Language of document : ECLI:EU:T:2018:280

URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

17. Mai 2018(*)

„Pflanzenschutzmittel – Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid – Überprüfung der Genehmigung – Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Verbot der Verwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den betreffenden Wirkstoffen behandelt wurde – Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 – Vorsorgeprinzip – Verhältnismäßigkeit – Anspruch auf rechtliches Gehör – Außervertragliche Haftung“

In den Rechtssachen T‑429/13 und T‑451/13

Bayer CropScience AG mit Sitz in Monheim am Rhein (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin K. Nordlander und P. Harrison, Solicitor,

Klägerin in der Rechtssache T‑429/13,

Syngenta Crop Protection AG mit Sitz in Basel (Schweiz) und die weiteren im Anhang aufgeführten Klägerinnen(1), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte D. Waelbroek und I. Antypas sowie D. Slater, Solicitor, dann Rechtsanwälte D. Waelbroek und I. Antypas,

Klägerinnen in der Rechtssache T‑451/13,

unterstützt durch

Association générale des producteurs de maïs et autres céréales cultivées de la sous-famille des panicoïdées (AGPM) mit Sitz in Montardon (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte L. Verdier und B. Trouvé,

und

The National Farmers’ Union (NFU) mit Sitz in Stoneleigh (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: H. Mercer, QC, und N. Winter, Solicitor,

und

Association européenne pour la protection des cultures (ECPA) mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: D. Abrahams, Barrister, sowie Rechtsanwälte I. de Seze und É. Mullier,

und

Rapool-Ring GmbH Qualitätsraps deutscher Züchter mit Sitz in Isernhagen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte C. Stallberg und U. Reese, dann Rechtsanwälte U. Reese und J. Szemjonneck,

und

European Seed Association (ESA) mit Sitz in Brüssel, Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte P. de Jong, P. Vlaemminck und B. Van Vooren, dann Rechtsanwälte P. de Jong, K. Claeyé und E. Bertolotto,

und

Agricultural Industries Confederation Ltd mit Sitz in Peterborough (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte P. de Jong, P. Vlaemminck und B. Van Vooren, dann Rechtsanwälte P. de Jong, K. Claeyé und E. Bertolotto,

Streithelferinnen in den Rechtssachen T‑429/13 und T‑451/13,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

Beklagte in den Rechtssachen T‑429/13 und T‑451/13,

unterstützt durch

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, E. Karlsson, L. Swedenborg und C. Hagerman als Bevollmächtigte,

und

Union nationale de l’apiculture française (UNAF) mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: in der Rechtssache T‑429/13 Rechtsanwälte B. Fau und J.‑F. Funke und in der Rechtssache T‑451/13 Rechtsanwalt B. Fau,

und

Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. mit Sitz in Soltau (Deutschland)

sowie

Österreichischer Erwerbsimkerbund mit Sitz in Großebersdorf (Österreich),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Willand und B. Tschida,

und

Pesticide Action Network Europe (PAN Europe) mit Sitz in Brüssel,

Bee Life European Beekeeping Coordination (Bee Life) mit Sitz in Louvain-la-Neuve (Belgien)

sowie

Buglife – The Invertebrate Conservation Trust mit Sitz in Peterborough,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin B. Kloostra,

und

Stichting Greenpeace Council mit Sitz in Amsterdam (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin B. Kloostra,

Streithelferinnen in den Rechtssachen T‑429/13 und T‑451/13,

betreffend zum einen eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 der Kommission vom 24. Mai 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sowie des Verbots der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit diese Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde (ABl. 2013, L 139, S. 12), und zum anderen in der Rechtssache T‑451/13 eine Klage nach Art. 268 AEUV auf Ersatz des Schadens, der den Klägerinnen entstanden sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen, der Richterin I. Pelikánová (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Buttigieg, S. Gervasoni und L. Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín,

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündlichen Verhandlungen vom 15. und 16. Februar 2017

folgendes

Urteil

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Richtlinie 91/414/EWG

1        Vor dem 14. Juni 2011 war das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln durch die Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 1991, L 230, S. 1) geregelt.

2        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 bestimmte, dass ein Pflanzenschutzmittel von einem Mitgliedstaat nur zugelassen werden konnte, wenn u. a. seine Wirkstoffe in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführt waren.

3        In Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 hieß es insbesondere:

„(1)      Ein Wirkstoff wird nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse für einen anfänglichen Zeitraum von höchstens zehn Jahren in Anhang I aufgenommen, wenn angenommen werden kann, dass die diesen Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmittel folgende Voraussetzungen erfüllen:

a)      [I]hre bei Anwendung gemäß guter Pflanzenschutzpraxis entstandenen Rückstände haben keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf das Grundwasser bzw. keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt und können, soweit toxikologisch oder ökologisch signifikant, mit allgemein gebräuchlichen Methoden gemessen werden,

b)      ihre Anwendung gemäß guter Pflanzenschutzpraxis hat keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) Ziffern iv) und v).

(2)      Für die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I ist in ganz besonderem Maße Folgendes zu berücksichtigen:

a)      wo dies relevant ist, eine für den Menschen annehmbare Tagesdosis (ADI-Wert);

b)      falls erforderlich, eine annehmbare Anwenderexposition;

c)      wo dies relevant ist, Einschätzung des Verbleibs und der Verbreitung in der Umwelt sowie der Auswirkung auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen.

…“

B.      Verordnung (EG) Nr. 1107/2009

4        Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG (ABl. 2009, L 309, S. 1) trat am 14. Juni 2011 in Kraft. Sie wurde auf der Grundlage von Art. 37 Abs. 2 EG (nach Änderung jetzt Art. 43 Abs. 1 AEUV) über die gemeinsame Agrarpolitik, von Art. 95 EG (jetzt Art. 114 AEUV) über die Angleichung der Rechtsvorschriften, die den Binnenmarkt u. a. im Bereich der Umwelt zum Gegenstand haben, und von Art. 152 Abs. 4 Buchst. b EG (nach Änderung jetzt Art. 168 Abs. 4 Buchst. b AEUV) über die Gesundheit der Bevölkerung erlassen.

5        Nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 darf ein Pflanzenschutzmittel nur in Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dieser Verordnung zugelassen wurde.

6        Gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1107/2009 setzt die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels durch einen Mitgliedstaat u. a. voraus, dass seine Wirkstoffe auf der Ebene der Europäischen Union genehmigt worden waren.

7        Art. 4 („Genehmigungskriterien für Wirkstoffe“) der Verordnung Nr. 1107/2009 nennt u. a. folgende Kriterien:

„(1)      Ein Wirkstoff wird gemäß Anhang II genehmigt, wenn aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Kenntnisstandes zu erwarten ist, dass unter Berücksichtigung der Genehmigungskriterien in den Nummern 2 und 3 jenes Anhangs Pflanzenschutzmittel, die diesen Wirkstoff enthalten, die Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 erfüllen.

Bei der Bewertung des Wirkstoffs wird zunächst ermittelt, ob die Genehmigungskriterien nach Anhang II Nummern 3.6.2 bis 3.6.4 und Nummer 3.7 erfüllt sind. Sind diese Kriterien erfüllt, so wird anschließend geprüft, ob die in Anhang II Nummern 2 und 3 festgelegten übrigen Genehmigungskriterien erfüllt sind.

(2)      Die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:

a)      Sie dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – unter Berücksichtigung von Kumulations- und Synergieeffekten, wenn es von der [Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)] anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Messung solcher Effekte gibt – noch auf das Grundwasser haben.

b)      Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Für Rückstände mit toxikologischer, ökotoxikologischer, ökologischer Relevanz oder Relevanz für das Trinkwasser müssen allgemein gebräuchliche Messverfahren zur Verfügung stehen. Analysestandards müssen allgemein verfügbar sein.

(3)      Pflanzenschutzmittel müssen als Folge der Verwendung entsprechend der guten Pflanzenschutzpraxis und unter der Voraussetzung realistischer Verwendungsbedingungen folgende Anforderungen erfüllen:

a)      Sie müssen hinreichend wirksam sein.

b)      Sie dürfen keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen, oder von Tieren – weder direkt noch über das Trinkwasser (unter Berücksichtigung der bei der Trinkwasserbehandlung entstehenden Produkte), über Nahrungs- oder Futtermittel oder über die Luft oder Auswirkungen am Arbeitsplatz oder durch andere indirekte Effekte unter Berücksichtigung bekannter Kumulations- und Synergieeffekte, soweit es von der [EFSA] anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt – noch auf das Grundwasser haben.

c)      Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse haben.

d)      Sie dürfen bei den zu bekämpfenden Wirbeltieren keine unnötigen Leiden oder Schmerzen verursachen.

e)      Sie dürfen keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben, und zwar unter besonderer Berücksichtigung folgender Aspekte, soweit es von der [EFSA] anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt:

i)      Verbleib und Ausbreitung in der Umwelt, insbesondere Kontamination von Oberflächengewässern einschließlich Mündungs- und Küstengewässern, Grundwasser, Luft und Boden, unter Berücksichtigung von Orten in großer Entfernung vom Ort der Verwendung nach einem Ferntransport in der Umwelt;

ii)      Auswirkung auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen, einschließlich des dauerhaften Verhaltens dieser Arten;

iii)      Auswirkung auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem.

(4)      Die Anforderungen der Absätze 2 und 3 werden unter Berücksichtigung der einheitlichen Grundsätze gemäß Artikel 29 Absatz 6 bewertet.

(5)      Für die Genehmigung eines Wirkstoffs gelten die Bestimmungen der Absätze 1, 2 und 3 als erfüllt, wenn dies in Bezug auf einen oder mehrere repräsentative Verwendungszwecke mindestens eines Pflanzenschutzmittels, das diesen Wirkstoff enthält, nachgewiesen wurde.

…“

8        Die in Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 angeführten einheitlichen Grundsätze für die Bewertung wurden in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 2011, L 155, S. 127) gemäß Art. 29 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1107/2009 ohne wesentliche Änderungen gegenüber der Fassung dieser Grundsätze in Anhang VI der Richtlinie 91/414 definiert.

9        Art. 21 („Überprüfung der Genehmigung“) der Verordnung Nr. 1107/2009 hat folgenden Wortlaut:

„(1)      Die Kommission kann die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit überprüfen. Sie berücksichtigt den Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs im Lichte neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Überwachungsdaten, auch in Fällen, in denen es nach der Überprüfung der Genehmigungen gemäß Artikel 44 Absatz 1 Anzeichen dafür gibt, dass das Erreichen der Ziele nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer iv und Buchstabe b Ziffer i sowie Artikel 7 Absätze 2 und 3 der Richtlinie 2000/60/EG nicht gesichert ist.

Gibt es nach Ansicht der Kommission aufgrund neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse Anzeichen dafür, dass der Stoff die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt, oder wurden weitere, gemäß Artikel 6 Buchstabe f angeforderte Informationen nicht vorgelegt, so informiert die Kommission die Mitgliedstaaten, die [EFSA] und den Hersteller des Wirkstoffs, wobei sie dem Hersteller eine Frist für eine Stellungnahme einräumt.

(2)      Die Kommission kann die Mitgliedstaaten und die [EFSA] um eine Stellungnahme oder um wissenschaftliche oder technische Unterstützung ersuchen. Die Mitgliedstaaten können ihre Stellungnahmen der Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen vorlegen. Die [EFSA] übermittelt der Kommission ihre Stellungnahme oder die Ergebnisse ihrer Arbeit innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen.

(3)      Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt sind, oder wurden weitere, gemäß Artikel 6 Buchstabe f angeforderte Informationen nicht vorgelegt, so wird nach dem in Artikel 79 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren eine Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung erlassen …

Artikel 13 Absatz 4 und Artikel 20 Absatz 2 finden Anwendung.“

10      Anhang II („Verfahren und Kriterien für die Genehmigung von Wirkstoffen, Safenern und Synergisten gemäß Kapitel II“) der Verordnung Nr. 1107/2009 enthält in Punkt 3 („Kriterien für die Genehmigung eines Wirkstoffs“), Punkt 3.8 („Ökotoxikologie“), den Punkt 3.8.3, der wie folgt lautet:

„Ein Wirkstoff, Safener oder Synergist wird nur genehmigt, wenn auf der Grundlage einer angemessenen Risikobewertung nach [in der Union] oder international akzeptierten Testrichtlinien festgestellt wird, dass seine Verwendung unter den vorgeschlagenen Bedingungen für die Verwendung des Pflanzenschutzmittels, das diesen Wirkstoff, Safener oder Synergisten enthält,

–        zu einer vernachlässigbaren Exposition von Honigbienen führt... oder

–        unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Honigbienenlarven und das Verhalten von Honigbienen keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat.“

11      Art. 49 („Inverkehrbringen von behandeltem Saatgut“) der Verordnung Nr. 1107/2009 bestimmt u. a.:

„(1)      Die Mitgliedstaaten verbieten nicht das Inverkehrbringen und die Verwendung von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die in mindestens einem Mitgliedstaat für die Verwendung zugelassen sind.

(2)      Bestehen erhebliche Bedenken, dass das behandelte Saatgut gemäß Absatz 1 wahrscheinlich ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen, die der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten getroffen hat bzw. haben, nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann, so werden unverzüglich Maßnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot der Verwendung und/oder des Verkaufs des entsprechend behandelten Saatguts nach dem in Artikel 79 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren getroffen. Bevor die Kommission diese Maßnahmen trifft, prüft sie die Sachlage und ersucht gegebenenfalls die [EFSA] um ein Gutachten. Die Kommission kann bestimmen, innerhalb welcher Frist dieses Gutachten vorzulegen ist.

…“

12      Gemäß Art. 78 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 gelten nach der Aufhebung der Richtlinie 91/414 und ihrer Ersetzung durch die Verordnung Nr. 1107/2009 in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommene Wirkstoffe als gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 genehmigt und sind nunmehr in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission vom 25. Mai 2011 zur Durchführung der Verordnung Nr. 1107/2009 hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe (ABl. 2011, L 153, S. 1) aufgeführt.

II.    Vorgeschichte des Rechtsstreits

13      Die Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid (im Folgenden: streitige Wirkstoffe), die zur Familie der Neonicotinoide gehören, wurden jeweils durch die Richtlinie 2006/41/EG der Kommission vom 7. Juli 2006 zur Änderung der Richtlinie 91/414 zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Clothianidin und Pethoxamid (ABl. 2006, L 187, S. 24), die Richtlinie 2007/6/EG der Kommission vom 14. Februar 2007 zur Änderung der Richtlinie 91/414 zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Metrafenon, Bacillus subtilis, Spinosad und Thiamethoxam (ABl. 2007, L 43, S. 13) und die Richtlinie 2008/116/EG der Kommission vom 15. Dezember 2008 zur Änderung der Richtlinie 91/414 zwecks Aufnahme der Wirkstoffe Aclonifen, Imidacloprid und Metazachlor (ABl. 2008, L 337, S. 86) in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommen.

14      In der Union werden Imidacloprid und Clothianidin durch den Bayer‑Konzern erzeugt und vermarktet und Thiamethoxam wird durch den Syngenta‑Konzern erzeugt und vermarktet.

15      In den Jahren 2008 und 2009 verursachten mehrere Vorfälle, die mit einer unsachgemäßen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen verbunden waren, Verluste von Honigbienenvölkern. Die betroffenen Mitgliedstaaten erließen daraufhin verschiedene Beschränkungsmaßnahmen.

16      Im Jahr 2010 erließ die Europäische Kommission aufgrund dieser Vorfälle die Richtlinie 2010/21/EU vom 12. März 2010 zur Änderung von Anhang I der Richtlinie 91/414 hinsichtlich Sonderbestimmungen zu Clothianidin, Thiamethoxam, Fipronil und Imidacloprid (ABl. 2010, L 65, S. 27). Diese Maßnahme verschärfte die Bedingungen für die Genehmigung dieser Wirkstoffe hinsichtlich des Schutzes von Nichtzielorganismen, insbesondere Honigbienen.

17      Am 18. März 2011 ersuchte die Kommission die EFSA um Überprüfung des bestehenden Systems der Bewertung des Risikos von Pflanzenschutzmitteln für Honigbienen, das von der Pflanzenschutzorganisation für Europa und den Mittelmeerraum (European and Mediterranean Plant Protection Organisation, EPPO) geschaffen worden war, im Hinblick auf die Bewertung der langfristigen Risiken für Honigbienen, die Exposition gegenüber schwachen Dosen, die Exposition durch Guttation und die kumulative Risikobewertung. Dieses System war in dem Dokument „Environmental risk assessment scheme for plant protection products“ (System zur Umweltrisikobewertung von Pflanzenschutzmitteln) mit der Referenznummer PP 3/10 (im Folgenden: Leitlinien der EPPO) beschrieben.

18      In verschiedenen Mitgliedstaaten bestanden weiterhin auf nationaler Ebene Beschränkungsmaßnahmen für die Verwendung der betreffenden Pflanzenschutzmittel. Auf der Grundlage des Abschlussberichts des Überwachungs- und Forschungsprogramms Apenet in Italien vom Oktober 2011, der Besorgnisse hinsichtlich der Verwendung von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen behandelt worden war, aufwarf und nach Gesprächen mit den Fachleuten der Mitgliedstaaten im Rahmen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit (im Folgenden: Ausschuss) entschied die Kommission am 22. März 2012, die EFSA gemäß Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 um ein Gutachten zu ersuchen.

19      Am 30. März 2012 wurden im Magazin Science zwei Studien über subletale Auswirkungen von Stoffen aus der Familie der Neonicotinoide auf Bienen veröffentlicht. Die erste dieser Studien betraf Produkte mit dem Wirkstoff Thiamethoxam (im Folgenden: Henry-Studie), die zweite Produkte mit dem Wirkstoff Imidacloprid (im Folgenden: Whitehorn-Studie). Die Autoren dieser Studien kamen zu dem Ergebnis, dass normale Niveaus dieser beiden Wirkstoffe erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität und das Überleben von Honigbienen- und Hummelvölkern haben könnten.

20      Am 3. April 2012 ersuchte die Kommission die EFSA nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009, die neuen Studien zu bewerten und bis zum 30. April 2012 (und, nach Verlängerung, spätestens bis zum 31. Mai 2012) zu prüfen, ob die Dosen, die für die in der Henry-Studie und der Whitehorn-Studie (im Folgenden zusammen: Studien vom März 2012) genannten Versuche verwendet worden waren, mit den Dosen vergleichbar seien, denen die Bienen in der Union, unter Berücksichtigung der auf Unionsebene zugelassenen Verwendungen und der von den Mitgliedstaaten erteilten Zulassungen, tatsächlich ausgesetzt sind (im Folgenden: erstes Mandat). Die Kommission fragte auch, ob die Studienergebnisse auf andere Neonicotinoide, die zur Saatgutbehandlung verwendet würden, insbesondere Clothianidin, übertragbar seien.

21      Am 25. April 2012 ersuchte die Kommission die EFSA, bis zum 31. Dezember 2012 die Bewertungen der u. a. mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken zu aktualisieren, insbesondere hinsichtlich zum einen der akuten und chronischen Auswirkungen auf die Entwicklung und das Überleben der Bienenvölker unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Bienenlarven und auf das Verhalten der Bienen und zum anderen hinsichtlich der Auswirkungen subletaler Dosen auf das Überleben und das Verhalten der Bienen (im Folgenden: zweites Mandat).

22      Am 23. Mai 2012 veröffentlichte die EFSA auf das Ersuchen der Kommission vom 18. März 2011 (vgl. oben, Rn. 17) die wissenschaftliche Stellungnahme über die wissenschaftliche Vorgehensweise, die der Bewertung der Risiken von Pflanzenschutzmitteln für Bienen zugrunde liegt (im Folgenden: Stellungnahme der EFSA). Dieses Dokument nannte mehrere Bereiche, in denen die zukünftigen Bewertungen der Risiken für Bienen verbessert werden müssten. Es wies u. a. auf mehrere Schwächen der Leitlinien der EPPO hin, die zu Unsicherheiten über den tatsächlichen Grad der Exposition von Honigbienen führten und warf für die Gesundheit von Bienen relevante Fragen auf, die von den Leitlinien der EPPO zuvor nicht behandelt worden waren.

23      Am 1. Juni 2012 legte die EFSA aufgrund des ersten Mandats die Erklärung über die Ergebnisse neuerer Studien über die subletalen Auswirkungen bestimmter Neonicotinoide auf die Bienen im Hinblick auf die gegenwärtig in Europa zugelassenen Verwendungen vor (im Folgenden: Erklärung der EFSA). In dieser Erklärung bewertete die EFSA die Studien vom März 2012 sowie eine dritte im Januar 2012 veröffentlichte Studie betreffend Clothianidin (im Folgenden: Schneider-Studie).

24      Sie stellte darin u. a. fest, dass die Konzentrationen der in diesen Studien verabreichten Wirkstoffe höher gewesen seien als die, die normalerweise im Nektar der Kulturen aufträten, für die Daten verfügbar seien. Die EFSA schloss daraus, dass die innerhalb einer Stunde verabreichten Dosen wahrscheinlich höher seien als die von den Honigbienen im Freiland aufgenommenen (mit Ausnahme einiger Szenarien für Clothianidin), dass sie jedoch für Clothianidin und Thiamethoxam niedriger als die innerhalb eines Tages aufgenommenen Dosen sein könnten. Gleichzeitig legte die EFSA dar, dass die Schätzungen über die Aufnahme mit Vorsicht zu behandeln seien, da ihr bestimmte ergänzende Daten nicht zur Verfügung stünden. Insgesamt kam die EFSA zu dem Ergebnis, dass es erforderlich sei, weitere Forschungsarbeiten mit anderen Expositionswerten oder in anderen Situationen durchzuführen.

25      Am 25. Juli 2012 schränkte die Kommission infolge der von der EFSA geäußerten Befürchtung, das zweite Mandat nicht fristgemäß erfüllen zu können, dieses zweite Mandat unter Berücksichtigung der Erklärung der EFSA und Beibehaltung der Frist vom 31. Dezember 2012 ein, so dass vorrangig die streitigen Wirkstoffe, nicht aber zwei weitere Neonicotinoide überprüft werden sollten, und zwar unter Konzentration auf ihre Verwendung für die Saatgutbehandlung und in Form von Granulaten.

26      Am 16. Januar 2013 veröffentlichte die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe für Bienen (im Folgenden: Schlussfolgerungen der EFSA), wobei sie Folgendes feststellte:

–        ein hohes akutes Risiko für Honigbienen bei der Exposition durch Staubabdrift bei der Aussaat von Mais und Getreide (Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam), von Raps (Clothianidin, Imidacloprid und, außer für die Verwendungen im niedrigsten in der Union zugelassenen Umfang, Thiamethoxam) sowie von Baumwolle (Imidacloprid, Thiamethoxam),

–        ein hohes akutes Risiko für Bienen bei der Exposition gegenüber Rückständen im Nektar und im Pollen bei der Verwendung an Raps (Clothianidin, Imidacloprid) sowie an Baumwolle und Sonnenblumen (Imidacloprid) und

–        ein hohes akutes Risiko bei der Exposition durch Guttationsflüssigkeit bei der Verwendung an Mais (Thiamethoxam).

27      Außerdem machten die Schlussfolgerungen der EFSA auf zahlreiche Unsicherheiten aufgrund des Fehlens wissenschaftlicher Daten aufmerksam. Dies betraf insbesondere die Exposition der Honigbienen durch Staub, durch die Aufnahme kontaminierten Nektars und Pollens und durch Guttationsflüssigkeit, das akute Risiko und das langfristige Risiko für das Überleben und die Entwicklung von Honigbienenvölkern, das Risiko für andere Bestäuberinsekten, das Risiko durch die Rückstände im Honigtau und das Risiko durch die Rückstände in den Folgekulturen.

28      In Anbetracht der von der EFSA festgestellten Risiken legte die Kommission dem Ausschuss in seiner Sitzung vom 14. und 15. März 2013 den Entwurf einer Durchführungsverordnung sowie eine Stellungnahme vor. Da mangels qualifizierter Mehrheit weder der Letztere noch der Berufungsausschuss eine Stellungnahme abgaben, erließ die Kommission am 24. Mai 2013 die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 485/2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid sowie des Verbots der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit diese Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde (ABl. 2013, L 139, S. 12, im Folgenden: angefochtener Rechtsakt).

29      Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts führte u. a. für die drei streitigen Wirkstoffe folgende Beschränkungen ein:

–        Verbot jeder nicht gewerblichen Anwendung im Innen- und Außenbereich.

–        Verbot der Anwendungen zur Saatgutbehandlung oder Bodenbehandlung für folgende Getreidearten, wenn diese zwischen Januar und Juni ausgesät werden: Gerste, Hirse, Hafer, Reis, Roggen, Sorghum, Triticale, Weizen.

–        Verbot der Blattbehandlung für folgende Getreidearten: Gerste, Hirse, Hafer, Reis, Roggen, Sorghum, Triticale, Weizen.

–        Verbot der Anwendungen zur Saatgutbehandlung, Bodenbehandlung oder Blattbehandlung für ungefähr 100 Kulturen, darunter Raps, Soja, Sonnenblumen und Mais, außer bei Anwendung in Gewächshäusern und außer zur Blattbehandlung nach der Blüte.

30      Außerdem verbot Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts, Saatgut der in Anhang II aufgeführten Kulturen, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen behandelt wurde, zu verwenden oder in Verkehr zu bringen, ausgenommen Saatgut, das in Gewächshäusern verwendet wird. Davon waren u. a. das Saatgut der Sommergetreidearten sowie Raps, Soja, Sonnenblumen und Mais betroffen.

31      Nach Art. 3 des angefochtenen Rechtsakts mussten die Mitgliedstaaten gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 bis zum 30. September 2013 geltende Zulassungen für Pflanzenschutzmittel ändern oder widerrufen, die die streitigen Wirkstoffe enthalten. Art. 4 des angefochtenen Rechtsakts bestimmte, dass jede von den Mitgliedstaaten eingeräumte Aufbrauchfrist so kurz wie möglich sein und spätestens am 30. November 2013 enden musste.

32      Der angefochtene Rechtsakt wurde am 25. Mai 2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und trat gemäß Art. 5 am darauffolgenden Tag in Kraft, ausgenommen Art. 2, der ab dem 1. Dezember 2013 galt.

III. Verfahren und Anträge der Parteien

A.      Verfahren

33      Mit Klageschrift, die am 14. August 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Syngenta Crop Protection AG und die weiteren Klägerinnen in der Rechtssache T‑451/13, die im Anhang aufgeführt sind (im Folgenden zusammen: Syngenta), die Klage in der Rechtssache T‑451/13 erhoben.

34      Die Bayer CropScience AG (im Folgenden: Bayer) hat mit Klageschrift, die am 19. August 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die Klage in der Rechtssache T‑429/13 erhoben.

35      Mit Beschlüssen des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts vom 21. Oktober 2014, Bayer CropScience/Kommission (T‑429/13, nicht veröffentlicht), und mit Beschluss vom 21. Oktober 2014, Bayer CropScience/Kommission (T‑429/13, EU:T:2014:920), sind die Association générale des producteurs de maïs et autres céréales cultivées de la sous-famille des panicoïdées (AGPM), the National Farmers’ Union (NFU), die Association européenne pour la protection des cultures (ECPA), die Rapool-Ring GmbH Qualitätsraps deutscher Züchter (im Folgenden: Rapool-Ring), die European Seed Association (ESA) und die Agricultural Industries Confederation Ltd (im Folgenden: AIC) als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge von Bayer und das Königreich Schweden, die Union nationale de l’apiculture française (UNAF), der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. (im Folgenden: DBEB), der Österreichische Erwerbsimkerbund (im Folgenden: ÖEB), Stichting Greenpeace Council (im Folgenden: Greenpeace), Pesticide Action Network Europe (PAN Europe), Bee Life – European Beekeeping Coordination (BeeLife) und Buglife – The Invertebrate Conservation Trust (im Folgenden: Buglife) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission in der Rechtssache T‑451/13 zugelassen worden.

36      Mit Beschlüssen des Präsidenten der Ersten Kammer des Gerichts vom 20. Oktober 2014, Syngenta Crop Protection u. a./Kommission (T‑451/13, nicht veröffentlicht), und mit Beschluss vom 20. Oktober 2014, Syngenta Crop Protection u. a./Kommission (T‑451/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:951), sind die AGPM, die NFU, die ECPA, Rapool-Ring, die ESA und die AIC als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge von Syngenta und das Königreich Schweden, die UNAF, der DBEB, der ÖEB, PAN Europe, Bee Life, Buglife und Greenpeace als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission in der Rechtssache T‑429/13 zugelassen worden.

37      Mit Beschlüssen vom 27. März 2015, Bayer CropScience/Kommission (T‑429/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:199), vom 1. April 2015, Syngenta Crop Protection u. a./Kommission (T‑451/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:204), und vom 27. Juli 2015, Bayer CropScience/Kommission (T‑429/13, EU:T:2015:578), hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts über die Rügen einiger Streithelfer zu den Anträgen der Klägerinnen auf vertrauliche Behandlung entschieden.

38      Auf Vorschlag der Ersten Kammer hat das Gericht beschlossen, die Rechtssache nach Art. 28 seiner Verfahrensordnung an die Erste erweiterte Kammer zu verweisen.

39      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Erste erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und den Beteiligten im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt, die von ihnen fristgerecht beantwortet worden sind.

40      Die Parteien haben in den Sitzungen vom 15. Februar 2017 in der Rechtssache T‑429/13 und vom 16. Februar 2017 in der Rechtssache T‑451/13 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

B.      Anträge

1.      Rechtssache T429/13

41      Bayer beantragt, unterstützt durch die AGPM, die NFU, die ECPA, Rapool-Ring, die ESA und die AIC,

–        den angefochtenen Rechtsakt insgesamt oder, hilfsweise, soweit er die Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin betrifft, für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

42      Die Kommission beantragt, unterstützt durch die UNAF, den DBEB und den ÖEB,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

43      Das Königreich Schweden, PAN Europe, Bee Life, Buglife und Greenpeace beantragen, die Klage abzuweisen.

2.      Rechtssache T451/13

44      Syngenta, unterstützt durch die ECPA und Rapool-Ring, beantragt nach Berichtigung in der Erwiderung,

–        den angefochtenen Rechtsakt insgesamt oder, hilfsweise, soweit mit ihm Beschränkungen für Thiamethoxam, mit Thiamethoxam behandeltes Saatgut und Thiamethoxam enthaltende Produkte verfügt werden, für nichtig zu erklären;

–        die Union, vertreten durch die Kommission, zum Ersatz der Schäden, die ihr durch die Verletzung von Rechtspflichten seitens der Kommission entstanden seien, zu verurteilen und die Höhe dieser Entschädigung vorläufig mit 367,9 Mio. Euro, zuzüglich der laufenden Verluste seit Juli 2013 oder in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe festzusetzen, wobei die angeführten Beträge ab dem Erlass des Urteils des Gerichts bis zur tatsächlichen Zahlung zu verzinsen seien;

–        festzustellen, dass für den zu zahlenden Betrag ab dem Erlass des Urteils des Gerichts bis zur tatsächlichen Zahlung Zinsen in Höhe des von der Europäischen Zentralbank (EZB) für die wesentlichen Refinanzierungsgeschäfte festgesetzten und um zwei Prozentpunkte erhöhten oder eines anderen vom Gericht zu bestimmenden angemessenen Zinssatzes zu zahlen sind;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

45      Die NFU, die ESA und die AIC beantragen,

–        den angefochtenen Rechtsakt insgesamt oder, hilfsweise, soweit mit ihm Beschränkungen für Thiamethoxam, mit Thiamethoxam behandeltes Saatgut und Thiamethoxam enthaltende Produkte verfügt werden, für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

46      Die AGPM beantragt,

–        den angefochtenen Rechtsakt für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

47      Die Kommission beantragt, unterstützt durch die UNAF, den DBEB und den ÖEB,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

48      Das Königreich Schweden, PAN Europe, Bee Life, Buglife und Greenpeace beantragen, die Klage abzuweisen.

IV.    Rechtliche Würdigung

49      Das Gericht beschließt nach Anhörung der Parteien, die vorliegenden Rechtssachen gemäß Art. 68 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts zu gemeinsamem Urteil zu verbinden.

A.      Zur Zulässigkeit der Anträge auf Nichtigerklärung

50      In beiden Rechtssachen äußert die Kommission Zweifel an der Klagebefugnis der Klägerinnen in Bezug auf diejenigen Wirkstoffe, deren Anmelder sie nicht seien. Außerdem weist die Kommission darauf hin, dass die in Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts definierten Verwendungsbeschränkungen Durchführungsmaßnahmen nach sich zögen und dass die Klägerinnen sich daher insoweit nicht auf den letzten Teil von Art. 263 Abs. 4 AEUV berufen könnten.

51      Bayer macht geltend, dass der angefochtene Rechtsakt ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sei, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, weshalb sie befugt sei, ihn unabhängig von einer individuellen Betroffenheit anzufechten. Überdies sei sie als Antragsteller für die Genehmigung von Imidacloprid und als Inhaber von Exklusivrechten an Clothianidin von dem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen.

52      Syngenta macht geltend, sie habe Argumente vorgebracht, die die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Rechtsakts insgesamt in Frage stellten, und es sei nicht ersichtlich, dass die Thiamethoxam (dessen Anmelder sie sei) betreffenden Teile des angefochtenen Rechtsakts von den anderen abgetrennt und gesondert für nichtig erklärt werden könnten.

53      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach Art. 263 Abs. 1 und 2 AEUV gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.

54      Zunächst ist festzustellen, dass der angefochtene Rechtsakt eine Handlung mit allgemeiner Geltung darstellt, da er für objektiv bestimmte Situationen gilt und gegenüber allgemein und abstrakt bezeichneten Personengruppen Rechtswirkungen entfaltet. Die Art. 1 bis 4 des angefochtenen Rechtsakts betreffen nämlich drei Wirkstoffe und abstrakt und allgemein jede Person, die beabsichtigt, diese Stoffe oder Saatgut, das in Anhang II des angefochtenen Rechtsakts aufgeführt ist und mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, die die streitigen Wirkstoffe enthalten, zu erzeugen, zu vermarkten oder zu verwenden, sowie jede Person, die über Zulassungen für diese Pflanzenschutzmittel verfügt. Daher sind im Hinblick auf diese Bestimmungen und vorbehaltlich des Vorliegens bestimmter zusätzlicher persönlicher Merkmale alle diese Personen vom angefochtenen Rechtsakt in gleicher Weise betroffen und befinden sich in einer identischen Situation.

55      Da die Klägerinnen nicht Adressaten des angefochtenen Rechtsakts sind, ist daher zu prüfen, ob dieser, wie sie vortragen, sie unmittelbar und individuell betrifft oder ob es sich um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter handelt, der sie unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

56      Da diese beiden Fälle eine unmittelbare Betroffenheit der Klägerinnen voraussetzen, ist zunächst diese Voraussetzung zu prüfen.

1.      Zur unmittelbaren Betroffenheit der Klägerinnen

57      Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit der Klägerinnen erfordert, dass sich die beanstandete Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung dieser Personen auswirkt und dass sie den Adressaten dieser Maßnahme, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der beanstandeten Regelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteile vom 5. Mai 1998, Dreyfus/Kommission, C‑386/96 P, EU:C:1998:193, Rn. 43, vom 10. September 2009, Kommission/Ente per le Ville vesuviane und Ente per le Ville vesuviane/Kommission, C‑445/07 P und C‑455/07 P, EU:C:2009:529, Rn. 45, und Beschluss vom 9. Juli 2013, Regione Puglia/Kommission, C‑586/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:459, Rn. 31).

58      Im vorliegenden Fall sind die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts zum einen von Art. 2 dieses Rechtsakts zum anderen zu unterscheiden.

a)      Zu den Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts

59      Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts ändert die im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 enthaltene Liste der Wirkstoffe, die für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln zugelassen sind. Diese Änderung verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit den streitigen Wirkstoffen erteilt haben, diese nach Art. 4 des angefochtenen Rechtsakts ohne Ermessensspielraum bis spätestens 30. November 2013 zu ändern oder zu widerrufen.

60      Folglich wirkt sich Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts unmittelbar auf die Rechtsstellung von Bayer und Syngenta aus, soweit sie die streitigen Wirkstoffe sowie die sie enthaltenden Pflanzenschutzmittel erzeugen und vermarkten. Gleiches gilt für die Art. 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts, die rein akzessorisch zu Art. 1 sind, da sie Erläuterungen zu den Modalitäten seiner Durchführung durch die Mitgliedstaaten enthalten.

b)      Zu Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts

61      Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts verbietet, Saatgut der in Anhang II dieses Rechtsakts aufgeführten Kulturen, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen behandelt wurde, zu verkaufen oder zu verwenden (mit Ausnahme von Saatgut, das in Gewächshäusern verwendet wird). Dieses Verbot gilt nach Art. 5 des angefochtenen Rechtsakts ab dem 1. Dezember 2013. Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts ist unmittelbar anwendbar.

62      Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die von dem Verbot in Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts betroffenen Personen die Erzeuger und Händler von mit den streitigen Wirkstoffen behandeltem Saatgut sind, sowie die Landwirte, die dieses Saatgut verwenden möchten.

63      In der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2017 hat Syngenta auf eine Frage des Gerichts erklärt, ohne dass die Kommission dem widersprochen hätte, dass der Handel mit Saatgut, das mit Thiamethoxam enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt worden sei, einen bedeutenden Teil der Tätigkeit des Syngenta‑Konzerns ausmache. Folglich wirkt sich Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts, soweit er Thiamethoxam betrifft, unmittelbar auf die Rechtsstellung von Syngenta aus.

64      Hingegen hat Bayer in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2017 angegeben, dass sie selbst kein Saatgut vermarkte, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den von ihr vermarkteten Wirkstoffen Imidacloprid und Clothianidin behandelt worden sei. Zwar hat das Verbot der Verwendung und Vermarktung des behandelten Saatguts spürbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation von Bayer, da es ihr de facto nicht mehr möglich sein wird, Produkte zu verkaufen, deren Anwendung auf das Saatgut dazu führt, dass der Handel mit diesem Saatgut und seine Verwendung verboten sind. Diese Auswirkungen sind jedoch lediglich die wirtschaftliche Folge eines Verbots, das rechtlich nur die Saatguthersteller und die Landwirte und nicht Bayer selbst trifft. Daher sind diese Auswirkungen als mittelbar – da sie durch die eigenständigen Entscheidungen der Kunden von Bayer vermittelt werden – und als wirtschaftlicher Natur einzustufen, und nicht als unmittelbar und rechtlicher Natur. Denn dieses Verbot lässt, isoliert betrachtet, das Recht von Bayer unberührt, Pflanzenschutzmittel mit den Wirkstoffen Imidacloprid und Clothianidin zu vermarkten.

65      Insoweit ist daran zu erinnern, dass allein der Umstand, dass ein Rechtsakt wirtschaftliche Auswirkungen auf die Tätigkeit der klagenden Partei haben kann, nicht hinreicht, um davon auszugehen, dass er sie unmittelbar betrifft (Beschlüsse vom 18. Februar 1998, Comité d’entreprise de la Société française de production u. a./Kommission, T‑189/97, EU:T:1998:38, Rn. 48, und vom 1. Juni 2015, Polyelectrolyte Producers Group und SNF/Kommission, T‑573/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:365, Rn. 32; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 27. Juni 2000, Salamander u. a./Parlament und Rat, T‑172/98 und T‑175/98 bis T‑177/98, EU:T:2000:168, Rn. 62).

66      Folglich wirkt sich Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung von Bayer aus.

67      Im Ergebnis betreffen die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts unmittelbar Bayer, soweit sie die Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin betreffen, und Syngenta, soweit sie den Wirkstoff Thiamethoxam betreffen, während sein Art. 2 nur Syngenta unmittelbar betrifft, soweit er den Wirkstoff Thiamethoxam betrifft. Der Antrag von Bayer auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts ist daher unzulässig.

2.      Zur individuellen Betroffenheit der Klägerinnen

68      Soweit Bayer und Syngenta teilweise von dem angefochtenen Rechtsakt unmittelbar betroffen sind, ist sodann zu prüfen, ob sie individuell betroffen sind.

69      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Person, die nicht der Adressat einer Maßnahme ist, nur dann geltend machen kann, individuell im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV betroffen zu sein, wenn sie von dieser Maßnahme wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wird wie ein Adressat (Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, 197, S. 238, und Beschluss vom 26. November 2009, Região autónoma dos Açores/Rat, C‑444/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:733, Rn. 36).

a)      Zu den Wirkstoffen, für die die Klägerinnen den Antrag auf Genehmigung gestellt haben

70      Die Unionsgerichte haben mehrfach festgestellt, dass derjenige, der einen Antrag auf Genehmigung eines Wirkstoffs gestellt hat, der die Unterlagen eingereicht hat und am Bewertungsverfahren beteiligt gewesen ist, sowohl von dem den Wirkstoff bedingt genehmigenden Rechtsakt als auch von einem die Genehmigung ablehnenden Rechtsakt individuell betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07, EU:T:2009:299, Rn. 66, vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission, T‑420/05, EU:T:2009:391, Rn. 72, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 30). Dasselbe gilt grundsätzlich, wenn der in Rede stehende Rechtsakt die Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs widerruft oder einschränkt.

71      Im vorliegenden Fall steht fest, dass Bayer und die Syngenta Crop Protection AG jeweils die Anträge auf Genehmigung von Imidacloprid und Thiamethoxam gestellt haben, dass sie die Unterlagen eingereicht haben und am Bewertungsverfahren dieser beiden Wirkstoffe beteiligt gewesen sind und dass sie weiterhin Exklusivrechte an diesen Stoffen besitzen. Daher sind sie vom angefochtenen Rechtsakt jeweils in Bezug auf Imidacloprid und Thiamethoxam individuell betroffen, was die Kommission im Übrigen ausdrücklich anerkannt hat.

72      Bayer ist daher zur Anfechtung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts befugt, soweit sie Imidacloprid betreffen, und die Syngenta Crop Protection AG ist zur Anfechtung der Art. 1, 2, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts befugt, soweit sie Thiamethoxam betreffen.

b)      Zu den Wirkstoffen, für die die Klägerinnen nicht den Antrag auf Genehmigung gestellt haben

73      Die Kommission bestreitet, dass die Klägerinnen bezüglich der Wirkstoffe, für die der Antrag auf Genehmigung nicht von ihnen stamme, vom angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen seien. Das betreffe zum einen die Klagebefugnis von Bayer bezüglich des Wirkstoffs Clothianidin und zum anderen Bayer und die Syngenta Crop Protection AG hinsichtlich der Wirkstoffe, für die die andere Klägerin den Antrag auf Genehmigung gestellt habe.

1)      Zur individuellen Betroffenheit von Bayer betreffend Clothianidin

74      Die Kommission macht geltend, dass die Sumitomo Chemicals SA und nicht Bayer den Antrag auf Genehmigung von Clothianidin gestellt habe und dass Bayer daher vom angefochtenen Rechtsakt in Bezug auf diesen Wirkstoff nicht individuell betroffen sei.

75      In Anbetracht einer Reihe von in der Person von Bayer vorliegenden und von der Kommission nicht bestrittenen Umständen in Bezug auf die Rolle, die Bayer im Rahmen der Entwicklung von Clothianidin und bei der Vorbereitung der rechtlichen Unterlagen für die Genehmigung dieses Wirkstoffs gespielt hat, gewisse von ihr gehaltene geistige Eigentumsrechte an Clothianidin und ihre gleichberechtigte Teilnahme mit dem Genehmigungsantragsteller am Überprüfungsverfahren vor der EFSA ist festzustellen, dass Bayer sich in einer vergleichbaren tatsächlichen Situation befindet wie der Genehmigungsantragsteller. Daher ist Bayer aus den oben in Rn. 70 dargelegten Gründen als vom angefochtenen Rechtsakt hinsichtlich Clothianidin individuell betroffen anzusehen.

76      Folglich hat Bayer im Rahmen der vorliegenden Klage auch Klagebefugnis, soweit sie die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts in Bezug auf Clothianidin beanstandet.

2)      Zur individuellen Betroffenheit der Klägerinnen bezüglich der Wirkstoffe, für die die andere Klägerin den Antrag auf Genehmigung gestellt hat

77      Die Klägerinnen machen geltend, dass ihre Argumente weitgehend verfahrensrechtlicher Art seien und in gleicher Weise für die drei streitigen Wirkstoffe gälten und dass nicht ersichtlich sei, dass der angefochtene Rechtsakt in verschiedene Teile getrennt werden könnte, die für einen der Wirkstoffe gälten und für die anderen nicht.

78      Insoweit genügt der Hinweis, dass sich die Klagebefugnis der Klägerinnen auf die Teile des angefochtenen Rechtsakts beschränkt, die sie unmittelbar und individuell betreffen. Wie oben dargelegt sind die Klägerinnen vom angefochtenen Rechtsakt nur dann individuell betroffen, wenn sie den Antrag auf Genehmigung der streitigen Wirkstoffe gestellt haben oder wenn sie besondere Umstände nachweisen können, wie die für Bayer in Bezug auf Clothianidin festgestellten. Hingegen ist Bayer vom angefochtenen Rechtsakt nicht individuell betroffen, soweit er Thiamethoxam betrifft, und Syngenta ist von diesem Rechtsakt nicht individuell betroffen, soweit er Imidacloprid und Clothianidin betrifft.

79      Insoweit ist außerdem festzustellen, dass es entgegen der Ansicht der Klägerinnen möglich ist, den angefochtenen Rechtsakt in verschiedene Teile zu trennen, die die verschiedenen Wirkstoffe betreffen, und ihn gegebenenfalls in Bezug auf einen Wirkstoff, nicht aber in Bezug auf die anderen für nichtig zu erklären, falls er nur von einer Partei angefochten würde, die nicht hinsichtlich aller Wirkstoffe klagebefugt ist, oder der Nichtigkeitsgrund nur einen der Wirkstoffe beträfe.

3.      Zur Einstufung des angefochtenen Rechtsakts als Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht

80      Bayer macht geltend, dass der angefochtene Rechtsakt im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sei, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, so dass sie befugt sei, ihn auch hinsichtlich der Wirkstoffe anzufechten, für die sie nicht den Antrag auf Genehmigung gestellt habe, ohne eine individuelle Betroffenheit nachweisen zu müssen.

81      Die Kommission trägt in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vor, dass Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts für sich genommen oder in Verbindung mit den Art. 3 und 4 dieses Rechtsakts Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, während dies bei Art. 2 nicht der Fall sei.

a)      Zur Einstufung als Rechtsakt mit Verordnungscharakter

82      Nach der Rechtsprechung ist der Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ dahin zu verstehen, dass er Handlungen mit allgemeiner Geltung unter Ausschluss von Gesetzgebungsakten erfasst (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 60).

83      Zum einen ist der angefochtene Rechtsakt, wie oben in Rn. 54 dargelegt, eine Handlung mit allgemeiner Geltung.

84      Zum anderen ist die Rechtsgrundlage von Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009, der die Kommission ermächtigt, nach dem Verfahren von Art. 79 Abs. 3 dieser Verordnung eine Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zu verabschieden. Art. 79 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 verweist seinerseits auf Art. 5 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. 1999, L 184, S. 23).

85      Da der Beschluss 1999/468 mit Wirkung vom 1. März 2011 durch die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. 2011, L 55, S. 13) aufgehoben und ersetzt wurde, ist der Verweis in Art. 79 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 nunmehr gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 182/2011 dahin zu verstehen, dass er sich auf Art. 5 der Letzteren bezieht, der nach Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung insbesondere auf Durchführungsrechtsakte von allgemeiner Tragweite und sonstige Durchführungsrechtsakte in Bezug auf die Umwelt, Sicherheit oder den Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen angewendet wird.

86      Daraus folgt, dass Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts von der Kommission in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse im Rahmen des Prüfverfahrens erlassen worden ist und demnach keinen Gesetzgebungsakt im Sinne der aus dem Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (C‑583/11 P, EU:C:2013:625), hervorgegangenen Rechtsprechung darstellt. Im Übrigen macht Bayer insoweit keine Verfahrensfehler geltend.

87      Folglich ist Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts, der allgemeine Geltung hat und kein Gesetzgebungsakt ist, ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV.

b)      Zum Fehlen von Durchführungsmaßnahmen

88      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ist für die Beurteilung, ob ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, auf die Stellung der Person abzustellen, die sich auf ihre Klageberechtigung nach Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV beruft. Die Frage, ob der fragliche Rechtsakt Durchführungsmaßnahmen im Hinblick auf andere Personen nach sich zieht, spielt deshalb keine Rolle (Urteil vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 30).

89      Im vorliegenden Fall verpflichtet allerdings, wie oben in Rn. 59 dargelegt, die in Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts vorgesehene Änderung des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit den streitigen Wirkstoffen erteilt haben, diese nach Art. 4 des angefochtenen Rechtsakts bis spätestens 30. November 2013 zu ändern oder zu widerrufen. Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts zieht somit Durchführungsmaßnahmen nach sich.

90      Diese Schlussfolgerung wird durch den mechanischen Charakter der auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen nicht in Frage gestellt. Diese Frage ist nämlich für die Feststellung, ob ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV nach sich zieht, nicht relevant (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 41 und 42).

91      Daraus folgt, dass Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts für sich genommen oder in Verbindung mit den Art. 3 und 4 (vgl. oben, Rn. 60) keine Handlung mit allgemeiner Geltung, die keine Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV nach sich zieht, darstellt.

92      Die Zulässigkeit der vorliegenden Klagen kann daher, soweit sie die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts betreffen, hinsichtlich der Wirkstoffe, für die nicht Bayer und die Syngenta Crop Protection AG den Antrag auf Genehmigung gestellt haben, nicht auf diese Bestimmung gestützt werden.

4.      Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T451/13, soweit sie von den Klägerinnen außer der Syngenta Crop Protection AG erhoben wurde

93      In der Rechtssache T‑451/13 zweifelt die Kommission an der individuellen Betroffenheit der Klägerinnen außer der Syngenta Crop Protection AG, die nicht den Antrag auf Genehmigung des Wirkstoffs Thiamethoxam gestellt hätten und die allenfalls Inhaber nationaler Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln seien. Da die in Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts definierten Verwendungsbeschränkungen Durchführungsmaßnahmen nach sich zögen, könnten sie sich jedenfalls nicht auf den letzten Teil von Art. 263 Abs. 4 AEUV berufen.

94      Syngenta hat zu diesem Vorbringen nicht Stellung genommen.

95      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie oben in Rn. 72 festgestellt, die Syngenta Crop Protection AG hinsichtlich des Antrags auf Nichtigerklärung der Art. 1 bis 4 des angefochtenen Rechtsakts, soweit sie den Wirkstoff Thiamethoxam betreffen, klagebefugt ist.

96      Unter diesen Umständen braucht bei einer gemeinsamen Klage die Klagebefugnis der anderen Klägerinnen nicht geprüft zu werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. März 1993, CIRFS u. a./Kommission, C‑313/90, EU:C:1993:111, Rn. 31, vom 6. Juli 1995, AITEC u. a./Kommission, T‑447/93 bis T‑449/93, EU:T:1995:130, Rn. 82, sowie vom 8. Juli 2003, Verband der freien Rohrwerke u. a./Kommission, T‑374/00, EU:T:2003:188, Rn. 57).

97      Außerdem geht aus den Akten nicht hervor, dass aus Sicht der anderen Klägerinnen als der Syngenta Crop Protection AG ihre Klage in größerem Umfang zulässig wäre als die der Letzteren.

98      Daher ist in der Rechtssache T‑451/13 die Klagebefugnis der anderen Klägerinnen als der Syngenta Crop Protection AG nicht zu prüfen.

5.      Zusammenfassung zur Zulässigkeit

99      Im Ergebnis ist die Klage in der Rechtssache T‑429/13 zulässig, soweit Bayer die Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts hinsichtlich der Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin beantragt. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.

100    Die Klage in der Rechtssache T‑451/13 ist zulässig, soweit Syngenta die Nichtigerklärung der Art. 1 bis 4 des angefochtenen Rechtsakts hinsichtlich des Wirkstoffs Thiamethoxam beantragt. Im Übrigen ist die Klage unzulässig.

B.      Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts

1.      Vorbemerkungen

101    In den beiden Rechtssachen rügen die Klägerinnen einen Verstoß gegen Art. 4, Art. 12 Abs. 2 und die Art. 21 und 49 sowie Anhang II Punkt 3.8.3 der Verordnung Nr. 1107/2009, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes, der Wahrung der Verteidigungsrechte, der Vorsorge, der Verhältnismäßigkeit und der ordnungsgemäßen Verwaltung sowie einen Verstoß gegen das Eigentumsrecht und die unternehmerische Freiheit.

102    Außerdem beruft sich Syngenta in der Rechtssache T‑451/13 vorab auf das „Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage des angefochtenen Rechtsakts“. Mit dieser Rüge macht sie geltend, dass die wissenschaftliche Grundlage des angefochtenen Rechtsakts mehrere grundlegende Probleme aufwerfe. Diese Mängel stellten offensichtliche Fehler dar und führten zu einem Verstoß gegen zahlreiche unionsrechtliche Vorschriften, die im Rahmen der anderen von ihr erhobenen Klagegründe genau dargelegt würden.

103    Diese von Syngenta erhobene Rüge weist Querschnittscharakter auf, da sie im Rahmen einiger anderer von ihr geltend gemachter Klagegründe relevant sein könnte, insbesondere derjenigen, die Verstöße gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009, und derjenigen, die Verstöße gegen die Grundsätze der Vorsorge und der Verhältnismäßigkeit betreffen. Diese Rüge stellt daher nur bestimmte Argumente getrennt und vorab dar, die Syngenta gegen die wissenschaftlichen Grundlagen des angefochtenen Rechtsakts anführt und die für mehrere der von ihr vorgebrachten Klagegründe relevant sind.

104    Unter diesen Umständen wird diese Rüge im Folgenden nicht getrennt und vorab behandelt, sondern im Rahmen der anderen Klagegründe von Syngenta berücksichtigt, auf die sie sich bezieht.

2.      Allgemeine Erwägungen

105    Nach Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 ist Ziel dieser Verordnung die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt und das bessere Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion.

106    Die Vorgabe der Erhaltung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt durch die Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgt in Anwendung von Art. 11 AEUV und Art. 114 Abs. 3 AEUV. Gemäß Art. 11 AEUV müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und ‑maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden. Zur Konkretisierung dieser Verpflichtung bestimmt Art. 114 Abs. 3 AEUV, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, u. a. im Bereich Umweltschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt und dass im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union dieses Ziel ebenfalls anstreben. Dieser Schutz der Umwelt hat vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 143, vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 85, sowie vom 12. Dezember 2014, Xeda International/Kommission, T‑269/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1069, Rn. 138).

107    Außerdem sollte nach dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 das Vorsorgeprinzip angewandt werden und mit dieser Verordnung sichergestellt werden, dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben.

108    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in der Verordnung Nr. 1107/2009 (und davor der Richtlinie 91/414) für Pflanzenschutzmittel und ihre Wirkstoffe vorgesehenen Verfahren der vorherigen Zulassung und Genehmigung Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts sind, nämlich des Vorsorgegrundsatzes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 133).

a)      Zum Vorsorgeprinzip

1)      Definition

109    Der Vorsorgegrundsatz stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der die betroffenen Behörden verpflichtet, im genauen Rahmen der Ausübung der ihnen durch die einschlägige Regelung zugewiesenen Befugnisse geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, indem sie den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen (vgl. Urteile vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 121 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 183 und 184).

110    Wenn wissenschaftliche Ungewissheiten in Bezug auf das Vorliegen und den Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt bestehen, können die Organe nach dem Vorsorgegrundsatz Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, bis das tatsächliche Vorliegen und die Schwere dieser Gefahren in vollem Umfang nachgewiesen sind oder bis die nachteiligen Wirkungen für die Gesundheit eintreten (vgl. Urteile vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

111    Innerhalb des Verfahrens, das mit dem Erlass geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung bestimmter potenzieller Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt aufgrund des Vorsorgeprinzips durch ein Organ endet, lassen sich drei aufeinanderfolgende Schritte unterscheiden: erstens die Ermittlung der potenziell abträglichen Wirkungen, die sich aus einem Vorgang ergeben, zweitens die Bewertung der mit diesem Vorgang verbundenen Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und drittens, wenn die ermittelten potenziellen Gefahren die Schwelle der gesellschaftlichen Akzeptanz überschreiten, das Risikomanagement durch den Erlass geeigneter Schutzmaßnahmen. Während der erste dieser Schritte keiner näheren Erläuterung bedarf, verdienen die beiden weiteren eine nähere Betrachtung.

2)      Bewertung der Gefahren

112    Die Bewertung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt besteht für das Organ, das sich mit potenziell abträglichen Wirkungen eines Vorgangs konfrontiert sieht, in der wissenschaftlichen Einschätzung dieser Gefahren und der Feststellung, ob diese die gesellschaftliche Akzeptanz überschreiten. Damit die Organe eine solche Einschätzung der Gefahren vornehmen können, müssen sie daher zum einen über eine wissenschaftliche Bewertung der Gefahren verfügen und zum anderen das Gefahrenniveau festlegen, das für die Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erscheint (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 137 und die dort angeführte Rechtsprechung).

i)      Zur wissenschaftlichen Bewertung

113    Die wissenschaftliche Risikobewertung ist ein wissenschaftliches Verfahren, mit dem so weit wie möglich eine Gefahr ermittelt und beschrieben, die Exposition bewertet und das Risiko bestimmt wird (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung).

114    In ihrer Mitteilung KOM(2000) 1 endgültig über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips vom 2. Februar 2000 (im Folgenden: Mitteilung über das Vorsorgeprinzip) hat die Kommission diese vier Grundbestandteile einer wissenschaftlichen Risikobewertung wie folgt beschrieben (vgl. Anhang III dieser Mitteilung):

„Gefahrenermittlung bedeutet, die biologischen und chemischen Agenzien oder physikalischen Einwirkungen, die negative Auswirkungen haben können, zu identifizieren. …

Bei der Gefahrenbeschreibung werden Eigenart und Schweregrad der mit den ursächlichen Agenzien oder Tätigkeiten verbundenen negativen Auswirkungen quantitativ und/oder qualitativ bestimmt. …

Die Abschätzung des Risikos besteht aus einer quantitativen oder qualitativen Bestimmung der Wahrscheinlichkeit, mit dem untersuchten Agens in Berührung zu kommen. …

Die Risikobeschreibung entspricht der qualitativen und/oder quantitativen Schätzung (unter Berücksichtigung inhärenter Ungewissheiten) der Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit sowie des Schweregrads bekannter oder möglicher umwelt- oder gesundheitsschädigender Wirkungen. Sie wird auf der Grundlage der drei vorgenannten Stufen erstellt und hängt stark von den in jedem einzelnen Stadium des Verfahrens berücksichtigten Unsicherheiten, Schwankungen, Arbeitshypothesen und Annahmen ab. Wenn die verfügbaren Daten nicht ausreichen oder keine eindeutigen Schlüsse zulassen, könnte ein vorsichtiger Ansatz zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit und der Sicherheit darin bestehen, immer vom ungünstigsten Fall auszugehen. Häufen sich solche Annahmen, kann dies zu einer Überbewertung des tatsächlichen Risikos führen. Ein solches Vorgehen bietet aber auch eine gewisse Gewähr dafür, dass das Risiko nicht unterschätzt wird.“

115    Da es sich um ein wissenschaftliches Verfahren handelt, muss das Organ die wissenschaftliche Risikobewertung wissenschaftlichen Experten übertragen (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 157, vom 11. September 2002, Alpharma/Rat, T‑70/99, EU:T:2002:210, Rn. 170, und vom 9. September 2011, Frankreich/Kommission, T‑257/07, EU:T:2011:444, Rn. 73).

116    Von einer wissenschaftlichen Risikobewertung kann nicht verlangt werden, dass sie den Organen zwingende wissenschaftliche Beweise für das tatsächliche Vorliegen des Risikos und die Schwere der potenziellen nachteiligen Wirkungen im Fall seiner Verwirklichung liefert. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips erfolgt nämlich definitionsgemäß in einem Kontext wissenschaftlicher Unsicherheit. Außerdem darf eine vorbeugende Maßnahme oder umgekehrt ihre Rücknahme oder Abschwächung nicht von dem Nachweis abhängig gemacht werden, dass keinerlei Risiken bestehen, weil ein solcher Nachweis im Allgemeinen aus wissenschaftlicher Sicht nicht erbracht werden kann, da es in der Praxis ein Risikoniveau „null“ nicht gibt (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 140; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat, T‑392/02, EU:T:2003:277, Rn. 130). Eine vorbeugende Maßnahme darf indessen nicht mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf wissenschaftlich noch nicht verifizierte bloße Vermutungen gestützt ist (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 142 und 143, sowie vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 140; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 161).

117    Die Risikobewertung muss nämlich auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten beruhen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 141 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass sich eine vollständige wissenschaftliche Risikobewertung wegen der Unzulänglichkeit der verfügbaren wissenschaftlichen Daten als unmöglich erweisen kann. Dies kann indessen die zuständige Behörde nicht daran hindern, aufgrund des Vorsorgeprinzips vorbeugende Maßnahmen zu treffen. In diesem Fall müssen die wissenschaftlichen Experten trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Ungewissheit eine wissenschaftliche Risikobewertung vornehmen, die der zuständigen öffentlichen Stelle eine so zuverlässige und fundierte Information vermittelt, dass diese Stelle die volle Tragweite der aufgeworfenen wissenschaftlichen Frage erfassen und ihre Politik in Kenntnis der Sachlage bestimmen kann (Urteil vom 9. September 2011, Frankreich/Kommission, T‑257/07, EU:T:2011:444, Rn. 77; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 160 bis 163, und vom 11. September 2002, Alpharma/Rat, T‑70/99, EU:T:2002:210, Rn. 173 bis 176).

119    Wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, wenn sie objektiv und nicht diskriminierend sind (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 142 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Urteil des EFTA‑Gerichtshofs vom 5. April 2001, EFTA Surveillance Authority/Norway, E‑3/00, EFTA Court Report 2000-2001, S. 73, Rn. 31).

120    Mithin kann eine vorbeugende Maßnahme nur dann getroffen werden, wenn das Risiko, ohne dass seine Existenz und sein Umfang durch zwingende wissenschaftliche Daten in vollem Umfang nachgewiesen worden wären, auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Maßnahme verfügbaren wissenschaftlichen Daten gleichwohl hinreichend dokumentiert erscheint (vgl. Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

121    In einem solchen Zusammenhang entspricht somit der Begriff „Risiko“ dem Grad der Wahrscheinlichkeit nachteiliger Wirkungen für das von der Rechtsordnung geschützte Gut aufgrund der Zulassung bestimmter Maßnahmen oder bestimmter Verfahren. Dagegen wird der Begriff „Gefahr“ gemeinhin in einem weiteren Sinne verwendet und bezeichnet jedes Produkt oder Verfahren, das eine nachteilige Wirkung für die menschliche Gesundheit oder jedes andere von der Rechtsordnung geschützte Gut haben kann (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 144; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 147, sowie vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 147).

ii)    Zur Bestimmung des als nicht hinnehmbar angesehenen Risikoniveaus

122    Die Bestimmung des Risikoniveaus, das für die Gesellschaft nicht hinnehmbar  erscheint, steht, unter Wahrung der einschlägigen Rechtsvorschriften, den Organen zu, die für die in der Festlegung des für diese Gesellschaft angemessenen Schutzniveaus bestehende politische Entscheidung zuständig sind. Diese Organe haben die kritische Schwelle für die Wahrscheinlichkeit nachteiliger Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt und für die Schwere dieser potenziellen Wirkungen festzulegen, die ihnen für diese Gesellschaft nicht mehr hinnehmbar erscheint und bei deren Überschreitung im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt trotz der verbleibenden wissenschaftlichen Ungewissheit der Rückgriff auf vorbeugende Maßnahmen erforderlich wird (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 145; vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 11. Juli 2000, Toolex, C‑473/98, EU:C:2000:379, Rn. 45, und vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 150 und 151).

123    Bei der Bestimmung des für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erscheinenden Risikoniveaus sind die Organe durch ihre Pflicht zur Sicherstellung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt gebunden. Dieses hohe Schutzniveau muss nicht unbedingt auf das in technischer Hinsicht Höchstmögliche abzielen, um mit Art. 114 Abs. 3 AEUV vereinbar zu sein (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 146; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 14. Juli 1998, Safety Hi-Tech, C‑284/95, EU:C:1998:352, Rn. 49). Außerdem dürfen diese Organe keine rein hypothetische Betrachtung des Risikos vornehmen und ihre Entscheidungen nicht auf ein „Nullrisiko“ ausrichten (Urteile vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 152, und vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 146).

124    Die Bestimmung des als für die Gesellschaft nicht hinnehmbar angesehenen Risikoniveaus hängt von der Beurteilung der besonderen Umstände jedes Einzelfalls durch die zuständige öffentliche Stelle ab. Insoweit kann die betreffende Stelle insbesondere die Schwere der Auswirkungen, die der Eintritt dieses Risikos auf die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt hat, einschließlich des Umfangs der möglichen nachteiligen Wirkungen, die Dauer, die Reversibilität oder die möglichen Spätfolgen dieser Schäden sowie die mehr oder weniger konkrete Wahrnehmung des Risikos nach dem Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 147; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 153).

3)      Risikomanagement

125    Das Risikomanagement umfasst die Gesamtheit der Maßnahmen eines mit einem Risiko konfrontierten Organs, die dieses auf ein für die Gesellschaft hinnehmbar erscheinendes Niveau zurückführen sollen, wie es seiner Pflicht aufgrund des Vorsorgeprinzips zur Gewährleistung eines hohen Niveaus des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt entspricht (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 148).

126    Diese Maßnahmen umfassen den Erlass vorläufiger Maßnahmen, die verhältnismäßig, frei von Diskriminierung, transparent und im Vergleich zu entsprechenden bereits erlassenen Maßnahmen kohärent sein müssen (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 149; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 1. April 2004, Bellio F.lli, C‑286/02, EU:C:2004:212, Rn. 59).

b)      Zur Überprüfung eines in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 aufgenommenen Wirkstoffs

127    Wie oben in den Rn. 12 und 13 dargelegt, wurden die streitigen Wirkstoffe nach der von der Richtlinie 91/414 vorgesehenen Regelung gemäß den zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Voraussetzungen genehmigt und sind nunmehr in Teil A des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 aufgeführt.

128    Da die Überprüfung ihrer Genehmigung durch die Kommission nach der Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgte, ist insoweit zu berücksichtigen, dass sich die spezifischen Erfordernisse für die Genehmigung der Wirkstoffe mit dem Erlass dieser Verordnung weiterentwickelt haben.

1)      Zu den ursprünglichen Kriterien für die Aufnahme nach der Richtlinie 91/414

129    Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 musste für die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I dieser Richtlinie nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse angenommen werden können, dass die Anwendung der diesen Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmittel gemäß guter Pflanzenschutzpraxis und die dabei entstandenen Rückstände keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier oder keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt hatten.

130    Das Gericht hat bereits entschieden, dass sich aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 in Verbindung mit dem Vorsorgegrundsatz ergibt, dass, wenn es um die menschliche Gesundheit geht, das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, der Aufnahme dieses Stoffes in Anhang I dieser Richtlinie grundsätzlich entgegensteht (Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 161). Diese Erwägungen sind auf die anderen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 geschützten Interessen (die mit den nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 geschützten übereinstimmen), insbesondere die Tiergesundheit und die Umwelt, entsprechend anwendbar.

131    Nach der Rechtsprechung hat jedoch Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 91/414, wonach die Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I dieser Richtlinie von bestimmten Anwendungsbeschränkungen abhängig gemacht werden kann, auch zur Folge, dass Wirkstoffe, die nicht die Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie erfüllen, dann aufgenommen werden können, wenn bestimmte Beschränkungen angeordnet werden, die die problematischen Anwendungen des betreffenden Wirkstoffs ausschließen. Da sich Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 als eine Abschwächung von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt, ist er im Licht des Vorsorgegrundsatzes auszulegen. Demzufolge muss vor der Aufnahme eines Wirkstoffs in diesen Anhang ohne jeden vernünftigen Zweifel feststehen, dass die Anwendungsbeschränkungen für den betreffenden Wirkstoff eine Verwendung dieses Wirkstoffs ermöglichen, die den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie entspricht (Urteil vom 11. Juli 2007, Schweden/Kommission, T‑229/04, EU:T:2007:217, Rn. 169 und 170).

132    Schließlich muss nach der Rechtsprechung im Rahmen der Regelung nach der Richtlinie 91/414 der Antragsteller nachweisen, dass auf der Grundlage der für eine oder mehrere Zubereitungen und für einen begrenzten Bereich repräsentativer Anwendungen vorgelegten Angaben die Bedingungen für die Genehmigung erfüllt sind (Urteil vom 12. April 2013, Du Pont de Nemours [France] u. a./Kommission, T‑31/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:167, Rn. 154).

2)      Zur Änderung der Genehmigungskriterien durch die Verordnung Nr. 1107/2009

133    Aus einem Vergleich von Art. 5 der Richtlinie 91/414 (vgl. oben, Rn. 3) mit Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 7) geht hervor, dass im Rahmen der Ersetzung der Richtlinie 91/414 durch die Verordnung Nr. 1107/2009 die allgemeinen Kriterien und Voraussetzungen für die Genehmigung neu und detaillierter formuliert wurden, ohne dass dies zwangsläufig zu einer Verschärfung dieser Kriterien und Voraussetzungen in der Sache geführt hat.

134    Außerdem haben sich die einheitlichen Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die u. a. die Schwellenwerte der Gefährdungsquotienten bei Exposition auf oralem Weg und durch Kontakt bestimmen, mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht wesentlich geändert (vgl. oben, Rn. 8).

135    Die Verordnung Nr. 1107/2009 hat jedoch neue spezifische Erfordernisse für die Genehmigung der Wirkstoffe eingeführt, wie u. a. Punkt 3.8.3 des Anhangs II dieser Verordnung (vgl. oben, Rn. 10), der besondere Anforderungen in Bezug auf die Exposition von Bienen und akute oder chronische Auswirkungen auf Überleben und Entwicklung von Bienenvölkern enthält. Ein Vergleich zwischen diesem Kriterium und der früheren Regelung, insbesondere Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414, ergibt, dass die Anforderungen hinsichtlich des Nichtbestehens von unannehmbaren Auswirkungen auf Bienen mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 erheblich strenger geworden sind, da nunmehr ausdrücklich verlangt wird, dass die Exposition von Bienen gegenüber dem in Rede stehenden Wirkstoff nur „vernachlässigbar“ ist oder dass seine Verwendung „unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Honigbienenlarven und das Verhalten von Honigbienen keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat“.

136    Der zehnte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 sieht vor, dass bei vor ihrem Inkrafttreten bereits genehmigten Wirkstoffen die von der Verordnung Nr. 1107/2009 harmonisierten Kriterien zum Zeitpunkt der Erneuerung oder der Überprüfung der Genehmigung angewendet werden sollten. Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe, die nach der Richtlinie 91/414 genehmigt wurden, nach den Kriterien und Bedingungen der Verordnung Nr. 1107/2009 zu erfolgen hat.

3)      Zur Beweislast

137    Aus dem Wortlaut und der Systematik der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009 geht schließlich hervor, dass der Genehmigungsantragsteller grundsätzlich die Beweislast dafür trägt, dass die Bedingungen für die Genehmigung nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt sind, wie es in der Richtlinie 91/414 ausdrücklich vorgesehen war (vgl. oben, Rn. 132).

138    Insbesondere heißt es im achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009, dass mit dieser Verordnung „sichergestellt werden [sollte], dass die Industrie den Nachweis erbringt, dass Stoffe oder Produkte, die erzeugt oder in Verkehr gebracht werden, … keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben“. Ebenso sieht der zehnte Erwägungsgrund vor, dass Stoffe nur dann in Pflanzenschutzmitteln angewandt werden sollten, „wenn nachgewiesen ist“, dass sie u. a. voraussichtlich keine unannehmbaren Folgen für die Umwelt haben.

139    Außerdem verlangt Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009, der die Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe enthält (vgl. oben, Rn. 7), dass „zu erwarten“ sein muss, dass Pflanzenschutzmittel, die einen Wirkstoff enthalten, die Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 dieses Artikels erfüllen, die ihrerseits fordern, dass diese Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände die im Folgenden aufgeführten Anforderungen erfüllen. Nach dem Grundsatz, dass die Partei, die sich auf eine Rechtsvorschrift beruft, nachzuweisen hat, dass die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind, ergibt sich daraus, dass der Antragsteller, um die Genehmigung zu erlangen, nachzuweisen hat, dass die Bedingungen für die Genehmigung erfüllt sind, und nicht die Kommission den Nachweis zu erbringen hat, dass die Bedingungen für die Genehmigung nicht erfüllt sind, um sie verweigern zu können.

140    Wie jedoch die Klägerinnen in den mündlichen Verhandlungen geltend gemacht haben, ist es im Rahmen einer Überprüfung vor dem Ende des Genehmigungszeitraums Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die Bedingungen für die Genehmigung nicht mehr erfüllt sind. Die Partei, die sich auf eine Rechtsvorschrift – hier Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 – beruft, hat nämlich nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass bei wissenschaftlicher Ungewissheit vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines auf der Ebene der Union genehmigten Wirkstoffs eine Vorsorgemaßnahme rechtfertigen können, keiner Umkehr der Beweislast gleichkommt (vgl. entsprechend Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 191).

141    Die Kommission kommt ihrer Beweislast jedoch nach, wenn sie nachweist, dass die bei der ursprünglichen Genehmigung getroffene Feststellung, dass die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt waren, durch spätere rechtliche oder technische Entwicklungen hinfällig geworden ist.

142    Daher kommt die Kommission der ihr obliegenden Beweislast im Hinblick auf Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 rechtlich hinreichend nach, wenn sie nachweisen kann, dass in Anbetracht einer Änderung des Regelungsrahmens, die zu einer Verschärfung der Bedingungen für die Genehmigung geführt hat, die im Rahmen der für die ursprüngliche Genehmigung durchgeführten Studien generierten Daten unzureichend waren, um sämtliche Risiken für Bienen im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Wirkstoff, z. B. zu bestimmten Expositionswegen, abzubilden. Das Vorsorgeprinzip gebietet nämlich, die Genehmigung eines Wirkstoffs aufzuheben oder zu ändern, wenn neue Daten vorliegen, die den früheren Schluss widerlegen, dieser Wirkstoff erfülle die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009. In diesem Zusammenhang kann sich die Kommission darauf beschränken, im Einklang mit den allgemeinen Beweislastregeln ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel am Umstand erlauben, dass der in Rede stehende Wirkstoff diese Genehmigungskriterien erfüllt (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283, Rn. 192).

c)      Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle

143    Damit die Kommission die ihr von der Verordnung Nr. 1107/2009 gesetzten Ziele (vgl. oben, Rn. 105 bis 107) wirksam verfolgen kann und im Hinblick darauf, dass sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, ist ihr ein weites Ermessen zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 74 und 75, und vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 38). Das gilt u. a. für die Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements, die sie nach dieser Verordnung zu treffen hat.

144    Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Unionsrichter nämlich im Rahmen dieser Kontrolle feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (Urteile vom 25. Januar 1979, Racke, 98/78, EU:C:1979:14, Rn. 5, vom 22. Oktober 1991, Nölle, C‑16/90, EU:C:1991:402, Rn. 12, und vom 9. September 2008, Bayer CropScience u. a./Kommission, T‑75/06, EU:T:2008:317, Rn. 83).

145    Hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens eines offenkundigen Beurteilungsfehlers durch den Unionsrichter ist darauf hinzuweisen, dass ein die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigender offensichtlicher Irrtum der Kommission bei der Würdigung komplexer Tatsachen nur festgestellt werden kann, wenn die vom Kläger vorgebrachten Beweise ausreichen, um die Sachverhaltswürdigung im Rechtsakt als nicht plausibel erscheinen zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 1996, AIUFFASS und AKT/Kommission, T‑380/94, EU:T:1996:195, Rn. 59, und vom 1. Juli 2004, Salzgitter/Kommission, T‑308/00, EU:T:2004:199, Rn. 138, in diesem Punkt nicht aufgehoben durch das Urteil vom 22. April 2008, Kommission/Salzgitter, C‑408/04 P, EU:C:2008:236). Abgesehen von dieser Plausibilitätskontrolle darf das Gericht seine Beurteilung komplexer Tatsachen nicht an die Stelle der Beurteilung des Organs setzen, das den Rechtsakt erlassen hat (Urteil vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 152; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 15. Oktober 2009, Enviro Tech [Europe], C‑425/08, EU:C:2009:635, Rn. 47).

146    Außerdem kommt der Kontrolle der Einhaltung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung für Verwaltungsverfahren vorsieht, in Fällen, in denen ein Organ über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, wesentliche Bedeutung zu. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass zu diesen Garantien u. a. die Verpflichtung des zuständigen Organs gehört, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidung hinreichend zu begründen (Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, EU:C:1991:438, Rn. 14, vom 7. Mai 1992, Pesquerias De Bermeo und Naviera Laida/Kommission, C‑258/90 und C‑259/90, EU:C:1992:199, Rn. 26, sowie vom 6. November 2008, Niederlande/Kommission, C‑405/07 P, EU:C:2008:613, Rn. 56).

147    So wurde bereits entschieden, dass die Vornahme einer möglichst erschöpfenden wissenschaftlichen Risikobewertung auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten, die auf den Grundsätzen der höchsten Fachkompetenz, der Transparenz und der Unabhängigkeit beruhen, eine wichtige Verfahrensgarantie zur Gewährleistung der wissenschaftlichen Objektivität der Maßnahmen und zur Verhinderung des Erlasses willkürlicher Maßnahmen darstellt (Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 172).

3.      Zu den Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009

148    Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, dass die Kommission nicht das Recht gehabt habe, die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zu überprüfen, da die insoweit in Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 angeführten Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien.

149    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

150    Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 (oben in Rn. 9 angeführt) ist wie folgt aufgebaut.

151    Abs. 1 bestimmt, dass die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit, entweder von Amts wegen oder auf Antrag eines Mitgliedstaats, überprüfen kann. Nach Unterabs. 2 dieses Absatzes informiert die Kommission, wenn sie beschließt, eine Überprüfung vorzunehmen, die Mitgliedstaaten, die EFSA und den Hersteller des in Rede stehenden Wirkstoffs, wobei sie dem Hersteller eine Frist für eine Stellungnahme einräumt.

152    Abs. 2 sieht vor, dass die Kommission im Rahmen der Überprüfung die Mitgliedstaaten und die EFSA um eine Stellungnahme oder um wissenschaftliche oder technische Unterstützung ersuchen kann, und regelt die von den Letzteren einzuhaltenden Fristen.

153    Nach Abs. 3 schlägt schließlich die Kommission, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind, den Erlass einer Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung gemäß dem Komitologieverfahren nach Art. 79 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 vor.

a)      Zur Schwelle für die Anwendung vonArt. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009

154    Die Klägerinnen haben zur Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht spezifisch Stellung genommen, da sie in ihrem Vorbringen nicht streng zwischen den Voraussetzungen für die Anwendung von Abs. 1 und von Abs. 3 dieses Artikels unterscheiden. Syngenta räumt allerdings ein, dass Art. 21 Abs. 1 der Kommission gestattet, neue Informationen zu prüfen, die Anlass zur Besorgnis geben könnten. Bayer und Syngenta bestreiten jedoch, dass die Studien vom März 2012 solche Informationen darstellten. Sie machen insbesondere geltend, dass es keine neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 gebe, die darauf hindeuteten, dass die streitigen Wirkstoffe die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllten.

155    Die ECPA als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen trägt u. a. vor, dass das Erfordernis der „Neuheit“ der in Rede stehenden wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse nicht in erster Linie zeitlich zu verstehen sei, sondern als ein qualitatives Erfordernis.

156    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

157    Erstens ist festzustellen, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 ergibt, dass die Schwelle für die Anwendung seines Abs. 1 niedriger ist als diejenige für die Anwendung seines Abs. 3.

158    Zunächst sieht Art. 21 Abs. 1 erster Satz vor, dass die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs „jederzeit“ überprüfen kann. Selbst wenn die Umsetzung dieser sehr allgemeinen Ermächtigung in der Folge an gewisse Bedingungen geknüpft wird, weist die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung darauf hin, dass er nicht davon ausging, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs demjenigen, der die Genehmigung beantragt hat, einen besonderen Schutz gegen die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens einräumen müsste.

159    Während außerdem Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 eine Überprüfung u. a. vorsieht, wenn „es nach Ansicht der Kommission … Anzeichen dafür [gibt], dass der Stoff die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt“, verlangt Abs. 3 dieses Artikels, dass die Kommission „zu dem Schluss [gekommen sein muss], dass die Genehmigungskriterien des Artikels 4 nicht mehr erfüllt sind“, damit eine Verordnung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung erlassen werden kann. Schon der Wortlaut von Art. 21 weist daher darauf hin, dass die Schwelle für die Anwendung von Abs. 1 niedriger ist als diejenige für die Anwendung von Abs. 3.

160    Dies steht im Einklang mit der oben in den Rn. 150 bis 153 dargestellten Systematik von Art. 21. Das Überprüfungsverfahren soll nämlich der Kommission gerade für den Fall des Zutagetretens neuer wissenschaftlicher Kenntnisse, die darauf hindeuten, dass der in Rede stehende Wirkstoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllen könnte, die Prüfung ermöglichen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Es widerspräche daher jeder Logik, denselben Grad der Gewissheit für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens wie für die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung zu verlangen.

161    Zweitens ist zur konkreten Definition der Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 zum einen darauf hinzuweisen, dass die Interessen derjenigen, die den Antrag auf Genehmigung der betreffenden Wirkstoffe gestellt haben, durch den Umstand geschützt sind, dass die Genehmigung tatsächlich nur aufgehoben oder geändert werden kann, wenn nach einem Überprüfungsverfahren festgestellt wird, dass die Bedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllt sind. Zum anderen muss die Kommission, um feststellen zu können, ob dies der Fall ist, insbesondere unter Berücksichtigung des von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziels (vgl. oben, Rn. 105 bis 107) selbst dann eine Prüfung einleiten können, wenn der Grad des durch die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse erweckten Zweifels nur relativ schwach ist.

162    Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass die Kommission in ihrer Beurteilung völlig frei wäre. Wie nämlich die ECPA zu Recht ausgeführt hat, kann der Begriff „neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse“ nicht ausschließlich in zeitlicher Hinsicht verstanden werden, sondern er umfasst auch eine qualitative Komponente, die im Übrigen sowohl an das Adjektiv „neu“ als auch an das Adjektiv „wissenschaftlich“ anknüpft. Daraus folgt, dass die Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht erreicht wird, wenn die „neuen Kenntnisse“ nur schlichte Wiederholungen von früheren Kenntnissen, neue Vermutungen ohne solide Grundlage sowie politische Erwägungen ohne Anknüpfung an die Wissenschaft betreffen. Letztlich müssen die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ somit für die Beurteilung des Fortbestehens der Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 von tatsächlicher Relevanz sein.

163    Schließlich ist drittens auch die Definition des Standes der früheren wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu klären, da die Neuheit der neuen Kenntnisse nur gegenüber einem vorigen Stand beurteilt werden kann. Insoweit kann der frühere Kenntnisstand nicht der unmittelbar vor der Veröffentlichung der neuen Kenntnisse bestehende sein, sondern vielmehr derjenige im Zeitpunkt der vorigen Bewertung der Risiken des betreffenden Wirkstoffs. Zum einen stellt nämlich diese vorige Bewertung einen festen Referenzwert dar, da sie eine Zusammenfassung der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Kenntnisse enthält. Zum anderen wäre es, wenn sich die Neuheit der Kenntnisse auf den Kenntnisstand unmittelbar vor ihrer Veröffentlichung bezöge, nicht möglich, einer schrittweisen Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse Rechnung zu tragen, bei der nicht jeder Schritt zwangsläufig für sich genommen besorgniserregend ist, die aber in ihrer Gesamtheit Anlass zur Besorgnis geben kann.

164    Im Ergebnis ist es daher, damit die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 überprüfen kann, hinreichend, dass neue Studien vorliegen (nämlich Studien, die von der EFSA oder der Kommission im Rahmen einer vorigen Bewertung des in Rede stehenden Wirkstoffs noch nicht berücksichtigt wurden), deren Ergebnisse gegenüber den bei der vorigen Bewertung verfügbaren Kenntnissen Besorgnis in Bezug auf die Frage erregen, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt sind, ohne dass es erforderlich ist, zu diesem Zeitpunkt zu prüfen, ob diese Besorgnis tatsächlich begründet ist, da diese Feststellung der Überprüfung selbst vorbehalten ist.

b)      Zu den von der Kommission zur Rechtfertigung der Einleitung des Überprüfungsverfahrens geltend gemachten Informationen

165    Um festzustellen, welche Informationen die Kommission bei ihrer Entscheidung, die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zu überprüfen, berücksichtigen konnte oder gegebenenfalls musste, ist es erstens erforderlich, zu bestimmen, zu welchem Zeitpunkt diese Entscheidung getroffen wurde.

166    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die EFSA im zweiten Mandat (vgl. oben, Rn. 21) am 25. April 2012 beauftragte, die Bewertung der Risiken der Neonicotinoide für Bienen zu aktualisieren, insbesondere zum einen hinsichtlich der akuten und chronischen Auswirkungen auf die Entwicklung und das Überleben der Bienenvölker und zum anderen hinsichtlich der Auswirkungen subletaler Dosen auf das Überleben und das Verhalten der Bienen. Eine solche „Aktualisierung“ muss als erste Phase der Überprüfung der Genehmigung der in Rede stehenden Wirkstoffe im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 verstanden werden, nämlich als die Phase der Bestimmung und Bewertung (oder Neubewertung) der mit diesen Wirkstoffen verbundenen Risiken, wobei die Verordnung Nr. 1107/2009 diese Aufgabe der EFSA zuweist (während die zweite Phase, das Risikomanagement, der Kommission obliegt). Daher ist der 25. April 2012 als der Zeitpunkt festzuhalten, zu dem die Kommission spätestens beschlossen hat, die Überprüfung vorzunehmen.

167    Die Kommission hat auf eine schriftliche Frage des Gerichts diesen Zeitpunkt im Wesentlichen bestätigt, wobei sie darauf hingewiesen hat, dass, da Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 für die Einleitung einer Überprüfung den Erlass einer förmlichen Entscheidung nicht vorsehe, das Datum des 25. April 2012 nur das zeitliche Ende eines Entscheidungsprozesses darstelle, der sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt habe.

168    Folglich mussten die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 vor dem 25. April 2012 zutage getreten sein, um die Einleitung des Überprüfungsverfahrens rechtfertigen zu können.

169    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Rechtsakt die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, die die Kommission zur Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe veranlassten, nicht genau bezeichnet. Der vierte Erwägungsgrund dieses Rechtsakts legt nämlich allgemein dar, dass „[i]m Frühjahr 2012 … neue wissenschaftliche Erkenntnisse über subletale Auswirkungen von Neonicotinoiden auf Bienen veröffentlicht [wurden]“. Diese allgemeine Beschreibung kann neben den Studien vom März 2012 (vgl. oben, Rn. 19) die am 11. Januar 2012 veröffentlichte Schneider-Studie (vgl. oben, Rn. 23) und die Stellungnahme der EFSA (vgl. oben, Rn. 22) erfassen. Obwohl nämlich die endgültige Fassung dieser Stellungnahme, auf die sich die Kommission auch in ihren Klagebeantwortungen als neue wissenschaftliche Kenntnisse beruft, erst am 23. Mai 2012 veröffentlicht wurde, war der Kommission bereits am 29. Februar 2012 eine erste Fassung übermittelt worden, wie sich aus einer von der EFSA an die Kommission gerichteten E‑Mail ergibt.

170    Es scheint jedoch, dass die neuen Kenntnisse, die die Kommission aus der Stellungnahme der EFSA gewinnen konnte (oder genauer aus ihrer vorläufigen Fassung, vgl. oben, Rn. 169), in Wirklichkeit allenfalls eine untergeordnete Rolle bei ihrer Entscheidung spielten, die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zu überprüfen. So sind etwa in dem Arbeitsdokument vom 28. Januar 2013 für die Sitzung des Ausschusses vom 31. Januar und 1. Februar 2013, in dem die Kommission die Konsequenzen darlegte, die ihrer Ansicht nach aus den am 16. Januar 2013 veröffentlichten Schlussfolgerungen der EFSA zu ziehen seien, nur die Henry‑, die Whitehorn- und die Schneider-Studie als die „neuen wissenschaftlichen Beweise“ erwähnt, die die Kommission zur Überprüfung veranlasst hätten, und nicht die Stellungnahme der EFSA.

171    Daher hält es das Gericht für angebracht, sich auf die Studien vom März 2012 sowie auf die Schneider-Studie zu beschränken, um festzustellen, ob die am 25. April 2012 verfügbaren neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse die Einleitung der Überprüfung rechtfertigten.

c)      Zur Frage, ob die Kommission bei der Einleitung des Überprüfungsverfahrens über neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 verfügte

172    Die Studien vom März 2012 wurden am 30. März 2012 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Science veröffentlicht. Die Schneider-Studie wurde im Januar 2012 in der wissenschaftlichen Online-Zeitschrift PLoS ONE veröffentlicht. Nach dem oben in Rn. 164 dargelegten Ansatz ist daher zunächst festzustellen, dass die drei Studien in dem Sinne neu waren, dass sie von der EFSA oder der Kommission für die Bewertung der mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken zuvor nicht berücksichtigt worden waren.

173    Nach ihrer Zusammenfassung in der Erklärung der EFSA (vgl. oben, Rn. 23) betraf die Henry-Studie in Frankreich durchgeführte Forschungsarbeiten an dem Pflanzenschutzmittel Cruiser, das von Syngenta vermarktet wird und den Wirkstoff Thiamethoxam enthält. Insbesondere machte diese Studie auf Forschungsarbeiten aufmerksam, die darauf hindeuteten, dass die Exposition gegenüber nicht letalen, aber normalerweise im Freiland vorkommenden Dosen von Thiamethoxam zu einer erhöhten Sterblichkeit von Honigbienen aufgrund einer Schwächung des Orientierungssinns führe, so dass sie das Risiko des Aussterbens des Bienenvolks erhöhe. Im Rahmen der Henry-Studie wurde eine neue Technologie, die Funkwellenidentifikation (Radio Frequency Identification, RFID) verwendet, um die Ein- und Ausflüge einzelner Bienen in den und aus dem Bienenstock zu verfolgen.

174    Die Whitehorn-Studie betraf Forschungen im Vereinigten Königreich an Hummeln und das Pflanzenschutzmittel Gaucho, das von Bayer vermarktet wird und den Wirkstoff Imidacloprid enthält. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Wachstumsrate und die Produktion neuer Königinnen in den Hummelvölkern, die verschiedenen subletalen Dosen von Imidacloprid ausgesetzt waren, erheblich verringert waren.

175    Die Schneider-Studie stellte Auswirkungen auf das Verhalten von Bienen fest, die subletalen Dosen von Imidacloprid und Clothianidin ausgesetzt waren. Es wurde insbesondere eine Verringerung der Nektarsammeltätigkeit und der Dauer der Sammelflüge beobachtet. Diese Studie nutzte wie die Henry-Studie die RFID-Technologie, um die Bewegungen der Bienen zu überwachen.

176    Die Klägerinnen kritisieren einige Punkte an der Henry‑, der Whitehorn- und der Schneider-Studie, die ihrer Ansicht nach geeignet sind, die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, die die Kommission daraus zu ziehen beansprucht, in Frage zu stellen.

1)      Zur Neuheit der Ergebnisse der Studien vom März 2012

177    Erstens macht Bayer geltend, dass weder die Henry-Studie noch die Whitehorn-Studie noch die Schneider-Studie neue wissenschaftliche Informationen enthielten, die für das Management des Risikos, dem die Honigbienen ausgesetzt seien, relevant seien. Die Neuheit der Henry-Studie bestehe vor allem in der Verwendung der RFID-Technologie, um die Bewegungen der einzelnen Bienen zu überwachen.

178    Dazu trägt die Kommission vor, dass die Studien vom März 2012 auch dann einen neuen Kenntnisstand vermittelten, wenn sie nur, z. B. durch die Anwendung neuer Methoden, Ergebnisse früherer Studien bestätigten.

179    Die Einstufung solcher bestätigender Ergebnisse als neue wissenschaftliche Kenntnisse setzt jedoch zumindest voraus, dass die neuen Methoden zuverlässiger sind als die zuvor verwendeten. In einem solchen Fall wäre dann die Erhöhung der Gewissheit der früheren Kenntnisse als neue wissenschaftliche Kenntnis einzustufen. Im Rahmen einer Entscheidung über das Risikomanagement in Anwendung des Vorsorgeprinzips ist eine solche Information, entgegen dem Vorbringen von Bayer, als relevant anzusehen.

180    Das ist hier der Fall. Bayer beruft sich selbst auf eine von ihr finanzierte und am 24. Mai 2013 abgeschlossene Studie (im Folgenden: Tier3-Studie) zur Frage, ob die Ergebnisse der Henry-Studie und der Schneider-Studie von den früheren Kenntnissen auf dem Gebiet abwichen. Die Tier3-Studie sei zu dem Schluss gekommen, dass „[d]ie Verwendung der RFID-Technik zur Messung der Aktivität der Honigbienen im Freiland …. eine neue Beobachtungstechnik [darstellte], die es erlaubt[e], die Auswirkungen auf die einzelnen Arbeiterinnen/Trachtbienen genauer zu messen“. Daher stimmen die Parteien darin überein, dass, selbst unter der Annahme, dass die Henry-Studie nur die früheren wissenschaftlichen Kenntnisse bestätigte, sie jedenfalls den Grad der Gewissheit dieser Kenntnisse erhöhte.

181    Außerdem ist zum Vorbringen von Bayer, dass die mangelnde Neuheit der Henry- und der Schneider-Studie durch die Tier3-Studie bestätigt worden sei, darauf hinzuweisen, dass diese Studie, entgegen dem oben in Rn. 163 aufgestellten Grundsatz, die Neuheit der Ergebnisse der Studien vom März 2012 nicht gegenüber dem Kenntnisstand bei der vorigen Bewertung der in Rede stehenden Wirkstoffe, sondern hauptsächlich gegenüber den Kenntnissen aus späteren Studien untersucht. So wurden von den 35 von der Tier3-Studie berücksichtigten Studien 21 nach dem jeweiligen Zeitpunkt des Abschlusses der Risikobewertung für die in Rede stehenden Wirkstoffe veröffentlicht oder abgeschlossen.

182    Überdies folgt die Tier3-Studie einem rein quantitativen Ansatz, der darin besteht, die Höhe der Exposition gegenüber den in Rede stehenden Wirkstoffen zu vergleichen, für die in den verschiedenen Studien ein Einfluss auf das Verhalten der Bienen festgestellt wurde. Um jedoch zu beurteilen, ob die Ergebnisse der Henry- und der Schneider-Studie von den Ergebnissen der früheren Studien abwichen, war es erforderlich, auch einen qualitativen Vergleich hinsichtlich Art und der Schwere der festgestellten Auswirkungen auf das Verhalten vorzunehmen. Dies war umso mehr geboten, als subletale Auswirkungen sehr unterschiedliche Formen annehmen können (verringerte Sammeltätigkeit, Beeinträchtigung der Orientierung, Änderung der Vermehrungsrate usw.).

183    Schließlich gehörte die Whitehorn-Studie, wie die Kommission zu Recht vorträgt, nicht zu den von der Tier3-Studie verglichenen Studien, so dass diese jedenfalls keine Feststellungen über die Neuheit der Kenntnisse aus der Whitehorn-Studie hinsichtlich Imidacloprid gegenüber den früher zu diesem Wirkstoff verfügbaren Kenntnissen ermöglicht.

184    Folglich kann die Tier3-Studie nicht nachweisen, dass die Studien vom März 2012 und die Schneider-Studie keine neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 brachten.

2)      Zu den in den Studien vom März 2012 verwendeten Dosen der streitigen Wirkstoffe

185    Zweitens macht Syngenta geltend, dass die Studien vom März 2012 künstlich erhöhte Dosen von Neonicotinoiden betroffen hätten.

186    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Kommission im Rahmen ihrer Entscheidung, die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zu überprüfen, der Bedeutung der Dosierungsfrage bewusst war. Aus diesem Grund ersuchte sie im Rahmen des ersten Mandats die EFSA u. a., zu prüfen, ob die Dosen, die für die in den Studien vom März 2012 genannten Versuche verwendet worden seien, mit den Dosen vergleichbar seien, denen die Bienen in der Union, unter Berücksichtigung der auf Unionsebene zugelassenen Verwendungen und der von den Mitgliedstaaten erteilten Zulassungen, tatsächlich ausgesetzt seien (vgl. oben, Rn. 20).

187    Der Umstand, dass die in diesen Studien (sowie in der Schneider-Studie) angewandten Dosen möglicherweise das Niveau der im Freiland vorkommenden Exposition überstiegen, bedeutet außerdem nicht, dass die Ergebnisse der Studien für die Bewertung der Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht relevant wären. So hat die EFSA in ihrer Erklärung aus dem Umstand, dass die in den Studien vom März 2012 und in der Schneider-Studie angewandten Expositionshöhen zum großen Teil die in Wirklichkeit angetroffenen Expositionshöhen überstiegen, gefolgert, dass weitere Studien erforderlich seien, um in Bezug auf die in Wirklichkeit wahrscheinlich auftretenden Auswirkungen auf das Verhalten der Bienen endgültige Schlüsse ziehen zu können.

188    Unter diesen Umständen steht die Tatsache, dass die von der Kommission geltend gemachten neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse auf Versuchen mit Dosen beruhten, die zum Teil das im Freiland angetroffene Expositionsniveau überstiegen, nicht ihrer Einstufung als Studien entgegen, die Besorgnis hinsichtlich der Frage erregten, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt waren.

3)      Zur behaupteten Infragestellung der Studien vom März 2012 durch Dritte

189    Drittens machen die Klägerinnen geltend, dass die mangelnde Relevanz der Studien vom März 2012 durch die Erklärung der EFSA sowie durch einige Mitgliedstaaten und die Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail (Agentur für Ernährungssicherheit, Umwelt- und Arbeitsschutz, Anses, Frankreich) bestätigt worden sei.

190    Insoweit ist als Erstes festzustellen, dass entgegen dem Vortrag der Klägerinnen die Erklärung der EFSA die Studien vom März 2012 keineswegs als „grundlegend falsch“ verwirft oder ihnen jeglichen wissenschaftlich relevanten Informationsgehalt abspricht. Die von den Klägerinnen angeführten Auszüge aus dieser Erklärung belegen nur die bereits oben zitierte Feststellung, dass zusätzliche Studien erforderlich seien, um endgültige Schlüsse ziehen zu können, da das in den Studien vom März 2012 und in der Schneider-Studie angewandte Expositionsniveau zum großen Teil das in Wirklichkeit angetroffene Expositionsniveau überstieg.

191    Als Zweites sind die von Syngenta geltend gemachten Stellungnahmen verschiedener Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht geeignet, die Einstufung der Ergebnisse der Studien vom März 2012 und der Schneider-Studie als „neue wissenschaftliche Kenntnisse“ in Frage zu stellen. Die Begründetheit der von der Kommission nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgenommenen Beurteilungen kann nämlich nicht von der Frage abhängen, ob diese von (allen) Mitgliedstaaten geteilt werden. Außerdem rechtfertigt der Inhalt einiger dieser Stellungnahmen nicht die von Syngenta nahegelegten Folgerungen.

192    So ist zum Schreiben des niederländischen Ministeriums für Wirtschaft, Landwirtschaft und Innovation festzustellen, dass nach seiner Zusammenfassung in der Klageschrift in der Rechtssache T‑451/13 „die Niederlande der Ansicht waren, dass die nur auf der Grundlage dieser Studien erlassenen rechtlichen Maßnahmen nicht gerechtfertigt waren“. Zum einen enthält aber diese Stellungnahme der niederländischen Behörden keine Äußerung zum Neuigkeitsgehalt der Ergebnisse der betreffenden Studien, und zum anderen bezieht sie sich auf die Entscheidung der französischen Behörden vom 29. Juni 2012, die Genehmigung eines Pflanzenschutzmittels auf Thiamethoxambasis aufzuheben. Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch den angefochtenen Rechtsakt nicht allein auf der Grundlage der Studien vom März 2012 und der Schneider-Studie erlassen, sondern nach einer Risikobewertung durch die EFSA.

193    Dieselbe Erwägung gilt für die von einem Mitgliedstaat in der Sitzung des Ausschusses vom 12. und 13. Juli 2012 geäußerte Auffassung, wonach die Aufhebung der Genehmigung eines thiamethoxamhaltigen Produkts durch Frankreich unverhältnismäßig gewesen sei.

194    Was die von Syngenta angeführte Stellungnahme der Anses vom 31. Mai 2012 anbelangt, so betrifft diese die Frage, ob die in der Henry-Studie verabreichte Dosis repräsentativen Expositionssituationen von Bienen in der Natur entspricht und ob diese Studie die Ergebnisse der früheren Risikobewertungen des Wirkstoffs Thiamethoxam in Frage stellen kann. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von Syngenta wiedergegebene Feststellung, wonach „die Ergebnisse der Henry-Studie … nicht die Schlussfolgerungen der Risikobewertung im Rahmen der Dokumentation des Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen der Zubereitung Cruiser OSR nach den geltenden rechtlichen Kriterien in Frage [stellen,] aber gewisse Grenzen der in diesem Rahmen angewandten Methoden betreffend ihre Sensibilität auf[zeigen]“, geeignet ist, das Erfordernis einer (Neu‑)Bewertung der Risiken im Zusammenhang mit den streitigen Wirkstoffen (hier Thiamethoxam) zu belegen, und diese Feststellung daher eher den Standpunkt der Kommission als den der Klägerinnen stützt.

195    Außerdem schlug die Anses in ihren „Empfehlungen“ am Ende der in Rede stehenden Stellungnahme u. a. vor, „[e]ine Neubewertung der neonicotinoiden Wirkstoffe (Thiamethoxam, Clothianidin, …) auf europäischer Ebene auf der Grundlage der neuen wissenschaftlichen Daten aus den jüngeren Studien einzuleiten, wie es auch die EFSA empfiehlt“. Demnach zog die Stellungnahme der Anses, auch wenn sie in Bezug auf die Tragweite der Ergebnisse der Henry-Studie Vorbehalte hatte, daraus dieselbe Folgerung wie die EFSA, nämlich eine Überprüfung der streitigen Wirkstoffe vorzuschlagen.

196    Bei den Forschungsarbeiten der Regierung des Vereinigten Königreichs handelt es sich schließlich um einen vom Ministerium für Umwelt, Ernährung und Angelegenheiten des ländlichen Raums des Vereinigten Königreichs verfassten Bewertungsbericht aus dem März 2013, der die Studien vom März 2012 sowie eine andere Studie, die eine Beeinträchtigung des Verhaltens von Hummeln nach der Exposition gegenüber subletalen Dosen von Imidacloprid festgestellt hatte, mit Studien vergleicht, die solche Auswirkungen nicht festgestellt hatten. Nach diesem Bericht könnte dieser Unterschied auf den Umstand zurückzuführen sein, dass die erste Gruppe von Studien, bei denen es sich um Laborstudien handelte, höhere Dosen der streitigen Wirkstoffe verwendet habe als die, die von Bestäubern im Freiland angetroffen würden. Die Tatsache, dass das in den Studien vom März 2012 angewandte Expositionsniveau zum überwiegenden Teil das im Freiland angetroffene Expositionsniveau überstieg, war jedoch bereits in der Erklärung der EFSA festgestellt worden, die dennoch zu der Schlussfolgerung gelangt war, dass weiterer Forschungsbedarf bestand (vgl. oben, Rn. 190). Der von Syngenta angeführte Bewertungsbericht widerlegt somit nicht die von der EFSA und der Kommission berücksichtigten Tatsachen, sondern zieht daraus nur andere Schlussfolgerungen. In Anbetracht des weiten Ermessens, das der Kommission im Rahmen der Entscheidungen über das Risikomanagement nach der Verordnung Nr. 1107/2009 einzuräumen ist (vgl. oben, Rn. 143), kann dieser Umstand keinen Hinweis auf eine mangelnde Relevanz der Studien vom März 2012 darstellen.

4)      Zwischenergebnis

197    Im Ergebnis ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission zu Recht und ohne Rechtsfehler oder offensichtlichen Beurteilungsfehler davon ausgehen konnte, dass die Ergebnisse der Studien vom März 2012 sowie der Schneider-Studie gegenüber den früheren Kenntnissen Besorgnis in Bezug auf die Frage erregten, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt waren.

198    Die Feststellungen in den drei Studien, die oben in den Rn. 173 bis 175 zusammengefasst sind, stellten nämlich für sich genommen ein besorgniserregendes Ergebnis in Bezug auf die Frage dar, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt waren. Dies betrifft insbesondere die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung zu unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt und genauer zu den Auswirkungen auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen.

5)      Zur Rolle der Überwachungsdaten

199    Die Parteien streiten über die Frage, welche Rolle im Rahmen der Entscheidung nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009, ein Verfahren zur Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs zu eröffnen, sowie im Rahmen der Risikobewertung und der Entscheidung der Kommission nach Art. 21 Abs. 3 dieser Verordnung den Überwachungsdaten beizumessen ist.

200    Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, dass die Kommission sowie gegebenenfalls die EFSA die verfügbaren Überwachungsdaten ebenso wie die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 berücksichtigen müssten. Die Überwachungsdaten seien sogar von besonderem Wert und besonderer Relevanz, da sie unter realen Bedingungen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen gesammelt würden und nicht unter künstlich geschaffenen Bedingungen. Aufgrund verschiedener Überwachungsprogramme in mehreren Ländern der Union sei eine große Menge an Überwachungsdaten von hoher Qualität verfügbar, und die Gesamtheit dieser Daten belege, dass unter realen Bedingungen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen kein Risiko für Bienen auf der Ebene der Bienenvölker bestehe.

i)      Zum Begriff „Überwachungsdaten“

201    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Überwachungsdaten“ in der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht definiert wird.

202    Aus den Antworten der Parteien auf eine schriftliche Frage des Gerichts ergibt sich jedoch, dass Überwachungsdaten Daten sind, die nach der tatsächlichen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit einem nach der Verordnung Nr. 1107/2009 genehmigten Wirkstoff im Freiland gesammelt wurden. Zum Teil werden diese Daten im Rahmen von Überwachungsprogrammen gesammelt, die über einen in Jahren gerechneten Zeitraum geführt werden und grundsätzlich keine den betreffenden Wirkstoffen nicht ausgesetzte Kontrollgruppe umfassen und in denen die nicht simulierte Anwendung von Pestiziden beobachtet und untersucht wird. Da es sich um nicht interventionelle Studien handelt, werden die Parameter der Exposition der Bienen gegenüber den Pestiziden weder definiert noch kontrolliert. Außerdem gibt es, trotz gewisser Bemühungen zur Standardisierung in bestimmten Überwachungsprogrammen, keine einheitliche Methode für die Überwachungsstudien, die eine einheitliche Qualität der erzeugten Daten sicherstellen könnte; deren Qualität hängt daher von der Beachtung der wissenschaftlichen Grundsätze und der guten wissenschaftlichen Praxis ab. Erst recht besteht keine Gewähr für Qualität und Homogenität von außerhalb eines Überwachungsprogramms gesammelten Überwachungsdaten.

203    Aus den Antworten der Parteien auf die schriftlichen Fragen des Gerichts geht auch hervor, dass Überwachungsstudien von Feldstudien, die auch als „Stufe-3-Studien“ bezeichnet werden, zu unterscheiden sind. Letztere sind experimentelle Studien mit klar definierten Parametern und einer Kontrollgruppe aus nicht exponierten Bienenvölkern, die über einen in Wochen oder Monaten gerechneten Zeitraum geführt werden und in denen die realen Bedingungen der Exposition der Völker gegenüber den Pestiziden so weit wie möglich simuliert werden.

ii)    Zum Wert, der den Überwachungsdaten beizumessen ist

204    Die Kommission trägt vor, dass Überwachungsstudien in Ermangelung einer Kontrollpopulation und klar definierter wissenschaftlicher Parameter, die die beobachtete Situation von einer Kontrollpopulation unterschieden, es nicht gestatteten, glaubwürdige Schlussfolgerungen zu einem Kausalzusammenhang zu formulieren. Ihr zufolge könnten also Überwachungsstudien das Bestehen eines Risikos aufzeigen, jedoch, im Unterschied zu Feldstudien, nicht das Nichtbestehen eines Risikos erweisen.

205    Die Klägerinnen sind diesem Vorbringen in den mündlichen Verhandlungen entgegengetreten.

206    Bayer macht insoweit geltend, dass Überwachungsstudien eine Korrelation zwischen verschiedenen Faktoren nachweisen könnten – im vorliegenden Fall zwischen der Exposition der Bienen gegenüber Kulturen, die mit Pestiziden mit den streitigen Wirkstoffen behandelt worden seien, zum einen und einer etwaigen erhöhten Bienensterblichkeit oder einer Verringerung oder dem Aussterben von Bienenvölkern zum anderen. Während das Vorliegen einer Korrelation zwischen diesen beiden Umständen für sich genommen keinen Schluss auf das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs erlaube, erlaube das Fehlen einer Korrelation den Schluss auf das Nichtbestehen eines Kausalzusammenhangs. Da es aber im vorliegenden Fall keine Überwachungsdaten gebe, die auf eine Korrelation zwischen der Anwendung von Pestiziden mit den streitigen Wirkstoffen und einer erhöhten Sterblichkeit von Honigbienen oder einem Aussterben von Bienenvölkern hindeuteten, sei es möglich, auf das Nichtbestehen von mit diesen Pestiziden verbundenen Risiken zu schließen.

207    Syngenta hat ihrerseits vorgebracht, dass die Sammlung von Überwachungsdaten ein wesentlicher Bestandteil der Überwachung im Anschluss an die Genehmigung der Wirkstoffe sei, auf den die Vorschriften mehrmals Bezug nähmen. Da Überwachungsstudien die denkbar realistischsten Feldstudien seien, dürften die von ihnen erzeugten Überwachungsdaten nicht außer Acht gelassen werden.

208    Insoweit ist zunächst der Versuch von Syngenta zurückzuweisen, Überwachungsstudien mit Feldstudien oder Stufe-3-Studien gleichzusetzen. Wie oben in den Rn. 202 und 203 dargelegt, sind Feldstudien wissenschaftliche experimentelle Studien mit klaren Parametern und einer Kontrollgruppe, während Überwachungsstudien (nicht interventionelle) Beobachtungsstudien sind, deren Parameter nicht definiert sind. Folglich ist die Qualität der von diesen beiden Studienarten erzeugten Daten unterschiedlich, insbesondere was ihre Eignung betrifft, Folgerungen zu den Zusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen eines beobachteten Phänomens oder zu einer fehlenden Kausalität bei Nichtbeobachtung eines Phänomens zu stützen.

209    Daher ist festzustellen, dass Überwachungsstudien es entgegen dem Vorbringen von Bayer lediglich ermöglichen, eine Koinzidenz zweier beobachteter Tatsachen nachzuweisen und keine Korrelation, da dieser Begriff voraussetzt, dass zwischen den beiden Tatsachen ein Zusammenhang festgestellt wird. Aufgrund des Fehlens von definierten und kontrollierten Parametern in den Überwachungsstudien ist es jedoch gerade nicht möglich, einen solchen Zusammenhang zwischen zwei in einer solchen Studie beobachteten Tatsachen festzustellen. Da nämlich im Freiland zahlreiche nicht definierte und nicht kontrollierbare Faktoren gegeben sind, die die beobachteten Tatsachen beeinflussen können (Exposition, Höhe, Witterungsverhältnisse, Umfeld der Bienenstöcke, angrenzende Kulturen usw.), können zwei koinzident beobachtete Tatsachen nicht mit Sicherheit im Sinne einer Korrelation miteinander in Zusammenhang gebracht werden.

210    Daraus folgt, dass Überwachungsdaten, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines Überwachungsprogramms oder außerhalb gesammelt wurden, hinsichtlich ihrer Eignung als Grundlage für wissenschaftliche Schlussfolgerungen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen von kausalen Zusammenhängen nicht mit in Feldstudien generierten Daten gleichgesetzt werden können.

211    Dies macht die Überwachungsdaten jedoch nicht unnütz oder irrelevant. Sie können nämlich Informationen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Koinzidenz der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen zum einen und einer erhöhten Sterblichkeit von Bienen oder einem Aussterben von Bienenvölkern zum anderen liefern. Diese Informationen können dann den betreffenden Verantwortlichen für das Risikomanagement als Hinweise auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Risiken dienen – ohne dies jedoch mit Sicherheit nachzuweisen. In diesem Sinn sind die Verweise auf die Überwachungsdaten in einigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009 zu verstehen, die Syngenta zu Recht angeführt hat.

212    Die Kommission macht daher zu Recht geltend, dass Überwachungsstudien zwar Hinweise auf das Bestehen eines Risikos aufzeigen können, aber, anders als Feldstudien, nicht als Nachweis des Nichtbestehens eines Risikos dienen können.

iii) Zur Rolle der Überwachungsdaten im Rahmen der Entscheidung, eine Überprüfung nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 vorzunehmen

213    Aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 9) geht hervor, dass, selbst wenn die Kommission den Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs „berücksichtigen“ muss, sie in ihrer Würdigung der Frage frei bleibt, ob aufgrund neuer verfügbarer wissenschaftlicher Kenntnisse eine solche Überprüfung zu erfolgen hat. Dies stellt im Übrigen einen Schutz der Erzeuger genehmigter Wirkstoffe gegen unbegründete oder gar missbräuchliche Anträge auf Überprüfung dar, die von den Mitgliedstaaten gestellt werden könnten.

214    Entgegen dem Vorbringen von Bayer werden die Überwachungsdaten im zweiten Satz dieses Unterabsatzes nur angeführt, um die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Mitgliedstaaten die Überprüfung einer Genehmigung beantragen können, und nicht die Voraussetzungen für die Entscheidung der Kommission zur Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens. Letztere werden nämlich in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 festgelegt, der nur die Berücksichtigung der „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ vorsieht. Andernfalls wäre Unterabs. 2 überflüssig, da er die Berücksichtigung von neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen durch die Kommission vorsähe, die bereits in Unterabs. 1 Satz 2 angeführt sind.

215    Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Neubewertung der Genehmigung eines Wirkstoffs gerade den Zweck hat, die neuen wissenschaftlichen Kenntnisse umfassend zu prüfen und zu untersuchen, ob sie den Schluss rechtfertigen, dass die in Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 definierten Genehmigungskriterien nicht oder nicht mehr (vollständig) erfüllt sind (vgl. oben, Rn. 160).

216    Sollten daher die von den Klägerinnen angeführten Überwachungsdaten übereinstimmend keine Koinzidenz zwischen erhöhter Bienensterblichkeit oder dem Aussterben von Bienenvölkern und der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen verzeichnen, so wären sie geeignet, die durch die Henry‑, die Whitehorn- und die Schneider-Studie erweckten Besorgnisse, die oben in den Rn. 197 und 198 zusammengefasst worden sind, in Zweifel zu ziehen. Sie waren hingegen nicht für den Nachweis der Unbegründetheit dieser Besorgnisse geeignet.

217    Die Kommission konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass im vorliegenden Fall eine Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe vorzunehmen war.

218    Folglich sind die Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 zurückzuweisen.

4.      Zu den Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009

219    Die Klägerinnen machen mehrere Rügenkomplexe in Bezug auf die Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 durch die Kommission und die EFSA geltend, nämlich erstens eine fehlende Übereinstimmung zwischen den Gründen für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens und den Gründen des angefochtenen Rechtsakts, zweitens den Umstand, dass die Kommission und die EFSA andere Methoden und Kriterien angewandt hätten als die zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung der streitigen Wirkstoffe anwendbaren, und drittens offensichtliche Fehler bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips oder eine falsche Anwendung dieses Grundsatzes.

a)      Zur Rüge einer fehlenden Übereinstimmung zwischen den Gründen für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens und den Gründen des angefochtenen Rechtsakts

220    Bayer beanstandet in der Erwiderung, dass die Kommission die angebliche Neuheit der Studien vom März 2012 nur als Vorwand genutzt habe, um ein Verfahren zur Neubewertung der streitigen Wirkstoffe nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 einleiten zu können. Sie habe erst aus der Klagebeantwortung in der Rechtssache T‑429/13 erfahren, dass der angefochtene Rechtsakt ein von der EFSA festgestelltes hohes akutes Risiko letaler Auswirkungen betroffen habe und dass daher die subletalen Auswirkungen und die angeblich neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Studien vom März 2012 für die Kommission unerheblich gewesen seien.

221    Die Kommission hat sich zu dieser Rüge nicht im Einzelnen geäußert.

222    Die vorliegende Rüge setzt voraus, dass eine Verpflichtung zur Übereinstimmung oder zumindest zur Gleichwertigkeit zwischen den Gründen für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 zum einen und den Gründen für eine Änderung der Genehmigung nach Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 zum anderen besteht. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch aus den folgenden Gründen nicht.

223    Wie oben in Rn. 160 dargelegt, soll das Überprüfungsverfahren der Kommission für den Fall des Zutagetretens neuer wissenschaftlicher Kenntnisse, die darauf hindeuten, dass der in Rede stehende Wirkstoff die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllen könnte, die Prüfung ermöglichen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 enthält keine Beschränkung der Gründe, die die Feststellung erlauben, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind, und gibt insbesondere nicht an, dass die Überprüfung nur die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ betreffen dürfte, die ihre Einleitung begründet haben.

224    Außerdem widerspräche eine solche Beschränkung dem Grundsatz der guten Verwaltung und dem von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziel (vgl. oben, Rn. 105 bis 107). Falls sich nämlich bei der Überprüfung herausstellte, dass ein Genehmigungskriterium im Licht anderer wissenschaftlicher und technischer Informationen als derjenigen, die die Einleitung des Überprüfungsverfahrens begründet haben, nicht erfüllt ist, könnte dann die Genehmigung insoweit nicht abgeändert werden, selbst wenn ein erhebliches Risiko vorläge. Diese Informationen würden jedoch zweifellos ihrerseits „neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse“ im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 darstellen, die die Einleitung eines neuen, anderen Überprüfungsverfahrens als des ersten rechtfertigen würden. Eine solche, nach dem Normtext keineswegs zwingende Vorgehensweise wäre offensichtlich unnötig formalistisch und stellte den Grundsatz der guten Verwaltung und das von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgte Schutzziel in Frage.

225    Unter diesen Umständen ist die Rüge einer fehlenden Übereinstimmung zwischen den Gründen für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens und den Gründen des angefochtenen Rechtsakts zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen wäre, ob diese zum ersten Mal in der Erwiderung geltend gemachte Rüge verspätet ist, oder dass zu untersuchen wäre, ob im vorliegenden Fall tatsächlich eine fehlende Übereinstimmung zwischen den jeweiligen Gründen vorliegt.

b)      Zu den Rügen betreffend die Anwendung anderer Beurteilungsmethoden und kriterien als der zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung anwendbaren

226    Die Klägerinnen bringen mehrere Rügen zu den von der EFSA bei der Überprüfung der Risiken der streitigen Wirkstoffe angewandten Beurteilungsmethoden und ‑kriterien vor. Insbesondere rügen sie den Umstand, dass die Bewertungsmethoden nicht dieselben gewesen seien wie die bei der ursprünglichen Genehmigung dieser Wirkstoffe angewandten.

227    Es sei ihnen aufgrund des von der Kommission vorgeschriebenen Zeitplans und in Ermangelung ordnungsgemäß fertiggestellter Leitlinien unmöglich gewesen, die nach den bei der Überprüfung angewandten neuen Kriterien und Methoden erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen, da dies insbesondere die Durchführung neuer Feldstudien erfordert hätte. Folglich sei es unvermeidlich gewesen, dass gewisse Datenlücken bestünden, und sie hätten unter diesen Umständen unabhängig von dem mit den streitigen Wirkstoffen tatsächlich verbundenen Risiko keine wirkliche Chance gehabt, den Erlass des angefochtenen Rechtsakts zu verhindern.

228    Insbesondere verpflichteten Art. 12 Abs. 2 und Anhang II Punkt 3.8.3 der Verordnung Nr. 1107/2009 sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes die EFSA und die Kommission, die Risikobewertung auf zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung eines Wirkstoffs verfügbare Leitlinien zu stützen, die entweder auf Unionsebene oder auf internationaler Ebene erlassen worden seien. Wie sich aus Anhang II Punkt 1.3 ergebe, müssten weitere Leitlinien im Rahmen des Ausschusses erarbeitet worden sein, um berücksichtigt werden zu können. Insoweit bestehe im Bereich des anwendbaren Verfahrens und der anwendbaren Kriterien kein Unterschied zwischen den ursprünglichen Genehmigungen, ihrer Erneuerung und ihrer Überprüfung.

229    Nach Ansicht von Bayer waren die Leitlinien der EPPO (vgl. oben, Rn. 17) das einzige Dokument, das diese Kriterien zum Zeitpunkt der Bewertung der Risiken durch die EFSA erfüllte. Die EFSA habe sich jedoch auf Anordnung der Kommission in ihrer Bewertung der Risiken auf ihre eigene Stellungnahme aus dem Mai 2012 gestützt (vgl. oben, Rn. 22), die nur ein vorbereitendes Dokument für die Ausarbeitung wirklicher Leitlinien dargestellt habe, und in geringerem Maß auf ihren Entwurf für Leitlinien für die Bewertung der Risiken für Bienen im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln, die erst am 4. Juli 2013 und daher nach dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts fertiggestellt worden seien. Dies habe das Ergebnis der Prüfung der EFSA sowie die Schlussfolgerungen der Kommission zum Risikomanagement vollkommen verändert.

230    Nach Auffassung von Syngenta müssten für den Fall, dass im Rahmen von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 die Methoden geändert und auf Wirkstoffe nach ihrer Genehmigung angewandt werden könnten, drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es müssten neue wissenschaftliche Kenntnisse verfügbar sein, die neue Methode müsse in endgültiger Fassung vorliegen, und diejenigen, die den Antrag auf Genehmigung gestellt hätten, müssten die Möglichkeit haben, die nach den Anforderungen der neuen Methode erforderlichen wissenschaftlichen Daten zu generieren. Keine dieser Voraussetzungen sei im vorliegenden Fall erfüllt gewesen.

231    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

1)      Zur Frage, auf welche Dokumente die EFSA die Risikobewertung stützte

232    Zunächst sind einige Begriffe zu klären, insbesondere in Bezug auf die Bezeichnung einiger Dokumente, die von der EFSA im Rahmen der Bewertung der Risiken eines Wirkstoffs berücksichtigt werden können.

i)      Zur Stellungnahme der EFSA

233    Die Stellungnahme der EFSA betraf eine Überprüfung der Leitlinien der EPPO, die bis dahin das Referenzsystem für die Bewertung des von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risikos für Bienen darstellten, im Hinblick auf die Bewertung der langfristigen Risiken, die Exposition gegenüber schwachen Dosen, die Exposition durch Guttation und die kumulative Risikobewertung (vgl. oben, Rn. 17). Unter dem Titel „Abstract“ der Stellungnahme der EFSA wurden das von der EFSA verfolgte Ziel und die von ihr dazu ausgeführten Arbeiten wie folgt dargestellt:

„Der [Ausschuss der EFSA für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände] wurde um eine wissenschaftliche Stellungnahme zur wissenschaftlichen Vorgehensweise, die einer Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen (Apis mellifera, Bombus spp. und Solitärbienen) zugrunde liegt, ersucht. Spezifische Schutzziele sind auf der Grundlage eines Ökosystem-Dienstleistungs-Ansatzes vorgeschlagen worden. Die verschiedenen Expositionswege sind für verschiedene Kategorien von Bienen eingehend geprüft worden. Die Testrichtlinien wurden bewertet und Verbesserungsvorschläge und der zukünftige Forschungsbedarf aufgelistet. Ein einfaches Werkzeug zur Bewertung der kumulativen Auswirkungen von einzelnen Pestiziden mittels Sterblichkeitsdaten wird vorgeschlagen. Die Auswirkungen einer wiederholten und gleichzeitigen Exposition und der Synergismus werden erörtert. Es wurden Vorschläge für getrennte Schemata zur Bewertung der Risiken, eines für Honigbienen und eines für Hummeln und Solitärbienen, ausgearbeitet.“

234    Außerdem ergibt sich aus der Stellungnahme der EFSA unter dem Titel „Summary“, dass ihre Autoren diese Arbeiten auf der Grundlage einer sehr umfassenden Auswertung der verfügbaren Studien durchführten, wobei das Quellenverzeichnis 23 Seiten umfasst. Hingegen führten die Autoren selbst keine wissenschaftlichen Versuche durch. Daher enthält die Stellungnahme der EFSA zwar keine neuen wissenschaftlichen Kenntnisse, doch kann sie grundsätzlich als Maßstab für die Bestimmung des Standes der wissenschaftlichen Kenntnisse zum Zeitpunkt ihres Abschlusses dienen, zumindest was veröffentlichte Studien anbelangt.

235    Daher stellt die Stellungnahme der EFSA ein sogenanntes „hochrangiges“ Dokument über die Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen dar, das Schutzziele hinsichtlich der Kategorien, des Umfangs und der Dauer der zumutbaren Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen des Ökosystems für die einzelnen Bienen und die Bienenvölker empfiehlt und daraus Vorschläge für die bei der Bewertung der Risiken zu berücksichtigenden Faktoren ableitet. Außerdem prüft die Stellungnahme der EFSA eingehend die verschiedenen Expositionswege der verschiedenen Kategorien von Bienen, beurteilt die bestehenden Leitlinien für die Versuche und macht Vorschläge zu ihrer Verbesserung und für zusätzliche Forschungen.

236    Die Parteien stimmen darin überein, dass die Stellungnahme der EFSA als hochrangiges Dokument in zweierlei Hinsicht einen vorbereitenden Charakter hat.

237    Erstens macht die Stellungnahme der EFSA zu den Schutzzielen nur Vorschläge, während die endgültige Festsetzung dieser Ziele dann Sache der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement ist. In der Stellungnahme der EFSA heißt es insoweit in ihrem Kapitel 8 („Recommendations and conclusions“):

„Zur Entwicklung belastbarer und wirksamer Verfahren zur Bewertung der Risiken ist es entscheidend, zu wissen, was zu schützen ist, wo es zu schützen ist und über welchen Zeitraum …

Die endgültige Entscheidung über die Schutzziele ist von den für das Risikomanagement Verantwortlichen zu treffen. Der Pflanzenschutz kollidiert mit dem Schutz der Bienen. Die Auswirkungen auf Bestäuberinsekten sind gegen die Steigerung der Erträge aufgrund eines besseren Schutzes der Kulturen gegen Schädlinge abzuwägen. Das Gesamtschutzniveau umfasst auch die Ziele der Expositionsabschätzung. Es muss entschieden werden, wie konservativ die Schätzung der Exposition sein soll und welcher Anteil der Expositionssituationen von der Risikobewertung umfasst sein soll.“

238    Zweitens stellt die Stellungnahme der EFSA hinsichtlich der anwendbaren Methodik gewisse Schwächen in den bis dahin verwendeten Leitlinien für Versuche sowohl in Bezug auf Laborstudien als auch auf Feldstudien fest und weist auf das Fehlen von Leitlinien für Studien über Auswirkungen auf Hummeln und Solitärbienen hin. Folglich empfiehlt sie, die bestehenden Leitlinien fortzuentwickeln, um den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu gewissen Punkten einzubeziehen, oder sogar neue Leitlinien zu entwickeln. Insbesondere heißt es darin:

„Es wird empfohlen, den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu einer Reihe von Fragen in die bestehenden Leitlinien zu integrieren …

[Z]usätzliche Arbeiten sind erforderlich, um Leitlinien u. a. hinsichtlich der Mindestfeldgröße, der Zahl der Bienenvölker oder nistenden Weibchen pro Behandlung, der Methodik für die Untersuchung toter Bienen und des Sammelns von Nektar, sowie die Annahme eines geeigneten Ansatzes für die Bestimmung der Entwicklung der Völker zu entwickeln (für Hummeln) …

Es wird vorgeschlagen, getrennte Schemata zur Bewertung der Risiken für Honigbienen zum einen sowie für Hummeln und Solitärbienen zum anderen anzuwenden …

Es ist erforderlich, die Prüfprotokolle betreffend Hummeln und Solitärbienen zu verbessern, um insbesondere dem langfristigen Risiko und der Bestimmung und Quantifizierung der subletalen Auswirkungen besser Rechnung zu tragen.“

239    Daraus ergibt sich, dass die Stellungnahme der EFSA eine wissenschaftliche Basis liefert, die als Grundlage für die Entwicklung von Leitlinien und Testrichtlinien dienen kann, aber selbst kein solches Dokument darstellt.

240    Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die EFSA im Rahmen der Bewertung der Risiken nicht auf ihre Stellungnahme stützen konnte. Als Dokument, das die verschiedenen Expositionswege verschiedener Kategorien von Bienen eingehend prüft und die bestehenden Leitlinien für die Versuche beurteilt, konnte die Stellungnahme der EFSA nämlich dazu dienen, die Bereiche aufzuzeigen, in denen die bis dahin vorgenommenen Bewertungen Lücken aufwiesen, hinter denen sich Risiken verbergen konnten, die noch nicht bewertet und im Rahmen der früheren Entscheidungen über das Risikomanagement hinsichtlich der streitigen Wirkstoffe noch nicht berücksichtigt worden waren.

ii)    Zu den Leitlinien

241    Aus den Antworten der Parteien auf die schriftlichen Fragen des Gerichts ergibt sich im Wesentlichen, dass Leitlinien die Schutzziele enthalten, wie sie vom Verantwortlichen für das Risikomanagement festgelegt wurden, sowie materielle Bewertungskriterien (Bewertungsschemata und tatsächliche bezifferte Werte, deren Überschreitung zur Verweigerung der Genehmigung führt usw.), die für die Bewertung dieser Schutzziele erforderlich sind.

242    Auf Ersuchen der Kommission erarbeitete die EFSA auf der Grundlage ihrer Stellungnahme einen Leitlinienentwurf. Eine vorläufige Fassung dieser „Leitlinien der EFSA für die Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Honigbienen und Solitärbienen“ wurde am 20. September 2012 zur öffentlichen Konsultation veröffentlicht. Das geänderte Dokument wurde am 4. Juli 2013 veröffentlicht (im Folgenden: Leitlinien von 2013).

243    Um formal anwendbar zu sein, musste der Entwurf der Leitlinien von 2013 jedoch noch von den Mitgliedstaaten im Rahmen des Ausschusses gebilligt werden. Aus den Angaben der Parteien geht hervor, dass der Entwurf der Leitlinien von 2013 im Dezember 2013 Gegenstand einer ersten Sitzung mit den Mitgliedstaaten war und dass bei dieser Gelegenheit ihr Inkrafttreten für den 1. Januar 2015 in Aussicht genommen wurde. Aufgrund von anhaltenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission und bestimmten Mitgliedstaaten über wesentliche Punkte des Entwurfs war dieser jedoch tatsächlich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlungen in den vorliegenden Rechtssachen, am 15. und 16. Februar 2017, immer noch nicht formal gebilligt worden.

244    Die Kommission hat außerdem angegeben, dass sie sich in Anbetracht dieses vorläufigen Status derzeit nicht auf dieses Dokument stütze, um Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements zu treffen.

iii) Zur Behauptung, die EFSA habe sich auf den Entwurf der Leitlinien gestützt

245    Bayer hat ihre Behauptung, dass sich die EFSA im Rahmen der Bewertung der Risiken auf den Entwurf der Leitlinien von 2013 gestützt habe, nicht untermauert. Hingegen hat Syngenta auf die Fußnoten Nrn. 14 bis 17 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam verwiesen, die sich auf den Entwurf der Leitlinien von 2013 beziehen.

246    Der Kommission zufolge „bezogen sich [diese Zitate] nicht auf die Methodik, sondern vielmehr auf die Ausgangsdaten, ohne die die Bewertung der Risiken nicht durchgeführt worden wäre“. Insbesondere verwiesen zum einen die Fußnoten Nrn. 14 und 15 auf gewisse Schutzziele, die im Entwurf der Leitlinien von 2013 enthalten seien. Zum anderen verwiesen die Fußnoten Nrn. 16 und 17 auf Daten über Rückstände im Nektar und im Pollen, die bereits in der Stellungnahme der EFSA und in der Erklärung der EFSA enthalten gewesen und dann in den Entwurf der Leitlinien von 2013 übernommen worden seien.

247    Hierzu ist erstens festzustellen, dass das zweite Mandat, mit dem die Kommission die EFSA ersuchte, die Bewertungen der mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken zu aktualisieren (vgl. oben, Rn. 21), ausdrücklich bestimmte Elemente nennt, die die EFSA insoweit zu berücksichtigen hatte. Zu diesen Elementen gehört die Stellungnahme der EFSA, nicht aber der Entwurf der Leitlinien von 2013.

248    Zweitens geht aus dem Vorbringen von Syngenta, das durch den Akteninhalt untermauert wird, hervor, dass nicht nur die Kommission die EFSA nicht ersuchte, den Entwurf der Leitlinien von 2013 zu verwenden, sondern dass darüber hinaus zwischen diesen beiden Stellen Einigkeit darüber bestand, dass dieser Entwurf im Prozess der Neubewertung der streitigen Wirkstoffe nicht berücksichtigt werden konnte. In einer E‑Mail vom 29. Oktober 2012, die an Syngenta gerichtet ist und vom früheren Leiter des Referats „Pestizide“ der EFSA stammte, führte dieser nämlich aus, dass „die Kommission wusste, dass die Leitlinien [von 2013] nicht rechtzeitig fertig sein würden, um im Rahmen der Schlussfolgerungen [der EFSA] berücksichtigt zu werden, die bis spätestens Ende des Jahres [2012] abgeschlossen sein müssen“, und dass sie aus diesem Grund die EFSA ersucht hatte, die Stellungnahme der EFSA zu berücksichtigen.

249    Dieses Vorbringen wird durch andere Umstände bestätigt, insbesondere die Aussage desselben Referatsleiters vom 6. Februar 2013 vor einem parlamentarischen Ausschuss des Vereinigten Königreichs, auf die sich die Klägerinnen berufen und in der er u. a. Folgendes ausführte:

„Wir wurden [von der Kommission] ersucht, eine wissenschaftliche Stellungnahme zu verwenden, die nur zur Vorbereitung von Leitlinien dient … Als wir die Bewertung durchführten, hatten wir keine Leitlinien; wir hatten die wissenschaftliche Stellungnahme, die keine Leitlinie ist. Die Leitlinien haben die Kriterien festzulegen. Die Kriterien wurden bisher nicht festgelegt[,] … und [sie] müssen in Absprache mit den Verantwortlichen für das Risikomanagement festgelegt werden, da die Frage ‚Was ist sicher?‘ nicht nur eine wissenschaftliche Frage ist … Dies ist nicht geschehen, was erklärt, dass wir in unseren Ergebnissen mehrfach geschrieben haben: ‚Fehlende Kriterien. Wir können die Risikobewertung nicht mit Gewissheit abschließen. Es besteht ein hohes Maß an Ungewissheit‘.“

250    Diese Erläuterungen lassen darauf schließen, dass die EFSA den Entwurf der Leitlinien von 2013 tatsächlich nicht verwendete, da dieser nach den eigenen Angaben der Klägerinnen Vorschläge für Bewertungskriterien enthielt. Wenn die EFSA diesen Entwurf verwendet hätte, hätte sich das Problem der fehlenden Kriterien also nicht gestellt.

251    Ebenso weist die Zusammenfassung der Sitzung des Ausschusses vom 12. und 13. Juli 2012 darauf hin, dass der Entwurf der Leitlinien von 2013 von der EFSA parallel zur Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe ausgearbeitet werde und dass diese Arbeiten daher im Rahmen der Neubewertung nicht berücksichtigt werden könnten.

252    Drittens muss in Bezug auf die Fußnoten Nrn. 14 bis 17 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam, auf die sich Syngenta beruft, unterschieden werden zwischen der eigentlichen Anwendung des Entwurfs der Leitlinien von 2013 in dem Sinne, dass die EFSA sich an die darin enthaltenen Vorschläge gebunden gefühlt hätte, ohne dass diese durch den Ausschuss bestätigt worden wären, und der bloßen Erwähnung dieses Dokuments zur Information oder Veranschaulichung, z. B., wenn auf bereits vorhandene Daten Bezug genommen wird, die im Entwurf der Leitlinien von 2013 nur übernommen oder kompiliert wurden. Während Erstere zum Zeitpunkt der von der EFSA vorgenommenen Risikobewertung mangels ordnungsgemäßer Fertigstellung der Leitlinien von 2013 unzulässig war, kann Letztere nicht als eine Unregelmäßigkeit angesehen werden.

253    Da die von Syngenta angeführten Fußnoten in bloßen Verweisen auf den Entwurf der Leitlinien von 2013 bestehen, hängt die Frage, unter welche der oben in Rn. 252 angeführten Alternativen die dort gemachten Verweise fallen, vom Inhalt der Sätze ab, in denen sich diese Fußnoten befinden. Hierzu ist außerdem zu bemerken, dass die Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam auf den S. 21 und 22 zweimal den Verweis „16“ enthalten, dass es aber nur eine Fußnote Nr. 16 auf S. 21 dieser Schlussfolgerungen gibt.

254    Als Erstes lässt der Satz mit dem Verweis auf die Fußnote Nr. 15 erkennen, dass die Experten gewisse Daten in dem vom Entwurf der Leitlinien von 2013 vorgesehenen Format ausdrücken wollten, um Vergleiche zu erleichtern, sobald die Leitlinien von 2013 fertiggestellt sein würden. Dies kann nicht als „Anwendung“ des Entwurfs der Leitlinien von 2013 eingestuft werden.

255    Als Zweites nimmt der Satz mit dem Verweis auf die Fußnote Nr. 17 Bezug auf Daten, die in Anhang I des Entwurfs der Leitlinien von 2013 „wiedergegeben“ werden. Wie aus den vorhergehenden Sätzen ersichtlich ist, stammen diese Daten aus verschiedenen Studien und wurden in Anhang I des Entwurfs der Leitlinien von 2013 nur kompiliert. Daher kann der Verweis auf diesen Anhang nicht als „Anwendung“ des Entwurfs der Leitlinien von 2013 eingestuft werden.

256    Als Drittes lässt der Satz vor demjenigen mit dem zweiten Verweis auf die Fußnote Nr. 16 erkennen, dass die dort angeführte Datenbank bereits Gegenstand früherer Veröffentlichungen der EFSA war (nämlich der Stellungnahme der EFSA und der Erklärung der EFSA) und im Rahmen des Entwurfs der Leitlinien von 2013 geändert und verbessert wurde. Da es sich um eine bloße Berücksichtigung von bereits bestehenden Daten handelt, ist davon auszugehen, dass es sich nicht um eine „Anwendung“ des Entwurfs der Leitlinien von 2013 im Sinne der Anwendung neuer und von den Mitgliedstaaten nicht autorisierter Methoden handelt.

257    Als Viertes heißt es in den Sätzen mit dem Verweis auf die Fußnote Nr. 14 und dem ersten Verweis auf die Fußnote Nr. 16, dass die Depositionswerte „were considered within the draft EFSA guidance document“. Die Kommission hat hierzu auf eine schriftliche Frage des Gerichts ausgeführt, diese von der EFSA zweimal verwendete Formulierung bedeute, dass die von der EFSA verwendeten Depositionswerte, die aus einem anderen von der Generaldirektion (GD) „Gesundheit und Lebensmittelsicherheit“ ausgearbeiteten Dokument stammten, auch im Entwurf der Leitlinien von 2013 berücksichtigt worden seien – und nicht, dass Werte aus dem Entwurf der Leitlinien von 2013 im Rahmen der Risikobewertung verwendet worden wären. In Anbetracht dieser Angaben, die sich in die oben in den Rn. 248 bis 251 wiedergegebenen allgemeineren Umstände einfügen, ist festzustellen, dass die fragliche Formulierung keine Anwendung im eigentlichen Sinn des Entwurfs der Leitlinien von 2013 darstellt.

258    Daraus folgt, dass sich die EFSA im Rahmen ihrer Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe insbesondere auf ihre Stellungnahme gestützt hat. Dagegen hat sie den Entwurf der Leitlinien von 2013 nicht als Leitlinien angewandt.

2)      Zur Rüge eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009

259    Art. 12 („Schlussfolgerung der [EFSA]“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 lautet:

„(1) Die [EFSA] leitet den vom berichterstattenden Mitgliedstaat übermittelten Entwurf des Bewertungsberichts spätestens 30 Tage nach Erhalt an den Antragsteller und die anderen Mitgliedstaaten weiter. Sie ersucht den Antragsteller, gegebenenfalls ein aktualisiertes Dossier an die Mitgliedstaaten, die Kommission und die [EFSA] zu verteilen.

Die [EFSA] macht den Entwurf des Bewertungsberichts der Öffentlichkeit zugänglich, räumt dem Antragsteller jedoch zuvor eine Frist von zwei Wochen ein, innerhalb der er gemäß Artikel 63 beantragen kann, dass bestimmte Teile des Entwurfs des Bewertungsberichts vertraulich behandelt werden.

Die [EFSA] gewährt eine Frist von 60 Tagen für die Übermittlung schriftlicher Stellungnahmen.

(2)      Die [EFSA] organisiert gegebenenfalls eine Konsultation mit Experten, einschließlich Experten aus dem berichterstattenden Mitgliedstaat.

Die [EFSA] nimmt innerhalb von 120 Tagen nach Ablauf der für die Übermittlung schriftlicher Stellungnahmen vorgesehenen Frist unter Berücksichtigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik und unter Heranziehung der zum Zeitpunkt des Antrags verfügbaren Leitlinien eine Schlussfolgerung dazu an, ob der Wirkstoff voraussichtlich die Genehmigungskriterien des Artikels 4 erfüllt, übermittelt diese Schlussfolgerung dem Antragsteller, den Mitgliedstaaten und der Kommission und macht sie öffentlich zugänglich. Findet eine Konsultation gemäß dem vorliegenden Absatz statt, verlängert sich die 120-Tage-Frist um 30 Tage.

Gegebenenfalls geht die [EFSA] in ihrer Schlussfolgerung auf die im Entwurf des Bewertungsberichts genannten Optionen zur Risikominderung ein.“

260    Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 habe verlangt, dass im vorliegenden Fall die Bewertung der Risiken der Wirkstoffe unter Heranziehung der zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung des in Rede stehenden Wirkstoffs verfügbaren Leitlinien, nämlich der Leitlinien der EPPO, erfolge.

261    Insoweit ist zu prüfen, ob Art. 12 der Verordnung Nr. 1107/2009 im Rahmen des Überprüfungsverfahrens anwendbar ist, was die Kommission bestreitet.

262    Zunächst ist festzustellen, dass Art. 12 zu Kapitel II Abschnitt 1 („Wirkstoffe“) Unterabschnitt 2 („Genehmigungsverfahren“) der Verordnung Nr. 1107/2009 gehört. Art. 21 gehört hingegen zu Unterabschnitt 3 („Erneuerung und Überprüfung“).

263    Daher spricht eine systematische Auslegung gegen die Anwendung der Bestimmungen des Unterabschnitts 2 im Rahmen von Unterabschnitt 3, es sei denn, es wird ausdrücklich auf sie verwiesen. Ein Beispiel für einen solchen Verweis findet sich in Art. 21 Abs. 3 Unterabs. 2 (vgl. oben, Rn. 9), der ausdrücklich bestimmt, dass u. a. Art. 13 Abs. 4 (der zu Unterabschnitt 2 gehört) Anwendung findet. Dieser Verweis wäre überflüssig, wenn die Bestimmungen des Unterabschnitts 2 im Rahmen der Überprüfung ohnehin anwendbar wären.

264    Diese Auslegung wird durch die Systematik von Art. 12 der Verordnung Nr. 1107/2009 bestätigt. Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 bestimmt nämlich, dass die EFSA ihre Schlussfolgerung innerhalb von 120 Tagen „nach Ablauf der für die Übermittlung schriftlicher Stellungnahmen vorgesehenen Frist“ annimmt. Der Beginn dieser Frist nimmt Bezug auf Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 3, wonach die EFSA „eine Frist von 60 Tagen für die Übermittlung schriftlicher Stellungnahmen [gewährt]“, nachdem gemäß Unterabs. 2 der (vom berichterstattenden Mitgliedstaat erstellte) Entwurf des Bewertungsberichts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

265    Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Art. 21 ist jedoch die Erstellung eines Entwurfs des Bewertungsberichts nicht vorgesehen und im Übrigen auch nicht, dass dieser Entwurf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würde. Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2, dessen Gegenstand u. a. darin besteht, eine Frist für die Vorlage der Schlussfolgerungen der EFSA festzusetzen, ist daher im Rahmen der Überprüfung nicht anwendbar, auch da der Fristbeginn nicht bestimmt werden kann. Hingegen sieht Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 eine andere Frist für die Vorlage der Ergebnisse der Risikobewertung durch die EFSA im Rahmen der Überprüfung vor, nämlich „innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen“ der Kommission.

266    Schließlich erschiene es in Anbetracht der von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziele (vgl. oben, Rn. 105 bis 107) schwer hinnehmbar, dass im Rahmen einer Überprüfung, die wie im vorliegenden Fall mehr als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung stattfinden kann, die Methoden für die Risikobewertung eines genehmigten Wirkstoffs dieselben wie die zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung geltenden bleiben müssten.

267    Es ist daher festzustellen, dass Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht herangezogen werden kann, um im Rahmen der Überprüfung der streitigen Wirkstoffe die Anwendung von anderen Methoden und Kriterien als den bei ihrer Genehmigung verwendeten und insbesondere die Nichtanwendung der Leitlinien der EPPO zu beanstanden.

268    Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen diese Bestimmung zurückzuweisen.

3)      Zur Rüge eines Verstoßes gegen Anhang II Punkt 3.8.3 der Verordnung Nr. 1107/2009

269    Die Klägerinnen sind der Ansicht, aus Punkt 3.8.3 des Anhangs II (vgl. oben, Rn. 10) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 ergebe sich, dass die Kommission und die EFSA sich nicht auf eine unvollständige Methode stützen könnten, um zu bestimmen, ob ein Wirkstoff weiterhin die Kriterien nach Art. 4 dieser Verordnung beachte, sondern die Risikobewertung vielmehr unter Verwendung der Leitlinien zu erfolgen habe, die zum Zeitpunkt der Einreichung der Unterlagen oder Daten vorgelegen hätten. Bayer weist darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe durch die EFSA die Leitlinien der EPPO das einzige Dokument gewesen seien, das das vom Satzteil „nach [in der Union] oder international akzeptierten Testrichtlinien“ in Punkt 3.8.3 des Anhangs II aufgestellte Erfordernis erfüllt habe.

270    Die Kommission tritt dem entgegen.

271    Was erstens das Vorbringen zu Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 anbelangt, wurde oben dargelegt, dass diese Bestimmung das Ansinnen der Klägerinnen nicht stützt, die Risikobewertung auf zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung eines Wirkstoffs verfügbare Leitlinien zu gründen.

272    Zweitens betrifft die Rüge eines Verstoßes gegen Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 im Wesentlichen die Frage, ob diese Bestimmung der EFSA verbot, bei der Bewertung der mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken andere Kriterien und Methoden für die Risikobewertung zu verwenden als diejenigen, die bei der ursprünglichen Genehmigung der streitigen Wirkstoffe anwendbar waren, und insbesondere von den insoweit im Rahmen der EPPO erstellten Dokumenten abzuweichen.

273    Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich der Regelungsrahmen seit der ursprünglichen Genehmigung der streitigen Wirkstoffe weiterentwickelt hat, insbesondere durch den Erlass der Verordnung Nr. 1107/2009 und der zugehörigen Durchführungsverordnungen, die, wie oben in den Rn. 133 bis 136 ausgeführt, nunmehr vorsehen, dass besonderes Augenmerk auf die mit den Wirkstoffen und insbesondere den Pestiziden verbundenen Risiken für Bienen zu legen ist.

274    Insbesondere stellt, wie die Kommission zu Recht darlegt, die Einfügung des neuen Punktes 3.8.3 in Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 eine Änderung der Genehmigungsbedingungen der Wirkstoffe in Bezug auf das von Pestiziden ausgehende Risiko für Bienen dar.

275    Wie außerdem oben in Rn. 136 dargelegt, ist diese Änderung des Regelungsrahmens auf jede ab dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 erfolgende Prüfung der Risiken anzuwenden, unabhängig davon, ob es sich um eine erste Genehmigung oder eine Überprüfung handelt.

276    Unter diesen Umständen ist nicht nur festzustellen, dass Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 es der EFSA nicht untersagte, andere Kriterien und Methoden anzuwenden als diejenigen, die bei der ursprünglichen Genehmigung der streitigen Wirkstoffe angewendet wurden, sondern dass im Gegenteil nach den Absichten des Unionsgesetzgebers die Verordnung Nr. 1107/2009 die Anwendung geänderter Kriterien sogar gebot. Das betraf insbesondere die Stellungnahme der EFSA als Dokument, das den Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse auf dem Gebiet zum Zeitpunkt der Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe zusammenfasste.

277    Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 zurückzuweisen, ohne dass im Übrigen zu der Frage Stellung zu nehmen wäre, ob der Ausdruck „Testrichtlinien“ in dieser Bestimmung sich auf Leitlinien bezieht, wie die Klägerinnen vortragen, oder auf ein Dokument über die Versuchsmethoden, wie die Kommission geltend macht.

4)      Zur Rüge betreffend den Vertrauensschutz

278    Nach ständiger Rechtsprechung kann sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes jeder berufen, bei dem ein Unionsorgan durch klare Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil vom 11. März 1987, Van den Bergh en Jurgens und Van Dijk Food Products [Lopik]/EWG, 265/85, EU:C:1987:121, Rn. 44; vgl. auch Urteil vom 8. September 2010, Deltafina/Kommission, T‑29/05, EU:T:2010:355, Rn. 427 und die dort angeführte Rechtsprechung).

279    Bayer macht geltend, dass im vorliegenden Fall das Fehlen von schriftlichen Zusicherungen der Kommission in Bezug auf die Verwendung der Leitlinien der EPPO nicht ausschließe, dass sie insoweit ein berechtigtes Vertrauen gefasst habe. Da nämlich die frühere Fassung dieser Leitlinien als Grundlage für die Verfahren der Risikobewertung und des Risikomanagements im Zusammenhang mit den streitigen Wirkstoffen verwendet worden sei, diese Leitlinien im Jahr 2010 unter Beteiligung ihrer Vertreter und derjenigen der Behörden verschiedener Mitgliedstaaten aktualisiert worden seien und manche Mitgliedstaaten sie jüngst noch angewendet hätten, habe sie in Ermangelung gegenteiliger Hinweise der Kommission allen Grund gehabt, zu erwarten, dass die überarbeitete und im Jahr 2010 aktualisierte Fassung dieser Leitlinien für die zukünftigen Bewertungen der Risiken der streitigen Wirkstoffe dienen würde. Außerdem seien alle Beteiligten, einschließlich der EFSA, davon ausgegangen, dass die Verordnung Nr. 1107/2009 die Heranziehung der Leitlinien der EPPO vorschreibe.

280    Insoweit ist festzustellen, dass, wie die Kommission zu Recht geltend macht und wie sich aus dem Vorbringen von Bayer selbst ergibt, die Klägerinnen keine Zusicherung anführen, die ihnen die Kommission im Hinblick auf den Umstand gegeben hätte, dass die Bewertung der Risiken nach Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 auf der Grundlage der zu den Zeitpunkten des Antrags auf Genehmigung der streitigen Wirkstoffe – Zeitpunkte, die mehr als zehn Jahre vor der Überprüfung liegen können – verfügbaren Leitlinien und insbesondere auf der Grundlage der Leitlinien der EPPO erfolgen werde. Die angebliche Überzeugung der Klägerinnen, die sich auf andere Umstände gründet, erfüllt nicht die Voraussetzungen nach der oben in Rn. 278 angeführten Rechtsprechung.

281    Soweit Bayer sich zum Beleg der angeblichen Überzeugung der EFSA, dass die Leitlinien der EPPO angewendet würden, auf die Aussage des früheren Leiters des Referats „Pestizide“ der EFSA vor einem parlamentarischen Ausschuss im Vereinigten Königreich (vgl. oben, Rn. 249) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass Letztere diese Behauptung in keiner Weise stützt. Aus dieser Aussage geht zwar hervor, dass die Kommission die EFSA ersuchte, die Stellungnahme der EFSA zu verwenden, und dass die Letztere keine „Leitlinie, die eine Methodik der Risikobewertung umfasst“, darstellte, jedoch ist nicht ersichtlich, dass die EFSA mit diesem Ersuchen nicht einverstanden gewesen wäre oder andernfalls geglaubt hätte, sich auf die Leitlinien der EPPO stützen zu müssen.

282    Soweit Bayer im Übrigen ein berechtigtes Vertrauen auf Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 stützt, ergibt sich aus den oben in den Rn. 274 bis 276 dargelegten Erwägungen, dass diese Bestimmung nicht als Grundlage eines solchen Vertrauens dienen kann.

283    Somit verstieß im Rahmen der Überprüfung der streitigen Wirkstoffe die Anwendung von anderen Methoden und Kriterien als den bei ihrer Genehmigung verwendeten nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes.

284    Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz zurückzuweisen.

5)      Zur Rüge betreffend die Rechtssicherheit

285    Nach ständiger Rechtsprechung müssen nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit die Rechtsvorschriften klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein, damit sich die Betroffenen bei unter das Unionsrecht fallenden Tatbeständen und Rechtsbeziehungen orientieren können (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2011, France Télécom/Kommission, C‑81/10 P, EU:C:2011:811, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung, Urteil vom 31. Januar 2013, LVK, C‑643/11, EU:C:2013:55, Rn. 51).

286    Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Maß, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben können, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten Pflichten genau zu erkennen (Urteil vom 15. Dezember 1987, Irland/Kommission, 325/85, EU:C:1987:546, Rn. 18).

287    Syngenta macht dazu geltend, es sei unerlässlich, dass die „Spielregeln“ im Vorhinein definiert würden, d. h., dass die Prüfung von Wirkstoffen nur auf der Grundlage von festgelegten, anerkannten und den Antragstellern zum Zeitpunkt des Genehmigungsantrags bekannten Leitlinien durchgeführt werde. Andernfalls könnte eine Genehmigung jederzeit durch bloße Vorlage eines neuen Leitlinienentwurfs aufgehoben werden, der zwangsläufig die bestehende Akte zu einem Wirkstoff „unvollständig“ machte. Es bestünde dann keinerlei Rechtssicherheit.

288    Erstens ist insoweit festzustellen, dass die Genehmigungsantragsteller kein allgemeines, sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebendes Recht darauf haben können, dass die Kriterien für die Bewertung und das Management des Risikos eines Wirkstoffs im Fall einer Überprüfung auf dem Stand zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung unverändert fortgelten.

289    Es ist nämlich daran zu erinnern, dass Art. 114 Abs. 3 AEUV, auf den sich die Verordnung Nr. 1107/2009 u. a. gründet, bestimmt, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, u. a. im Bereich Umweltschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht, und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt. Außerdem hat nach der Rechtsprechung dieser Schutz der Umwelt vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 143, vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 85, sowie vom 12. Dezember 2014, Xeda International/Kommission, T‑269/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1069, Rn. 138). Aus diesen Grundsätzen, die die Grundlage des allgemeinen Schutzziels der Verordnung Nr. 1107/2009 darstellen (vgl. oben, Rn. 105 bis 107), ergibt sich, dass mangels gegenteiliger Anordnung die Entscheidungen, die die Kommission im Rahmen dieser Verordnung zu treffen hat, stets die neusten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu berücksichtigen haben.

290    Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009, auf den sich der angefochtene Rechtsakt gründet, bringt nur diese grundsätzlichen Erwägungen zum Ausdruck, wenn er im Wesentlichen bestimmt, dass das Vorliegen neuer wissenschaftlicher Kenntnisse die Aufhebung oder Änderung einer bestehenden Genehmigung rechtfertigen kann.

291    Zweitens kann jedoch dieser Grundsatz der Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Kenntnisse mit Übergangsbestimmungen und insbesondere Übergangszeiträumen einhergehen, wenn dies das u. a. von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgte Schutzziel nicht beeinträchtigt.

292    Beispiele hierfür sind die Verordnung (EU) Nr. 283/2013 der Kommission vom 1. März 2013 zur Festlegung der Datenanforderungen für Wirkstoffe gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 (ABl. 2013, L 93, S. 1) sowie die Verordnung (EU) Nr. 284/2013 der Kommission vom 1. März 2013 zur Festlegung der Datenanforderungen für Pflanzenschutzmittel gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 (ABl. 2013, L 93, S. 85), die Syngenta anführt. Der fünfte Erwägungsgrund dieser Verordnungen legt dar, dass „[v]or dem Geltungsbeginn der geänderten Datenanforderungen … eine angemessene Frist einzuräumen [ist], damit sich die Antragsteller auf die neuen Anforderungen vorbereiten können“, und ihr Art. 5 Abs. 2 sieht folglich eine gegenüber dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens um acht Monate verzögerte Anwendung vor. Ebenso heißt es im sechsten Erwägungsgrund dieser Verordnungen, dass, „[d]amit sich die Mitgliedstaaten und die betroffenen Parteien auf die neuen Anforderungen vorbereiten können, … es angezeigt [ist], Übergangsregelungen bezüglich Daten festzulegen, [die im Zusammenhang mit Anträgen auf die Genehmigung von Wirkstoffen] eingereicht werden“. Schließlich sehen diese beiden Verordnungen in Teil A Abschnitt 8 ihres Anhangs vor, dass „[b]is zur Validierung und Annahme neuer Studien und eines neuen Konzepts für die Risikobewertung … die vorhandenen Protokolle zu verwenden [sind], um das akute und das chronische Risiko für Bienen zu bewerten, einschließlich der Risiken für das Überleben des Volkes und seine Entwicklung, und bei der Risikobewertung die subletalen Auswirkungen zu identifizieren und zu messen“.

293    Als Erstes ist jedoch festzustellen, dass die Verordnungen Nrn. 283/2013 und 284/2013 auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sind. Wie sich nämlich aus ihrem Art. 3 ergibt und wie die Kommission zu Recht vorbringt, betreffen die darin vorgesehenen Übergangsbestimmungen nur die Verfahren zur Genehmigung, zur Erneuerung und zur Änderung der Genehmigungsbedingungen, die von den Art. 7 bis 20 der Verordnung Nr. 1107/2009 geregelt werden, und nicht das Überprüfungsverfahren nach Art. 21 dieser Verordnung. Folglich können diese Verordnungen im vorliegenden Fall nur dazu dienen, den oben in Rn. 291 dargelegten Umstand zu veranschaulichen, dass Ausnahmen von dem Grundsatz möglich sind, dass in den auf die Verordnung Nr. 1107/2009 gestützten Entscheidungen die neuesten wissenschaftlichen Kenntnisse zu berücksichtigen sind.

294    Als Zweites ist festzustellen, dass die Tatsache, dass die verzögerte Anwendung dieser beiden Verordnungen nicht das Überprüfungsverfahren betrifft, kein Zufall ist und sich aus einer Abwägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit mit dem Schutzziel der Verordnung Nr. 1107/2009 ergibt. Die Verfahren zur Genehmigung, zur Erneuerung und zur Änderung der Genehmigungsbedingungen werden nämlich gemäß Art. 7 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 auf Antrag des Herstellers des in Rede stehenden Wirkstoffs eingeleitet. Um die mit dem Antrag einzureichenden Unterlagen zusammenzustellen, ist es offensichtlich erforderlich, dass dem Antragsteller rechtzeitig bekannt ist, welche Daten für die Zwecke des Verfahrens zu sammeln sind, und die Schutzziele der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 105 bis 107) stehen dem nicht entgegen. Dagegen wird nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 (oben in Rn. 8 angeführt) das Überprüfungsverfahren von der Kommission von Amts wegen eröffnet, was jederzeit möglich ist, wenn es nach Ansicht der Kommission aufgrund neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse Anzeichen dafür gibt, dass der betreffende Stoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt. Da gerade die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse der Grund für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens sind, weil sie Anzeichen dafür liefern, dass der betreffende Wirkstoff die Genehmigungskriterien womöglich nicht mehr erfüllt, wäre es unlogisch und stünde im Gegensatz sowohl allgemein zum Schutzziel der Verordnung Nr. 1107/2009 als auch insbesondere zur praktischen Wirksamkeit von Art. 21 dieser Verordnung, diese neuen Kenntnisse im Rahmen der Überprüfung und insbesondere bei der Risikobewertung nicht zu berücksichtigen.

295    Als Drittes ist hinsichtlich der praktischen Folgen der Erwägungsgründe 5 und 6 der Verordnungen Nrn. 283/2013 und 284/2013 und der Anwendung ihres Art. 3 festzustellen, dass diese Ausprägungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit zwar implizieren, dass Unterlagen zu einem Wirkstoff nicht als unvollständig abgelehnt werden können, weil sie den neuen Vorschriften nicht entsprechen, wenn der „Antragsteller“ nicht über ausreichend Zeit verfügte, um diesen nachzukommen. Das kann jedoch unter Berücksichtigung der von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziele (vgl. oben, Rn. 105 bis 107) nicht bedeuten, dass die EFSA und die Kommission daran gehindert wären, auf der Ebene der Risikobewertung und des Risikomanagements die Folgen aus dem Fehlen gewisser Daten zu ziehen, die früher nicht zwangsläufig vorzulegen waren, die sich aber im Licht der neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse als für die Zwecke der Prüfung wichtig erweisen. Andernfalls würde von der EFSA und der Kommission verlangt, Wirkstoffe zu genehmigen, für die entgegen der Regelung in Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht erwiesen ist, dass ihre Verwendung zu einer vernachlässigbaren Exposition von Honigbienen führt oder keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat. Die Einhaltung der Bestimmungen über die vorzulegenden Daten im Rahmen der Verfahren zur Genehmigung, zur Erneuerung und zur Änderung der Genehmigungsbedingungen gehört daher zur Zulässigkeit des Antrags und nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Genehmigung. Diese Auslegung wird durch Art. 9 der Verordnung Nr. 1107/2009 bestätigt, der bestimmt, dass nach Erhalt des Antrags auf Genehmigung oder Änderung der Genehmigungsbedingungen der berichterstattende Mitgliedstaat prüft, ob die mit dem Antrag vorgelegten Dossiers alle Elemente enthalten, die vorgeschrieben sind (darunter u. a. die Daten, die Gegenstand der Verordnungen Nrn. 283/2013 und 284/2013 sind), und dass, wenn dies nicht der Fall ist und innerhalb von drei Monaten keine Berichtigung erfolgt, der Antrag unzulässig ist.

296    Drittens ist in entsprechender Anwendung der oben in den Rn. 293 und 294 angeführten Gründe das Vorbringen von Syngenta zu Art. 13 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 844/2012 der Kommission vom 18. September 2012 zur Festlegung der notwendigen Bestimmungen für das Erneuerungsverfahren für Wirkstoffe gemäß der Verordnung Nr. 1107/2009 (ABl. 2012, L 252, S. 26) und zum Urteil vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission (T‑326/07, EU:T:2009:299, Rn. 137 und 236), zurückzuweisen. Zum einen betrifft nämlich die Durchführungsverordnung Nr. 844/2012 das Erneuerungsverfahren, und zum anderen betraf das Urteil vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission (T‑326/07, EU:T:2009:299), einen Antrag auf Aufnahme eines Wirkstoffs in den Anhang der Richtlinie 91/414, ein dem Genehmigungsverfahren nach der Verordnung Nr. 1107/2009 entsprechendes Verfahren.

297    Im Ergebnis war es, insbesondere in Anbetracht der Ausführungen oben in Rn. 289, für die Hersteller von nach der Verordnung Nr. 1107/2009 genehmigten Wirkstoffen hinreichend vorhersehbar, dass die Genehmigungen dieser Wirkstoffe im Licht wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse, die nach der Einreichung des ersten Antrags auf Genehmigung zutage getreten waren, überprüft werden konnten.

298    Daher verstieß im Rahmen der Überprüfung der streitigen Wirkstoffe die Anwendung von anderen Methoden und Kriterien als den bei ihrer Genehmigung verwendeten nicht gegen die Rechtssicherheit.

299    Folglich ist die Rüge eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz zurückzuweisen.

6)      Zur Rüge des Umstands, dass die Risikobewertung auf die Stellungnahme der EFSA und nicht auf Leitlinien gestützt worden sei

300    Die Klägerinnen machen erstens geltend, dass die Risikobewertungen durch die EFSA zum großen Teil auf der Grundlage der Stellungnahme der EFSA erfolgt seien. Da diese Stellungnahme – anders als es bei Leitlinien der Fall gewesen wäre – keine angemessene Struktur für die Durchführung der Risikobewertungen geschaffen habe, stellten die Schlussfolgerungen der EFSA keine möglichst erschöpfende wissenschaftliche Bewertung der in Rede stehenden Risiken dar. Dass die EFSA ihre Stellungnahme als hauptsächliche Grundlage der Risikobewertung herangezogen habe, habe diese gesamte Bewertung mit Fehlern behaftet und zu der oberflächlichen und unwissenschaftlichen Schlussfolgerung geführt, dass eine Reihe von Risiken nicht ausgeschlossen werden könne und Datenlücken vorlägen.

301    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

i)      Vorbemerkungen

302    Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Stellungnahme der EFSA ein sogenanntes „hochrangiges“ Dokument darstellt, da es den Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Bewertung der von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen zusammenfasst, um daraus Vorschläge für die Schutzziele, die auf dem Gebiet zu erreichen sind, und für die bei der Bewertung der Risiken zu berücksichtigenden Faktoren abzuleiten. Dagegen enthalten Leitlinien die Schutzziele, wie sie vom Verantwortlichen für das Risikomanagement festgelegt wurden, sowie Vorgaben zum anzuwendenden Maß an Vorsicht bei der Auswertung der Daten, um diese Ziele zu erreichen (vgl. oben, Rn. 235 und 241).

303    Außerdem machen die Klägerinnen geltend, dass sie mangels geltender Leitlinien, die den in der Stellungnahme der EFSA dargestellten gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse berücksichtigten, nicht hätten wissen können, welche Versuche sie durchführen sollten, um die Daten zu generieren, deren Fehlen in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellt worden sei (vgl. oben, Rn. 227). Diese Umstände sind von der Kommission nicht bestritten worden.

304    Die Stellungnahme der EFSA wurde am 23. Mai 2012 veröffentlicht (vgl. oben, Rn. 22). Sodann erarbeitete die EFSA auf der Grundlage dieser Stellungnahme einen Leitlinienentwurf, dessen erste Fassung am 20. September 2012 zur öffentlichen Konsultation veröffentlicht wurde und der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlungen in den vorliegenden Rechtssachen noch nicht endgültig verabschiedet worden war (vgl. oben, Rn. 242 und 243). Parallel dazu wurde der EFSA jedoch bereits am 25. April 2012 das zweite Mandat betreffend die Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe erteilt (vgl. oben, Rn. 21). Wie die Klägerinnen zu Recht geltend vortragen, machte es der von der Kommission vorgeschriebene Zeitplan der EFSA daher unmöglich, die Risikobewertung auf der Grundlage von Leitlinien vorzunehmen, die den in ihrer Stellungnahme dokumentierten Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse berücksichtigten und ordnungsgemäß erlassen worden waren.

305    Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Stellungnahme der EFSA zum einen in Folge von Vorfällen und Informationen ausgearbeitet wurde, die Zweifel daran aufkommen ließen, ob die Bewertung der von den streitigen Wirkstoffen ausgehenden Risiken für Bienen, so wie sie bis dahin durchgeführt wurde (vgl. oben, Rn. 17), erschöpfend und hinreichend war, und zum anderen im Kontext einer Änderung der Genehmigungsbedingungen der Wirkstoffe in Bezug auf das von Pestiziden ausgehende Risiko für Bienen (vgl. oben, Rn. 274).

ii)    Zu den Folgen der Entscheidung, die Risikobewertung ohne verfügbare Leitlinien vorzunehmen

306    Da erstens die Stellungnahme der EFSA den Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse zum Zeitpunkt ihres Erlasses berücksichtigt (vgl. oben, Rn. 234), was von den Klägerinnen nicht bestritten worden ist, und die Kommission im vorliegenden Fall verpflichtet war, die neusten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu berücksichtigen (vgl. oben, Rn. 289), kann der EFSA kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie sich bei der Bewertung der Risiken auf ihre Stellungnahme gestützt hat.

307    Zweitens scheint es wahrscheinlich oder sogar offenkundig, dass eine Verlängerung der Frist für die Bewertung der Risiken durch die EFSA, um zum einen das Vorliegen endgültiger Leitlinien zu den Versuchen abzuwarten und zum anderen den Klägerinnen zu ermöglichen, diese Leitlinien zu berücksichtigen, es ermöglicht hätte, einen noch fortgeschritteneren wissenschaftlichen Kenntnisstand als den zu berücksichtigen, der sich in der Stellungnahme der EFSA widerspiegelt. Da nämlich die Wissenschaft allgemein grundsätzlich dem Fortschritt unterliegt und sich die Wissenschaft auf dem Gebiet der Auswirkungen der Pestizide auf Bienen seit einigen Jahren besonders weiterentwickelt, würde jede Verlängerung der Frist für die Risikobewertung naturgemäß die Verwendung neuerer Daten und Studien gestatten. Unter diesem Blickwinkel bedeutet daher der Umstand, dass die Risikobewertung am 31. Dezember 2012 abgeschlossen wurde, dass die wissenschaftliche Bewertung der Risiken weniger erschöpfend war, als sie im Fall einer Verschiebung der Frist auf einen späteren Zeitpunkt gewesen wäre.

308    Außerdem erfolgte die Risikobewertung im Wesentlichen auf der Grundlage von Laborversuchen (Stufe 1), da die Versuche unter naturnahen Bedingungen (Stufe 2) und unter natürlichen Bedingungen (Stufe 3) das Vorliegen von Leitlinien sowie daran angepasster Versuchsmethoden voraussetzten, die am 31. Dezember 2012 noch nicht verfügbar waren. Wie die Kommission in den mündlichen Verhandlungen eingeräumt hat, führte das zwangsläufig dazu, dass die EFSA feststellte, dass das Vorliegen gewisser Risiken nicht ausgeschlossen werden könne, während diese Risiken im Licht der Ergebnisse zukünftiger Versuche der Stufen 2 und 3 gegebenenfalls später hätten entkräftet werden können. Mit anderen Worten ist es möglich, dass die Tatsache, dass die Bewertung der Risiken am 31. Dezember 2012 abgeschlossen wurde, bedeutet, dass gewisse Risiken nicht ausgeschlossen werden konnten, obwohl sie in Wirklichkeit nicht bestehen. Eine solche Situation hätte durch eine Verschiebung der Frist auf einen späteren Zeitpunkt vermieden werden können.

309    Eine solche Verschiebung hätte jedoch zwangsläufig bedeutet, die, wenn auch unpräzise, Kenntnisnahme von den mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken seitens der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement, und folglich die Entscheidung über die Notwendigkeit und den Nutzen einer Änderung der Genehmigungsbedingungen dieser Wirkstoffe, hinauszuzögern. Es bestand daher für die Kommission ein Zielkonflikt zwischen der Schnelligkeit der Risikobewertung zum einen sowie ihrer Ausführlichkeit und Genauigkeit zum anderen.

310    Die Frage, die sich im vorliegenden Fall stellt, ist daher nicht, ob abstrakt und ohne zeitliche Zwänge eine erschöpfendere und genauere wissenschaftliche Bewertung möglich gewesen wäre. Aus dem soeben Dargelegten ergibt sich, dass diese Frage wahrscheinlich zu bejahen ist. Es ist vielmehr zunächst zu prüfen, ob der Zeitpunkt des Abschlusses der Risikobewertung von der Kommission rechtmäßig gewählt wurde (vgl. unten, Rn. 311 ff.) und bejahendenfalls sodann, ob diese Bewertung unter Berücksichtigung des zum gewählten Zeitpunkt verfügbaren Standes der wissenschaftlichen Kenntnisse erfolgte (vgl. unten, Rn. 354 ff.).

iii) Zur Wahl des Bezugszeitpunkts der Risikobewertung

311    Was die Wahl des Bezugszeitpunkts der Risikobewertung anbelangt, ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Unionsgerichte der Kommission ein weites Ermessen zuerkannt haben, damit sie die ihr von der Verordnung Nr. 1107/2009 gesetzten Ziele wirksam verfolgen kann, was u. a. die Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements betrifft, die sie nach dieser Verordnung zu treffen hat, dass die Kontrolle der Gerichte insoweit eingeschränkt ist und dass ein die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigender offenkundiger Ermessensfehler der Kommission nur festgestellt werden kann, wenn die vom Kläger vorgebrachten Beweise ausreichen, um die Sachverhaltswürdigung der Kommission als nicht plausibel erscheinen zu lassen (vgl. die oben in den Rn. 143 bis 145 angeführte Rechtsprechung).

312    Im vorliegenden Fall hat die Kommission beschlossen, die Bewertung der mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken zum 31. Dezember 2012 aktualisieren zu lassen. Sie macht insoweit geltend, dass bei einer längeren Frist die Gefahr bestanden hätte, das Erreichen der Ziele des angefochtenen Rechtsakts zu gefährden.

313    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 die EFSA im Rahmen einer Überprüfung der Kommission ihre Stellungnahme oder die Ergebnisse ihrer Arbeit innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen übermittelt (vgl. oben, Rn. 9). Daher gewährte der Zeitpunkt 31. Dezember 2012 – acht Monate nach der ursprünglichen Fassung des zweiten Mandats vom 25. April 2012 (vgl. oben, Rn. 21) und fünf Monate nach der Beschränkung dieses Mandats am 25. Juli 2012 (vgl. oben, Rn. 25) – der EFSA mehr Zeit, als gesetzlich vorgesehen war (vgl. insoweit auch unten, Rn. 351).

314    Sodann konnte die Kommission zu Recht davon ausgehen, dass es dem Vorsorgeprinzip zuwidergelaufen wäre, die der EFSA gewährte Frist so festzusetzen, dass die EFSA und die Klägerinnen weitere wissenschaftliche Kenntnisse hätten berücksichtigen können, d. h. insbesondere die in Ausarbeitung befindlichen Leitlinien sowie die Versuche höherer Stufe, die nach deren ordnungsgemäßer Fertigstellung hätten durchgeführt werden können.

315    Erstens ist dazu zumindest annäherungsweise zu bestimmen, wie viel Zeit dies erfordert hätte. Der fragliche Zeitraum muss nicht nur die für die ordnungsgemäße Fertigstellung der Leitlinien sowie gegebenenfalls die Ausarbeitung und Zulassung von neuen Versuchsmethoden erforderliche Zeit erfassen, sondern auch die erforderliche Zeit für die Entwicklung und Umsetzung der Versuche höherer Stufe, um die fehlenden Daten zu generieren.

316    Zur Frage, wie viel Zeit erforderlich gewesen wäre, damit Leitlinien ordnungsgemäß hätten fertiggestellt und genehmigt werden können, ergibt sich aus den in den vorstehenden Rn. 242 und 243 dargelegten Umständen, dass der Entwurf der Leitlinien von 2013 im Jahr 2013 fertiggestellt und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2015 zur Genehmigung vorgelegt wurde und dass dieses Inkrafttreten danach mehrmals verschoben wurde. Selbst unter der Annahme, dass die Ausarbeitung dieser Leitlinien möglicherweise hätte beschleunigt werden können, wenn dies notwendig gewesen wäre, und die nachfolgenden Verzögerungen zum Zeitpunkt des zweiten Mandats, am 25. April 2012, nicht vorhersehbar waren, musste die Kommission jedoch zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Leitlinien von 2013 frühestens in zwei Jahren verbindlich anwendbar sein würden.

317    Die Kommission macht zu der für die Klägerinnen erforderlichen Zeit für die Durchführung der neuen, nach den Leitlinien von 2013 notwendigen Versuche geltend, dass die Generierung der zum Schließen der festgestellten Lücken erforderlichen Daten „zumindest ein oder zwei Jahre [erfordert hätte], da Feldstudien Vorausplanung erfordern und während einer Vegetationsperiode durchgeführt werden müssen“. Auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat Bayer bestätigt, dass diese Schätzung realistisch sei, während Syngenta sich hierzu nicht geäußert hat.

318    Um sicherzustellen, dass die Klägerinnen und die EFSA ordnungsgemäß fertiggestellte und genehmigte Leitlinien gebührend berücksichtigen können, wäre es folglich erforderlich gewesen, die Risikobewertung für die streitigen Wirkstoffe um mindestens vier Jahre (nämlich zumindest zwei Jahre zwischen dem zweiten Mandat am 25. April 2012 und dem Inkrafttreten der Leitlinien von 2013 und zwei weitere Jahre für die Durchführung der erforderlichen Versuche) aufzuschieben, wobei weitere Verzögerungen der Genehmigung der Leitlinien von 2013 durch die Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kommission über die Fälligkeit der Risikobewertung nicht vorhersehbar waren, noch nicht berücksichtigt sind. Dieser Zeitraum hätte zwar möglicherweise verkürzt werden können, wenn man unterstellt hätte, dass die Klägerinnen bestimmte Studien und bestimmte Versuche hätten planen und beginnen können, indem sie sich auf den Leitlinienentwurf stützten, ohne die endgültig erlassene Fassung abzuwarten. Man hätte so aber wohl bestenfalls zu einer Ex-ante-Schätzung des Aufschubs der Risikobewertung zwischen zweieinhalb und drei Jahren gelangen können.

319    Zweitens ist zu den von der Kommission zu berücksichtigenden Umständen auf Folgendes hinzuweisen:

–        Die Henry‑, die Whitehorn- und die Schneider-Studie hatten besorgniserregende Feststellungen zur Exposition von Bienen gegenüber subletalen Dosen der streitigen Wirkstoffe, zur Verringerung des Anteils der Trachtbienen, die in den Bienenstock zurückkehrten, und zur Entwicklung der Hummelvölker getroffen (oben, Rn. 173 bis 175).

–        Die Kommission konnte zu Recht zu dem Schluss kommen, dass diese Feststellungen gegenüber den früheren Kenntnissen Besorgnis hinsichtlich der Frage erregten, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 weiterhin erfüllt waren (oben, Rn. 197 und 198).

–        Diese Besorgnis rechtfertigte daher die Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe (oben, Rn. 217).

320    Außerdem ist daran zu erinnern, dass der damalige wissenschaftliche und politische Kontext u. a. durch folgende Umstände gekennzeichnet war:

–        Die Vorfälle in den Jahren 2008 und 2009, die mit einer unsachgemäßen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen verbunden waren und Verluste von Honigbienenvölkern verursacht hatten (vgl. oben, Rn. 15).

–        Die Einführung verschiedener, nicht aufeinander abgestimmter Maßnahmen auf nationaler Ebene zwischen 2008 und 2012, die die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen beschränkten (vgl. oben, Rn. 15 und 18).

–        Die Vorlage der Ergebnisse des italienischen Überwachungs- und Forschungsprogramms Apenet im Jahr 2011, die Besorgnisse in Bezug auf die Verwendung von Saatgut aufwarfen, das mit Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen behandelt worden war.

–        Die Veröffentlichung der Henry‑, der Whitehorn- und der Schneider-Studie am Beginn des Jahres 2012.

321    Überdies ist die wichtige Rolle zu berücksichtigen, die Bienen und andere Bestäuberinsekten sowohl für die natürliche Flora als auch für landwirtschaftliche Kulturpflanzen spielen. Die Kommission legt insoweit – von den Klägerinnen unwidersprochen – dar, dass Bienen eine entscheidende Rolle in der Umwelt spielten, da sie die biologische Vielfalt erhielten, indem sie die für eine Vielzahl von Kultur- und Wildpflanzen unverzichtbare Bestäubung sicherstellten. So würden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) von den etwa 100 Kultursorten, die 90 % der weltweiten Lebensmittelversorgung gewährleisteten, 71 von Bienen bestäubt. Allein in Europa hingen 84 % der 264 Kultursorten von Bestäuberinsekten einschließlich Bienen ab.

322    Diese entscheidende Bedeutung der Bienen und anderer Bestäuberinsekten spiegelt sich im Übrigen im Rahmen der Verordnung Nr. 1107/2009 im Vorhandensein besonderer Bestimmungen wider, die spezifische Anforderungen in Bezug auf die Exposition von Bienen gegenüber den Wirkstoffen vorsehen. Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 10) verlangt nämlich, dass die Exposition von Honigbienen gegenüber dem in Rede stehenden Wirkstoff vernachlässigbar ist oder keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Bienenvolk hat (vgl. oben, Rn. 135).

323    Schließlich ist auf die oben in Rn. 106 angeführte Rechtsprechung hinzuweisen, aus der sich u. a. ergibt, dass das Ziel eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt, wie es Art. 1 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 auf der Grundlage von Art. 11 AEUV und Art. 114 Abs. 3 AEUV vorschreibt, vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen hat, so dass es sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann.

324    Insbesondere ergibt sich zum Vorsorgeprinzip aus der oben in Rn. 119 angeführten Rechtsprechung, dass der Umstand, dass bei Fehlen wissenschaftlicher Gewissheit vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, die sich, wenn diese Gewissheit erlangt ist, als zu vorsichtig herausstellen könnten, für sich genommen nicht als Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip angesehen werden kann und im Gegenteil diesem Grundsatz immanent ist.

325    Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung des großen Ermessensspielraums, über den die Kommission in diesem Bereich verfügt (vgl. oben, Rn. 311), konnte sie, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, davon ausgehen, dass der oben in Rn. 318 bestimmte zusätzliche Aufschub, unabhängig davon, ob es sich um zwei Jahre und sechs Monate oder um vier Jahre handelte, jedenfalls nicht mit dem Ziel der Erhaltung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt vereinbar war und dass sie nach dem Vorsorgeprinzip Schutzmaßnahmen zu treffen hatte, ohne abwarten zu müssen, bis das tatsächliche Vorliegen und die Schwere der Gefahren, auf die die oben in den Rn. 319 und 320 angeführten Umstände hinwiesen, in vollem Umfang nachgewiesen waren.

326    Folglich ist die Rüge des Umstands, dass die Risikobewertung auf die Stellungnahme der EFSA und nicht auf Leitlinien gestützt wurde, zurückzuweisen.

7)      Zu den angeblich erforderlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Bewertungsmethoden für die Überprüfung gegenüber der ursprünglichen Genehmigung

327    Syngenta macht für den Fall, dass das Gericht davon ausgehen sollte, dass im Rahmen einer Prüfung nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 die Methoden geändert und auf Wirkstoffe nach ihrer Genehmigung angewendet werden könnten, geltend, dass drei Voraussetzungen erfüllt sein müssten: Erstens könne die Prüfung selbst nicht nur durch das Vorliegen einer neuen Methode ausgelöst werden, sondern müsse auch auf neuen wissenschaftlichen Kenntnissen beruhen; zweitens müsse die neue Methode endgültig beschlossen sein, und drittens müsse der Genehmigungsantragsteller die Möglichkeit haben, die erforderlichen wissenschaftlichen Daten zu generieren, um den Erfordernissen dieser endgültigen Methode zu entsprechen. Im vorliegenden Fall sei jedoch keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

328    Die Kommission hat zu diesem Vorbringen nicht spezifisch Stellung genommen.

329    Um diese Argumente zurückzuweisen, genügt es auf die bereits vorstehend dargelegten Erwägungen zu verweisen, ohne dass die Frage zu beantworten wäre, ob die Anwendung neuer Methoden bei der Überprüfung eines bereits genehmigten Wirkstoffs tatsächlich dem kumulativen Vorliegen der drei von Syngenta vorgebrachten Voraussetzungen unterliegt.

330    So ist erstens oben in Rn. 198 dargelegt worden, dass die Kommission in der Tat über neue wissenschaftliche Kenntnisse verfügte, die die Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 rechtfertigte, während gleichzeitig die – in der Stellungnahme der EFSA dokumentierte – Erkenntnis reifte, dass die früher angewendete Methode unzulänglich war.

331    Zweitens ist in den vorstehenden Rn. 325 und 326 festgestellt worden, dass der Umstand, dass die „neue Methode“ – im vorliegenden Fall festgelegt in den Leitlinien von 2013 – noch nicht endgültig beschlossen worden war, der Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, wie sie zum Zeitpunkt der Bewertung verfügbar waren, im Rahmen der Bewertung der Risiken nicht entgegenstand und dass insbesondere die Kommission zu Recht der Ansicht sein konnte, dass eine Entscheidung über die aus den neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen zu ziehenden Schlüsse nicht bis zu dem Zeitpunkt verschoben werden konnte, zu dem die Klägerinnen die nach den erst festzulegenden Spezifikationen erforderlichen Daten gewonnen haben würden.

332    Folglich ist das Vorbringen von Syngenta zu den angeblichen Voraussetzungen für die Anwendung von geänderten Methoden im Rahmen einer Überprüfung gegenüber denjenigen, die im Rahmen der ursprünglichen Genehmigung angewendet wurden, zurückzuweisen.

333    Im Ergebnis sind sämtliche Rügen zurückzuweisen, die sich auf die Anwendung anderer Kriterien und Methoden beziehen als der zum Zeitpunkt der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe anwendbaren.

c)      Zu den Rügen offensichtlicher Beurteilungsfehler und einer falschen Anwendung des Vorsorgeprinzips

334    Die Klägerinnen machen im Wesentlichen geltend, es habe keine Anzeichen dafür gegeben, dass die streitigen Wirkstoffe die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllten. Die Kommission habe dadurch, dass sie zum gegenteiligen Schluss gelangt sei, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.

335    Außerdem seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die richtige Anwendung des Vorsorgeprinzips nicht eingehalten worden. Insbesondere rügen die Klägerinnen eine Berücksichtigung rein hypothetischer Risiken, das Fehlen einer ausreichenden wissenschaftlichen Bewertung sowie einer Kosten/Nutzen-Analyse und die Unverhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen.

336    Die Rügen offensichtlicher Beurteilungsfehler und die einer fehlerhaften Anwendung des Vorsorgeprinzips sind gemeinsam zu prüfen. Die Frage, ob unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums, über den die Kommission im Bereich des Risikomanagements verfügt, bestimmte wissenschaftliche Kenntnisse und Informationen den Schluss rechtfertigten, dass die Genehmigungsbedingungen nicht mehr erfüllt waren und dass die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe geändert werden musste, wird nämlich insbesondere durch das Vorsorgeprinzip beeinflusst.

337    Soweit hingegen Syngenta im Rahmen des Klagegrundes eines Verstoßes gegen das Vorsorgeprinzip auch vorträgt, sie habe nicht die Gelegenheit gehabt, angemessen am Verfahren teilzunehmen, überschneidet sich diese Rüge mit der einer Verletzung der Verteidigungsrechte und wird daher in diesem Rahmen behandelt werden (vgl. unten, Rn. 430 ff.).

1)      Zur Frage, inwieweit der angefochtene Rechtsakt auf der Anwendung des Vorsorgeprinzips beruht

338    Zunächst ist festzustellen, dass sich der angefochtene Rechtsakt u. a. auf das Vorsorgeprinzip stützt. Der Umstand, dass dieser Grundsatz in den Erwägungsgründen des angefochtenen Rechtsakts nicht spezifisch angeführt ist, scheint die Klägerinnen insoweit verunsichert zu haben. Insbesondere scheint Syngenta davon auszugehen, dass die Kommission diesen Grundsatz angewendet habe, soweit sich der angefochtene Rechtsakt auf den Umstand gründe, dass gewisse Risiken nicht mit Sicherheit hätten ausgeschlossen werden können, nicht aber, soweit das Bestehen von Risiken positiv festgestellt worden sei.

339    Wie jedoch die Kommission zu Recht ausführt, ergibt sich aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1107/2009 sowie aus ihrem Art. 1 Abs. 4, dass sämtliche Bestimmungen dieser Verordnung auf dem Vorsorgeprinzip beruhen, um sicherzustellen, dass Wirkstoffe oder Produkte u. a. die Umwelt nicht beeinträchtigen. Daraus ergibt sich, dass jeder auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1107/2009 erlassene Rechtsakt ipso iure auf dem Vorsorgeprinzip beruht.

340    Außerdem ist die Anwendung des Vorsorgeprinzips nicht auf den Fall beschränkt, dass das Bestehen eines Risikos ungewiss ist, sondern kann auch erfolgen, wenn das Bestehen eines Risikos festgestellt wurde und die Kommission beurteilen muss, ob dieses Risiko hinnehmbar ist oder nicht (vgl. oben, Rn. 122 bis 124) oder wie ihm im Rahmen des Risikomanagements Rechnung zu tragen ist (vgl. oben, Rn. 125).

341    Unter diesen Umständen stellt sich nicht die von Syngenta aufgeworfene Frage, ob der angefochtene Rechtsakt in seiner Gesamtheit oder nur zum Teil auf dem Vorsorgeprinzip beruht. Allerdings wird in der weiteren Prüfung gegebenenfalls der Einfluss dieses Grundsatzes auf den Ermessensspielraum zu berücksichtigen sein, über den die Kommission verfügte.

2)      Zu den Rügen im Zusammenhang mit der Risikobewertung durch die EFSA

342    Die Klägerinnen tragen mehrere Rügen vor, die die Risikobewertung durch die EFSA in Frage stellen. Insbesondere machen sie geltend, dass sich die Schlussfolgerungen der EFSA nicht auf eine möglichst erschöpfende wissenschaftliche Bewertung oder auf die besten verfügbaren Daten gründeten und die EFSA eine rein hypothetische Risikobetrachtung angewendet habe.

i)      Zur Rüge eines der EFSA auferlegten großen Zeitdrucks

343    Syngenta macht geltend, dass die Risikobewertung übereilt erfolgt sei, was die Qualität und die Ausführlichkeit der wissenschaftlichen Forschungen beeinträchtigt habe. Insbesondere habe die EFSA die Kommission mehrmals darauf hingewiesen, dass es unrealistisch oder sogar unmöglich sei, die für die Bewertung gesetzte Frist einzuhalten, die nur fünf Monate betragen habe.

344    Außerdem seien bestimmte besondere Umstände des vorliegenden Falls geeignet gewesen, Probleme aufzuwerfen und eine längere Frist erforderlich zu machen als die üblicherweise für die Bewertung durch die EFSA erforderliche.

345    So habe erstens die EFSA mangels auf Grundlage der Stellungnahme der EFSA erstellter Leitlinien über keine anerkannte Methode für die Bewertung der Unbedenklichkeit der streitigen Wirkstoffe für Bienen und über kein definiertes Schutzziel verfügt.

346    Zweitens überprüfe die EFSA üblicherweise die bereits von den berichterstattenden Mitgliedstaaten durchgeführten Bewertungen auf der Grundlage eines Dossiers, das von dem Genehmigungsantragsteller vorgelegt werde. Da es sich jedoch im vorliegenden Fall um eine Neubewertung im Rahmen einer Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe von Amts wegen gehandelt habe, hätten weder vom Antragsteller vorbereitete Unterlagen noch ein Bericht des berichterstattenden Mitgliedstaats vorgelegen, so dass die EFSA selbst die Bewertung habe vornehmen müssen.

347    Drittens sei nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1107/2009 (oben in Rn. 7 angeführt) die Bewertung normalerweise auf repräsentative Verwendungszwecke beschränkt, während im vorliegenden Fall das zweite Mandat sämtliche zugelassenen Verwendungen der streitigen Wirkstoffe umfasst habe.

348    Die Kommission tritt dem Vorbringen von Syngenta entgegen.

349    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von Syngenta angeführte Frist von fünf Monaten vom 25. Juli 2012 bis zum Ende des Jahres 2012 berechnet ist. Das zweite Mandat war jedoch bereits am 25. April 2012 erteilt worden (vgl. oben, Rn. 21), während der Zeitpunkt 25. Juli 2012 der Beschränkung des zweiten Mandats entspricht, die die Kommission nach einem E‑Mail-Austausch mit der EFSA vornahm, um deren Besorgnissen hinsichtlich der fristgerechten Durchführbarkeit der Arbeiten Rechnung zu tragen (vgl. oben, Rn. 25). Selbst wenn der endgültige Umfang des zweiten Mandats daher erst am 25. Juli 2012 bestimmt wurde, konnte die EFSA die Vorarbeiten schon deutlich früher aufnehmen. Aus den hierzu zwischen der EFSA und der Kommission ausgetauschten E‑Mails geht insbesondere hervor, dass die Mitgliedstaaten aufgefordert worden waren, die ihnen verfügbaren relevanten Daten bis zum 8. Juni 2012 vorzulegen. Daraus folgt, dass die Frist, über die die EFSA verfügte, ungefähr acht Monate betrug und damit deutlich länger war als die von Syngenta behaupteten fünf Monate, selbst wenn man den Umstand berücksichtigt, dass die Kommission nach dem 25. April 2012 gegenüber der EFSA einige Fragen über den genauen Umfang ihres Auftrags klarstellen musste.

350    Sodann trifft es zu, dass die von Syngenta dargelegten besonderen Umstände (vgl. oben, Rn. 345 bis 347) in der Tat geeignet waren, die Aufgabe der EFSA zu erschweren und die für die Risikobewertung erforderliche Zeit zu verlängern.

351    Dennoch war die Frist, über die die EFSA im vorliegenden Fall verfügte, nicht übermäßig kurz. So hat die Kommission erstens – von den Klägerinnen unwidersprochen – vorgetragen, dass die EFSA im Allgemeinen zwischen sieben Monaten und einem Jahr benötige, um die Gutachterbewertung (Peer Review) und die Schlussfolgerungen für einen Wirkstoff abzuschließen. Die im vorliegenden Fall gewährte Frist war daher nicht ungewöhnlich. Zweitens stellt die Tatsache, dass die Bewertung im vorliegenden Fall nur die Risiken für Bienen und nicht die Gesamtheit der Risiken betraf, einen Umstand dar, der die Komplexität der Bewertung und den zeitlichen Aufwand gegenüber einer umfassenden Bewertung verringert. Daher berücksichtigte die für die Durchführung des zweiten Mandats gesetzte Frist – zwischen fünf und acht Monaten, je nach dem zugrunde gelegten Fristbeginn (vgl. oben, Rn. 349) – hinreichend die besonderen Umstände des vorliegenden Falls. Drittens betrug, wie oben in Rn. 313 dargelegt, die von Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgesehene gesetzliche Frist nur drei Monate ab dem Zeitpunkt der Anrufung der EFSA. Zwar wäre die gesetzliche Frist im vorliegenden Fall offensichtlich zu kurz gewesen, doch ist jedenfalls festzustellen, dass die Verordnung Nr. 1107/2009 daher auch nicht vorschrieb, der EFSA mehr Zeit als die von der Kommission festgesetzten acht Monate zu gewähren.

352    Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Präsentation des früheren Leiters des Referats „Pestizide“ der EFSA am 15. November 2012 vor einer Vereinigung von Herstellern von Pflanzenschutzmitteln, auf die sich Syngenta beruft, eher den Standpunkt der Kommission als den der Klägerinnen bestätigt. Wie nämlich die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, führte diese Präsentation, die in der Endphase der Bewertung der von den streitigen Wirkstoffen ausgehenden Risiken stattfand, zwar gewisse Probleme der EFSA an (nämlich das Fehlen eines Berichts des berichterstattenden Mitgliedstaats und die Vorlage von Daten durch die Mitgliedstaaten in verschiedenen Formaten, Sprachen und Fristen), erwähnte aber nicht, dass die EFSA oder der zuständige Referatsleiter der Ansicht gewesen wäre, dass die gewährte Frist unmöglich einzuhalten wäre oder die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigte.

353    Folglich ist die Rüge eines der EFSA auferlegten großen Zeitdrucks zurückzuweisen.

ii)    Zu den Rügen der Nichtberücksichtigung wichtiger einschlägiger wissenschaftlicher Daten durch die EFSA

354    Die Klägerinnen machen geltend, die EFSA habe im Rahmen der Risikobewertung wichtige einschlägige wissenschaftliche Daten nicht berücksichtigt, wie etwa die einschlägige, im Peer-Review-Verfahren begutachtete Fachliteratur, bestimmte Studien, die Überwachungsdaten und die Maßnahmen zur Risikobegrenzung.

–       Zum angeblichen Fehlen einer eingehenden Prüfung der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur samt Peer Review

355    Erstens macht Bayer geltend, dass die EFSA aufgrund der Kürze der von der Kommission vorgeschriebenen Frist völlig auf die übliche eingehende Prüfung der einschlägigen, im Peer-Review-Verfahren begutachteten wissenschaftlichen Literatur verzichtet habe.

356    Soweit Bayer damit auf die Prüfung der wissenschaftlichen und von Fachleuten überprüften Literatur durch die EFSA Bezug nimmt, die nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1107/2009 der Genehmigungsantragsteller dem von ihm eingereichten Dossier beizufügen hat, genügt insoweit, wie die Kommission zu Recht vorträgt, der Hinweis, dass der angefochtene Rechtsakt im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 erlassen wurde, das von der Kommission von Amts wegen und nicht auf der Grundlage eines von einem Antragsteller vorgelegten Dossiers eingeleitet wird.

357    Daher gab es im vorliegenden Fall kein „Dossier“ im Sinne von Art. 8 der Verordnung Nr. 1107/2009, das von dem Genehmigungsantragsteller eingereicht wurde und diese wissenschaftliche Literatur enthalten hätte, so dass die EFSA diese hätte prüfen können.

358    Das bedeutet allerdings nicht, dass die einschlägige wissenschaftliche Literatur im Rahmen einer Überprüfung nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht zu berücksichtigen wäre. Wie oben in Rn. 289 festgestellt, ergibt sich aus Art. 114 Abs. 3 AEUV sowie aus der dazu ergangenen Rechtsprechung, dass mangels gegenteiliger Anordnung die Entscheidungen, die die Kommission im Rahmen dieser Verordnung zu treffen hat, immer die neusten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu berücksichtigen haben.

–       Zur angeblichen Nichtberücksichtigung bestimmter vorliegender Studien

359    Die Klägerinnen bringen vor, dass die EFSA nicht die Gesamtheit der verfügbaren einschlägigen wissenschaftlichen Studien und insbesondere nicht die Studien der Stufen 2 und 3 (Studien unter naturnahen Bedingungen und unter natürlichen Bedingungen) berücksichtigt habe. Sie führen bestimmte Studien an, die nicht – oder nicht richtig – berücksichtigt worden seien.

360    Bayer legt dazu im Anhang der Erwiderung in der Rechtssache T‑429/13 eine Liste von Studien unter natürlichen und naturnahen Bedingungen über Imidacloprid und Clothianidin vor, die nicht angemessen berücksichtigt und so im Prozess der Risikobewertung außer Acht gelassen worden seien. Außerdem hat sie in der Klageschrift zwei im Jahr 2012 von Blacquière u. a. sowie von Cresswell u. a. veröffentlichte Artikel angeführt, die die EFSA nicht berücksichtigt haben soll.

361    Syngenta reicht ihrerseits eine Liste von Studien über Thiamethoxam ein, die sie der EFSA zur Verfügung gestellt und die diese nicht geprüft habe. Sie nennt insbesondere die Studien von Genersch (2010) und von Fent (2012).

362    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen. Sie hat in beiden Rechtssachen Tabellen vorgelegt, die auf der Grundlage der von den Klägerinnen eingereichten Tabellen erstellt wurden und in denen für jede der von den Klägerinnen genannten Studien entweder angegeben wird, dass sie berücksichtigt wurde (gegebenenfalls mit Angabe der Fundstelle in den Schlussfolgerungen der EFSA oder in anderen Dokumenten), oder die Gründe angeführt werden, weshalb sie von der EFSA zurückgewiesen wurden. Zum überwiegenden Teil beziehen sich diese Gründe auf den Umstand, dass die in Rede stehende Studie eine Anwendung betraf, die nicht Gegenstand der Bewertung durch die EFSA war, oder dass ihr Aufbau Schwächen aufwies, die ihren Nutzen oder ihre Beweiskraft für die Bewertung der Risiken beeinträchtigte.

363    Zunächst ist der Vorwurf zurückzuweisen, dass die EFSA generell Studien höherer Stufe außer Acht gelassen habe. Die Schlussfolgerungen der EFSA zu den streitigen Wirkstoffen enthalten nämlich jeweils Punkte, die spezifisch der Risikobewertung mittels Studien höherer Stufe gewidmet sind (Punkte 2.4.1, 2.2.5, 2.3.2 und 3.1.4 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Imidacloprid; Punkte 2.1.4, 2.2.5, 2.3.2 und 3.2.2 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Clothianidin; Punkte 2.1.4, 2.2.5 und 2.3.2 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam). In diesen Punkten fasst die EFSA die Erkenntnisse zusammen, die sie aus den von ihr geprüften Studien ziehen konnte, sowie die Punkte, zu denen diese Studien keine hinreichende Aufklärung bieten konnten. Die Rüge der Nichtberücksichtigung der Studien höherer Stufe kann daher nur bestimmte einzelne Studien betreffen.

364    Was sodann erstens die von Bayer angeführten Studien anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass diese sich in der Klageschrift – abgesehen von der allgemeinen Behauptung, die EFSA habe nicht sämtliche Studien berücksichtigt – darauf beschränkt hat, zwei Veröffentlichungen aus dem Jahr 2012 (den Artikel von Blacquière u. a. und einen von Cresswell u. a. veröffentlichten Artikel) anzuführen. Die Kommission ist dem Vorbringen zu diesen beiden Artikeln in mehrfacher Hinsicht in der Klagebeantwortung entgegengetreten. Sie hat u. a. vorgetragen, die Studie, die Gegenstand des Artikels von Blacquière u. a. war, sei eine sogenannte Sekundärstudie in Form eines systematischen Überblicks gewesen, der sich nicht auf eigene Versuche gegründet, sondern die Ergebnisse früherer Studien zusammengestellt und zusammengefasst habe, und der Artikel von Cresswell u. a. sei ein bloßer Kommentar zur Henry-Studie gewesen, die Thiamethoxam und somit einen von Bayer nicht vermarkteten Wirkstoff betroffen habe. Außerdem seien die Autoren der beiden Veröffentlichungen, die subletale Auswirkungen beträfen, nicht zu dem Ergebnis gelangt, die Wirkstoffe seien für Bienen unbedenklich, sondern hätten Schwachstellen in den Versuchsmethoden erörtert und weitere Versuche und andere Verbesserungen empfohlen. Schließlich habe die EFSA entgegen dem Vorbringen von Bayer diese beiden Artikel geprüft. In Anbetracht dieser von Bayer in der Erwiderung nicht bestrittenen Umstände ist das Vorbringen zu diesen beiden Studien zurückzuweisen.

365    In der Erwiderung hat Bayer eine neue Liste von Studien vorgelegt, die die EFSA nicht berücksichtigt haben soll. Diese Liste ist jedoch als verspätet zurückzuweisen. Zum einen steht unter der Annahme, dass es sich um einen neuen Klagegrund gegenüber demjenigen der Nichtberücksichtigung der aus dem Jahr 2012 stammenden Studien handelt, Art. 48 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 seiner Berücksichtigung entgegen. Zum anderen ist, wenn es sich um denselben Klagegrund handelt, die Liste nach Art. 48 § 1 der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 als Beweismittel, dessen verspätete Vorlage nicht begründet wurde, zurückzuweisen.

366    Zweitens versucht zwar Syngenta hinsichtlich der von ihr in der Erwiderung in der Rechtssache T‑451/13 angeführten Studien durch den Gebrauch der Wendung „aus irgendeinem Grund“ den Eindruck zu erwecken, die Kommission habe insoweit keine Begründung gegeben. Dies ist jedoch in Anbetracht der Erläuterungen der Kommission in der Tabelle in Anlage B.17 zur Klagebeantwortung in dieser Rechtssache, die ausreichen, um die (teilweise) Nichtberücksichtigung bestimmter Studien zu erklären und zu rechtfertigen, unzutreffend.

367    Was insbesondere die Studie von Fent (2012) anbelangt, so erklärt die Tatsache, dass diese Studie nach den eigenen Angaben von Syngenta erst nach den Schlussfolgerungen der EFSA abgeschlossen wurde, hinreichend, dass diese sie in diesen Schlussfolgerungen nicht berücksichtigen konnte. Außerdem hat sich die Kommission entgegen dem Vorbringen von Syngenta nicht damit begnügt, „zu sagen, dass sie für die EFSA nicht verfügbar war“, sondern hat, u. a. unter Bezugnahme auf die Kritik Deutschlands, die Schwächen und Grenzen dieser Studie substantiiert dargelegt.

368    Ebenso legt die Kommission zur Genersch-Studie (2010) sowohl in der Klagebeantwortung als auch in der Gegenerwiderung in der Rechtssache T‑451/13 dar, dass diese Studie nicht Thiamethoxam betroffen habe und daher keine zuverlässigen Informationen zum Nichtbestehen eines Risikos habe liefern können, das mit Produkten mit diesem Wirkstoff verbunden sei. Syngenta hat auf dieses Vorbringen nicht geantwortet. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass sie nicht nachgewiesen hat, dass die Nichtberücksichtigung der Genersch-Studie (2010), zu der die Kommission im Übrigen einräumt, dass sie von der EFSA hätte ausdrücklich begründet werden müssen, eine Auswirkung auf die Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam haben konnte.

369    Schließlich hat die Kommission zu einer dritten Studie, der Studie von Muehlen u. a. (1999), Stellung genommen, die die EFSA als „irrelevant“ angesehen hatte, weil die Autoren bestimmte wesentliche Informationen zu den Umständen der Versuche nicht angegeben hätten. In Anbetracht dieser Angaben der Kommission, des Alters der in Rede stehenden Studie und der Tatsache, dass sie im Rahmen der Prüfung der Unterlagen im Rahmen der ursprünglichen Aufnahme von Thiamethoxam in die Liste der Wirkstoffe nicht dem Peer-Review-Verfahren unterzogen wurde (was möglicherweise den von der Kommission aufgezeigten Schwächen geschuldet war), ist festzustellen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Nichtberücksichtigung der Studie von Muehlen u. a. (1999) durch die EFSA eine Auswirkung auf die Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam hatte.

370    Folglich ist die Rüge einer Nichtberücksichtigung bestimmter wissenschaftlicher Studien durch die EFSA zurückzuweisen.

–       Zur angeblichen Nichtberücksichtigung der Überwachungsdaten und der Maßnahmen zur Risikobegrenzung

371    Die Klägerinnen machen geltend, dass die EFSA entgegen den Anforderungen von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 die Überwachungsdaten und die verfügbaren Maßnahmen zur Risikobegrenzung nicht berücksichtigt habe, obwohl es sich um relevante Daten und Informationen gehandelt habe.

372    Die Kommission trägt vor, dass die Relevanz der Überwachungsdaten sehr wohl von den Experten geprüft worden sei, um nach Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 zu bestimmen, ob die Genehmigungskriterien nach Art. 4 dieser Verordnung weiterhin erfüllt waren. Außerdem tritt sie dem Vorbringen entgegen, wonach die bestehenden Überwachungsdaten entscheidend belegten, dass die Bienen keinem unannehmbaren Risiko ausgesetzt seien.

373    Erstens sind innerhalb der vorliegenden Rüge zwei Vorwürfe zu unterscheiden: Der erste betrifft den Umstand, dass die Überwachungsdaten und die Maßnahmen zur Risikobegrenzung von der EFSA außer Acht gelassen worden seien, der zweite den Umstand, dass diese Daten oder diese Maßnahmen, obwohl von der EFSA geprüft, nicht richtig berücksichtigt worden seien.

374    Zum ersten Vorwurf ergibt sich aus den Akten, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen die EFSA weder die verfügbaren Überwachungsdaten noch die Maßnahmen zur Risikobegrenzung außer Acht gelassen hat. Die Schlussfolgerungen der EFSA enthalten nämlich zu jedem der streitigen Wirkstoffe jeweils einen Punkt, der spezifisch einer Zusammenfassung der der EFSA zugeleiteten Überwachungsdaten gewidmet ist (Punkt 5 der Schlussfolgerungen zu Imidacloprid; Punkt 4 der Schlussfolgerungen zu Clothianidin; Punkt 3 der Schlussfolgerungen zu Thiamethoxam) und in dem die Vorfälle, die sich ereignet hatten und mit der Verwendung der streitigen Wirkstoffe in Verbindung gebracht wurden, sowie die gegebenenfalls nach der Einführung etwaiger Maßnahmen der Risikobegrenzung beobachteten Ergebnisse, soweit sie der EFSA übermittelt worden waren, wiedergegeben werden. Was insbesondere die Letzteren anbelangt, vermerkte die EFSA u. a., dass in Österreich die Einführung von Maßnahmen wie der Verwendung von Deflektoren bei der Aussaat zu einer erheblichen Verbesserung der Situation geführt habe.

375    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Überwachungsdaten und die Maßnahmen zur Risikobegrenzung auf nationaler Ebene erhoben bzw. durchgeführt werden und daher den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Letztere wurden von der EFSA mit E‑Mail vom 15. Oktober 2012 aufgefordert, ihr alle Daten vorzulegen, über die sie insoweit verfügten, damit sie im November 2012 unter den Experten der EFSA und der Mitgliedstaaten zur Diskussion gestellt werden konnten. Aus dem Einleitungssatz der den Überwachungsdaten gewidmeten Punkte der Schlussfolgerungen der EFSA geht jedoch hervor, dass als einzige Mitgliedstaaten Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien solche Daten übermittelt haben. Unter diesen Umständen kann die Nichtberücksichtigung von Daten und Maßnahmen, die trotz besagter Aufforderung von den Mitgliedstaaten nicht übermittelt worden wären, der EFSA nicht vorgeworfen werden oder als Fehler des angefochtenen Rechtsakts angesehen werden. Dadurch geht u. a. der Verweis von Bayer auf die Maßnahmen zur Risikobegrenzung, die in Ungarn umgesetzt worden seien, ins Leere.

376    In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die von den Klägerinnen geltend gemachten Risikobegrenzungsmaßnahmen vor allem die Verwendung von Deflektoren bei der Saat betreffen, die die Exposition durch Staub verringern sollen. Folglich ist diese Risikobegrenzungsmaßnahme nicht geeignet, die Risiken zu verringern, die mit anderen Expositionswegen verbunden sind, wie die Exposition gegenüber Rückständen im Nektar und im Pollen und die Exposition durch Guttationsflüssigkeit, die in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellt wurden.

377    Demzufolge ist der erste Vorwurf zurückzuweisen.

378    Zum zweiten Vorwurf macht Syngenta geltend, dass die Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam auf weniger als zwei Seiten mehrere Tausend Seiten Überwachungsdaten zusammenfassten, die sodann in ihrer Gesamtheit auf der Grundlage kurzer Anmerkungen zurückgewiesen würden.

379    Die EFSA hat in jeder ihrer drei Schlussfolgerungen zu den streitigen Wirkstoffen den Abschnitt zu den Überwachungsdaten mit einem Punkt abgeschlossen, der die Überschrift „Allgemeine Schlussfolgerung zu den Überwachungsdaten“ trägt und wie folgt lautet:

„Während [des Treffens des wissenschaftlichen Ausschusses für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände der EFSA (Panel on Plant Protection Products and their Residues, PPR) vom 5. bis zum 9. November 2012] erörterten die Experten die Verwendung der Überwachungsdaten im Rahmen der Risikobewertung. Es wurde die Auffassung vertreten, dass es problematisch sein könne, die Überwachungsdaten in einer Risikobewertung unmittelbar heranzuziehen, da es in den Überwachungsdaten viele wirksame Parameter gebe, die nicht vollständig zu erfassen seien (Pestizidexposition, klimatische Bedingungen, Auftreten von Krankheiten, landwirtschaftliche Methoden usw.). Sodann sei es schwierig, einen Zusammenhang zwischen der Exposition und den beobachteten Auswirkungen in den Überwachungsdaten (im Sinne von Kausalität) nachzuweisen. Es wurde auch festgestellt, dass die Überwachungsdaten kein Gesamtbild liefern könnten, da in gewissen Fällen nicht alle Parameter untersucht würden (z. B. die Verwendung von Tierarzneimitteln). Ebenso seien die Überwachungsdaten nur für den betreffenden Mitgliedstaat (und für die in diesem Mitgliedstaat genehmigte gute landwirtschaftliche Praxis) und nicht für alle genehmigten Verwendungen oder ökologischen und agronomischen Bedingungen in der [Union] relevant. Insgesamt wurde die Auffassung vertreten, dass die Überwachungsdaten für die Risikobewertung von begrenztem Nutzen seien, aber dass sie nützlich sein könnten, um den Verantwortlichen für das Risikomanagement Rückmeldungen zu geben, damit sie Vorsorgemaßnahmen in Betracht ziehen könnten.“

380    Diese Ausführungen beschreiben zutreffend die bereits oben in den Rn. 208 bis 212 dargelegten Merkmale und Beschränkungen der Überwachungsdaten, die ihren Nutzen für die Risikobewertung beeinträchtigen. Da es sich um gemeinsame Merkmale aller Überwachungsdaten handelt, war es möglich, sie gesamthaft darzustellen, ohne dass der EFSA die Kürze der Prüfung vorgeworfen werden könnte. Diese Merkmale vermögen zu erklären, aus welchen Gründen die Überwachungsdaten von der EFSA zwar berücksichtigt werden, aber keinen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der Risikobewertung haben können und insbesondere nicht mit hinreichender Sicherheit die Unbedenklichkeit der streitigen Wirkstoffe nachweisen können.

381    Daraus folgt, dass der zweite Vorwurf, wonach die EFSA die Überwachungsdaten und die Maßnahmen zur Risikobegrenzung nicht richtig berücksichtigt habe, zurückzuweisen ist.

382    Folglich ist die Rüge einer Nichtberücksichtigung der Überwachungsdaten und der Maßnahmen zur Risikobegrenzung durch die EFSA zurückzuweisen.

iii) Zur Rüge einer rein hypothetischen Risikobetrachtung

383    Die Klägerinnen weisen auf die oben in Rn. 116 angeführte Rechtsprechung hin, wonach eine vorbeugende Maßnahme nicht mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden darf, die auf wissenschaftlich noch nicht verifizierte bloße Vermutungen gestützt ist, und machen geltend, dass die Schlussfolgerungen der EFSA in der Mehrheit der Fälle kein Risiko festgestellt hätten, dass sämtliche Überwachungsdaten auf ein fehlendes Risiko hingedeutet hätten und dass die wenigen festgestellten erhöhten Risiken rein hypothetisch seien.

384    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

–       Zur Frage, ob in den Schlussfolgerungen der EFSA Risiken festgestellt wurden

385    Zum einen ist zur Frage, ob in den Schlussfolgerungen der EFSA Risiken festgestellt wurden, daran zu erinnern, dass die EFSA insbesondere Folgendes feststellte:

–        ein hohes akutes Risiko für Honigbienen bei Exposition durch Staubabdrift bei der Behandlung von Saatgut von Mais, Raps, Getreide (Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam) sowie von Baumwolle (Imidacloprid, Thiamethoxam);

–        ein hohes akutes Risiko für Bienen bei Exposition gegenüber Rückständen im Nektar und im Pollen bei der Verwendung an Raps (Clothianidin, Imidacloprid) sowie an Baumwolle und Sonnenblumen (Imidacloprid);

–        ein hohes akutes Risiko bei Exposition durch Guttationsflüssigkeit bei der Verwendung an Mais (Thiamethoxam).

386    Zum anderen machten die Schlussfolgerungen der EFSA auf gewisse Unsicherheiten betreffend u. a. bestimmte Kulturen, bestimmte Expositionswege, das akute und das langfristige Risiko für das Überleben und die Entwicklung von Bienenvölkern sowie das Risiko für andere Bestäuberinsekten aufmerksam. Insoweit kam die EFSA somit zu dem Ergebnis, dass die verfügbaren Daten keine Schlussfolgerungen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Risikos zuließen.

387    Folglich ist festzustellen, dass in den Schlussfolgerungen der EFSA für jeden der streitigen Wirkstoffe mehrere relevante Risiken hinsichtlich mehrerer genehmigter Verwendungen festgestellt wurden. Unter diesen Umständen ist die Frage, ob, wie Syngenta geltend macht, diese Risiken nicht „die Mehrheit der Fälle“ betrafen, nicht von Belang.

388    Hingegen hat die EFSA aufgrund unzureichender verfügbarer wissenschaftlicher Kenntnisse in ihren Schlussfolgerungen zu den streitigen Wirkstoffen keine Feststellung zum Vorliegen oder Nichtvorliegen von akuten oder langfristigen Risiken für das Überleben der Bienenvölker getroffen, und das obwohl diese Risiken ausdrücklich zum Gegenstand des von der Kommission erteilten zweiten Mandats gehörten (vgl. oben, Rn. 21). So zählte die EFSA in dem Punkt der Schlussfolgerungen, der die bei der Bewertung festgestellten Datenlücken behandelt, zahlreiche Gebiete auf, auf denen zusätzliche Forschungen erforderlich seien, um Feststellungen treffen zu können, insbesondere zu den akuten und langfristigen Auswirkungen auf das Überleben der Bienenvölker.

389    Syngenta beruft sich hierauf, um von „unschlüssigen Schlussfolgerungen“ oder von „Nicht-Schlussfolgerungen“ zu sprechen. Allerdings ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Risikobewertung hinsichtlich bestimmter der untersuchten Risiken nicht zu eindeutigen Feststellungen geführt hat, weder ihre Rechtmäßigkeit noch ihren Nutzen für den Erlass des angefochtenen Rechtsakts beeinträchtigt.

–       Zur Frage, ob die von der EFSA festgestellten Risiken hypothetisch sind

390    Soweit die Klägerinnen allgemein eine fehlende wissenschaftliche Grundlage und einen fehlerhaften Inhalt der Schlussfolgerungen der EFSA geltend machen, ergibt sich erstens aus der Prüfung der insoweit erhobenen Rügen in den vorstehenden Rn. 342 bis 382, dass die Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe, deren Ergebnis die Schlussfolgerungen der EFSA darstellen, nach den wissenschaftlichen Regeln durchgeführt wurde. Da die Klägerinnen nicht nachgewiesen haben, dass die Bewertung mit Fehlern behaftet war, haben die Risiken, deren Vorliegen in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellt wurde, als wissenschaftlich begründet zu gelten und können nicht pauschal als hypothetisch angesehen werden.

391    Insbesondere ist das Vorbringen von Syngenta unbegründet, wonach die wenigen festgestellten Risiken rein hypothetisch seien, da der in den Bewertungen der Stufe 1 gewählte Ansatz besonders vorsichtig gewesen sei.

392    Insoweit wird auf die vorstehenden Rn. 306 bis 325 verwiesen, in denen dargelegt worden ist, dass zwar die Entscheidung der Kommission, eine Bewertung der Risiken der streitigen Wirkstoffe vorzunehmen, ohne das endgültige Vorliegen von Leitlinien zu den Versuchen abzuwarten, bedeutete, dass einige der Risiken, die festgestellt wurden oder die nicht ausgeschlossen werden konnten, sich später als nicht bestehend erweisen konnten (vgl. oben, Rn. 308), diese Entscheidung jedoch im vorliegenden Fall gerechtfertigt war, und zwar insbesondere in Anwendung des Vorsorgeprinzips (vgl. oben, Rn. 325).

393    Es ist daher festzustellen, dass zwar die Schlussfolgerungen der EFSA ein Potenzial für „blinden Alarm“ enthalten können, dass dieser Umstand jedoch nicht allgemein als Folge eines besonders vorsichtigen Ansatzes der EFSA im Rahmen der Bewertungen der Stufe 1 angesehen werden kann, sondern dass er vielmehr die Folge der Entscheidung der Kommission ist, die Bewertung der Risiken zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem die Durchführung einer Bewertung der Stufen 2 und 3 weitgehend unmöglich war – zum einen aufgrund des Fehlens endgültiger Leitlinien und zum anderen aufgrund des Erfordernisses, angesichts neuer wissenschaftlicher Kenntnisse, die darauf hindeuteten, dass die Genehmigungsbedingungen nicht mehr erfüllt sein könnten, so rasch wie möglich tätig zu werden. Da die Prüfung dieser Entscheidung der Kommission auch in Anbetracht ihrer Folgen keine Rechtswidrigkeiten hat erkennen lassen, ist das Vorbringen hinsichtlich eines besonders vorsichtigen Ansatzes bei der Bewertung der Stufe 1 zurückzuweisen.

394    Was das Vorbringen betrifft, die Überwachungsdaten und die Studien höherer Stufe hätten auf ein fehlendes Risiko hingewiesen, ist oben in Rn. 380 dargelegt worden, weshalb diese Daten einen solchen Schluss nicht zuließen.

395    Zweitens macht Bayer geltend, dass selbst untergeordnete offene Fragen die EFSA veranlasst hätten, ganze Datensätze auszusondern oder sie in ihren Schlussfolgerungen nicht zu berücksichtigen, und dass die EFSA selbst in den Bereichen, in denen keinerlei Hinweis auf ein Risiko bestanden habe, Mittel gefunden habe, auf das Vorliegen von Datenlücken zu schließen, da kein anerkanntes Versuchs- und Bewertungsverfahren bestehe.

396    Um dieses Vorbringen zurückzuweisen, genügt, wie die Kommission geltend macht, der Hinweis, dass Bayer insoweit keine Einzelheiten anführt, so dass es dem Gericht nicht möglich ist, die Begründetheit ihres Vorbringens zu prüfen.

397    Drittens trägt Syngenta eine Reihe von Einwänden gegenüber Einzelheiten der in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellten Risiken vor.

398    Als Erstes macht Syngenta geltend, die EFSA habe bei der Berechnung der Exposition durch Staubabdrift unangemessen hohe Saatstärken für Raps und Sonnenblumen angewendet. Realistisch seien Saatstärken von maximal 4 kg/ha für Raps und maximal 5,5 kg/ha für Sonnenblumen. Diese Fehler hätten das Ergebnis der Risikobewertung zu Thiamethoxam unmittelbar beeinflusst.

399    Die Kommission tritt dem Vorbringen von Syngenta entgegen.

400    Zunächst ist festzustellen, dass sich aus der Tabelle in Anhang A der Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam ergibt, dass die angewendeten Saatstärken je nach Mitgliedstaat erheblich voneinander abweichen und zwischen 4 und 8 kg/ha für Raps sowie zwischen 6 und 7 kg/ha für Sonnenblumen liegen.

401    Sodann hat Syngenta das Vorbringen der Kommission nicht bestritten, wonach die von der EFSA angewandten Saatstärken diejenigen gewesen seien, die ihr von den Mitgliedstaaten mitgeteilt worden seien, um die in jedem Mitgliedstaat definierte „gute landwirtschaftliche Praxis“ und die Genehmigungsbedingungen der verschiedenen Pflanzenschutzmittel in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Diese Saatstärken sind nämlich von den Erzeugern im Rahmen des Antrags auf Genehmigung der Pflanzenschutzmittel auf nationaler Ebene anzugeben.

402    Unter diesen Umständen ist die Frage, ob die tatsächlich in der Praxis angewendeten Saatstärken unter den von der EFSA angewendeten Mengen liegen könnten, nicht relevant. Die von den Mitgliedstaaten erteilten Genehmigungen von Pflanzenschutzmitteln gründen sich nämlich auf die Saatstärken, die der jedem Mitgliedstaat eigenen „guten landwirtschaftlichen Praxis“ entsprechen, und es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass diese Saatstärken in der Praxis tatsächlich erreicht werden. Folglich hatte die EFSA das mit Thiamethoxam verbundene Risiko zu prüfen, indem sie die höchste zugelassene Saatstärke anwendete, um sämtliche in der Union genehmigten Verwendungen zu berücksichtigen.

403    Demzufolge ist das Vorbringen der Anwendung unrealistischer Saatstärken zurückzuweisen.

404    Als Zweites macht Syngenta geltend, die EFSA habe in Bezug auf die Exposition durch Staubabdrift von Saatgut von Raps einen zu hohen Depositionswert herangezogen. Während die EFSA einen Wert von 2,7 % festgelegt habe, sei später in den Leitlinien von 2013 ein niedrigerer Wert festgesetzt worden.

405    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

406    Wie sich aus Rn. 161 der Klageschrift in der Rechtssache T‑451/13 ergibt, bringt Syngenta dieses Argument als Beispiel für ihre Ansicht vor, wonach im Rahmen der Bewertung der Stufe 1 „eine geringfügige Änderung eines einzelnen hypothetischen Werts das Ergebnis der Bewertung der Risiken völlig verändern kann [und] die Änderung mehrerer Variablen diese Wirkung exponentiell verstärkt“. Zum einen beschreibt diese Auffassung jedoch nur die unvermeidbaren Folgen des Umstands, dass die Risikobewertung das Ergebnis komplexer Prüfungen ist, die die Berücksichtigung zahlreicher Variablen bedingen, wovon einige auf Schätzungen beruhen oder Näherungswerte darstellen. Hingegen kann sie nicht dazu dienen, die Gültigkeit der Bewertung als solche in Frage zu stellen, sofern die durch die Wechselbeziehung mehrerer ungewisser Faktoren verursachten Unsicherheiten hinreichend berücksichtigt werden. Zum anderen wies die EFSA in ihren Schlussfolgerungen zu Thiamethoxam ausdrücklich auf das Erfordernis hin, diese Umstände zu berücksichtigen, indem sie ausführte, dass „[z]u bemerken ist, dass diese Werte aus einem Leitlinienentwurf stammen und daher später geändert werden könnten; folglich sind die folgenden Risikobewertungen mit Vorsicht auszulegen“.

407    Demzufolge ist das Vorbringen der Anwendung eines zu hohen Depositionswerts als ins Leere gehend zurückzuweisen.

408    Als Drittes macht Syngenta geltend, dass die Feststellung eines erhöhten Risikos hinsichtlich der Exposition durch Guttation von Mais auf unrealistischen Annahmen beruhe. Die Bewertung stütze sich nämlich auf die Konzentrationswerte von Thiamethoxam in der Guttationsflüssigkeit bis zu sechs Wochen nach dem Auflaufen (Zeitpunkt, zu dem die Pflanze die Ackerkrume durchstößt), während die Konzentrationswerte danach abnähmen, und die Blüte, während derer die Pflanzen für Bienen attraktiv sein könnten, erfolge erst zehn bis 13 Wochen nach dem Auflaufen. Außerdem sei nicht sicher, ob Bienen die Guttationsflüssigkeit von Mais verwendeten, denn zum einen trete Guttation nur unter feuchten Bedingungen auf, d. h., wenn auch andere Wasserquellen für Bienen vorhanden seien, und zum anderen werde Mais durch den Wind bestäubt und sei daher selbst zum Zeitpunkt der Blüte keine „Kultur, die für Bienen interessant ist“. Auf diese Unsicherheit werde von der EFSA selbst mehrmals hingewiesen.

409    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

410    Es ist insoweit festzustellen, dass Punkt 2.3 der Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam, der die Bewertung des mit der Guttation verbundenen Risikos behandelt, in drei Punkte unterteilt ist, die die Bewertung der Stufe 1 (Punkt 2.3.1), die Bewertung mittels Studien höherer Stufe (Punkt 2.3.2) und die Schlussfolgerung zum mit der Guttation verbundenen Risiko (Punkt 2.3.3) enthalten. Die Argumente von Syngenta beziehen sich ausschließlich auf Punkt 2.3.1 und daher auf die Bewertung der Stufe 1.

411    Wie in diesem Punkt ausdrücklich dargelegt wird, geht es auf dieser Stufe darum, das potenzielle Risiko zu bewerten, das mit der oralen Aufnahme von Guttationsflüssigkeit durch Bienen verbunden ist, ohne dass bereits bekannt ist, ob und in welchem Ausmaß die Bienen tatsächlich Guttationsflüssigkeit aufnehmen. Außerdem stellt die EFSA fest, dass die verfügbaren Informationen zur Wasseraufnahme von Trachtbienen unzureichend seien. Folglich wird am Ende von Punkt 2.3.1 lediglich festgestellt, dass „es [klar] ist …, dass die in der Guttationsflüssigkeit in Maiskeimlingen gefundenen Konzentrationen potenziell Besorgnis in Bezug auf Bienen im Fall der Exposition durch Guttationsflüssigkeit erregen können“.

412    Syngenta lässt jedoch unerwähnt, dass die EFSA anschließend in Punkt 2.3.2 darlegt, dass sich aus vier verfügbaren und von ihr geprüften Feldstudien (Stufe 3) zur Guttation zum einen ergebe, dass die Sterblichkeit der Bienen während des Auflaufens der Maiskeimlinge einen Höhepunkt erreicht habe, und zum anderen, dass vernünftigerweise angenommen werden könne, dass diese Sterblichkeit im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Thiamethoxam (oder seinem Abbauprodukt Clothianidin) durch Guttationsflüssigkeit stehe. Die EFSA schloss daraus, dass „[i]nsgesamt … die Ergebnisse zur Sterblichkeit von drei der Studien darauf hin[wiesen], dass ein akutes Risiko für die Bienen aufgrund von Guttationsflüssigkeit zum Zeitpunkt des Auflaufens best[and]“.

413    Zwar weist die EFSA mehrfach darauf hin, dass aufgrund der geringen Anzahl von verfügbaren Studien über die Guttation Unsicherheiten bestünden und diese Schlussfolgerungen noch durch weitere Forschungen bestätigt werden müssten. Dennoch ist festzustellen, dass offensichtlich die verschiedenen von Syngenta vorgetragenen, oben in Rn. 408 wiedergegebenen Umstände nicht verhindert haben, dass die Bienen ab dem Auflaufen der Keimlinge und daher zu dem Zeitpunkt, zu dem die Konzentration von Thiamethoxam in der Guttationsflüssigkeit am höchsten war, der Guttationsflüssigkeit ausgesetzt waren. Das Vorliegen eines akuten Risikos für Bienen aufgrund der Exposition durch die Guttation von Mais wurde daher von der EFSA auf der Grundlage von Feldstudien festgestellt und folglich für realistische Verwendungsbedingungen von Pflanzenschutzmitteln, die den Wirkstoff Thiamethoxam enthalten.

414    Unter diesen Umständen ist das Vorbringen von Syngenta zu unrealistischen Annahmen, unter denen die EFSA das Vorliegen eines erhöhten Risikos im Zusammenhang mit der Guttation von Mais festgestellt habe, als unbegründet zurückzuweisen.

415    Folglich ist die Rüge betreffend eine rein hypothetische Betrachtung des Risikos und somit die Rügen in Verbindung mit der Bewertung der Risiken durch die EFSA insgesamt zurückzuweisen.

3)      Zu den Rügen in Verbindung mit dem Risikomanagement durch die Kommission

416    Es sind nunmehr die Rügen zu prüfen, die die Art und Weise betreffen, in der die Kommission im Rahmen des ihr obliegenden Risikomanagements die Schlussfolgerungen der EFSA berücksichtigt und die im angefochtenen Rechtsakt getroffenen Maßnahmen beschlossen hat. Insoweit machen die Klägerinnen geltend, die getroffenen Maßnahmen seien unnötig, unverhältnismäßig oder sogar willkürlich.

i)      Zur Rüge eines übereilten Verfahrens und öffentlicher Stellungnahmen der Kommission

417    Die Klägerinnen machen geltend, dass die „Rekordgeschwindigkeit“, mit der die Kommission gehandelt habe, nachdem sie die Schlussfolgerungen der EFSA erhalten habe, deutlich zeige, dass sie es unterlassen habe, weniger belastenden anderen Optionen die gebotene Aufmerksamkeit zu widmen. Die Kommission habe weder die Möglichkeit berücksichtigt, weniger strikte Maßnahmen zu erlassen, noch mögliche Maßnahmen zur Risikobegrenzung.

418    Die Kommission bestreitet, dass der angefochtene Rechtsakt übereilt erlassen worden sei. Insbesondere habe sie die Maßnahmen zur Risikobegrenzung und ihre verschiedenen Formen und Aspekte untersucht.

419    Zunächst ist festzustellen, dass das Verfahren zwischen der Veröffentlichung der Schlussfolgerungen der EFSA und dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts wie folgt ablief:

–        20. Dezember 2012: Übermittlung einer vorläufigen Fassung der Schlussfolgerungen der EFSA an die Kommission und die Klägerinnen;

–        16. Januar 2013: Veröffentlichung der Schlussfolgerungen der EFSA; Aufforderung an die Klägerinnen, binnen zehn Tagen ihre Stellungnahmen einzureichen;

–        25. Januar 2013: Stellungnahmen der Klägerinnen zu den Schlussfolgerungen der EFSA;

–        28. Januar 2013: Verteilung des Arbeitsdokuments für die Sitzung des Ausschusses vom 31. Januar und 1. Februar 2013 an die Mitgliedstaaten;

–        31. Januar und 1. Februar 2013: Sitzung des Ausschusses;

–        22. Februar 2013: Übermittlung des Entwurfs des angefochtenen Rechtsakts an die Klägerinnen, mit der Aufforderung, binnen acht Tagen Stellungnahmen einzureichen;

–        1. März 2013: Stellungnahmen der Klägerinnen zum Entwurf des angefochtenen Rechtsakts;

–        14. und 15. März 2013: Erörterung des Entwurfs des angefochtenen Rechtsakts im Ausschuss (Fehlen einer qualifizierten Mehrheit);

–        29. April 2013: Sitzung des Berufungsausschusses (Fehlen einer qualifizierten Mehrheit);

–        24. Mai 2013: Erlass des angefochtenen Rechtsakts.

420    Insoweit weist die Kommission erstens hinsichtlich der zwischen der Veröffentlichung der Schlussfolgerungen der EFSA und dem Vorschlag der in dem angefochtenen Rechtsakt ausgesprochenen Beschränkungen vergangenen Zeit darauf hin, dass sie die vorläufige Fassung der Schlussfolgerungen der EFSA am 20. Dezember 2012 erhalten habe und sie erstmals Mitte März 2013, also ungefähr drei Monate später, im Ausschuss den Vorschlag eines Entwurfs des angefochtenen Rechtsakts vorgelegt habe.

421    Auch wenn dies in formaler Hinsicht zutrifft, ist jedoch festzustellen, dass die Maßnahmen, die in dem angefochtenen Rechtsakt enthalten sind, im Wesentlichen bereits im Arbeitsdokument vom 28. Januar 2013 zwecks Erörterung in der Sitzung des Ausschusses vom 31. Januar und 1. Februar 2013 vorgeschlagen wurden. Dieses Dokument enthielt nämlich u. a. folgende Passage: „In Anbetracht der Datenlücken und der von der EFSA festgestellten Risiken ist die GD SANCO [(Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz)] der Ansicht, dass es nunmehr dringend erforderlich ist, regulatorisch tätig zu werden. Wir haben verschiedene Maßnahmen identifiziert: 1. … Einschränkung der Verwendung der Pflanzenschutzmittel, die diese Wirkstoffe enthalten, auf die Kulturen, die für Bienen nicht interessant sind, … und auf Wintergetreidearten … 5. Beschränkung der Verwendung auf gewerbliche Nutzer …“ Tatsächlich kündigte die Kommission daher, wie die Klägerinnen zu Recht geltend machen, ihre Absicht, die Verwendung der streitigen Wirkstoffe u. a. für sämtliche Kulturen einzuschränken, die für Bienen interessant sind, bereits am 28. Januar 2013 an und somit nur ungefähr fünf Wochen nach dem Erhalt der vorläufigen Fassung der Schlussfolgerungen.

422    Dennoch reichte diese Zeit aus, damit sich die Dienststellen der Kommission eine erste Auffassung dazu bilden konnten, welche Konsequenzen aus den Schlussfolgerungen der EFSA ihres Erachtens in angemessener Weise zu ziehen seien, und dies insbesondere, ohne die Möglichkeit des Erlasses weniger einschränkender Maßnahmen zu vernachlässigen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verwendungen, die nach dem Vorschlag der Kommission in dem Arbeitsdokument vom 28. Januar 2013 eingeschränkt werden sollten, weitgehend denjenigen entsprachen, für die die EFSA entweder ein akutes Risiko festgestellt hatte oder aufgrund des Fehlens von erforderlichen Daten ein Risiko nicht hatte ausschließen können. Außerdem ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die EFSA im vorliegenden Fall bestimmte Risiken positiv festgestellt hatte und dass die Kommission daher zu Recht davon ausgehen konnte, dass der Erlass geeigneter Maßnahmen nicht ungebührlich verzögert werden dürfe – im Gegensatz zu der Situation bei der Vorbereitung der ersten Genehmigung eines Wirkstoffs, in der eine Verzögerung im Verfahren definitionsgemäß keinen Schaden für die Umwelt verursachen kann.

423    Zweitens lässt auch die Frist von drei ein Wochenende einschließenden Tagen zwischen dem Erhalt der Stellungnahmen der Klägerinnen zu den Schlussfolgerungen der EFSA durch die Kommission am Freitag, den 25. Januar 2013 und der Übermittlung des Arbeitsdokuments an die Mitgliedstaaten am Montag, den 28. Januar 2013 im Hinblick auf die Sitzung des Ausschusses vom 31. Januar und 1. Februar 2013 nicht auf ein übereiltes Verfahren schließen. Zwar erscheint diese Frist zu kurz, als dass die Stellungnahmen der Klägerinnen im Arbeitsdokument hätten berücksichtigt werden können, doch ist darauf hinzuweisen, dass zum einen in diesem Dokument nicht angegeben wird, dass die Klägerinnen vor seiner Ausarbeitung konsultiert worden wären, und die Kommission auch nicht behauptet, dass dies der Fall gewesen wäre, und zum anderen die Kommission zu einer solchen Konsultation für die Zwecke der Ausarbeitung eines für den Ausschuss bestimmten Arbeitsdokuments nicht verpflichtet war. Die Erörterung der auf die Schlussfolgerungen der EFSA hin zu ergreifenden Maßnahmen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten war nämlich unabhängig von den Stellungnahmen der Klägerinnen hierzu, und es war zwischen beiden keine Reihenfolge einzuhalten. Daher konnte die Kommission parallel die Konsultationen mit den Mitgliedstaaten führen und die Stellungnahmen der Klägerinnen einholen, deren Berücksichtigung im Rahmen der Ausarbeitung des am 22. Februar 2013 übermittelten Entwurfs des angefochtenen Rechtsakts ausreichend war.

424    Drittens geht aus den verschiedenen Erklärungen der Kommission vom 28. Januar 2013, die von Syngenta angeführt werden, entgegen deren Vorbringen nicht hervor, dass die Auffassung der Kommission zu den zu treffenden Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt bereits so weit endgültig festgelegt gewesen wäre, dass sie weitere Überlegungen zur Möglichkeit, weniger belastende Maßnahmen zu erlassen, ausgeschlossen oder verhindert hätte.

425    Was zunächst die Erklärungen eines Direktors der GD „Gesundheit und Lebensmittelsicherheit“ vor dem Ausschuss „Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit“ des Parlaments betrifft, so werden diese in einem elektronischen Presseartikel vom 25. Januar 2013 wie folgt wiedergegeben:

„Viele werden erfreut gewesen sein, von [X], einem Direktor der GD SANCO, zu hören, dass ‚wir unverzüglich handeln müssen‘. Auch wenn er einräumte, dass die Kommission praktisch noch dabei sei, zu ‚bewerten‘ und über die Beweise ‚nachzudenken‘, während sie auf weitere Empfehlungen der EFSA warte.“

426    Vorausgesetzt, sie wurden richtig wiedergegeben, ergibt sich aus diesen Äußerungen, dass die Kommission der Ansicht war, die Feststellungen in den Schlussfolgerungen der EFSA machten ein sofortiges Tätigwerden erforderlich, dass aber der Reflexionsprozess in dieser Hinsicht noch nicht abgeschlossen war. Eine solche Stellungnahme erscheint angemessen, da sie zum einen durch die Ernsthaftigkeit der von der EFSA festgestellten Risiken und Unsicherheiten gerechtfertigt war und zum anderen den Umstand gebührend berücksichtigte, dass Art und der Umfang der zu treffenden Maßnahmen noch festzulegen waren.

427    Gleiches gilt für die Pressemitteilung des Rates über die Tagung des Rates „Landwirtschaft und Fischerei“ vom 28. Januar 2013 und die dort vom zuständigen Mitglied der Kommission getätigte Äußerung, die nach dem von Syngenta vorgelegten Text wie folgt lautete:

„In ihren Schlussfolgerungen hat die EFSA eine Reihe von Besorgnissen festgestellt und das Vorliegen ernsthafter Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung der drei Neonicotinoide, die an mehreren wichtigen Kulturen in der [Union] verwendet werden, bestätigt. Diese Besorgnisse verlangen ein rasches und entschiedenes Handeln! Die Zeit ist nunmehr reif, um zu handeln und ein gleiches Schutzniveau der Bienen in der gesamten [Union] sicherzustellen. Die Kommission wird eine Reihe ehrgeiziger, aber verhältnismäßiger Maßnahmen vorschlagen, die für eine erste Erörterung in der Sitzung des [Ausschusses], der diese Woche Donnerstag stattfinden wird, vorgelegt werden. Einen Punkt möchte ich insbesondere klarstellen: Unser Vorschlag wird auf [Unions]ebene harmonisierte und zwingende Maßnahmen verlangen, die auf dem Vorsorgeprinzip, aber auch auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beruhen! Tatsächlich wurde von der EFSA hinsichtlich der Bienen eine Reihe von sicheren Verwendungen dieser Wirkstoffe festgestellt. Ein Totalverbot wäre daher nicht gerechtfertigt.“

428    Das Mitglied der Kommission wies nämlich zwar auf die Notwendigkeit hin, auf die von der EFSA festgestellten Besorgnisse zu reagieren, betonte aber mehrfach, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten müssten, wies sogar ausdrücklich darauf hin, dass ein vollständiges Verbot nicht gerechtfertigt scheine, und erwähnte auch, dass es sich um einen Vorschlag „für eine erste Erörterung“ handele. Solche Äußerungen können nicht als Ausdruck eines fixen Standpunkts der Kommission ausgelegt werden, der in der Folge im Hinblick auf den genauen Inhalt der zu erlassenden Maßnahmen nicht geändert werden könnte.

429    Die Klägerinnen haben daher nicht nachgewiesen, dass die Kommission in einem frühen Verfahrensstadium einen endgültigen Standpunkt über die zu erlassenden Maßnahmen eingenommen hatte, der sie daran gehindert hätte, den Erlass weniger belastender Maßnahmen zu erwägen als derjenigen, die der angefochtene Rechtsakt vorsieht.

ii)    Zur Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verteidigungsrechte

430    Die Klägerinnen beanstanden, dass die Kommission ihnen keine Gelegenheit gegeben habe, die erforderlichen Daten zum Schließen der angeblichen Lücken vorzulegen, die die EFSA bei ihrer Überprüfung der streitigen Wirkstoffe festgestellt habe. Da die sich aus der Stellungnahme der EFSA ergebenden und im Rahmen dieser Überprüfung angewendeten Anforderungen gegenüber den früher anwendbaren erhöht worden seien, stelle das (laut Bayer) eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und (laut Syngenta) der Verteidigungsrechte dar.

431    Syngenta macht außerdem allgemein geltend, dass sie keine Gelegenheit gehabt habe, angemessen am Verfahren teilzunehmen.

432    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

433    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009, wenn es nach Ansicht der Kommission aufgrund neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse Anzeichen dafür gibt, dass ein Wirkstoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt, die Kommission u. a. den Hersteller dieses Wirkstoffs informiert, wobei sie dem Hersteller eine Frist für eine Stellungnahme einräumt.

434    Wie Bayer zu Recht geltend macht, kann dieser Anspruch auf rechtliches Gehör nicht auf ein bloßes Formerfordernis ohne tatsächliche Auswirkung auf das Ergebnis des Verfahrens reduziert werden.

435    Im vorliegenden Fall ist als Erstes festzustellen, dass die Klägerinnen rechtzeitig Stellung nehmen konnten. Aus den Akten ergibt sich nämlich, dass die Kommission ihre Stellungnahmen sowohl zu den Schlussfolgerungen der EFSA als auch zum Entwurf des angefochtenen Rechtsakts eingeholt hat. So forderte die Kommission die Klägerinnen mit Schreiben vom 16. Januar 2013 auf, zu den Schlussfolgerungen der EFSA Stellung zu nehmen, was diese mit Schreiben vom 25. Januar 2013 taten. Ebenso forderte die Kommission die Klägerinnen mit Schreiben vom 22. Februar 2013 auf, zum Entwurf des angefochtenen Rechtsakts Stellung zu nehmen. Die Klägerinnen legten ihre Stellungnahmen mit Schreiben vom 1. März 2013 vor. Überdies nahmen Vereinigungen, die die Pflanzenschutzindustrie und daher u. a. die Klägerinnen vertraten, an verschiedenen Besprechungen mit den Dienststellen der Kommission im Januar und Februar 2013 teil, in denen die Meinung der Beteiligten (Industrie, Nichtregierungsorganisationen [NRO] im Umweltbereich) zu den Schlussfolgerungen der EFSA und den von der Kommission geplanten Maßnahmen eingeholt werden sollte.

436    Daraus folgt, dass die Klägerinnen zur Stellungnahme aufgefordert wurden und sowohl schriftlich als auch, über sie vertretende Organisationen, in einer Anhörung bei den Dienststellen der Kommission tatsächlich Stellung nahmen. Unter diesen Umständen konnte die Kommission zu Recht davon ausgehen, den Standpunkt der Klägerinnen hinreichend zu kennen, und war insbesondere nicht verpflichtet, dem Antrag von Bayer stattzugeben, die mit der Überprüfung der streitigen Wirkstoffe beauftragten Kommissionsbediensteten treffen zu können.

437    Soweit außerdem Bayer in diesem Zusammenhang in der Erwiderung geltend macht, die Frist von neun Tagen, die ihr für ihre Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen der EFSA zur Verfügung gestanden habe, sei „offensichtlich unzureichend“ gewesen, ist diese Rüge unbegründet.

438    Zwar wurden die Schlussfolgerungen der EFSA am 16. Januar 2013 veröffentlicht und die Klägerinnen aufgefordert, dazu neun Tage später, nämlich bis zum 25. Januar 2013, Stellung zu nehmen. Wie jedoch die Kommission zu Recht geltend macht, verfügten die Klägerinnen seit dem 20. Dezember 2012 für die Bestimmung der vertraulichen Daten über eine vorläufige Fassung der Schlussfolgerungen der EFSA, die im Wesentlichen mit der endgültigen Fassung übereinstimmte. Folglich waren sie ab diesem Zeitpunkt in der Lage, sich in der Sache auf die Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen der EFSA vorzubereiten. Selbst wenn dieser zusätzliche Zeitraum von 26 Tagen die Feiertage zum Jahresende umfasste, war die gesamte Frist von 35 Tagen ausreichend, damit Bayer zu den Schlussfolgerungen der EFSA sachgerecht Stellung nehmen konnte.

439    Daher ist die von Bayer vorgetragene Rüge einer unzureichenden Frist für ihre Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen der EFSA als unbegründet zurückzuweisen.

440    Als Zweites ist zu prüfen, ob der oben in Rn. 434 dargelegte Grundsatz, wonach der Anspruch auf rechtliches Gehör eine Auswirkung auf die Entscheidung in der Sache haben können muss, im vorliegenden Fall bedeutet, dass die Klägerinnen die Gelegenheit haben müssen, die von den Schlussfolgerungen der EFSA herausgestellten Lücken zu schließen, indem sie neue wissenschaftliche Daten und Studien vorlegen.

441    Insoweit ist erstens das weite Ermessen zu berücksichtigen, das der Kommission im Rahmen der Durchführung der Verordnung Nr. 1107/2009 einzuräumen ist (vgl. oben, Rn. 143).

442    Zweitens ist oben in Rn. 325 festgestellt worden, dass das Vorsorgeprinzip in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls es rechtfertigte, dass die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe geändert wurde, ohne die Verfügbarkeit von Daten abzuwarten, die die in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellten Lücken schlossen.

443    Insbesondere ist daran zu erinnern, dass die Kommission und Bayer sich einig sind, dass die Generierung der zum Schließen dieser Lücken erforderlichen Daten zumindest ein oder zwei Jahre ab der Verfügbarkeit von Leitlinien erforderte, wobei sich Syngenta zu dieser Frist nicht geäußert hat (vgl. oben, Rn. 317). Unter diesen Umständen hätte es das Inkrafttreten der in dem angefochtenen Rechtsakt vorgesehenen Maßnahmen ungebührlich verzögert, hätte man den Klägerinnen diese Frist eingeräumt. Daraus folgt, dass die Kommission im Rahmen der Abwägung der beteiligten Interessen zu Recht zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass das öffentliche Interesse an der unmittelbaren Umsetzung der Änderung der Genehmigung Vorrang hatte vor dem Interesse der Klägerinnen, über die erforderliche Zeit für die Generierung der fehlenden Daten zu verfügen.

444    Aus demselben Grund war die Kommission nicht verpflichtet, eine neue Studie mit einem Umfang von 1 000 Seiten, die von Bayer am 25. Januar 2013 gleichzeitig mit ihrer Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen der EFSA und somit in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium vorgelegt worden war, durch die EFSA prüfen zu lassen. Sie konnte sich im Gegenteil damit begnügen, diese Studie einer Prüfung durch ihre eigenen Dienststellen zu unterziehen, um ihren Einfluss auf das ihr obliegende Risikomanagement zu beurteilen.

445    Drittens hat die Kommission den Umstand berücksichtigt, dass sich die wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse über die in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellten Lücken, insbesondere infolge von den Klägerinnen und unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführter Feldstudien, weiterentwickeln konnten, indem sie im 16. Erwägungsgrund des angefochtenen Rechtsakts von vornherein vorsah, dass „[i]nnerhalb von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung … die Kommission unverzüglich eine Überprüfung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse anstrengen [wird], die ihr zugegangen sind“.

446    Daraus folgt, dass die Klägerinnen keinen Anspruch darauf hatten, dass die Kommission die Änderung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe verschiebt, um ihnen Gelegenheit zu geben, die Daten zu generieren, die zum Schließen der in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellten Lücken erforderlich waren.

447    Schließlich kann das Vorbringen der Klägerinnen zur Rechtsprechung des Gerichts dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

448    Zum einen berufen sich die Klägerinnen auf die Rn. 186 und 187 des Urteils vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), in dem das Gericht im Wesentlichen entschieden habe, dass abgesehen von Fällen der Dringlichkeit die Kommission die Genehmigung eines Erzeugnisses nicht entziehen könne, ohne den Inhaber der Zulassung in die Lage versetzt zu haben, die Daten vorzulegen, die sie als zur Schließung dieser Lücken geeignet ansehe, und dass dieser Inhaber an dem Verfahren zur Neubewertung dieses Stoffs eng beteiligt werden müsse und einen Anspruch darauf geltend machen könne, über die hauptsächlichen Lücken seines Dossiers, die der Aufrechterhaltung der Genehmigung entgegenstünden, unterrichtet zu werden.

449    Zum anderen machen die Klägerinnen Rn. 140 des Urteils vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), geltend, in dem das Gericht unter Bezugnahme auf das Urteil vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), Folgendes festgestellt hat:

„[I]n einem Verfahren, das mit einer Neubewertung eines auf dem Markt vorhandenen Erzeugnisses auf der Grundlage eines vom beteiligten Hersteller vorgelegten Dossiers verbunden ist, [muss] dieser am Bewertungsverfahren eng beteiligt werden … und [hat] Anspruch darauf …, über die hauptsächlichen Lücken seines Dossiers, die der Zulassung seines Erzeugnisses entgegenstehen, unterrichtet zu werden, wobei die Beachtung dieser Verfahrensgarantien der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung kann die Kommission nämlich, abgesehen von Fällen der Dringlichkeit, die Zulassung eines auf dem Markt vorhandenen Erzeugnisses nicht ablehnen, ohne den Betroffenen in die Lage versetzt zu haben, die zur Schließung dieser Lücken geeigneten Daten vorzulegen …“

450    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die diesen Urteilen zugrunde lagen, sich erheblich von denen des vorliegenden Falls unterschieden.

451    So waren erstens in rechtlicher Hinsicht sowohl in der Rechtssache, in der das Urteil vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), ergangen ist, als auch in der Rechtssache, in der das Urteil vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), ergangen ist, die in Rede stehenden Verwaltungsverfahren durch die Erzeuger der betroffenen Stoffe eingeleitet worden und bedingten die Einreichung von vollständigen Dossiers über die unerwünschten Wirkungen dieser Stoffe durch diese Erzeuger. Die Tatsache, dass diese Umstände eine Bedingung für die Anwendung des von den Klägerinnen geltend gemachten Grundsatzes darstellten, geht besonders klar aus dem Beginn von Rn. 140 des Urteils vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), hervor. Außerdem weist Rn. 141 dieses Urteils nochmals auf diese Bedingung hin, indem er ausführt, dass „[d]as … auch für das fragliche Verfahren [gilt], das durch die Antragstellung der Klägerin in Gang gesetzt worden ist und nach dessen Modalitäten der Antragsteller zum Verfahren der Bewertung seiner Unterlagen hinzuzuziehen ist“.

452    Hingegen ist im vorliegenden Fall die Überprüfung der Bedingungen für die Genehmigung eines Wirkstoffs nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 ein Verfahren, das von Amts wegen durch die Kommission in Gang gesetzt wird, ohne dass die Klägerinnen Unterlagen einzureichen hätten. Allein aus diesem Grund kann das auf den Urteilen vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), und vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), beruhende Vorbringen der Klägerinnen keinen Erfolg haben.

453    Zweitens unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache auch in tatsächlicher Hinsicht von den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), und vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), ergangen sind, da, wie sich aus der vorstehenden Prüfung der Rügen in Verbindung mit dem Risikomanagement ergibt, die Kommission, ohne eine Rechtswidrigkeit zu begehen, nach der Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe im Hinblick auf die in den Schlussfolgerungen der EFSA festgestellten Risiken zu dem Schluss kommen konnte, dass die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllt waren, und da, wie oben in den Rn. 314 bis 325 dargelegt, das Vorsorgeprinzip es gestattete, die Änderung der Genehmigung dieser Wirkstoffe nicht in Erwartung der Generierung von Daten zu verschieben, die es erlaubten, die von der EFSA außerdem festgestellten Lücken zu schließen.

454    Wie die Kommission zu Recht vorträgt, sprechen diese Umstände, die weder in der Rechtssache vorlagen, in der das Urteil vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), ergangen ist, noch in der Rechtssache, in der das Urteil vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), ergangen ist, dagegen, den Anspruch auf rechtliches Gehör im vorliegenden Fall als Anspruch auf Vorlage eingehender Studien auszulegen, da dies darauf hinausliefe, den Klägerinnen ein Recht einzuräumen, den Erlass einer Entscheidung über die Aufhebung oder Änderung der Genehmigung nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 in unzulässiger Weise zu verzögern.

455    Daraus folgt, dass das auf den Urteilen vom 21. Oktober 2003, Solvay Pharmaceuticals/Rat (T‑392/02, EU:T:2003:277), und vom 7. Oktober 2009, Vischim/Kommission (T‑420/05, EU:T:2009:391), beruhende Vorbringen zurückzuweisen ist.

iii) Zur Rüge einer fehlenden Folgenabschätzung

456    Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission keine Folgenabschätzung der im angefochtenen Rechtsakt getroffenen Maßnahmen durchgeführt habe, obwohl dies in der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip (oben, Rn. 114) vorgesehen sei, was sie daran gehindert habe, sich die schwerwiegenden schädlichen Auswirkungen bewusst zu machen, die der angefochtene Rechtsakt in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht haben könnte und die in einer von ihnen in Auftrag gegebenen Studie, der Humboldt-Studie, dargelegt worden seien.

457    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

458    Punkt 6.3.4 („Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile“) der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip hat folgenden Wortlaut:

„Die wahrscheinlichsten positiven und negativen Folgen, die mit der in Betracht gezogenen Maßnahme oder mit einem Nichttätigwerden verbunden sind, sind gegeneinander abzuwägen; ferner ist zu prüfen, welche Gesamtkosten sich daraus kurz- oder langfristig für die [Union] ergeben. Die geplanten Vorsorgemaßnahmen sollten insgesamt gesehen dazu beitragen können, das Risiko auf ein zumutbares Niveau zu senken.

Die Abwägung der Vor- und Nachteile darf sich nicht auf eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse beschränken. Sie muss weiter angelegt sein und auch andere als wirtschaftliche Erwägungen einbeziehen.

Die Prüfung der Vor- und Nachteile sollte eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse umfassen, sofern diese zweckmäßig und durchführbar ist.

Es können aber auch andere Analysemethoden herangezogen werden, z. B. Methoden zur Feststellung der Wirksamkeit möglicher Optionen oder der Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Gesellschaft ist nämlich unter Umständen bereit, zum Schutz eines von ihr als wesentlich anerkannten Interesses – z. B. der Umwelt oder der Gesundheit – größere Opfer zu bringen.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Kommission der Auffassung, dass den Erfordernissen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit unzweifelhaft größeres Gewicht beizumessen ist als wirtschaftlichen Erwägungen.

Bevor Maßnahmen getroffen werden, sind die mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung sollte eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse umfassen, sofern dies zweckmäßig und durchführbar ist. Auch andere Analysemethoden – z. B. zur Ermittlung der Wirksamkeit und der sozioökonomischen Auswirkungen der möglichen Optionen – kommen in Frage. Im Übrigen kann sich der Entscheidungsträger auch von anderen als wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen, z. B. vom Anliegen des Gesundheitsschutzes.“

459    Erstens ist insoweit festzustellen, dass Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip vorsieht, dass eine Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile zu erfolgen hat. Hingegen sind das Format und der Umfang dieser Abwägung nicht näher bestimmt. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass die betreffende Behörde verpflichtet wäre, ein spezielles Bewertungsverfahren einzuleiten, das z. B. mit einem formellen schriftlichen Bewertungsbericht endet. Außerdem kommt der Behörde, die das Vorsorgeprinzip anwendet, nach dem Wortlaut ein erheblicher Ermessensspielraum hinsichtlich der Analysemethoden zu. Die Mitteilung weist nämlich zwar darauf hin, dass die Abwägung eine wirtschaftliche Analyse umfassen „sollte“, doch hat die betreffende Behörde jedenfalls auch andere als wirtschaftliche Erwägungen einzubeziehen. Außerdem wird ausdrücklich dargelegt, dass unter gewissen Umständen wirtschaftliche Erwägungen als weniger bedeutsam angesehen werden müssen als andere als wesentlich anerkannte Interessen; als Beispiel werden ausdrücklich Interessen wie die Umwelt oder die Gesundheit angeführt.

460    Außerdem ist es nicht erforderlich, dass die wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse auf der Grundlage einer genauen Berechnung der jeweiligen Kosten der in Betracht gezogenen Maßnahme oder des Nichttätigwerdens erfolgt. Solche genauen Berechnungen werden in den meisten Fällen unmöglich sein, da ihre Ergebnisse im Rahmen der Anwendung des Vorsorgeprinzips von verschiedenen, definitionsgemäß unbekannten Variablen abhängen. Wenn nämlich alle Folgen des Nichttätigwerdens sowie der Maßnahme bekannt wären, wäre es nicht erforderlich, das Vorsorgeprinzip heranzuziehen, sondern es wäre möglich, auf der Grundlage von Gewissheiten zu entscheiden. Im Ergebnis genügt es den Anforderungen der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip, wenn die betreffende Behörde, im vorliegenden Fall die Kommission, sich tatsächlich mit den positiven und negativen, wirtschaftlichen und anderen möglichen Auswirkungen der in Betracht gezogenen Maßnahme sowie des Nichttätigwerdens vertraut gemacht und sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat. Hingegen ist es nicht erforderlich, diese Auswirkungen genau zu beziffern, wenn dies nicht möglich ist oder unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.

461    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission offensichtlich eine den Anforderungen von Punkt 6.3.4 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip genügende Abwägung der wahrscheinlichsten positiven und negativen Folgen vorgenommen hat, die mit der in Betracht gezogenen Maßnahme oder mit einem Nichttätigwerden verbunden sind, und geprüft hat, welche Gesamtkosten sich daraus für die Union ergeben. Dies geht klar aus dem Vermerk vom 21. Januar 2013 hervor, der an das damals zuständige Mitglied der Kommission gerichtet war. Dieser Vermerk informierte den Kommissar über die laufende Debatte zu den Schlussfolgerungen der EFSA und ersuchte um seine Genehmigung für die von den Dienststellen der Kommission geplanten Maßnahmen. In Anhang V („Hintergrundinformationen über EP, Industrie, NRO“) des Vermerks wurden verschiedene im Rahmen des Vorschlags berücksichtigte Umstände erläutert. Insbesondere legte der Anhang V zu dem Umstand, dass die Neonicotinoide in der Landwirtschaft in großem Umfang genutzt werden, die wesentlichen Ergebnisse der Humboldt-Studie dar, die die Klägerinnen der Kommission vorgelegt hatten, einschließlich der Schlussfolgerungen dieser Studie im Hinblick auf die Auswirkungen eines Verbots der Neonicotinoide auf die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Umweltbilanz der Union. Es wurde darin auch ausgeführt, dass die Kommission keine vollständige Kenntnis über alternative Pflanzenschutzmittel habe, da diese auf nationaler Ebene genehmigt würden. Schließlich wies der Vermerk darauf hin, dass das Parlament drei Tage später, am 24. Januar 2013, auf der Grundlage einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie über die mit den streitigen Wirkstoffen verbundenen Risiken, die ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden (statt einer bloßen Beschränkung der Verwendungen) empfohlen habe, das Thema erörtern würde und dass auch die NRO im Umweltbereich ein vollständiges Verbot verlangt hätten. Aus alledem geht hervor, dass sich die Kommission der wirtschaftlichen und ökologischen Bedeutung der Verwendung der streitigen Wirkstoffe bewusst war.

462    Drittens sind in diesem Kontext einige Behauptungen von Syngenta zurückzuweisen.

463    Zunächst scheinen die Auswirkungen der in dem angefochtenen Rechtsakt enthaltenen Maßnahmen auf die Landwirtschaft und die Umwelt weniger bedeutend, als Syngenta vorträgt. Nach Art. 53 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 können nämlich die Mitgliedstaaten für eine Dauer von höchstens 120 Tagen Wirkstoffe enthaltende Pflanzenschutzmittel einschließlich für auf der Ebene der Union nicht genehmigte Verwendungen zulassen, wenn es keine Ersatzlösung gibt. Wie die Kommission ausführt, ermöglicht diese Bestimmung, die Situationen betrifft, in denen es keine andere Lösung gibt, um einen bestimmten Schädling zu bekämpfen, den Mitgliedstaaten, schwerwiegende Folgen für die Landwirtschaft zu vermeiden; mehrere Mitgliedstaaten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und solche Genehmigungen erteilt, wie Syngenta selbst einräumt.

464    In diesem Sinne weist die Kommission außerdem darauf hin, dass, obwohl Deutschland, Frankreich, Italien und Slowenien mehrere Jahre lang gewisse Verwendungen der streitigen Wirkstoffe ausgesetzt hätten, von diesen Mitgliedstaaten keine negativen Auswirkungen auf die Produktivität oder die Umwelt mitgeteilt worden seien.

465    Syngenta macht insoweit geltend, richtiger sei, dass die Kommission hierzu keine Untersuchung durchgeführt habe und dass, „wenn man nicht sucht, man nichts findet“, um zu bekräftigen, dass die Kommission nicht die gebotene Sorgfalt bei der Analyse der Auswirkungen des angefochtenen Rechtsakts gezeigt habe. Allerdings hat die Kommission nicht behauptet, dass es überhaupt keine negativen Auswirkungen auf die Produktivität oder die Umwelt gegeben habe, sondern nur, dass die betreffenden Mitgliedstaaten solche Auswirkungen nicht mitgeteilt hätten. Die Kommission war im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der Schlussfolgerungen der EFSA und dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts in regelmäßigem Kontakt mit den Vertretern der Mitgliedstaaten, um die Folgen zu erörtern, die aus den von der EFSA festgestellten Risiken und Datenlücken zu ziehen sind. Insbesondere wurde am 28. Januar 2013 ein Arbeitsdokument an die Mitgliedstaaten verteilt, das sodann Gegenstand der Beratungen im Ausschuss in der Sitzung vom 31. Januar und 1. Februar 2013 war; am 14. und 15. März 2013 wurde der Entwurf des angefochtenen Rechtsakts im Ausschuss erörtert, und am 29. April 2013 erörterte noch der Berufungsausschuss diesen Entwurf. Wenn die Mitgliedstaaten, die Beschränkungen der Nutzung der streitigen Wirkstoffe auf nationaler Ebene erlassen hatten, bei keiner dieser Gelegenheiten auf negative Folgen für die Produktivität und die Umwelt hinwiesen, ist unter diesen Umständen festzustellen, dass die Kommission auf dieses Schweigen vertrauen und annehmen konnte, dass es solche Folgen nicht gab oder sie jedenfalls unbedeutend waren und dass sie selbst keine Untersuchungen zu diesem Thema durchzuführen hatte.

466    Die von der Kommission durchzuführende Folgenabschätzung konnte daher berücksichtigen, dass es zum einen möglich war, erforderlichenfalls Ausnahmegenehmigungen auf nationaler Ebene zu gewähren, und dass zum anderen in bestimmten Mitgliedstaaten die Landwirtschaft in der Vergangenheit auf zufriedenstellende Weise hatte funktionieren können, ohne Pflanzenschutzmittel mit den streitigen Wirkstoffen zu verwenden.

467    Sodann argumentiert Syngenta mit dem Vermerk vom 21. Januar 2013 und bringt vor, die Kommission habe in Wirklichkeit auf politischen Druck hin entschieden, die in dem angefochtenen Rechtsakt enthaltenen Maßnahmen zu erlassen. Insoweit genügt der Hinweis, dass dieser Vermerk sich darauf beschränkt, die „sehr hohe politische Sensibilität“ des Themas gemeinsam mit den von der EFSA festgestellten Risiken als Gründe anzuführen, die Maßnahmen auf Regulierungsebene rechtfertigten. Der politisch sensible Charakter eines Themas stellt jedoch einen Umstand dar, den die Kommission als politisches Organ im Rahmen der Festlegung ihrer Prioritäten und in ihren Entscheidungen berücksichtigen kann und muss. Wie die Kommission zu Recht geltend macht, bedeutet das noch nicht, dass der angefochtene Rechtsakt das Ergebnis eines unangemessenen politischen Drucks ist.

468    Schließlich trägt Syngenta vor, aus dem Vermerk vom 21. Januar 2013 gehe hervor, dass die Kommission über keine Einzelheiten zu den Wirkstoffen verfügt habe, die die streitigen Wirkstoffe hätten ersetzen können. Die Kommission entgegnet, dass sie sehr wohl über ein genaues Bild von sämtlichen auf der Ebene der Union genehmigten insektiziden Wirkstoffen verfüge, da sie diejenige sei, die sie genehmige, und dass der in Rede stehende Abschnitt dieses Vermerks sich auf die von den Mitgliedstaaten genehmigten formulierten Produkte beziehe.

469    Der betreffende Satz des Vermerks vom 21. Januar 2013 lautet wie folgt: „Eine vollständige Übersicht der verfügbaren Alternativen ist nicht verfügbar, da die formulierten Produkte auf nationaler Ebene genehmigt werden.“ Im Hinblick auf das von der Verordnung Nr. 1107/2009 geschaffene zweistufige System, in dem die Kommission für die Genehmigung der Wirkstoffe auf der Unionsebene zuständig ist, während die Mitgliedstaaten für die Zulassung der Pflanzenschutzmittel mit den genehmigten Wirkstoffen zuständig sind (vgl. oben, Rn. 6), und da der betreffende Satz ausdrücklich „formulierte Produkte“ anführte, ist das Vorbringen von Syngenta in Bezug auf die Wirkstoffe zurückzuweisen.

470    Was die formulierten Produkte anbelangt, so war es in Anbetracht der zahlreichen in den verschiedenen Mitgliedstaaten für verschiedene Nutzungen genehmigten Pflanzenschutzmittel (z. B. umfasst die Liste der Pflanzenschutzmittel von Bayer im Anhang der Klageschrift in der Rechtssache T‑429/13, die allein die Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin enthalten, elf Seiten) und der Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen auf nationaler Ebene zu erlangen (vgl. oben, Rn. 463), der Kommission nicht möglich, für die gesamte Union zu bestimmen, für welche Verwendungen und für welche Kulturen die Landwirte über alternative Produkte zu denjenigen mit den streitigen Wirkstoffen verfügten.

471    Folglich ist die Rüge einer fehlenden Folgenabschätzung der im angefochtenen Rechtsakt ergriffenen Maßnahmen zurückzuweisen.

iv)    Zur Rüge der Selektivität und Inkohärenz des angefochtenen Rechtsakts

472    Syngenta macht geltend, dass die Mitteilung über das Vorsorgeprinzip einen kohärenten Ansatz verlange, der im vorliegenden Fall gänzlich fehle. Die Kommission habe vorgetragen, dass die Bewertung der Risiken der Wirkstoffe im Licht der neuesten wissenschaftlichen Kenntnisse zu erfolgen habe, wie sie u. a. in der Stellungnahme der EFSA wiedergegeben würden. Seit der Erteilung des zweiten Mandats an die EFSA sei jedoch eine Reihe von Wirkstoffen, darunter Chlorantraniliprol, von der Kommission genehmigt worden, ohne dass die wissenschaftliche Stellungnahme oder der Leitlinienentwurf erwähnt worden sei. Es handele sich daher um eine selektive Anwendung der Regelung in einem Einzelfall.

473    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

474    Punkt 6.3.3 („Das Kohärenzgebot“) der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip hat folgenden Wortlaut:

„Die Maßnahmen sollten auf in ähnlichen Fällen getroffene Maßnahmen abgestimmt sein oder auf ähnlichen Ansätzen beruhen. Im Interesse einer möglichst vollständigen Risikobewertung [ist] eine ganze Reihe von Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Damit lassen sich die Gefahren (insbesondere durch Bestimmung einer Dosis-/Wirkungs-Relation) ermitteln und beschreiben und die Gefährdung einer bestimmten Bevölkerung oder der Umwelt beurteilen. Lässt sich das Risiko wegen fehlender wissenschaftlicher Daten und in Anbetracht bewertungsinhärenter Unklarheiten nicht beschreiben, so müssen die getroffenen Vorsorgemaßnahmen anderen Maßnahmen, die in ähnlichen Bereichen getroffen wurden, in denen alle erforderlichen wissenschaftlichen Daten vorliegen, inhaltlich entsprechen und von gleicher Tragweite sein.

Die Maßnahmen sollten auf andere Maßnahmen abgestimmt sein, die in der Vergangenheit unter ähnlichen Umständen oder unter Zugrundelegung ähnlicher Ansätze getroffen worden sind.“

475    Erstens ist festzustellen, dass Punkt 6.3.3 der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip sehr allgemein oder sogar vage formuliert ist. Insbesondere scheint sich der Kohärenzgrundsatz weitgehend mit dem Diskriminierungsverbot, das den Gegenstand von Punkt 6.3.2 dieser Mitteilung bildet, zu überschneiden. Die Kommission weist im Übrigen in Erwiderung auf das Vorbringen von Syngenta darauf hin, dass sie „vergleichbare Fragen in vergleichbarer Weise behandelt“, und betont die Gesichtspunkte, die die streitigen Wirkstoffe von dem von Syngenta angeführten Wirkstoff unterschieden.

476    Zweitens gehört die Stellungnahme der EFSA nicht zu dem infolge des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1107/2009 geänderten Regelungsrahmen, sondern wurde erstellt, weil die EFSA und die Kommission feststellten, dass die Bewertungen und Tests, die bis dahin verwendet worden waren, um die von Pflanzenschutzmitteln ausgehenden Risiken für Bienen zu bewerten, gewisse Schwächen aufwiesen (vgl. oben, Rn. 233 ff.). Außerdem beschränkt sich ihr Gegenstand nicht nur auf Neonicotinoide, sondern betrifft sämtliche Pflanzenschutzmittel, was für eine allgemeine Anwendung auf alle Wirkstoffe spricht.

477    Überdies gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen den streitigen Wirkstoffen und dem Wirkstoff Chlorantraniliprol. So sind sowohl die streitigen Wirkstoffe als auch Chlorantraniliprol Insektizide und daher geeignet, negative oder gar tödliche Wirkung auf Bienen zu haben, selbst wenn ihre Wirkungsweise und ihr Risikoprofil, wie die Kommission vorträgt, unterschiedlich sind.

478    Drittens ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsverfahren im vorliegenden Fall eine Überprüfung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe betraf, während es sich im Fall von Chlorantraniliprol um ein Genehmigungsverfahren handelte. Wie oben in Rn. 294 dargelegt, wird das Genehmigungsverfahren auf Antrag des Herstellers des betreffenden Wirkstoffs auf der Grundlage eines von ihm vorgelegten Dossiers eingeleitet, während das Überprüfungsverfahren von Amts wegen von der Kommission auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse eröffnet wird, die Anzeichen dafür geben, dass der betreffende Stoff die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt.

479    Als Erstes erklärt das zum einen, warum dem Genehmigungsantragsteller rechtzeitig bekannt sein muss, welche Daten er für die Erstellung seines Dossiers zusammenzustellen hat, und zum anderen, dass der Antrag grundsätzlich im Licht der materiellen Genehmigungsbedingungen zu prüfen sein wird, wie sie zum Zeitpunkt der Einreichung des Dossiers anwendbar waren, mit dem einzigen oben in Rn. 295 angeführten Vorbehalt.

480    Aus diesem Grund wurden bei der Ersetzung der Richtlinie 91/414 durch die Verordnung Nr. 1107/2009 Übergangsbestimmungen vorgesehen, die die Behandlung von Anträgen regelten, die unter der Geltung der Richtlinie 91/414 eingereicht worden waren und über die beim Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 noch nicht entschieden worden war. So gilt nach Art. 80 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1107/2009 die Richtlinie 91/414 in Bezug auf das Verfahren und die Bedingungen für die Genehmigung von Wirkstoffen, für die die Kommission vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1107/2009 am 14. Juni 2011 gemäß Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie festgestellt hat, dass die Unterlagen vollständig waren.

481    Dies war jedoch gerade bei dem Wirkstoff Chlorantraniliprol der Fall, auf dessen Genehmigung Syngenta sich beruft. Obwohl nämlich die Durchführungsverordnung zur Genehmigung des Wirkstoffs Chlorantraniliprol am 25. November 2013 und daher beinahe zweieinhalb Jahre nach der Aufhebung der Richtlinie 91/414 durch die Verordnung Nr. 1107/2009, am 14. Juni 2011, erlassen wurde, erfolgte diese Genehmigung gemäß der oben in Rn. 480 angeführten Übergangsbestimmung nach den materiellen Voraussetzungen der Richtlinie 91/414. Die Kommission hatte nämlich am 2. August 2007 festgestellt, dass die Unterlagen zur Aufnahme von Chlorantraniliprol in die Liste vollständig waren.

482    Folglich galt die Änderung des Regelungsrahmens infolge des Erlasses der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 133 ff., insbesondere oben, Rn. 135 und 136) grundsätzlich nicht für die Genehmigung von Chlorantraniliprol.

483    Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall sowohl eine Änderung des Regelungsrahmens als auch neue wissenschaftliche Kenntnisse vorlagen, die die Überprüfung der streitigen Wirkstoffe ausgelöst hatten. Da keiner dieser Umstände im Fall von Chlorantraniliprol gegeben war, sind die Situationen daher in zweifacher Hinsicht verschieden.

484    Viertens ist selbst unter der Annahme, dass tatsächlich eine Inkohärenz zwischen der Art und Weise besteht, in der die Kommission das Vorsorgeprinzip im vorliegenden Fall und im Fall der Genehmigung von Chlorantraniliprol angewandt hat, festzustellen, dass Syngenta nicht nachgewiesen hat, dass es eine dem angefochtenen Rechtsakt nachfolgende Praxis der Kommission gibt, die Stellungnahme der EFSA im Rahmen der Genehmigung von Wirkstoffen nicht zu berücksichtigen. Zwar hat Syngenta vorgetragen, dass „eine Reihe“ von Wirkstoffen genehmigt worden sei, ohne dass die Stellungnahme der EFSA berücksichtigt worden sei, jedoch hat sie nur einen einzigen, Chlorantraniliprol, genannt, von dem in Anbetracht der in den vorstehenden Rn. 481 bis 483 herausgearbeiteten Umstände nicht erwiesen ist, dass er mit den streitigen Wirkstoffen vergleichbar ist.

485    Deshalb ist die Rüge der Selektivität und Inkohärenz des angefochtenen Rechtsakts zurückzuweisen.

v)      Zur Rüge der „gleichen“ Behandlung der drei streitigen Wirkstoffe

486    Syngenta macht geltend, dass, während die Prüfung der EFSA im Ergebnis zu drei Gruppen von verschiedenen wissenschaftlichen Schlussfolgerungen und drei unterschiedlichen Risikoprofilen für die streitigen Wirkstoffe gelangt sei, der angefochtene Rechtsakt die drei Wirkstoffe in derselben Weise behandele und mit einem fast vollständigen Verbot belege.

487    Die Kommission tritt dem Vorbringen von Syngenta entgegen. Insbesondere seien die drei streitigen Wirkstoffe sehr ähnlich, da sie dieselbe Wirkungsweise auf Insekten, eine vergleichbare Toxizität für Honigbienen und ein sehr ähnliches Risikoprofil hätten.

488    Zunächst ist festzustellen, dass sich Syngenta mit der vorliegenden Rüge darauf beschränkt hat, allgemein die einheitliche Behandlung der drei streitigen Wirkstoffe zu beanstanden, ohne konkret einzelne Beschränkungen zu nennen, die für Thiamethoxam (das sie herstellt) verhängt worden, aber nur für einen der anderen Wirkstoffe gerechtfertigt seien. Unter diesen Umständen ist es nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der vorliegenden Rüge zu prüfen, ob der angefochtene Rechtsakt solche Beschränkungen enthält, und es kann sich auf die allgemeine Prüfung beschränken, ob die Kommission die hinsichtlich der drei Wirkstoffe getroffenen Maßnahmen zu Recht in eine einzige Durchführungsverordnung aufnehmen konnte.

489    Hierzu geht aus einem Vergleich des Punkts „Besorgnisse“ in den jeweiligen Schlussfolgerungen der EFSA zu den streitigen Wirkstoffen hervor, dass diese von der EFSA festgestellten Besorgnisse für die drei Wirkstoffe weitgehend identisch sind.

490    So wurde in dem Punkt mit der Überschrift „Fragen, die nicht abschließend behandelt werden konnten“ für jeden der drei Wirkstoffe nahezu gleichlautend festgestellt, dass „[m]ehrere Fragen, die nicht abschließend behandelt werden konnten, … in Bezug auf die Exposition der Honigbienen durch Staub, durch die Aufnahme kontaminierten Nektars und Pollens und durch Guttationsflüssigkeit festgestellt [wurden]“ und dass „außerdem das Risiko für andere Bestäuberinsekten als Honigbienen, das Risiko durch Rückstände im Honigtau und das Risiko durch die Exposition gegenüber Rückständen in den nachfolgenden Kulturen nicht abschließend behandelt werden konnten“.

491    Ebenso wurde im Punkt mit der Überschrift „Kritische Problembereiche“ zum einen das Vorliegen eines akuten Risikos für Honigbienen für jeden der drei Wirkstoffe bei Exposition durch Staubabdrift bei der Saat von gewissen Kulturen (Getreide, Mais, Baumwolle und Raps für Imidacloprid, Getreide, Mais und Raps für Clothianidin sowie Getreide, Baumwolle und Raps für Thiamethoxam) festgestellt. Zum anderen wurde ein hohes akutes Risiko bei Exposition gegenüber Rückständen im Nektar und im Pollen für Imidacloprid (Baumwolle, Raps und Sonnenblumen) und für Clothianidin (Raps) sowie bei Exposition durch Guttationsflüssigkeit für Thiamethoxam (Mais) festgestellt.

492    Daraus ergibt sich, dass die Risikoprofile der drei streitigen Wirkstoffe, was die nicht abschließend behandelten Fragen sowie das Risiko im Zusammenhang mit der Exposition durch Staubabdrift bei der Saat anbelangt, sich weitgehend gleichen. Während jedoch Imidacloprid und Clothianidin Risiken bei der Exposition durch kontaminierten Nektar und Pollen für gewisse Kulturen aufweisen, weist Thiamethoxam ein Risiko bei der Exposition durch Guttation für Mais auf.

493    Unter diesen Umständen sprach nichts dagegen, dass die Kommission die gegenüber den drei streitigen Wirkstoffen getroffenen Maßnahmen in eine einzige Durchführungsverordnung aufnahm. Insbesondere war es ihr, selbst in einer einzigen Verordnung, möglich, den jeweiligen Besonderheiten des Risikoprofils der streitigen Wirkstoffe und insbesondere den Beschränkungen hinreichend Rechnung zu tragen, die spezifisch durch die Vorbeugung der Risiken im Zusammenhang mit der Exposition durch Nektar und Pollen für Imidacloprid und Clothianidin sowie durch Guttation für Thiamethoxam gerechtfertigt waren.

494    Folglich ist die Rüge der „gleichen“ Behandlung der drei streitigen Wirkstoffe als unbegründet zurückzuweisen.

vi)    Zur Rüge einer Berücksichtigung des Risikos für einzelne Bienen anstelle desjenigen für Bienenvölker

495    Die Klägerinnen machen geltend, dass nur Daten vorlägen, die ein Risiko für die einzelnen Bienen zeigten, aber keine Daten, die ein Risiko für Bienenvölker zeigten, obwohl Letzteres maßgeblich sei.

496    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 als spezifische Voraussetzung für die Genehmigung eines Wirkstoffs u. a. vorsieht, dass die Verwendung des Pflanzenschutzmittels, das diesen Wirkstoff enthält, „unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf Honigbienenlarven und das Verhalten von Honigbienen keine unannehmbaren akuten oder chronischen Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks hat“. Daraus ergibt sich, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs nicht nur ausgeschlossen ist, wenn das Überleben von Bienenvölkern in Gefahr ist, sondern bereits im Fall von unannehmbaren Auswirkungen auf die Entwicklung von Bienenvölkern.

497    Außerdem oblag es der Kommission als Verantwortliche für das Risikomanagement, festzulegen, welche Auswirkungen als unannehmbar im Sinne von Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 anzusehen waren.

498    Die Parteien haben auf eine schriftliche Frage des Gerichts im Wesentlichen anerkannt, dass eine Korrelation zwischen dem Risiko für einzelne Bienen und dem Risiko für Bienenvölker in dem Sinn bestehe, dass eine große Zahl einzelner Verluste von Bienen zu einem Risiko für das betroffene Bienenvolk werden könne. Die Parteien sind sich jedoch über das Ausmaß dieser Korrelation uneinig. Während die Kommission unter Verweis auf die Stellungnahme der EFSA vorträgt, dass Verluste von mehr als 3,5 % der Population nicht mehr als „vernachlässigbar“ eingestuft werden könnten, gibt Bayer eine Verlustrate von 7 % an, die im Entwurf der Leitlinien von 2013 als Grenzwert für eine „relevante“ Auswirkung vorgeschlagen werde, wobei sie darauf hinweist, dass dieser Grenzwert von einigen Mitgliedstaaten beanstandet werde. Syngenta verweist auf eine von ihren Mitarbeitern durchgeführte Studie, die davon ausgehe, dass die Verluste mehr als 20 % betragen müssten, „um sich auf der Ebene des Bienenvolks auswirken zu können“.

499    Es steht also fest, dass ein Zusammenhang zwischen dem Risiko für einzelne Bienen und dem Risiko für das Bienenvolk besteht. Allerdings besteht aktuell wissenschaftliche Ungewissheit darüber, ab welcher Sterblichkeitsrate einzelner Bienen „unannehmbare akute oder chronische Auswirkungen“ auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks auftreten können. Diese Ungewissheit ist u. a. auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, den Umfang der Einzelverluste und ihre Auswirkung auf das Bienenvolk unter Feldbedingungen zu messen.

500    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission zu Recht davon ausgehen konnte, dass im Hinblick auf die Werte der Gefährdungsquotienten, die in den Schlussfolgerungen der EFSA für die streitigen Wirkstoffe festgestellt worden waren, ein Risiko für Bienenvölker nicht ausgeschlossen werden konnte, und dass es ihr daher oblag, auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips Schutzmaßnahmen zu treffen, ohne den vollständigen Nachweis abwarten zu müssen, unter welchen Bedingungen und ab welcher Sterblichkeitsrate der Verlust einzelner Bienen das Überleben oder die Entwicklung von Bienenvölkern gefährden konnte.

501    Dies gilt unbeschadet der Beurteilung der potenziellen Folgen auf der Ebene des Bienenvolks von möglichen Auswirkungen einer Exposition gegenüber subletalen Dosen der streitigen Wirkstoffe auf das Verhalten der Bienen. Wie sich nämlich aus den Schlussfolgerungen der EFSA zu den streitigen Wirkstoffen ergibt, besteht aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten auch in Bezug auf das Bestehen und gegebenenfalls die Tragweite solcher Folgen Ungewissheit.

vii) Zur Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

502    Die Klägerinnen machen geltend, der angefochtene Rechtsakt verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da dieser Grundsatz die Angemessenheit der getroffenen Maßnahmen im Verhältnis zu den verfolgten Zwecken betrifft, ist dieser Klagegrund im Rahmen der Rügen zu behandeln, die zum Risikomanagement der Kommission vorgebracht worden sind.

503    Die Klägerinnen tragen vor, dass der angefochtene Rechtsakt über das hinausgehe, was zur Sicherstellung der gefahrlosen Nutzung der streitigen Wirkstoffe und zur Verwirklichung der etwaigen zulässigerweise verfolgten Ziele betreffend die Gesundheit der Bienen erforderlich sei. Das betreffe insbesondere das Verbot von Thiamethoxam für „Kulturen, die für Bienen interessant sind“, das Verbot der Anwendungen als Blattspritzung und dasjenige der nicht gewerblichen Anwendungen im Innen- und Außenbereich.

504    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

505    Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die verursachten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile vom 18. November 1987, Maizena u. a., 137/85, EU:C:1987:493, Rn. 15, sowie vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 411).

506    Dagegen stellt die gerichtliche Nachprüfbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der Landwirtschaft insofern einen Sonderfall dar, als der Gerichtshof und das Gericht dem Unionsgesetzgeber einen Spielraum zuerkennen, der seiner politischen Verantwortung, die ihm die Art. 40 bis 43 AEUV in diesem Bereich übertragen, entspricht. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgen möchte, offensichtlich ungeeignet ist (Urteile vom 5. Mai 1998, National Farmers’ Union u. a., C‑157/96, EU:C:1998:191, Rn. 61, und vom 3. September 2009, Cheminova u. a./Kommission, T‑326/07, EU:T:2009:299, Rn. 195).

507    Im vorliegenden Fall stützt sich der angefochtene Rechtsakt auf die Verordnung Nr. 1107/2009, deren Rechtsgrundlage ihrerseits u. a. Art. 37 EG (nach Änderung jetzt Art. 43 AEUV) und Art. 95 EG (jetzt Art. 114 AEUV) sind. Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die vom angefochtenen Rechtsakt eingeführten Maßnahmen zur Erreichung der verfolgten Ziele offensichtlich ungeeignet sind, nämlich dem Schutz der Umwelt und insbesondere dem Schutz der Bienen, die zu den von dieser Verordnung vorgesehenen Zielen gehören.

508    Der angefochtene Rechtsakt führte für die streitigen Wirkstoffe folgende Beschränkungen ein:

–        Verbot jeder nicht gewerblichen Anwendung im Innen- und Außenbereich;

–        Verbot der Anwendungen zur Saatgutbehandlung oder Bodenbehandlung für folgende Getreidearten, wenn diese zwischen Januar und Juni ausgesät werden (Sommergetreidearten): Gerste, Hirse, Hafer, Reis, Roggen, Sorghum, Triticale, Weizen;

–        Verbot der Blattbehandlung für folgende Getreidearten: Gerste, Hirse, Hafer, Reis, Roggen, Sorghum, Triticale, Weizen;

–        Verbot der Anwendungen zur Saatgutbehandlung, Bodenbehandlung oder Blattbehandlung für ungefähr 100 Kulturen, darunter Raps, Soja, Sonnenblumen und Mais, außer bei Anwendung in Gewächshäusern und außer zur Blattbehandlung nach der Blüte.

–       Zum Gefahrenpotenzial des angefochtenen Rechtsakts für Bienen

509    Die Klägerinnen machen geltend, dass allgemein der angefochtene Rechtsakt nicht nur die Gesundheit von Bienen nicht schützen könnte, sondern im Gegenteil zu ihrer Gefährdung beitragen könnte. Der Kommission seien nämlich die erheblichen schädlichen Auswirkungen nicht bewusst gewesen, die der angefochtene Rechtsakt auf die Umwelt und insbesondere die Honigbienen haben könnte, wie sie in einer von ihnen in Auftrag gegebenen Studie (der Humboldt-Studie) dargelegt würden. Diese Auswirkungen seien darauf zurückzuführen, dass mangels der Möglichkeit, Pflanzenschutzmittel mit den streitigen Wirkstoffen zu verwenden, insbesondere zur Saatgutbehandlung, die Landwirte sich gezwungen sähen, auf ältere, weniger gezielte wirkende Produkte zurückzugreifen, die höhere Dosierungen erforderten und oft in Form der Blattspritzung angewandt würden. Syngenta bringt vor, dass die Auswirkungen dieser Produkte auf Bienen keiner Risikobewertung nach den auf die streitigen Wirkstoffe angewandten Methoden und Kriterien unterlegen hätten, so dass ihr spezifisches Risiko für Bienen unbekannt sei.

510    Die Kommission erwidert, dass es keine wissenschaftlichen Daten gebe, die nachwiesen, dass die Beschränkung der Verwendung von Neonicotinoiden schädliche Auswirkungen auf die Umwelt habe.

511    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Humboldt-Studie vor allem eine wirtschaftswissenschaftliche Studie über die Verluste ist, die sich für die Landwirtschaft der Union und die Wirtschaft im Allgemeinen aus dem Verbot von Neonicotinoiden nach verschiedenen Szenarien ergeben könnten. Zwar werden auch gewisse Auswirkungen auf die Umwelt geprüft, doch beschränken sich diese auf die Verschlechterung der Kohlenstoffbilanz der Union aufgrund der „virtuellen“ Einfuhr von Ackerflächen, zu der es aufgrund einer niedrigeren Produktivität in der Union kommen könne. Die Studie enthält hingegen keine Beispiele und keine Feststellungen zu den Auswirkungen auf die Umwelt und insbesondere auf Bienen und andere Bestäuberinsekten, die sich aus der Ersetzung von Pflanzenschutzmitteln auf Neonicotinoidbasis durch andere Produkte ergeben könnten. Die Klägerinnen haben daher ihr Vorbringen zu den Folgen für die Umwelt, die sich aus der Ersetzung der streitigen Wirkstoffe durch andere Pestizide ergeben könnten, nicht substantiiert und nicht nachgewiesen.

512    Zwar konnte und musste die Kommission vernünftigerweise annehmen, dass die Landwirte nach dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts in gewissem Umfang auf andere, höhere Dosierungen erfordernde oder in Form der Blattspritzung angewendete Pestizide zurückgreifen würden.

513    Allerdings ist insoweit auch zu beachten, dass nach Art. 53 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 von den Mitgliedstaaten Ausnahmen genehmigt werden können (vgl. oben, Rn. 463), was den Rückgriff auf Ersatzprodukte begrenzen könnte.

514    Schließlich hat die Kommission geltend gemacht, ohne dass ihr die Klägerinnen widersprochen hätten, dass die Mitgliedstaaten, die über mehrere Jahre bestimmte Verwendungen von Neonicotinoiden ausgesetzt hatten (u. a. Deutschland, Frankreich, Italien und Slowenien), niemals negative Auswirkungen auf die Umwelt mitgeteilt hätten. Wie oben in Rn. 465 dargelegt, konnte die Kommission auf dieses Schweigen vertrauen und annehmen, dass solche Auswirkungen nicht bestanden oder jedenfalls unbedeutend waren, und sie selbst hatte keine Untersuchungen zu diesem Thema durchzuführen.

515    Folglich führen die potenziellen negativen Auswirkungen auf Bienen und andere Bestäuberinsekten, die sich aus der Ersetzung der streitigen Wirkstoffe durch andere Wirkstoffe ergeben können, nicht dazu, den angefochtenen Rechtsakt als „zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet“ einzustufen.

–       Zum Verbot der Anwendung von Thiamethoxam für „Kulturen, die für Bienen interessant sind“

516    Syngenta macht geltend, dass das pauschale Verbot der Anwendung von Thiamethoxam für „Kulturen, die für Bienen interessant sind“, über das hinausgehe, was zum Schutz der Gesundheit der Bienen erforderlich sei, da die EFSA das Nichtvorliegen eines mit der Exposition gegenüber den Rückständen von Thiamethoxam im Pollen und im Nektar verbundenen Risikos festgestellt habe, und dass die Frage, ob eine Kultur für Bienen interessant ist, im Hinblick auf ein Risiko, das durch Staubabdrift oder Guttation verursacht werde, irrelevant sei.

517    Die Kommission tritt dem entgegen.

518    Erstens ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine Kultur je nach Vorliegen und Qualität von Pollen und Nektar als für Bienen interessant anzusehen ist. Die Kommission ist allerdings der Ansicht, dass in geringerem Maß auch die Guttationsflüssigkeit als Wasserquelle für Bienen von Interesse sei, insbesondere, wenn es wenig andere verfügbare Wasserquellen gebe.

519    Zweitens bezeichnet der angefochtene Rechtsakt nicht ausdrücklich die Anwendungen von Thiamethoxam, die spezifisch in Bezug auf die „Kulturen, die für Bienen interessant sind“, untersagt werden. Die Kommission hat auf eine schriftliche Frage des Gerichts bestätigt, dass es sich um die Anwendungen handelt, die in Teil A vierter Satz des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 in der durch den angefochtenen Rechtsakt geänderten Fassung angeführt sind.

520    Drittens haben die Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam, wie sich aus den vorstehenden Rn. 490 und 491 ergibt, kein Risiko im Zusammenhang mit der Exposition durch Pollen und Nektar festgestellt. Die Verhängung von Beschränkungen der Nutzung von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Thiamethoxam, die unterschiedslos sämtliche Kulturen betraf, die für Bienen interessant sind, war daher nicht durch die von der EFSA positiv festgestellten Risiken gerechtfertigt. Hingegen stellte die EFSA eine Reihe von Lücken in den Daten fest, die sie für die meisten Kulturen daran hinderten, zu einer gesicherten Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Risikos aufgrund der Exposition durch Nektar und Pollen sowie durch Guttation zu gelangen.

521    Insoweit hat die Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts angegeben, da die EFSA ein erhöhtes Risiko in Verbindung mit der Guttation von Mais – die einzige Kultur, für die Daten verfügbar gewesen seien – festgestellt habe, sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Guttation auch andere Kulturen betreffe.

522    In der mündlichen Verhandlung hat Syngenta geltend gemacht, dass die Bienen die Felder nur während der Blüte besuchten, dass die Guttation vor allem nach Einbruch der Dunkelheit und vor Sonnenaufgang stark sei und dass das Risiko einer Exposition durch Guttation daher frei erfunden sei.

523    Hierzu hat der Imkereiexperte, der unter der Aufsicht der Vertreter des DBEB Stellung genommen hat, dargelegt, dass die Bienen, die in der Nacht keinen Zugang zu Wasser gehabt hätten, am frühen Morgen zunächst zur Wassersuche ausflögen, wobei sie insbesondere kleine, nicht zu kalte Wasserquellen aufsuchten, um das gesammelte Wasser in den Bienenstock zurückzubringen, dass ein solches Sammeln von Wasser bei allen Kulturen stattfände, ob sie blühten oder nicht, und dass die Konzentration der streitigen Wirkstoffe in der Guttationsflüssigkeit am höchsten sei, wenn die Keimlinge jung seien.

524    Da dieses Vorbringen einige der Feststellungen der EFSA erklären kann, die oben in den Rn. 411 und 412 zusammengefasst worden sind, konnte die Kommission zu Recht davon ausgehen, dass sie das potenzielle Interesse, das die Guttationsflüssigkeit für die Bienen darstellt, im Rahmen der Bestimmung der „Kulturen, die für Bienen interessant sind“, berücksichtigen müsse. Daher konnte sie zu Recht davon ausgehen, dass es nach dem Vorsorgeprinzip erforderlich war, die Verwendung von Thiamethoxam an den Kulturen zu verbieten, bei denen Guttation auftritt, auch wenn in Bezug auf den tatsächlichen Umfang der Aufnahme von Guttationsflüssigkeit durch die Bienen keine wissenschaftliche Gewissheit bestand.

525    Daraus folgt, dass es Syngenta nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass das Verbot von Thiamethoxam für sämtliche „Kulturen, die für Bienen interessant sind“, wie sie in Teil A vierter Satz des Anhangs der Durchführungsverordnung Nr. 540/2011 in der durch den angefochtenen Rechtsakt geänderten Fassung aufgeführt sind, zur Erreichung der Ziele dieses Rechtsakts in dem oben in Rn. 507 angeführten Sinn offensichtlich ungeeignet war.

–       Zum Verbot der Verwendung der streitigen Wirkstoffe an Winterraps

526    Rapool-Ring weist auf die mangelnde Verhältnismäßigkeit des angefochtenen Rechtsakts insbesondere in Bezug auf Verwendungen der streitigen Wirkstoffe an Winterraps hin. Da nämlich Winterraps wie die Wintergetreidearten zu einer Jahreszeit gesät werde, zu der die Bienen ihre Tätigkeit bereits erheblich verringert hätten, nämlich zu Beginn des Herbstes, könne der kontaminierte Staub, der bei dieser Gelegenheit möglicherweise freigesetzt werde, weder negative Auswirkungen für einzelne Bienen noch für das Bienenvolk haben. Der angefochtene Rechtsakt sehe jedoch, anders als für die Wintergetreidearten, keine Ausnahme für Winterraps vor.

527    Die Kommission macht zum einen geltend, dass entgegen dem Vorbringen von Rapool-Ring der Saatzeitraum für Winterraps nicht derselbe sei wie der der Wintergetreidearten, sondern je nach Region bereits Mitte August beginne. Zum anderen sei Winterraps, der erst im Juli geerntet werde, anders als die Wintergetreidearten eine Kultur, die für Bienen interessant sei, so dass diese dem möglicherweise kontaminierten Pollen und Nektar ausgesetzt seien.

528    Selbst wenn man davon ausgeht, dass, wie Rapool-Ring in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, der Saatzeitraum für Winterraps Ende August und nicht Mitte August beginnt, ist festzustellen, dass die von der Kommission dargelegten Umstände den Fall des Winterrapses hinreichend von dem der Wintergetreidearten unterscheiden, um im Hinblick auf die von dem angefochtenen Rechtsakt verfolgten Ziele ihre unterschiedliche Behandlung zu erlauben.

529    Daher ist die Rüge betreffend das Verbot der Verwendung der streitigen Wirkstoffe an Winterraps zurückzuweisen, ohne dass über ihre Zulässigkeit als nur von einem Streithelfer erhobene Rüge zu entscheiden ist.

–       Zum Verbot der Blattbehandlung

530    Die Klägerinnen bringen vor, dass, obwohl die EFSA zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Rechtsakts die Anwendungen der streitigen Wirkstoffe für die Blattbehandlung nicht bewertet hatte, dieser Rechtsakt trotzdem Beschränkungen für eine solche Anwendung vorsehe. Die bloße Behauptung der Kommission im siebten Erwägungsgrund des angefochtenen Rechtsakts, wonach im Wesentlichen das Risiko aufgrund der Blattbehandlung dem beobachteten Risiko aufgrund der Anwendungen zur Saatgutbehandlung oder Bodenbehandlung ähnele, und zwar aufgrund der systemischen Translokation der streitigen Wirkstoffe in der Pflanze, entbehre jeder wissenschaftlichen Grundlage und lasse die seit Langem angewandten verschiedenen Maßnahmen zur Risikobegrenzung außer Acht.

531    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

532    Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Erwägungsgründe 7 und 11 des angefochtenen Rechtsakts folgende Passagen enthalten:

„(7)      … In Erwartung der Bewertung der Anwendungen zur Blattbehandlung durch die [EFSA] ist die Kommission insbesondere der Ansicht, dass das Risiko für Bienen aufgrund der Blattbehandlung dem von der [EFSA] ermittelten Risiko aufgrund der Anwendungen zur Saatgutbehandlung oder Bodenbehandlung ähnelt, und zwar aufgrund der systemischen Translokation der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid in der Pflanze.“

„(11)      … Die Blattbehandlung mit Clothianidin, Thiamethoxam oder Imidacloprid enthaltenden Pflanzenschutzmitteln sollte für Kulturen, die für Bienen interessant sind, und für Getreide – mit Ausnahme der Anwendung in Gewächshäusern und der Anwendung nach der Blüte – verboten werden. Kulturen, die vor der Blüte geerntet werden, gelten als uninteressant für Bienen.“

533    Zweitens war das zweite Mandat, das die Kommission der EFSA erteilte, in seiner am 25. Juli 2012 geänderten Fassung (vgl. oben, Rn. 21 und 25) ausdrücklich auf die „genehmigten Nutzungen dieser Wirkstoffe für die Saatgutbehandlung und Granulate“ beschränkt. Folglich betraf die von der EFSA durchgeführte Risikobewertung keine anderen genehmigten Nutzungen, und die Schlussfolgerungen der EFSA zu den drei streitigen Wirkstoffen enthielten keine Angaben zum Risiko im Zusammenhang mit der Blattbehandlung.

534    Drittens beruhen die im angefochtenen Rechtsakt getroffenen Maßnahmen auf einer Anwendung des Vorsorgeprinzips, da ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestanden, dass bestimmte bis dahin zugelassene Nutzungen der streitigen Wirkstoffe nicht hinnehmbare Risiken für Bienen bedingten, ohne dass in dieser Hinsicht bereits wissenschaftliche Gewissheit bestand. In einer solchen Situation war die Kommission berechtigt, vorbeugende Maßnahmen auch für noch nicht spezifisch von der EFSA bewertete Nutzungen zu treffen, wenn und soweit sie vernünftigerweise annehmen konnte, dass diese Risiken darstellten, die denjenigen der bewerteten Nutzungen entsprachen.

535    Viertens geht aus dem siebten Erwägungsgrund des angefochtenen Rechtsakts hervor, dass die Kommission aufgrund der systemischen Translokation der streitigen Wirkstoffe in der Pflanze der Ansicht war, dass das Risiko aufgrund der Blattbehandlung dem Risiko ähnele, das für die von der EFSA geprüften Nutzungen ermittelt worden sei.

536    Bei einer solchen Translokation nach einer Blattbehandlung durch Spritzung sind zwei Wege der Translokation innerhalb der Pflanze zu unterscheiden: zum einen basipetal, von den oberen Enden der Pflanze zum unteren Ende der Pflanze hin, nach einer Aufnahme durch die Blätter, und zum anderen akropetal, d. h. von den Wurzeln zum Rest der Pflanze hin, nach einer Aufnahme durch die Wurzeln.

537    Als Erstes gibt die Kommission zur basipetalen Translokation an, sich auf zwei Studien aus dem Jahr 2009 (Skerl-Studie) und dem Jahr 2012 (Blacquière-Studie) gestützt zu haben.

538    Zum einen beschränkte sich jedoch, wie Bayer geltend macht, die Blacquière-Studie, zu der die Parteien darin übereinstimmen, dass sie eine sogenannte Sekundärstudie gewesen sei (vgl. oben, Rn. 364), darauf, auf die Skerl-Studie zu verweisen. Es ist daher festzustellen, dass die Kommission ihr Vorbringen, dass eine systemische Translokation zum Pollen hin nach einer Blattbehandlung mit einem Neonicotinoid habe erfolgen können, in Wirklichkeit nur auf eine einzige Studie gestützt hat.

539    Zum anderen betraf die Skerl-Studie Thiacloprid und nicht einen der streitigen Wirkstoffe. Auch wenn Thiacloprid ebenfalls ein Neonicotinoid ist und daher ähnliche Eigenschaften wie die streitigen Wirkstoffe aufweisen kann, gehört es jedoch zur Gruppe der sogenannten „cyano-substituierten“ Neonicotinoide, während die streitigen Wirkstoffe zur Gruppe der Neonicotinoide vom Typ Nitroguanidin gehören. Wie die Kommission angibt, zeichnen sich die cyano-substituierten Neonicotinoide durch schwächere akute Toxizitäts-Profile für Bienen aus als Neonicotinoide vom Typ Nitroguanidin, was ihr zufolge rechtfertigte, sie aus dem der EFSA erteilten zweiten Mandat in seiner am 25. Juli 2012 geänderten Fassung (vgl. oben, Rn. 25) auszuschließen.

540    Außerdem hat Bayer selbst vor dem Gericht in der Erwiderung eine im Jahr 2008 von zweien ihrer Mitarbeiter erstellte und nicht veröffentlichte Sekundärstudie in Form eines systematischen Überblicks vorgelegt, um nachzuweisen, dass Blattbehandlungen mit Pflanzenschutzmitteln mit Imidacloprid zu keinem Risiko für Bienen führten.

541    Diese Studie stellte jedoch kein vollständiges Fehlen oder eine Unmöglichkeit einer Translokation zum Pollen oder zum Nektar hin in Folge von Blattbehandlungen fest, sondern nur das Fehlen von Rückständen, die ein Risiko für Bienen darstellen könnten. Überdies betraf diese Studie nach der Beschreibung in ihrem Punkt 2 („Ziele“) insbesondere „die verfügbaren Informationen zum systemischen Charakter und zur Translokation von Imidacloprid in Pflanzen, um nachzuweisen, dass Rückstände von Imidacloprid im Nektar oder im Pollen nach Blattspritzungen von Kulturen oder Zierpflanzen gemäß den Anweisungen auf dem Etikett vernachlässigbar sind“. Der Gegenstand dieser Studie war daher nicht neutral, sondern von vornherein auf einen Nachweis der Unbedenklichkeit von Imidacloprid gerichtet. Schließlich wurde diese unveröffentlichte Studie keiner Peer Review unterzogen.

542    In Anbetracht der Schwächen der beiderseits angeführten wissenschaftlichen Studien – wobei sich die von Bayer vorgelegte überdies auf Imidacloprid beschränkte – kann weder festgestellt werden, dass die Kommission vernünftigerweise annehmen konnte, dass die Blattbehandlung mit Risiken verbunden war, die denjenigen der bewerteten Nutzungen im Hinblick auf ein etwaiges durch basipetale Translokation verursachtes Risiko entsprachen, noch, dass die Klägerinnen das Gegenteil nachgewiesen hätten.

543    Als Zweites hat die Kommission zur akropetalen Translokation geltend gemacht, dass die Blattbehandlung zu einer Ablagerung des betreffenden Produkts auf dem Boden führe, von wo seine Wirkstoffe von den Wurzeln aufgenommen und in der Pflanze verteilt werden könnten.

544    Es ist festzustellen, dass diese Umstände es der Kommission gestatteten, vernünftigerweise anzunehmen, dass die Blattbehandlung mit Risiken verbunden war, die denjenigen der von der EFSA in ihren Schlussfolgerungen bewerteten Nutzungen entsprachen.

545    Die Klägerinnen haben zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die betreffenden Wirkstoffe, die im auf dem Boden abgelagerten Teil des Produkts enthalten seien, schnell abgebaut würden, so dass sie kein Risiko darstellten. Zum einen ist dies jedoch von Greenpeace bestritten worden, die darauf hingewiesen hat, dass die Abbaurate von der Bodenbeschaffenheit abhänge, und es ist außerdem nicht ersichtlich, unterhalb welcher Abbaurate man davon ausgehen könnte, dass die Resorption durch den Boden im Hinblick auf die akropetale Translokation kein Risiko für Bienen mehr darstellt. Zum anderen hat Bayer keine Angaben zur Abbaugeschwindigkeit von Imidacloprid und Clothianidin gemacht. Für Thiamethoxam hat Syngenta eine Halbwertszeit von 30 Tagen angegeben, was unterhalb des Grenzwerts von 120 Tagen für die Einstufung eines Wirkstoffs als „persistent“ liege. Allerdings kann laut Greenpeace die Halbwertszeit von Thiamethoxam je nach Bodenbeschaffenheit bis zu Hunderten von Tagen betragen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Thiamethoxam zu Clothianidin abgebaut wird und dass diese erste Abbaustufe daher nicht den Schluss zulässt, dass eine Resorption durch die Pflanze im Hinblick auf die akropetale Translokation kein Risiko mehr darstelle.

546    Die Klägerinnen haben daher nicht nachgewiesen, dass das Verbot der Blattbehandlung zur Erreichung der Ziele des angefochtenen Rechtsakts, in dem oben in Rn. 507 angeführten Sinn, offensichtlich ungeeignet war.

547    Folglich ist diese Rüge betreffend dieses Verbot zurückzuweisen.

–       Zum Verbot der nicht gewerblichen Anwendungen

548    Die Klägerinnen machen geltend, dass die Beschränkung der nicht gewerblichen Anwendungen über das hinausgehe, was zur Erreichung der Ziele des angefochtenen Rechtsakts geeignet sei. Was die Anwendungen im Außenbereich angehe, sammelten die staatenbildenden Honigbienen Nektar in großen Gebieten, so dass sich die Sammeltätigkeit im Allgemeinen auf eine große Zahl von Gärten in städtischen und halbstädtischen Gebieten sowie auf benachbarte Wälder, Parks und Spielplätze erstrecke. Das Vorliegen eines Risikos für Bienen auf der Ebene des Bienenvolks setze daher voraus, dass fast alle Gärtner Pflanzenschutzmittel mit den streitigen Wirkstoffen verwendeten, da andernfalls die Expositionshöhen kein Niveau erreichten, das für die Gesundheit der Bienen auf der Ebene des Bienenvolks relevant sei. Bayer ergänzt, dass niemals eine signifikante Vergiftung von Bienen in der Union festgestellt worden sei, die durch eine Amateuranwendung von Imidacloprid oder Clothianidin verursacht worden sei, und dass es für die Befürchtungen der Kommission, die Amateuranwender könnten die in den Gebrauchsanleitungen vorgeschriebenen Maßnahmen zur Risikobegrenzung missachten, keinerlei Belege, selbst anekdotischer Art, gebe.

549    Die nicht gewerblichen Anwendungen im Innenbereich hätten noch weniger Auswirkung auf die Gesundheit der Bienen als die Anwendung in einem Privatgarten. Da Honigbienen im Freien lebten und Nektar sammelten, sei es absurd, die Anwendungen im Innenbereich aus Gründen der Bienengesundheit zu verbieten, zumal gewerbliche Anwendungen in Gewächshäusern nicht beschränkt worden seien.

550    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

551    Insoweit ist erstens daran zu erinnern, dass die Bestimmung des Risikoniveaus, das für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erscheint, den Organen zusteht, die für die politische Entscheidung, die in der Festlegung des für diese Gesellschaft angemessenen Schutzniveaus besteht, zuständig sind (vgl. die oben in Rn. 122 angeführte Rechtsprechung).

552    Zweitens ist, wie die Kommission vorträgt, darauf hinzuweisen, dass nach dem Verständnis des Unionsgesetzgebers vom Risikomanagement, wie es z. B. im 19. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1) zum Ausdruck kommt, „die wissenschaftliche Risikobewertung allein in manchen Fällen nicht alle Informationen liefert, auf die sich eine Risikomanagemententscheidung gründen sollte, und … auch noch andere für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt relevante Faktoren wie beispielsweise gesellschaftliche, wirtschaftliche und ethische Gesichtspunkte, Traditionen und Umwelterwägungen wie auch die Frage der Kontrollierbarkeit zu berücksichtigen sind“. Daher ist die Kommission berechtigt, Faktoren zu berücksichtigen wie etwa den Umstand, dass gewisse Anwendergruppen mehr als andere dazu neigen könnten, die Anweisungen in den Gebrauchsanleitungen der Pflanzenschutzmittel zu missachten, ebenso wie die Unmöglichkeit der Kontrolle der Art und Weise, wie sie diese Mittel anwenden.

553    Drittens haben in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer unangemessenen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln mit den streitigen Wirkstoffen durch nicht gewerbliche Anwender weder die Kommission noch die Klägerinnen wirklich nachgewiesen, inwieweit eine solche Wahrscheinlichkeit bestand oder nicht. Bayer hat jedoch auf eine von der Kommission in Auftrag gegebene Meinungsumfrage aus dem Jahr 2011 über das „Verbraucherverständnis von Etiketten und die gefahrlose Anwendung von Chemikalien“ verwiesen, aus der hervorgehe, dass fast 80 % der Befragten die auf Pestiziden angebrachten Etiketten „immer“ oder „meistens“ läsen und dass weitere 12 % sie „manchmal“ läsen. Von denjenigen, die die Anweisungen auf den Etiketten lesen, beachteten sie fast 74 % „vollständig“, während 23 % sie „zum Teil“ befolgten. Diese Zahlen würden von einer anderen Meinungsumfrage bestätigt, von der Bayer nur Auszüge vorgelegt hat.

554    Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die von Bayer zur ersten dieser Meinungsumfragen angegebenen Zahlen nicht denjenigen entsprechen, die in der von ihr vorgelegten Kopie enthalten sind. Der Prozentsatz der Befragten, die geantwortet hatten, dass sie „immer“ oder „meistens“ die Etiketten auf den Pflanzenschutzmitteln läsen, betrug nämlich 66 % (50 % „immer“ und 16 % „meistens“) und nicht „fast 80 %“, wie Bayer angibt.

555    Sodann lässt der von Bayer vorgelegte Auszug aus der zweiten Meinungsumfrage nicht erkennen, wer die Meinungsumfrage durchgeführt hat, wie die Stichprobe der Befragten zusammengesetzt war und ob diese für die Bevölkerung der sieben Länder, in denen sie durchgeführt wurde, repräsentativ war. Unter diesen Umständen kann sie nur sehr eingeschränkten Beweiswert haben.

556    Schließlich zeigt die erste Meinungsumfrage, die in sämtlichen Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer repräsentativen Stichprobe durchgeführt wurde, dass 34 % der Befragten die Gebrauchsanleitungen auf den Etiketten der Pflanzenschutzmittel nur „manchmal“ oder „nie“ lesen. Unter diesen Umständen ist, insbesondere unter Berücksichtigung der hohen Toxizität der betreffenden Wirkstoffe, festzustellen, dass die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangen konnte, dass nicht gewerbliche Anwender eher als gewerbliche Anwender dazu neigen könnten, die Gebrauchsanweisungen zu missachten.

557    Somit kann das Verbot nicht gewerblicher Nutzungen der betreffenden Wirkstoffe im Außenbereich nicht als „zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet“ im Sinne der oben in Rn. 506 angeführten Rechtsprechung eingestuft werden.

558    Viertens trifft es spezifisch hinsichtlich der nicht gewerblichen Anwendung im Innenbereich zu, dass eine Gefährdung der Bienen auf den ersten Blick eher unwahrscheinlich erscheint, wenn man unterstellt, dass die Gebrauchsanweisungen beachtet werden. Wie jedoch soeben dargelegt wurde, kann eine unsachgemäße Verwendung unter Missachtung der Gebrauchsanleitung nicht ausgeschlossen werden, und zwar insbesondere, was nicht gewerbliche Anwender betrifft. Insoweit scheint das von der Kommission angeführte Risiko, dass eine im Innenbereich behandelte Pflanze anschließend ins Freie gestellt werde, eher anekdotisch und jedenfalls punktuell. Eher scheint es wahrscheinlich, dass manche Nutzer aufgrund der Wirksamkeit der streitigen Wirkstoffe als Insektizide versucht sein könnten, die sie enthaltenen Produkte unmittelbar im Außenbereich anzuwenden, auch wenn sie für eine Anwendung im Innenbereich verkauft werden.

559    Da eine Anwendung, die vollständig verboten ist, jedenfalls sicherer ist als eine Anwendung, für die man sich auf die Gewissenhaftigkeit der Anwender verlassen muss, ist folglich festzustellen, dass die Beschränkung dieser nicht gewerblichen Anwendungen im Innenbereich nicht als „zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet“ eingestuft werden kann.

–       Zu den Risikobegrenzungsmaßnahmen, die als weniger belastende Maßnahmen angeblich hätten in Betracht gezogen werden müssen

560    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission hätte von der Möglichkeit nach Art. 6 Buchst. i der Verordnung Nr. 1107/2009 Gebrauch machen müssen, die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe dem Erlass von Maßnahmen zur Risikominderung und einem Monitoring nach der Verwendung zu unterwerfen. Insbesondere hätte die Kommission sich vergewissern müssen, dass die Mitgliedstaaten die ihnen in der Richtlinie 2010/21 (vgl. oben, Rn. 16) auferlegte Pflicht erfüllten, „sicher[zustellen], dass erforderlichenfalls Überwachungsprogramme zur Überprüfung der tatsächlichen Exposition von Honigbienen gegenüber [Neonicotinoiden] in von Bienen für die Futtersuche oder von Imkern genutzten Gebieten eingeleitet werden“, sie hätte eine Etikettierung oder spezifische Gebrauchsanweisungen verpflichtend vorschreiben können oder auch die Verwendung von Deflektoren, um der Exposition von Bienen gegenüber Staub bei der Saat vorzubeugen, und sie hätte den Aktionsplan, den ihr die Klägerinnen gemeinsam am 28. März 2013 vorgeschlagen hätten, berücksichtigen müssen.

561    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

562    Erstens ist insoweit zu den Überwachungsprogrammen, deren Einrichtung von der Richtlinie 2010/21 verlangt wurde, zum einen darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission vorträgt, diese die Erhebung von Daten über die Risiken und nicht die Risikovorbeugung bezwecken, was sich insbesondere aus dem Wortlaut des Anhangs der Richtlinie 2010/21 ergibt, wonach die Überwachungsprogramme „zur Überprüfung der tatsächlichen Exposition von Honigbienen“ gegenüber den betreffenden Wirkstoffen einzurichten sind. Diese Maßnahmen werden im Übrigen durch den angefochtenen Rechtsakt verlängert.

563    Zum anderen weist Bayer selbst darauf hin, dass „[b]is heute nur eine kleine Zahl von Überwachungsprogrammen auf Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt wurde“, wobei sie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Slowenien anführt und andeutet, dass die Kommission auf der Einführung einer größeren Zahl von Überwachungsprogrammen hätte bestehen müssen, um die tatsächliche Exposition der Honigbienen gegenüber Neonicotinoiden im Freiland besser beurteilen zu können. Diese Hinweise zeigen jedoch, dass die den Mitgliedstaaten auferlegten Überwachungspflichten nach der Genehmigung in Wirklichkeit nicht zwangsläufig befolgt werden und dass die Zweckdienlichkeit einer solchen Maßnahme weitgehend vom Pflichtbewusstsein abhängt, das die verschiedenen Mitgliedstaaten an den Tag legen.

564    Zweitens macht die Kommission zu den Maßnahmen der Risikominderung, die nach Auffassung der Klägerinnen einer Staubexposition bei der Saat vorbeugen könnten, zu Recht eine Reihe von Erwägungen geltend, die die Wirksamkeit dieser Maßnahmen in Frage stellen. So weisen Maßnahmen wie Etikettierung und besondere Gebrauchsanweisungen den Nachteil auf, dass die Einhaltung der Vorgaben unsicher und schwer überprüfbar ist. Zu den Filtern, die zur Verringerung der Staubemission verwendet würden, weist die Kommission darauf hin, dass nach den Ergebnissen des italienischen Forschungs- und Überwachungsprogramms Apenet ein Teil der kleinsten Staubteile bei der Aussaat von diesen Filtern nicht zurückgehalten werde und zu einer hohen Sterblichkeitsrate führen könne. Zu den Deflektoren, mit denen die Sämaschinen ausgestattet werden könnten, führt die Kommission schließlich eine Bewertung an, die von der EFSA durchgeführt worden sei, die nicht in der Lage gewesen sei, den Wirkungsgrad der Deflektoren zu beziffern und die ausdrücklich auf die Unmöglichkeit hingewiesen habe, „auf der Grundlage der verfügbaren Daten ein erhebliches Expositionsrisiko für Bienen (oder andere Bestäuberinsekten) auszuschließen, selbst für den Fall, dass ein Deflektor verwendet [würde]“. Wie außerdem oben in Rn. 376 dargelegt, sollen die Deflektoren, wie die anderen von den Klägerinnen vorgeschlagenen Maßnahmen, die Staubexposition verringern und entfalten keine Wirkung in Bezug auf die Exposition durch Nektar, Pollen und Guttation sowie auf die Exposition, die sich aus der systemischen Translokation der betreffenden Wirkstoffe vom behandelten Saatgut in die Pflanzen ergibt.

565    Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist festzustellen, dass die Tatsache, dass die Kommission die möglichen Maßnahmen zur Risikobegrenzung für unzureichend befand, nicht den Schluss erlaubt, dass der angefochtene Rechtsakt offenkundig über das hinausging, was zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich war.

–       Zusammenfassung zur Verhältnismäßigkeit

566    Aus den vorstehenden Rn. 502 bis 565 ergibt sich, dass die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurückzuweisen ist.

viii) Zur Rüge einer Nichtberücksichtigung der Überwachungsdaten

567    Die Klägerinnen beanstanden auch, dass die Kommission im Rahmen des Risikomanagements die Überwachungsdaten trotz einer entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung durch die EFSA nicht berücksichtigt habe.

568    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

569    Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die verfügbaren Überwachungsdaten, ebenso wie alle weiteren relevanten Informationen, im Rahmen der Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs zu berücksichtigen sind, wobei die Kommission diese Verpflichtung im Übrigen anerkannt hat (vgl. oben, Rn. 215). Was den genauen Umfang dieser Verpflichtung anbelangt, ist zwischen der Phase der Bewertung der Risiken und derjenigen des Risikomanagements zu unterscheiden (vgl. oben, Rn. 111).

570    Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Klägerinnen nicht nachgewiesen haben, dass die EFSA die Überwachungsdaten im Rahmen der Bewertung der Risiken nicht angemessen berücksichtigt hätte (vgl. oben, Rn. 382).

571    Da die im Rahmen der Risikobewertung aus den Überwachungsdaten zu ziehenden Erkenntnisse in die Schlussfolgerungen der EFSA eingeflossen sind, waren die Risiken, die die EFSA festgestellt hatte, oder diejenigen, von denen sie meinte, dass ihr Fehlen nicht nachgewiesen werden könne, diejenigen, die insbesondere in Anbetracht der verfügbaren Überwachungsdaten bestanden oder nicht ausgeschlossen werden konnten. Im Rahmen der Entscheidung über das Management dieser Risiken, die sie nach Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 zu treffen hatte, oblag es der Kommission daher nicht, die Feststellungen in den Schlussfolgerungen der EFSA im Licht von Daten in Frage zu stellen, die Letztere bereits berücksichtigt hatte. Dagegen hatte sie zu prüfen, ob die Risiken, deren Vorliegen festgestellt worden war oder nicht hatte ausgeschlossen werden können, im Licht der Überwachungsdaten durch den Erlass von Risikobegrenzungsmaßnahmen eingeschränkt werden konnten.

572    In diesem Sinne ist die angeblich an die Kommission gerichtete „Aufforderung“ der EFSA, auf die sich die Klägerinnen berufen, zu verstehen. Der in Rede stehende Satz, der gleichlautend in den Schlussfolgerungen der EFSA zu jedem der betreffenden Wirkstoffe enthalten ist, lautet nämlich wie folgt:

„Insgesamt wurde davon ausgegangen, dass die Überwachungsdaten für die Risikobewertung von begrenztem Nutzen sind, aber dass sie als Rückmeldung an die Verantwortlichen für das Risikomanagement von Nutzen sein können, damit sie Vorsorgemaßnahmen in Betracht ziehen können.“

573    Außerdem ist insoweit festzustellen, dass diese Bemerkung der EFSA nicht nur die Kommission, sondern die Verantwortlichen für das Risikomanagement im Allgemeinen betrifft. Die Kommission ist zwar die Verantwortliche für das Risikomanagement hinsichtlich der Genehmigung von Wirkstoffen nach der Verordnung Nr. 1107/2009, jedoch spielen auch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln nach dieser Verordnung eine Rolle als Verantwortliche für das Risikomanagement. Da, wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, die Überwachungsdaten die spezifischen Umstände der verschiedenen Mitgliedstaaten und der verschiedenen Regionen, insbesondere in Bezug auf landwirtschaftliche Methoden, klimatische Bedingungen und das Auftreten von Krankheiten widerspiegeln, die nicht über die gesamte Union verallgemeinert werden können, könnten diese Überwachungsdaten für das Risikomanagement auf nationaler Ebene sogar nützlicher sein als auf Unionsebene.

574    Schließlich haben die Klägerinnen, wie in den vorstehenden Rn. 562 bis 565 dargelegt worden ist, nicht nachgewiesen, dass die Beurteilung der Kommission fehlerhaft war, wonach den Risiken, deren Vorliegen festgestellt worden war oder nicht ausgeschlossen werden konnte, im Licht der Überwachungsdaten nicht durch den Erlass von Risikobegrenzungsmaßnahmen begegnet werden konnte.

575    Folglich ist die Rüge einer Nichtberücksichtigung der Überwachungsdaten im Rahmen des Risikomanagements durch die Kommission zurückzuweisen.

ix)    Zur Rüge eines willkürlichen Charakters gewisser Maßnahmen

576    Bayer macht geltend, dass bestimmte der im angefochtenen Rechtsakt getroffenen Maßnahmen willkürlichen Charakter hätten und daher nicht unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip gerechtfertigt werden könnten. Dies gelte für die Beschränkungen der Verwendungen zur Blattbehandlung sowie der nicht gewerblichen Verwendungen, die ohne wissenschaftliche oder sonstige Grundlage auferlegt worden seien und für die die Schlussfolgerungen der EFSA keine Risiken festgestellt hätten.

577    Die Kommission tritt dem entgegen.

578    Es ist festzustellen, dass das Vorbringen von Bayer zur Stützung dieser Rüge im Wesentlichen keinen Unterschied zu derjenigen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erkennen lässt, soweit sie die Blattbehandlungen und die nicht gewerblichen Verwendungen betrifft. Da aber oben in den Rn. 532 bis 547 und 551 bis 559 festgestellt worden ist, dass die geltend gemachten Umstände, soweit nachgewiesen, keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründen, können sie auch nicht als willkürlich eingestuft werden.

579    Daher ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

4)      Ergebnis zu den Rügen offensichtlicher Beurteilungsfehler und einer falschen Anwendung des Vorsorgeprinzips

580    Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission im Einklang mit den oben in den Rn. 141 und 142 angeführten Anforderungen nachgewiesen hat, dass in Anbetracht der Änderung des Regelungsrahmens durch den Erlass der Verordnung Nr. 1107/2009 und insbesondere in Anbetracht der durch Punkt 3.8.3 des Anhangs II dieser Verordnung eingeführten erheblichen Verschärfung der Anforderungen in Bezug auf das Nichtbestehen unannehmbarer Auswirkungen der Wirkstoffe auf Bienen (vgl. oben, Rn. 135) die von der EFSA festgestellten Risiken die Schlussfolgerung rechtfertigten, wonach die streitigen Wirkstoffe in Bezug auf die von Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts beschränkten oder verbotenen Verwendungen nicht mehr die Genehmigungskriterien nach Art. 4 dieser Verordnung erfüllten.

581    Die Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen hat keine Fehler bei der Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 sowie insbesondere keine offensichtlichen Beurteilungsfehler ergeben und auch keine falsche Anwendung des Vorsorgeprinzips oder des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

582    Folglich sind diese Rügen sowie die Gesamtheit der Rügen betreffend die Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 zurückzuweisen.

5.      Zur Verletzung des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit

583    Bayer macht geltend, Erlass und Inhalt des angefochtenen Rechtsakts stellten einen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff dar, der den Wesensgehalt ihres Eigentumsrechts und ihrer unternehmerischen Freiheit antaste, die die Kommission bei der Auslegung und Anwendung der Art. 21 und 49, Art. 12 Abs. 2 und Anhang II Punkt 3.8.3 der Verordnung Nr. 1107/2009 habe berücksichtigen müssen. Die Auslegung der Verordnung Nr. 1107/2009 durch die Kommission verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

584    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

585    Als Erstes ist insoweit daran zu erinnern, dass, wie Bayer zu Recht vorträgt, sowohl die freie Berufsausübung als auch das Eigentumsrecht nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehören (vgl. Urteil vom 29. März 2012, Interseroh Scrap and Metals Trading, C‑1/11, EU:C:2012:194, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung) und nunmehr ausdrücklich in den Art. 16 und 17 der Charta der Grundrechte garantiert sind.

586    Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung sind diese Grundsätze jedoch nicht schrankenlos gewährleistet, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Ausübung der unternehmerischen Freiheit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten würde (Urteile des Gerichtshofs vom 11. Juli 1989, Schräder HS Kraftfutter, 265/87, EU:C:1989:303, Rn. 15, vom 3. Dezember 1998, Generics [UK] u. a., C‑368/96, EU:C:1998:583, Rn. 79, und vom 23. Oktober 2003, Van den Bergh Foods/Kommission, T‑65/98, EU:T:2003:281, Rn. 170).

587    Insbesondere hat, wie oben in Rn. 106 ausgeführt, der Umweltschutz nach Art. 37 der Charta der Grundrechte sowie nach Art. 11 AEUV und Art. 114 Abs. 3 AEUV vorrangige Bedeutung gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen, so dass er sogar beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. September 2011, Dow AgroSciences u. a./Kommission, T‑475/07, EU:T:2011:445, Rn. 143, vom 6. September 2013, Sepro Europe/Kommission, T‑483/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:407, Rn. 85, sowie vom 12. Dezember 2014, Xeda International/Kommission, T‑269/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1069, Rn. 138).

588    Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

589    Als Zweites beruht im vorliegenden Fall der angefochtene Rechtsakt auf Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 und ist daher gesetzlich vorgesehen. Die Prüfung der übrigen von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe hat weder eine fehlerhafte Auslegung oder Anwendung dieser Bestimmung noch einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben.

590    Bayer hat ihr Vorbringen, wonach der Erlass und der Inhalt des angefochtenen Rechtsakts einen Eingriff darstellten, der den Wesensgehalt des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit antaste, nur auf die behauptete fehlerhafte Auslegung und Anwendung der Verordnung Nr. 1107/2009 durch die Kommission gestützt – allgemein in der Klageschrift und eingehender in der Replik. Da diese Behauptungen sämtlich im Rahmen der übrigen von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe zurückgewiesen worden sind, können sie auch im Hinblick auf eine Verletzung der Grundrechte von Bayer nicht durchgreifen.

591    Insbesondere ist das von Bayer in der Replik vorgebrachte Argument zurückzuweisen, wonach die Klägerinnen durch die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe zusätzliche, nach der Charta der Grundrechte geschützte Eigentumsrechte erworben hätten, was erhöhte Anforderungen zur Folge habe, wenn die Kommission die Aufhebung dieser Genehmigung beabsichtige, weshalb insbesondere Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 einschränkend auszulegen sei.

592    Selbst wenn man unterstellt, dass die Genehmigung der streitigen Wirkstoffe neue Rechte für die Klägerinnen geschaffen hat, die nach Art. 17 der Charta der Grundrechte geschützt sind, bedingt dies jedoch keine einschränkende Auslegung von Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009, da dieser ausreichende Garantien für Personen enthält, denen die Genehmigung eines Wirkstoffs erteilt wurde. Insbesondere setzt die Aufhebung oder die Änderung einer bestehenden Genehmigung voraus, dass die Kommission auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Kenntnisse zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind. Wie sich aus der obigen Prüfung der Anwendung von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 ergibt, ist dies entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen hier der Fall. Außerdem hat die Kommission nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 die Stellungnahme des Herstellers des Wirkstoffs einzuholen, bevor sie eine Entscheidung trifft.

593    Es kann auch keine Rede davon sein, dass der angefochtene Rechtsakt den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit oder des Eigentumsrechts antaste. Es steht den Klägerinnen nämlich weiterhin frei, ihre Tätigkeit der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln auszuüben. Insbesondere bleiben die streitigen Wirkstoffe für bestimmte Verwendungen in der Union genehmigt und können auch exportiert werden. Ebenso entspricht, entgegen den Einlassungen von Bayer, der Ermessensspielraum, den Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 der Kommission einräumt, nicht einer „Freiheit [der Kommission], nach eigenem Gutdünken zu handeln, wann sie will und ohne den Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen“, sondern fügt sich in einen Regelungsrahmen, dessen Anwendung der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt.

594    Die Rüge einer Verletzung des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit ist daher zurückzuweisen.

6.      Zum Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung

595    Syngenta rügt fünf Hauptmängel, die ihres Erachtens zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung geführt haben.

596    Erstens sei das Mandat der EFSA aufgrund seiner Weite, des Zeitdrucks und des Fehlens endgültiger Leitlinien unangemessen gewesen, zweitens sei das Verfahren insgesamt übereilt geführt worden, obwohl keine Dringlichkeit bestanden habe, was zeige, dass die Kommission von Anfang an entschlossen gewesen sei, ein weitgehendes Verbot der streitigen Wirkstoffe zu erlassen, drittens habe die Kommission die einschlägigen und wesentlichen wissenschaftlichen Informationen nicht berücksichtigt, viertens sei die Risikobewertung auf der Grundlage einer unvollständigen Methode durchgeführt worden, und fünftens sei die Kommission ihrer Verpflichtung, eine Folgenabschätzung durchzuführen, nicht nachgekommen.

597    Die Kommission tritt dem Vorbringen von Syngenta entgegen.

598    Insoweit genügt der Hinweis, dass Syngenta sich hier darauf beschränkt, bereits im Rahmen anderer Klagegründe vorgebrachte und oben als tatsächlich oder rechtlich unbegründet zurückgewiesene Argumente zu wiederholen. In beiden Fällen können diese Behauptungen daher keine Verstöße gegen den Grundsatz der guten Verwaltung begründen.

599    Insbesondere ist ausgeführt worden:

–        oben in den Rn. 349 bis 353, dass das Mandat der EFSA unter Berücksichtigung der Zeit, über die sie verfügte, nicht unangemessen war;

–        oben in den Rn. 420 bis 429, dass das Verfahren nicht übereilt geführt wurde, so dass sich gezeigt hätte, dass die Kommission von Anfang an entschlossen gewesen wäre, ein weitgehendes Verbot der streitigen Wirkstoffe zu erlassen;

–        oben in den Rn. 354 bis 382 und 569 bis 575, dass der EFSA und der Kommission nicht vorgeworfen werden konnte, die einschlägigen und wesentlichen wissenschaftlichen Informationen nicht berücksichtigt zu haben;

–        oben in den Rn. 325 und 326, dass die Risikobewertung nicht aufgrund des Fehlens von Leitlinien mangelhaft war;

–        oben in den Rn. 459 bis 471, dass die Kommission gegen keine Verpflichtung zur Durchführung einer Folgenabschätzung verstoßen hat.

600    Im Rahmen der Darstellung des Sachverhalts hat Syngenta außerdem zum Komitologieverfahren geltend gemacht, dass die Mitgliedstaaten nicht ausreichend Zeit gehabt hätten, um die im Arbeitsdokument vom 28. Januar 2013 (vgl. oben, Rn. 419) vorgeschlagenen Maßnahmen und ihre Stellungnahme zu den Schlussfolgerungen der EFSA zu Thiamethoxam zu prüfen.

601    Insoweit genügt es, wie die Kommission darauf hinzuweisen, dass sie nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 182/2011 im Rahmen des Komitologieverfahrens nicht verpflichtet war, ein Arbeitsdokument auszuarbeiten, sondern nur, einen Entwurf des Durchführungsrechtsakts vorzulegen, dessen Erlass sie vorschlug. Wenn sie, wie im vorliegenden Fall, über diese Verpflichtung hinausgeht und ein Arbeitsdokument ausarbeitet, um im Vorfeld der Vorlage eines Entwurfs des Durchführungsrechtsakts die Arbeiten des Ausschusses zu erleichtern, kann ihr hinsichtlich der einzuhaltenden Fristen kein Vorwurf gemacht werden. Außerdem geht aus dem zusammenfassenden Bericht der Sitzung des Ausschusses vom 31. Januar und 1. Februar 2013 hervor, dass die Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, ihre etwaigen ergänzenden Stellungnahmen zum Arbeitsdokument bis 5. Februar 2013, also noch nach dieser Sitzung, vorzulegen.

602    Demnach ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der guten Verwaltung zurückzuweisen.

7.      Ergebnis zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts

603    Nach alledem sind die Anträge auf Nichtigerklärung der Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts zurückzuweisen.

C.      Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts in der Rechtssache T451/13

604    Es ist daran zu erinnern, dass, wie oben in den Rn. 61 bis 67 sowie in Rn. 99 festgestellt, die Klage in der Rechtssache T‑429/13 nur zulässig ist, soweit sie die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts betrifft, und dass sie unzulässig ist, soweit sie gegen Art. 2 dieses Rechtsakts gerichtet ist. Folglich ist in dieser Rechtssache der Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 49 der Verordnung Nr. 1107/2009, der ausschließlich den Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts stützt, nicht zu prüfen.

605    Hingegen ist in der Rechtssache T‑451/13 der Antrag von Syngenta, die im Bereich der Vermarktung von behandeltem Saatgut tätig ist, auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts zulässig. Folglich ist nur in dieser Rechtssache auch der zur Stützung dieses Antrags vorgetragene Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 49 der Verordnung Nr. 1107/2009 zu prüfen.

606    Syngenta macht dazu geltend, dass im vorliegenden Fall keine der drei Anwendungsvoraussetzungen von Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt sei. Erstens habe die Kommission nicht alle verfügbaren Beweismittel berücksichtigt. Zweitens bestünden mangels einer soliden wissenschaftlichen Grundlage für das Verbot des Verkaufs und der Verwendung von behandeltem Saatgut keine „erheblichen Bedenken“ im Sinne dieser Bestimmung. Drittens habe die Kommission nicht geprüft, ob dem Risiko für die Gesundheit der Bienen nicht durch auf nationaler Ebene getroffene Risikobegrenzungsmaßnahmen begegnet werden könne.

607    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

608    Nach Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 (vgl. oben, Rn. 11) setzt die Anwendung dieser Bestimmung voraus, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens müssen „erhebliche Bedenken“ hinsichtlich des schwerwiegenden Risikos bestehen, das das behandelte Saatgut insbesondere für die Umwelt darstellt, und zweitens darf diesem Risiko nicht auf zufriedenstellende Weise durch von den Mitgliedstaaten getroffene Maßnahmen begegnet werden können. Die Anforderung, wonach die Kommission, bevor sie Maßnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot erlässt, die Sachlage prüft, hat nur deklaratorischen Charakter, da die Kommission allein schon nach dem Grundsatz der guten Verwaltung jedenfalls vor dem Erlass von Maßnahmen die Sachlage zu prüfen hat.

609    Die erste Voraussetzung hinsichtlich des Bestehens „erheblicher Bedenken“ ist, wie die Kommission vorträgt, automatisch erfüllt, wenn für Pflanzenschutzmittel mit Wirkstoffen, deren Genehmigung die betreffende Anwendung nicht mehr abdeckt, die auf nationaler Ebene vorliegenden Genehmigungen aufgehoben wurden, weil die Kommission der Auffassung war, dass die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllt waren. In einem solchen Fall hat die Kommission nämlich bereits im Rahmen der Änderung oder der Aufhebung der Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs das Bestehen „erheblicher Bedenken“ in Verbindung mit der Verwendung des betreffenden Saatguts festgestellt.

610    Eine solche Auslegung nimmt im Übrigen der ersten Voraussetzung des Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht die praktische Wirksamkeit, da „erhebliche Bedenken“ bestehen können, die nicht mit einer vorherigen Beschränkung der Genehmigung des Wirkstoffs in Zusammenhang stehen; in diesem Fall muss die Kommission die Frage für die Anwendung dieser Vorschrift prüfen.

611    Zur zweiten Voraussetzung betreffend das Erfordernis eines Handelns auf Unionsebene macht die Kommission geltend, dass ohne Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts die Lagerbestände an Saatgut, das vor der Aufhebung oder der tatsächlichen Änderung der auf nationaler Ebene bestehenden Genehmigungen rechtmäßig behandelt worden sei, in den Mitgliedstaaten gehandelt werden könnten und in denjenigen, die keine nationalen Maßnahmen erlassen hätten, verwendet werden können, mit der Folge, dass die von Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts verfolgten Ziele und die Harmonisierung des Regelungsrahmens betreffend den Warenverkehr im einheitlichen Markt gefährdet würden. Dieser Würdigung ist beizupflichten. Es ist nämlich festzustellen, dass der Kommission, wenn sie einheitlich und gleichzeitig in der ganzen Union die praktische Wirksamkeit der in Art. 1 des angefochtenen Rechtsakts vorgesehenen Einschränkung der Genehmigung der streitigen Wirkstoffe sicherstellen wollte, d. h. die Einstellung der Verwendung der streitigen Wirkstoffe durch Verwendung behandelten Saatguts, um zu verhindern, dass die von ihr festgestellten Risiken für Bienen eintreten, als einziges Mittel zur Erreichung dieses Ziels das Verbot des Inverkehrbringens und der Verwendung behandelten Saatguts zu Gebote stand, wie es in Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts vorgesehen ist.

612    Schließlich ist zur Frage, ob die Kommission vor Erlass von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts tatsächlich die Sachlage geprüft hat, festzustellen, dass diese Frage im Rahmen der Prüfung der gegen die Art. 1, 3 und 4 des angefochtenen Rechtsakts gerichteten Klagegründe bejaht worden ist.

613    Folglich ist der Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 und somit der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 des angefochtenen Rechtsakts in der Rechtssache T‑451/13 zurückzuweisen.

D.      Zum Antrag auf Schadensersatz in der Rechtssache T451/13

614    Syngenta macht geltend, dass der angefochtene Rechtsakt einen offensichtlichen Verstoß gegen eine Rechtsregel darstelle, die zum Ziel habe, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und der hinreichend klar, offensichtlich und qualifiziert sei, um die Haftung der Union auszulösen.

615    Ihr Schaden setze sich aus dem Verlust der Bruttomarge aus dem Verkauf der Thiamethoxam enthaltenden Produkte, einer Beeinträchtigung ihres Ansehens und ihres Rufes und außerordentlichen Kosten für die Verteidigung der Genehmigung von Thiamethoxam im Überprüfungsverfahren zusammen. Dieser Schaden sei direkt, unmittelbar und ausschließlich auf das rechtswidrige Verhalten der Kommission zurückzuführen.

616    Die Kommission tritt dem Vorbringen von Syngenta entgegen.

617    Hierzu ist daran zu erinnern, dass für eine außervertragliche Haftung der Union für rechtswidriges Verhalten ihrer Organe im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein muss, nämlich die Rechtswidrigkeit des den Organen vorgeworfenen Verhaltens, das tatsächliche Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem vorgeworfenen Verhalten und dem geltend gemachten Schaden (vgl. Urteile vom 9. November 2006, Agraz u. a./Kommission, C‑243/05 P, EU:C:2006:708, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 2. März 2010, Arcelor/Parlament und Rat, T‑16/04, EU:T:2010:54, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung).

618    Da diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, ist der Antrag insgesamt abzuweisen, wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist (vgl. Urteil vom 2. März 2010, Arcelor/Parlament und Rat, T‑16/04, EU:T:2010:54, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

619    Im vorliegenden Fall ergibt sich jedoch aus der obigen Prüfung der von Syngenta geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, dass keine Rechtswidrigkeit festzustellen ist, die, auch nur teilweise, die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigen würde, und dass folglich die erste der oben angeführten Voraussetzungen nicht erfüllt ist.

620    Folglich ist der Antrag auf Schadensersatz zurückzuweisen, ohne dass die zweite und die dritte Voraussetzung zu prüfen wären.

V.      Kosten

621    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind sie gemäß dem Antrag der Kommission zur Tragung ihrer eigenen Kosten sowie der Kosten der Kommission und gemäß dem Antrag der UNAF, des DBEB und des ÖEB zur Tragung der Kosten der Letzteren, die dem Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten sind, zu verurteilen.

622    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher sind dem Königreich Schweden, das dem Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Kommission beigetreten ist, seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

623    Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein anderer Streithelfer als die in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall ist zu entscheiden, dass die AGPM, die NFU, die ECPA, Rapool-Ring, die ESA und die AIC, die dem Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen. Ebenso tragen PAN Europe, Bee Life, Buglife und Greenpeace, die keinen Kostenantrag gestellt haben, ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtssachen T429/13 und T451/13 werden zu gemeinsamem Urteil verbunden.

2.      Die Klagen werden abgewiesen.

3.      Die Bayer CropScience AG, die Syngenta Crop Protection AG und die anderen im Anhang aufgeführten Kläger tragen ihre eigenen Kosten sowie die der Europäischen Kommission, der Union nationale de l’apiculture française (UNAF), des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbunds e. V. und des Österreichischen Erwerbsimkerbunds.

4.      Das Königreich Schweden trägt seine eigenen Kosten.

5.      Die Association générale des producteurs de maïs et autres céréales cultivées de la sous-famille des panicoïdées (AGPM), The National Farmers’ Union (NFU), die Association européenne pour la protection des cultures (ECPA), die Rapool-Ring GmbH Qualitätsraps deutscher Züchter, die European Seed Association (ESA), die Agricultural Industries Confederation Ltd, Pesticide Action Network Europe (PAN Europe), Bee Life European Beekeeping Coordination (Bee Life), Buglife – The Invertebrate Conservation Trust und Stichting Greenpeace Council tragen ihre eigenen Kosten.

Kanninen

Pelikánová

Buttigieg

Gervasoni

 

      Calvo-Sotelo Ibáñez-Martín

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Mai 2018.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis




*      Verfahrenssprache: Englisch.


1      Die Liste der Klägerinnen ist nur der den Parteien mitgeteilten Fassung beigefügt.