Language of document : ECLI:EU:C:2024:194

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

29. Februar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 5 Abs. 1 und 3 – Art. 7 Abs. 1 – Ausgleichsleistungen für Fluggäste bei Annullierung von Flügen – Art und Grundlage des Ausgleichsanspruchs – Abtretung der Forderungen von Fluggästen gegen das Luftfahrtunternehmen an eine Handelsgesellschaft – Vertragsklausel, die eine solche Abtretung verbietet – Art. 15 – Ausschluss der Rechtsbeschränkung“

In der Rechtssache C‑11/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil n.º 1 de Palma de Mallorca (Handelsgericht Nr. 1 Palma de Mallorca, Spanien) mit Entscheidung vom 31. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2023, in dem Verfahren

Eventmedia Soluciones SL

gegen

Air Europa Líneas Aéreas SAU

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Eventmedia Soluciones SL, vertreten durch R. M. Jiménez Varela, Procuradora, und A. M. Martínez Cuadros, Abogada,

–        der Air Europa Líneas Aéreas SAU, vertreten durch N. de Dorremochea Guiot, Procurador, und E. Olea Ballesteros, Abogado,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,

–        der litauischen Regierung, vertreten durch S. Grigonis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. L. Buendía Sierra, N. Ruiz García und G. Wilms als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 und Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1) sowie von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eventmedia Soluciones SL (im Folgenden: Eventmedia), der Zessionarin der Forderungen von sechs Fluggästen, und der Air Europa Líneas Aéreas SAU (im Folgenden: Air Europa) wegen einer Ausgleichsleistung aufgrund der Annullierung eines Flugs.

 Unionsrecht

 Verordnung (EG) Nr. 44/2001

3        Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) sah in Art. 5 Nr. 1 Buchst. a vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1.      a)      wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre…“

 Verordnung Nr. 261/2004

4        Die Erwägungsgründe 1, 7 und 20 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1)      Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(7)      Damit diese Verordnung wirksam angewandt wird, sollten die durch sie geschaffenen Verpflichtungen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegen, das einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt, und zwar unabhängig davon, ob der Flug mit einem eigenen Luftfahrzeug oder mit einem mit oder ohne Besatzung gemieteten Luftfahrzeug oder in sonstiger Form durchgeführt wird.

(20)      Die Fluggäste sollten umfassend über ihre Rechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen informiert werden, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können.“

5        In Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung heißt es:

„Durch diese Verordnung werden unter den in ihr genannten Bedingungen Mindestrechte für Fluggäste in folgenden Fällen festgelegt:

b)      Annullierung des Flugs…“

6        Art. 2 Buchst. b dieser Verordnung definiert den Begriff „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ als „ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“.

7        Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 5 dieser Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.“

8        In Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1)      Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen

c)      vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, … sie werden über die Annullierung … unterrichtet…

(3)      Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

9        Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a)      250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b)      400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c)      600 [Euro] bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.“

10      Art. 15 („Ausschluss der Rechtsbeschränkung“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1)      Die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung dürfen – insbesondere durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag – nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(2)      Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewandt oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten.“

 Richtlinie 93/13

11      Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

12      Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13      Sechs Fluggäste, die von der Annullierung eines für den 24. März 2022 geplanten Flugs vom Flughafen Viru Viru von Santa Cruz (Bolivien) nach Madrid (Spanien) betroffen waren, traten ihre Ausgleichsforderungen gegen Air Europa an Eventmedia, eine Handelsgesellschaft, ab.

14      In der Folge erhob Eventmedia beim Juzgado de lo Mercantil n.º 1 de Palma de Mallorca (Handelsgericht Nr. 1 Palma de Mallorca, Spanien), dem vorlegenden Gericht, gegen Air Europa Klage auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro für jeden dieser Fluggäste auf der Grundlage der Verordnung Nr. 261/2004.

15      Vor diesem Gericht bestreitet Air Europa die Klagebefugnis von Eventmedia. Die Forderungsabtretung sei rechtlich nicht wirksam, da sie gegen das in Art. 15 Abs. 1 ihrer Allgemeinen Beförderungsbedingungen vorgesehene Verbot der Übertragung von Passagierrechten (im Folgenden: in Rede stehende Klausel) verstoße. In dieser Klausel heißt es: „Die Haftung von Air Europa und die eines jeden Flugunternehmens gemäß Artikel 1 richtet sich nach den Beförderungsbedingungen des das Ticket ausstellenden Flugunternehmens, sofern nichts anderes bestimmt ist. Die Rechte, die dem Passagier entsprechen, sind persönlich und eine Übertragung wird nicht erlaubt.“

16      Das vorlegende Gericht erläutert, dass ein Fluggast nach spanischem Recht seinen in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen in einem sogenannten „vereinfachten“ Verfahren gerichtlich geltend machen könne, ohne sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen zu müssen. In der Praxis machten Fluggäste aufgrund der von den meisten Luftfahrtunternehmen aufgebrachten Gegenwehr und der Komplexität der Verfahrensvorschriften selten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Außerdem könne ein Fluggast einem Rechtsanwalt eine Prozessvollmacht erteilen, damit dieser in seinem Namen und für seine Rechnung vor Gericht auftrete.

17      Schließlich könne ein Fluggast nach spanischem Recht seine Forderung gegen das Luftfahrtunternehmen u. a. an eine Stelle abtreten, die auf Anträge nach der Verordnung Nr. 261/2004 spezialisiert sei. In einem solchen Fall trete diese Stelle im eigenen Namen und für eigene Rechnung unter Wahrnehmung ihres Interesses als Zessionarin in das Verfahren ein.

18      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die in Rede stehende Klausel diese Möglichkeit für Fluggäste, ihre Rechte abzutreten, einschränke. Es fragt daher, ob eine solche Klausel mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

19      Zunächst hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, festzustellen, ob eine Klausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die die Abtretung der dem Fluggast zustehenden Ansprüche verbietet, eine unter Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 fallende Einschränkung der Verpflichtungen gegenüber Fluggästen darstellt. Wäre dies der Fall, wäre die in Rede stehende Klausel kraft Gesetzes nichtig, da sie gegen eine zwingende oder prohibitive Vorschrift im Sinne des spanischen Rechts verstieße.

20      Sodann sei es vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ansätze der spanischen Gerichte wesentlich, die Natur des in Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs zu bestimmen. Insoweit könnten die Urteile vom 7. März 2018, flightright u. a. (C‑274/16, C‑447/16 und C‑448/16, EU:C:2018:160, Rn. 63), und vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia (C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 49), darauf hindeuten, dass es sich um ein vertragliches Recht handele. Dagegen spreche der Umstand, dass Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 im Licht des siebten Erwägungsgrundes und von Art. 2 Buchst. b dieser Verordnung das ausführende Luftfahrtunternehmen auch dann haftbar mache, wenn es in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast stehe, dafür, dass der Fluggast seinen Ausgleichsanspruch unmittelbar aus dieser Verordnung ableite.

21      Hilfsweise, für den Fall, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 einer Klausel, die die Abtretung der Ansprüche des Fluggasts verbietet, nicht entgegensteht, oder für den Fall, dass der in dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch eine vertragliche Grundlage hat, fragt das vorlegende Gericht schließlich, wie die Richtlinie 93/13 auszulegen sei. Es fragt insoweit, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es in einem Rechtsstreit zwischen zwei Gewerbetreibenden von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel feststellen könne, die in einem Vertrag enthalten sei, der zwischen einem dieser Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossen worden sei, der seine Rechte an den anderen Gewerbetreibenden abgetreten habe.

22      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de lo Mercantil n.º 1 de Palma de Mallorca (Handelsgericht Nr. 1 Palma de Mallorca) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann die Einbeziehung einer Klausel wie der in Rede stehenden in einen Luftbeförderungsvertrag als gemäß Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 ausgeschlossene Rechtsbeschränkung angesehen werden, weil sie die Verpflichtungen des Luftfahrtunternehmens einschränkt, indem sie für Fluggäste die Möglichkeit beschränkt, sich ihren Ausgleichsanspruch bei Annullierung eines Flugs durch Abtretung der Forderung erfüllen zu lassen?

2.      Ist Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass es sich bei der Zahlung der zulasten des ausführenden Luftfahrtunternehmens vorgesehenen Ausgleichsleistungen wegen Annullierung eines Flugs unabhängig davon, ob ein Beförderungsvertrag mit dem Fluggast besteht und das Luftfahrtunternehmen seine Vertragspflichten schuldhaft verletzt hat, um eine durch diese Verordnung auferlegte Verpflichtung handelt?

3.      Sind, hilfsweise, für den Fall, dass die genannte Klausel keine gemäß Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 ausgeschlossene Rechtsbeschränkung darstellt oder der Ausgleichsanspruch vertraglicher Natur ist, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, das über eine Klage auf Erfüllung des in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Anspruchs auf Ausgleichsleistungen wegen Annullierung eines Flugs zu entscheiden hat, von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit einer Klausel des Beförderungsvertrag zu prüfen hat, mit der dem Fluggast die Abtretung seiner Rechte untersagt wird, wenn die Klage vom Zessionar erhoben wird, bei dem es sich im Gegensatz zum Zedenten nicht um einen Verbraucher und Dienstleistungsnehmer handelt?

4.      Falls die Prüfung von Amts wegen durchzuführen ist, kann die Verpflichtung zur Unterrichtung des Verbrauchers und zur Feststellung, ob er die Missbräuchlichkeit der Klausel geltend macht oder der Klausel zustimmt, unter Berücksichtigung der konkludenten Handlung entfallen, dass er seinen Anspruch unter Verstoß gegen die möglicherweise missbräuchliche Klausel, mit der die Abtretung der Forderung untersagt wird, übertragen hat?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur zweiten Frage

23      Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Anspruch der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Ausgleichsleistung und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu deren Zahlung aus dieser Verordnung ergeben, oder dahin, dass dieser Anspruch und diese Verpflichtung ihre Grundlage in einem gegebenenfalls zwischen dem betreffenden Luftfahrtunternehmen und dem betreffenden Fluggast geschlossenen Vertrag oder sogar in der schuldhaften Nichterfüllung eines solchen Vertrags durch das Luftfahrtunternehmen finden.

24      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 11. Mai 2017, Krijgsman, C‑302/16, EU:C:2017:359, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 29. September 2022, LOT (Von einer Verwaltungsbehörde auferlegter Ausgleich), C‑597/20, EU:C:2022:735, Rn. 21).

25      Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 wird bei Annullierung eines Flugs den betroffenen Fluggästen „vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen“ gemäß Art. 7 der Verordnung „eingeräumt“, es sei denn, sie werden über die Annullierung in der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c vorgesehenen Weise unterrichtet (Urteil vom 21. Dezember 2021, Airhelp, C‑263/20, EU:C:2021:1039, Rn. 49). Abs. 3 dieses Artikels legt die Voraussetzungen fest, unter denen das ausführende Luftfahrtunternehmen von der Leistung von Ausgleichszahlungen befreit ist, wenn die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, EU:C:2008:771, Rn. 20).

26      In Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ist die Höhe der Ausgleichszahlung, auf die ein Fluggast Anspruch hat, wenn in der Verordnung auf diese Bestimmung Bezug genommen wird, pauschal festgelegt.

27      In Anbetracht des Wortlauts dieser Bestimmungen und nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehört das Recht auf eine standardisierte und pauschal berechnete Ausgleichszahlung zulasten des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu den wesentlichen Rechten, die den Fluggästen durch die Verordnung Nr. 261/2004 verliehen wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 37).

28      Daraus folgt, dass sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Ausgleichsanspruch der Fluggäste nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens, die in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten, unmittelbar aus der Verordnung ergeben. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Anspruch und diese Verpflichtung ihre Grundlage in einem Vertrag haben, der gegebenenfalls zwischen dem betreffenden Fluggast und dem betreffenden ausführenden Luftfahrtunternehmen geschlossen wurde, und erst recht nicht in der schuldhaften Nichterfüllung eines solchen Vertrags durch das Luftfahrtunternehmen.

29      Diese Auslegung wird durch den Kontext von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 und auch durch das Ziel dieser Verordnung bestätigt.

30      Was erstens den fraglichen Kontext betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass durch die Verordnung Nr. 261/2004, wie es in ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. b heißt, Mindestrechte für Fluggäste bei Annullierung ihres Flugs unter den in dieser Verordnung genannten Bedingungen „festgelegt“ werden.

31      Ferner ergibt sich aus Art. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 261/2004, dass sich der Fluggast eines annullierten oder verspäteten Flugs gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen auf diese Verordnung berufen kann, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 27 bis 29).

32      Diese Bestimmungen stützen somit die Auslegung, wonach sich der Anspruch der Fluggäste auf Ausgleichsleistungen nach den Art. 5 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 im Fall der Annullierung ihres Flugs unmittelbar aus dieser Verordnung ergibt.

33      Was zweitens das Ziel der Verordnung Nr. 261/2004 betrifft, so besteht dieses, wie aus deren erstem Erwägungsgrund hervorgeht, darin, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, so dass die ihnen zuerkannten Rechte weit auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 2012, Rodríguez Cachafeiro und Martínez-Reboredo Varela-Villamor, C‑321/11, EU:C:2012:609, Rn. 25, sowie vom 30. April 2020, Blue Air – Airline Management Solutions, C‑584/18, EU:C:2020:324, Rn. 93).

34      Die in Rn. 28 des vorliegenden Urteils dargelegte Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 steht mit diesem Ziel in Einklang, da durch sie sichergestellt wird, dass jeder von einer Flugannullierung betroffene Fluggast unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Voraussetzungen unabhängig davon einen Ausgleichsanspruch hat, ob er mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen einen Beförderungsvertrag geschlossen hat oder nicht.

35      Diese Auslegung ist im Übrigen keineswegs unvereinbar mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach Klagen im Zusammenhang mit dem Ausgleichsanspruch nach der Verordnung Nr. 261/2004 einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. März 2018, flightright u. a., C‑274/16, C‑447/16 und C‑448/16, EU:C:2018:160, Rn. 63 bis 65, sowie vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 49). Mit dieser Rechtsprechung zur gerichtlichen Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen wollte der Gerichtshof nämlich eine einheitliche Anwendung des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung sicherstellen, indem er entschieden hat, dass es für die Anwendung dieses Begriffs unerheblich ist, wenn der Beförderungsvertrag vom Fluggast nicht unmittelbar mit dem betreffenden ausführenden Luftfahrtunternehmen, sondern mit einem anderen Dienstleistungsträger, z. B. einem Reisebüro, geschlossen wurde. Wie die spanische Regierung und die Europäische Kommission geltend gemacht haben, soll diese Rechtsprechung nicht der Frage vorgreifen, was die eigentliche Grundlage des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs ist.

36      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine Klage, deren Ausgangspunkt in einem Vertrag liegt, auf die Geltendmachung eines Anspruchs gerichtet sein kann, der auf den Bestimmungen des betreffenden Vertrags als solchen oder auf Rechtsvorschriften beruht, die aufgrund dieses Vertrags anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2020, Wikingerhof, C‑59/19, EU:C:2020:950, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). In einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, hat die auf Ausgleichszahlung gerichtete Klage des Fluggasts bzw. eines Unternehmens, an das der Fluggast seine Ausgleichsforderung abgetreten hat, gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen ihren Ausgangspunkt zwar notwendigerweise in einem Vertrag, sei es mit diesem Luftfahrtunternehmen oder mit einem anderen Dienstleister (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 50 bis 52); jedoch ergibt sich der Ausgleichsanspruch, den dieser Fluggast bzw. dieses Unternehmen als Zessionar im Rahmen der Klage insbesondere im Fall der Annullierung eines Flugs geltend machen kann, selbst unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004, wie aus den Rn. 28 und 32 des vorliegenden Urteils hervorgeht.

37      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Anspruch der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Ausgleichsleistung und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu deren Zahlung unmittelbar aus dieser Verordnung ergeben.

 Zur ersten Frage

38      Mit seiner ersten Frage, die an zweiter Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass er der Einbeziehung einer Klausel in einen Beförderungsvertrag entgegensteht, die die Abtretung von Ansprüchen verbietet, die dem Fluggast gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zustehen.

39      Art. 15 („Ausschluss der Rechtsbeschränkung“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt, dass die Verpflichtungen der Luftfahrtunternehmen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung – insbesondere durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag – nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden dürfen.

40      Nach Maßgabe dieser Bestimmung und unter Berücksichtigung der Antwort auf die zweite Frage kann die Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens, im Fall der Annullierung eines Flugs die in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung zu leisten, somit nicht vertraglich eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

41      Insoweit ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass angesichts des u. a. Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 zugrunde liegenden Ziels eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste und der nach der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung gebotenen weiten Auslegung der Rechte der Fluggäste auch dieser Art. 15 weit auszulegen ist, soweit er den Ausschluss von Beschränkungen dieser Rechte festlegt (vgl. entsprechend Urteil vom 30. April 2020, Blue Air – Airline Management Solutions, C‑584/18, EU:C:2020:324, Rn. 102).

42      Angesichts der Verwendung des Wortes „insbesondere“ in dieser Bestimmung und in Anbetracht dieses Ziels müssen daher nicht nur Rechtsbeschränkungen als unzulässig angesehen werden, die in einem Beförderungsvertrag – einem vom Fluggast geschlossenen gegenseitigen Vertrag – enthalten sind, sondern erst recht auch solche, die in sonstigen – einseitig vom ausführenden Luftfahrtunternehmen verfassten – Dokumenten enthalten sind, auf die sich dieses gegenüber den betreffenden Fluggästen berufen möchte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2020, Blue Air – Airline Management Solutions, C‑584/18, EU:C:2020:324, Rn. 102). Diese Bestimmung ist mithin auch auf Rechtsbeschränkungen anwendbar, die in Allgemeinen Beförderungsbedingungen enthalten sind.

43      Außerdem sind im Hinblick auf dieses Ziel und zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Ausgleichsanspruchs der Fluggäste nicht nur solche Abweichungen oder Beschränkungen als unzulässig im Sinne von Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen, die sich unmittelbar auf diesen Anspruch als solchen beziehen, sondern auch solche, die zum Nachteil der Fluggäste die Modalitäten der Geltendmachung dieses Anspruchs im Verhältnis zu den anwendbaren Rechtsvorschriften beschränken.

44      Um ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Rechte im Einklang mit dem im 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Ziel wirksam wahrzunehmen, ist dem von einer Flugannullierung betroffenen Fluggast nämlich die Freiheit zu lassen, die wirksamste Art und Weise der Geltendmachung seines Anspruchs zu wählen, indem ihm insbesondere die Entscheidung überlassen wird, ob er sich unmittelbar an das ausführende Luftfahrtunternehmen wendet, die zuständigen Gerichte anruft oder – wenn dies im einschlägigen nationalen Recht vorgesehen ist – seine Forderung an einen Dritten abtritt, um Schwierigkeiten und Kosten zu vermeiden, die ihn davon abhalten könnten, für einen begrenzten Streitwert persönlich gegen das Luftfahrtunternehmen vorzugehen.

45      Daraus folgt, dass eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beförderungsvertrags, die die Abtretung der Ansprüche des Fluggasts gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen verbietet, eine ausgeschlossene Rechtsbeschränkung im Sinne von Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt.

46      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass er der Einbeziehung einer Klausel in einen Beförderungsvertrag entgegensteht, die die Abtretung von Ansprüchen verbietet, die dem Fluggast gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zustehen.

 Zur dritten und zur vierten Frage

47      In Anbetracht der Antworten auf die ersten beiden Fragen sind die dritte und die vierte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

48      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

sind dahin auszulegen, dass

sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Anspruch der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Ausgleichsleistung und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu deren Zahlung unmittelbar aus dieser Verordnung ergeben.

2.      Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

er der Einbeziehung einer Klausel in einen Beförderungsvertrag entgegensteht, die die Abtretung von Ansprüchen verbietet, die dem Fluggast gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zustehen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.