht weiter verschlechtert und die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind:

a)      Der betreffende Mitgliedstaat gelangt zu dem Schluss, dass sich vernünftiger Einschätzung nach nicht alle erforderlichen Verbesserungen des Zustands der Wasserkörper innerhalb der in Absatz 1 genannten Fristen erreichen lassen, und zwar aus wenigstens einem der folgenden Gründe:

i)      der Umfang der erforderlichen Verbesserungen kann aus Gründen der technischen Durchführbarkeit nur in Schritten erreicht werden, die den vorgegebenen Zeitrahmen überschreiten;

ii)      die Verwirklichung der Verbesserungen innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens würde unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen;

iii)      die natürlichen Gegebenheiten lassen keine rechtzeitige Verbesserung des Zustands des Wasserkörpers zu.

b)      Die Verlängerung der Frist und die entsprechenden Gründe werden in dem in Artikel 13 genannten Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet im Einzelnen dargelegt und erläutert.

c)      Die Verlängerungen gehen nicht über den Zeitraum zweier weiterer Aktualisierungen des Bewirtschaftungsplans für das Einzugsgebiet hinaus, es sei denn, die Ziele lassen sich aufgrund der natürlichen Gegebenheiten nicht innerhalb dieses Zeitraums erreichen.

d)      Der Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet enthält eine Zusammenfassung derjenigen Maßnahmen nach Artikel 11, die als erforderlich angesehen werden, um die Wasserkörper bis zum Ablauf der verlängerten Frist schrittweise in den geforderten Zustand zu überführen, die Gründe für jede signifikante Verzögerung bei der Umsetzung dieser Maßnahmen und den voraussichtlichen Zeitplan für die Durchführung dieser Maßnahmen. Die aktualisierten Fassungen des Bewirtschaftungsplans für das Einzugsgebiet enthalten eine Überprüfung der Durchführung dieser Maßnahmen und eine Zusammenfassung aller etwaigen zusätzlichen Maßnahmen.

(5)      Die Mitgliedstaaten können sich für bestimmte Wasserkörper die Verwirklichung weniger strenger Umweltziele als in Absatz 1 gefordert vornehmen, wenn sie durch menschliche Tätigkeiten, wie gemäß Artikel 5 Absatz 1 festgelegt, so beeinträchtigt sind oder ihre natürlichen Gegebenheiten so beschaffen sind, dass das Erreichen dieser Ziele in der Praxis nicht möglich oder unverhältnismäßig teuer wäre, und die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind:

a)      Die ökologischen und sozioökonomischen Erfordernisse, denen solche menschlichen Tätigkeiten dienen, können nicht durch andere Mittel erreicht werden, die eine wesentlich bessere und nicht mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbundene Umweltoption darstellen.

b)      Die Mitgliedstaaten tragen Sorge dafür, dass

–        im Hinblick auf Oberflächengewässer unter Berücksichtigung der Auswirkungen, die infolge der Art der menschlichen Tätigkeiten oder der Verschmutzung nach vernünftigem Ermessen nicht hätten vermieden werden können, der bestmögliche ökologische und chemische Zustand erreicht wird;

–        im Hinblick auf das Grundwasser unter Berücksichtigung der Auswirkungen, die infolge der Art der menschlichen Tätigkeiten oder der Verschmutzung nach vernünftigem Ermessen nicht hätten vermieden werden können, die geringstmöglichen Veränderungen des guten Grundwasserzustands erfolgen.

c)      Es erfolgt keine weitere Verschlechterung des Zustands des betreffenden Wasserkörpers.

d)      Die weniger strengen Umweltziele und die Gründe hierfür werden in dem in Artikel 13 genannten Bewirtschaftungsplan für das Einzugsgebiet im Einzelnen dargelegt, und diese Ziele werden alle sechs Jahre überprüft.

2.      Richtlinie 2003/4/EG

5.        In Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/4/EG(4) heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Behörden die für ihre Aufgaben relevanten und bei ihnen vorhandenen oder für sie bereitgehaltenen Umweltinformationen aufbereiten, damit eine aktive und systematische Verbreitung in der Öffentlichkeit erfolgen kann, insbesondere unter Verwendung von Computer-Telekommunikation und/oder elektronischen Technologien, soweit diese verfügbar sind.

(2)      Die Informationen, die zugänglich zu machen und zu verbreiten sind, werden gegebenenfalls aktualisiert und umfassen zumindest Folgendes:

f)      Genehmigungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, und Umweltvereinbarungen oder einen Hinweis darauf, wo diese Informationen im Rahmen von Artikel 3 beantragt oder gefunden werden können;

…“

3.      UVP-Richtlinie

6.        In Art. 1 der Richtlinie 2011/92/EU(5) heißt es:

„(1)      Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(2)      Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Projekt‘:

–        die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

–        sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

c)      ‚Genehmigung‘: Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält;

…“

7.        Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.

(2)      Die Umweltverträglichkeitsprüfung kann in den Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte durchgeführt werden oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer Verfahren oder der Verfahren, die einzuführen sind, um den Zielen dieser Richtlinie zu entsprechen.“

8.        Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie identifiziert, beschreibt und bewertet die Umweltverträglichkeitsprüfung in geeigneter Weise nach Maßgabe eines jeden Einzelfalls die unmittelbaren und mittelbaren erheblichen Auswirkungen eines Projekts u. a. auf Wasser.

9.        In Art. 4 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Projekte des Anhangs I werden vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4 einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.

(2)      Bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4, ob das Projekt einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen werden muss. Die Mitgliedstaaten treffen diese Entscheidung anhand

a)      einer Einzelfalluntersuchung

oder

b)      der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien.

Die Mitgliedstaaten können entscheiden, beide unter den Buchstaben a und b genannten Verfahren anzuwenden.

(4)      Beschließen Mitgliedstaaten, eine Feststellung für in Anhang II aufgeführte Projekte zu verlangen, liefert der Projektträger Informationen über die Merkmale des Projekts und die damit verbundenen möglichen erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt. Anhang II.A enthält eine detaillierte Aufstellung der zu liefernden Informationen. Der Projektträger berücksichtigt gegebenenfalls verfügbare Ergebnisse anderer einschlägiger Bewertungen der Auswirkungen auf die Umwelt, die aufgrund anderer Unionsgesetzgebung als dieser Richtlinie durchgeführt wurden. Der Projektträger kann darüber hinaus eine Beschreibung aller Aspekte des Projekts und/oder aller Maßnahmen zur Verfügung stellen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden oder verhindert werden sollen.

(5)      Die zuständige Behörde trifft die Feststellung auf der Grundlage der vom Projektträger gemäß Absatz 4 gelieferten Informationen, wobei sie gegebenenfalls die Ergebnisse von vorgelagerten Prüfungen oder aufgrund anderer Unionsgesetzgebung als dieser Richtlinie durchgeführten Prüfungen der Umweltauswirkungen berücksichtigt. Die Feststellung wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und es werden darin

a)      unter Verweis auf die einschlägigen Kriterien in Anhang III die wesentlichen Gründe für die Entscheidung angegeben, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzuschreiben, oder

b)      unter Verweis auf die einschlägigen Kriterien in Anhang III die wesentlichen Gründe für die Entscheidung angegeben, keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzuschreiben, und, sofern vom Projektträger vorgelegt, alle Aspekte des Projekts und/oder Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden oder verhindert werden sollen.

(6)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständige Behörde die Feststellung so bald als möglich und innerhalb eines Zeitraums von höchstens 90 Tagen ab dem Tag trifft, an dem der Projektträger alle gemäß Absatz 4 erforderlichen Informationen vorgelegt hat. In Ausnahmefällen, beispielsweise aufgrund der Art, der Komplexität, des Standorts und des Umfangs des Projekts, kann die zuständige Behörde die Frist für die Feststellung verlängern; in diesem Fall teilt sie dem Projektträger schriftlich mit, aus welchen Gründen die Frist verlängert wurde und wann mit ihrer Entscheidung zu rechnen ist.“

10.      In Art. 5 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie heißt es:

„(1)      Ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, so erstellt der Projektträger einen UVP-Bericht und legt diesen vor. Die durch den Projektträger bereitzustellenden Informationen umfassen mindestens:

(2)      Die zuständige Behörde gibt auf Antrag des Projektträgers unter Berücksichtigung der von diesem vorgelegten Informationen, insbesondere zu den spezifischen Merkmalen des Projekts (einschließlich seines Standorts und der technischen Kapazität) und den möglichen Auswirkungen auf die Umwelt, eine Stellungnahme zum Umfang und zur Detailtiefe der Informationen ab, die gemäß Absatz 1 dieses Artikels vom Projektträger in den UVP-Bericht aufzunehmen sind. Die zuständige Behörde hört vor Abgabe ihrer Stellungnahme die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Behörden an.

Die Mitgliedstaaten können ferner vorschreiben, dass die zuständigen Behörden eine Stellungnahme gemäß Unterabsatz 1 abgeben, unabhängig davon, ob der Projektträger dies beantragt hat.“

11.      In Art. 6 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Behörden, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich oder in ihrer lokalen oder regionalen Zuständigkeit voraussichtlich von dem Projekt berührt sein könnten, die Möglichkeit haben, ihre Stellungnahme zu den Angaben des Projektträgers und zu dem Antrag auf Genehmigung abzugeben, wobei gegebenenfalls den Fällen gemäß Artikel 8a Absatz 3 Rechnung zu tragen ist. Zu diesem Zweck benennen die Mitgliedstaaten – allgemein oder von Fall zu Fall – die Behörden, die anzuhören sind. Diesen Behörden werden die nach Artikel 5 eingeholten Informationen übermittelt. Die Einzelheiten der Anhörung werden von den Mitgliedstaaten festgelegt.

(2)      Um eine wirksame Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit an den Entscheidungsverfahren zu gewährleisten, wird die Öffentlichkeit elektronisch und durch öffentliche Bekanntmachung oder auf anderem geeigneten Wege im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 frühzeitig über Folgendes informiert, spätestens jedoch, sobald die Informationen nach vernünftigem Ermessen zur Verfügung gestellt werden können:

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der betroffenen Öffentlichkeit innerhalb eines angemessenen zeitlichen Rahmens Folgendes zugänglich gemacht wird:

c)      in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Richtlinie [2003/4] andere als die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Informationen, die für die Entscheidung nach Artikel 8 dieser Richtlinie von Bedeutung sind und die erst zugänglich werden, nachdem die betroffene Öffentlichkeit nach Absatz 2 dieses Artikels informiert wurde.

(4)      Die betroffene Öffentlichkeit erhält frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit, sich an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 zu beteiligen, und hat zu diesem Zweck das Recht, der zuständigen Behörde bzw. den zuständigen Behörden gegenüber Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, wenn alle Optionen noch offen stehen und bevor die Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen wird.

(5)      Die genauen Vorkehrungen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit (beispielsweise durch Anschläge innerhalb eines gewissen Umkreises oder Veröffentlichung in Lokalzeitungen) und Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit (beispielsweise durch Aufforderung zu schriftlichen Stellungnahmen oder durch eine öffentliche Anhörung) werden von den Mitgliedstaaten festgelegt. Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass die einschlägigen Informationen der Öffentlichkeit auf der angemessenen Verwaltungsebene elektronisch zugänglich sind, wenigstens über ein zentrales Portal oder über einfach zugängliche Zugangspunkte.

(6)      Der Zeitrahmen für die verschiedenen Phasen muss so gewählt werden, dass ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um

a)      die Behörden gemäß Absatz 1 und die Öffentlichkeit zu informieren und

b)      den Behörden gemäß Absatz 1 und der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich vorzubereiten und effektiv an dem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß diesem Artikel teilzunehmen.

(7)      Die Frist, innerhalb der die betroffene Öffentlichkeit zu dem in Artikel 5 Absatz 1 genannten UVP-Bericht zu konsultieren ist, beträgt mindestens 30 Tage.“

12.      In Art. 7 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen Mitgliedstaats haben könnte, oder stellt ein Mitgliedstaat, der möglicherweise davon erheblich betroffen ist, einen entsprechenden Antrag, so übermittelt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Projekt durchgeführt werden soll, dem betroffenen Mitgliedstaat so bald wie möglich, spätestens aber zu dem Zeitpunkt, zu dem er in seinem eigenen Land die Öffentlichkeit unterrichtet, unter anderem

a)      eine Beschreibung des Projekts zusammen mit allen verfügbaren Angaben über dessen mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen;

b)      Angaben über die Art der möglichen Entscheidung.

Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Projekt durchgeführt werden soll, räumt dem anderen Mitgliedstaat eine angemessene Frist für dessen Mitteilung ein, ob er an dem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 teilzunehmen wünscht oder nicht; ferner kann er die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Angaben beifügen.

(2)      Teilt ein Mitgliedstaat nach Erhalt der in Absatz 1 genannten Angaben mit, dass er an dem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 teilzunehmen beabsichtigt, so übermittelt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Projekt durchgeführt werden soll, sofern noch nicht geschehen, dem betroffenen Mitgliedstaat die nach Artikel 6 Absatz 2 erforderlichen und nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstaben a und b bereitgestellten Informationen.

(5)      Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 bis 4 des vorliegenden Artikels, einschließlich der Festlegung von Fristen für Konsultationen, werden von den betroffenen Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Regelungen und Zeitrahmen gemäß Artikel 6 Absätze 5 bis 7 festgelegt; sie müssen derart beschaffen sein, dass die betroffene Öffentlichkeit im Hoheitsgebiet des betroffenen Mitgliedstaats die Möglichkeit erhält, effektiv an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 für das Projekt teilzunehmen.“

13.      Art. 8 dieser Richtlinie lautet:

„Die Ergebnisse der Konsultationen und die gemäß den Artikeln 5 bis 7 eingeholten Angaben sind beim Genehmigungsverfahren gebührend zu berücksichtigen.“

14.      In Art. 8a der UVP-Richtlinie heißt es:

„(1)      In die Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung werden mindestens folgende Angaben aufgenommen:

b)      etwaige Umweltauflagen, die mit der Entscheidung verbunden sind, sowie eine Beschreibung der Aspekte des Projekts und/oder der Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden, verhindert oder verringert und soweit möglich ausgeglichen werden sollen, und, soweit angemessen, eine Beschreibung der Überwachungsmaßnahmen.

(3)      Wenden die Mitgliedstaaten Verfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 an, die keine Genehmigungsverfahren sind, gelten die Anforderungen von Absatz 1 bzw. Absatz 2 des vorliegenden Artikels als erfüllt, wenn eine im Rahmen dieser Verfahren getroffene Entscheidung die in diesen Absätzen genannten Informationen umfasst und Mechanismen bestehen, die für die Erfüllung der Anforderungen gemäß Absatz 6 des vorliegenden Artikels geeignet sind.

…“

15.      Art. 9 dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Wurde eine Entscheidung über die Erteilung oder die Ablehnung einer Genehmigung getroffen, so gibt/geben die zuständige(n) Behörde(n) dies unverzüglich der Öffentlichkeit und den in Artikel 6 Absatz 1 genannten Behörden nach den entsprechenden nationalen Verfahren bekannt und stellt/stellen sicher, dass die folgenden Informationen der Öffentlichkeit und den in Artikel 6 Absatz 1 genannten Behörden zugänglich sind, wobei gegebenenfalls den Fällen gemäß Artikel 8a Absatz 3 Rechnung zu tragen ist:

a)      den Inhalt der Entscheidung und etwaige mit der Entscheidung verbundenen Auflagen gemäß Artikel 8a Absätze 1 und 2;

b)      die Hauptgründe und ‑erwägungen, auf denen die Entscheidung beruht, einschließlich Angaben über das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit. Dies umfasst auch die Zusammenfassung der Ergebnisse der Anhörungen und der gemäß den Artikeln 5 bis 7 erhaltenen Informationen sowie der Art und Weise, wie diese einbezogen wurden oder wie ihnen anderweitig Rechnung getragen wurde, insbesondere, was die Stellungnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 7 angeht.

(2)      Die zuständige(n) Behörde(n) unterrichtet/unterrichten die gemäß Artikel 7 konsultierten Mitgliedstaaten und übermittelt/übermitteln ihnen die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Angaben.

Die konsultierten Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Informationen der betroffenen Öffentlichkeit in ihrem eigenen Hoheitsgebiet in geeigneter Weise zugänglich gemacht werden.“

16.      Art. 11 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a)      ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b)      eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

(2)      Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.“

17.      In Anhang I („In Artikel 4 Abs. 1 genannte Projekte“) der UVP-Richtlinie sind in Nr. 19 „Steinbrüche und Tagebau auf einer Abbaufläche von mehr als 25 Hektar oder Torfgewinnung auf einer Fläche von mehr als 150 Hektar“ und in Nr. 24 „[j]ede Änderung oder Erweiterung von Projekten, die in diesem Anhang aufgeführt sind, wenn sie für sich genommen die Schwellenwerte, sofern solche in diesem Anhang festgelegt sind, erreicht“, genannt.

18.      In Anhang II („In Art. 4 Abs. 2 genannte Projekte“) sind in Nr. 2 Buchst. a „Steinbrüche, Tagebau und Torfgewinnung (nicht durch Anhang I erfasste Projekte)“, in Nr. 2 Buchst. e „oberirdische Anlagen zur Gewinnung von Steinkohle, Erdöl, Erdgas und Erzen sowie von bituminösem Schiefer“ und in Nr. 13 Buchst. a „[d]ie Änderung oder Erweiterung von bereits genehmigten, durchgeführten oder in der Durchführungsphase befindlichen Projekten des Anhangs I oder dieses Anhangs, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben können (nicht durch Anhang I erfasste Änderung oder Erweiterung)“ genannt.

B.      Polnisches Recht

1.      Gesetz über Umweltinformationen

19.      Art. 72 Abs. 1 und 2 der Ustawa o udostępnianiu informacji o środowisku i jego ochronie, udziale społeczeństwa w ochronie środowiska oraz o ocenach oddziaływania na środowisko (Gesetz über den Zugang zu Informationen über die Umwelt und deren Schutz, die Beteiligung der Öffentlichkeit am Umweltschutz und über die Umweltverträglichkeitsprüfung) vom 3. Oktober 2008 (Dz. U. Nr. 199, Position 1227, im Folgenden: Umweltinformationsgesetz) sieht vor:

„(1)      Die Entscheidung über Umweltauflagen wird erlassen vor der Erlangung

4.      … der Genehmigung für den Abbau von Mineralen in den Vorkommen …;

(2)      Das Erfordernis einer Entscheidung über Umweltauflagen gilt nicht für Änderungen:

2.      einer Genehmigung oder einer in Abschnitt 1 Nrn. 4 und 5 genannten Entscheidung:

k)      bei einer einmaligen Verlängerung einer Genehmigung zum Braunkohleabbau bis zu sechs Jahren, wenn die Verlängerung der Genehmigung mit einer rationellen Bewirtschaftung des Vorkommens ohne Erweiterung des Umfangs der Genehmigung begründet wird;

…“

2.      Bergbaugesetzbuch

20.      In Art. 33 der Ustawa Prawo geologiczne i górnicze (Gesetz über das geologische Gesetzbuch und das Bergbaugesetzbuch) vom 9. Juni 2011 (Dz. U. Nr. 163, Position 981, im Folgenden: Bergbaugesetzbuch) heißt es:

„… Soweit vor der Erteilung einer Genehmigung eine Entscheidung zur Festlegung der Umweltauflagen auf der Grundlage eines Verfahrens mit Beteiligung der Öffentlichkeit erlassen wurde, finden die Bestimmungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit keine Anwendung auf das Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung.“

3.      Verwaltungsgerichtsordnung

21.      Art. 50 Abs. 1 der Ustawa Prawo o postępowaniu przed sądami administracyjnymi (Verwaltungsgerichtsordnung) vom 30. August 2002 (Dz. U. Nr. 153, Position 1270) sieht vor:

„Klagebefugt sind[:] jede Person, die ein rechtliches Interesse hat, die Staatsanwaltschaft, der Ombudsmann, der Kinderombudsmann und jede öffentliche Einrichtung im Rahmen ihrer gesetzlichen Tätigkeit in Angelegenheiten mit Bezug zu den Interessen Dritter, wenn sie am Verwaltungsverfahren beteiligt waren.“

22.      In ihrer Klagebeantwortung weist die Republik Polen auf einige Änderungen der in den vorstehenden Nummern angeführten Rechtsvorschriften durch das Gesetz vom 30. März 2021 zur Änderung des Umweltinformationsgesetzes hin. Diese Änderungen sollten die Ausübung der in Art. 11 der UVP-Richtlinie vorgesehenen Rechte durch die betroffene Öffentlichkeit erleichtern. Nunmehr könne diese Öffentlichkeit Informationen über den Erlass bestimmter Entscheidungen erlangen, ohne die erlassende Stelle anrufen zu müssen. Die Öffentlichkeit habe neue Rechte zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen Genehmigungen erhalten, die nach einem Verfahren und einer Entscheidung über Umweltauflagen erteilt worden seien, an denen sie beteiligt gewesen sei. Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs sei geändert worden, damit die neuen Rechte aus dem Umweltinformationsgesetz auch für ein Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung nach dem Bergbaugesetzbuch gälten, dem eine Entscheidung über Umweltauflagen vorausgegangen sei.

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren

23.      Der Braunkohletagebau Turów liegt in polnischem Hoheitsgebiet nahe der Grenzen zur Tschechischen Republik und zur Bundesrepublik Deutschland.

24.      Am 27. April 1994 erteilten die zuständigen polnischen Behörden der PGE Elektrownia Bełchatów S.A., nunmehr PGE Górnictwo i Energetyka Konwencjonalna S.A. (im Folgenden: Betreiber) mit der Genehmigung Nr. 65/94 eine Abbaubewilligung für diesen Tagebau für 26 Jahre, d. h. bis zum 30. April 2020.

25.      Am 2. März 2015 beantragte der Betreiber beim Direktor für Umweltschutz der Region Wrocław (Polen) den Erlass einer Entscheidung über Umweltauflagen zur Durchführung des als Verlängerung des Abbaus des Braunkohleflözes Turów beschriebenen Projekts bis 2044. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Tschechische Republik nahmen an dem durch diesen Antrag ausgelösten Konsultationsverfahren teil.

26.      Am 24. Oktober 2019 beantragte der Betreiber eine Verlängerung dieser Bewilligung für sechs Jahre gemäß Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes.

27.      Am 21. Januar 2020 erließ der Direktor für Umweltschutz der Region Wrocław die Entscheidung betreffend die Umweltverträglichkeitsprüfung für bestimmte Projekte (im Folgenden: UVP-Entscheidung), die er am 23. Januar 2020 für sofort vollziehbar erklärte. Am 24. Januar 2020 fügte der Betreiber die UVP-Entscheidung dem am 24. Oktober 2019 gestellten Antrag auf Verlängerung der Abbaubewilligung bei.

28.      Mit Entscheidung vom 20. März 2020 erteilte der Minister für Klima der Republik Polen die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 (im Folgenden auch: Entscheidung 2026).

29.      Mehrere tschechische Personen, unter ihnen Nichtregierungsorganisationen, legten gegen die in den beiden vorstehenden Nummern genannten Entscheidungen Verwaltungsbeschwerden oder andere Rechtsbehelfe ein.

30.      Die Tschechische Republik ist der Ansicht, dass die Republik Polen mit der Erteilung dieser Genehmigung in mehrfacher Hinsicht gegen Unionsrecht verstoßen habe, und befasste am 30. September 2020 gemäß Art. 259 AEUV die Kommission.

31.      Am 30. Oktober 2020 äußerte sich die Republik Polen dazu. Am 13. November 2020 äußerten sich diese beiden Mitgliedstaaten mündlich bei einer von der Kommission durchgeführten Anhörung.

32.      Am 17. Dezember 2020 erließ die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie der Republik Polen mehrere Verstöße gegen Unionsrecht vorwarf. Insbesondere sah sie im Erlass von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes, wonach eine Braunkohleabbaugenehmigung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung um bis zu sechs Jahre verlängert werden kann, einen Verstoß dieses Mitgliedstaats gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie.

33.      Am 28. April 2021 wurde die Entscheidung zur Verlängerung der Genehmigung Nr. 65/94 bis 2044 (im Folgenden: Entscheidung 2044) erlassen.

IV.    Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

34.      Am 26. Februar 2021 hat die Tschechische Republik die vorliegende Vertragsverletzungsklage erhoben. Die Republik Polen beantragt, die Klage abzuweisen und der Tschechischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

35.      Auf einen Antrag der Tschechischen Republik auf einstweilige Anordnungen hin hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs mit Beschluss vom 21. Mai 2021(6) der Republik Polen aufgegeben, unverzüglich und bis zur Verkündung des die Rechtssache C‑121/21 abschließenden Urteils die Tätigkeiten des Braunkohleabbaus im Bergwerk Turów einzustellen.

36.      Mit Entscheidung vom 1. Juli 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs die Kommission als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Tschechischen Republik zugelassen.

37.      Mit Entscheidung vom 14. Juli 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs dem Antrag der Republik Polen stattgegeben, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 133 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

38.      Mit Schreiben der Kanzlei des Gerichtshofs vom 20. Juli 2021 im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 62 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die Republik Polen aufgefordert worden, zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission Stellung zu nehmen; die Kommission ist aufgefordert worden, diese Stellungnahme in der Verfahrenssprache, Polnisch, vorzulegen und zu bestimmten Anträgen in der Klageschrift Stellung zu nehmen. Die Adressaten sind diesen Aufforderungen nachgekommen.

39.      Auf einen Antrag der Tschechischen Republik auf einstweilige Maßnahmen hin hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs mit Beschluss vom 20. September 2021(7) die Republik Polen verurteilt, an die Europäische Kommission ein Zwangsgeld von 500 000 Euro pro Tag zu zahlen, und zwar ab dem Tag der Zustellung dieses Beschlusses an die Republik Polen und bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese dem Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 21. Mai 2021 nachkommt. Mit diesem Beschluss hat die Vizepräsidentin den auf Art. 163 der Verfahrensordnung gestützten Antrag der Republik Polen, den genannten Beschluss wieder aufzuheben, zurückgewiesen.

40.      Am 9. November 2021 hat eine mündliche Verhandlung mit Beteiligung der Tschechischen Republik, der Republik Polen und der Kommission, die ordnungsgemäß vertreten waren, stattgefunden.

41.      In der Sitzung hat die Tschechische Republik auf eine entsprechende Frage klargestellt, dass sie ihren Antrag auf Einstellung der behaupteten Vertragsverletzungen aufrechterhalte.

V.      Rechtliche Würdigung

A.      Vorbemerkungen

42.      Vor der Prüfung der einzelnen von der Tschechischen Republik angeführten Klagegründe halte ich eine kurze Darstellung der gemeinsamen Regeln für erforderlich, die nach den Art. 258 und 259 AEUV für das Vertragsverletzungsverfahren gelten, das darauf abzielt, ein unionsrechtswidriges Verhalten eines Mitgliedstaats feststellen und beenden zu lassen(8). Hierbei ist zu beachten, dass es ungeachtet punktueller Unterschiede im Verfahren je nachdem, wer die Vertragsverletzungsklage erhoben hat – die Kommission oder ein Mitgliedstaat –, gemeinsame, ausnahmslos für alle Parteien geltende Regeln gibt, zu denen die über die Beweislast wie auch die für den Zeitpunkt gehören, auf den für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung in einem konkreten Fall abzustellen ist.

43.      Der Hinweis auf diese Regeln erscheint mir besonders wichtig im Rahmen der hier vorzunehmenden Prüfung, da der vorliegenden Rechtssache ein komplexer Sachverhalt zugrunde liegt und da die von der Tschechischen Republik gerügten Vertragsverletzungen eine Vielzahl von Aspekten der polnischen Rechtsordnung betreffen, nämlich den Erlass von Gesetzgebungsakten, aber auch von Verwaltungsentscheidungen, die im Lauf der Zeit geändert worden sind. Die Anwendung dieser gemeinsamen Regeln soll eine genaue und kohärente Prüfung der Übereinstimmung dieser nationalen Rechtsakte mit dem Unionsrecht gewährleisten, dessen Vorrang von allen Mitgliedstaaten zu beachten ist(9).

1.      Die Beweislastregeln im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage

44.      Da das Verfahren vor dem Gerichtshof im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach den Art. 258 und 259 AEUV ein streitiges Verfahren ist, obliegt es dem Kläger, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung zu beweisen, indem er dem Gerichtshof die für seine Prüfung notwendigen Beweise vorlegt. Zwischen den beiden im Vertrag vorgesehenen Verfahrensarten besteht somit keinerlei verfahrensrechtlicher Unterschied(10).

45.      Aus Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung und der einschlägigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Klageschrift den Streitgegenstand angeben und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und dass diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt wird, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge der Klageschrift müssen eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht(11). Dem beklagten Mitgliedstaat obliegt es demgegenüber, die Angaben der Klagepartei und deren Folgen substantiiert und detailliert zu bestreiten(12).

46.      Das Vorbringen der Parteien in der vorliegenden Rechtssache ist demgemäß einer genauen Prüfung anhand der in der vorstehenden Nummer dargelegten Beweislastregeln zu unterziehen.

2.      Der Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung

47.      Ein weiterer wesentlicher Aspekt im Rahmen der Prüfung ist der Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Stichtag für das Verfahren nach Art. 258 AEUV der Tag des Ablaufs der Frist, die die Kommission in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gemäß dieser Bestimmung gesetzt hat. Die Notwendigkeit eines solchen Stichtags für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung liegt besonders in Fällen auf der Hand, in denen sich die Umstände der Rechtssache im Lauf des Verfahrens weiterentwickelt haben, oft infolge des Tätigwerdens des Mitgliedstaats selbst, etwa nach einer Änderung der als unionsrechtswidrig angesehenen nationalen Rechtsvorschriften.

48.      Um zu verhindern, dass die Vertragsverletzungsklage aufgrund einer solchen Änderung der Umstände gegenstandslos wird, ist ein Stichtag in einem bestimmten Verfahrensstadium festzusetzen. Angesichts des Ziels der Vertragsverletzungsklage, durch den Gerichtshof einen Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht feststellen zu lassen, ist die Notwendigkeit der eindeutigen Bestimmung des Streitgegenstands offenkundig. Zudem hat diese Vorgehensweise den Vorteil, dass die Wahrung der Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten gewährleistet ist, wenn die Kommission eingreift, um einen solchen Verstoß gegen das Unionsrecht abzustellen, was schwierig wäre, wenn die Mitgliedstaaten zu ihrer Verteidigung zu jeder Änderung des Streitgegenstands infolge geänderter Umstände Stellung nehmen müssten.

49.      Offenkundig kommt eine unmittelbare Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Verfahren nach Art. 259 AEUV nicht in Betracht, da der Mitgliedstaat selbst – und nicht die Kommission – das Verfahren einleitet. Damit stellt sich die Frage, welcher Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung im Rahmen dieses Verfahrens heranzuziehen ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehene vorherige Befassung der Kommission eine verfahrensrechtliche Voraussetzung für die spätere Erhebung einer Klage vor dem Gerichtshof ist. Wegen seiner rechtlichen Folgen darf nämlich die Bedeutung dieser Verfahrensphase nicht außer Acht gelassen werden, denn sie löst für die Kommission die Verpflichtung aus, beiden Parteien Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung zu geben, und setzt die Dreimonatsfrist in Lauf, nach deren Ablauf der Mitgliedstaat vor dem Gerichtshof klagen kann, falls die Kommission keine mit Gründen versehene Stellungnahme abgegeben hat.

50.      Die Beachtung des Grundsatzes des streitigen Verfahrens, der diese Verfahrensphase kennzeichnet, wie sich ausdrücklich aus Art. 3 dieses Artikels ergibt, gebietet es meines Erachtens, dass der klagende Mitgliedstaat alle Klagegründe, mit denen eine Verletzung des Unionsrechts geltend gemacht wird, und alle Beweise dafür bereits in dem Schreiben anführt, mit dem er die Kommission befasst. Zudem muss sich aus diesem Schreiben klar ergeben, dass er die Erhebung einer Klage nach Art. 259 AEUV beabsichtigt und nicht nur die Stellung eines Antrags an die Kommission, das Verfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten. Der Streitgegenstand wird folglich in diesem Verfahrensstadium festgelegt(13).

51.      Da der klagende Mitgliedstaat erstens nicht an die von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme getroffenen Feststellungen gebunden und zweitens – anders als die Kommission in Rahmen einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV – nicht zur Beachtung sonstiger Verfahrensphasen verpflichtet ist, erscheint es mir folgerichtig, den Tag der Befassung der Kommission durch den Mitgliedstaat als Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens der Vertragsverletzung im Sinne des Verfahrensrechts festzulegen(14). Eine entsprechende Übertragung der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verfahrens nach Art. 259 AEUV ist meines Erachtens umso angemessener, als dieses Vorgehen aufgrund derselben Erwägungen geboten ist, die in den vorstehenden Nummern zum Verfahren nach Art. 258 AEUV angestellt worden sind, nämlich der Notwendigkeit, den Streitgegenstand hinreichend genau unabhängig von einer eventuellen Änderung von Umständen festzulegen, und der Verpflichtung zur Wahrung der Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten.

52.      Aus den vorstehend dargelegten Gründen ist der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits meines Erachtens grundsätzlich auf die zum Zeitpunkt der Befassung der Kommission durch die Tschechische Republik bestehende gesetzliche und administrative Lage zu begrenzen. Dies schließt nicht aus, dass bestimmte nach diesem Zeitpunkt eingetretene Tatsachen ebenfalls als erheblich angesehen werden können. Ich weise jedoch darauf hin, dass diese Berücksichtigung späterer Tatsachen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur ausnahmsweise möglich ist, nämlich dann, wenn es sich um Tatsachen derselben Art wie das gerügte Verhalten handelt oder wenn sie nicht zu einer wesentlichen Änderung des beanstandeten Aspekts führen(15). Dieser Rechtsprechung liegt die einleuchtende Erwägung zugrunde, dass sich ein Mitgliedstaat einer Klage wegen Verstoßes gegen Unionsrecht nicht durch einen formalen Kunstgriff entziehen kann, d. h., indem er die Rechtsvorschriften ändert oder eine neue Entscheidung erlässt, die gleichwohl weiter dieselben unionsrechtswidrigen Elemente enthält.

B.      Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1, 2, 4 und 6, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie die Art. 6 bis 9 der UVP-Richtlinie (Verlängerung der Genehmigung zum Braunkohleabbau um sechs Jahre ohne Umweltverträglichkeitsprüfung)

1.      Vorbringen der Parteien

53.      Mit ihrem ersten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, mit dem Ausschluss einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Fall einer einmaligen Verlängerung einer Bergbaubetriebsgenehmigung um sechs Jahre verstoße Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie, da er es erlaube, eine solche Verlängerung zu gewähren, ohne eine vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung oder das Verfahren der „vorläufigen Prüfung“ durchzuführen, wie in diesen Bestimmungen vorgesehen. Das Fehlen einer Prüfung habe zur Folge, dass die betroffene Öffentlichkeit und gegebenenfalls die benachbarten Mitgliedstaaten, deren Hoheitsgebiet von dem Projekt betroffen sein könne, von der Beteiligung an den Verfahren nach Art. 4 Abs. 4 bis 6 und den Art. 5 bis 9 dieser Richtlinie ausgeschlossen seien.

54.      Diese Bestimmung des polnischen Rechts sei offensichtlich herangezogen worden, um die für zwei Braunkohlevorkommen in Polen erteilten Abbaubewilligungen zu verlängern. Tatsächlich sei auch die Genehmigung zum Braunkohleabbau in Turów bis 2026 auf sie gestützt.

55.      Nach Ansicht der Republik Polen ist dieser Klagegrund gegenstandslos, da die Entscheidung 2044 am 28. April 2021 erlassen worden sei. Wegen ihrer Dauer könne sie nicht auf der Grundlage von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes ergangen sein. Die Entscheidung 2044 sei auf der Grundlage der UVP-Entscheidung erlassen worden, die der Betreiber seinem Antrag beigefügt habe.

56.      Dieser Klagegrund sei auch offensichtlich unbegründet. Zunächst gehe aus den Klageanträgen hervor, dass die Tragweite der Klage auf die Frage der Gültigkeit der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 begrenzt sei und somit die Unvereinbarkeit des polnischen Rechts mit der UVP-Richtlinie nur insoweit betreffe, wie dieses Recht konkret im Rahmen dieser Genehmigung angewandt worden sei.

57.      Bei der Erteilung dieser Genehmigung sei aber Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes nicht angewandt worden, da die zuständige Behörde bei der Erteilung der Genehmigung die UVP-Entscheidung wegen der Möglichkeit erheblicher Auswirkungen des geplanten Projekts auf die Umwelt habe berücksichtigen müssen, wie sie in der Begründung dieser Genehmigung dargelegt habe.

58.      Nach polnischem Recht werde eine „Genehmigung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. c der UVP-Richtlinie [in der polnischen Sprachfassung „Investitionsentscheidung“] in einem mehrphasigen Verfahren erteilt, das den Erlass einer Entscheidung über Umweltauflagen umfasse. Diese Entscheidung binde auch die Stellen, die spätere Investitionsentscheidungen träfen. Wie die Genehmigung selbst binde sie ebenfalls unmittelbar den Betreiber, so dass es entgegen der von der Tschechischen Republik zugrunde gelegten Prämisse nicht erforderlich sei, sie in diese Genehmigung aufzunehmen.

59.      Im vorliegenden Fall sei die UVP-Entscheidung, die der Betreiber für die Durchführung des als Fortsetzung des Abbaus des Braunkohleflözes Turów bis 2044 beschriebenen Projekts beantragt habe, am 21. Januar 2020 nach den Konsultationen und der Beteiligung der Öffentlichkeit erlassen worden, die in der UVP-Richtlinie vorgesehen seien. Am 24. Januar 2020 sei sie dem Antrag auf Verlängerung der Abbaubewilligung um sechs Jahre beigefügt worden. Die Erteilung einer Genehmigung für einen kürzeren als den in der UVP-Entscheidung vorgesehenen Zeitraum sei nach polnischem Recht zulässig und entspreche im Übrigen auch dem Grundsatz a maiore ad minus. Folglich sei der Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorausgegangen, so dass mit dieser Erteilung nicht gegen die mit dem ersten Klagegrund angeführten Bestimmungen der UVP-Richtlinie verstoßen worden sei.

2.      Würdigung

a)      Zum Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie

60.      Mit ihrem ersten Klagegrund rügt die Tschechische Republik insbesondere einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie dadurch, dass Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes eine Umweltverträglichkeitsprüfung im Fall einer einmaligen Verlängerung einer Bergbaubetriebsgenehmigung um sechs Jahre ausschließe.

61.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dieser Klagegrund den Erlass eines Gesetzgebungsakts und keine Verwaltungspraxis betrifft. Daher geht es entgegen dem Vorbringen der Republik Polen nicht um die Anwendung der in der vorstehenden Nummer genannten Rechtsgrundlage auf einen Einzelfall. Folglich geht deren Vorbringen, dass dieser Klagegrund offensichtlich unbegründet sei, weil diese nationale Bestimmung beim Erlass der Genehmigung zum Braunkohleabbau in Turów bis 2026 nicht angewandt worden sei, meines Erachtens fehl.

62.      Die für die Prüfung dieses Klagegrundes zentrale Rechtsfrage ist vielmehr, ob ein Mitgliedstaat im Wege der Gesetzgebung die zuständigen Behörden ermächtigen kann, vom Erlass einer Reihe von Verwaltungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Bergbauprojekten abzusehen. Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst festgestellt werden, ob das Unionsrecht, im vorliegenden Fall die UVP-Richtlinie, den Mitgliedstaat zum Erlass solcher Verwaltungsmaßnahmen verpflichtet. Wenn ja, hätte der Mitgliedstaat zweifellos seine Verpflichtungen verletzt.

63.      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass „Projekte“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der UVP-Richtlinie vor ihrer Genehmigung gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu unterziehen sind, wenn u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie schreibt die in dieser Richtlinie vorgesehene Prüfung nämlich nicht für jedes Projekt vor, bei dem mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, sondern nur für diejenigen, die in Art. 4 dieser Richtlinie genannt sind, der wiederum auf die in deren Anhängen I und II aufgeführten Projekte verweist.

64.      Aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie ergibt sich, dass die in deren Anhang I aufgeführten Projekte ihrer Natur nach die Gefahr erheblicher Auswirkungen auf die Umwelt mit sich bringen und zwingend Gegenstand einer Umweltverträglichkeitsprüfung sein müssen. In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie den Begriff „Genehmigung“ als „Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält“, definiert. Zweitens ist zu beachten, dass in Nr. 19 des Anhangs I „Steinbrüche und Tagebau auf einer Abbaufläche von mehr als 25 Hektar“ genannt sind, d. h. Tagebaue mit einer dem Tagebau Turów ähnlichen Fläche. Nr. 24 dieses Anhangs ist für die Prüfung deshalb von Bedeutung, weil er vorsieht, dass der genannten Prüfung „[j]ede Änderung oder Erweiterung von Projekten, die in diesem Anhang aufgeführt sind, wenn sie für sich genommen die Schwellenwerte, sofern solche in diesem Anhang festgelegt sind, erreicht“ (Hervorhebung nur hier), zu unterziehen ist. Mit anderen Worten beschränkt sich die UVP-Richtlinie nicht darauf, eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die ursprüngliche Genehmigung für ein Projekt vorzuschreiben, sondern sie gilt auch für bestimmte dazugehörige Entscheidungen.

65.      Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes, der Gegenstand des ersten Klagegrundes ist, kann unter Nr. 24 des Anhangs I der UVP-Richtlinie fallen, da diese nationale Bestimmung die Verlängerung einer Bergbaubetriebsgenehmigung betrifft. Damit stellt sich die Frage, ob eine solche „Verlängerung einer Genehmigungals „Erweiterung eines Projekts“ im Sinne der UVP-Richtlinie verstanden werden kann. Auf der Grundlage einer einfachen grammatikalischen Auslegung könnte der Begriff „Erweiterung“ grundsätzlich als eine „Ausweitung der räumlichen Ausdehnung“ wie auch als eine „zeitliche Verlängerung“ eines bestimmten Projekts verstanden werden.

66.      Meines Erachtens ist diese Frage klar zu bejahen. Wie der Gerichtshof im Urteil Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen(16) entschieden hat, müssen Maßnahmen, die eine Verlängerung der Laufzeit der Genehmigung für ein Projekt zur Folge haben, das bereits von Anhang I erfasst wird, als unter Nr. 24 dieses Anhangs fallend angesehen werden. Diesem Urteil zufolge findet die in Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie aufgestellte Regel auch dann Anwendung, wenn die Verlängerung der Laufzeit der fraglichen Genehmigung nicht über zehn Jahre hinausgeht(17), wie es eben bei der in Rede stehenden polnischen Rechtsvorschrift der Fall ist. Folglich stellt die einmalige Verlängerung einer Bergbaubetriebsgenehmigung um sechs Jahre ein Projekt dar, das nach Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie einer Prüfung in Bezug auf seine Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden muss.

67.      Demgemäß ist festzustellen, dass Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes nicht im Einklang mit dem Unionsrecht steht, da diese nationale Bestimmung das genaue Gegenteil dessen vorsieht, was Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie vorschreibt.

68.      Sodann ist zu prüfen, ob auch ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie vorliegt.

69.      Hierzu ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung eine Bezugnahme auf Anhang II enthält, dessen Nr. 2 Buchst. a unter den Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden können, „Steinbrüche“ und „Tagebau“ nennt, soweit es sich um „nicht durch Anhang I erfasste Projekte“ handelt. Wie soeben dargelegt, werden jedoch Tagebaue mit einer dem Tagebau Turów ähnlichen Fläche bereits von Anhang I erfasst. Folglich fallen derartige Tagebaue bereits unter Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie, so dass zumindest hinsichtlich dieser Bergbaukategorie der Rückgriff auf Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie ausgeschlossen ist.

70.      Gleichwohl halte ich Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie für einschlägig für Tagebaue unterhalb der in Nr. 19 von Anhang I festgelegten Schwelle, d. h. solche mit einer Fläche von weniger als 25 Hektar. Tatsächlich scheint die in Rede stehende polnische Rechtsvorschrift auch den Betrieb von Projekten mit geringerer Fläche regeln zu sollen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes zum einen hinsichtlich der Art der von der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung befreiten Projekte ziemlich allgemein formuliert ist und dass in dieser Bestimmung nicht wie in der UVP-Richtlinie unterschieden wird zwischen Projekten, die einer solchen Prüfung unterzogen werden müssen, und solchen, die ihr unterzogen werden können. In diesem Stadium der Prüfung ist daher festzuhalten, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung sehr weit ist.

71.      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt, selbst zu bestimmen, ob das betreffende Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist(18). Dem neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie zufolge haben „Projekte anderer Klassen“, also die in Anhang II aufgeführten Projekte, „nicht unter allen Umständen zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt“, so dass sie nur dann einer Prüfung zu unterziehen sind, „wenn sie nach Auffassung der Mitgliedstaaten möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“ (Hervorhebung nur hier). Nach Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten diese Entscheidung anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien. Sie können entscheiden, die beiden genannten Verfahren anzuwenden. Nach Art. 4 Abs. 3 sind bei der Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien für die Zwecke von Abs. 2 die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zu berücksichtigen. All dies zeigt klar, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht über einen weiten Wertungsspielraum verfügen.

72.      In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie zwar der zuständigen Behörde eine gewisse Freiheit in der Frage zuerkennt, ob ein bestimmtes Projekt einer Prüfung zu unterziehen ist, dass aber nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs(19) dieser Wertungsspielraum durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt wird, die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer „Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen“ zu unterziehen. Wenn also ein Mitgliedstaat Kriterien oder Schwellenwerte festlegt, ohne den Standort der Projekte zu berücksichtigen, oder sie auf einem solchen Niveau festlegt, dass sämtliche Projekte eines bestimmten Typs der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entzogen wären, würde er den ihm zustehenden Wertungsspielraum überschreiten.

73.      Dem Gerichtshof zufolge genügt der Umstand, dass ein Mitgliedstaat über diesen Wertungsspielraum verfügt, für sich allein nicht, um ein bestimmtes Projekt vom Prüfungsverfahren im Sinne der UVP-Richtlinie auszunehmen. Andernfalls könnten die Mitgliedstaaten das ihnen in Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie eingeräumte Ermessen dazu verwenden, ein spezifisches Projekt der Prüfungspflicht zu entziehen, obwohl es aufgrund seiner Art, seiner Größe oder seines Standorts erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte. Daher darf die gewählte Methode unabhängig davon, welche Methode – Bestimmung eines spezifischen Projekts im Wege der Gesetzgebung oder individuelle Prüfung des Projekts – ein Mitgliedstaat wählt, um zu bestimmen, ob ein spezifisches Projekt eine Prüfung erfordert, nicht die Erreichung des Ziels dieser Richtlinie beeinträchtigen, kein Projekt, das möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne der Richtlinie hat, der Prüfung zu entziehen, es sei denn, das von der Prüfung ausgenommene spezifische Projekt lässt nach einer Gesamtbeurteilung keine erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt befürchten(20).

74.      Diese Erwägungen gelten erst recht für nationale Maßnahmen, die ganze Klassen von Projekten betreffen. Konkret hat der Gerichtshof befunden, dass Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis verleiht, für eine oder mehrere der in dieser Bestimmung genannten Projektklassen die Möglichkeit einer Prüfung „vollständig und endgültig auszuschließen“, da mit den betreffenden Kriterien und/oder Schwellenwerten nicht das Ziel verfolgt wird, bestimmte Klassen der in Anhang II aufgeführten Projekte, deren Durchführung im Gebiet eines Mitgliedstaats in Betracht kommt, von vornherein insgesamt von der Prüfungspflicht auszunehmen, sondern nur die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projekts erleichtert werden soll, damit bestimmt werden kann, ob es der Pflicht zur Prüfung unterliegt(21).

75.      In diesem Zusammenhang stellt sich somit die Frage, ob die in Rede stehende polnische Rechtsvorschrift die Durchführung einer „Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen“ vorschreibt, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorgesehen ist, wenn dies wegen der Merkmale bestimmter Projekte, konkreter wegen ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts, gerechtfertigt erscheint. Meines Erachtens ist diese Frage eindeutig zu verneinen, da Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes unterschiedslos für sämtliche Bergbaustätten gilt. Da diese nationale Bestimmung eine allgemeine und endgültige Freistellung sämtlicher Bergbaustätten von der Pflicht bewirkt, sich einer solchen „Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen“ zu unterziehen, ohne dass die jedem Projekt eigenen Merkmale, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, gebührend berücksichtigt werden, ist sie als unvereinbar mit den Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung anzusehen.

76.      Diese Feststellung gilt auch insoweit, als es anscheinend unmöglich ist, Projekte „anderer Klassen“ im Sinne des neunten Erwägungsgrundes der UVP-Richtlinie wie in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie vorgesehen einer Einzelfalluntersuchung oder einer Beurteilung anhand angemessener Schwellenwerte bzw. Auswahlkriterien zu unterziehen, um zu bestimmen, ob die von Anhang II erfassten Projekte Gegenstand einer Umweltverträglichkeitsprüfung sein sollten. Ich hebe hervor, dass die vorgenannte polnische Rechtsvorschrift eine Befreiung der zuständigen Behörden von der Verpflichtung zur Vornahme dieser Bestimmung für sämtliche Bergbaustätten bewirkt, ohne dass sie die Möglichkeit haben, die Besonderheiten jedes Einzelfalls zu berücksichtigen. Es liegt somit auf der Hand, dass ein derart rigides Vorgehen, das ein unzureichendes Bewusstsein für die mit jedem Bergbaubetrieb verbundenen Umweltprobleme zeigt, keine ordnungsgemäße legislative Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie darstellen kann.

77.      Daher ist festzustellen, dass die Republik Polen den ihr nach Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie zustehenden Wertungsspielraum überschritten hat, da ihre nationalen Rechtsvorschriften nicht die Verfahren beachten, die für die Beurteilung der Auswirkungen eines von Anhang II dieser Richtlinie erfassten Bergbaubetriebs auf die Umwelt vorgesehen sind.

78.      Aus den in den vorstehenden Nummern dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass die Republik Polen mit dem Erlass von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes auch gegen Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie verstoßen hat.

b)      Zum Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung

79.      Nachdem im Rahmen dieser Untersuchung ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie festgestellt worden ist, stellt sich unausweichlich die Frage, wie dieser Klagegrund rechtlich zu behandeln ist, da mit ihm ebenfalls ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 und 2 und die Art. 6 bis 9 dieser Richtlinie geltend gemacht wird. Diese Bestimmungen enthalten die verfahrensrechtlichen Regeln, die die Mitgliedstaaten einhalten müssen, wenn sie die in Anhang I aufgeführten Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen. Konkret handelt es sich u. a. um die Pflicht des Projektträgers zur Erstellung und Vorlage eines UVP-Berichts sowie die Pflicht, die Behörden, die voraussichtlich von dem Projekt berührt sein könnten, zu konsultieren und den Zugang der Öffentlichkeit zu den Informationen über das Projekt einschließlich des Entscheidungsverfahrens sicherzustellen.

80.      Mit der Kommission bin ich der Ansicht, dass die Feststellung des Verstoßes gegen die Verpflichtung, ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie zu unterziehen, denknotwendig die Feststellung einschließt, dass die besonderen verfahrensrechtlichen Anforderungen, denen eine solche Prüfung genügen muss, nicht beachtet worden sind. So ist meines Erachtens auch die Klageschrift der Tschechischen Republik zu verstehen, in der die Bestimmungen über die verfahrensrechtlichen Anforderungen an diese Prüfung offenbar nur der Vollständigkeit halber angeführt sind.

81.      Überdies ist darauf hinzuweisen, dass sich Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes darauf beschränkt, bestimmte Bergbautätigkeiten allgemein von der unionsrechtlichen Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung freizustellen, ohne auf spezifische Pflichten im Zusammenhang mit dem Prüfungsverfahren nach den Art. 5 Abs. 1 und 2 und den Art. 6 bis 9 der UVP-Richtlinie einzugehen, was eventuell eine gesonderte Konformitätsprüfung anhand jeder dieser Bestimmungen hätte rechtfertigen können. Ich halte eine solche indes im vorliegenden Fall nicht für erforderlich, da die Voraussetzungen für eine derartige individuelle Konformitätsprüfung eindeutig nicht erfüllt sind.

82.      Da die von der Tschechischen Republik angeführten Bestimmungen im Wesentlichen verfahrensrechtliche Anforderungen enthalten, die im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung zu beachten sind, ist demgemäß festzustellen, dass ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie zwangsläufig den Verstoß gegen diese verfahrensrechtlichen Anforderungen mit sich bringt.

c)      Zu den nach Klageerhebung erfolgten Gesetzesänderungen

83.      Der Vollständigkeit halber ist auf die jüngsten Änderungen der polnischen Rechtsvorschriften, insbesondere die Aufhebung von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes, einzugehen. Wie die Kommission in ihren Erklärungen vom 13. August 2021 ausgeführt hat, ist in Zukunft die einmalige Verlängerung einer Braunkohleabbaubewilligung um sechs Jahre nach den polnischen Rechtsvorschriften nicht möglich, wenn nicht zuvor eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. Den von der Kommission vorgelegten Informationen ist zu entnehmen, dass diese gegenwärtig prüft, ob mit dieser Änderung der Rechtsvorschriften die auf die Anwendung von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k dieses Gesetzes zurückgehenden Fälle nicht ordnungsgemäßer Anwendung der UVP-Richtlinie abgestellt werden können.

84.      Hierzu genügt der Hinweis, dass die Gesetzesänderungen im Juli 2021, d. h. nach der Befassung der Kommission durch die Tschechische Republik, erfolgt sind und daher im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht berücksichtigt werden können, soll nicht der Streitgegenstand in ungerechtfertigter Weise geändert werden(22). Daher kann der Gerichtshof meines Erachtens diese Gesetzesänderungen bei seiner Beurteilung des von der Republik Polen begangenen Rechtsverstoßes nicht berücksichtigen.

C.      Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 5, die Art. 8 und 9 sowie Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie (Ausschluss der betroffenen Öffentlichkeit vom Verfahren zur Erteilung der Bergbaubetriebsgenehmigung)

1.      Vorbringen der Parteien

85.      Die Tschechische Republik macht geltend, dass die mit diesen Bestimmungen der UVP-Richtlinie festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf die Beteiligung der Öffentlichkeit an den Verfahren nach dieser Richtlinie und die Kontrolle der daraus folgenden Entscheidungen in allen Phasen dieser Verfahren gelten, einschließlich der letzten, d. h. der des Verfahrens zur Erteilung der Genehmigung für das Projekt und seines Ergebnisses.

86.      Dies ergebe sich erstens daraus, dass in einigen Bestimmungen, u. a. Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, c und d der UVP-Richtlinie, entweder von der „Genehmigung“ im Sinne ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. c oder von den im Rahmen des Genehmigungsverfahrens erlassenen Entscheidungen die Rede sei. Zweitens sehe diese Richtlinie keinerlei Ausnahme von den mit ihr festgelegten Verpflichtungen aus dem Grund vor, dass diese in einem früheren Verfahrensabschnitt erfüllt worden wären. Drittens unterscheide sich das Ziel der Beteiligung der Öffentlichkeit am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 von dem ihrer Beteiligung am UVP-Verfahren, da mit der Beteiligung am Genehmigungsverfahren bestimmt werden solle, ob die Ergebnisse der UVP-Prüfung ordnungsgemäß in die endgültige Genehmigung einbezogen worden seien. Auch die in Art. 11 der UVP-Richtlinie vorgesehene Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs verlöre ihre praktische Wirksamkeit, wenn diese Einbeziehung nicht kontrolliert werden könne.

87.      Daher laufe Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs, wonach die betroffene Öffentlichkeit vom Verfahren zur Erteilung der Genehmigung für ein Projekt und von einer gerichtlichen Überprüfung dieses Verfahrens ausgeschlossen sei, wenn am Ende einer mit Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung eine UVP-Entscheidung ergangen sei, den vorgenannten Bestimmungen der UVP-Richtlinie zuwider.

88.      Die Republik Polen entgegnet, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 der UVP-Richtlinie, der die Möglichkeit eines integrierten Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung für ein Projekt vorsehe, Verfahren bestimmen könnten, in denen die Beteiligung der Öffentlichkeit in der Phase des Erlasses dieser Genehmigung gewährleistet sein müsse, in dem die Fragen der Auswirkungen des geplanten Projekts auf die Umwelt geprüft würden. Dagegen brauche in den weiteren Phasen des Genehmigungsverfahrens, in denen andere Aspekte des Betriebs des geplanten Projekts geprüft würden, eine solche Beteiligung nicht gewährleistet zu werden.

89.      In Polen umfasse das Genehmigungsverfahren für ein Projekt mehrere Phasen, und der Betreiber könne erst nach Erlangung einer Entscheidung über Umweltauflagen eine Genehmigung erhalten, für die diese Entscheidung dann bindend sei. Wenn das nationale Recht ein mehrphasiges Genehmigungsverfahren vorsehe, in dem zunächst eine Grundsatzentscheidung ergehe und dann eine Durchführungsentscheidung getroffen werde, die nicht über die in der Grundsatzentscheidung festgelegten Vorgaben hinausgehen dürfe, seien nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Auswirkungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt habe, im Verfahren zum Erlass der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen.

90.      Folglich sei es im Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 weder erforderlich gewesen, erneut die Beteiligung der Öffentlichkeit zu gewährleisten, noch, erneut grenzüberschreitende Konsultationen durchzuführen, da die entsprechenden Verpflichtungen im Rahmen des mit der UVP-Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens eingehalten worden seien. Die Kommission habe dieses Vorgehen in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme gebilligt, indem sie zu dem Schluss gelangt sei, dass kein Verstoß gegen die in Rede stehenden Bestimmungen der UVP-Richtlinie vorliege.

91.      Zum Vorbringen des klagenden Mitgliedstaats, nach Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie müsse eine gerichtliche Überprüfung der Berücksichtigung der Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens möglich sein, weist die Republik Polen erstens darauf hin, dass das polnische Recht die Möglichkeit der Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs für die Öffentlichkeit grundsätzlich gewährleiste. So hätten Organisationen wie Greenpeace ČR Rechtsbehelfe gegen die Genehmigung des Braunkohleabbaus bis 2026 eingelegt, in deren Rahmen die Frage der Aussetzung dieser Genehmigung in der Sache geprüft worden sei.

92.      Zweitens ergebe sich aus Abs. 2 dieses Artikels, wonach die Mitgliedstaaten festlegten, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden könnten, dass es diesen freistehe, eine Rechtsbehelfsmöglichkeit lediglich in der Phase der Entscheidung über Umweltauflagen zu gewährleisten, sofern ausgeschlossen sei, dass die Genehmigungsentscheidung die erstgenannte Entscheidung außer Betracht lasse. Dies sei in Polen der Fall, da Art. 86 des Umweltinformationsgesetzes vorsehe, dass diese Entscheidung die Behörden binde, die eine Entscheidung nach Art. 72 Abs. 1 dieses Gesetzes erließen. Da die UVP-Entscheidung unmittelbar gelte, sei es nicht gerechtfertigt und gegenstandslos, Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit zu gewährleisten, die Genehmigungsentscheidung für den Braunkohleabbau bis 2026 anzufechten.

93.      Zudem sei der Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie jedenfalls gegenstandslos geworden, da Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs geändert worden sei und die betroffenen Parteien nunmehr einen Rechtsbehelf gegen eine Investitionsentscheidung [eine Genehmigung] einlegen könnten, um deren Vereinbarkeit mit der Entscheidung über Umweltauflagen überprüfen zu lassen.

2.      Würdigung

94.      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs, der der Sache nach vorsieht, dass sich öffentliche Organisationen nicht am Genehmigungsverfahren beteiligen können, wenn sie am Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung beteiligt waren, verstoße gegen mehrere Bestimmungen der UVP-Richtlinie. Auch dieser Klagegrund betrifft den Erlass eines Gesetzgebungsakts und keine Verwaltungspraxis.

95.      Die Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 5, den Art. 8 und 9 sowie Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie betreffen die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und der anderen Mitgliedstaaten, auf deren Hoheitsgebiet das Projekt erhebliche Auswirkungen haben könnte, an den Verfahren nach der UVP-Richtlinie, einschließlich der Kontrolle der in diesen Verfahren ergangenen Entscheidungen. Diese Verpflichtungen beziehen sich auf den Ablauf und den Ausgang des „Entscheidungsverfahrens“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der UVP-Richtlinie, dessen Ziel die Erteilung einer „Genehmigung“ ist, d. h. gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. c dieser Richtlinie die Entscheidung, mit der das Recht zur Durchführung des Projekts verliehen wird.

a)      Zur Verletzung des Rechts der Öffentlichkeit und anderer Mitgliedstaaten auf Zugang zum Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung

96.      Zunächst möchte ich betonen, dass mich die von der Tschechischen Republik vertretene Auslegung, mit den Art. 6 bis 9 der UVP-Richtlinie solle der Öffentlichkeit und anderen Mitgliedstaaten ein absolutes und uneingeschränktes Recht auf Zugang zu allen Phasen des Genehmigungsverfahrens verliehen werden, nicht überzeugt. Meines Erachtens muss diese Auffassung unter Hinweis auf die Verfahrensautonomie nuanciert werden, die die UVP-Richtlinie den Mitgliedstaaten zuerkennt. Wie die Republik Polen zu Recht ausführt, sieht Art. 2 Abs. 2 der UVP-Richtlinie für einen Mitgliedstaat die Möglichkeit vor, die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte durchzuführen oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer Verfahren oder der Verfahren, die einzuführen sind, um den Zielen dieser Richtlinie zu entsprechen.

97.      Mit anderen Worten wird mit den unionsrechtlichen Bestimmungen keine Vereinheitlichung der der Genehmigung von Projekten vorausgehenden Verfahren vorgenommen. Vielmehr verfügen die Mitgliedstaaten über eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Form und der Mittel, mit denen zur Erreichung der Ziele der UVP-Richtlinie beigetragen werden soll. Folglich können sich die nationalen Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gestaltung der Verwaltungsverfahren bei Entscheidungen, mit denen die Durchführung von Projekten genehmigt wird, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, erheblich voneinander unterscheiden.

98.      Den Angaben der Republik Polen zufolge sieht die polnische Rechtsordnung ein mehrphasiges Genehmigungsverfahren vor, das mit der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts beginnt. Im Fall von Projekten zur Gewinnung von Erzen aus einem Flöz müsse das Unternehmen, das eine derartige Tätigkeit ausüben wolle, eine Entscheidung über Umweltauflagen für die Durchführung dieses Projekts erlangen und könne erst danach eine Genehmigung zum Abbau des Flözes erhalten. Für die Behörde, die die Genehmigung zum Abbau des Flözes erteile, sei die Entscheidung über Umweltauflagen bindend.

99.      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof einem Mitgliedstaat ausdrücklich die Freiheit zuerkennt, ein solches mehrphasiges Genehmigungsverfahren vorzusehen. Wenn das nationale Recht ein mehrphasiges Genehmigungsverfahren vorsieht, in dem zunächst eine Grundsatzentscheidung ergeht und dann eine Durchführungsentscheidung getroffen wird, die nicht über die in der Grundsatzentscheidung festgelegten Vorgaben hinausgehen darf, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Auswirkungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat, im Verfahren zum Erlass der Grundsatzentscheidung zu ermitteln und zu prüfen(23). Nur wenn diese Auswirkungen erst im Verfahren zum Erlass der Durchführungsentscheidung ermittelt werden können, muss die Prüfung im Rahmen dieses Verfahrens erfolgen(24). Die Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Projekt ist grundsätzlich durchzuführen, sobald es möglich ist, sämtliche Auswirkungen zu ermitteln und zu prüfen, die das Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat(25). Eine solche vorherige Prüfung ist dadurch gerechtfertigt, dass die zuständige Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung die Auswirkungen auf die Umwelt bei allen technischen Planungs- und Entscheidungsprozessen so früh wie möglich berücksichtigen muss, um Umweltbelastungen von vornherein zu vermeiden, statt sie erst nachträglich in ihren Auswirkungen zu bekämpfen(26).

100. Das Genehmigungsverfahren nach nationalem Recht, wie es von der Republik Polen beschrieben wird, entspricht meines Erachtens den in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angeführten Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Insbesondere ist u. a. unter Berücksichtigung der Verfahrensautonomie, die den Mitgliedstaaten in der UVP-Richtlinie zuerkannt wird, nicht zu beanstanden, dass die Republik Polen ein mehrphasiges Genehmigungsverfahren vorsieht. So gesehen scheint die Republik Polen gemäß ihrer Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie die nötigen Bestimmungen erlassen zu haben, damit die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden.

101. Aus dieser Feststellung folgt meines Erachtens, dass es, wenn für ein Projekt bereits auf einer der Erteilung der Genehmigung vorgelagerten Phase des Verwaltungsverfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfung unter Beachtung der in der UVP-Richtlinie vorgeschriebenen Verfahrenserfordernisse durchgeführt worden ist, objektiv nicht mehr gerechtfertigt ist, von einem Mitgliedstaat die Wiederholung dieser Verfahrensphase bei der Erteilung der Genehmigung zu verlangen. Dies würde der Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Verwaltungsverfahren zuwiderlaufen und wäre ein unnötiger Formalismus, der die Durchführung eines Projekts übermäßig behindern könnte.  Ich teile daher die Auffassung der Kommission, dass es, wenn sich die Öffentlichkeit und gegebenenfalls andere Mitgliedstaaten am Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung beteiligen konnten, nicht notwendig erscheint, sie erneut im Stadium der Genehmigung zu beteiligen. Folglich war es im Rahmen des Verfahrens zur Verlängerung der Betriebsgenehmigung für den Tagebau Turów bis 2026 weder erforderlich, erneut die Beteiligung der Öffentlichkeit zu gewährleisten, noch, erneut grenzüberschreitende Konsultationen durchzuführen, da die Verpflichtungen betreffend diese Lagerstätte bereits im Rahmen des mit der UVP-Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens eingehalten worden waren.

102. Das Vorbringen der Tschechischen Republik, Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs sei mit der UVP-Richtlinie unvereinbar, überzeugt mich nicht, da es auf eine rein grammatikalische Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der UVP-Richtlinie gestützt ist, der sich auf die endgültige „Genehmigung“ beziehen soll, ohne dass jedoch genau und detailliert erläutert wird, warum das im polnischen Recht vorgesehene mehrphasige Verwaltungsverfahren den Anforderungen der UVP-Richtlinie nicht genügen soll. Damit wird letztlich geltend gemacht, es könne überhaupt kein mehrphasiges Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Umweltverträglichkeit eines Projekts vorgesehen werden, was den Aussagen des Gerichtshofs in seiner Rechtsprechung klar zuwiderläuft. Folglich ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

b)      Zur Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren

103. Zum Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie betreffend das Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren ist zunächst darauf hinzuweisen, dass offenbar nicht Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs selbst, sondern Art. 50 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung einen solchen Rechtsbehelf gegen eine Genehmigungsentscheidung ausschließt, wenn der Betroffene nicht an dem Verfahren beteiligt war, das zur Erteilung dieser Genehmigung geführt hat, wie die Tschechische Republik selbst im Rahmen ihres siebten Klagegrundes ausführt.

104. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Urteil Flausch(27) die Rechtsbehelfe allein gegen die Genehmigungsentscheidungen grundsätzlich nicht die Fragen einer Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsverfahren betreffen, dass es sich aber u. a. dann anders verhält, wenn etwaige Mängel betreffend die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die endgültige Genehmigungsentscheidung geltend gemacht werden müssen.

105. Daraus folgt zwingend, dass die Mitgliedstaaten, wenn ihr nationales Recht ein mehrphasiges Verfahren vorsieht, das aus einer Phase der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts und einer Genehmigungsphase besteht, wie es im polnischen Recht der Fall ist, rechtmäßig vorsehen können, dass Mängel betreffend die Beteiligung der Öffentlichkeit in der ersten Phase geltend zu machen sind.

106. Wie sich klar aus Art. 11 Abs. 2 der UVP-Richtlinie ergibt, legen die Mitgliedstaaten fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können. Mit anderen Worten muss ein Mitgliedstaat entgegen dem Vorbringen der Tschechischen Republik nicht gewährleisten, dass etwaige Mängel betreffend die Beteiligung der Öffentlichkeit ein weiteres Mal im Stadium der Genehmigung beanstandet werden können.

107. Was schließlich die von der Tschechischen Republik angesprochene Gefahr angeht, dass die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung später nicht berücksichtigt werden, bin ich der Ansicht, dass weder Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie noch irgendeine andere unionsrechtliche Bestimmung, die ein gleichwertiges Recht einräumt, der Schaffung eines Verfahrens und dem Erlass nationaler Bestimmungen entgegensteht, wonach die Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs nur im Stadium der Entscheidung über Umweltauflagen gewährleistet wird, sofern ausgeschlossen ist, dass die Genehmigungsentscheidung die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung außer Betracht lässt.

108. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach den Angaben der Republik Polen(28) das polnische Recht grundsätzlich die Möglichkeit für die betroffene Öffentlichkeit gewährleistet, gegen Genehmigungsentscheidungen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens Rechtsbehelfe einzulegen und vor den Verwaltungsgerichten Klage zu erheben, insbesondere um die Vereinbarkeit dieser Entscheidungen mit den Auflagen zu überprüfen, die in den vorangegangenen Entscheidungen über Umweltauflagen festgelegt worden seien.

109. Mangels konkreter Anhaltspunkte zur Stützung der These, das polnische Recht lasse einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung zur Genehmigung eines Projekts nicht zu, der damit begründet werde, dass bei deren Erlass die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht berücksichtigt worden seien, ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

110. Nach alledem schlage ich vor, den zweiten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

D.      Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie (Erklärung der UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar)

1.      Vorbringen der Parteien

111. Mit ihrem dritten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, der Verwaltungsakt, mit dem die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt worden sei, verstoße gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie, da er dieser Bestimmung die praktische Wirkung nehme. Obwohl diese Entscheidung nach polnischem Recht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein könne, bewirke ihre sofortige Vollziehbarkeit, dass das betreffende Projekt genehmigt und durchgeführt werden könne, bevor ein Gericht über die Rechtmäßigkeit der UVP-Entscheidung befinden könne; dieses Problem werde dadurch verschärft, dass zum einen die Öffentlichkeit keine vorläufigen gerichtlichen Maßnahmen gegen die sofortige Vollziehbarkeit erlangen könne und dass zum anderen die Genehmigung des Projekts nach Ablauf einer Frist von einem Jahr ab Beginn der Tätigkeit nicht mehr widerrufen werden könne.

112. Gegen die UVP-Entscheidung und ihre sofortige Vollziehbarkeit eingelegte Rechtsbehelfe befänden sich noch immer in der Verwaltungsphase, während die Abbautätigkeiten im Tagebau Turów weitergingen. Zudem sinke der Grundwasserspiegel erheblich schneller als nach den Hypothesen, die dieser Entscheidung zugrunde lägen, und entgegen den in ihr enthaltenen Angaben sei es zu erheblichen Bodenabsenkungen im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik gekommen.

113. Die Republik Polen führt aus, nach polnischem Recht könne eine nicht endgültige Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt werden, wenn sich dies als erforderlich erweise, um die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen, um erhebliche Verluste für die Volkswirtschaft zu verhindern oder um einem anderen öffentlichen Interesse oder einem für eine Partei außergewöhnlich wichtigen Interesse Rechnung zu tragen. Wenn eine Entscheidung allerdings mit einem gesonderten Rechtsakt für sofort vollziehbar erklärt werde, könne dieser Gegenstand einer Beschwerde und sodann einer Klage sein. Nach Art. 135 des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs könne zudem das zweitinstanzliche Organ die sofortige Vollziehbarkeit einer Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag der Verfahrensparteien aussetzen.

114. Im vorliegenden Fall sei erstens kein Antrag nach dem genannten Art. 135 gestellt worden. Zweitens habe das Verfahren betreffend die UVP-Entscheidung fast fünf Jahre bis zum 21. Januar 2020 gedauert, wobei der größte Teil dieses Zeitraums wegen der Intervention der tschechischen Behörden und der tschechischen Öffentlichkeit den grenzüberschreitenden Auswirkungen gewidmet gewesen sei, so dass für den Betreiber die Frist zur Erlangung der Genehmigung erheblich geschrumpft sei, was die Entscheidung beeinflusst habe, die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar zu erklären. Drittens sei die letztgenannte Entscheidung Gegenstand von Rechtsbehelfen und danach von beim Verwaltungsgericht anhängigen Klagen gewesen.

115. Der dritte Klagegrund sei überdies gegenstandslos, da mit der am 30. März 2021 erfolgten Änderung des rechtlichen Rahmens dem behaupteten Fehlen wirksamer gerichtlicher Kontrolle, das sich daraus ergeben solle, dass die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt worden sei, dadurch abgeholfen werde, dass der Öffentlichkeit Rechte zuerkannt worden seien. Ein zweitinstanzliches Organ könne nunmehr auf Antrag und in Fällen, in denen dies gerechtfertigt sei, die sofortige Vollziehbarkeit im Rahmen des gegen diese Entscheidung gerichteten Rechtsbehelfs aussetzen.

2.      Würdigung

116. Mit ihrem dritten Klagegrund, der sich dagegen richtet, dass die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt worden ist, macht die Tschechische Republik einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie geltend, weil die im polnischen Recht vorgesehenen gerichtlichen Verfahren gegen eine solche Erklärung unwirksam seien, denn diese könne ungeachtet der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die UVP-Entscheidung rasch zur Durchführung des Projekts führen, ein Problem, das noch dadurch verschärft werde, dass es keinen vorläufigen Rechtsschutz gegen diese Durchführung gebe. Dieser Klagegrund scheint wie die ersten beiden Klagegründe eher gegen das nationale Recht gerichtet zu sein als gegen diese Erklärung als solche.

117. Insoweit ist zunächst auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Wirksamkeit der Rechtsbehelfe gegen nationale Verwaltungsentscheidungen sicherzustellen, die schädliche und unumkehrbare Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, hängt die Wirksamkeit der Rechtsbehelfe u. a. davon ab, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, bei dem Gericht, bei dem ein nach Unionsrecht zu beurteilender Rechtsstreit anhängig ist, den Erlass einstweiliger Anordnungen zu beantragen, mit denen die Vollziehung einer Genehmigung bis zum Erlass der Endentscheidung vorübergehend ausgesetzt werden kann(29). Einen wirksamen Rechtsschutz sicherzustellen ist umso wichtiger, wenn eine Entscheidung – wie die UVP-Entscheidung – für sofort vollziehbar erklärt wird. Zur Prüfung dieses Klagegrundes der geltend gemachten Unwirksamkeit der in der polnischen Rechtsordnung vorgesehenen gerichtlichen Verfahren halte ich es für erforderlich, den nationalen rechtlichen Rahmen und den gegenwärtigen Stand der laufenden Verfahren zu untersuchen.

a)      Zum nationalen rechtlichen Rahmen

118. Zum nationalen rechtlichen Rahmen erläutert die Republik Polen, dass nach den polnischen Rechtsvorschriften eine nicht endgültige Entscheidung in besonderen Fällen für sofort vollziehbar erklärt werden könne, d. h. dann, wenn dies erforderlich sei, um die Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen, erhebliche Verluste für die Volkswirtschaft zu verhindern oder auch einem anderen öffentlichen Interesse oder einem für eine Partei außergewöhnlich wichtigen Interesse Rechnung zu tragen. Ein erstinstanzliches Organ könne seine Entscheidung bereits in dieser selbst oder nach ihrem Erlass für sofort vollziehbar erklären. Im letzteren Fall werde die Entscheidung durch Beschluss für sofort vollziehbar erklärt, gegen den die Parteien einen Rechtsbehelf einlegen und sodann bei einem Verwaltungsgericht Klage erheben könnten. Das polnische Recht sehe noch eine weitere Möglichkeit vor, die sofortige Vollziehbarkeit in Frage zu stellen: Nach Art. 135 des Verwaltungsverfahrensgesetzbuchs könne das zweitinstanzliche Organ von Amts wegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Entscheidung aussetzen. Es könne dies auch nach Prüfung eines entsprechenden Antrags der Parteien tun.

b)      Zum gegenwärtigen Stand der laufenden Verfahren

119. Zum gegenwärtigen Stand der laufenden Verfahren trägt die Tschechische Republik vor, mehrere tschechische Personen hätten einen Rechtsbehelf gegen die UVP-Entscheidung und Beschwerde gegen die Entscheidung vom 23. Januar 2020, mit der die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt worden sei, eingelegt. Die Republik Polen bestätigt diese Angabe und erläutert, dass mehrere Umweltschutzorganisationen beim Generaldirektor für den Umweltschutz einen Rechtsbehelf gegen die UVP-Entscheidung des Direktors für Umweltschutz der Region Wrocław vom 21. Januar 2020 eingelegt hätten. Nachdem die erstgenannte Behörde ihre zweitinstanzliche Entscheidung erlassen habe, könnten die betreffenden Organisationen beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen) Klage erheben.

120. Zu der Entscheidung, mit der die UVP-Entscheidung für sofort vollziehbar erklärt wurde, macht die Republik Polen geltend, der Regionaldirektor für Umweltschutz habe nach Prüfung des Vorbringens der tschechischen Partei im Verfahren über den Rechtsbehelf am 14. April 2021 entschieden, diese Entscheidung aufrechtzuerhalten. Bis heute hätten mehrere Umweltschutzorganisationen beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau) Klage gegen die letztgenannte Entscheidung erhoben. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die Tschechische Republik dem Gerichtshof in der Sitzung mitgeteilt hat, dass dieses Verfahren gegenwärtig anhängig sei und die mündliche Verhandlung gegen Ende 2021 stattfinden solle.

121. Die Prüfung des Vorbringens der beiden Parteien bringt mich zu dem Schluss, dass in der polnischen Rechtsordnung tatsächlich Rechtsbehelfsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen, einschließlich der UVP-Entscheidung, durch die Verwaltung und die Gerichte zulassen. Insbesondere haben die Betroffenen die Möglichkeit, die sofortige Vollziehbarkeit einer Entscheidung aussetzen zu lassen. Mangels stichhaltiger Beweise vermag ich die Zweifel der Tschechischen Republik an der Wirksamkeit der bestehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten nicht zu teilen. Der Umstand, dass die vorgenannten Umweltschutzorganisationen mit ihren Rechtsbehelfen nicht obsiegt haben, ist allein kein ausreichender Beweis für den Schluss auf eine fehlende Wirksamkeit, zumal die Rechtsbehelfsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind.

122. Nach alledem neige ich zur Zurückweisung des dritten Klagegrundes als unbegründet.

E.      Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 (Nichteinbeziehung eines eventuellen Verfahrens im Fall der Nichtgewährung von Ausnahmen für die betroffenen Wasserkörper in die UVP-Entscheidung)

1.      Vorbringen der Parteien

123. Nach Ansicht der Tschechischen Republik stellt die UVP-Entscheidung nicht die Beachtung der Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 bezüglich der Oberflächengewässer und des Grundwassers sicher, die von der Abbautätigkeit im Tagebau Turów während der vorgesehenen Gesamtdauer dieser Tätigkeit bis 2044 betroffen seien, und verstoße daher gegen diese Bestimmungen.

124. Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2000/60 lasse Ausnahmen von der Erreichung dieser Ziele mit einer Geltung bis höchstens 2021 oder 2027 zu, und die Verlängerung der in Abs. 5 vorgesehenen Ausnahmen sei gemäß Abs. 4 vorgesehen, ohne die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass die Genehmigung einer solchen Ausnahme wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung der in Abs. 5 genannten Ausnahmen verweigert werde.

125. Obwohl die Republik Polen in den Unterlagen zur Umweltverträglichkeitsprüfung einräume, dass es nicht möglich sei, vor dem Ende des Abbaus der Lagerstätte Turów im Jahr 2044 einen guten Zustand der betroffenen Wasserkörper zu erreichen, lasse die UVP-Entscheidung nicht erkennen, wie dieser Mitgliedstaat im Fall einer Verweigerung der besagten Ausnahmen Konformität mit dem Unionsrecht herzustellen gedenke.

126. Die Republik Polen weist den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 zurück. Die Beurteilung und Anwendung der Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 und 5 dieser Richtlinie erfolgten nicht mittels einzelner Investitionsgenehmigungen, sondern im Rahmen der Aktualisierung der konkreten Bewirtschaftungspläne für das Einzugsgebiet gemäß Art. 13 dieser Richtlinie. Solche Aktualisierungen erfolgten für die Einzugsgebiete für die Jahre 2021 bis 2027, einschließlich desjenigen der Oder. Im Rahmen dieser Aktualisierung der Pläne würden entsprechend der aktuellen Lage Entscheidungen über die Beibehaltung oder die Umwandlung dieser Ausnahmen oder den Verzicht auf sie getroffen.

127. Auch unter Hinweis auf die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission vertritt die Republik Polen die Auffassung, die Richtlinie 2000/60 verlange nicht, dass in einer Entscheidung zur Genehmigung eines Projekts im Sinne der UVP-Richtlinie die Auflagen aus etwaigen künftigen Entscheidungen über Ausnahmen von den Umweltzielen für bestimmte Wasserkörper definiert würden. Dies werde auch durch die von der Tschechischen Republik angeführte Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, nach der die Unterlagen, die der Öffentlichkeit zur Konsultation vor Erteilung einer Genehmigung zugänglich gemacht würden, lediglich die für die Beurteilung der Auswirkungen dieses Projekts auf das Wasser erforderlichen Angaben nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 enthalten müssten. Dagegen brauche nach dieser Rechtsprechung in einer Genehmigungsentscheidung für ein Projekt nicht verbindlich die Frage geklärt zu werden, ob dieses Projekt nach Maßgabe künftiger Entscheidungen über die Gewährung oder Verweigerung der vorgenannten Ausnahmen durchgeführt werden könne.

128. Zurückzuweisen sei auch das Vorbringen der Tschechischen Republik, dass die Erfüllung der Verpflichtungen nach dieser Bestimmung nicht auf andere Weise sichergestellt sei. Im polnischen Recht gebe es Mechanismen, die sich auf drei Aspekte der Tätigkeiten, die eine Auswirkung auf das Grundwasser oder die Oberflächengewässer haben könnten, bezögen und die Einhaltung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 im Fall der Verweigerung der Genehmigung der betreffenden Ausnahmen gewährleisteten. Sie beträfen erstens die Verfahren im Zusammenhang mit dem Erhalt einer Genehmigung zur Ausübung einer solchen Tätigkeit, zweitens die Prüfung der Auswirkung der Tätigkeit auf das Wasser und drittens die Sanktionen gegen die Personen, die eine Tätigkeit auf der Grundlage einer zuvor erlangten Genehmigung ausübten, wegen abträglicher Auswirkungen auf das Wasser. Zudem sei der Verstoß des Betreibers gegen die Umweltschutzauflagen ein Grund für den entschädigungslosen Entzug der Genehmigung.

129. Ferner weist die Republik Polen zum einen darauf hin, dass der vierte Klagegrund den Inhalt der UVP-Entscheidung betreffe. Da diese Entscheidung Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfs sei, auf den eine Klage vor einem Verwaltungsgericht folgen könne, und diese Verfahren zur Aufhebung dieser Entscheidung führen könnten, würde ein Urteil des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit der UVP-Entscheidung mit der Richtlinie 2000/60 gegen die Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten verstoßen.

130. Zum anderen ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 259 AEUV, dass mit einer Klage nach dieser Bestimmung eine von dem beklagten Mitgliedstaat bereits begangene Verletzung einer unionsrechtlichen Verpflichtung dargetan werden müsse, nicht aber eine hypothetische, möglicherweise in der Zukunft eintretende Verletzung einer solchen Verpflichtung. Daher sei der vierte Klagegrund unzulässig.

2.      Würdigung

131. Mit ihrem vierten Klagegrund macht die Tschechische Republik der Sache nach geltend, die UVP-Entscheidung verstoße gegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 betreffend die Umweltziele, die für die Oberflächengewässer und das Grundwasser erreicht werden müssten, da in dieser Entscheidung nicht festgelegt sei, welche Maßnahmen zu treffen seien, falls die gegenwärtig gemäß Art. 4 Abs. 4 und 5 dieser Richtlinie geltenden Ausnahmen von diesen Bestimmungen während der Laufzeit des Projekts nicht erneuert würden. Dieser Klagegrund unterscheidet sich von den bisher geprüften Klagegründen, da er keinen Gesetzgebungsakt, sondern einen bestimmten Verwaltungsakt betrifft.

132. Entgegen dem Vorbringen der Republik Polen halte ich diesen Klagegrund nicht für unzulässig, weil er sich auf ein hypothetisches, künftiges Verhalten beziehen soll. Der von der Tschechischen Republik beanstandete Rechtsverstoß erscheint mir sehr wohl aktuell und hinreichend konkret, da diese den polnischen Behörden der Sache nach vorwirft, sie beachteten nicht ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2000/60, alles Erforderliche zu tun, um die in dieser Richtlinie gesetzten Umweltziele innerhalb der gesetzten Fristen zu erreichen, sondern stützten sich auf Ausnahmen, deren Gewährung nicht sicher sei.

133. Zur Begründetheit dieses Klagegrundes der Tschechischen Republik ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/60 eine auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 192 Abs. 1 AEUV) erlassene Rahmenrichtlinie ist. Sie legt allgemeine Grundsätze und einen Handlungsrahmen für den Gewässerschutz fest und soll die grundlegenden Prinzipien und Strukturen für den Schutz und den nachhaltigen Gebrauch von Wasser in der Union koordinieren, integrieren und langfristig weiterentwickeln. Die allgemeinen Grundsätze und der Handlungsrahmen, die sie aufstellt, sind später von den Mitgliedstaaten durch den Erlass konkreter Maßnahmen innerhalb der in der Richtlinie vorgesehenen Fristen weiterzuentwickeln. Diese zielt jedoch nicht auf eine vollständige Harmonisierung der wasserrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten ab(30).

134. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 schützen, verbessern und sanieren die Mitgliedstaaten alle Oberflächen- und Grundwasserkörper, vorbehaltlich der Anwendung der Ziff. iii betreffend künstliche und erheblich veränderte Wasserkörper, mit dem Ziel, einen guten Zustand der Oberflächengewässer und des Grundwassers zu erreichen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der UVP-Richtlinie umfasst die Umweltverträglichkeitsprüfung auch die Prüfung der Auswirkungen eines Projekts auf das Wasser. Daher müssen die Schlussfolgerungen des UVP-Verfahrens – hier in Form der UVP-Entscheidung – auch die Verpflichtungen nach der Richtlinie 2000/60 erfassen, die im Verhältnis zur UVP-Richtlinie eine Spezialregelung für den Gewässerbereich darstellt(31).

135. Ich weise darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie 2000/60 nicht gegen diese verstoßen, wenn alle Bedingungen nach den Buchst. a bis d dieser Bestimmung erfüllt sind. Wie der Gerichtshof kürzlich im Urteil Land Nordrhein-Westfalen entschieden hat, kann ein Projekt, das negative Auswirkungen auf die Gewässer haben könnte, nur dann genehmigt werden, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. Unbeschadet der Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung obliegt es den für die Genehmigung eines Projekts zuständigen nationalen Behörden, vor der Genehmigung zu prüfen, ob dies der Fall ist(32). Daher erfordert die Prüfung eines Klagegrundes der Verletzung der Bestimmungen der Richtlinie 2000/60 durch einen Mitgliedstaat grundsätzlich die Prüfung, ob die vorgenannten Bedingungen berücksichtigt worden sind.

136. Der Klagegrund der Tschechischen Republik betrifft jedoch einen anderen, im Folgenden zu klärenden Aspekt. Geltend gemacht wird nämlich nicht ein Verstoß gegen die Verpflichtung, die Bedingungen nach Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie 2000/60 zu berücksichtigen. Die Tschechische Republik rügt vielmehr, die polnischen Behörden gingen von der Prämisse aus, dass die Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2000/60 zugunsten der Republik Polen aufrechterhalten würden.

137. Hierzu ist festzustellen, dass dieses Vorbringen verkennt, dass die Anwendung der Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2000/60 nicht mittels einer Entscheidung über die Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt, sondern im Rahmen der Aktualisierung der konkreten Bewirtschaftungspläne für das Einzugsgebiet gemäß den Art. 13 bis 15 dieser Richtlinie(33). Diese Bewirtschaftungspläne legen die Ziele für sämtliche Wasserkörper fest. Für die Wasserkörper, die noch nicht das Umweltziel „guter Zustand“ oder „potenziell guter Zustand“ erreicht haben, müssen die Bewirtschaftungspläne gemäß Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie die Frist dafür vorsehen. Lässt sich dieses Ziel für einen Wasserkörper nicht erreichen, kann ein weniger strenges Umweltziel verfolgt werden, sofern die Bedingungen nach Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie erfüllt sind(34).

138. Nach den Angaben der Kommission und der Republik Polen musste der nächste Bewirtschaftungsplan für die Einzugsgebiete gemäß Art. 13 Abs. 7 der Richtlinie 2000/60 vor dem 22. Dezember 2021 erlassen werden. Die Republik Polen führt aus, gegenwärtig werde an der Aktualisierung dieses Plans gearbeitet und alle erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der betreffenden Ausnahmen seien getroffen worden. Die polnischen Behörden hätten die Konsultationen der Öffentlichkeit zu den Planentwürfen gemäß den Anforderungen der Richtlinie 2000/60 durchgeführt.

139. Folglich ist festzustellen, dass die polnischen Behörden bei Erlass der UVP-Entscheidung nicht verpflichtet waren, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2000/60 nicht aufrechterhalten würden. Dagegen mussten sie prüfen, ob die Gefahr einer Verschlechterung der Wasserkörper aufgrund der Bergbautätigkeiten bestand, die mit Blick auf die in Art. 4 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehenen Bedingungen nicht hinnehmbar ist.

140. Zudem ist auf die Erläuterungen der Republik Polen hinzuweisen, wonach im polnischen Recht wirksame Mechanismen vorgesehen seien, die die Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2000/60 im Fall der Nichtgenehmigung der in Rede stehenden Ausnahmen gewährleisteten. Kraft dieser Mechanismen seien die polnischen Behörden befugt, die erteilten Genehmigungen abzuändern oder zu entziehen. Daher verfügen die polnischen Behörden entgegen dem Vorbringen der Tschechischen Republik offenbar über angemessene Mittel, um die Beachtung der unionsrechtlichen Verpflichtungen sicherzustellen.

141. Aus den vorstehend dargelegten Gründen schlage ich vor, diesen Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

F.      Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 1, 2 und 5 sowie Art. 8 der UVP-Richtlinie (Ausschluss der betroffenen Öffentlichkeit und der Tschechischen Republik vom Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

142. Mit ihrem fünften Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, mit dem Ausschluss der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und ihrer selbst am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 habe die Republik Polen gegen Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 1, 2 und 5 sowie Art. 8 der UVP-Richtlinie verstoßen.

143. Wie im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes – Verstoß gegen diese Bestimmungen durch Art. 33 des Bergbaugesetzbuchs – ist die Tschechische Republik der Ansicht, dass das zur Erteilung dieser Genehmigung führende Verfahren ein unter Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie fallendes „Entscheidungsverfahren“ sei, so dass die Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 1, 2 und 5 sowie Art. 8 dieser Richtlinie auch für dieses Verfahren gelten. Die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und ihrer selbst sei erforderlich gewesen, um zu überprüfen, ob die Auflagen der UVP-Entscheidung in diese Genehmigung aufgenommen worden seien. Keine dieser Verpflichtungen sei jedoch im Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 eingehalten worden, das ohne Beteiligung der Öffentlichkeit abgelaufen sei.

144. Die Republik Polen erachtet diesen Klagegrund unter Verweis auf ihr Vorbringen zum zweiten Klagegrund für unbegründet. Die in den einschlägigen Bestimmungen der UVP-Richtlinie bezeichneten Verpflichtungen seien bereits im Stadium des Verfahrens beachtet worden, das zum Erlass der UVP-Entscheidung geführt habe.

145. Zudem schrieben diese Bestimmungen nicht vor, dass kontrolliert werden könne, ob in der Investitionsentscheidung (Genehmigung) die Auflagen der UVP-Entscheidung berücksichtigt worden seien, denn die Beteiligung der Öffentlichkeit und des betreffenden Mitgliedstaats an den Verfahren zum Erlass von Entscheidungen, die eine Auswirkung auf die Umwelt hätten, bestehe nach Art. 6 Abs. 4 der UVP-Richtlinie darin, den Behörden gegenüber Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, bevor die Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen werde. Angesichts dieses Ziels sei eine solche Beteiligung im Stadium des Genehmigungsverfahrens überflüssig, zumal die mit diesem Verfahren befasste Behörde an die UVP-Entscheidung gebunden sei.

146. Durch den Erlass der Entscheidung 2044 und die Änderung der polnischen Rechtsvorschriften, die einen Rechtsbehelf gegen die Genehmigungsentscheidungen vorsähen, denen UVP-Entscheidungen vorausgegangen seien, an deren Verfahren sich die Öffentlichkeit habe beteiligen können, sei der fünfte Klagegrund gegenstandslos geworden.

2.      Würdigung

147. Mit dem fünften Klagegrund wird gerügt, dass die Republik Polen die Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 1, 2 und 5 sowie Art. 8 der UVP-Richtlinie nicht beachtet habe, weil sie die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und der Tschechischen Republik am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 unmöglich gemacht habe.

148. Zunächst ist meines Erachtens das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, dieser Klagegrund sei durch den Erlass einer neuen Entscheidung durch die polnischen Behörden, die eine Verlängerung der Genehmigung bis 2044 bewirke, gegenstandslos geworden. Hierzu genügt der Hinweis, dass diese Entscheidung erst am 28. April 2021 erlassen worden ist, d. h. nach dem Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 259 AEUV(35).

149. Soweit Parallelen zu den Rechtsfragen bestehen, die die Tschechische Republik mit ihrem zweiten Klagegrund aufwirft, erlaube ich mir, auf meine Ausführungen in den Nrn. 96 ff. der vorliegenden Schlussanträge zu verweisen, in denen ich dargelegt habe, dass die Verpflichtungen nach den vorgenannten Bestimmungen in der Phase der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt, zu deren Abschluss die UVP-Entscheidung ergangen ist, eingehalten wurden und dass die UVP-Richtlinie einer rechtlichen Gestaltung wie der in der polnischen Rechtsordnung vorgesehenen nicht entgegensteht, in deren Rahmen diese Verpflichtungen in einer früheren Phase des Genehmigungsverfahrens für ein Projekt erfüllt werden, d. h. in der Phase der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt, und die abschließende Phase, d. h. die des Erlasses der Entscheidung über ein Projekt, ohne Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und des betroffenen Mitgliedstaats abläuft.

150. Zum Vorbringen der Tschechischen Republik, eine zusätzliche Beteiligung in der Phase der Genehmigung sei erforderlich, um später zu „kontrollieren“, ob bei der Genehmigung des Projekts die Auflagen der UVP-Entscheidung berücksichtigt worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 11 der UVP-Richtlinie Zugang zu einem Überprüfungsverfahren nur gewährt, „um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten“(36). Dagegen gewährt dieser Art. 11 nicht das Recht, eine gerichtliche Überprüfung der Berücksichtigung der der UVP-Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen zu verlangen.

151. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen hervorzuheben, dass keine der von der Tschechischen Republik für ihren Klagegrund angeführten Bestimmungen ein solches Recht gewährt. Vielmehr ist Gegenstand dieser Bestimmungen, wie sich aus Art. 6 Abs. 4 der UVP-Richtlinie ergibt, „das Recht, … den zuständigen Behörden gegenüber Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern“ (Hervorhebung nur hier), bevor die Entscheidung über den Genehmigungsantrag getroffen wird. Des Weiteren sind nach Art. 8 dieser Richtlinie „[d]ie Ergebnisse der Konsultationen und die gemäß den Artikeln 5 bis 7 eingeholten Angaben … beim Genehmigungsverfahren gebührend zu berücksichtigen“ (Hervorhebung nur hier). Diese Verpflichtung der nationalen Behörden schafft indes für die betroffene Öffentlichkeit nicht das Recht, eine Entscheidung zu „kontrollieren“, wie die Tschechische Republik meint. Der zweite Klagegrund ist somit meines Erachtens auf eine unrichtige Auslegung der Bestimmungen der UVP-Richtlinie gestützt.

152. Diese Feststellungen zur Anwendbarkeit der UVP-Richtlinie gelten unbeschadet der gemäß dem Vorbringen der Republik Polen nach polnischem Recht bestehenden Möglichkeit für die betroffene Öffentlichkeit, gegen die Genehmigungsentscheidungen Rechtsbehelfe im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens einzulegen und Klagen vor den Verwaltungsgerichten zu erheben, insbesondere um deren Vereinbarkeit mit den in den vorangegangenen Entscheidungen über die Umweltauflagen festgelegten Bedingungen kontrollieren zu lassen(37).

153. Im Licht der vorstehenden Ausführungen bin ich der Auffassung, dass der fünfte Klagegrund – Nichtbeachtung der Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 bis 7, Art. 7 Abs. 1, 2 und 5 sowie Art. 8 der UVP-Richtlinie dadurch, dass die Republik Polen die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und der Tschechischen Republik am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 unmöglich gemacht habe – unbegründet ist.

G.      Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie (keine Veröffentlichung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 und keine Übermittlung dieser Genehmigung in verständlicher Form an die Tschechische Republik)

1.      Vorbringen der Parteien

154. Nach Ansicht der Tschechischen Republik hat die Republik Polen im Rahmen der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 ihre Informationspflichten gemäß Art. 9 der UVP-Richtlinie verletzt, der u. a. der betroffenen Öffentlichkeit die Prüfung ermöglichen solle, ob die Auflagen in der UVP-Entscheidung ordnungsgemäß in diese Genehmigung aufgenommen worden seien.

155. Was Art. 9 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie angehe, seien der Inhalt der Entscheidung und etwaige mit der Entscheidung verbundene Auflagen nicht veröffentlicht worden. Angesichts dessen, dass mit dieser Genehmigung die bereits mehrfach geänderte Genehmigung Nr. 65/94 geändert worden sei, hätte zur Erfüllung der Verpflichtung aus dieser Bestimmung eine konsolidierte Fassung der Genehmigung veröffentlicht werden müssen, die alle in Art. 8a dieser Richtlinie vorgesehenen Informationen hätte enthalten müssen. Die der Öffentlichkeit übermittelte Genehmigung habe jedoch in ihrem Tenor nur Informationen über die Verlängerung der ursprünglichen Genehmigung enthalten. Auf der Grundlage der anschließenden Übermittlung sämtlicher Entscheidungen, mit denen diese Genehmigung geändert worden sei, an die Tschechische Republik sei nicht klar erkennbar gewesen, welche Fassung der Genehmigung gegenwärtig gelte. In der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 sei die tatsächliche Abbaufläche nicht angegeben, und sie selbst enthalte keine klaren und bindenden Verweise auf die in der UVP-Entscheidung enthaltenen Auflagen.

156. Was Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie betreffe, gehöre die UVP-Entscheidung denknotwendig zu den „Hauptgründe[n] und ‑erwägungen, auf denen die Entscheidung beruht“, doch enthalte die Genehmigung keinerlei Beurteilung der Vereinbarkeit der genehmigten Abbautätigkeiten mit der UVP-Entscheidung.

157. In Bezug auf Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie sei es in Anbetracht des Ziels dieser Richtlinie erforderlich, dem betroffenen Mitgliedstaat die vorgeschriebenen Informationen so rasch wie möglich zukommen zu lassen. Die Republik Polen habe jedoch die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 der Tschechischen Republik erst fünf Monate nach deren Erlass übermittelt, und das übermittelte Dokument habe nicht den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie entsprochen.

158. Die Republik Polen entgegnet, die öffentlichen Bekanntmachungen auf der Website des Anzeigers für öffentliche Informationen der Dienststellen der betreffenden Gemeinde und desjenigen der Genehmigungsbehörde hätten sich auf sämtliche Phasen des Verfahrens zur Verlängerung der Genehmigung Nr. 65/94 bezogen, was es der Öffentlichkeit und der Tschechischen Republik erlaubt habe, davon Kenntnis zu nehmen.

159. Die vermeintlich gebotene Übermittlung einer konsolidierten Fassung dieser Genehmigung sei aufgrund des in Polen eingerichteten Mechanismus der Aktualisierung der Genehmigungen ausgeschlossen, da eine solche konsolidierte Fassung eine neue Verwaltungsentscheidung darstellen würde, deren Tragweite über den vorgelegten Änderungsantrag hinausginge, was dem polnischen Verwaltungsrecht zuwiderliefe. Art. 9 der UVP-Richtlinie schreibe keine bestimmte Form für die Genehmigungsentscheidungen vor.

160. Der Pflicht, der Öffentlichkeit die in Art. 8a und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Informationen zur Verfügung zu stellen, sei durch die Veröffentlichung der UVP-Entscheidung und des Beschlusses zu deren sofortiger Vollziehbarkeit u. a. auf der amtlichen Website des Ministeriums für Umwelt der Tschechischen Republik und in Deutschland genügt worden.

161. Was Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie angehe, seien der Tschechischen Republik die vorgeschriebenen Informationen so rechtzeitig übermittelt worden, dass die betroffene Öffentlichkeit von ihrem Recht auf Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren nach Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie habe Gebrauch machen können.

162. Der sechste Klagegrund sei schließlich gegenstandslos, weil die Entscheidung 2044 im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie veröffentlicht worden sei.

2.      Würdigung

163. Im Rahmen des sechsten Klagegrundes beanstandet die Tschechische Republik erstens, dass die Republik Polen unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der UVP-Richtlinie weder den Inhalt der Entscheidung zur Genehmigung der Bergbautätigkeiten bis 2026 und der mit dieser Entscheidung verbundenen Auflagen noch die Gründe und Erwägungen, auf die diese Genehmigung gestützt sei, veröffentlicht habe, und zweitens, dass sie unter Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 dieser Richtlinie der Tschechischen Republik den Text dieser Entscheidung verspätet übermittelt habe und dass das übermittelte Dokument nicht den Anforderungen von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b der UVP-Richtlinie genüge. Dieser Klagegrund betrifft konkrete Verwaltungsmaßnahmen, nämlich solche der Veröffentlichung und Übermittlung, die die UVP-Richtlinie den nationalen Behörden vorschreibt.

164. Zunächst ist das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, dieser Klagegrund sei gegenstandslos, weil die polnischen Behörden eine neue Entscheidung erlassen hätten, mit der die Genehmigung bis 2044 verlängert worden sei. Wie ich bereits bei der Prüfung des fünften Klagegrundes dargelegt habe, wurde diese Entscheidung erst nach dem Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung erlassen(38).

165. Nach Art. 9 Abs. 1 der UVP-Richtlinie gibt/geben, wenn eine Entscheidung über die Erteilung oder die Ablehnung einer Genehmigung getroffen wurde, die zuständige(n) Behörde(n) dies unverzüglich der Öffentlichkeit und den Behörden, die in ihrem Aufgabenbereich voraussichtlich von dem Projekt berührt sein könnten, nach den entsprechenden nationalen Verfahren bekannt und stellt/stellen sicher, dass die nötigen Informationen der Öffentlichkeit und den vorgenannten Behörden zugänglich sind, nämlich der Inhalt der Entscheidung und etwaige mit der Entscheidung verbundene Auflagen sowie die Hauptgründe und ‑erwägungen, auf denen die Entscheidung beruht, einschließlich Angaben über das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit. Dies umfasst auch die Zusammenfassung der Ergebnisse der Anhörungen und der gemäß den Art. 5 bis 7 dieser Richtlinie erhaltenen Informationen sowie der Art und Weise, wie diese einbezogen wurden oder wie ihnen anderweitig Rechnung getragen wurde, insbesondere was die Stellungnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten angeht. Nach Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie unterrichtet/unterrichten die zuständige(n) Behörde(n) die gemäß Art. 7 dieser Richtlinie konsultierten Mitgliedstaaten und übermittelt/übermitteln ihnen die vorgenannten Angaben.

166. Die Republik Polen macht geltend, die nach dieser Bestimmung zu erteilenden Informationen seien u. a. auf den amtlichen Websites veröffentlicht worden. Meines Erachtens beanstandet die Tschechische Republik jedoch, dass die veröffentlichten Informationen unverständlich und unvollständig gewesen seien. In Anbetracht dessen, dass diese Genehmigung die letzte von mehreren Änderungen der Genehmigung Nr. 65/94 war, hätte sie ihrer Ansicht nach eine konsolidierte Fassung dieser Genehmigung erhalten müssen, um erkennen zu können, welche ihrer Bestimmungen in Kraft waren. Zudem waren offenbar die früheren Entscheidungen zur Änderung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung gestellt worden.

167. Hierzu stelle ich fest, dass die Republik Polen den Inhalt der veröffentlichten und der Tschechischen Republik zur Verfügung gestellten Information nicht bestreitet. Sie beschränkt sich vielmehr auf das Vorbringen, dass die Bereitstellung einer konsolidierten Fassung nicht erforderlich sei, um den Anforderungen von Art. 9 Abs. 1 der UVP-Richtlinie zu genügen. Es falle nicht in die Zuständigkeit der Union, wie die Behörden der Mitgliedstaaten ihre Verwaltungsentscheidungen gestalteten. Gemäß ihrer nationalen Verwaltungspraxis entspreche der Mechanismus der Aktualisierung erlassener Genehmigungen dem der Änderung eines Rechtsakts, wonach der Rechtsakt in seiner ursprünglichen Fassung, aber unter Berücksichtigung der späteren Änderungen verbindlich sei.

168. Die Republik Polen erläutert, im polnischen Recht gelte der Grundsatz, dass im Fall einer Verwaltungsentscheidung, mit der eine zuvor ergangene Entscheidung geändert werde, die für den Erlass einer Änderungsentscheidung zuständige Behörde nicht nur nicht verpflichtet, sondern sogar nicht befugt sei, die gesamte geänderte Entscheidung in der von ihr erlassenen Entscheidung zu wiederholen. In der Änderungsentscheidung müssten die Teile der geänderten Entscheidung, die Gegenstand einer Änderung seien, genau bezeichnet sein. Wenn die übrige Entscheidung weiter in Kraft sei, könne die für den Erlass der Änderungsentscheidung zuständige Behörde nicht geänderte Teile in dieser nicht wiederholen. Eine andere Praxis liefe darauf hinaus, dass ungeachtet der begrenzten Tragweite des Antrags auf Änderung einer früheren Entscheidung tatsächlich eine neue Verwaltungsentscheidung erlassen würde.

169. Ein Blick auf die strittige Entscheidung, mit der die Dauer der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 verlängert wurde, bestätigt die in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge beschriebene Verwaltungspraxis der Republik Polen. In der Tat wurde offenbar nur der Punkt, in dem die Dauer dieser Genehmigung festgelegt ist, geändert, um der Verlängerung der Genehmigung Rechnung zu tragen. Gleichwohl erscheint mir das Vorbringen der Republik Polen im vorliegenden Zusammenhang neben der Sache zu liegen, geht es doch keineswegs darum, eine bestimmte nationale Verwaltungspraxis in Frage zu stellen. Im Mittelpunkt der Prüfung des sechsten Klagegrundes steht vielmehr die Frage des genauen Inhalts der Informationen, die der Öffentlichkeit und dem Mitgliedstaat, der an den Konsultationen nach Art. 7 der UVP-Richtlinie teilgenommen hat, zugänglich zu machen sind.

170. Die polnischen Behörden kennen zwar die Besonderheiten ihres Verwaltungsrechts, doch gilt das nicht für die Öffentlichkeit im Allgemeinen und für die Behörden der anderen Mitgliedstaaten. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits erwähnt, können sich die nationalen Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gestaltung der Verwaltungsverfahren bei Entscheidungen, mit denen die Durchführung von Projekten genehmigt wird, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, beträchtlich voneinander unterscheiden(39). Folglich halte ich es nicht für unangemessen, sondern auch für unvereinbar mit dem Art. 9 der UVP-Richtlinie zugrunde liegenden Geist der Solidarität, der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung, lückenhafte Informationen vorzulegen und so von der Öffentlichkeit im Allgemeinen und den Behörden der benachbarten Mitgliedstaaten, die von den Auswirkungen eines bestimmten Projekts auf die Umwelt betroffen sind, zu verlangen, selbst eine Recherche zu einem fremden nationalen Recht durchzuführen, um die Informationen zu erlangen, die sie für die Ausübung der ihnen vom Unionsrecht gewährten Rechte benötigen.

171. Meines Erachtens besteht kein Zweifel, dass angesichts des Zwecks der Veröffentlichungspflichten, wirksame Rechtsbehelfe gegen die betreffenden Entscheidungen zu ermöglichen, die Informationen, die der Öffentlichkeit und den Behörden der benachbarten Mitgliedstaaten, die von den Auswirkungen eines bestimmten Projekts auf die Umwelt betroffen sind, zugänglich gemacht werden, vollständig und verständlich sei müssen. Mit anderen Worten müssen die Informationen in hinreichend genauer und den besonderen Bedürfnissen der Adressaten angepasster Form vorgelegt werden, damit die Wirkung der Öffentlichmachung sichergestellt ist. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass der der Öffentlichkeit und den genannten nationalen Behörden gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der UVP-Richtlinie bekanntzugebende „Inhalt der Entscheidung“, mit der die Abbautätigkeiten im Tagebau Turów genehmigt werden, nicht nur aus der Verlängerungsentscheidung bestehen darf, sondern sämtliche Dokumente umfassen muss, die das Wesen der Genehmigung ausmachen. Nur eine solche Maßnahme ist geeignet, die Öffentlichkeit und die Behörden der benachbarten Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die Tragweite dieser Verwaltungsentscheidung zu erfassen und gegebenenfalls angemessen und rechtzeitig darauf zu reagieren.

172. Dem ist hinzuzufügen, dass, wie es ausdrücklich in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie heißt, die in Rede stehende Information „die Hauptgründe und ‑erwägungen, auf denen die Entscheidung beruht“, umfassen muss, was es meines Erachtens nicht zulässt, dass ein Mitgliedstaat wie die Republik Polen der Öffentlichkeit und den benachbarten Mitgliedstaaten die einschlägige Dokumentation zu der Genehmigung, aus der die Gründe für deren Erteilung und Verlängerung hervorgehen, mit der Begründung nicht zugänglich macht, dass in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung eine solche Verwaltungspraxis nicht vorgesehen sei. In Anbetracht dessen, dass Art. 9 der UVP-Richtlinie offenkundig hohe Standards für Transparenz und für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Union in einem besonders sensiblen Bereich wie dem des Umweltschutzes, der, wie im Übrigen die Umstände der vorliegenden Rechtssache zeigen(40), über die nationalen Grenzen hinausreicht, vorsieht, bin ich der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat sich nicht mit Erfolg auf seine innerstaatlichen Regeln und Verwaltungsgebräuche berufen kann, um sich seinen Pflichten zur Veröffentlichung und Übermittlung an die interessierte Öffentlichkeit zu entziehen.

173. Aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass die Republik Polen gegen Art. 9 Abs. 1 der UVP-Richtlinie verstoßen hat.

174. Was den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie angeht, weil die Republik Polen diese Genehmigung erst fünf Monate nach ihrem Erlass und zudem unvollständig an die Tschechische Republik übermittelt habe, nehme ich Bezug auf meine vorstehenden Ausführungen zu der Bedeutung, die es für einen benachbarten, von den Auswirkungen eines bestimmten Projekts auf die Umwelt betroffenen Mitgliedstaat hat, über alle notwendigen Informationen zur Genehmigung eines Projekts zu verfügen, um gegebenenfalls angemessen und rechtzeitig zu reagieren.

175. Das schließt u. a. die Möglichkeit ein, das Recht auf Einlegung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelfs nach Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie auszuüben, was angesichts der verstrichenen Zeit und der Tatsache, dass die im nationalen Verfahrensrecht vorgesehenen Fristen einzuhalten sind, besonders schwierig oder gar unmöglich werden kann(41). Würde einer Partei unter Berufung auf ein durch das Verhalten der nationalen Behörden verursachtes Versäumnis der Klagefrist jede Möglichkeit genommen, ihre Rechte vor den nationalen Gerichten geltend zu machen, wäre meines Erachtens auf einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie zu schließen.

176. Eben dies scheint in der Situation der Fall zu sein, die zu diesem Rechtsstreit geführt hat. Ein Zeitraum von fünf Monaten für eine einfache Übermittlung der in Rede stehenden Genehmigung stellt nämlich eine beträchtliche Verspätung dar, berücksichtigt man die große Bedeutung der betroffenen Interessen auf der einen Seite und den Umstand, dass es sich bei dieser Aufgabe um eine bloße Verwaltungstätigkeit handelt, die nur eine einfache Versendung von Dokumenten erfordert, auf der anderen. Eine solche Situation ist umso schwerwiegender, als die von der Tschechischen Republik erbetene Information erst auf deren nachdrückliche Forderung hin und nur teilweise übermittelt worden ist. Wie die Tschechische Republik ausführt, verfügt sie immer noch nicht über ein konsolidiertes Dokument, dem sie klar den genauen Umfang und die genaue Gestalt des Projekts entnehmen könnte. Ich stelle fest, dass die Republik Polen keinerlei überzeugende Rechtfertigung für eine solche Verspätung bei der Übermittlung der angeforderten Informationen angeführt hat.

177. Daher liegt meiner Ansicht nach auch ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie vor.

178. Nach alledem schlage ich vor, den sechsten Klagegrund als begründet anzusehen.

H.      Zum siebten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie (Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

179. Die Tschechische Republik trägt vor, nach Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie müsse die betroffene Öffentlichkeit Zugang zu einem Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung haben, mit der die Durchführung des Projekts genehmigt worden sei, unabhängig davon, ob und wie sie an dem Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung beteiligt gewesen sei. Nach polnischem Recht könne die betroffene Öffentlichkeit jedoch die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 nicht überprüfen lassen, weil sie am Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung nicht beteiligt gewesen sei.

180. Zudem sei zum einen auch durch das Unterlassen der Veröffentlichung dieser Genehmigung deren Kontrolle durch die betroffene Öffentlichkeit eingeschränkt worden. Zum anderen seien die von tschechischen Nichtregierungsorganisationen bei einem polnischen Gericht erhobenen Klagen zur Überprüfung dieser Genehmigung bis zum Erlass einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Nichtzulassung der Beteiligung dieser Organisationen am Genehmigungsverfahren selbst ausgesetzt worden, so dass nicht sicher sei, ob ein Sachurteil über die Klage ergehen werde. Außerdem werde Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie durch das Verbot der Aufhebung der Genehmigung nach Ablauf eines Jahres die praktische Wirksamkeit genommen.

181. Zur Entgegnung verweist die Republik Polen auf ihr Vorbringen zum zweiten Klagegrund und macht geltend, Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie stehe einer Gestaltung des nationalen Verfahrens in der Weise, dass die Möglichkeit zur Erhebung einer Klage nur in der Phase der Entscheidung über Umweltauflagen gewährleistet sei, nicht entgegen.

182. Das Vorbringen der Tschechischen Republik sei zudem widersprüchlich: Diese behaupte einerseits, die betroffene Öffentlichkeit habe die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 nicht anfechten können, andererseits räume sie ein, dass Nichtregierungsorganisationen tatsächlich von ihren Rechten aus dieser Bestimmung Gebrauch gemacht hätten.

183. Die Aussetzung der Klagen sei Ausdruck der Freiheit des betreffenden polnischen Gerichts in der Gestaltung des Verfahrens und beschneide nicht die Rechte der Kläger.

184. Des Weiteren betreffe das Fehlen der Möglichkeit der Aufhebung der Genehmigung nach Ablauf eines Jahres gemäß Art. 42 des Bergbaugesetzbuchs nur die Aufhebung der Genehmigung nach einer Wiedereröffnung des Genehmigungsverfahrens, die eines der außerordentlichen Mittel zur Aufhebung endgültiger Entscheidungen sei. Sie betreffe somit nicht die Aufhebung einer Genehmigung infolge einer ordentlichen Verwaltungskontrolle aufgrund einer fristgerecht erhobenen Klage.

185. Die Republik Polen macht ferner geltend, der siebte Klagegrund sei gegenstandslos geworden infolge des Erlasses der Entscheidung 2044 und der Änderungen des polnischen Rechts, die es der betroffenen Öffentlichkeit erlaubten, gegen die Investitionsentscheidungen Beschwerden einzulegen und Klagen zu erheben.

2.      Würdigung

186. Mit ihrem siebten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, die Republik Polen habe dadurch gegen Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie verstoßen, dass sie nicht die Einleitung eines Klageverfahrens gegen die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 zugelassen habe. Dieser Klagegrund betrifft die Praxis der Behörden und den im beklagten Mitgliedstaat geltenden rechtlichen Rahmen.

187. Zunächst ist das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, dieser Klagegrund sei gegenstandslos geworden, weil die polnischen Behörden eine neue Entscheidung erlassen hätten, mit der die Genehmigung bis 2044 verlängert worden sei. Wie bereits dargelegt, wurde diese Entscheidung erst nach dem Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung erlassen. Gleiches gilt für die nach diesem Stichtag erfolgten Gesetzesänderungen, die es der Republik Polen zufolge der betroffenen Öffentlichkeit ermöglichen sollen, gegen die Investitionsentscheidungen Beschwerden einzulegen und Klagen zu erheben(42).

188. Sodann ist zum Ziel von Art. 11 der UVP-Richtlinie darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof diese Bestimmung dahin ausgelegt hat, dass sich ihr Anwendungsbereich auf die Aspekte eines Rechtsstreits beschränkt, unter denen das Recht der betroffenen Öffentlichkeit auf Beteiligung am Entscheidungsprozess gemäß den entsprechenden konkreten Bestimmungen der Richtlinie geltend gemacht wird. Die Rechtsbehelfe dagegen, die sich auf andere Bestimmungen dieser Richtlinie und erst recht auf andere Rechtsvorschriften, seien es solche der Union oder solche der Mitgliedstaaten, stützen, fallen nicht unter diesen Artikel(43). Somit ist davon auszugehen, dass das Vorbringen der Tschechischen Republik nur die Rechtmäßigkeitskontrolle hinsichtlich der Beachtung des Beteiligungsrechts der Öffentlichkeit betrifft.

189. Zur Ausgestaltung des Rechtsbehelfssystems in den Mitgliedstaaten ist bereits bei der Prüfung des zweiten Klagegrundes eingehend dargelegt worden, dass weder Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie noch irgendeine andere unionsrechtliche Bestimmung, die ein gleichwertiges Recht einräumt, der Schaffung eines Verfahrens und dem Erlass nationaler Bestimmungen entgegensteht, wonach die Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsbehelfs nur im Stadium der Entscheidung über Umweltauflagen gewährleistet wird, sofern ausgeschlossen ist, dass die Genehmigungsentscheidung die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung außer Betracht lässt.

190. Ist das in den Art. 6 bis 9 der UVP-Richtlinie vorgesehene Beteiligungsrecht der Öffentlichkeit im Verfahren zum Erlass der UVP-Entscheidung gewährleistet worden, genügt es demnach, eine Rechtsbehelfsmöglichkeit in diesem Stadium vorzusehen. Mit anderen Worten braucht ein Mitgliedstaat nicht zu gewährleisten, dass etwaige Mängel hinsichtlich der Beteiligung der Öffentlichkeit ein weiteres Mal im Stadium der Genehmigung beanstandet werden können(44). Diese Erwägungen genügen meines Erachtens, um den siebten Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

191. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf einen gewissen Widerspruch im Vorbringen der Tschechischen Republik hinweisen. Diese behauptet einerseits, die betroffene Öffentlichkeit habe nicht die Möglichkeit gehabt, die in Rede stehende Genehmigung anzufechten, und räumt andererseits selbst ein, dass drei Nichtregierungsorganisationen (Greenpeace ČR, Frank Bold und Eko-Unia) tatsächlich von den Rechten Gebrauch gemacht haben, die ihnen als betroffene Öffentlichkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie zustehen. Wenn die Tschechische Republik angibt, dass die Verfahren bis zur endgültigen Entscheidung über die Nichtzulassung der Beteiligung dieser Organisation am Verfahren zur Erteilung der Bergbaubetriebsgenehmigung bis 2026 ausgesetzt worden seien, kann sie selbst demnach nicht ausschließen, dass eine gerichtliche Überprüfung durchgeführt werden kann. Auf eine Frage des Gerichtshofs in der Sitzung hat die Tschechische Republik auch eingeräumt, dass die Klagen der tschechischen Umweltverbände noch nicht endgültig abgewiesen worden sind.

192. Für besonders sachdienlich halte ich in diesem Zusammenhang die Erläuterungen der Republik Polen in ihrer Klagebeantwortung zu den Entscheidungen, die das Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau) erlassen kann, wenn es den Klagen der genannten Organisationen stattgibt oder sie abweist. Entgegen dem Vorbringen der Tschechischen Republik in der Klageschrift hindert Art. 42 des Bergbaugesetzbuchs offenbar dieses Verwaltungsgericht nicht an einer Aufhebung der in Rede stehenden Genehmigung. Den Angaben der Republik Polen zufolge sieht diese Bestimmung offenbar keinerlei Einschränkung hinsichtlich der Aufhebung, Änderung oder Bestätigung der Ungültigkeit einer Entscheidung vor, die in anderen als dem Überprüfungsverfahren nach polnischem Recht ergeht.

193. Mangels überzeugender Beweise für die These, dass die polnische Rechtsordnung keinen wirksamen Rechtsbehelf vorsehe, um das Recht auf Beteiligung der Öffentlichkeit an den Entscheidungsverfahren, insbesondere unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache, zu gewährleisten, fällt es mir schwer, dem Vorbringen der Tschechischen Republik zu folgen. Meines Erachtens ist die Tatsache, dass die oben erwähnten Umweltschutzorganisationen mit ihren Rechtsbehelfen nicht obsiegt haben, als solche kein hinreichender Beweis für fehlende Wirksamkeit, zumal der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft ist.

194. Nach alledem ist der siebte Klagegrund meiner Ansicht nach als unbegründet zurückzuweisen.

I.      Zum achten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/4 (keine Veröffentlichung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

195. Die Tschechische Republik führt aus, nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/4 müsse ein Mitgliedstaat der Öffentlichkeit Genehmigungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, zugänglich machen. Die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 sei eine solche Genehmigung, da sie gemäß Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen sei, so dass die Republik Polen dadurch gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/4 verstoßen habe, dass sie weder die Genehmigung selbst noch die Stelle veröffentlicht habe, bei der Zugang zu ihr beantragt werden könne.

196. Die Republik Polen entgegnet, der Minister für Klima habe mit seiner Bekanntmachung vom 20. März 2020, die im Anzeiger für öffentliche Informationen auf seiner Website veröffentlicht, in der Liste der Bekanntmachungen des Ministeriums für Klima aufgeführt und in der üblichen Form in den Dienststellen der Stadt Bogatynia (Polen) und ihrer Verwaltung veröffentlicht worden sei, die Öffentlichkeit über die Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 und die Möglichkeiten informiert, von deren Inhalt und der dazu vorliegenden Dokumentation Kenntnis zu erlangen.

197. Folglich liege kein Verstoß gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/4 vor. Zudem sei dieser Klagegrund gegenstandslos, da die Entscheidung 2044 den neuen Regeln unterliege, u. a. hinsichtlich der Veröffentlichung, denn ihr Inhalt sei auf dem Internetportal des Ministers für Klima veröffentlicht worden.

2.      Würdigung

198. Mit ihrem achten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, die Nichtveröffentlichung dieser Genehmigung oder der Stelle, bei der Zugang zu ihr beantragt werden könne, laufe Art. 7 der Richtlinie 2003/4 zuwider, während die Republik Polen darauf beharrt, dass die Erteilung der Genehmigung und die Möglichkeiten, von ihr Kenntnis zu nehmen, auf der Website des Ministeriums für Klima bekanntgegeben worden seien.

199. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Republik Polen, wie bei der Prüfung des sechsten Klagegrundes dargelegt, dadurch gegen Art. 9 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie verstoßen hat, dass sie die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 nicht veröffentlicht und sie der Tschechischen Republik nicht in einer verständlichen Form übermittelt hat(45). Dieser Verstoß besteht darin, dass es die polnischen Behörden unterlassen haben, sämtliche Dokumente einzubeziehen, die das Wesen der Genehmigung ausmachen, und sich stattdessen mit der Veröffentlichung eines Dokuments begnügt haben, in dem die Verlängerung der Dauer der vorherigen Genehmigung bekannt gegeben wurde, ohne die Einzelheiten der dem Betreiber des Tagebaus Turów erteilten Bewilligung aufzuführen.

200. In diesem Zusammenhang stellt sich konkret die Frage, ob dieser Verstoß gegen Unionsrecht ebenfalls einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/4 darstellen kann. Nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. c dieser Richtlinie fallen in den Geltungsbereich dieser Richtlinie Tätigkeiten, die sich auf Umweltbestandteile wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Land, Landschaft und natürliche Lebensräume einschließlich Feuchtgebiete, Küsten- und Meeresgebiete, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken. Im Rahmen dieser Tätigkeiten müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/4 Genehmigungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, der Öffentlichkeit zugänglich machen, und zwar unmittelbar durch deren Veröffentlichung oder durch einen Hinweis darauf, wo Zugang zu ihnen beantragt werden kann.

201. In Anbetracht dessen, dass die Abbautätigkeiten im Tagebau Turów zu einer Kategorie von Tätigkeiten gehören, die wegen ihrer erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie zu unterziehen sind(46), besteht kein Zweifel, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die sich wahrscheinlich auf Umweltbestandteile auswirkt und somit in den Geltungsbereich der Richtlinie 2003/4 fällt.

202. Die Bergbaubetriebsgenehmigung bis 2026 ist die endgültige Genehmigung zur Durchführung dieser Tätigkeit, und als solche gehört sie zu den „Genehmigungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“, im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/4. Für sie gelten demnach die vorgenannten Bestimmungen, nach denen der Mitgliedstaat eine derartige Genehmigung der Öffentlichkeit zugänglich machen muss. Mangels gegenteiliger Hinweise findet keine der Ausnahmen nach Art. 4 dieser Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen ablehnen können, im vorliegenden Fall Anwendung.

203. Im Interesse einer kohärenten Auslegung des Unionsrechts bin ich der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie und Art. 7 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen sind, dass mit ihnen dasselbe Ziel verfolgt wird, d. h., das Recht der Öffentlichkeit zu gewährleisten, möglichst klar und vollständig informiert zu werden, u. a. im Fall der Verlängerung einer Bergbaubetriebsgenehmigung.

204. Zu beachten ist nämlich, dass zum einen Art. 7 der Richtlinie 2003/4 dem Schutz des öffentlichen Interesses dient und jedem Bürger unabhängig von irgendeinem individuellen Interesse Zugang zu den bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen gewährt(47) und dass zum anderen das Recht auf Information gemäß dem 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie bedeutet, dass die Bekanntgabe von Informationen die allgemeine Regel sein soll(48). Es liegt auf der Hand, dass diese Ziele ernsthaft gefährdet wären, wenn die in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/4 genannten Informationen der Öffentlichkeit nur in unverständlicher und unvollständiger Form zugänglich gemacht würden. Folglich sprechen diese Gesichtspunkte ebenfalls für eine Verbreitung von Umweltinformationen, die den mit der UVP-Richtlinie gesetzten hohen Standards für Transparenz und Zusammenarbeit in einem Bereich wie dem des Umweltschutzes, der über die nationalen Grenzen hinausreicht, gebührend Rechnung trägt(49).

205. Wie die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme neige ich daher zu dem Schluss, dass der Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 und 2 der UVP-Richtlinie den Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/4 mit sich bringt.

206. Nach alledem schlage ich vor, dem achten Klagegrund zu folgen.

J.      Zum neunten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 EUV (keine Übermittlung vollständiger Informationen zum Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

207. Die Tschechische Republik weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV vorgesehenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet seien, sich bei der Verfolgung der vom Unionsrecht, einschließlich des abgeleiteten Rechts, gesetzten Ziele gegenseitig zu unterstützen. Da die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 unter die UVP-Richtlinie und die Richtlinie 2003/4 falle und in Anbetracht der Lage des Tagebaus Turów, ergäben sich aus diesen Richtlinien bestimmte Verpflichtungen auch für die Tschechische Republik, bei deren Erfüllung die Republik Polen sie unterstützen müsse.

208. Diese habe es viele Monate lang und trotz wiederholter Anfragen versäumt, ihr detailliertere Informationen zum Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung, darunter deren Wortlaut, zu übermitteln, was ihr die Erfüllung ihrer Informationspflichten nach diesen Richtlinien gegenüber ihrer eigenen betroffenen Öffentlichkeit unmöglich gemacht habe. Zudem sei sie auch durch das im Rahmen des sechsten Klagegrundes gerügte Verhalten, insbesondere die verspätete Übermittlung dieser Genehmigung und das Fehlen einer konsolidierten Fassung der Genehmigung Nr. 65/94, an der Einhaltung dieser Verpflichtungen gehindert worden.

209. Die Republik Polen trägt vor, sie habe mit Schreiben vom 13. Januar 2020, 5. März 2020 und 28. Mai 2020 auf die Informationsanfragen der Tschechischen Republik zu der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 geantwortet. Am 28. August 2020 habe sie dieser die am 17. April 2020 und erneut am 24. Juli 2020 erbetenen Dokumente, und zwar die Genehmigung bis 2026 sowie die Genehmigung Nr. 65/94, übermittelt. Angesichts der seit März 2020 herrschenden Covid-19-Epidemie, die den Schriftverkehr zwischen den Parteien erschwert habe, habe sie der Tschechischen Republik die erbetenen Informationen zügig zur Verfügung gestellt.

210. Zudem sei die Tschechische Republik seit 2009 an den Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung betreffend den Tagebau Turów und das von diesem abhängende Kraftwerk beteiligt.

211. Schließlich sei der neunte Klagegrund gegenstandslos, weil die Tschechische Republik vom Erlass der Entscheidung 2044 und von anderen wesentlichen Umständen dieses Erlasses ordnungsgemäß unterrichtet worden sei.

2.      Würdigung

212. Mit ihrem neunten Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, die Republik Polen habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen, dass sie nicht die vollständigen Informationen über das Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 zur Verfügung gestellt habe.

213. Zunächst ist jedoch das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, dass dieser Klagegrund gegenstandslos geworden sei, weil eine neue Entscheidung ergangen sei, mit der die Genehmigung bis 2044 verlängert und deren Inhalt der Tschechischen Republik übermittelt worden sei. Wie in den vorliegenden Schlussanträgen bereits dargelegt, haben diese Ereignisse erst nach dem Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 259 AEUV stattgefunden. Folglich sind sie für die Prüfung dieses Klagegrundes unerheblich.

214. Nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, sich bei der Verfolgung der Ziele der Union gegenseitig zu unterstützen. Nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 EUV umfasst dies die Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem abgeleiteten Recht ergeben, aber auch alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

215. Im Rahmen der Prüfung des sechsten Klagegrundes(50) habe ich dargelegt, dass die sich aus Art. 9 Abs. 2 der UVP-Richtlinie ergebende Verpflichtung jedes Mitgliedstaats, der ein Projekt durchzuführen beabsichtigt, das möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und andere Mitgliedstaaten betrifft, diese von der Entscheidung zu unterrichten, mit der eine Genehmigung erteilt oder verweigert wird, einem Ideal der Solidarität, Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten entspringt. Diese Zusammenarbeit beginnt übrigens bereits in einem frühen Stadium mit der Verpflichtung nach Art. 7 der UVP-Richtlinie, die betroffenen Mitgliedstaaten von der Planung des fraglichen Projekts zu unterrichten, gefolgt von der Verpflichtung, sie zur Teilnahme an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren einzuladen. Offenkundig soll somit die im abgeleiteten Recht vorgesehene Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten letztlich dem Umweltschutz dienen, also die Erreichung dieses Ziels der Union gewährleisten, das u. a. in Art. 3 Abs. 3 EUV, in den Art. 11 und 191 AEUV sowie in Art. 37 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt ist.

216. Dieses Ideal der Solidarität, Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten im Interesse der Erreichung dieses wichtigen Ziels der Union liegt auch den Bestimmungen der Richtlinie 2003/4 zugrunde, die den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen gewährleistet. Zum einen verpflichtet Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie, wie bereits bei der Prüfung des achten Klagegrundes ausgeführt(51), die Mitgliedstaaten, durch den Erlass der erforderlichen Maßnahmen sicherzustellen, dass die relevanten Informationen, einschließlich der Genehmigungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben, öffentlich zu verbreiten. Zum anderen müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der Richtlinie 2003/4 gewährleisten, dass Behörden verpflichtet sind, die bei ihnen vorhandenen oder für sie bereitgehaltenen Umweltinformationen allen Antragstellern auf Antrag zugänglich zu machen, ohne dass diese ein Interesse geltend zu machen brauchen.

217. Da die von einem bestimmten Projekt betroffenen Mitgliedstaaten auch das Recht haben, alle relevanten Informationen im Sinne von Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie zu einem solchen Projekt anzufordern, sind sie als „Begünstigte“ der in den vorstehenden Nummern angeführten Bestimmungen anzusehen. Aus dieser Feststellung folgt zwingend, dass der Mitgliedstaat, den diese Verpflichtungen treffen, durch den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV gebunden ist, wenn ihn ein anderer Mitgliedstaat in Form eines Informationsersuchens um Unterstützung ersucht.

218. Was die Umstände des vorliegenden Falles angeht, so steht fest, dass die Republik Polen die Entscheidung zur Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 der Tschechischen Republik erst fünf Monate nach ihrem Erlass übermittelt hat. Überdies ist festzustellen, dass der klagende Mitgliedstaat mit der Begründung, dass die erhaltene Information unvollständig sei, mehrere Auskunftsersuchen an die Republik Polen gesandt hat, die diese nicht immer beantwortet hat. Erst nach Einleitung des Verfahrens nach Art. 259 AEUV hat die Republik Polen der Tschechischen Republik die angeforderten Dokumente übersandt, und zwar konkret den ursprünglichen Antrag auf eine Bergbaubetriebsgenehmigung von 1994. Die Tschechische Republik verfügt immer noch nicht über ein konsolidiertes Dokument, dem sie klar den genauen Umfang und die genaue Gestalt des Projekts entnehmen könnte.

219. Eine verspätete und unvollständige Übermittlung der angeforderten Informationen durch die Republik Polen, verbunden mit einer Weigerung, die Unterstützungsersuchen der Tschechischen Republik zu beantworten, genügt nicht den Anforderungen, die sich aus dem Geist der Solidarität, der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung der Mitgliedstaaten ergeben und die das Unionsrecht zur Erreichung des Ziels eines wirksamen Umweltschutzes aufstellt.

220. Daher bin ich der Ansicht, dass eine solche Haltung gegenüber einem benachbarten Mitgliedstaat, der sich hinsichtlich der Gefahren für die Umwelt in der gleichen Lage befindet, einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV darstellt.

221. Nach alldem erachte ich den neunten Klagegrund für begründet.

K.      Zum zehnten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 (keine Berücksichtigung der UVP-Entscheidung in der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

222. Die Tschechische Republik sieht einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 darin, dass in der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 die UVP-Entscheidung nicht berücksichtigt worden sei.

223. Nach Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie müssten die in ihrem Art. 4 definierten Projekte „einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden“. Das bedeute, dass die Genehmigungen für diese Projekte eine solche Prüfung zumindest berücksichtigen müssten.

224. Von Beginn an hätten aber die polnischen Behörden die Durchführung einer solchen Prüfung für diese Genehmigung nicht ins Auge gefasst. Die UVP-Entscheidung sei zwar dem Antrag des Betreibers beigefügt worden, sie habe jedoch keinerlei Niederschlag im Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung oder in dieser selbst gefunden. Zudem sei dieser Antrag auf der Grundlage von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. k des Umweltinformationsgesetzes gestellt worden. Die zuständige Behörde habe ihn für vollständig erachtet, obwohl er nicht von einer Umweltverträglichkeitsprüfung begleitet gewesen sei. Nach der späteren Beifügung der UVP-Entscheidung zu diesem Antrag habe es diese Behörde nicht für nötig gehalten, die interessierten Personen zur Ergänzung ihrer Stellungnahmen aufzufordern. In der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 sei keine Prüfung der Konformität des Antrags mit der UVP-Entscheidung erwähnt. In dieser Genehmigung seien die mit der UVP-Entscheidung gemachten Auflagen nicht genannt und ausgeführt, und sie enthalte keinerlei Angaben zu der mit dieser Entscheidung erfolgten Begrenzung der Abbaufläche.

225. Der Inhalt der UVP-Entscheidung habe somit keinen Niederschlag im Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung gefunden. Der bloße Umstand, dass die Genehmigung sowohl hinsichtlich ihrer Dauer als auch der Tagebaufläche von der UVP-Entscheidung gedeckt sei, bedeute nicht, dass ihr die UVP-Entscheidung tatsächlich zugrunde liege. Diese beiden Dokumente stellten voneinander unabhängige Entscheidungen dar.

226. Die Republik Polen wiederholt unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen zum ersten und zum zweiten Klagegrund, dass die UVP-Entscheidung für den Betreiber bindend sei, der den mit ihr auferlegten Verpflichtungen unabhängig von jeder Übernahme in den Wortlaut der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 nachkommen und die Informationen und Ergebnisse der Prüfungen insbesondere hinsichtlich der Schwebstoffe, der Lärmbelästigungen und der Wasserqualität übermitteln müsse. Die Tschechische Republik lasse die Verpflichtungen nach polnischem Recht außer Acht und ziehe subjektive Schlüsse in Bezug auf Haltung und Ansichten der polnischen Behörden.

227. Die Tatsache, dass der Betreiber die UVP-Entscheidung dem Antrag auf Verlängerung der Genehmigung für den Tagebau Turów beigefügt habe, bedeute, dass er verpflichtet sei, die Abbautätigkeiten im Einklang mit dieser Entscheidung durchzuführen. Aus den damaligen Umständen ergebe sich klar, dass die Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 dasselbe Projekt erfasse wie die ihr vorausgegangene UVP-Entscheidung.

228. Was die Rüge angehe, dass die Fläche des Projekts in dieser Genehmigung nicht angegeben sei, so seien die Grenzen der Bergbaustätte vor dem Erlass dieser Genehmigung in der Entscheidung des Ministers für Klima vom 16. März 2020 festgelegt worden und seien deshalb verbindlich, so dass ihre Aufnahme in die Genehmigung nicht erforderlich gewesen sei.

229. Zudem sei auch dieser Klagegrund aufgrund des Erlasses der Entscheidung 2044, die auf die UVP-Entscheidung gestützt sei, gegenstandslos.

2.      Würdigung

230. Mit ihrem zehnten Klagegrund macht die Tschechische Republik einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 geltend. Im Einzelnen stellt sie in Abrede, dass dem Projekt, das Gegenstand der Entscheidung gewesen sei, mit der der Braunkohleabbau bis 2026 genehmigt worden sei, eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorausgegangen sei, denn die UVP-Entscheidung sei weder im Verfahren zur Verlängerung der Genehmigung Nr. 65/94 um sechs Jahre noch in dieser Entscheidung 2026 selbst berücksichtigt worden.

231. Auch wenn ich das Interesse der Tschechischen Republik an einer Prüfung dieses Klagegrundes durch den Gerichtshof verstehe, frage ich mich doch, ob dies nicht eher in die Zuständigkeit der polnischen Gerichte fällt, die im Fall einer Klage von Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit haben werden, die formalen Aspekte des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung geführt hat, mit der der Braunkohleabbau bis 2026 genehmigt wurde, und die Begründetheit dieser Entscheidung im Licht der sich aus der UVP-Entscheidung ergebenden Verpflichtungen zu prüfen. Meines Erachtens ist der nationale Richter aufgrund seiner Kenntnis des Sachverhalts und des nationalen rechtlichen Rahmens am besten in der Lage, über die von der Tschechischen Republik aufgeworfenen Fragen zu entscheiden. Gleichwohl werde ich sie der Vollständigkeit halber im Folgenden prüfen.

232. Zunächst ist das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, dieser Klagegrund sei gegenstandslos, weil eine neue Entscheidung erlassen worden sei, mit der die Genehmigung bis 2044 verlängert worden sei. Da diese Ereignisse erst nach dem Stichtag für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 259 AEUV eingetreten sind, kommt ihnen für die Prüfung dieses Klagegrundes keine Bedeutung zu(52).

233. Zu den Bestimmungen, gegen die die Republik Polen verstoßen haben soll, ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 4 der UVP-Richtlinie definierten Projekte nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie „einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt“ unterzogen werden müssen. Wie die Tschechische Republik zutreffend ausführt, ist diese Wendung dahin zu verstehen, dass die Genehmigungen für diese Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung umfassen oder zumindest berücksichtigen müssen.

234. Ein Projekt, wie es mit der Entscheidung zur Verlängerung des Bergbaubetriebs bis 2026 genehmigt worden ist, entspricht den Kriterien von Art. 4 Abs. 1 der UVP-Richtlinie (Tagebau auf einer Abbaufläche von mehr als 25 Hektar) (Nr. 19 des Anhangs I dieser Richtlinie) ebenso wie jede Änderung oder Erweiterung solcher Projekte, wenn sie für sich genommen die festgelegten Schwellenwerte erreicht (Nr. 24 des Anhangs I dieser Richtlinie)(53). Daher findet Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie Anwendung auf eine Genehmigung, wie sie hier in Rede steht.

235. Zum Vorbringen der Tschechischen Republik, in der Entscheidung, mit der der Bergbaubetrieb bis 2026 genehmigt worden sei, sei die UVP-Entscheidung nicht berücksichtigt worden, weise ich auf die hierzu von der Republik Polen vorgelegten Informationen hin, wonach gemäß den geltenden polnischen Rechtsvorschriften eine Entscheidung über Umweltauflagen u. a. die Behörden, die eine Entscheidung zur Genehmigung von Bergbautätigkeiten erteilten, und die Unternehmen binde, an die diese Entscheidung gerichtet sei.

236. Wie die Republik Polen darlegt, bedeutet die Tatsache, dass der Betreiber des Tagebaus Turów die UVP-Entscheidung dem Verfahren zur Verlängerung der Genehmigung beigefügt hat, dass er verpflichtet ist, die dortigen Abbautätigkeiten im Einklang mit den Bestimmungen dieser Entscheidung durchzuführen. Folglich ist die UVP-Entscheidung wie jede andere in der polnischen Rechtsordnung erlassene Entscheidung für ihren Adressaten verbindlich, der auf der Grundlage dieser Entscheidung Rechte erhält und durch die mit ihr festgelegten Verpflichtungen gebunden ist. Zudem versichert die Republik Polen, dass der Betreiber des Tagebaus Turów die Verpflichtungen aus der UVP-Entscheidung tatsächlich erfüllt.

237. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sehe ich keinen objektiven Grund für die Annahme, dass eine von den zuständigen Behörden erlassene Verwaltungsentscheidung wie die UVP-Entscheidung für einen Betreiber, der eine Genehmigung zur Fortsetzung von Bergbautätigkeiten erhalten hat, nicht verbindlich sein soll. Ich stelle fest, dass die Tschechische Republik auch die in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge wiedergegebenen Erläuterungen zum polnischen rechtlichen Rahmen nicht in Frage stellt.

238. Was des Weiteren das Vorbringen der Tschechischen Republik angeht, zwischen der UVP-Entscheidung und der Entscheidung, mit der der Bergbaubetrieb bis 2026 genehmigt worden sei, gebe es keinen Zusammenhang, weil in diesen Entscheidungen nicht dieselbe Projektfläche angegeben sei, so sind insoweit bestimmte wichtige Tatsachen zu berücksichtigen, die ich im Folgenden darlegen werde.

239. Erstens ist zu beachten, dass die UVP-Entscheidung für einen Bergbaubetriebszeitraum von 24 Jahren erlassen worden ist, während die Genehmigung nur um sechs Jahre verlängert worden ist. Folgerichtig unterscheiden sich daher diese Entscheidungen voneinander, denn sie betreffen unterschiedliche Zeiträume. Da die UVP-Entscheidung einen längeren Zeitraum betrifft, bewirkt sie, dass die Genehmigung der Bergbautätigkeiten in ihren zeitlichen Geltungsbereich fällt.

240. Zweitens weise ich darauf hin, dass die in Rede stehenden Entscheidungen hinsichtlich der Fläche, auf der Bergbau betrieben werden darf, zwar einen geringfügigen Unterschied aufweisen (31 014 698 m2 in der Genehmigung, während in der UVP-Entscheidung eine Fläche von 30,9 km2 angegeben ist), dass aber nicht bestritten ist, dass die polnischen Behörden am 12. Februar 2020 eine Berichtigung der UVP-Entscheidung erlassen haben, mit der sie die Koordinaten des erfassten Gebiets ausdrücklich definiert haben. Aus diesen Dokumenten ergibt sich, dass das von der Abbaugenehmigung gedeckte Projekt räumlich innerhalb der in der UVP-Entscheidung gezogenen geografischen Grenzen liegt. Folglich geht die von den zuständigen Behörden genehmigte Bergbautätigkeit nicht über die Reichweite der UVP-Entscheidung hinaus.

241. Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Genehmigung, auf die sich der vorliegende Klagegrund bezieht, nicht von den Vorgaben in der UVP-Entscheidung hinsichtlich der Dauer der geplanten Bergbautätigkeit und des betreffenden geografischen Gebiets abweicht. Folglich kann mangels beweiskräftiger Anhaltspunkte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass es zwischen diesen beiden Verwaltungsentscheidungen keinen Zusammenhang gebe. Daher ist meines Erachtens das Vorbringen der Tschechischen Republik zurückzuweisen.

242. Nach alledem komme ich zu dem Schluss, dass die Republik Polen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 der UVP-Richtlinie in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 verstoßen hat.

243. Demgemäß ist der zehnte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

L.      Zum elften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie (keine Festlegung sämtlicher Umweltauflagen in der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026)

1.      Vorbringen der Parteien

244. Die Tschechische Republik macht einen Verstoß gegen Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie geltend, weil bestimmte dort genannte Umweltauflagen weder in der Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 noch in der UVP-Entscheidung enthalten seien, wie es diese Bestimmung in Verbindung mit Abs. 3 dieses Artikels vorschreibe. Dies gelte u. a. für die Abbaufläche, die als eine Umweltauflage anzusehen sei.

245. Zudem seien in dieser Genehmigung die in der UVP-Entscheidung gemachten Umweltauflagen für das genehmigte Projekt nicht aufgeführt. Ferner ergebe sich aus dieser Entscheidung, dass bestimmte Auflagen in einem zeitlichen Rahmen zu erfüllen seien, der über die Gültigkeitsdauer dieser Genehmigung hinausgehe, so dass nicht klar sei, wie sie während dieser Gültigkeitsdauer erfüllt werden sollten.

246. Die Republik Polen macht in erster Linie geltend, die UVP-Entscheidung mit der Berichtigung vom 12. Februar 2020 enthalte die Koordinaten zur genauen Begrenzung des Projektgebiets und die in der Entscheidung des Ministers für Klima vom 16. März 2020 bezeichnete Fläche der geplanten Bergbautätigkeit überschreite nicht die in der UVP-Entscheidung festgelegte Fläche.

247. Zur zweiten Rüge der Tschechischen Republik führt der beklagte Mitgliedstaat aus, Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie lege die Mindestanforderungen an den Inhalt der Genehmigung des Projekts fest. Die allgemeine Natur der dort aufgestellten Verpflichtungen erschwere eine Vorhersage, welche konkreten Informationen zwingend einzubeziehen seien. Es könne nicht gesagt werden, dass die in Rede stehende Genehmigung deshalb gegen diese Bestimmung verstoße, weil sie nicht die Möglichkeit konkretisiere, den besonderen Auflagen betreffend einen bestimmten zeitlichen Horizont Geltung zu verschaffen. Die detaillierten Informationen zu den einzelnen Abschnitten der Arbeiten im Zusammenhang mit den Abbautätigkeiten seien Gegenstand späterer Feststellungen, die streng an die Organisation der Abbauarbeiten und die Mittel zu ihrer Durchführung gekoppelt seien, und seien im Betriebsplan der Bergbauanlage, einem technischen Dokument nach den Art. 108 bis 111 des Bergbaugesetzbuchs, niedergelegt.

248. Aus den zu anderen Klagegründen vorgetragenen Gründen erachtet die Republik Polen den elften Klagegrund für gegenstandslos.

2.      Würdigung

249. Mit ihrem elften Klagegrund macht die Tschechische Republik geltend, die Republik Polen habe dadurch ihre Pflichten aus Art. 8a Abs. 1 der UVP-Richtlinie verletzt, dass sie in der Entscheidung zur Genehmigung zum Braunkohleabbau bis 2026 nicht alle umweltbezogenen Erfordernisse hinreichend berücksichtigt habe.

250. Dieser Klagegrund ist auf ein zweifaches Vorbringen gestützt. Erstens trägt die Tschechische Republik vor, einige der vorgeschriebenen Informationen zu dem von der Entscheidung 2026 erfassten Projekt seien weder in dieser Entscheidung noch in der UVP-Entscheidung geprüft worden, und sie stuft die Abbaufläche als eine wesentliche Umweltauflage ein, die die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt grundlegend bestimme. Zweitens werde in der UVP-Entscheidung nicht die Möglichkeit konkretisiert, besonderen Auflagen betreffend ein viel größeres Projekt Geltung zu verschaffen, da sie einen um 18 Jahre längeren Betriebszeitraum mit dem entsprechenden Wert und der entsprechenden Betriebsfläche erfasse.

251. Art. 8a Abs. 1 der UVP-Richtlinie legt die Mindestanforderungen an den Inhalt der Genehmigung in Bezug auf die Schlussfolgerungen der Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Projekt und die Umweltauflagen für seine Durchführung fest. Diese inhaltlichen Anforderungen können nach Art. 8a Abs. 3 der UVP-Richtlinie u. a. auch anlässlich einer anderen Entscheidung erfüllt werden, die im Rahmen eines sogenannten Entscheidungsverfahrens im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der UVP-Richtlinie ergeht. Nach Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie gehören zu den Anforderungen auch alle etwaigen Umweltauflagen, die mit der Entscheidung verbunden sind, sowie eine Beschreibung der Aspekte des Projekts und/oder der Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden, verhindert oder verringert und soweit möglich ausgeglichen werden sollen, und, soweit angemessen, eine Beschreibung der Überwachungsmaßnahmen.

252. Das erste Vorbringen – die polnischen Behörden hätten es unterlassen, die Abbaufläche im Text der Bergbaubetriebsgenehmigung bis 2026 zu definieren – ist aus meiner Sicht nur eine Wiederholung des zehnten Klagegrundes. Daher erlaube ich mir, auf meine Ausführungen zu diesem Klagegrund in Nr. 240 der vorliegenden Schlussanträge zu verweisen. Wie ich bereits eingehend dargelegt habe, weicht die Genehmigung als Verwaltungsentscheidung nicht von den Vorgaben der UVP-Entscheidung hinsichtlich der Dauer der geplanten Bergbautätigkeit und des betroffenen geografischen Gebiets ab. Dieses Vorbringen ist folglich zurückzuweisen.

253. Zum zweiten Vorbringen – unrichtige Anwendung von Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie, weil in der Bergbaubetriebsgenehmigung bis 2026 nicht die in der UVP-Entscheidung enthaltenen Auflagen für das genehmigte Projekt aufgeführt seien – ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Bestimmung zwar Mindestanforderungen („mindestens“) an die zu erteilenden Informationen zu dem genehmigten Projekt aufgestellt werden, dass aber die Pflicht zur Aufnahme dieser Informationen in die Genehmigung eher allgemein formuliert ist („In die Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung werdenaufgenommen“), womit den zuständigen Behörden ein gewisser Handlungsspielraum belassen wird. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung („verbunden“) gilt die Pflicht zur Aufnahme auch für etwaige Umweltauflagen, die der Entscheidung, mit der die Genehmigung erteilt wird, zugrunde liegen.

254. Diese Sichtweise halte ich in Anbetracht der Unterschiedlichkeit der Projekte, die in den Geltungsbereich der UVP-Richtlinie fallen können, für angemessen. Es erscheint mir deshalb folgerichtig, diese Bestimmung dahin auszulegen, dass sie keineswegs verlangt, dass die in Rede stehende Information in einem besonderen Dokument oder gar im Hauptdokument, das zur Genehmigung für das Projekt gehört, enthalten ist. Da es sich in der Regel um eine hoch technische Information handelt, kann es sich als erforderlich erweisen, sie in einem besonders dazu bestimmten Dokument zu erläutern, das gegebenenfalls mit der Genehmigung verbunden wird. Die Gesamtheit der Dokumente, die als Grundlage für die Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörden gedient haben und die in der vorstehend beschriebenen Weise aufgenommen worden sind, bildet somit die „Genehmigung“ im Sinne von Art. 8a Abs. 1 der UVP-Richtlinie.

255. Eben das hat die Republik Polen meines Erachtens im vorliegenden Fall getan. Auf der einen Seite gibt es die UVP-Entscheidung, die mit dem Genehmigungsantrag verbunden worden ist und die der Betreiber des Tagebaus Turów nach polnischem Recht im Rahmen seiner Bergbautätigkeiten zu beachten hat. Die UVP-Entscheidung grenzt das Gebiet des Projekts genau ab und legt die Bedingungen für die Durchführung fest. Auf der anderen Seite gibt es den von der Republik Polen angeführten Betriebsplan für die Bergbauanlage, in dem die Organisation der Abbauarbeiten und die Mittel zu ihrer Durchführung aufgeführt sind. Wie die Republik Polen erläutert, ist dieser Plan ein technisches Dokument, in dem die Einzelheiten des Betriebs dieser Anlage festgelegt sind, einschließlich des Abbaus des Flözes und des Betriebs des Projekts, um die allgemeine Sicherheit, den Schutz der Umwelt und den sachgerechten Abbau des Flözes zu gewährleisten.

256. Die Tschechische Republik macht weiter geltend, das Vorgehen der polnischen Behörden erlaube nicht die Feststellung, wie die vorgenannten Auflagen im Rahmen eines Projekts mit einem um 18 Jahre kürzeren Durchführungszeitraum auf Dauer beachtet werden sollten. Entgegen dem Vorbringen der Tschechischen Republik kann ich jedoch nicht erkennen, wie der Umstand, dass die UVP-Entscheidung einen längeren Betriebszeitraum vorsieht als die Genehmigung für das Projekt selbst, den Anforderungen des Art. 8a Abs. 1 Buchst. b der UVP-Richtlinie zuwiderlaufen soll. Meines Erachtens verpflichtet diese Bestimmung, die im Übrigen recht allgemein formuliert ist, nicht unbedingt zur Vorlage eines Plans, in dem die Entwicklung der Bergbautätigkeiten und insbesondere die Art und Weise der künftigen Beachtung der festgelegten Umweltauflagen bis ins letzte Detail aufgeführt sind. Im Gegenteil scheint mir die UVP-Entscheidung grundsätzlich diese Entwicklung für die Gültigkeitsdauer vorwegzunehmen, da der Betreiber die ihm mit diesem Verwaltungsakt gemäß dem polnischen Recht gemachten Umweltauflagen zu beachten hat.

257. Überdies gestehe ich, dass ich dazu neige, mich dem Standpunkt der Republik Polen zu dem recht vagen Vorbringen der Tschechischen Republik im Rahmen dieses Klagegrundes anzuschließen. Mangels einer genaueren Begründung für die geltend gemachten Verstöße ist meines Erachtens der elfte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

M.      Zusammenfassung der Untersuchung

258. Die Prüfung der Klage bringt mich zu dem Schluss, dass der erste, der sechste, der achte und der neunte Klagegrund durchgreifen. Im Übrigen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

VI.    Kosten

259. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn die Parteien teils obsiegen, teils unterliegen. Da die Tschechische Republik und die Republik Polen im vorliegenden Fall beide mit einigen ihrer Gründe unterlegen sind, tragen sie ihre eigenen Kosten.

260. Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, nach dem die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen, trägt die Kommission ihre eigenen Kosten.

VII. Ergebnis

261. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Republik Polen hat durch den Erlass einer Regelung, nach der die zuständigen Behörden die Genehmigung zum Braunkohleabbau ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung um sechs Jahre verlängern können, gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 4 bis 6, Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie den Art. 6 bis 9 dieser Richtlinie verstoßen.

2.      Die Republik Polen hat dadurch, dass sie weder den Inhalt der Entscheidung, mit der die Bergbautätigkeiten bis 2026 genehmigt worden sind, und der mit dieser Entscheidung verbundenen Auflagen noch die Gründe und Erwägungen, auf die diese Genehmigung gestützt ist, veröffentlicht hat und dass sie der Tschechischen Republik diesen Inhalt erst mehr als fünf Monate später und zudem in unvollständiger Form übermittelt hat, gegen Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/92 in der durch die Richtlinie 2014/52 geänderten Fassung verstoßen.

3.      Die Republik Polen hat dadurch, dass sie nicht den Inhalt der Entscheidung, mit der die Bergbautätigkeiten bis 2026 genehmigt worden sind, oder die Stelle, bei der Zugang zu ihr beantragt werden kann, veröffentlicht hat, gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates verstoßen.

4.      Die Republik Polen hat dadurch, dass sie keine vollständigen Informationen über das Verfahren zum Erlass der Entscheidung, mit der die Bergbautätigkeiten bis 2026 genehmigt worden sind, übermittelt hat, gegen ihre Verpflichtungen aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen.

5.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6.      Die Tschechische Republik, die Republik Polen und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Die internationale Rechtsprechung im Bereich des Umweltschutzes war lange Zeit nicht sehr reichhaltig. Mit der Rechtssache Pelzrobben der Pribilof‑Inseln von 1893, gefolgt von der Rechtssache Fonderie du Trail von 1941 oder etwa der Rechtssache Lac Lanoux von 1956 wurden die Grundlagen des internationalen Umweltrechts insbesondere hinsichtlich grenzüberschreitender Umweltverschmutzungen und gemeinsamer natürlicher Ressourcen gelegt. Dagegen kam es in den letzten Jahren zu einer beträchtlichen Zunahme dieser Rechtsstreitigkeiten. In der Rechtssache Donauwasserkraftwerk Gabčíkovo–Nagymaros  von 1997 spielte die Umwelt erstmals eine zentrale Rolle in einem Rechtsstreit vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dessen Richter stellten in ihrem Urteil einige wesentliche Grundsätze des internationalen Umweltrechts auf, darunter den Grundsatz der Verhütung von Umweltschäden in anderen Staaten, den Grundsatz der Zusammenarbeit und die Notwendigkeit einer evolutiven Auslegung von Vertragsbestimmungen. Dieselbe zentrale Rolle spielte die Umwelt in der Rechtssache Papierfabriken am Uruguay-Fluss (Argentinien/Uruguay) von 2010. Auch die Rechtssachen Bestimmte Tätigkeiten Nicaraguas im Grenzgebiet  (Costa Rica/Nicaragua) und Bau einer Straße in Costa Rica längs des San-Juan-Flusses (Nicaragua/Costa Rica) hatten eine ausgeprägte umweltrechtliche Dimension. Diese quantitative Entwicklung der Rechtsprechung geht hauptsächlich auf eine Zunahme der Verpflichtungen der Staaten im Umweltbereich zurück.


3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1).


4      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. 2003, L 41, S. 26).


5      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1) in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 (ABl. 2014, L 124, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: UVP-Richtlinie).


6      Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 21. Mai 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:420).


7      Beschluss der Vizepräsidentin des Gerichtshofs vom 20. September 2021, Tschechische Republik/Polen (C‑121/21 R, EU:C:2021:752).


8      Vgl. Urteile vom 6. Dezember 2007, Kommission/Deutschland (C‑456/05, EU:C:2007:755, Rn. 25), und vom 16. Oktober 2012, Ungarn/Slowakei (C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 67), was die beiden in den Art. 258 und 259 AEUV vorgesehenen Verfahrensarten angeht. Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Slowakei/Kroatien (C‑457/18, EU:C:2019:1067, Nr. 99).


9      Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, der besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht, verpflichtet alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf (vgl. dazu Urteile vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána (C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 35 bis 38), und vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 53 und 54)].


10      Vgl. in diesem Sinne Butler, G., „The Court of Justice as an Inter-State Court“, Yearbook of European Law, Bd. 36, Nr. 1, 2017, S. 189.


11      Vgl. Urteile vom 11. Juli 2013, Kommission/Tschechische Republik (C‑545/10, EU:C:2013:509, Rn. 108), vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn (C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 141), vom 22. September 2016, Kommission/Tschechische Republik (C‑525/14, EU:C:2016:714, Rn. 16), vom 19. September 2017, Kommission/Irland (Zulassungssteuer) (C‑552/15, EU:C:2017:698, Rn. 38), vom 31. Oktober 2019, Kommission/Niederlande (C‑395/17, EU:C:2019:918, Rn. 52), und vom 28. Mai 2020, Kommission/Bulgarien (Eisenbahnuntersuchungsstelle) (C‑33/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:405, Rn. 82).


12      Vgl. Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 44), vom 28. März 2019, Kommission/Irland (System der Sammlung und Behandlung von kommunalem Abwasser) (C‑427/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:269, Rn. 39), und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Ungarn (Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen) (C‑808/18, EU:C:2020:1029, Rn. 112).


13      Vgl. hierzu Burgi, M., Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (Hrsg.: Rengeling, H.‑W., Middeke, A., und Gellermann, M.), C. H. Beck, München, 2014, Rn. 27; Frenz, W., Handbuch Europarecht, Bd. 5, Springer, Berlin, 2010, Rn. 2685; Karpenstein, U., „Artikel 259 AEUV“, Das Recht der Europäischen Union (Hrsg.: Grabitz, E., Hilf, M., Nettesheim, M.), C. H. Beck, München, 2021, Rn. 9; Pechstein, M., EU-Prozessrecht, Mohr Siebeck, Tübingen, 2011, Rn. 312; Schwarze, J., „Artikel 259 AEUV“, EU-Kommentar, Nomos, Baden-Baden, 2019, Rn. 4, und Thiele, A., Europäisches Prozessrecht, C. H. Beck, München, 2014, § 5, Rn. 29.


14      Vgl. in diesem Sinne Burgi, M., Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (Hrsg.: Rengeling, H.‑W., Middeke, A., und Gellermann, M.), C. H. Beck, München, 2014, Rn. 27 und 28; Frenz, W., Handbuch Europarecht, Bd. 5, Springer, Berlin, 2010, Rn. 2684; Kotzur, M., „Artikel 259 AEUV“, EUV/AEUV (Hrsg.: Geiger, R., Khan, D.‑E, und Kotzur, M.), C. H. Beck, München, 2017, Rn. 5; Pechstein, M., EU-Prozessrecht, Mohr Siebeck, Tübingen, 2011, Rn. 313 und 314, und Schwarze, J., „Artikel 259 AEUV“, EU-Kommentar, Nomos, Baden-Baden, 2019, Rn. 5.


15      Vgl. zur Änderung einer gesetzlichen Bestimmung Urteil vom 4. März 2010, Kommission/Frankreich (C‑241/08, EU:C:2010:114, Rn. 12 und 13), und zur Änderung eines Verwaltungsakts Urteil vom 18. Mai 2006, Kommission/Spanien (C‑221/04, EU:C:2006:329, Rn. 28 und 29).


16      Urteil vom 29. Juli 2019 (C‑411/17, EU:C:2019:622).


17      Urteil vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen (C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 79).


18      Vgl. dazu Messerschmidt, K., Europäisches Umweltrecht, C. H. Beck, München, 2011, S. 535, Rn. 53; Arabadjieva, K., „Vagueness and Discretion in the Scope of the EIA Directive“, Journal of Environmental Law, Bd. 29, Nr. 3, 2017, S. 417 und 425.


19      Vgl. Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a. (C‑72/95, EU:C:1996:404, Rn. 50), vom 4. Mai 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑508/03, EU:C:2006:287, Rn. 88), vom 28. Februar 2008, Abraham u. a. (C‑2/07, EU:C:2008:133, Rn. 37), vom 20. November 2008, Kommission/Irland (C‑66/06, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:637, Rn. 61), vom 21. März 2013, Salzburger Flughafen (C‑244/12, EU:C:2013:203, Rn. 29 und 30), und vom 11. Februar 2015, Marktgemeide Straßwalchen u. a. (C‑531/13, EU:C:2015:79, Rn. 40 und 41).


20      Vgl. Urteil vom 16. September 1999, WWF u. a. (C‑435/97, EU:C:1999:418, Rn. 44 und 45).


21      Vgl. Urteil vom 2. Mai 1996, Kommission/Belgien (C‑133/94, EU:C:1996:181, Rn. 42 und 43).


22      Siehe Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge.


23      Vgl. Urteil vom 4. Mai 2006, Barker (C‑290/03, EU:C:2006:286, Rn. 47).


24      Vgl. Urteil vom 4. Mai 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑508/03, EU:C:2006:287, Rn. 104).


25      Vgl. Urteil vom 28. Februar 2008, Abraham u. a. (C‑2/07, EU:C:2008:133, Rn. 26).


26      Urteil vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen (C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 83).


27      Urteil vom 7. November 2019 (C‑280/18, EU:C:2019:928, Rn. 46 bis 49). Zu beachten ist, dass der Gerichtshof nicht so weit gegangen ist wie die Generalanwältin Kokott, die in ihren Schlussanträgen in dieser Rechtssache ausgeführt hatte, dass „[e]ine Beschränkung der in Art. 11 der UVP-Richtlinie vorgesehenen Klage auf Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung, die die Rechtmäßigkeit der Genehmigung unberührt ließe, [die Klage] ihres Sinnes und jeder praktischen Wirkung berauben [würde]“ (EU:C:2019:449, Nr. 115, Hervorhebung nur hier). Es ist jedoch festzustellen, dass Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie ausdrücklich vorschreibt, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit „Zugang zu einem Überprüfungsverfahren … haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten“ (Hervorhebung nur hier), so dass ein Antrag auf gerichtliche Überprüfung einer Genehmigung aus anderen Gründen als dem einer Verletzung des Beteiligungsrechts der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht auf Art. 11 gestützt werden kann.


28      Die Republik Polen verweist auf Art. 31 Abs. 1 und 3 der Ustawa z dnia 14 czerwca 1960 r. – Kodeks postępowania administracyjnego (Gesetz vom 14. Juni 1960 – Verwaltungsverfahrensgesetzbuch; im Folgenden: Verwaltungsverfahrensgesetzbuch) in geänderter Fassung (Dz. U. 2020, Position 256) und Art. 50 Abs. 1 der Ustawa z dnia 30 sierpnia 2002 r. – Prawo o postępowaniu przed sądami administracyjnymi (Gesetz vom 30. August 2002 – Verwaltungsgerichtsordnung) (Dz. U. 2019, Position 2325) in geänderter Fassung.


29      Urteil vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 110).


30      Vgl. Urteile vom 1. Juli 2015, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (C‑461/13, EU:C:2015:433, Rn. 34), und vom 24. Juni 2021, Kommission/Spanien (Verschlechterung des Naturraums Doñana) (C‑559/19, EU:C:2021:512, Rn. 35).


31      Vgl. Urteil vom 28. Mai 2020, Land Nordrhein-Westfalen (C‑535/18, EU:C:2020:391, Rn. 81, 84 und 85).


32      Vgl. Urteil vom 28. Mai 2020 (C‑535/18, EU:C:2020:391, Rn. 75).


33      Vgl. dazu den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) – Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete, COM(2012) 670 final, S. 7, dem zufolge in der Richtlinie 2000/60 „eingeräumt [wird], dass bei manchen Wasserkörpern mehr Zeit benötigt wird, um einen guten Zustand zu erreichen. Aus diesem Grund wird den Mitgliedstaaten je nach den natürlichen Gegebenheiten des Wasserkörpers die Möglichkeit einer Fristverlängerung bis mindestens 2027 zugebilligt“. Nach diesem Bericht müssen Mitgliedstaaten, die Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen wollen, „dies in den Bewirtschaftungsplänen ausführlich begründen. Dazu müssen sie erläutern, auf welcher Grundlage die Beurteilung der natürlichen Gegebenheiten, der unverhältnismäßigen Kosten und/oder der technischen Unmöglichkeit erfolgt ist und wie das Ziel eines guten Zustands verfolgt werden kann. Diese Begründung ist unerlässlich für eine transparente und nachvollziehbare Entscheidungsfindung“ (Hervorhebung nur hier).


34      Vgl. zu den verschiedenen Arten von in der Richtlinie 2000/60 vorgesehenen Ausnahmen, die im Bewirtschaftungsplan für Flusseinzugsgebiete angegeben und erläutert werden müssen, Quevauviller, P., Protection des eaux souterraines – Législation européenne et avancées scientifiques, Lavoisier, Paris, 2010, S. 63.


35      Siehe Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge.


36      Vgl. Urteil vom 7. November 2019, Flausch u. a. (C‑280/18, EU:C:2019:928, Rn. 46), in dem der Gerichtshof Art. 11 der UVP-Richtlinie dahin ausgelegt hat, dass „sich sein Anwendungsbereich auf die Aspekte eines Rechtsstreits beschränkt, unter denen das Recht der betroffenen Öffentlichkeit auf Beteiligung am Entscheidungsprozess gemäß den entsprechenden konkreten Bestimmungen der Richtlinie geltend gemacht wird. Die Rechtsbehelfe, die sich auf die anderen Bestimmungen dieser Richtlinie und erst recht auf andere Rechtsvorschriften, seien es solche der Union oder solche der Mitgliedstaaten, stützen, fallen dagegen nicht unter diesen Artikel“ (Hervorhebung nur hier), und Nr. 104 der vorliegenden Schlussanträge.


37      Siehe Nr. 108 der vorliegenden Schlussanträge.


38      Siehe Nr. 148 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Siehe Nr. 97 der vorliegenden Schlussanträge.


40      Der UVP-Entscheidung zufolge hat der Bergbaubetrieb Turów Auswirkungen auf die Umwelt im Hoheitsgebiet von drei Mitgliedstaaten, und zwar der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland.


41      Urteil vom 7. November 2019, Flausch u. a. (C‑280/18, EU:C:2019:928, Rn. 50 und 51).


42      Siehe Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge.


43      Urteil vom 15. März 2018, North East Pylon Pressure Campaign und Sheehy (C‑470/16, EU:C:2018:185, Rn. 36 und 39), und vom 7. November 2019, Flausch u. a. (C‑280/18, EU:C:2019:928, Rn. 46). Siehe auch Nrn. 104 und 150 der vorliegenden Schlussanträge.


44      Siehe Nr. 105 der vorliegenden Schlussanträge.


45      Siehe Nrn. 163 bis 178 der vorliegenden Schlussanträge.


46      Siehe Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge.


47      Vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache East Sussex County Council (C‑71/14, EU:C:2015:234, Nr. 52).


48      Urteile vom 28. Juli 2011, Office of Communications (C‑71/10, EU:C:2011:525, Rn. 22), und vom 20. Januar 2021, Land Baden-Württemberg (Interne Mitteilungen) (C‑619/19, EU:C:2021:35, Rn. 33).


49      Siehe Nr. 172 der vorliegenden Schlussanträge.


50      Siehe Nr. 170 der vorliegenden Schlussanträge.


51      Siehe Nrn. 200 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


52      Siehe Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge.


53      Siehe Nrn. 62 bis 67 der vorliegenden Schlussanträge.