Language of document : ECLI:EU:C:2010:513

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 14. September 20101(1)

Rechtssache C‑47/08

Europäische Kommission

gegen

Königreich Belgien

Rechtssache C‑50/08

Europäische Kommission

gegen

Französische Republik

Rechtssache C‑51/08

Europäische Kommission

gegen

Großherzogtum Luxemburg

Rechtssache C‑53/08

Europäische Kommission

gegen

Republik Österreich

Rechtssache C‑54/08

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

Rechtssache C‑61/08

Europäische Kommission

gegen

Hellenische Republik

„Vertragsverletzungsklage – Niederlassungsfreiheit – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Beruf des Notars – Bedingung der Staatsangehörigkeit – Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG – Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind – Reichweite der Niederlassungsfreiheit – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Unionsbürgerschaft – Richtlinie 2005/36“







Inhaltsverzeichnis


I – Einleitung

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

1. Primärrecht

2. Abgeleitetes Recht

B – Nationales Recht

1. Der Notarberuf

a) Belgisches Recht

b) Französisches Recht

c) Luxemburgisches Recht

d) Österreichisches Recht

e) Deutsches Recht

f) Griechisches Recht

g) Zusammenfassung

2. Die spezielle nationale Regelung, gegen die sich die Klagen richten: das Staatsangehörigkeitserfordernis

a) Belgisches Recht

b) Französisches Recht

c) Luxemburgisches Recht

d) Österreichisches Recht

e) Deutsches Recht

f) Griechisches Recht

III – Anträge der Parteien

IV – Zur Zulässigkeit

V – Zur Begründetheit

A – Zum ersten Klagegrund

1. Drei einleitende allgemeine Bemerkungen

a) Die nach Auffassung der Kommission von den Staaten verletzte Regelung: die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG

b) Das Problem der Auslegung des Sinngehalts des Art. 45 Abs. 1 EG

c) Die Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

2. Die Tätigkeit der Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt

a) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs

b) Die erforderliche Vertiefung des Begriffs der öffentlichen Gewalt

3. Zu der Frage, ob die notarielle Tätigkeit und insbesondere die Urkundstätigkeit zum negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gehören

a) Die Beurkundung als zentrale Tätigkeit der Notare in den beklagten Staaten

b) Die Zuordnung der Urkundstätigkeit zur Ausübung öffentlicher Gewalt

4. Das Staatsangehörigkeitserfordernis im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Die Rechtsstellung des Notars

b) Die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Licht der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG

c) Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit

5. Ergebnis hinsichtlich des ersten Klagegrundes

B – Zum zweiten Klagegrund

VI – Kosten

VII – Ergebnis

I –    Einleitung

1.        Mit den vorliegenden Vertragsverletzungsklagen will die Europäische Kommission die Feststellung erwirken, dass das Königreich Belgien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Österreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Hellenische Republik ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verletzt haben, indem sie den Zugang zum Beruf des Notars auf Personen beschränkt haben, die ihre jeweilige Staatsangehörigkeit besitzen (im Folgenden: Staatsangehörigkeitserfordernis). Die Europäische Kommission beantragt ferner die Feststellung, dass diese Mitgliedstaaten, mit Ausnahme der Französischen Republik, durch die Nichtumsetzung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen(2) im Hinblick auf den Notarberuf auch gegen ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie verstoßen haben(3).

2.        Obgleich sich die Kommission mit ihrem Vorbringen nur gegen eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit wendet, ist die ihren Klagen zugrunde liegende Fragestellung wesentlich komplexer. Die vorliegenden Verfahren zielen nämlich auf eine vom Gerichtshof zu treffende Feststellung, dass das Notariat lateinischer Prägung, so wie es in charakteristischer Form in einer ganzen Reihe von Mitgliedstaaten existiert(4), in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, weil es nicht mit der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ verbunden sei.

3.        Betrachtet man das Problem in seiner allgemeinen Bedeutung, stellen die vorliegenden Rechtssachen den Gerichtshof möglicherweise vor die schwierigste Auslegungsfrage, die sich zu der Kombination der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG bisher ergeben hat. Bisher betrafen die Verfahren, in denen der Gerichtshof über diese beiden Bestimmungen in ihrer Verbindung zu befinden hatte – wie noch darzustellen sein wird –, Angehörige von Berufen, die zur Staatsgewalt nur diffuse oder ganz punktuelle Verbindungen aufwiesen, während sich für den hier zu erörternden Fall zumindest auf den ersten Blick Gleiches nicht sagen lässt.

4.        Aus diesen Gründen geben die sechs Klagen, die in diesen Schlussanträgen zusammen erörtert werden, dem Gerichtshof Gelegenheit, intensiver als bisher die Tragweite einer so komplexen Regelung zu behandeln, wie sie sich aus der Verbindung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG ergibt. Dabei wird der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren, anders als bisher, das richtige Gleichgewicht zwischen den mit den Freiheiten der Union verfolgten Zielen, der Wahrung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und dem Status der Unionsbürgerschaft zu finden haben. Bei der Abwägung dieser Werte wird der Gerichtshof feststellen, dass die genannten Artikel einen besonderen Auslegungsaufwand erfordern, in dem entscheidend der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Tragen kommen wird.

5.        Wie sich zeigen wird, lassen die Art der hier betroffenen Größen und die Möglichkeit, in die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzuführen, die Bedeutung erkennen, die die vorliegenden Rechtssachen nicht nur konkret für die Notariatstätigkeit, sondern, umfassender, auch für das Unionsrecht besitzen.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

1.      Primärrecht

6.        Die Regelung, auf die die Kommission ihre Klage stützt, ist diejenige, die sich aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG (jetzt Art. 49 AEUV und 51 AEUV) ergibt, in denen zur Zeit der geltend gemachten Vertragsverletzung die Niederlassungsfreiheit natürlicher und juristischer Personen in folgenden Worten niedergelegt war:

Artikel 43

Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.

Artikel 45

Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet dieses Kapitel in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Anwendung.

Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließen, dass dieses Kapitel auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung findet.“(5)

2.      Abgeleitetes Recht

7.        Die Richtlinie 89/48/EWG über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, sah in ihrem Art. 12 eine Umsetzungsfrist vor, die am 4. Januar 1991 ablief.

8.        In Art. 2 dieser Richtlinie hieß es:

„Diese Richtlinie gilt für alle Angehörigen eines Mitgliedstaats, die als Selbständige oder abhängig Beschäftigte einen reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen.

Diese Richtlinie gilt nicht für die Berufe, die Gegenstand einer Einzelrichtlinie sind, mit der in den Mitgliedstaaten eine gegenseitige Anerkennung der Diplome eingeführt wird.“

9.        Es ist darauf hinzuweisen, dass der Notarberuf nicht durch einen der in Abs. 2 dieser Richtlinienbestimmung genannten Rechtsakte geregelt worden ist.

10.      Die Richtlinie 89/48 wurde durch die Richtlinie 2005/36/EG vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen aufgehoben und in eine Kodifizierung einbezogen. In der neuen Fassung ist der wesentliche Inhalt der Richtlinie 89/48 beibehalten worden, jedoch heißt es im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 als Neuerung gegenüber ihrer Vorgängerin in einer Wendung, die hier offenkundig nicht ohne Bedeutung ist:

„Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung des Artikels 39 Absatz 4 und des Artikels 45 des Vertrags, insbesondere auf Notare.“

B –    Nationales Recht

1.      Der Notarberuf

11.      Sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten haben durch umfangreichen Sach- und Rechtsvortrag den Beruf des Notars in jedem Land detailliert beschrieben. Angesichts des Umfangs der beigebrachten Informationen, des auf das Ganze bezogenen Charakters der vorliegenden Schlussanträge und des Erfordernisses, in die Begründetheitsprüfung eine klare Argumentationsführung einzubringen, wird im Folgenden gleichwohl für jeden einzelnen Fall eine Zusammenfassung sowohl der geltend gemachten Vorschriften als auch der mit dem Notarberuf in jedem Mitgliedstaat verbundenen Funktionen gegeben, unter denen eindeutig die der Beurkundung von Rechtsvorgängen im Vordergrund steht.

a)      Belgisches Recht

12.      Der belgische Notarberuf wird durch das Gesetz vom 25. Ventôse des Jahres XI und verschiedene Bestimmungen anderer Gesetze, wie der belgischen Gerichtsordnung (Code judiciaire), geregelt.

13.      In der belgischen Rechtsordnung besteht die Aufgabe des Notars hauptsächlich in der Errichtung von Urkunden, die zwei Hauptmerkmale aufweisen: volle Beweiskraft und Vollstreckbarkeit(6).

14.      Um eine Beurkundung vorzunehmen, wird der Notar auf Antrag der Beteiligten tätig und führt eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu errichtenden Urkunde durch. Das Tätigwerden des Notars kann, je nach der aufzusetzenden Urkunde, obligatorisch oder fakultativ sein, und mit ihm wird festgestellt, dass alle rechtlich erforderlichen Voraussetzungen für die Beurkundung ebenso wie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten gegeben sind. Im Rahmen seines Tätigwerdens belehrt der Notar die Beteiligten über ihre Rechte und Pflichten und berät sie in völliger Unparteilichkeit(7). Außerdem berechnet und erhebt er selbst die Gebühren für die Eintragung und Stellung von Hypotheken.

15.      Alle notariellen Urkunden besitzen volle Beweiskraft, die der von Urkunden eines Hoheitsträgers entspricht und die nur in einem gerichtlichen Verfahren ausgeräumt werden kann. Eine Abänderung der vom Notar niedergelegten Beurteilung ist auf Rechtsbehelf hin möglich, jedoch nur in einem besonderen gerichtlichen Berichtigungsverfahren(8).

16.      Die notarielle Urkunde ist ferner im gesamten Staatsgebiet vollstreckbar(9). Sie kann somit gegen den Schuldner vollstreckt werden (wofür ihre Zustellung erforderlich ist), und die Einleitung der Vollstreckung obliegt unmittelbar dem Träger eines öffentlichen Amtes, dem „huissier“. Der Schuldner kann der Vollstreckung mittels einer vor Gericht zu erhebenden Vollstreckungseinrede widersprechen(10).

17.      Die belgische Regierung hat dargetan, dass die Notare außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausüben, wenn auch im Verhältnis zu Ersteren nur zum kleineren Teil. So nimmt der Notar Aufgaben im Zusammenhang mit Immobilienverkäufen im Rahmen der Zwangsvollstreckung, mit Insolvenzen, Vormundschafts- oder Erbschaftssachen, mit Inventaraufstellungen und der Teilung unteilbarer Güter sowie mit der Errichtung und Fusion von Gesellschaften und anderen gesellschaftsrechtlichen Vorgängen wahr.

18.      Um diese Funktionen wahrnehmen zu können, ist der Notar Träger eines öffentlichen Amtes und repräsentiert als solcher die hoheitliche Gewalt, auch wenn seine Tätigkeit als freier Beruf gilt(11). Er ist in seinem Amt unabsetzbar und unterliegt einem Disziplinarrecht, wie es für Träger hoheitlicher Gewalt besteht(12). Seine Honorare haben keinen gewerblichen Charakter und sind gesetzlich festgesetzt, jedoch kann der Klient in weitem Rahmen den Notar frei wählen. Daher konkurrieren die Notare um ihre Klienten nicht durch eine Preispolitik, sondern mittels der Qualität der Dienstleistung.

b)      Französisches Recht

19.      Der französische Notarberuf wird durch das Gesetz vom 25. Ventôse des Jahres XI und weitere besondere Bestimmungen, insbesondere der Zivilprozessordnung (Code de procédure civile), geregelt.

20.      Auch für den französischen Notarberuf ist die Beurkundung von Dokumenten und Verträgen kennzeichnend, die dem Notar von den Beteiligten unterbreitet werden und deren volle Beweiskraft und Vollstreckbarkeit sein Tätigwerden begründet(13).

21.      Der französische Notar wird tätig auf Antrag der Beteiligten, auch wenn es verschiedene Urkunden gibt, an deren Errichtung er obligatorisch mitwirken muss(14). Für eine ordnungsgemäße Beurkundung führt der Notar eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgangs durch und unterliegt verschiedenen strengen gesetzlichen Formvorschriften(15), darunter der Verpflichtung, die Urkunde in französischer Sprache aufzusetzen(16). Der Notar ist ferner verpflichtet, die Beteiligten über die Tragweite und Wirkungen der Beurkundung zu belehren und sich zu vergewissern, dass sie bei voller Rechts- und Geschäftsfähigkeit ihre Zustimmung aus freien Stücken erteilen.

22.      Die errichtete Urkunde besitzt erhöhte Beweiskraft, auch wenn in einem besonderen Verfahren, für das ausschließlich das Tribunal de grande instance zuständig ist, der Gegenbeweis geführt werden kann(17). Das Verfahren kann im Wege einer Einrede oder durch einen Hauptantrag eingeleitet werden, je nachdem, ob der Inhalt der Urkunde in einem bereits anhängigen Verfahren angegriffen wird oder nicht(18). Das Verfahren kann zu Sanktionen sowohl gegen den Notar als auch gegen den Beteiligten, der es eingeleitet hat, führen.

23.      Die Vollstreckbarkeit der notariellen Urkunde bedeutet, dass jeder Beteiligte die Zwangsvollstreckung unmittelbar bei dem dafür ausschließlich zuständigen öffentlichen Amtsträger beantragen kann: dem „huissier“(19). Anders als bei Privaturkunden erfordert die Vollstreckung der notariellen Urkunde weder ein gerichtliches Tätigwerden noch die Zustimmung des Schuldners. Das Vollstreckungsverfahren ist das gleiche wie für die Vollstreckung von Gerichtsurteilen(20).

24.      Die französische Regierung hat dargetan, dass die Notare außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausüben, wenn auch im Verhältnis zu Ersteren nur zum kleineren Teil. So nimmt der Notar Aufgaben im Zusammenhang mit der Steuererhebung wahr, die von denen der Beurkundung gesondert sind, diese ergänzen und zeigen, bis zu welchem Grad er in die öffentliche Gewalt eingebunden ist.

25.      Der Notar ist Träger eines staatlichen Amtes, er hat eine ihm übertragene Hoheitsgewalt inne und unterliegt einer besonderen Unvereinbarkeitsregelung, auch wenn er seine Tätigkeit freiberuflich ausübt(21). Gleichwohl gehört diese zu den Tätigkeiten der vorsorgenden Rechtspflege, die die Stabilität der rechtlichen und sozialen Beziehungen gewährleistet. Die notariellen Honorare sind gesetzlich festgesetzt, jedoch hat der Klient in gewissem Rahmen die Wahl zwischen verschiedenen Notaren. Es handelt sich daher um eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem Zuständigkeitsrahmen, in dem nicht der Preis, sondern die Qualität der Dienstleistung ausschlaggebend ist für Unterschiede zwischen den Dienstleistenden.

c)      Luxemburgisches Recht

26.      Der luxemburgische Notarberuf wird durch das Gesetz vom 9. Dezember 1976 und weitere besondere Bestimmungen, insbesondere der Neuen Zivilprozessordnung (Nouveau Code de procédure civile), des Gesetzes vom 25. September 1905 und der Großherzoglichen Verordnung vom 7. Oktober 2000, geregelt.

27.      Für das luxemburgische Notariat ist gleichfalls kennzeichnend, dass der Notar Träger eines öffentlichen Amtes ist, der mit der Beurkundung von Dokumenten und Verträgen betraut ist, die ihm die Beteiligten zur Begründung der Beweiskraft unterbreiten(22); die Beurkundung bewirkt eine erhöhte Beweiskraft sowie die Vollstreckbarkeit(23).

28.      Der Notar wird auf Antrag der Beteiligten tätig, er muss die Rechtmäßigkeit der Urkunde prüfen, und er hat sich zu vergewissern, dass die verschiedenen gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten gewahrt sind. Sein Tätigwerden kann jedoch in bestimmten Fällen obligatorisch sein(24). Der Notar muss sich vergewissern, dass die Beteiligten bei voller Rechts- und Geschäftsfähigkeit aus freien Stücken handeln. Er ist ferner verpflichtet, die Beteiligten in völliger Unabhängigkeit zu beraten und sie über die Rechte und Pflichten zu belehren, die sich aus der Urkunde und seinem Tätigwerden ergeben.

29.      Die Ausfertigung erfolgt durch Anbringung einer mit Siegel versehenen Vollstreckungsklausel(25). Die Beweiskraft der Urkunde ist infolgedessen besonders stark, und der Gegenbeweis kann nur in Ausnahmefällen im Wege eines besonderen gerichtlichen Verfahrens geführt werden(26).

30.      Die Vollstreckbarkeit der notariellen Urkunde erlaubt es dem Gläubiger, sich gegen seinen Schuldner unmittelbar des Vollstreckungsverfahrens zu bedienen, ohne ein gerichtliches Feststellungsverfahren einleiten zu müssen. Der Schuldner hat sich hierfür lediglich an den für die Zwangsvollstreckung ausschließlich zuständigen öffentlichen Amtsträger zu wenden, den „huissier“. Gegen dessen Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren bestehen die gleichen Rechtsbehelfe wie bei der Vollstreckung von Urteilen.

31.      Die luxemburgische Regierung hat dargetan, dass die Notare außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausüben, wenn auch im Verhältnis zu Ersteren nur zum kleineren Teil. So nimmt der Notar Aufgaben im Zusammenhang mit dem Immobilienverkauf im Rahmen der Zwangsvollstreckung, mit Insolvenzen, Vormundschafts- oder Erbschaftssachen sowie mit Inventaraufstellungen und der Teilung von unteilbaren Gütern wahr.

32.      Die Notare sind Träger eines öffentlichen Amtes und werden auf Vorschlag des Justizministers vom Großherzog ernannt. Sie üben ihre Tätigkeit im gesamten luxemburgischen Staatsgebiet aus, wo sie ihren Amtssitz haben müssen. Obgleich freiberuflich tätig, haben sie eine besondere Rechtsstellung, die strenge Unvereinbarkeitsregeln einschließt(27). Die notariellen Honorare sind gesetzlich festgesetzt, jedoch haben die Klienten in gewissem Rahmen, sofern mehr als ein Zuständigkeitsbezirk betroffen ist, die Wahl zwischen verschiedenen Notaren. Infolgedessen besteht zwischen den Notaren freier Wettbewerb, auch wenn sie nicht durch die Preise, sondern mittels der Qualität der Dienstleistung untereinander konkurrieren.

d)      Österreichisches Recht

33.      Die Tätigkeit der österreichischen Notare wird in ihren Grundlinien durch die Notariatsordnung vom 25. Juli 1871, das Gerichtskommissärsgesetz vom 11. November 1970 und verschiedene Vorschriften der Zivilprozessordnung geregelt.

34.      Der österreichische Notar ist ein auf Lebenszeit ernannter Träger eines öffentlichen Amtes, zu dessen Aufgaben neben anderem die Errichtung von Urkunden gehört, denen besondere Beweiswirkungen und Vollstreckbarkeit zukommen(28).

35.      Wie die Republik Österreich in ihrer Klagebeantwortung anerkannt hat, ist die Beurkundung eine typische und ursprüngliche Aufgabe des Notars in diesem Land. Es handelt sich hierbei um ein Tätigwerden auf Antrag der Beteiligten, auch wenn dieses in verschiedenen Fällen obligatorisch ist, um eine Urkunde zu errichten und ihr volle Wirksamkeit zu verleihen. Der Notar nimmt eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu errichtenden Urkunde vor und belehrt die Parteien über ihre Rechte und Pflichten sowie über die Wirkungen seines Tätigwerdens; er vergewissert sich zugleich, dass sie über volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit verfügen.

36.      Nach der Errichtung einer Urkunde kann der Notar die Beteiligten vertreten und sie in bestimmten Fällen vor Verwaltungsbehörden und Gerichten verteidigen(29). Diese Tätigkeit wird unabhängig und entgeltlich ausgeübt.

37.      Notarielle Urkunden genießen besondere Beweiskraft, auch wenn unter strengen Voraussetzungen der Gegenbeweis zulässig ist(30).

38.      Als Folge ihrer Errichtung sind notarielle Urkunden vollstreckbare Titel, die auf Antrag der interessierten Partei unmittelbar durch die dafür zuständigen öffentlichen Stellen vollstreckt werden können: die Bezirksgerichte(31): Hierfür ist weder die Zustimmung des Schuldners noch die Erwirkung eines Feststellungsurteils erforderlich. Im Vollstreckungsverfahren sind jedoch Einwendungen möglich, die in den für dieses Verfahren geltenden besonderen Prozessvorschriften geregelt sind(32).

39.      Die österreichische Regierung hat dargetan, dass die Notare außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausüben. So ist der Notar als Gerichtskommissär tätig, eine ihm durch Gesetz zugewiesene Funktion, die unterstützende Tätigkeiten und die Vornahme von Amtshandlungen in bestimmten gerichtlichen Verfahren, etwa auf dem Gebiet des Erbrechts, umfasst. In seiner Eigenschaft als Gerichtskommissär übt der Notar bestimmte Befugnisse – einschließlich des Erlasses von Anordnungen – aus, die gerichtlichen Befugnissen gleichkommen.

40.      Der Notar ist ein Amtsträger, der durch Bescheid des Bundesministers für Justiz ernannt wird und zur Ausübung seines öffentlichen Amtes verpflichtet ist. Seine Tätigkeit wird dennoch freiberuflich ausgeübt. Der Notar nimmt seine Aufgaben in voller Unabhängigkeit wahr und besitzt eine besondere Rechtsstellung. Seine Honorare sind gesetzlich festgesetzt, jedoch können die Klienten zwischen verschiedenen Notaren wählen. Somit besteht zwischen den Notaren ein Rahmen des Wettbewerbs, der sich nicht mittels einer Preispolitik, sondern über die Qualität der Dienstleistung vollzieht.

e)      Deutsches Recht

41.      Die notarielle Tätigkeit in Deutschland wird durch die Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 sowie verschiedene Vorschriften der Zivilprozessordnung geregelt.

42.      Der deutsche Notar wird als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes bestellt und ist hauptsächlich mit der Beurkundung von Rechtsvorgängen betraut(33). Als eine Wirkung seines Tätigwerdens ist die notarielle Urkunde vollstreckbar und besitzt besondere Beweiskraft(34). Die notarielle Tätigkeit gehört zur sogenannten „vorsorgenden Rechtspflege“(35).

43.      Tatsächlich ist die Beurkundung die bedeutendste und charakteristischste berufliche Tätigkeit des Notars. Dabei prüft der Notar die Rechtmäßigkeit von Privaturkunden, deren Errichtung die Beteiligten wünschen, und vergewissert sich, dass diese ihren Willen bei voller Rechts- und Geschäftsfähigkeit erklären(36). Sind die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, ist der Notar zur Urkundstätigkeit verpflichtet(37). Im Rahmen seines Tätigwerdens belehrt und unterrichtet er die Beteiligten über ihre Rechte und Pflichten sowie über die Wirkungen der Beurkundung(38). Auch wenn der Notar auf Veranlassung der Beteiligten und nicht von Amts wegen tätig wird, kennt die deutsche Rechtsordnung ein breites Spektrum von Rechtsgeschäften, die für ihre volle Wirksamkeit des notariellen Tätigwerdens bedürfen(39).

44.      Die notarielle Urkunde besitzt eine besondere Beweiskraft, auch wenn der Gegenbeweis unter gesetzlich festgelegten Voraussetzungen zulässig ist(40). Der Umfang dieser Beweiskraft richtet sich nach dem vom Notar beurkundeten Vorgang, etwa Erklärungen Dritter, eigene Erklärungen des Notars oder Tatsachen.

45.      Die notarielle Urkunde besitzt Vollstreckbarkeit und ist ohne Zustimmung des Schuldners – jedoch unter Zustellung des Titels – von den dafür zuständigen Stellen unmittelbar zu vollstrecken. Dies setzt voraus, dass sich der Schuldner in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat(41). Die Vollstreckung unterliegt ausschließlich den gesetzlich mit ihr betrauten öffentlichen Stellen, zu denen der Notar nicht gehört(42). Gegen Entscheidungen im Rahmen der Zwangsvollstreckung, die in Zusammenhang mit dem Inhalt der notariellen Urkunde stehen, sind gerichtliche Rechtsbehelfe gegeben(43).

46.      Die deutsche Regierung hat dargetan, dass die Notare außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausüben, wenn auch im Verhältnis zu Ersteren nur zum kleineren Teil. So nimmt der Notar Aufgaben im Zusammenhang mit der Beglaubigung von Schriftstücken, der Erstellung von Bescheinigungen über Vertretungsberechtigungen und der Abgabe von Eiden und eidesstattlichen Versicherungen wahr.

47.      Der deutsche Notar ist ein vom Land bestellter Träger eines öffentlichen Amtes und übt seine Tätigkeit im Namen des Staates aus(44). Auch wenn seine berufliche Tätigkeit keinen gewerblichen Charakter trägt, ist der Notar, außer in Baden-Württemberg(45), freiberuflich tätig. In den übrigen Bundesländern ist der Notar in einem bestimmten Amtsbezirk entweder nur in dieser Eigenschaft oder gleichzeitig als Rechtsanwalt tätig. Er besitzt eine besondere Rechtsstellung, die seine Unabhängigkeit gewährleistet, während seine Gebühren gesetzlich vorgeschrieben sind(46). Jedoch kann der Klient in einem bestimmten Amtsbezirk den Notar frei wählen(47). Daher besteht zwischen den in einem Amtsbezirk tätigen Notaren ein Wettbewerb, der sich jedoch nicht mittels einer Preispolitik, sondern über die Qualität der Dienstleistung vollzieht.

f)      Griechisches Recht

48.      Die Tätigkeit der griechischen Notare wird im Wesentlichen durch das Gesetz Nr. 2830/2000 geregelt.

49.      Der griechische Notar ist Träger eines öffentlichen Amtes, der hauptsächlich mit der Errichtung von Urkunden betraut ist, denen er hierdurch Beweiskraft und Vollstreckbarkeit verleiht(48).

50.      Der Notar ist zuständig für die Errichtung von Urkunden, die ihm die Beteiligten aus freien Stücken unterbreiten, obgleich das notarielle Tätigwerden in bestimmten Fällen obligatorisch ist(49). Der Notar belehrt und berät die Beteiligten hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten und erbringt seine Dienste in voller Unabhängigkeit.

51.      Notarielle Urkunden genießen besondere Beweiskraft und können als Beweismittel jedermann entgegengehalten werden(50). Der Inhalt der Urkunde kann nur in Ausnahmefällen in Frage gestellt werden.

52.      Infolge der Vollstreckbarkeit der notariellen Urkunde kann ihre Vollstreckung unmittelbar bei der hierfür zuständigen und verantwortlichen staatlichen Stelle beantragt werden. Jedoch können gegen Amtshandlungen der Zwangsvollstreckung unter bestimmten Voraussetzungen, auch im Wege von Einwendungen, Rechtsbehelfe eingelegt werden(51).

53.      Die griechische Regierung hat dargetan, dass der Notar außer den Beurkundungsfunktionen weitere Tätigkeiten ausübt, wenn auch im Verhältnis zu Ersteren nur zum kleineren Teil. So nimmt der Notar u. a. Funktionen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Immobilien im Rahmen der Zwangsvollstreckung, mit Insolvenzen, Vormundschafts- und Nachlasssachen sowie mit Inventaraufstellungen und der Teilung unteilbarer Güter wahr.

54.      Der Notar ist der Träger eines öffentlichen Amtes, der seine Dienste in Unabhängigkeit erbringt und seine Honorare unmittelbar vom Klienten vereinnahmt. Auch wenn der Preis seiner Dienstleistungen gesetzlich festgesetzt ist, besitzt der Klient eine gewisse Wahl zwischen Notaren.

55.      Es besteht daher zwischen den Notaren ein Rahmen des Wettbewerbs, der sich nicht mittels einer Preispolitik, sondern über die Qualität der Dienstleistung vollzieht.

g)      Zusammenfassung

56.      Als Schlussfolgerung aus allem Vorstehenden erscheint es legitim, davon auszugehen, dass die sechs beklagten Staaten ein gemeinsames Konzept des Notarberufs übernommen und entwickelt haben, vor allem, was die Beurkundung und ihre weiteren Wirkungen anbelangt: die Beweiskraft und die Vollstreckbarkeit. Ebenso ist augenfällig, dass der Notar in allen beklagten Staaten eine besondere, hybride Rechtsstellung innehat, angesiedelt auf halbem Weg zwischen öffentlicher Verwaltung und freiem Beruf und verbunden mit Rechten und Pflichten, die das Notariat in ein Amt verwandeln, mit dem eine wirtschaftliche Tätigkeit sui generis ausgeübt wird. Es ist dieser Grad an grundsätzlicher Übereinstimmung, der es gestattet, auf die vorliegenden Vertragsverletzungsklagen eine argumentativ einheitliche Antwort zu geben.

2.      Die spezielle nationale Regelung, gegen die sich die Klagen richten: das Staatsangehörigkeitserfordernis

57.      Ist der normative Rahmen des Notarberufs damit in seinen Grundzügen umrissen, so sind nunmehr die von der Kommission in den vorliegenden Verfahren beanstandeten Rechtsvorschriften zu benennen, mit denen der Zugang zum Notariat auf die jeweils eigenen Staatsangehörigen beschränkt wird.

a)      Belgisches Recht

58.      Art. 35 Abs. 3 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI in der durch das Gesetz vom 4. Mai 1999 geänderten Fassung legt für den Zugang zum Notarberuf in Belgien ein Staatsangehörigkeitserfordernis fest, das wie folgt lautet:

„Für die Ernennung zum Notaranwärter muss der Betreffende: 1. Belgier sein …“

b)      Französisches Recht

59.      Art. 3 des Dekrets vom 5. Juli 1973 in der durch das Dekret 89-399 vom 20. Juni 1989 geänderten Fassung enthält ein Staatsangehörigkeitserfordernis, das den Zugang zum Notarberuf in Frankreich wie folgt regelt:

„Notar kann nur sein, wer folgende Voraussetzungen erfüllt: 1. Besitz der französischen Staatsangehörigkeit …“

c)      Luxemburgisches Recht

60.      Art. 15 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976 über die Organisation des Notariats enthält für den Zugang zum Notarberuf in Luxemburg ein Staatsangehörigkeitserfordernis, das wie folgt lautet:

„Zum Notarberuf kann nur zugelassen werden, wer: a) die luxemburgische Staatsangehörigkeit besitzt …“

d)      Österreichisches Recht

61.      § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Notariatsordnung (RGBl. Nr. 75/1871) in der durch das Gesetz BGBl I Nr. 164/2005 geänderten Fassung normiert für den Zugang zum Notarberuf in Österreich ein Staatsangehörigkeitserfordernis mit folgendem Wortlaut:

„Voraussetzungen für die Ernennung zum Notar sind: … die österreichische Staatsbürgerschaft …“

e)      Deutsches Recht

62.      § 5 der Bundesnotarordnung in der durch Art. 3 des Gesetzes vom 26. März 2007 geänderten Fassung legt für den Zugang zum Notarberuf in Deutschland folgendes Staatsangehörigkeitserfordernis fest:

„Zum Notar darf nur ein deutscher Staatsangehöriger bestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat.“

f)      Griechisches Recht

63.      Art. 19 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 2830/2000 enthält für den Zugang zum Notarberuf in Griechenland ein Staatsangehörigkeitserfordernis mit folgendem Wortlaut:

„Zum Notar wird bestellt, wer die griechische Staatsangehörigkeit besitzt …“

III – Anträge der Parteien

64.      Die Kommission, unterstützt durch das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, beantragt in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen,

–      festzustellen, dass das Königreich Belgien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Österreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Hellenische Republik, indem sie ihre jeweilige Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung für den Zugang zum Beruf des Notars machen, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen haben;

–      festzustellen, dass das Königreich Belgien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die Republik Österreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Hellenische Republik, indem sie die Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht für den Notarberuf umgesetzt haben, gegen ihre Verpflichtungen aus dieser Richtlinie verstoßen haben;

–      dem Königreich Belgien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Hellenischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

65.      Die beklagten Staaten, unterstützt durch die Republik Lettland, Rumänien, die Bulgarische Republik, die Republik Polen, die Republik Slowenien, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, die Republik Ungarn und die Republik Litauen, beantragen,

–      die Klage als unbegründet abzuweisen, da der gerügte Verstoß gegen die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG nicht vorliegt, und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

–      Die Bundesrepublik Deutschland erhebt ferner, vorrangig gegenüber dem vorstehenden Antrag, eine Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung, dass die Kommission im vorgerichtlichen Verfahren auf einen Verstoß gegen die Richtlinie 89/48 abgestellt habe, während sie nunmehr in ihrer Klageschrift einen Verstoß gegen die an deren Stelle getretene Richtlinie 2005/36 rüge.

IV – Zur Zulässigkeit

66.      In der Rechtssache C‑54/08 erhebt die beklagte Bundesrepublik Deutschland, unterstützt durch Slowenien und Lettland, eine Unzulässigkeitseinrede, die die von der Kommission angeführten Rechtsvorschriften zum Gegenstand hat. Ihrer Auffassung nach hat ihr die Kommission im vorgerichtlichen Stadium des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens einen Verstoß gegen die Richtlinie 89/48 angelastet, während sie ihr nun, im gerichtlichen Verfahren, einen Verstoß gegen die Richtlinie 2005/36 vorwerfe, die an die Stelle der erstgenannten Richtlinie getreten sei.

67.      Diese Einrede kann nicht durchgreifen.

68.      Nach ständiger Rechtsprechung stellt der ordnungsgemäße Ablauf des vorprozessualen Verfahrens eine durch den Vertrag vorgeschriebene wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür dar, dass sichergestellt ist, dass das etwaige streitige Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat. Nur auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen vorprozessualen Verfahrens kann der Gerichtshof im kontradiktorischen Verfahren entscheiden, ob der Mitgliedstaat tatsächlich gegen die genau bezeichneten Verpflichtungen verstoßen hat, deren Verletzung von der Kommission geltend gemacht wird(52).

69.      Zwar dürfen die in der Klageschrift gestellten Anträge, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, grundsätzlich nicht über die im Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und im Mahnschreiben gerügten Verstöße hinausgehen, „doch darf die Kommission gleichwohl im Falle einer Änderung des Gemeinschaftsrechts während des Vorverfahrens einen Verstoß gegen Verpflichtungen feststellen, die sich aus der ursprünglichen Fassung einer später geänderten oder aufgehobenen Richtlinie ergeben und durch neue Vorschriften aufrechterhalten wurden“(53).

70.      Jedoch zeigt, wie die Kommission vorgetragen hat, ein Vergleich der genannten Vorschriften, dass mit dem Erlass der Richtlinie 2005/36 die Vorschriften der Richtlinie 89/48 lediglich verstärkt und kodifiziert wurden. Daher bestehen die Verpflichtungen, die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 89/48 auferlegt wurden, nach der Richtlinie 2005/36 überwiegend fort.

71.      Daraus folgt, dass die Klage unter Zurückweisung der von Deutschland erhobenen Unzulässigkeitseinrede für zulässig zu erklären ist, weil sie sich auf Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/36 bezieht, die schon kraft der aufgehobenen Richtlinie galten.

V –    Zur Begründetheit

A –    Zum ersten Klagegrund

72.      Mit ihrem ersten Klagegrund möchte die Kommission die Feststellung erreichen, dass die beklagten Mitgliedstaaten, indem sie den Zugang zum Notarberuf ihren jeweiligen Staatsangehörigen vorbehalten haben, gegen die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen haben.

73.      Die Mitgliedstaaten halten dem ein anderes Verständnis der sich aus diesen beiden Vorschriften ergebenden Regelung entgegen, das im Wesentlichen auf einer bestimmten Abgrenzung ihres in der zweiten dieser Vorschriften negativ umschriebenen Anwendungsbereichs beruht, d. h. auf einer anderen Auslegung der Worte „Tätigkeiten, die … dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind“.

74.      Ist nämlich, sehr einfach ausgedrückt, für die Kommission der Art. 45 Abs. 1 EG im Wesentlichen eine Vorschrift, die auf den Begriff des „Zwangs“ beschränkt ist, sprechen sich die Mitgliedstaaten für eine deutlich weitere Auslegung in dem Sinne aus, dass die Vorschrift jede Form von Entscheidung erfasst, die besondere und andere Wirkungen als private Handlungen hat.

1.      Drei einleitende allgemeine Bemerkungen

75.      Es sind vorab drei allgemeine Erwägungen anzustellen, die sich erstens auf die Struktur der sich aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG ergebenden Regelung, zweitens auf den Sinn oder, wenn dies vorzugswürdig erscheint, die Systematik des Art. 45 Abs. 1 EG und drittens auf die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beziehen.

a)      Die nach Auffassung der Kommission von den Staaten verletzte Regelung: die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG

76.      Wie gesagt rügt die Kommission einen Verstoß gegen die aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG resultierende Gesamtregelung, aus der sich der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ergibt. Zu der Eigenart dieses Vertragsverstoßes, der als Verstoß gegen die Summe zweier Bestimmungen des Vertrags konstruiert wird, erscheint mir eine erste Bemerkung angebracht.

77.      Tatsächlich bilden die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG eine normative Einheit mittels einer Regel (Niederlassungsfreiheit) und einer Ausnahme (mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Tätigkeiten), die so ihren Anwendungsbereich definieren. Aus der Verbindung der beiden Vorschriften ergibt sich die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Regelung. Wir haben es daher nicht mit einer Regel (Art. 43 EG) zu tun, von deren Anwendung lediglich eine Ausnahme (Art. 45 Abs. 1 EG) gemacht wird, sondern mit einer anderen Regel: der Regel, die den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit für die Ausübung von Tätigkeiten festlegt, die nicht mit der Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Dies ist der Anwendungsbereich der konkreten Freiheit, die der Vertrag gewährleistet, und so ist das Vorgehen der Kommission bei ihrer Annahme eines Verstoßes gegen Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG zu verstehen.

78.      Dies ist zum anderen der entscheidende Unterschied, der die beiden Absätze des Art. 45 EG funktional voneinander trennt. Der erste Absatz umschreibt, wie ausgeführt, in unmittelbarer und vollständiger (perfekter) Weise, wenn auch in negativer Form, den Anwendungsbereich der Freiheit, indem er die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundenen Tätigkeiten für von diesem ausgeschlossen erklärt („findet … keine Anwendung“). Der zweite Absatz hingegen eröffnet nur die Möglichkeit, durch Vorschriften des abgeleiteten Rechts zusätzliche Beschränkungen des Anwendungsbereichs der im Vertrag gewährleisteten Freiheit einzuführen, so wie sich diese aus der Kombination des Art. 43 und des ersten Absatzes des Art. 45 ergibt. Diese allgemeine Möglichkeit der punktuellen Abweichung vom Anwendungsbereich der Freiheit liegt, auch wenn von ihr bisher noch kein Gebrauch gemacht wurde, völlig außerhalb der vorliegenden Vertragsverletzungsklagen. Ihr Kontrast zur Bestimmung des ersten Absatzes erlaubt es jedoch, dessen Funktion und Tragweite zu verstehen und zu erklären.

79.      Es ist deshalb Nachdruck darauf zu legen, dass Art. 43 EG nicht eine Freiheit, nämlich die der Niederlassung, verkündet, die sodann in Art. 45 Abs. 1 EG einer Ausnahme unterworfen würde. Es handelt sich, anders ausgedrückt, also nicht um eine Ausnahme von der Anwendung einer Regel, sondern um eine Ausnahme, die konstitutiv ist für die Regel, welche im Vertrag den Anwendungsbereich der Freiheit festlegt. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten geht deshalb dahin, die Niederlassungsfreiheit für wirtschaftliche Tätigkeiten wirksam werden zu lassen, die nicht, auch nicht zeitweise, mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Auf die durch Art. 45 Abs. 1 vorgenommene Umgrenzung der Reichweite des Art. 43 werde ich mich im Folgenden als den „negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit“ beziehen.

b)      Das Problem der Auslegung des Sinngehalts des Art. 45 Abs. 1 EG

80.      Die zweite allgemeine Vorbemerkung ist bereits substanzieller Art. Denn es erscheint von vornherein klar, dass sich Art. 45 Abs. 1 EG, soweit er von wirtschaftlichen „Tätigkeiten“ spricht, die „mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind“, auf einen Fremdkörper in der Phänomenologie der modernen hoheitlichen Gewalt bezieht. Die Trennung der Bereiche des Öffentlichen und des Privaten oder – wenn dies bevorzugt wird – von Staat und Gesellschaft, die ein Charakteristikum der modernen politischen Welt ist, führt grundsätzlich dazu, dass es heute keine Tätigkeiten der Teilnahme an der öffentlichen Gewalt mehr gibt, die außerhalb jener drei Gewalten fortbestünden, in denen die Ausdrucksformen der Staatsgewalt gesehen werden. Eine privatisierte (oder nicht verstaatlichte) wirtschaftliche Tätigkeit, die gleichwohl den Charakter der Ausübung öffentlicher Gewalt hat, ist deshalb etwas verhältnismäßig Unerwartetes in der Systematik des Vertrags. Und dennoch ist es dies, was weiterhin im heutigen Art. 51 AEUV zu lesen ist, vorher in Art. 45 EG und so zurückgehend bis zur ersten Fassung des EWG-Vertrags von 1957. Das Gleiche findet sich im Übrigen, und ein neuerliches Mal, in den Art. 23 und 27 des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation.

81.      Es ist naheliegend, anzunehmen, dass der Fortbestand dieser Bestimmung über die gesamte Entwicklung des Primärrechts hinweg einem Zweck dienen, Ausdruck eines Grundgedankens sein muss(54). Die einzige logische Erklärung hierfür ist, dass die Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Verfasser der Verträge und unter Umständen gestützt auf ihre eigene Rechtskultur und ‑tradition ihr Augenmerk darauf gerichtet haben, dass zumindest in einer ganzen Reihe von ihnen die jeweilige Rechtsordnung bestimmte Tätigkeiten kennt, die an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhaben, aber nicht von den öffentlichen Gewalten ausgeübt werden, sondern im Gegenteil die Form wirtschaftlicher Tätigkeiten oder von Tätigkeiten in den Händen von Wirtschaftsteilnehmern besitzen. Eine Überlegung, die zu dem Schluss führte, dass wir unter den existierenden Tätigkeiten keine finden, die so eingestuft werden könnte, ließe gewisse Zweifel an der Fundiertheit dieser Auslegung entstehen.

82.      Eine andere Frage ist, ob angenommen werden kann, dass Art. 45 Abs. 1 EG als eine Ermächtigung der Staaten konzipiert ist, eine unumgrenzte oder generelle Privatisierung der politischen Gewalt (eine eigentümliche „devolution“) vorzunehmen, die dieser die Bedeutung einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ gäbe. Dies scheint mir nicht der Fall zu sein. Vielmehr ist Art. 45 Abs. 1 EG weniger als eine zukunftsbezogene Vorschrift denn als eine Vorschrift mit Vergangenheit anzusehen. Das mutmaßlich richtigste Verständnis des Art. 45 Abs. 1 EG ist, dass der Vertrag bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten außerhalb der Niederlassungsfreiheit belassen wollte, die ausnahmsweise weiterhin eine Verbundenheit mit der politischen Staatsgewalt aufweisen. Natürlich lässt der Vertrag den Staaten volle Freiheit, wirtschaftliche Tätigkeiten dieser Art beizubehalten oder abzuschaffen. Aber soweit die Staaten sie beibehalten, ordnet er unmittelbar ihren Ausschluss von der Niederlassungsfreiheit an. In diesem Sinne wäre so etwas wie eine fakultative Stand-still-Klausel zu vermuten.

c)      Die Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

83.      In den vorliegenden Verfahren haben die Mitgliedstaaten vorgetragen, dass bei der Anwendung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht zulässig sei. Damit machen die Beklagten und die Streithelfer geltend, dass dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 45 Abs. 1 EG erfüllt sind, keine Abwägung vorzunehmen ist, die eine graduelle Anwendung der Norm gestattete. Eben dies, die gradweise Abstufung, ist die Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wenn eine Ausnahme von den Freiheiten zur Anwendung kommt, denn dieser Grundsatz ist das Instrument, das einzusetzen ist, um zu ermitteln, bis zu welchem Grad eine Beschränkung einer Freiheit erforderlich ist, um berechtigte Zwecke der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu erreichen(55). Die vorliegend beklagten Staaten stimmen darin überein, dass Art. 45 Abs. 1 EG keine Verhältnismäßigkeitsprüfung zulasse, sondern eine sozusagen binäre Vorschrift darstelle: Sie sei anwendbar oder nicht anwendbar, lasse aber keinerlei Auslegungsspielraum für eine Abwägung.

84.      Tatsächlich hat sich in allen Fällen, in denen der Gerichtshof mit einer Frage der Auslegung des Art. 45 Abs. 1 EG befasst war, die Prüfung auf die Klärung der Frage beschränkt, ob die Tätigkeit unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnahm. Es ist jedoch, wie unten näher auszuführen sein wird, gleichfalls hervorzuheben, dass bisher für den Gerichtshof niemals die Notwendigkeit bestand, im Zuge der Anwendung des Art. 45 Abs. 1 EG über die erste Phase hinauszugehen, da er sich nach einer ersten begrifflichen Annäherung stets auf die Feststellung beschränken konnte, dass die fragliche Tätigkeit nicht an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnehme. In anderen Worten, die Fälle, in denen der Gerichtshof bisher über die Auslegung des Art. 45 Abs. 1 EG zu befinden hatte, ließen sich einer Entscheidung zuführen, ohne dass es nötig gewesen wäre, sich mit den Einzelheiten der begrifflichen Konstruktion der Kategorie „öffentliche Gewalt“ auseinanderzusetzen(56). Im möglichen Fall einer bejahenden Antwort hingegen hat der Gerichtshof seine Erwägungen zu vertiefen. In diesem zweiten Schritt besteht die Auslegung in der Klärung der Frage, ob die beanstandete nationale Maßnahme, berücksichtigt man den in der Tätigkeit zum Ausdruck kommenden Grad der Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt, erforderlich ist, um die mit den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verfolgten Ziele zu erreichen.

85.      Demgemäß ist der Schluss zu ziehen, dass die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit erlauben.

86.      Im Kontext dieser Vorschriften erfolgt die Verhältnismäßigkeitsprüfung gegebenenfalls in ähnlicher Weise wie die Prüfung, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung vornimmt(57), und in ihrem Rahmen sind (1) die Schwere der erlassenen Maßnahme und (2) das Ausmaß, in dem die streitige Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, gegeneinander abzuwägen. Je direkter oder unmittelbarer diese Teilnahme, desto breiter das Spektrum der durch Art. 45 Abs. 1 EG gedeckten Maßnahmen. Je weniger direkt, desto weniger Maßnahmen sind nach dieser Vorschrift gerechtfertigt, sowohl der Zahl als auch der Intensität nach.

2.      Die Tätigkeit der Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt

a)      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs

87.      Betrachtet man den gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung zu den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG, ist als Erstes die Beharrlichkeit hervorzuheben, mit der der Gerichtshof auf das Erfordernis einer strikten Auslegung hingewiesen hat. Bereits 1974 zeigte sich imUrteil in der Rechtssache Reyners(58), dass sich die Rechtsprechung anschickte, die Bestimmung auf ein sehr enges Gebiet einzugrenzen. Belegt wird diese Haltung dadurch, dass nach mehr als einem halben Jahrhundert Rechtsprechung und mehr als fünfzehn ergangenen Urteilen der Gerichtshof bisher nicht festgestellt hat, dass eine bestimmte Tätigkeit durch Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG gedeckt werde.

88.      Als Zweites ist in der Rechtsprechung klargestellt worden, dass eine „Tätigkeit“ nicht gleichbedeutend ist mit einem „Beruf“. Dass eine Tätigkeit eine Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt, heißt daher nicht per se, dass sich Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG auf alle übrigen Tätigkeiten erstreckten, die der betreffende Berufsangehörige ausübt. Diese Überlegung hat den Gerichtshof zu der Feststellung geführt, dass Reichweite und Anwendbarkeit von Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG nur in den Fällen, in denen sich die Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt nicht von den übrigen Tätigkeiten trennen lassen, mit einem Beruf als Ganzes zusammenfallen. Wie der Gerichtshof im Urteil Reyners ausgeführt hat, ist ein Entscheid über einen Beruf als Ganzes nicht möglich, „wenn im Rahmen eines freien Berufes die Tätigkeiten, die gegebenenfalls mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, einen abtrennbaren Teil der betreffenden Berufstätigkeit insgesamt darstellen“(59).

89.      Als Drittes hat der Gerichtshof in der Rechtssache Reyners betont, dass die Reichweite von Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG auf Tätigkeiten beschränkt ist, „die, in sich selbst betrachtet, eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen“(60), ohne dass die Mitgliedstaaten insoweit einseitige Bestimmungen erlassen dürfen, die diese Reichweite erweitern oder verringern(61).

90.      Als vierter und letzter Gesichtspunkt, der in der Rechtsprechung Hervorhebung verdient, ist das Erfordernis zu nennen, die spezifischen Funktionen zu analysieren, die mit der jeweiligen Tätigkeit ausgeübt werden, und zwar im Sinne einer eng mit den konkreten Umständen des Einzelfalls verknüpften Prüfung, die den Gerichtshof zur vertieften Erörterung nicht immer leicht zu lösender Fragen des nationalen Rechts verpflichtet. So ist im Urteil Reyners klargestellt worden, dass die Merkmale, die für die Anwendung des Art. 45 Abs. 1 EG erfüllt sein müssen, „für jeden Mitgliedstaat gesondert anhand der nationalen Bestimmungen über die Struktur und die Ausübung des betreffenden Berufes zu würdigen“ sind(62). Dies hat dazu beigetragen, dass die Rechtsprechung kasuistisch, wenig aussagekräftig und stark den Eigenheiten der jeweiligen Tätigkeit verhaftet ausgefallen ist. Dies ist in solchem Maße der Fall, dass gegenwärtig keine einzige Entscheidung vorliegt, in der der Gerichtshof die Bedeutung der Begriffe „unmittelbar“, „spezifisch“ oder „öffentliche Gewalt“ erläutert hätte.

91.      Was das praktische Ergebnis dieser Rechtsprechung angeht, so ist, wie bereits erwähnt, zu konstatieren, dass der Gerichtshof in seinen bisher ergangenen Entscheidungen nicht zu dem Schluss gelangt ist, dass eine Tätigkeit unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt(63). Der Beruf des Rechtsanwalts(64), der Lehrerberuf oder die Leitung von privaten Unterrichtsanstalten(65), der Betrieb von Datenverarbeitungssystemen für die öffentliche Verwaltung(66), Wirtschaftsprüfer bei Versicherungsunternehmen(67), die Durchführung von Fahrzeuguntersuchungen(68), der Verkauf von Lottoscheinen und die Wettannahme(69), private Sicherheitsdienste(70), öffentliche Rettungsdienste(71) oder private Stellen für die Kontrolle landwirtschaftlicher Erzeugnisse des ökologischen Landbaus(72), alle diese Tätigkeiten sind der Prüfung durch den Gerichtshof unterzogen worden, und in allen Fällen wurde verneint, dass diese Tätigkeiten mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG verbunden seien(73).

b)      Die erforderliche Vertiefung des Begriffs der öffentlichen Gewalt

92.      Wie dargelegt, lassen sich der Rechtsprechung derzeit nur wenige Gesichtspunkte zur näheren Bestimmung des Wesens oder der Beschaffenheit der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne der hier in Rede stehenden Vorschrift entnehmen. Für die Definition dessen, was öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG ist(74), lässt es sich nicht vermeiden, von einem bestimmten Vorverständnis der Idee der öffentlichen Gewalt als allgemeiner Kategorie der Staatstheorie auszugehen, in das sich die Union als eine Staatengemeinschaft notwendig begrifflich einfügt(75).

93.      In diesem Sinne ist „öffentliche Gewalt“ vor allem „Gewalt“, d. h. die Fähigkeit zur Erzwingung einer einem unwiderstehlichen Willen entsprechenden Verhaltensweise. Im Sinne einer friedfertigen Akzeptanz und in ihrem höchsten Ausdruck kommt diese Fähigkeit ausschließlich dem Staat zu, d. h. der Einrichtung, in der sich die Rechtsordnung als Instrument der Verwaltung und Anordnung legitimer Gewalt verkörpert(76). Öffentliche Gewalt ist somit die Gewalt des Souveräns qui superiorem non recognoscens in regno suo.

94.      Dies bedeutet, dass es im Staat nicht mehr legitime Zwangsgewalt gibt als die, welche die öffentliche Gewalt ausübt, sei es im Interesse der Existenz des Staates und der Verwirklichung seiner Ziele (allgemeines Interesse), sei es im Dienst der berechtigten Erwartungen der Privatpersonen hinsichtlich ihres Verhaltens untereinander (privates Interesse). Im letztgenannten Fall geschieht dies stets unter Wahrung der zuvor festgelegten Bedingungen(77).

95.      Gewiss bildet der Zweck, dem die vom Staat monopolisierte und verwaltete Gewalt dient, ein erstes Kriterium für die Grenzziehung zwischen öffentlicher Gewalt und Privatpersonen. Denn die öffentliche Gewalt hat die Erreichung jener Ziele allgemeiner Art zu bewirken, die die Legitimationsgrundlage der von der politischen Gewalt gewählten konkreten Staatsform bilden (in Europa typischerweise der soziale und demokratische Rechtsstaat). Hingegen können sich Privatpersonen in der Wahrnehmung ihrer Autonomie als Individuen der Befriedigung ihrer privaten Interessen widmen. Und sie können sich hierfür unter den durch die Rechtsordnung festgelegten Voraussetzungen der Zwangsmittel bedienen, die die öffentliche Gewalt verwaltet, welche insoweit grundsätzlich ein Instrument im Dienst von Interessen nicht allgemeiner Art darstellt.

96.      Das traditionell üblichste Kriterium zur Identifizierung der öffentlichen Gewalt ist also das der Fähigkeit öffentlicher Gewalt zur einseitigen Durchsetzung ihres Willens, d. h., ohne dass es der Zustimmung des Verpflichteten bedarf. Hingegen kann der Einzelne seinen Willen gegenüber einem anderen Einzelnen nur mit dessen Zustimmung realisieren.

97.      Freilich liegen die Dinge nicht so einfach, wenn es sich, wie in allen uns hier beschäftigenden Fällen, um einen demokratischen Staat handelt. Denn in diesen Fällen ist die Zustimmung, in der einen oder anderen Form und in letzter Instanz, immer erforderlich. Zum anderen ist der Satz zu relativieren, dass der Wille der öffentlichen Gewalt unwiderstehlich seine Befolgung erzwingt. Und aus der Perspektive nunmehr des Rechtsstaats, wie er auch der Union eignet, unterliegt jede Betätigung der öffentlichen Gewalt einer möglichen Überprüfung. In Wirklichkeit ist unter diesem Blickwinkel die souveräne Gewalt des demokratischen Staates eher auctoritas als bloßes imperium(78). Dies bedeutet Herrschaftsgewalt, die durch den Willen der ihr Unterworfenen ausgeübt wird und in ihrer Herrschaft mehr als durch bloße Drohung mit physischem Zwang durch den legitimen Ursprung des Herrschaftswillens gesichert wird(79).

98.      Dieser Aspekt impliziert, dass der in Frage stehende Begriff kein absoluter, sondern ein relativer Begriff ist, der somit der gradweisen Abstufung unterliegt(80). Je größer die Fähigkeit zur Durchsetzung einer Verhaltensweise ist, desto größer ist die Nähe zur Qualität der öffentlichen Gewalt, jedoch stets unter Ausschluss apodiktischer und unwiderstehlicher Erzwingung.

99.      Aus allen diesen Gründen beschreitet, wer auf das Kriterium des Zwecks (Allgemeininteresse/privates Interesse) oder auf das Kriterium der Art und Weise der durch Gewalt gesicherten Auferlegung einer Pflicht (einseitig/zweiseitig) abstellt, damit einen Weg, der unweigerlich auf ungesichertes Gelände führt. Wir stoßen hier in der Tat auf überaus unscharfe Begriffe, die in ihrer Beschaffenheit der Willkür relativer Größen unterliegen und daher einem minimalen Grad an Objektivität unzugänglich sind. Natürlich handelt es sich um taugliche Kriterien, soweit unzweifelhafte Tatbestände der Ausübung öffentlicher Gewalt in Frage stehen, wie dies für die Tätigkeiten gilt, die am unmittelbarsten mit der Ausübung der mit der Souveränität verbundenen Prärogativen verbunden sind (Armee, öffentliche Sicherheitskräfte, Justiz, Regierung). Aber sie genügen nicht, um die anderen öffentlichen Tätigkeiten zukommende Einordnung zu begründen, die nur in geringerem Maße mit Zwangsausübung verbunden sind, sich aber qualitativ von privater Tätigkeit unterscheiden.

100. Führt man diese Überlegungen einen Schritt weiter, so ist die Qualität des modernen Staates als eine wesentlich elaboriertere Form der Trägerschaft von Macht als die früher bekannten zu berücksichtigen. Letztere blieben reduziert auf die Verwaltung des physischen Zwangs mittels überaus vereinfachter Verfahren zur Festlegung der Voraussetzungen für die Zwangsausübung. Um dem Phänomen der öffentlichen Gewalt in seiner ganzen Komplexität gerecht zu werden, ist es darum heute praktisch unumgänglich, sich eines Begriffs der öffentlichen Gewalt zu bedienen, der von der Logik der Rechtsordnung her konzipiert ist, in der diese Gewalt ausgeübt wird.

101. Aus dieser Perspektive stellt die Rechtsordnung ein Verfahren zur Gestaltung der Ausübung legitimer Gewalt dar, das gegebenenfalls zu deren Anwendung in einer konkreten Situation führen kann. Verhält es sich so, ist nichts einzuwenden gegen die Auffassung, dass die Handlungen, die die Rechtsordnung letztlich setzt (nämlich dort, wo das Verfahren der legitimen Gewalt mit einer Handlung endet, die dieses Verfahren abschließt und zu einem endgültigen Stand führt), als ihr vollkommenster Ausdruck erscheinen(81).

102. Nach diesem Gedankengang ist das entscheidende Kriterium für die Einstufung einer Handlung als von der öffentlichen Gewalt abgeleitet somit das der Art ihres Verhältnisses zur Staatsordnung. Konkret wäre die Qualität einer Tätigkeit nach dem Kriterium ihrer Einbettung in diese Rechtsordnung (ihrer Zugehörigkeit zu dieser) als eine Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt zum Ausdruck bringend zu werten. Das Kriterium wäre somit nicht das ihrer bloßen Übereinstimmung mit dieser Rechtsordnung, sondern das ihrer Eingliederung als Handlung der Rechtsordnung(82).

103. In diesem Sinne kann die Judikative als der charakteristischste Ausdruck der öffentlichen Gewalt angesehen werden. Mit ihren Entscheidungen nämlich spricht sie endgültig Recht, und in diesem Sinne verschmilzt die Rechtsordnung mit diesen(83). Aus demselben Grund lässt sich aber auch sagen, dass Handlungen, die diese Bedingung erfüllen können, öffentliche Gewalt sind, ohne dass es der iurisdictio bedarf. Zunächst ist das Gesetz per se vollstreckbar, wie auch Verwaltungsvorschriften oder hoheitliche Anordnungen. Es handelt sich stets um Handlungen oder Vorschriften, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegen, aber in keinem Fall einer „Ermächtigung“ bedürfen, um unmittelbar ihre Wirkungen zu entfalten.

104. Nach dem Vorstehenden ist klar, dass kein Privater zu Rechtshandlungen in der Lage ist, die gegenüber einem Dritten durchgesetzt werden können, es sei denn, mittels des Tätigwerdens der öffentlichen Gewalt. Ist die Zwangsausübung durch Private einmal ausgeschlossen, erfordert die Durchsetzung des eigenen Rechts stets eine öffentliche Ermächtigung. Die öffentliche Gewalt ist in diesen Fällen nicht darauf beschränkt, eine Handlung zu überprüfen, die aus sich selbst heraus eine einen Dritten bindende Wirkung hervorbringen kann, wie es bei Handlungen der Verwaltung, Regierung oder gesetzgebenden Gewalt der Fall ist. Vielmehr wird die öffentliche Gewalt in diesen Fällen stets als diejenige Autorität tätig, durch die die Verpflichtung, die ein Privater gegenüber einem Dritten geltend macht, konstituiert wird. Es handelt sich hier um Verpflichtungen, die aus einer Willensübereinstimmung (Vertrag/Dispositionsgrundsatz) hervorgegangen sein können, aber ihre Erfüllung einzufordern, steht dem Einzelnen nicht zu Gebote, es sei denn vermittelt durch staatliches Handeln.

105. Aus allem Vorstehenden ist daher, stets mit dem im vorliegenden Fall gebotenen Abstraktionsgrad, der Schluss zu ziehen, dass unter den Merkmalen, die für die öffentliche Gewalt in den verschiedenen nationalen Traditionen kennzeichnend sind, auf dasjenige abzustellen ist, das seinen Ausdruck in ihrer Fähigkeit findet, eine Handlung, Vorschrift oder Verhaltensweise mittels der Rechtsordnung dem formalisierten Staatswillen zuzuordnen. Denn dies ist ein kleinster gemeinsamer Nenner, in dem alle diese Traditionen übereinstimmen, die in der Möglichkeit, einen Einzelwillen dem allgemeinen Staatswillen zuzuordnen, das entscheidende Kriterium sehen, um die Grenzlinie zu ziehen, die den Bereich des Öffentlichen von dem der Privatpersonen trennt.

106. Die vorstehenden Überlegungen erlauben es, die durch die notarielle Tätigkeit aufgeworfene zentrale Frage mit etwas größerer Sicherheit anzugehen.

3.      Zu der Frage, ob die notarielle Tätigkeit und insbesondere die Urkundstätigkeit zum negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gehören

107. Bei alledem erscheint indessen eine Klarstellung angebracht. Die Frage, ob die notarielle Tätigkeit in den von uns so genannten „negativen Anwendungsbereich“ der Niederlassungsfreiheit fällt, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs – wie an dieser Stelle nicht mehr hervorgehoben zu werden braucht – nicht nur nicht entschieden worden, sondern sie war Gegenstand einer intensiven und eingehenden Diskussion, die sich sowohl in den schriftlichen Erklärungen als auch in der langen Verhandlung vom 27. April dieses Jahres widergespiegelt hat. Die Rechtsprechung enthält zwar den einen oder anderen Passus, der als Stellungnahme zugunsten einer bejahenden Antwort gewertet werden kann(84). In gewisser Weise jedoch lässt sich sagen, dass der Gerichtshof nunmehr Gelegenheit gehabt hat, die Frage mit der unverzichtbaren Ausführlichkeit zu erörtern.

108. Dass die genannte Diskussion intensiv und ausführlich war, wird unübersehbar ebenfalls belegt durch die zeitlich weit auseinander liegenden Stellungnahmen des Europäischen Parlaments(85). Das Gleiche lässt sich, unabhängig von seiner mehr oder weniger unklaren Fassung, über den bereits angeführten 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 sagen, auf den wir unten zurückkommen werden. Jedenfalls ist klar, dass keine dieser Äußerungen an die Stelle der dem Gerichtshof zukommenden Aufgabe treten oder ihn von ihr entbinden kann, in der Auslegung der Verträge das letzte Wort zu sprechen.

a)      Die Beurkundung als zentrale Tätigkeit der Notare in den beklagten Staaten

109. Wie auch immer es sich damit verhalten mag, als Erstes sei darauf hingewiesen, dass sowohl die Staaten als auch die Kommission anerkennen, dass der Kern der notariellen Tätigkeit in der Befugnis zur Beurkundung und deren Wirkungen liegt: Vollstreckbarkeit und Beweiskraft. Einige Mitgliedstaaten, wie Belgien oder Österreich, haben auf verschiedene begleitende Aufgaben hingewiesen, die der Notar in ihren Rechtsordnungen wahrnehme und in denen sich Elemente der öffentlichen Gewalt widerspiegelten. Jedoch stimmen alle Parteien einschließlich der Kommission darin überein, dass die Beurkundung mit ihren Wirkungen diejenige Tätigkeit bildet, die den Beruf par excellence definiert und ohne die er ohne Sinn wäre.

110. Ferner ist, wenn die sechs Vertragsverletzungsklagen für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge zusammengefasst wurden, dies ganz grundsätzlich dem Umstand geschuldet, dass von einer „notariellen Tätigkeit“ in einem für alle diese Klagen geltenden Sinne gesprochen werden kann. Das heißt, es kann hinsichtlich der sechs Staaten von einer zentralen Tätigkeit der „Beurkundung“ gesprochen werden, deren Wirkungen in den verschiedenen Rechtsordnungen weitgehend die gleichen sind. Natürlich liegt es in der Sphäre der Souveränität der Staaten, von dieser Konstellation abzuweichen, sei es, weil der Staat diese Funktionen über seine eigene Verwaltung unmittelbar ausübt, sei es, weil er die Folgen des notariellen Tätigwerdens im Fall „öffentlicher“ Urkunden radikal abschwächt. Beispiel für Ersteres ist der Fall Portugals bis zum Beginn seiner Umgestaltung des Notarberufs oder der von Baden-Württemberg; Beispiel für Letzteres könnte möglicherweise ebenfalls Portugal sein, je nach der Intensität des im letzten Jahrzehnt unternommenen Umgestaltungsprozesses(86). In einem Wort, für die Lösung des von den vorliegenden Klagen aufgeworfenen Problems ist von der Einstufung mehrerer bestimmter beruflicher Tätigkeiten auszugehen, so wie sie heute in den betreffenden Staaten geregelt sind. Eine Änderung dieser Regelung kann offensichtlich Auswirkungen auf die Antwort des Gerichtshofs haben.

111. Ebenso ist hier im Anschluss an das Urteil Reyners und wie schon oben bemerkt nochmals zu unterstreichen, dass sich der von uns so genannte negative Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nur dann auf einen Beruf als Ganzes erstrecken kann, wenn „die Tätigkeiten, die gegebenenfalls mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, einen [nicht] abtrennbaren Teil der betreffenden Berufstätigkeit insgesamt darstellen“(87). Weiter ist den Mitgliedstaaten und der Kommission darin beizupflichten, dass die Beurkundung ebenso wie ihre Wirkungen einen von der Gesamtheit der notariellen Tätigkeit nicht abtrennbaren Bestandteil bilden. Daher fiele, wenn sich bestätigt, dass diese Tätigkeit eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der öffentlichen Gewalt bedeutet, die notarielle Tätigkeit im Sinne des Berufs als Ganzem unter die Regelung des Art. 45 Abs. 1 EG.

112. In den sechs beklagten Staaten besteht die Aufgabe des Notars hauptsächlich in der Errichtung von Urkunden, die sich durch zwei Hauptmerkmale auszeichnen: volle Beweiskraft und Vollstreckbarkeit(88). Wählt man eine Beschreibung, die weitgehend für alle diese Staaten gilt, und erinnert sich der am Beginn der vorliegenden Schlussanträge gegebenen Darstellung, ist zu konstatieren, dass der Notar seine Urkundstätigkeit auf Ersuchen der Beteiligten ausübt und eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu errichtenden verbindlichen Urkunde vornimmt. Das Tätigwerden des Notars kann, je nach dem öffentlich zu beurkundenden Rechtsvorgang, obligatorisch oder fakultativ sein, und mit diesem Tätigwerden wird die Feststellung getroffen, dass alle für die Beurkundung rechtlich erforderlichen Voraussetzungen sowie die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Beteiligten gegeben sind(89).

113. Notarielle Urkunden besitzen eine volle Beweiskraft, die der von staatlichen Stellen errichteten Urkunden gleichkommt und nur vor den Gerichten widerlegt werden kann. Die Berichtigung der vom Notar vorgenommenen Beurteilung ist auf Rechtsbehelf hin möglich, aber nur in einem besonderen Verfahren der Überprüfung(90).

114. Sodann ist die notarielle Urkunde im gesamten Staatsgebiet vollstreckbar. Die Vollstreckung setzt daher nicht die Zustimmung des Schuldners (wohl aber die Zustellung der Urkunde) voraus, und ihre Einleitung obliegt unmittelbar dem dafür zuständigen Amtsträger. Der Schuldner, der der Vollstreckung widersprechen will, kann zu diesem Zweck eine Einwendung vor Gericht erheben(91).

b)               Die Zuordnung der Urkundstätigkeit zur Ausübung öffentlicher Gewalt

115. Die Antwort auf die Frage, die für die vorliegenden Vertragsverletzungsklagen eindeutig die wesentliche ist, ergibt sich nahezu von selbst aus den vorstehenden Überlegungen zu den Kriterien, nach denen die öffentliche Gewalt definiert werden kann. Ist nämlich eines der kennzeichnendsten Merkmale des modernen Staates seine Verknüpfung mit der Rechtsordnung, so kann die Eignung einer bestimmten Tätigkeit, die Gestaltung einer Rechtsordnung zu beeinflussen, entscheidend zur Findung dieser Antwort beitragen.

116. Wenn es mir gestattet ist, einige dieser Überlegungen zu rekapitulieren, so findet der Wille des Staates in den gerichtlichen Entscheidungen seinen endgültigen Ausdruck, der durch Urkunden, die je nach ihrem Urheber mehr oder minder unmittelbar vollstreckbar sind, vorweggenommen werden kann. Wir haben auch gesehen, dass gerade der Grad der Unmittelbarkeit dieser Vollstreckbarkeit das verlässlichste Kriterium bildet, um die öffentliche Gewalt zu identifizieren. Selbstverständlich kann jedem Vollstreckungsbegehren rechtlich widersprochen werden, und in diesem Fall ist es wiederum die Judikative, die die endgültige Entscheidung trifft. Denn diese der Judikative eigene befriedende Funktion kann anlässlich der Entscheidung über einen konkreten Rechtsstreit ausgeübt werden, insbesondere im Fall einander widerstreitender privater Ansprüche (typischerweise auf der Grundlage der Rechte der Einzelnen gegenüber ihresgleichen im bürgerlichen Rechtsverkehr).

117. Nun kann sich, und dies ist für unsere Zwecke besonders bedeutsam, eine bestimmte nationale Rechtsordnung auch dafür entscheiden, dem Konflikt sozusagen zuvorzukommen (und ihm so vorzubeugen). Und dies kann eben dadurch geschehen, dass bestimmten Handlungen und Verfügungen von Privatpersonen, die sonst keinen höheren Wert beanspruchen könnten als private Verhaltensweisen, ein öffentlicher Charakter (mit rechtlichem Beweiswert und unter Einschluss der Vollstreckbarkeit) beigelegt wird. Mit dieser öffentlichen Mitwirkung an den Handlungen Privater verleiht die öffentliche Gewalt diesen Sicherheit und Eindeutigkeit und befriedet dadurch den Rechtsverkehr. Davon bleibt offenkundig unberührt, dass die Möglichkeit der Befassung der Gerichte niemals ausgeschlossen ist, wenn der Konflikt letztlich doch entsteht(92). Etwas unpassend, jedoch sehr aussagekräftig ist diese antizipierte befriedende Funktion, wie sie für die notarielle Urkundstätigkeit typisch ist, als „vorsorgende Rechtspflege“ bezeichnet worden.

118. Anders ausgedrückt, die Notare üben in dem begrifflichen Kontext, der in den Nrn. 92 und 105 der vorliegenden Schlussanträge umrissen worden ist, mit der Beurkundung unmittelbar und spezifisch eine Tätigkeit mit öffentlichem Charakter in dem Sinne aus, dass sie damit Privatpersonen vorwegnehmend eine Ermächtigung erteilen, ihr eigenes Recht auszuüben, das sie andernfalls von Fall zu Fall einfordern müssten. Die Einschaltung eines Notars entbindet von der Notwendigkeit, eine andere öffentliche Stelle darum zu ersuchen, tätig zu werden, wenn der vom Notar beurkundete Vorgang geltend gemacht werden soll, und verleiht dadurch der Urkunde einen erhöhten, nämlich öffentlichen rechtlichen Wert, der nur vor Gericht in Frage gestellt werden kann (wie dies im Übrigen für jeden Akt der öffentlichen Gewalt gilt). Offenkundig ist nicht die Immunität gegenüber gerichtlicher Kontrolle, die es in einem Rechtsstaat nicht geben kann, die entscheidende Eigenschaft öffentlicher Gewalt, sondern die für ihre eigenen Handlungen geltende erhöhte Rechtmäßigkeitsvermutung und infolgedessen ein gewisses Anforderungsniveau, was die Voraussetzungen für deren Überprüfung angeht.

119. Es ist offensichtlich, dass der Notar weder Zwang ausübt noch einseitig Verpflichtungen auferlegt. Aber wie wir gesehen haben, ist dies nicht das einzige maßgebliche Kriterium für die Einordnung als öffentliche Gewalt. Die Beurkundung verleiht den Handlungen Privater öffentlichen Charakter in dem Sinne, dass sie ihnen vorwegnehmend einen rechtlichen Wert verleiht, für dessen Erlangung sich die Privaten ohne seine Mitwirkung notwendig an einen (anderen) Träger öffentlicher Gewalt hätten wenden müssen, um diese Handlungen rechtlich wirksam werden zu lassen. Es handelt sich, wenn man so will, um eine öffentliche Gewalt, die auf dem den Privatpersonen am nächsten gelegenen Gebiet tätig wird, dem – anders benannt – der Privatautonomie. Seine öffentliche Dimension ist jedoch unbestreitbar, bedenkt man seine Eignung, das bloß Private in Öffentliches zu verwandeln und ihm so die öffentlicher Gewalt innewohnende Durchsetzungskraft zu verleihen(93).

120. Eine andere Frage ist es, dass die notarielle Tätigkeit infolge ihrer, wenn man so will, nur schwächeren Verbindung mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im strikten Sinne (durch Verknüpfung mit den Befugnissen der souveränen Gewalt) weniger strengen Voraussetzungen unterliegen kann als die Tätigkeit von Hoheitsträgern, die in höherem Maße daran teilnehmen, der Souveränität Ausdruck zu geben.

121. Infolgedessen bin ich, soweit die Beurkundung dieser Funktion entspricht, der Auffassung, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, indem sie Handlungen, Verfügungen und Verhaltensweisen, die sonst nicht mehr rechtlichen Wert hätten als die Äußerung eines privaten Willens, eine eigene Qualität verleiht. Wendet man auf diese Schlussfolgerung das Urteil Reyners an, so ist, da die Beurkundung in allen beklagten Staaten den unabtrennbaren Kern der notariellen Tätigkeit darstellt, festzustellen, dass der Notarberuf allgemein und als Ganzes unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt.

122. Meiner Meinung nach gestattet jedoch diese Schlussfolgerung allein noch nicht die Entscheidung über den ersten Klagegrund, auf den die vorliegenden Vertragsverletzungsklagen gestützt sind.

4.      Das Staatsangehörigkeitserfordernis im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

123. Bis hierher hat die Analyse der funktionalen Seite des Notarberufs in den beklagten Staaten geführt. Jedoch hat die Kommission ihren Antrag auf Feststellung einer Vertragsverletzung auf ein konkretes Element der Rechtsstellung der Notare konzentriert, nämlich das Staatsangehörigkeitserfordernis. Es ist daher zu klären, ob die Einbezogenheit des Notarberufs in den „negativen Anwendungsbereich“ der Niederlassungsfreiheit zwingend die Rechtmäßigkeit des Staatsangehörigkeitserfordernisses nach sich zieht. Mit anderen Worten, es erscheint, wie bereits angekündigt, erforderlich, eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, in der die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit einerseits und der Grad der Verbundenheit der notariellen Tätigkeit mit der öffentlichen Gewalt andererseits gegeneinander abzuwägen sind.

a)      Die Rechtsstellung des Notars

124. Offensichtlich ist die Funktion mit einer Rechtsstellung verknüpft, und diese Rechtsstellung bestätigt die hinsichtlich der Funktion vorgenommene Einstufung. So ist der Notar der Träger eines öffentlichen Amtes, der den Staat repräsentiert, auch wenn seine Tätigkeit als freiberuflich betrachtet wird. Seine Bestellung zum Notar erfolgt auf Dauer und unterliegt einer Disziplinarregelung, wie sie für im Namen der öffentlichen Gewalt Tätige gilt(94).

125. Die funktionale Natur der Verbindung zwischen Notariat und Staat ist von besonderer Aussagekraft für die Verbundenheit mit der öffentlichen Gewalt. Es handelt sich dabei um eine Verknüpfung, die mit der Aufnahme der Tätigkeit entsteht, da insoweit ähnliche Zugangsanforderungen wie für die Beamtenschaft bestehen und ebenfalls ein Eid abzulegen ist. Die Rechtsstellung ist daher Ausdruck des institutionellen Charakters der zwischen Notar und Staat bestehenden Verbindung, und infolgedessen ermöglicht sie es dem Notar, durch sein Tätigwerden bei privaten Rechtsgeschäften den staatlichen Willen förmlich niederzulegen.

126. Wegen dieser Verbindung haben die beklagten Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen das Erfordernis der Staatsangehörigkeit jener vorgesehen, die Zugang zum Notarberuf begehren. Dieses Erfordernis, das zu einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führt und offensichtlich Teil der persönlichen Rechtsstellung dessen ist, der den Notarberuf ausübt, ist der Umstand, der nach Ansicht der Kommission gegen Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG verstößt und der, wie noch darzulegen sein wird, einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden muss.

b)      Die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Licht der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG

127. Wie bereits in den Nrn. 83 bis 86 dieser Schlussanträge dargelegt, ist für die Anwendung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG nicht nur zu prüfen, ob eine Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, sondern es ist weiter zu beurteilen, ob die gerügte staatliche Maßnahme im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Rechtfertigung in den mit den beiden Bestimmungen verfolgten Zielen findet.

128. Insoweit ist erstens hervorzuheben, dass Art. 45 Abs. 1 EG trotz seiner, wie wir sehen konnten, möglichen „spontaneren“ Auslegung und trotz des Umstands, dass die Rechtsprechung möglicherweise auf das Gegenteil hinzudeuten scheint(95), keinerlei Bezugnahme auf die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält. Die Verbindung, die in überkommener Weise zwischen Art. 45 Abs. 1 EG und den Staatsangehörigkeitserfordernissen hergestellt wird, ist daher mit Vorsicht zu beurteilen, denn es handelt sich um eine Verbindung, die sich lediglich aus den bisher vom Gerichtshof entschiedenen Rechtssachen ergeben hat, nicht aber um einen notwendigen Nexus zwischen beidem(96). Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass zwar Art. 45 Abs. 1 EG eine Bestimmung ist, die seit ihrer Erstfassung unverändert geblieben ist, dass sich aber der Vertrag tiefgreifend verändert hat. Konnte das erste Verständnis des Art. 45 Abs. 1 EG an der Staatsangehörigkeit orientiert sein, so kann die Umgestaltung, die die Gründungsverträge in den letzten zwanzig Jahren erlebt haben, nicht zu dem etwas voreiligen Schluss führen, dass die Bestimmung notwendig bedeutete, dass die Mitgliedstaaten ohne Weiteres Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit einzuführen berechtigt wären.

129. Zweitens braucht kaum betont zu werden, dass eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht irgendeine Maßnahme ist, deren Ergebnis sich in der bloßen Behinderung der Verkehrsfreiheiten erschöpft. Ganz im Gegenteil hat diese Form der Diskriminierung für das Unionsrecht eine ganz besondere Dimension, denn sie ist, um damit zu beginnen, die schärfste Ausdrucksform des nationalen Protektionismus(97). In einer Union, die die Schaffung eines Marktes ohne Binnengrenzen proklamiert, bildet das Bestehen von unmittelbaren Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit eine Negation des Integrationsgedankens selbst. Dieser Ausnahmecharakter tritt noch schärfer hervor, wenn man bedenkt, dass sich die Union auf die Gewährleistung der Grundrechte verpflichtet hat, insbesondere die des Gleichheitsgrundsatzes im Sinne der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte(98). Eine Union des Rechts, die die Einhaltung der Grundrechte garantiert, muss daher zwangsläufig ein Auslegungsergebnis in Frage stellen, das eine Form von Diskriminierung zur Folge hat, die bereits als solche gravierend ist, jedoch darüber hinaus den elementarsten Grundsätzen des Binnenmarkts zuwiderläuft. Dies wird in Art. 12 EG mit den Worten zum Ausdruck gebracht, dass „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“ ist, und dies ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt worden, die solche Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten wiederholt für unzulässig erklärt hat. Es lässt sich daher sagen, dass unter allen Gründen für eine Diskriminierung, die das Unionsrecht verbietet, die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit eine besonders schwerwiegende ist(99).

130. Es ist deshalb unumgänglich, die Reichweite der Ausnahmewirkung der aus Art. 43 und Art. 45 Abs. 1 EG folgenden Regelung im Hinblick auf den übrigen Vertrag und insbesondere mehrere seiner grundlegenden Prinzipien zu erörtern.

131. Wie gesagt verbietet der Vertrag Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 12 EG(100). Das Ergebnis einer kombinierten Anwendung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG kann jedoch grundsätzlich darin bestehen, dass ein Staat in Bezug auf natürliche Personen rechtmäßig eine Maßnahme erlässt, die eine derartige Diskriminierung mit sich bringt. Hilfsweise ließe sich geltend machen, dass in einem solchen Fall Art. 18 EG anzuwenden ist, der im Fall der Nichtanwendbarkeit der wirtschaftlichen Freiheiten die Freizügigkeit der Personen gewährleistet. Diese Bestimmung gilt aber bekanntlich „vorbehaltlich der [im] Vertrag … vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“, und zu diesen Beschränkungen gehört eindeutig auch Art. 45 Abs. 1 EG(101).

132. Es ist daher festzustellen, dass die Mitgliedstaaten, wenn eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in den negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, ermächtigt bleiben, vom Unionsrecht ausnahmsweise abzuweichen, ohne dass grundsätzlich eine andere Bestimmung der Verträge erlaubte, die Maßnahme in Frage zu stellen.

133. Dieses Ergebnis, das Art. 12 EG eine Stellung der Unterordnung im Verhältnis zu anderen Vertragsbestimmungen zuweist, erscheint mir fragwürdig. Dass Art. 12 EG Bedingungen unterliegt, bedeutet umgekehrt nicht, dass es sich um eine subsidiäre Norm handelte. Seine systematische Stellung im Vertrag sowie die Bedeutung, die der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Unionsrecht besitzt, gebieten es, die Bestimmung eher als eine panoptische Norm aufzufassen denn als eine subsidiäre Norm im Sinne ihrer automatischen Verdrängung durch andere, speziellere Bestimmungen des Vertrags. Im Übrigen scheint der Gerichtshof in jüngerer Zeit dieser Auslegung zuzuneigen(102). Der bloße Umstand, dass eine Tätigkeit im Licht der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG dahin zu beurteilen ist, dass sie in den negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, bedeutet daher nicht notwendig, dass sie von einer systematischen Auslegung im Licht des Art. 12 EG ausgenommen wäre.

134. Diese Auslegung wird zusätzlich durch die Überlegung gestützt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Tätigkeit wie die des Notars als mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden erscheint, andere Bestimmungen des Vertrags auf diese Tätigkeit weiterhin anwendbar bleiben. Dies gilt insbesondere für Art. 86 EG, dem zufolge die Mitgliedstaaten über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln in Bereichen wachen müssen, in denen öffentliche Dienstleistungspflichten bestehen(103). Stellt der Gerichtshof fest, dass eine Tätigkeit in den Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 1 EG fällt, heißt dies nicht notwendig, dass sie gegen die Wettbewerbsregeln der Art. 81 und 82 EG abgeschirmt wäre(104). Das Gleiche gilt für die Rechtsgrundlagen der Politiken der Union, die die Organe keineswegs am Erlass von Verordnungen oder Richtlinien in Bereichen hindern, die unter dem Gesichtspunkt der Freiheiten von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Dies wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, der beispielsweise entschieden hat, dass die notarielle Tätigkeit der Mehrwertsteuer unterliegt, da der Notar mit der freiberuflichen Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mehrwertsteuerpflichtig ist, „gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis“ er diese Tätigkeit selbständig ausübt(105). In der Rechtssache Kommission/Niederlande hat der Gerichtshof nämlich zum einen befunden, dass die notarielle Tätigkeit öffentlichen Charakter hat, und zum anderen für den speziellen Kontext der indirekten Besteuerung festgestellt, dass die Notare diese Tätigkeit nicht in der Eigenschaft als Organ des öffentlichen Rechts wahrnehmen, denn „[d]a sie nicht in die öffentliche Verwaltung eingegliedert sind, verrichten sie diese Tätigkeiten nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts, sondern üben sie in Form einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen eines freien Berufs aus“(106).

135. Dass eine Tätigkeit mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist, entbindet die Mitgliedstaaten eindeutig nicht von der Einhaltung des Unionsrechts. Diese Verpflichtung, die im vorliegenden Fall die notarielle Tätigkeit und damit eine aus natürlichen Personen bestehende Gruppe betrifft, ist in besonderem Maße zu berücksichtigen, wenn eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliegt. Da es sich zum einen um natürliche Personen und zum anderen um Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit handelt, gebietet die vorliegende Sache unabweisbar auch eine Betrachtung des Problems im Licht der Unionsbürgerschaft.

136. Seit 1992 haben sowohl die Verträge als auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs dazu beigetragen, zwischen dem Individuum und der Union ein direktes und weiter in Entwicklung begriffenes Band der Unionsbürgerschaft zu schaffen(107). Bekanntlich entsteht diese Beziehung über die Staatsbürgerschaft jedes Mitgliedstaats, was nicht bedeutet, dass es sich um eine überlagernde Bürgerschaft handelte, sondern im Gegenteil: Es handelt sich um einen Status, der als Folge aus dem nationalen Status entsteht, sich jedoch, einmal geschaffen, ausweitet und selbständig Rechte und Pflichten hervorbringt, ohne dass die Mitgliedstaaten zuwiderlaufende Bestimmungen erlassen dürfen. Diese Autonomie ist vom Gerichtshof kürzlich in der Rechtssache Rottmann mit der Feststellung bestätigt worden, dass die Mitgliedstaaten nicht die Verbindung zwischen dem Bürger und der Union beeinträchtigen dürfen, indem sie ihm ungerechtfertigt die nationale Staatsangehörigkeit entziehen. Infolgedessen fällt eine nationale Maßnahme, die „zum Verlust des durch Art. 17 EG verliehenen Status und der damit verbundenen Rechte führen kann, ihrem Wesen und ihren Folgen nach unter das Unionsrecht“(108).

137. Überdies stellt sich die Unionsbürgerschaft nicht nur als eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Bürger und der Union dar, sondern als eine Sphäre von Beziehungen zwischen dem Bürger und allen Mitgliedstaaten. Dieser Aspekt der Bürgerschaft gewährleistet jedem Staatsangehörigen das Recht auf Freizügigkeit im Unionsgebiet ebenso wie das Recht, in jedem Mitgliedstaat seinen Wohnsitz zu nehmen. Das Band mit der Union entfaltet damit eine horizontale Wirkung gegenüber allen nationalen Behörden, die sich des Erlasses von Maßnahmen enthalten müssen, die die Freizügigkeit vereiteln oder erschweren, selbst wenn die Maßnahme die eigenen Staatsangehörigen des betreffenden Staates betrifft(109). Mit Blick hierauf hat der Gerichtshof die Tragweite des Art. 18 EG gestärkt, indem er ihm zunächst unmittelbare Wirkung zugeschrieben(110) und sodann eine einschlägige Rechtsprechung entwickelt hat, die den Status der mobilen Bürgerschaft selbst in Situationen mit Inhalt gefüllt hat, in denen der Einzelne keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt(111) oder die Maßnahme Familienangehörige betrifft, die aus Drittstaaten stammen(112).

138. Ein Staatsangehörigkeitserfordernis, das natürliche Personen betrifft und unter dem behaupteten Schutz des negativen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit in Geltung gesetzt wird, ist vor allem als eine Maßnahme einzustufen, die sich auf die Unionsbürgerschaft auswirkt. Und zwar insofern, als sie den Entstehungstatbestand der Unionsbürgerschaft, die nationale Staatsangehörigkeit, als Grund für die Versagung des Zugangs zu Tätigkeiten verwendet, die im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhaben. Nach den Verträgen kann es jedoch nur unter ganz besonderen Umständen – die, wie wir sehen werden, im vorliegenden Fall nicht gegeben sind – zulässig sein, dass der konstituierende Grund der Unionsbürgerschaft als Grund für eine Ausnahme von einem Recht fungiert, das eng mit dem Status der Unionsbürgerschaft verknüpft ist. Indem sie eine transnationale Dimension annimmt, überwölbt die Unionsbürgerschaft die bestehende Gemeinschaft von Staaten und Individuen, die eine Reihe von Werten, ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen und eine Solidaritätspflicht teilen. Wird mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats der Einzelne in diese Gemeinschaft von Werten, des Vertrauens und der Solidarität aufgenommen, so erwiese es sich als paradox, wenn ausgerechnet die Zugehörigkeit zu dieser den Unionsbürger daran hinderte, die vom Vertrag gewährleisteten Rechte und Freiheiten wahrzunehmen.

139. Nach alledem ist festzustellen, dass eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit eine Maßnahme ist, die ihrem Wesen nach einen gravierenden Eingriff in die Sphäre des Unionsbürgers darstellt, welche nur nach einer strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die das Vorliegen sehr gewichtiger Gründe des Allgemeininteresses impliziert, unter dem Blickwinkel der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG zulässig wäre.

c)      Die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit

140. Schließlich ist, wie bereits ausgeführt, bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der aus Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG folgenden Regelung zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß die fragliche Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt. Im vorliegenden Fall nimmt die notarielle Tätigkeit, wie ich in den Nrn. 115 bis 121 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, an der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG zwar teil, tut dies aber, wie sich aus der ihr eigenen Ausgestaltung als eine wirtschaftliche Tätigkeit ergibt, mit nur geringerem Intensitätsgrad als andere Tätigkeiten, wie jene, die die unmittelbare Ausübung öffentlicher Befugnisse voraussetzen. Daher sind die Mitgliedstaaten befugt, im Bereich der genannten Freiheiten Maßnahmen zu erlassen, die sie für angezeigt halten, jedoch müssen sie dabei stets eine Verhältnismäßigkeit mit den verfolgten Zwecken und Zielen wahren. Im Licht des Vorbringens der beklagten Staaten steht zwar außer Zweifel, dass der Notarberuf mit Garantien und Besonderheiten ausgestattet ist, die seine Bedeutung im privatrechtlichen Rechtsverkehr deutlich werden lassen, aber ebenso steht fest, dass keine dieser Besonderheiten es rechtfertigt, dass die Rechtsstellung der diesen Beruf ausübenden Personen eine so schwerwiegende und drastische Maßnahme einschließt wie die hier vorliegende unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

141. Die beklagten Staaten haben insbesondere unter diesem Gesichtspunkt die Bedeutung des Eides hervorgehoben, den die Notare vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit ablegen. Sie machen geltend, dass diese Erklärung die enge Verbindung zum Ausdruck bringe, die zwischen dem Notar und dem Staat bestehe, der diesem öffentliche Befugnisse übertrage. Es handele sich dabei um eine Verbindung, in der sich die Loyalität des Einzelnen gegenüber einer gegebenen politischen Gemeinschaft äußere und die sich im vorliegenden Fall in der Form eines Staatsangehörigkeitserfordernisses niederschlage. Die beklagten Staaten haben wiederholt die Bedeutung dieser Verbindung unterstrichen, und im konkreten Fall Luxemburgs ist geltend gemacht worden, dass das Staatsangehörigkeitserfordernis als Zugangsvoraussetzung des Notarberufs dem Schutz der Verfassungsidentität des Großherzogtums diene.

142. Der Begriff der Loyalität als Ausdruck der Verpflichtung und der Solidarität der politischen Gemeinschaft kann jedoch nicht als ein ausschließliches und ausschließendes Kennzeichen der Mitgliedstaaten als solcher in der Weise angesehen werden, dass er unumgänglich das Band der Staatsangehörigkeit erforderte. Vielmehr ist dem Unionsbürger als solchem eine Loyalitätsverpflichtung gegenüber der Union nicht fremd. Eine Prämisse, wonach ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats kein anderes Mittel fände, eine legitime Loyalitätspflicht gegenüber einem anderen Mitgliedstaat zum Ausdruck zu bringen, als die vorherige Annahme der Staatsangehörigkeit dieses letzteren Mitgliedstaats, würde in bemerkenswertem Ausmaß sowohl die Art. 17 und 18 EG als auch die sich aus den Verträgen ergebenden politischen Bürgerrechte sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Frage stellen.

143. Die von der Union erlassenen Instrumente der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 44/2001(113), stützen diese Überlegung. Der Notar übt mit seiner Intervention eine Tätigkeit öffentlicher Art mit Wirkungen aus, die automatisch in allen Staaten der Union anerkannt werden. Das Bestehen eines hohen Maßes an Vertrauen sowie die Gemeinschaft von Werten und Grundsätzen, auf der die Union beruht, verwandeln den Notar in einen Amtsträger nicht nur des betreffenden Staates, sondern der Union. Diese Verleihung einer im gesamten Bereich der Union wirksamen Autorität spiegelt eine Loyalitätspflicht wider, die komplexer ist als die lediglich zwischen dem Staatsangehörigen und seinem Staat bestehende. Der Notar fügt sich damit in einen Rahmen ein, in dem sich die Loyalität sowohl auf den Staat, der diese Autorität verleiht, als auch auf die Union, die sie übernimmt, und ebenso auf alle anderen Mitgliedstaaten erstreckt.

144. Ist in dem europäischen Integrationsprozess ein Moment erreicht, in dem die Unionsbürger dort, wo sie wohnen, zur Teilnahme an den nationalen demokratischen Entscheidungsprozessen berechtigt sind, wie es beim kommunalen Wahlrecht der Fall ist, oder im legislativen Bereich Bürgerinitiativen auf europäischer Ebene einleiten können, kann sich der Begriff der Loyalität nicht mehr allein und zwingend auf die Staatsangehörigen des eigenen Staates beziehen. Versteht man Loyalität als eine Bindung in der Wahrnehmung von Rechten und Pflichten, die den Bürger mit dem Mitgliedtaat und mit der Union eint, halte ich es unter den Umständen des vorliegenden Falles weder für erforderlich noch für gerechtfertigt, ein Staatsangehörigkeitsband zu dem Mitgliedstaat zu verlangen, um dieser Verantwortung Ausdruck zu verleihen.

145. Eine besondere Erwähnung verdient auf jeden Fall die Funktion des Gerichtskommissärs, die die Notare insbesondere in Österreich ausüben. Auch wenn es sich gewiss so verhält, dass der Notar in Ausübung dieser Funktionen bindende Einzelfallentscheidungen erlassen kann, steht doch ebenfalls fest, dass es sich dabei um eine akzessorische Funktion handelt, die überdies im Wesentlichen auf Erbschaftsangelegenheiten beschränkt ist. Zudem handelt der als Gerichtskommissär tätige Notar, wie der Vertreter der österreichischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, freiberuflich und nicht als Beamter, was grundsätzlich darauf hinweist, dass es sich um eine dem Wettbewerb ausgesetzte Funktion handelt. Daher rechtfertigt es im Licht der im Verfahren vorgebrachten Gesichtspunkte auch der Umstand, dass der österreichische Notar Aufgaben eines Gerichtskommissärs wahrnimmt, nicht, eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unter den Schutz der aus Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG folgenden Regelung zu stellen.

5.      Ergebnis hinsichtlich des ersten Klagegrundes

146. Im Ergebnis erweist sich eine Maßnahme wie die von der Kommission gerügte, mit der ein Staatsangehörigkeitserfordernis begründet wird, somit als unverhältnismäßig, da sie nicht erforderlich ist, um die Zwecke zu erreichen, die jeder Staat mit dem Ausschluss der notariellen Tätigkeit vom Bereich der Niederlassungsfreiheit verfolgt. Obgleich es sich um eine Tätigkeit handelt, die an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt und darum in den negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, bin ich deshalb in Anbetracht der konkreten Gegebenheiten des Notarberufs der Auffassung, dass die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG eine staatliche Maßnahme, die Personen, die Zugang zu diesem Beruf wünschen, aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminieren, nicht zulassen. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die notarielle Tätigkeit, so wie sie sich in den beklagten Staaten entfaltet, zwar in den negativen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG fällt, jedoch, da unverhältnismäßig, kein Staatsangehörigkeitserfordernis als Bestandteil der notariellen Rechtsstellung zulässt, weil ein solches nach dem Intensitätsgrad, mit dem diese Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt, nicht erforderlich ist. Folglich greift der erste Klagegrund eines Verstoßes gegen die Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG durch.

B –    Zum zweiten Klagegrund

147. Die Kommission wirft den beklagten Staaten mit Ausnahme der Französischen Republik einen Verstoß gegen die Richtlinie 2005/36 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vor, der darin liege, dass sie diese Richtlinie hinsichtlich der notariellen Tätigkeit nicht umgesetzt hätten.

148. Wie dargelegt, fällt der Notarberuf, wie die Auslegung der Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG ergeben hat, in den „negativen Anwendungsbereich“ der Niederlassungsfreiheit. Wie ich weiter ausgeführt habe, impliziert dieses Ergebnis nicht notwendig, dass die Mitgliedstaaten die Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht erfüllen müssten. Jedoch bestehen im Fall der Richtlinie 2005/36 erhebliche Zweifel an ihrer Anwendbarkeit auf den Notarberuf.

149. Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens ist es Sache der Kommission, nachzuweisen, dass der beklagte Staat gegen das Unionsrecht verstoßen hat. Die Kommission hat jedoch, wie sich in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, lediglich die Nichtumsetzung der Richtlinie 2005/36 in der vorgeschriebenen Frist geltend gemacht, während die Mitgliedstaaten nicht nur die Anwendbarkeit des Art. 45 Abs. 1 EG, sondern auch die im 41. Erwägungsgrund der Richtlinie niedergelegte Ausnahmeregel für den Notarberuf angeführt haben.

150. Laut dem 41. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 „berührt [diese] nicht die Anwendung des Art. 39 Abs. 4 und des Art. 45 des Vertrags, insbesondere auf Notare“. Trotz der Unklarheit dieser Formulierung will der Gesetzgeber damit offenbar implizit zu verstehen geben, dass die Antwort auf die Frage, ob der Notarberuf unter Art. 45 Abs. 1 EG fällt, die Antwort auf die Frage nach sich zieht, ob die Richtlinie auf diesen Beruf anwendbar ist. Aus der Prozessstrategie der Kommission, die lediglich aus der Perspektive des Art. 45 Abs. 1 EG argumentiert hat, ist offenbar zu folgern, dass sie mit der im zitierten Erwägungsgrund enthaltenen Aussage einig ist. Angesichts der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erstgenannte Frage hätte die Kommission darum weiter zur Erstreckung der Richtlinie auf den Notarberuf vortragen müssen. Ihr einziges, auf einer Auslegung des Begriffs „öffentliche Gewalt“ in Art. 45 Abs. 1 EG beruhendes Argument ist damit nämlich entkräftet. Unter diesen Umständen ist offensichtlich, dass die Kommission kein stichhaltiges Argument vorgebracht hat, dass es ermöglichte, den zweiten Klagegrund als begründet anzusehen.

151. Deshalb erachte ich den zweiten Klagegrund, nachdem die Kommission nicht dargetan hat, dass die Mitgliedstaaten den Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/36 im Hinblick auf die notarielle Tätigkeit hätten nachkommen müssen, für unbegründet.

VI – Kosten

152. Nach Art. 69 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann „[d]er Gerichtshof … die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt“. Da einer der beiden Klagegründe durchgreift, empfehle ich dem Gerichtshof im Interesse einer gerechten Verteilung der den Parteien in diesem Verfahren entstandenen Kosten, der Europäischen Kommission, dem Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Hellenischen Republik jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

153. Was die Vertragsverletzungsklage gegen die Französische Republik anbelangt, ist Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung heranzuziehen, wonach die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist. Da das einzige Verteidigungsmittel der Französischen Republik nicht durchgreift, sind ihr, wie von der Kommission beantragt, die Kosten aufzuerlegen.

154. Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Republik Litauen, Rumänien, die Republik Bulgarien, die Republik Polen, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Slowenien, die Republik Österreich, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, die Republik Ungarn, die Republik Lettland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

VII – Ergebnis

155. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

in der Rechtssache C‑47/08

1.      festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass es eine Regelung wie die des Art. 35 Abs. 3 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI in der durch das Gesetz vom 4. Mai 1999 geänderten Fassung erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf belgischen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      die Klage im Übrigen abzuweisen;

3.      der Kommission und dem Königreich Belgien jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen;

4.      auszusprechen, dass die Republik Litauen, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, die Republik Ungarn, die Republik Lettland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

in der Rechtssache C‑50/08

1.      festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass sie eine Regelung wie die des Art. 3 des Dekrets vom 5. Juli 1973 in der durch das Dekret 89-399 vom 20. Juni 1989 geänderten Fassung erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf französischen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen;

3.      auszusprechen, dass die Republik Litauen, Rumänien, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, die Republik Ungarn, die Republik Lettland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Republik Bulgarien, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

in der Rechtssache C‑51/08

1.      festzustellen, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass es eine Regelung wie die des Art. 15 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976 erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf luxemburgischen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      die Klage im Übrigen abzuweisen;

3.      der Kommission und dem Großherzogtum Luxemburg jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen;

4.      auszusprechen, dass die Republik Litauen, die Tschechische Republik, die Republik Polen, die Slowakische Republik, die Republik Ungarn, die Republik Lettland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

in der Rechtssache C‑53/08

1.      festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass sie eine Regelung wie die des § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Notariatsordnung (RGBl. Nr. 75/1871) in der durch Gesetz BGBl. I Nr. 164/2005 geänderten Fassung erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf österreichischen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      die Klage im Übrigen abzuweisen;

3.      der Kommission und der Republik Österreich jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen;

4.      auszusprechen, dass die Republik Slowenien, die Republik Litauen, die Tschechische Republik, die Republik Polen, die Republik Ungarn, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Slowakische Republik, die Republik Lettland, die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

in der Rechtssache C‑54/08

1.      festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass sie eine Regelung wie die des § 5 der Bundesnotarordnung in der durch das Gesetz vom 26. März 2007 geänderten Fassung erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf deutschen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      die Klage im Übrigen abzuweisen;

3.      der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen;

4.      auszusprechen, dass die Republik Slowenien, die Republik Litauen, die Tschechische Republik, die Republik Polen, die Republik Ungarn, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Republik Estland, die Slowakische Republik, die Republik Österreich, die Republik Lettland, die Republik Bulgarien und die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.

in der Rechtssache C‑61/08

1.      festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass sie eine Regelung wie die des Art. 19 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 2830/2000 erlassen hat, mit der der Zugang zum Notarberuf griechischen Staatsangehörigen vorbehalten wird;

2.      die Klage im Übrigen abzuweisen;

3.      der Kommission und der Hellenischen Republik jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen;

4.      auszusprechen, dass die Republik Litauen, die Republik Slowenien, die Slowakische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Tschechische Republik und die Französische Republik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 (ABl. L 255, S. 22), mit der die Richtlinie 89/48/EWG (ABl. 1989, L 19, S. 16) aufgehoben wurde.


3 – Die vorliegenden Vertragsverletzungsklagen sind nicht die einzigen, die die Kommission auf dieser Grundlage erhoben hat. So ist der Gerichtshof derzeit auch mit Klagen gegen Portugal (C‑52/08) und die Niederlande (C‑157/09) befasst.


4 – Schon hier sei darauf hingewiesen, dass das von den vorliegenden Klagen betroffene Notariat lateinischer Prägung, obgleich in Europa nach wie vor das am weitesten verbreitete, in der Europäischen Union neben anderen Formen des Notariats besteht, deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 1 EG in den vorliegenden Rechtssachen nicht in Frage steht, sei es, weil das Notariat vollständig in die öffentliche Verwaltung eingegliedert ist, sei es, weil seine Tätigkeit nicht die eigentliche Beurkundungsfunktion im hier zugrunde gelegten Sinne umfasst. Schließlich ist die Situation in Europa in den letzten Jahren dadurch noch uneinheitlicher geworden, dass manche Staaten, die am Notariat lateinischer Prägung festhalten, das Staatsangehörigkeitserfordernis aufgehoben haben (Italien, Spanien).


5 –      Es ist darauf hinzuweisen, dass ungeachtet des Umstands, dass sich alle Verfahrensbeteiligten in den gesamten Vertragsverletzungsverfahren ohne weitere Präzisierung auf Art. 45 EG bezogen haben, die in Wirklichkeit in Bezug genommene Vorschrift durchgehend die im ersten der beiden Absätze dieses Artikels enthaltene ist, also diejenige, die den Anwendungsbereich dieser Freiheit „negativ“ durch ihre Nichterstreckung auf Tätigkeiten umgrenzt, die an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhaben. In einem ganz anderen Sinne betrifft der zweite Absatz Fallgruppen von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die zwar an der Ausübung öffentlicher Gewalt nicht teilnehmen, aber gleichwohl durch Vorschriften des abgeleiteten Rechts aus dem Bereich der Niederlassungsfreiheit gleichsam „verbannt“ werden „können“. Hierauf wird später zurückzukommen sein.


6 – Art. 19 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


7 – Art. 9 § 1 Abs. 3 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


8 – Das für notarielle Urkunden geltende Verfahren der „inscription en faux“ ist für das Gebiet des Zivilrechts in Art. 895 der belgischen Gerichtsordnung geregelt.


9 – Art. 19 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


10 – Art. 1395 und 1396 der belgischen Gerichtsordnung.


11 – Art. 1 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


12 – Art. 108 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


13 – Art. 1 der Ordonnance Nr. 45-2590 vom 2. November 1945, Art. 1319 des Zivilgesetzbuchs (Code civil) und Art. 19 des Gesetzes vom 25. Ventôse des Jahres XI.


14 – Schenkungen, Eheverträge, Hypotheken, Verkäufe mit Wirkung in der Zukunft u. a.


15 – Vgl. das Gesetz vom 25. Ventôse des Jahres XI und besondere Bestimmungen wie Art. 850 des Steuergesetzbuchs (Code général des impôts).


16 – Vgl. Art. 1 des Gesetzes 94-665 vom 4. August 1994 sowie die Ordonnance de Villers-Cotterêts von 1539, die noch heute gilt und mit der die Pflicht zur Verwendung der französischen Sprache in amtlichen Schriftstücken begründet wurde.


17 – Art. 299 der Zivilprozessordnung.


18 – Art. 306 und 314 der Zivilprozessordnung.


19 – Das Monopol der „huissiers“ für die Vollstreckung von vollstreckbaren Urkunden und Titeln ergibt sich aus Art. 18 der Zivilprozessordnung.


20 – Gesetz 91-650 vom 9. Juli 1991.


21 – Den öffentlichen Charakter der notariellen Tätigkeit hat der französische Conseil d’État in seinem Urteil vom 9. Juni 2006 (Nr. 280911) bestätigt, in dem er die Anwendbarkeit von Art. 45 Abs. 1 EG auf den Notarberuf festgestellt hat, wenngleich ohne Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof.


22 – Art. 1 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976.


23 – Art. 37 und 45 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976.


24 – Vgl. z. B. das Gesetz vom 25. September 1905 betreffend die Überschreibung der dinglichen Immobiliarrechte.


25 – Großherzogliche Verordnung vom 7. Oktober 2000.


26 – Art. 310 ff. der Neuen Zivilprozessordnung.


27 – Art. 6 des Gesetzes vom 9. Dezember 1976.


28 – § 292 der Zivilprozessordnung und § 3 der Notariatsordnung (RGBl. Nr. 75/1871).


29 – § 5 der Notariatsordnung.


30 – § 292 der Zivilprozessordnung.


31 – Bewilligungs- und Exekutionsgericht, vgl. §§ 17 ff. der Exekutionsordnung vom 27. Mai 1896 (RGBl. Nr. 79/1896).


32 – §§ 35 bis 37 der Exekutionsordnung.


33 – §§ 1 und 20 Abs. 1 der Bundesnotarordnung (BGBl. I S. 97).


34 – §§ 415, 794 Abs. 1 Nr. 5 und 797 Abs. 2 der Zivilprozessordnung.


35 – Vgl. zu diesem Begriff § 1 der Bundesnotarordnung.


36 – § 14 Abs. 2 der Bundesnotarordnung.


37 – § 15 Abs. 1 der Bundesnotarordnung.


38 – § 14 Abs. 1 Satz 2 der Bundesnotarordnung.


39 – Vgl. u. a. die Fälle des Schenkungsversprechens (§ 518 BGB), des Ehevertrags (§ 1408 BGB) und des Erbverzichts (§ 2346 BGB).


40 – § 415 Abs. 2 der Zivilprozessordnung.


41 – § 794 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung.


42 – Es gibt insoweit verschiedene staatliche Stellen, u. a. den Gerichtsvollzieher, das Vollstreckungsgericht, das Prozessgericht und das Grundbuchamt.


43 – §§ 732 und 797 Abs. 3 der Zivilprozessordnung.


44 – § 1 der Bundesnotarordnung.


45 – Hier ist der Notar ein Amtsträger, der der öffentlichen Verwaltung eingegliedert ist.


46 – § 17 der Bundesnotarordnung.


47 – §§ 10a und 11 der Bundesnotarordnung.


48 – Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 2830/2000.


49 – Dies gilt beispielsweise für die Gründung von Gesellschaften, Schenkungen unter Lebenden oder die Übereignung von Immobilien.


50 – Art. 438 des Gesetzes Nr. 2830/2000.


51 – Art. 933 ff. des Gesetzes Nr. 2830/2000.


52 – Urteil vom 11. Juli 1995, Kommission/Spanien (C‑266/94, Slg. 1995, I‑1975, Randnrn. 17 und 18).


53 – Vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien (C‑365/97, Slg. 1999, I‑7773, Randnr. 36), und vom 5. Juni 2003, Kommission/Italien (C‑145/01, Slg. 2003, I‑5581, Randnr. 17).


54 – Vgl. Tomuschat, C., „Der Vorbehalt der Ausübung öffentlicher Gewalt in den Berufsfreiheitsregelungen des EWG-Vertrages und die freie Advokatur im Gemeinsamen Markt“, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1967, S. 53 ff.


55 – Art. 46 Abs. 1 EG. Diese Bestimmung ist vom Gerichtshof, wie sich einer umfangreichen Rechtsprechung entnehmen lässt, im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung von Fall zu Fall ausgelegt worden. Vgl. in der jüngeren Rechtsprechung u. a. Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Randnrn. 61 ff.), und vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz (C‑452/04, Slg. 2006, I‑9521, Randnr. 46). Zu dem Grundsatz und seiner Rolle als Abwägungsregel im Rahmen der Freiheiten vgl. auch Tridimas, T., The General Principles of EU Law, 2. Aufl., Oxford 2006, S. 193, und Galetta, D.‑U., Principio di proporzionalità e sindacato giurisdizionale nel diritto amministrativo, Mailand 1998, S. 103.


56 – Vgl. statt aller Henssler, M./Filian, M., „Die Ausübung hoheitlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 EG“, Europarecht 2005, S. 192 ff..


57 – Vgl. die in Fn. 55 angeführte Rechtsprechung.


58 – Urteil vom 21. Juni 1974, Reyners (2/74, Slg. 1974, 631).


59 – Ebd., Randnr. 47.


60 – Ebd., Randnr. 45.


61 – Urteil vom 15. März 1988, Kommission/Griechenland (147/86, Slg. 1988, 1637, Randnr. 8).


62 – Urteil Reyners, Randnr. 49.


63– Die Bundesrepublik Deutschland meint, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Oktober 1994, Van Schaik (C‑55/93, Slg. 1994, I‑4837), zu dem Schluss gekommen sei, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnehme. In diesem Urteil, und zwar in seiner Randnr. 16, ist festgestellt worden, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Ermächtigung von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Werkstätten zur Erteilung von Betriebserlaubnissen die Ausdehnung einer Befugnis der öffentlichen Gewalt über das nationale Hoheitsgebiet hinaus bedeutet. Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es die Befugnis zur Erteilung von Betriebserlaubnissen und nicht die erlaubte wirtschaftliche Tätigkeit war, die an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnahm.


64 – Urteil Reyners.


65 – Urteil Kommission/Griechenland.


66 – Urteil vom 5. Dezember 1989, Kommission/Italien (C‑3/88, Slg. 1989, 4035).


67 – Urteil vom 13. Juli 1993, Thijssen (C‑42/92, Slg. 1993, I‑4047).


68 – Urteil vom 22. Oktober 2009, Kommission/Portugal (C‑438/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), und Urteil Van Schaik.


69 – Urteil vom 26. April 1994, Kommission/Italien (C‑272/91, Slg. 1994, I‑1409).


70 – Urteile vom 29. Oktober 1998, Kommission/Spanien (C‑114/97, Slg. 1998, I‑6717), vom 9. März 2000, Kommission/Belgien (C‑355/98, Slg. 2000, I‑1221), vom 31. Mai 2001, Kommission/Italien (C‑283/99, Slg. 2001, I‑4363), und vom 13. Dezember 2007, Kommission/Italien (C‑465/05, Slg. 2007, I‑11091).


71 – Urteil vom 29. April 2010, Kommission/Deutschland (C‑160/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


72 – Urteile vom 29. November 2007, Kommission/Deutschland (C‑404/05, Slg. 2007, I‑10239), und vom 29. November 2007, Kommission/Österreich (C‑393/05, Slg. 2007, I‑10195).


73 – Das bedeutet nicht, dass der Gerichtshof zu den möglicherweise unter Art. 45 Abs. 1 EG fallenden Tätigkeiten geschwiegen hätte, wie etwa das bereits angeführte Urteil Van Schaik zeigt, oder gar zu dem die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffenden Art. 39 Abs. 4, für den sich als obiter dicta klare Hinweise auf Tätigkeiten finden, die an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnehmen könnten, vgl. etwa für die Polizei und Urkundspersonen Urteil vom 30. September 2003, Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española (C‑405/01, Slg. 2003, I‑10391).


74 – Überdies werden in dessen verschiedenen Sprachfassungen unterschiedslos zwei Begriffe verwendet, die in theoretischer Hinsicht gewisse Nuancen aufweisen können, nämlich der Begriff der „autoridad“, „autorité“ oder „authority“ einerseits und der der „öffentlichen Gewalt“ andererseits. Der erstgenannte Begriff wird etwa in der französischen Fassung („l’exercice de l’autorité publique“), der englischen Fassung („the exercise of official authority“), der portugiesischen Fassung („exercício da autoridade pública“), der rumänischen Fassung („exercitării autorității publice“) und der maltesischen Fassung („l‑eżerċizzju ta’ l-awtorità pubblika“) verwendet, während der Ausdruck „öffentliche Gewalt“ in der spanischen Fassung („ejercicio del poder público“), der deutschen Fassung („Ausübung öffentlicher Gewalt“), der italienischen Fassung („esercizio dei pubblici poteri“) und der schwedischen Fassung („utövandet av offentlig makt“) bevorzugt wird.


75 – Auch wenn das letzte Wort bei der Ausformung dieses Begriffs in Einklang mit dem Unionsrecht in dem richtigen Sinne stehen muss, in dem der Gerichtshof als höchste Instanz der Auslegung dieses Rechts dieses im Einzelnen konturiert, wobei er als Ausgangspunkt stets die verschiedenen nationalen Herangehensweisen an den fraglichen Begriff wählt, vgl. statt aller Schlag, M., Art. 45, EU-Kommentar (hrsg. v. J. Schwarze), 2. Aufl., Baden-Baden 2009.


76 – Vgl. statt aller in einem umfangreichen Schrifttum Passerin d’Entreves, A., La dottrina dello Stato, Turin 1962.


77 – Dabei bleibt offenkundig der Fall des Gewaltmonopols eines anderen Staates außer Betracht, der mit dem ersten Staat unter Wahrung der durch das Völkerrecht abgegrenzten jeweiligen Souveränitätssphäre koexistiert.


78 – In Wirklichkeit ist die Souveränität bekanntlich eine Qualität, die, weil sie dem Staat zukommt, von keinem seiner Organe beansprucht werden kann, deren einzige Grundlage, wie die des Staates selbst, die Verfassung ist: „es gibt nur so viel Staat, wie die Verfassung konsituiert“ (Häberle, P., Europäische Verfassungslehre, 6. Auflage, Baden-Baden, 2009, S. 187, der den Gedanken von R. Smend und A. Arndt aufgreift). Im Verfassungsstaat, so ist gesagt worden, gibt es keinen Souverän, also ist die Souveränität eine Qualität des Staates als Ganzen vgl. Kriele, M., Einführung in die Staatslehre. Die geschichtlichen Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, Hamburg 1975.


79 – Zu dieser Legitimität des Ursprungs tritt die Legitimität hinzu, die sich aus ihrer Ausübung nach Maßgabe der Logik von Verfahren ergibt, vgl. in diesem Sinne Luhmann, N., Legitimation durch Verfahren, Neuwied/Berlin 1969.


80 – Vgl. in diesem Sinne z. B. Tomuschat, C., a. a. O. (Fn. 54), S. 69.


81 – Vgl. zum Verständnis der Rechtsordnung als eine Folge von Ableitungen, die auf eine positive Grundnorm zurückgeführt werden können, in der paradigmatisch die souveräne Gewalt Ausdruck findet, Kelsen, H., Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960.


82 – Deshalb bedarf es für die Feststellung, ob eine bestimmte Tätigkeit an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilhat oder nicht, keiner Bemühungen um ihre Zuordnung zu einer der drei staatlichen Gewalten und/oder Funktionen, d. h. der Legislative, Exekutive oder Judikative, insbesondere Letzterer, wie sie sich in dem kontradiktorischen Vorbringen im vorliegenden Verfahren beobachten ließen.


83 – Merkl, A., Die Lehre von der Rechtskraft, Leipzig 1923.


84 – In der bereits angeführten Rechtssache Colegio de Oficiales de la Marina Mercante hat der Gerichtshof in einem Fall, der allerdings Art. 39 Abs. 4 EG betraf, ausgeführt, „dass das spanische Recht … notarielle und personenstandsrechtliche Zuständigkeiten [verleiht], die sich nicht nur durch die Erfordernisse der Führung des Schiffes erklären lassen. Solche Aufgaben stellen eine Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zur Wahrung der allgemeinen Belange des Flaggenstaats dar“ (Randnr. 42).


85 – Vgl. die Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 18. Januar 1994 und vom 23. März 2006, in denen festgestellt wird, dass der Notarberuf unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnehme. In der Entschließung von 2006 bekundet das Parlament unmissverständlich seine „Auffassung, dass Art. 45 des Vertrags vollständig auf den Beruf des Notars als solchen anwendbar ist“. Diese Feststellung wird darauf gestützt, dass „die teilweise Delegierung der Autorität des Staates ein ursprüngliches Element im Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs des Notars ist, dass [sie] tatsächlich auf regulärer Basis ausgeübt wird und einen Großteil der Aktivitäten eines Notars darstellt“.


86 – Konkret zum Fall des portugiesischen Notariats vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Portugal vom selben Tag wie die vorliegenden Schlussanträge (C‑52/08).


87 – Urteil Reyners, Randnr. 47.


88 – Vgl. Nrn. 13, 20, 27, 34, 42 und 49 der vorliegenden Schlussanträge.


89 – Vgl. Nrn. 14, 21, 28, 35, 36, 43 und 50 der vorliegenden Schlussanträge.


90 – Vgl. Nrn. 15, 22, 29, 37, 44 und 51 der vorliegenden Schlussanträge.


91 – Vgl. Nrn. 16, 23, 30, 38, 45 und 52 der vorliegenden Schlussanträge.


92 – Vgl. hierzu de Otto, I., Estudios sobre el Poder Judicial (Justizministerium), Madrid 1989.


93 – In diesem Sinne können einige Besonderheiten symbolischer Art, die von manchen Mitgliedstaaten betont worden sind, als Bestätigung meiner These dienen. Zu nennen ist etwa der Umstand, dass in manchen Staaten die Notare das Staatssiegel erhalten und verwenden. Auch in der Vollstreckungsklausel gelangt die öffentliche Funktion der Notare gelegentlich zum Ausdruck, so beispielsweise in Frankreich: „Con conséquence, la République mande et ordonne à tous huissiers de justice, sur ce réquis de mettre les présentes à exécution. Aux Procureurs Généraux de la République près des Tribunaux de Grande instante d’y tenir main. A tous, Commandants et Officiers de la force publique de prêter main-forte lorsqu'ils en seront légalement requis.“


94 – Vgl. Nrn. 18, 25, 32, 40, 47 und 54 der vorliegenden Schlussanträge.


95 – Vgl. die in den Fn. 64 bis 73 angeführte Rechtsprechung.


96 – Dies wird dadurch belegt, dass Art. 45 Abs. 1 EG auch – wenngleich erfolglos – angeführt worden ist, um Erfordernisse des Wohnsitzes oder der ständigen Niederlassung in einem Mitgliedstaat zu rechtfertigen, so in den Rechtssachen Kommission/Deutschland und Kommission/Österreich.


97 – Vgl. allgemein hierzu Davies, G., Nationality Discrimination in the European Internal Market, Den Haag 2003, und Rossi, M., „Das Diskriminierungsverbot nach Artikel 12 EGV“, Europarecht 2000, S. 197 ff.


98 – In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Coleman (C‑303/06, Urteil vom 17. Juli 2008, Slg. 2008, I‑5603, Nr. 10) hat Generalanwalt Maduro hervorgehoben, dass es „[d]ie deutlichste Art, in der die Würde und das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen berührt werden können, ist, wenn man unmittelbar angegriffen wird, weil man ein fragwürdiges Merkmal hat. Jemanden aus Gründen wie der religiösen Überzeugung, dem Alter, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung schlechter zu behandeln, untergräbt diesen besonderen und einzigartigen Wert, den jeder Mensch aufgrund seines Menschseins hat. Die Gleichwertigkeit jedes Menschen anzuerkennen, bedeutet, dass man Überlegungen dieser Art gegenüber unempfänglich sein sollte, wenn man jemandem eine Belastung auferlegt oder einen Vorteil entzieht. Anders ausgedrückt sind dies Merkmale, die keine Rolle bei der Beurteilung spielen sollten, ob es richtig ist, jemanden weniger günstig zu behandeln.“


99 – Belegt wird dieser schwerwiegende Charakter durch die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs, mit der wiederholt Versuche der Mitgliedstaaten zurückgewiesen wurden, den Erlass von Vorschriften zu rechtfertigen, die diskriminierend nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit waren. Vgl. – unter vielen anderen – Urteile vom 20. Oktober 1993, Phil Collins u. a. (C‑92/92 und C‑326/92, Slg. 1993, I‑5145, Randnr. 33), vom 2. Oktober 1997, Saldanha und MTS (C‑122/96, Slg. 1997, I‑5325, Randnrn. 26 und 29), vom 16. Januar 2003, Kommission/Italien (C‑388/01, Slg. 2003, I‑721, Randnrn. 19 und 20), vom 5. Juni 2008, Wood (C‑164/07, Slg. 2008, I‑4143, Randnr. 13), und vom 16. Dezember 2008, Huber (C‑524/06, Slg. 2008, I‑9705, Randnrn. 78 und 79).


100 – Vgl. Urteile vom 17. Mai 1994, Corsica Ferries (C‑18/93, Slg. 1994, I‑1783, Randnr. 19), vom 29. Februar 1996, Skanavi und Chryssanthakopoulos (C‑193/94, Slg. 1996, I‑929, Randnr. 20), vom 25. Juni 1997, Mora Romero (C‑131/96, Slg. 1997, I‑3659, Randnr. 10), vom 12. Mai 1998, Gilly (C‑336/96, Slg. 1998, I‑2793, Randnr. 37), vom 26. November 2002, Oteiza Olazábal (C‑100/01, Slg. 2002, I‑10981, Randnr. 25), vom 11. Dezember 2003, AMOK (C‑289/02, Slg. 2003, I‑15059, Randnr. 25), und vom 29. April 2004, Weigel (C‑387/01, Slg. 2004, I‑4981, Randnr. 57).


101 – Vgl. Rossi, M., a. a. O. (Fn. 97), S. 208, Epiney, A., „The Scope of Article 12 EC: Some Remarks on the Influence of European Citizenship“, European Law Journal 2007, S. 611 ff., und Kadelbach, S., „Union Citizenship“, in: von Bogdandy, A./Bast, J., Principles of European Constitutional Law, 2. Aufl., Oxford/Portland 2005, S. 461.


102 – Vgl. Urteil vom 11. Januar 2007, Kommission/Griechenland (C‑251/04, Slg. 2007, I‑67, Randnr. 26), und Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi vom 7. September 2010 in der Rechtssache Neukirchinger (C‑383/08, anhängig, insbesondere Nrn. 60 bis 69).


103 – Vgl. van Vormizeele, P. V., „Art. 86“, in: Schwarze, J., EU-Kommentar, a. a. O. (Fn. 75), Buendía Sierra, J. L., Exclusive rights and state monopolies under EC Law, Oxford 1999, Prosser, T., The Limits of Competition Law. Markets and Public Services, Oxford 2005, und Szyszczak, E., The Regulation of the State in Competitive Markets in the EU, Oxford 2007.


104 – Vgl. u. a. Urteile vom 21. September 1988, Van Eycke (267/86, Slg. 1988, 4769), vom 4. Mai 1988, Bodson (30/87, Slg. 1988, 2479), vom 19. März 1991, Frankreich/Kommission (C‑202/88, Slg. 1991, I‑1223), vom 23. April 1991, Höfner und Elser (C‑41/90, Slg. 1991, I‑1979), vom 13. Dezember 1991, GB-Inno-BM (C‑18/88, Slg. 1991, I‑5941), vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti (C‑451/03, Slg. 2006, I‑2941), vom 3. Juli 2003, Chronopost u. a./Ufex u. a. (C‑83/01 P, C‑93/01 P und C‑94/01 P, Slg. 2003, I‑6993), sowie vom 1. Juli 2008, MOTOE (C‑49/07, Slg. 2008, I‑4863).


105 – Urteil vom 26. März 1987, Kommission/Niederlande (235/85, Slg. 1987, 1471, Randnr. 6). Dieses Urteil ist zu Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie ergangen, der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).


106 – Ebd., Randnr. 22.


107 – Vgl. u. a. O’Leary, S., The Evolving Concept of Community Citizenship. From the Free Movement of Persons to Union Citizenship, Den Haag 1996, S. 23 bis 30.


108 – Urteil vom 2. März 2010 (C‑135/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 42; Hervorhebung nur hier).


109 – Vgl. z. B. Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, Slg. 2003, I‑11613), vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul (C‑353/06, Slg. 2008, I‑7639), und Rottmann.


110 – Urteil vom 17. September 2002, Baumbast und R (C‑413/99, Slg. 2002, I‑7091).


111 – Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, Slg. 2001, I‑6193), vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, Slg. 2002, I‑6279), vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119), vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas (C‑192/05, Slg. 2006, I‑10451), vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher (C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑9161), sowie in jüngerer Zeit Urteile vom 23. Februar 2010, Teixeira (C‑480/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) und Ibrahim (C‑310/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


112 – Vgl. z. B. Urteile Carpenter (oben in Fn. 111 angeführt) und vom 19. Oktober 2004, Chen (C‑200/02, Slg. 2004, I‑9925).


113 – Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), insbesondere ihr Art. 57.