Language of document : ECLI:EU:T:2015:153

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

17. März 2015(*)

„Staatliche Beihilfen – Staatliche Maßnahmen betreffend die Errichtung eines Sägewerks im Land Hessen – Nichtigkeitsklage – Schreiben an die Beschwerdeführer – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit – Entscheidung, mit der festgestellt wird, dass keine staatliche Beihilfe vorliegt – Nichteröffnung des förmlichen Prüfverfahrens – Ernsthafte Schwierigkeiten – Berechnung des Beihilfeelements der staatlichen Bürgschaften – Mitteilung der Kommission über staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften – Unternehmen in Schwierigkeiten – Verkauf eines staatlichen Grundstücks – Verteidigungsrechte – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑89/09

Pollmeier Massivholz GmbH & Co. KG mit Sitz in Creuzburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte J. Heithecker und F. von Alemann, dann Rechtsanwalt J. Heithecker,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Erlbacher und C. Urraca Caviedes als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Land Hessen (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte U. Soltész und P. Melcher,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2008)6017 endgültig der Kommission vom 21. Oktober 2008, Staatliche Beihilfe N 512/2007 – Deutschland, Abalon Hardwood Hessen GmbH, und der Entscheidung zum Beihilfeverfahren CP 195/2007 – Abalon Hardwood Hessen GmbH, die in dem Schreiben D/55056 der Kommission vom 15. Dezember 2008 enthalten sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen, der Richterin I. Pelikánová und des Richters E. Buttigieg (Berichterstatter),

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2014

folgendes

Urteil(1)

[Nicht wiedergegeben]

 Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

21      Mit Klageschrift, die am 25. Februar 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22      Mit Schriftsatz, der am 11. Juni 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Land Hessen beantragt, als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

23      Durch Beschluss des Präsidenten der Dritten Kammer des Gerichts vom 22. September 2009 ist diesem Antrag stattgegeben worden.

24      Das Land Hessen hat seinen Streithilfeschriftsatz am 3. Dezember 2009 eingereicht. Zu diesem Schriftsatz haben die Klägerin am 22. Januar 2010 und die Kommission am 21. Januar 2010 fristgerecht Stellung genommen.

25      Durch Änderungen in der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Ersten Kammer zugewiesen worden, an die die vorliegende Rechtssache deshalb verwiesen worden ist.

26      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen gemäß Art. 64 seiner Verfahrensordnung den Verfahrensbeteiligten schriftliche Fragen gestellt und sie aufgefordert, bestimmte Unterlagen vorzulegen. Die Verfahrensbeteiligten sind diesen Aufforderungen innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen.

27      In der Sitzung vom 18. März 2014 haben die Verfahrensbeteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

28      Die Klägerin beantragt,

–        die Entscheidung vom 21. Oktober 2008 für nichtig zu erklären;

–        die Entscheidung der Kommission vom 15. Dezember 2008 zum Verfahren CP 195/2007 für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

29      Die Kommission beantragt,

–        die Klage teilweise als unzulässig, teilweise als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

30      Der Streithelfer beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

[Nicht wiedergegeben]

 B – Zur Begründetheit

[Nicht wiedergegeben]

 2. Zu den Klagegründen, mit denen ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens dargetan werden soll

 a) Zu den im Rahmen des ersten und des dritten Klagegrundes vorgebrachten Rügen in Bezug auf die Bestimmung des für die Beurteilung der angemeldeten Beihilfen maßgeblichen Zeitpunkts

[Nicht wiedergegeben]

 Zum ersten Teil: Fehler bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts

[Nicht wiedergegeben]

 – Zum Investitionszuschuss

64      Wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 12, 46 und 59 Buchst. a der angefochtenen Entscheidung ergibt, hat die Kommission den Investitionszuschuss in der Annahme, dass er im Dezember 2006 gewährt worden sei, als eine auf der Grundlage der Regelung N 642/2002 gewährte Einzelbeihilfe angesehen. Sie ist in der angefochtenen Entscheidung daher zu dem Schluss gelangt, dass der Investitionszuschuss eine bestehende Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. b Ziff. ii der Verordnung Nr. 659/1999 darstelle.

65      Nach einer gefestigten Rechtsprechung braucht die Kommission, nachdem eine allgemeine Beihilferegelung genehmigt worden ist, über die individuellen Durchführungsmaßnahmen nicht mehr unterrichtet zu werden, es sei denn, sie hat in ihrer Genehmigungsentscheidung entsprechende Vorbehalte gemacht. Da die individuellen Beihilfen bloße Maßnahmen zur Durchführung der allgemeinen Beihilferegelung sind, hätte die Kommission bei der Beurteilung der Beihilfen die gleichen Faktoren wie bei ihrer Prüfung der allgemeinen Regelung zu berücksichtigen. Es ist daher unnötig, die individuellen Beihilfen der Kommission zur Prüfung vorzulegen (Urteil vom 5. Oktober 1994, Italien/Kommission, C‑47/91, Slg, EU:C:1994:358, Rn. 21; Urteil vom 24. September 2008, Kahla/Thüringen Porzellan/Kommission, T‑20/03, Slg, EU:T:2008:395, Rn. 92).

66      Der Unionsrichter hat ferner ausgeführt, dass die Kommission, wenn sie es mit einer individuellen Beihilfe zu tun hat, die aufgrund einer zuvor genehmigten Regelung gewährt worden sein soll, ihre Gewährung nicht ohne Weiteres unmittelbar am Vertrag messen kann. Sie darf zunächst, bevor sie ein Verfahren eröffnet, nur prüfen, ob die Beihilfe durch die allgemeine Regelung gedeckt ist und die in der Entscheidung über die Genehmigung dieser Regelung gestellten Bedingungen erfüllt. Andernfalls könnte die Kommission bei der Überprüfung jeder individuellen Beihilfe ihre Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung, die bereits eine Prüfung anhand von Art. 87 des Vertrags voraussetzte, rückgängig machen. Dann wäre aber die Einhaltung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern gefährdet, da individuelle Beihilfen, die der Entscheidung über die Genehmigung der Beihilferegelung in vollem Umfang entsprechen, von der Kommission jederzeit wieder in Frage gestellt werden könnten (Urteile Italien/Kommission, oben in Rn. 65 angeführt, EU:C:1994:358, Rn. 24, und vom 10. Mai 2005, Italien/Kommission, C‑400/99, Slg, EU:C:2005:275, Rn. 57).

67      Stellt die Kommission im Anschluss an eine in dieser Weise beschränkte Überprüfung fest, dass die individuelle Beihilfe mit ihrer Entscheidung über die Genehmigung der Regelung im Einklang steht, so muss sie sie wie eine genehmigte, d. h. wie eine bestehende Beihilfe behandeln. Umgekehrt ist die individuelle Beihilfe wie eine neue Beihilfe anzusehen, wenn die Kommission feststellt, dass sie nicht durch ihre Entscheidung über die Genehmigung der Regelung gedeckt ist (Urteile Italien/Kommission, oben in Rn. 65 angeführt, EU:C:1994:358, Rn. 25 und 26, und Italien/Kommission, oben in Rn. 66 angeführt, EU:C:2005:275, Rn. 57).

68      Im vorliegenden Fall hatte die Kommission es mit einer individuellen Beihilfe, dem streitigen Investitionszuschuss, zu tun, von dem die deutschen Behörden behaupteten, er sei auf der Grundlage der von der Kommission genehmigten Regelung N 642/2002 gewährt worden. Nach den oben genannten Grundsätzen hatte die Kommission also zu prüfen, ob die Maßnahme durch diese Regelung gedeckt war und, wenn ja, ob sie die in der Entscheidung über ihre Genehmigung gestellten Bedingungen erfüllte. Die Kommission hat dies in der angefochtenen Entscheidung bejaht (Erwägungsgründe 44 bis 46 der angefochtenen Entscheidung).

69      Da die Kommission im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit den oben in den Rn. 66 und 67 genannten Grundsätzen geprüft hat, ob die angemeldete Beihilfemaßnahme mit der Regelung N 642/2002 im Einklang steht, hat sie zu Recht auf den Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfemaßnahme abgestellt. Da diese nach der oben in Rn. 65 angeführten Rechtsprechung nicht anmeldepflichtig war und die Kommission sie grundsätzlich nicht zu prüfen hatte (sondern erst auf die Beschwerde der Klägerin und die anschließende Anmeldung der Maßnahme durch die Bundesrepublik Deutschland hin), verstieße es nämlich gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, wenn die Maßnahme ohne Weiteres nach Maßgabe der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung anwendbaren rechtlichen Regelung geprüft würde. Obwohl die Beihilfemaßnahme der Entscheidung über die Genehmigung der Regelung N 642/2002 entspricht, könnte sie dann nämlich von der Kommission jederzeit je nach der zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung anwendbaren rechtlichen Regelung wieder in Frage gestellt werden.

70      Dem Vorbringen der Klägerin, wenn bei der Bestimmung der anwendbaren Rechtslage auf den Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe abgestellt würde, könnten die Mitgliedstaaten, indem sie eine Beihilfe nach der Gewährung aus Gründen der „Rechtssicherheit“ anmeldeten, im Wesentlichen das in zeitlicher Hinsicht anwendbare Recht bestimmen, kann nicht gefolgt werden. Die auf eine Maßnahme in zeitlicher Hinsicht anwendbare rechtliche Regelung wird nämlich nicht durch die Anmeldung der Maßnahme bestimmt, sondern durch die Art der Maßnahme als bestehende, grundsätzlich nicht anmeldepflichtige Beihilfe oder als neue, nach Art. 88 Abs. 3 EG anmeldepflichtige Beihilfe, die nicht durchgeführt werden darf. Die Anmeldung stellt nur ein Verfahrensinstrument dar, das der Kommission die Überprüfung der betreffenden Maßnahme ermöglichen soll, und lässt die materielle Rechtslage unberührt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2008, Kommission/Freistaat Sachsen, C‑334/07 P, Slg, EU:C:2008:709, Rn. 52).

71      Schließlich ist festzustellen, dass das Urteil Kommission/Freistaat Sachsen (oben in Rn. 70 angeführt, EU:C:2008:709), auf das sich die Klägerin beruft, deren Auffassung hinsichtlich der Bestimmung des von der Kommission bei der Beurteilung des Investitionszuschusses heranzuziehenden Zeitpunkts nicht stützt. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, hatte die Kommission nämlich den Entwurf einer neuen Beihilfe zu prüfen, die von der Bundesrepublik Deutschland angemeldet worden war, während es im vorliegenden Fall um die Prüfung einer Beihilfemaßnahme geht, von der behauptet wird, dass sie eine bestehende Beihilfe darstelle.

72      Die Kommission hatte im vorliegenden Fall also eine andere Prüfung vorzunehmen als in der Rechtssache, in der das Urteil Kommission/Freistaat Sachsen (oben in Rn. 70 angeführt, EU:C:2008:709) ergangen ist, da sich die in beiden Rechtssachen in Rede stehenden Maßnahmen hinsichtlich ihrer Art unterscheiden. Die Feststellung des Gerichtshofs in Rn. 50 des Urteils Kommission/Freistaat Sachsen (oben in Rn. 70 angeführt, EU:C:2008:709) ist deshalb für den vorliegenden Fall irrelevant.

73      Im Ergebnis hat die Kommission somit bei ihrer Beurteilung zu Recht auf den Zeitpunkt der Gewährung des Investitionszuschusses abgestellt und ist insoweit nicht auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen.

[Nicht wiedergegeben]

 c) Zu den im Rahmen des dritten und des siebten Klagegrundes erhobenen Rügen in Bezug auf die Einstufung der staatlichen Bürgschaften als De-minimis-Beihilfen

[Nicht wiedergegeben]

149    Es ist zu prüfen, ob die Kommission am Ende der Vorprüfungsphase, ohne das förmliche Prüfverfahren gemäß Art. 88 Abs. 2 EG zu eröffnen, bei der Bestimmung des Beihilfeelements der streitigen Bürgschaften durch die deutschen Behörden die Zugrundelegung eines pauschalen Satzes von 0,5 % des verbürgten Betrags akzeptieren durfte. Seiner Akzeptanz kam in der Systematik der angefochtenen Entscheidung entscheidende Bedeutung zu, da die streitigen Bürgschaften unter Zugrundelegung des genannten Prozentsatzes als De-minimis-Beihilfen eingestuft wurden.

150    Zur Art der vom Gericht vorzunehmenden Kontrolle ist darauf hinzuweisen, dass, wie bereits ausgeführt, der Unionsrichter die Frage, ob eine Maßnahme in den Anwendungsbereich von Art. 87 Abs. 1 EG fällt, grundsätzlich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits und des technischen oder komplexen Charakters der von der Kommission vorgenommenen Beurteilungen umfassend zu prüfen hat (siehe oben, Rn. 47) und dass die Rechtmäßigkeitskontrolle des Gerichts hinsichtlich der Frage, ob ernsthafte Schwierigkeiten bestanden haben, ihrem Wesen nach über die Prüfung offensichtlicher Beurteilungsfehler hinausgeht (siehe oben, Rn. 49).

151    Ferner ist zu beachten, dass die Kommission, indem sie Verhaltensnormen erlässt und durch ihre Veröffentlichung ankündigt, dass sie diese von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, die Ausübung ihres Ermessens selbst beschränkt und nicht von diesen Normen abweichen kann, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die Gleichbehandlung oder den Vertrauensschutz geahndet würde, es sei denn, sie gibt Gründe an, die im Hinblick auf diese Grundsätze eine Abweichung von ihren eigenen Normen rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg, EU:C:2005:408, Rn. 211, und vom 11. September 2008, Deutschland u. a./Kronofrance, C‑75/05 P und C‑80/05 P, Slg, EU:C:2008:482, Rn. 60).

152    Speziell im Bereich der staatlichen Beihilfen hat der Unionsrichter bereits hervorgehoben, dass sich die Kommission für die Ausübung ihres Ermessens Leitlinien setzen kann und dass diese, soweit die darin enthaltenen Orientierungsregeln nicht von den Bestimmungen des Vertrags abweichen, für das Organ bindend sind (vgl. Urteil vom 13. Juni 2002, Niederlande/Kommission, C‑382/99, Slg, EU:C:2002:363, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

153    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass die beiden streitigen Bürgschaften auf der Grundlage der Richtlinien für die Übernahme von Bürgschaften und Garantien durch das Land Hessen für die gewerbliche Wirtschaft gewährt wurden. Diese Richtlinien sehen ausdrücklich vor, dass der Subventionswert von Bürgschaften der Behörden des Landes Hessen für nicht in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen 0,5 % des verbürgten Betrags beträgt und dass die solchen Unternehmen gewährten Bürgschaften bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro somit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 69/2001 fallende De-minimis-Beihilfen darstellen.

154    Es ist unstreitig, dass die streitigen Bürgschaften nicht unter eine von der Kommission genehmigte Beihilferegelung fallen, da die genannten Richtlinien des Landes Hessen zum Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfen (Dezember 2006) bei der Kommission nicht angemeldet und daher nicht Gegenstand einer entsprechenden Genehmigungsentscheidung waren.

155    Da die streitigen Bürgschaften nicht unter eine genehmigte Beihilferegelung fallen, sind sie anhand von Art. 87 Abs. 1 EG zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kahla/Thüringen Porzellan/Kommission, oben in Rn. 65 angeführt, EU:T:2008:395, Rn. 93 und 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[Nicht wiedergegeben]

157   Nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 69/2001 ist bei staatlichen Bürgschaften, da es sich bei ihnen um eine Art von Beihilfe handelt, die nicht als Zuschuss, sondern in anderer Form gewährt wird, das Beihilfeelement zu berechnen. Von dessen Betrag hängt ab, ob die staatlichen Bürgschaften in den Anwendungsbereich der zum Zeitpunkt ihrer Gewährung anwendbaren De-minimis-Regel fallen. Wie das Beihilfeelement zu berechnen ist, ist in der Verordnung Nr. 69/2001 nicht näher bestimmt.

158   Die Kommission hat aber ihre Praxis zur Berechnung des Beihilfeelements einer Bürgschaft in ihrer Mitteilung über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (ABl. 2000, C 71, S. 14, im Folgenden: Mitteilung von 2000 über Bürgschaften) im Einzelnen dargelegt.

[Nicht wiedergegeben]

167    Nach den oben in den Rn. 151 und 152 genannten Grundsätzen war die Mitteilung von 2000 über Bürgschaften Bestandteil des rechtlichen Rahmens, anhand dessen die Kommission im vorliegenden Fall die streitigen Bürgschaften zu beurteilen hatte, zumal die Kommission in Rn. 1.4 der Mitteilung darauf hinweist, dass sie den Mitgliedstaaten damit ausführlichere Erläuterungen über die Grundsätze an die Hand geben will, auf die sie sich bei ihrer Auslegung der Art. 87 EG und 88 EG und deren Anwendung auf staatliche Bürgschaften und Haftungsverpflichtungen stütze, um die Voraussehbarkeit ihrer Entscheidungen und die Gleichbehandlung sicherzustellen.

168    Wie aus den Erwägungsgründen 14 und 47 der angefochtenen Entscheidung und den Erläuterungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgeht, hat die Kommission die Mitteilung von 2000 über Bürgschaften im vorliegenden Fall jedoch nicht angewandt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nämlich vorgetragen, die Mitteilung komme zur Anwendung, wenn die betreffende Beihilfe die De-minimis-Schwelle überschreite und somit anmeldepflichtig werde. Im vorliegenden Fall seien die streitigen Bürgschaften unter die durch die Verordnung Nr. 69/2001 eingeführte De-minimis-Regelung gefallen und deshalb nicht anmeldepflichtig gewesen, so dass sie nicht nach der genannten Mitteilung geprüft worden seien.

169    Diese Analyse der Kommission ist nicht zutreffend, denn es handelt sich um einen Zirkelschluss. Die Feststellung, dass die streitigen Bürgschaften im vorliegenden Fall unter die De-minimis-Regelung fallen, setzt nämlich voraus, dass zuvor geprüft wird, ob im vorliegenden Fall die Zugrundelegung eines Satzes von 0,5 % rechtsmäßig ist, da unter Zugrundelegung dieses Prozentsatzes festgestellt wurde, dass das Beihilfeelement der genannten Bürgschaften unter der De-minimis-Schwelle lag. Wie bereits ausgeführt, war die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Zugrundelegung des genanten Prozentsatzes anhand der Mitteilung von 2000 über Bürgschaften vorzunehmen, die nähere Ausführungen zur Berechnung des Beihilfeelements staatlicher Bürgschaften enthält. Die Kommission hat aber keine solche Prüfung durchgeführt.

170    Außerdem durfte sich die Kommission im vorliegenden Fall nicht auf ihre Praxis berufen, die darin bestand, die Zugrundelegung eines Satzes von 0,5 % bei der Berechnung des Beihilfeelements von Bürgschaften der deutschen Behörden für nicht in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen zu akzeptieren (siehe oben, Rn. 148).

[Nicht wiedergegeben]

173    Mithin ist die Praxis, auf die sich die Kommission beruft, vor der Mitteilung von 2000 über die Bürgschaften im Rahmen eines speziellen Verfahrens zur fortlaufenden Prüfung bestehender Beihilfen entstanden. Zudem waren die Bürgschaftsleitlinien des Landes Hessen nie Gegenstand dieses Verfahrens.

174    Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die Praxis der Zugrundelegung eines Satzes von 0,5 %, wie sich aus dem Schreiben vom 11. November 1998 (siehe oben, Rn. 172) ergibt, nur vorläufig akzeptiert hatte und dass eine Überprüfung der Situation im Anschluss an die Änderung der Leitlinien für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten und die „weitere Festlegung der Beihilfeintensität auf der Grundlage von weiteren Studien“ vorgesehen war, wie es in dem genannten Schreiben heißt.

175    Eine Beschränkung der Kommission bei der Beurteilung staatlicher Bürgschaften, die wie im vorliegenden Fall nach der Mitteilung von 2000 über Bürgschaften gewährt wurden und nicht unter bereits genehmigte Regelungen fielen, wurde mit der Akzeptanz der Zugrundelegung eines Satzes von 0,5 % im genannten Zusammenhang folglich weder bezweckt noch bewirkt. Wie bereits ausgeführt, war die genannte Mitteilung ab dem Jahr 2000 vielmehr Bestandteil des rechtlichen Rahmens, anhand dessen die Kommission die nicht unter genehmigte Regelungen fallenden Bürgschaften, wie es hier der Fall ist, zu prüfen hatte.

[Nicht wiedergegeben]

178    Auch das Urteil vom 10. Dezember 2008, Kronoply und Kronotex/Kommission (T‑388/02, EU:T:2008:556), auf das sich die Kommission vor dem Gericht berufen hat, stellt die vorstehenden Erwägungen nicht in Frage. Denn in Rn. 145 dieses Urteils trifft das Gericht lediglich die oben in den Rn. 171 und 172 wiedergegebenen Feststellungen, dass die deutschen Behörden im Rahmen der von der Kommission genehmigten Beihilferegelung N 297/91 (in der durch das Verfahren zur Prüfung bestehender Beihilfen E 24/95 geänderten Fassung) einen Satz von 0,5 % zugrunde gelegt und diesen seitdem bei allen gewährten Bürgschaften angewandt hatten. An keiner Stelle hat sich das Gericht zur Rechtmäßigkeit der Zugrundelegung dieses Satzes in einem Kontext wie dem des vorliegenden Falles geäußert, in dem die streitigen Bürgschaften nicht unter eine genehmigte Beihilferegelung fallen und daher anhand von Art. 87 Abs. 1 EG und der Mitteilung von 2000 über Bürgschaften zu beurteilen sind.

[Nicht wiedergegeben]

186    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen stellt die Tatsache, dass die Kommission im vorliegenden Fall nicht geprüft hat, ob die Zugrundelegung eines Satzes von 0,5 % des verbürgten Betrags bei der Bestimmung des Beihilfeelements der streitigen Bürgschaften nach der Mitteilung von 2000 über Bürgschaften rechtmäßig war, mithin ein Indiz für das Bestehen ernsthafter Schwierigkeiten hinsichtlich der Frage dar, ob die streitigen Bürgschaften als De-minimis-Beihilfen eingestuft werden konnten. Das Bestehen solcher Schwierigkeiten hätte die Kommission zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens veranlassen müssen. Dem dritten Klagegrund ist daher, soweit er die streitigen staatlichen Bürgschaften betrifft, stattzugeben.

[Nicht wiedergegeben]

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung K(2008)6017 endgültig der Kommission vom 21. Oktober 2008, Staatliche Beihilfe N 512/2007 – Deutschland, Abalon Hardwood Hessen GmbH, wird für nichtig erklärt, soweit darin festgestellt wird, dass die vom Land Hessen gewährten staatlichen Bürgschaften keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellen.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Pollmeier Massivholz GmbH & Co. KG trägt vier Fünftel ihrer eigenen Kosten, vier Fünftel der Kosten der Europäischen Kommission und vier Fünftel der Kosten des Landes Hessen.

4.      Die Kommission trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten und ein Fünftel der Kosten der Pollmeier Massivholz.

5.      Das Land Hessen trägt ein Fünftel seiner eigenen Kosten.

Kanninen

Pelikánová

Buttigieg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. März 2015.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.


1 –      Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.