Language of document : ECLI:EU:C:2017:44

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE

vom 26. Januar 2017(1)

Rechtssache C29/16

HanseYachts AG

gegen

Port d’Hiver Yachting SARL,

Société Maritime Côte d’Azur,

Compagnie Generali IARD SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Stralsund [Deutschland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 27 – Rechtshängigkeit – Bestimmung des zuerst angerufenen Gerichts – Art. 30 Nr. 1 – Verfahrenseinleitendes Schriftstück oder gleichwertiges Schriftstück – Begriff – Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, um vor einem Prozess Beweise für einen Sachverhalt zu erheben oder zu sichern, auf den eine spätere Klage gestützt werden kann – Spätere Hauptsacheklage vor einem Gericht desselben Mitgliedstaats“






I –    Einleitung

1.        Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Stralsund (Deutschland) betrifft die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(2), insbesondere die Auslegung ihres Art. 30 Nr. 1 in Verbindung mit ihrem Art. 27(3).

2.        Das Vorabentscheidungsersuchen ist im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem deutschen Unternehmen und mehreren französischen Unternehmen vorgelegt worden, in dem es um die Haftung des deutschen Unternehmens für die Havarie einer Motorjacht geht, die sie hergestellt und an eines der französischen Unternehmen verkauft hatte. Wegen der Havarie wurden mehrere Verfahren bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten eingeleitet.

3.        Zunächst stellte der ursprüngliche Käufer der Jacht bei einem französischen Gericht einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, um vor der Einleitung eines Zivilprozesses die Beweise für einen Sachverhalt zu erheben, auf den eine spätere Klage gestützt werden könnte. Dieser Antrag wurde gemäß Art. 145 des französischen Code de procédure civile (Zivilprozessordnung, im Folgenden: CPC) gestellt und war auf eine Beweiserhebung gerichtet, die gewöhnlich als in futurum bezeichnet wird(4).

4.        Als drei Jahre später das Sachverständigengutachten vorgelegt worden war, erhob der deutsche Verkäufer und Hersteller beim vorlegenden Gericht eine negative Feststellungsklage, um feststellen zu lassen, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens gegen ihn keinerlei Ansprüche im Zusammenhang mit der Motorjacht hätten. Einige Wochen nach dieser Klageerhebung reichte der ursprüngliche Käufer bei einem zweiten französischen Gericht seinerseits eine Hauptsacheklage(5) mit dem Antrag ein, ihm Ersatz für den behaupteten Schaden zuzusprechen und die Erstattung seiner Kosten für das Gutachten anzuordnen.

5.        Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob es das Verfahren, obgleich die letztgenannte Klage erst nach der bei ihm selbst erhobenen Klage eingereicht wurde, gemäß Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 als das „später angerufene Gericht“ aussetzen muss, weil mehrere Jahre, bevor bei ihm selbst Klage erhoben wurde, das Beweissicherungsverfahren in Frankreich eingeleitet worden war. Es meint, dass dieses Beweisverfahren eine Einheit mit dem später im selben Mitgliedstaat eingeleiteten Hauptsacheverfahren bilden könnte, da dieses der Sache nach nur die Fortsetzung des Beweisverfahrens sei.

6.        Das vorlegende Gericht ersucht damit den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob im Fall einer möglichen Rechtshängigkeit das Schriftstück, mit dem ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen wurde, um vor einem Prozess eine Beweisaufnahme anordnen zu lassen, das „verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ im Sinne von Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 für die spätere Hauptsacheklage bei einem anderen Gericht desselben Mitgliedstaats sein kann.

7.        Aufgrund der nachstehend wiedergegebenen Überlegungen bin ich der Auffassung, dass die Art. 27 und 30 der Verordnung Nr. 44/2001 zusammen auszulegen sind und dass die im vorliegenden Fall gestellte Frage letztlich zu verneinen ist.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

8.        Die Verordnung Nr. 44/2001 ist im vorliegenden Fall zeitlich anwendbar(6).

9.        Laut dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 müssen „[i]m Interesse einer abgestimmten Rechtspflege … Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.“

10.      Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 44/2001 enthält einen Abschnitt 9, der die „Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren“ betrifft.

11.      Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001, der in diesem Abschnitt 9 steht, sieht vor:

„(1)      Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

(2)      Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.“

12.      Ebenfalls in diesem Abschnitt 9 sieht Art. 30 Nr. 1 vor:

„Für die Zwecke dieses Abschnitts gilt ein Gericht als angerufen:

1.      zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken …“

13.      In Abschnitt 10 („Einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“) dieses Kapitels II bestimmt Art. 31, dass „[d]ie im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, … bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden [können], wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist“.

B –    Französisches Recht

14.      Gemäß Art. 145 CPC, der in deren Buch I („Gemeinsame Vorschriften für alle Gerichte“) Titel VII („Gerichtliche Beweisaufnahme“) Untertitel II („Maßnahmen der Beweisaufnahme“) steht, können, „[w]enn ein berechtigter Grund dafür besteht, vor einem Prozess Beweise für Tatsachen zu sichern oder zu erheben, von denen der Ausgang eines Rechtsstreits abhängen könnte, … auf Antrag jedes Beteiligten im Klageverfahren oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes rechtlich zulässige Maßnahmen der Beweisaufnahme angeordnet werden“.

III – Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      Wie aus dem Vorlagebeschluss und den dem Gerichtshof übermittelten Akten hervorgeht, ist die HanseYachts AG eine Herstellerin und Verkäuferin von Jachten in Greifswald (Deutschland), das im Bezirk des vorlegenden Gerichts liegt.

16.      Mit Vertrag vom 14. April 2010 verkaufte HanseYachts eine von ihr hergestellte Motorjacht an die in Frankreich ansässige Port d'Hiver Yachting SARL. Das Boot wurde am 18. Mai 2010 in Greifswald übergeben und dann nach Frankreich transportiert.

17.      Port d’Hiver Yachting verkaufte das Boot weiter an die ebenfalls in Frankreich ansässige Société Maritime Côte d’Azur (im Folgenden: SMCA).

18.      Am 1. August 2011 schlossen HanseYachts und Port d’Hiver Yachting einen Händlervertrag, in dem Greifswald zum ausschließlichen Gerichtsstand bestimmt und das deutsche Recht für anwendbar erklärt wurde. Nach einer weiteren Klausel sollte der Händlervertrag alle vorherigen schriftlichen oder mündlichen Vereinbarungen ersetzen.

19.      Nachdem im August 2011 an einem der Motoren der Jacht ein Schaden aufgetreten war, stellte die SMCA beim Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille, Frankreich) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens vor einem Prozess gemäß Art. 145 CPC; der Antrag wurde der Port d’Hiver Yachting am 22. September 2011 zugestellt. SMCA ließ den Antrag auch der Firma Volvo Trucks France zustellen, die die Motoren hergestellt hatte.

20.      Im Jahr 2012 trat die Compagnie Generali IARD SA (im Folgenden: Generali IARD) dem Verfahren als Versicherer der Port d’Hiver Yachting bei. Im nächsten Jahr, 2013, wurde auch HanseYachts als Herstellerin des Bootes an dem Verfahren beteiligt.

21.      Der vom Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) beauftragte Sachverständige erstattete am 18. September 2014 sein endgültiges Gutachten.

22.      Am 21. November 2014 erhob HanseYachts beim Landgericht Stralsund eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass Port d’Hiver Yachting, SMCA und Generali IARD im Zusammenhang mit dem verkauften Boot keine Ansprüche gegen sie zustünden.

23.      Am 15. Januar 2015 erhob SMCA ihrerseits eine Klage gegen Port d’Hiver Yachting, Volvo Trucks France und HanseYachts beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon, Frankreich) mit dem Antrag, diese gesamtschuldnerisch zum Ersatz des ihr durch die Havarie der Jacht entstandenen Schadens und zur Erstattung ihrer Kosten im Beweissicherungsverfahren zu verurteilen.

24.      Da die Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Einrede der Rechtshängigkeit gemäß Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 erhoben haben, stellt sich dem vorlegenden Gericht die Frage, ob es das Verfahren als das „später angerufene Gericht“ auszusetzen hat, bis die Zuständigkeit des Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) feststeht(7), oder ob es sich umgekehrt als das „zuerst angerufene Gericht“ im Sinne dieser Bestimmung betrachten, demgemäß die Hauptsacheklage für zulässig erklären(8) und sodann deren Begründetheit prüfen darf.

25.      Nach Meinung des vorlegenden Gerichts würde Letzteres gelten, wenn der Gerichtshof zu dem Ergebnis käme, dass das Verfahren vor den französischen Gerichten erst mit der Erhebung der Hauptsacheklage beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) im Jahr 2015, und damit erst nach seiner eigenen Anrufung im Vorjahr, eingeleitet wurde.

26.      Hingegen wäre der erstgenannte Weg zu beschreiten, wenn der Gerichtshof befände, dass „das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“, mit dessen Einreichung die französischen Gerichte gemäß Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 als angerufen gelten, nicht die bei dem Gericht in Toulon eingereichte Klageschrift, sondern der 2011 beim Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) gestellte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre.

27.      Die Voraussetzungen der Rechtshängigkeit gemäß Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sind nach Ansicht des vorlegenden Gerichts gegeben, weil die Hauptsacheklage beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) und die Klage beim vorlegenden Gericht zwischen denselben Parteien anhängig seien und denselben Anspruch beträfen.

28.      Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Stralsund mit Beschluss vom 8. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2016, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Wenn das Prozessrecht eines Mitgliedstaats ein selbständiges Beweisverfahren vorsieht, in welchem auf Anordnung des Gerichts ein Sachverständigengutachten eingeholt wird (hier: die „expertise judiciaire“ des französischen Rechts), und wenn in diesem Mitgliedstaat ein solches selbständiges Beweisverfahren durchgeführt wird und anschließend in demselben Mitgliedstaat ein auf den Ergebnissen des selbständigen Beweisverfahrens beruhendes Klageverfahren zwischen denselben Beteiligten anhängig gemacht wird:

Ist in diesem Fall schon der Schriftsatz, mit dem das selbständige Beweisverfahren eingeleitet worden ist, ein „verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ im Sinne des Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001? Oder ist erst der Schriftsatz, mit dem das Klageverfahren eingeleitet worden ist, als das „verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ einzuordnen?

29.      HanseYachts, Port d’Hiver Yachting, SMCA, Generali IARD und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die französische Regierung hat schriftlich Fragen beantwortet, die ihr der Gerichtshof gemäß Art. 61 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung gestellt hatte. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

IV – Analyse

A –    Vorbemerkungen

30.      Bevor ich die dem Gerichtshof gestellte Frage in der Sache prüfe, möchte ich einige Anmerkungen zu den Grenzen machen, die seiner Prüfung gezogen sind.

31.      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass das Problem, ob das vorlegende Gericht und das Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) jeweils eine internationale Zuständigkeit beanspruchen können, im vorliegenden Fall nicht der Beurteilung durch den Gerichtshof unterliegt, auch wenn das vorlegende Gericht dazu Ausführungen gemacht hat(9) und auch wenn manche der Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, insoweit – namentlich wegen einer hier geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung – Zweifel geäußert haben(10).

32.      Es wird Sache der beiden nationalen Gerichte sein, in Anbetracht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und in Einklang mit den unionsrechtlichen Zuständigkeitsregeln, hier den Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof(11) über ihre eigene internationale Zuständigkeit zu befinden.

33.      Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass die in Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehene Lösung für Fälle der Rechtshängigkeit keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Zuständigkeitsregeln der Verordnung macht oder gar eine Hierarchie unter ihnen schüfe. Vielmehr stützt sich diese Zuständigkeitsvorschrift, die der etwaigen Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts den Vorrang einräumt, ausschließlich auf die zeitliche Abfolge, in der die betreffenden Gerichte angerufen worden sind(12).

34.      Ferner hat nach ständiger Rechtsprechung allein das vorlegende Gericht im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof gestellten Fragen für seine eigene Entscheidung zu beurteilen(13).

35.      Dazu sei angemerkt, dass nach den Informationen, die das vorlegende Gericht zum Ausgangsrechtsstreit gegeben hat, prima facie – vor allem wegen des Orts der Übergabe der Kaufsache durch den Hersteller und Verkäufer (HanseYachts) an den ersten Käufer (Port d’Hiver Yachting)(14) – kein Grund zu der Annahme besteht, dass eine Entscheidung, mit der das vorlegende Gericht seine eigene internationale Zuständigkeit zumindest gegenüber bestimmten Parteien bejahte, offensichtlich unbegründet wäre und dass die Vorlagefrage für die Entscheidung über den Rechtsstreit unerheblich wäre(15).

36.      Zweitens ist angesichts der unterschiedlichen Auffassung, die das vorlegende Gericht und die Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, zu den hier anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und besonders zum Rechtsinstitut der Beweisaufnahme in futurum gemäß Art. 145 CPC geäußert haben, zu unterstreichen, dass über die genaue Auslegung innerstaatlicher Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht der Gerichtshof zu befinden hat(16).

37.      Denn im Vorabentscheidungsverfahren ist der Gerichtshof nur befugt, sich zur Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrechtsakten im Sinne von Art. 267 AEUV zu äußern(17). Jedoch darf er, da er dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage aller ihm verfügbaren Informationen im Geist der Zusammenarbeit die Hinweise geben, die er für erforderlich hält(18). Verbleibt eine Ungewissheit bezüglich des konkreten Inhalts der fraglichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften, so versucht der Gerichtshof, diesem Faktor Rechnung zu tragen(19).

38.      Schließlich hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die in der Verordnung Nr. 44/2001 verwendeten Begriffe, um eine einheitliche Auslegung dieser Vorschriften zu gewährleisten, grundsätzlich in autonomer Weise auszulegen sind, d. h. anhand der Zielsetzungen dieser Verordnung und nicht nach Maßgabe der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten(20). Damit kann die Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung, insbesondere die der Art. 27 und 30, weder von Gesichtspunkten abhängen, die der Gesetzgebung oder Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zugrunde liegen(21), noch von den Besonderheiten des Ausgangsrechtsstreits(22).

B –    Zum Inhalt der dem Gerichtshof vorgelegten Frage

39.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einem Fall, in dem das Recht eines Mitgliedstaats ein Beweissicherungsverfahren vorsieht, das die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor einem Prozess ermöglicht, und in dem aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens im selben Mitgliedstaat anschließend zwischen denselben Parteien eine Hauptsacheklage erhoben wird, als „das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ im Sinne von Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 das Schriftstück anzusehen ist, mit dem das Beweissicherungsverfahren eingeleitet wurde, oder ob als verfahrenseinleitend oder gleichwertig im Sinne dieser Bestimmung das Schriftstück einzustufen ist, mit dem die Hauptsacheklage erhoben wurde.

40.      Das vorlegende Gericht neigt offenbar der ersten Alternative zu, was sich mit der Ansicht der drei Beklagten des Ausgangsverfahrens deckt, während sich HanseYachts und die Kommission für die letztere Alternative ausgesprochen haben(23), was meines Erachtens die richtige Auslegung darstellt.

41.      Ebenso wie die Kommission halte ich es für notwendig, dass der Gerichtshof die ihm gestellte Frage umformuliert, und zwar aus folgenden Gründen.

42.      Ich erinnere zunächst daran, dass in dem Verfahren der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, das durch Art. 267 AEUV eingerichtet worden ist, der Gerichtshof dem nationalen Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben hat, die diesem die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit ermöglicht. Unter diesem Blickwinkel obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, die ihm gestellten Fragen umzuformulieren(24). Ferner obliegt es dem Gerichtshof, aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die angesichts des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen, auch wenn diese Vorschriften möglicherweise in den Vorlagefragen nicht erwähnt worden sind(25).

43.      Auch wenn die Vorlagefrage im vorliegenden Fall, formal betrachtet, unmittelbar nur Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht auch alle weiteren Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen können, über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden.

44.      Der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens lässt sich indessen entnehmen, dass das vorlegende Gericht für seine Entscheidung, ob es das Verfahren gemäß Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 auszusetzen hat, klären muss, ob es sich als „das später angerufene Gericht“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen hat, wofür es auf den – vom Gerichtshof anhand des Art. 30 zu bestimmenden – Zeitpunkt ankommt, zu dem nach seinem Dafürhalten eine Klage wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien vor einem französischen Gericht anhängig gemacht worden ist. Es ist somit meines Erachtens eine Auslegung von Art. 27 in Verbindung mit Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001 vorzunehmen.

45.      Hingegen erscheint es mir in der vorliegenden Rechtssache nicht sinnvoll, den Begriff der „einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“, im Sinne von Art. 31 der Verordnung Nr. 44/2001 zu definieren, weil das vorlegende Gericht nur am Ende seiner Entscheidung die Möglichkeit anspricht, die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Begriff für die analoge Auslegung von Art. 30 der Verordnung heranzuziehen(26).

46.      Im Licht dieser Überlegungen meine ich, dass das Vorabentscheidungsersuchen dahin zu verstehen ist, dass mit ihm der Sache nach geklärt werden soll, ob im Fall möglicher Rechtshängigkeit der Zeitpunkt, zu dem ein Verfahren, das auf eine Beweisaufnahme vor einem Prozess abzielt, der Zeitpunkt sein kann, zu dem im Sinne von Art. 30 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dasjenige Gericht als „angerufen gilt“, das über eine anschließend aufgrund des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme im selben Mitgliedstaat erhobene Hauptsacheklage zu entscheiden hat, weil das Beweissicherungsverfahren und die anschließende Hauptsacheklage eine verfahrensrechtliche Einheit bilden könnten.

47.      Würde diese Ausweisung verworfen, wie ich es vorschlage, so folgte daraus konkret, dass ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, bei dem – wie im Ausgangsrechtsstreit – nach Abschluss des Beweissicherungsverfahrens, aber vor der genannten Hauptsacheklage eine andere Hauptsacheklage wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien erhoben wurde, als „das zuerst angerufene Gericht“ im Sinne von Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 anzusehen wäre.

48.      Bevor die gewünschte Auslegung vorgenommen wird, ist die Richtigkeit der Vorannahmen des vorlegenden Gerichts zu bestätigen, dass in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen eine Situation der Rechtshängigkeit im Sinne des Art. 27 der Verordnung bestehen könnte.

C –    Zur möglichen Existenz einer Situation der Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001

49.      Zur Begründung seiner Vorlagefrage stellt das Landgericht Stralsund die Prämisse auf, dass das bei ihm anhängige Verfahren in Konflikt zu dem Hauptsacheverfahren beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) treten könnte und dass die in Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 festgelegten Regeln für Fälle der Rechtshängigkeit zum Ergebnis hätten, dass dieses deutsche Gericht das Verfahren als „das später angerufene Gericht“ auszusetzen hätte, sofern davon auszugehen wäre, dass das Hauptsacheverfahren vor dem Gericht in Toulon bereits mit dem Stadium des Beweissicherungsverfahrens vor dem Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) begonnen hätte und mit diesem zu einer Einheit verschmolzen wäre.

50.      Hingegen sähe sich das vorlegende Gericht nicht in der Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens wegen Rechtshängigkeit, wenn die beiden französischen Verfahren richtig als zwei voneinander gesonderte Verfahren aufzufassen wären. Eine Pflicht zur Aussetzung bestünde meines Erachtens in diesem Fall aus Gründen des Unionsrechts, die ich im Folgenden darlegen werde, eindeutig nicht, da zum einen die französische Hauptsacheklage – bei isolierter Betrachtung – erst nach der deutschen Hauptsacheklage erhoben wurde und zum anderen das Beweissicherungsverfahren nicht den gleichen Anspruch wie die deutsche Hauptsacheklage betraf und im Übrigen bei deren Erhebung nicht mehr anhängig war.

51.      So möchte ich darauf hinweisen, dass Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 nur Situationen der Rechtshängigkeit betrifft, in denen bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitige Verfahren eingeleitet werden, die zu miteinander unvereinbaren Entscheidungen führen könnten(27), d. h. Fälle, in denen „Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht“ werden. Der Gerichtshof hat sich bereits wiederholt dazu geäußert, wie diese dreifache Voraussetzung der Identität der Parteien sowie des Gegenstands und der Grundlage der Klage auszulegen ist(28), wobei er hervorgehoben hat, dass die beiden letztgenannten Begriffe autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Zielsetzungen der Verordnung zu definieren sind(29).

52.      Hinsichtlich des ersten dieser drei kumulativen Kriterien ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass es erfüllt ist, wenn die Parteien dieselben sind, und zwar unabhängig von ihrer Stellung in den beiden Verfahren(30).

53.      Im vorliegenden Fall ist unerheblich, dass die vor dem französischen Gericht als Klägerin auftretende Partei, SMCA, vor dem vorlegenden Gericht beklagt ist, und für HanseYachts umgekehrt das Gleiche gilt(31). Es spielt ebenfalls keine Rolle, dass im vorliegenden Fall keine vollständige, sondern nur eine partielle Parteienidentität gegeben ist, wozu freilich angemerkt sei, dass in einem solchen Fall das später angerufene Gericht eine Pflicht, sich für unzuständig zu erklären, nur insoweit hat, als die bei ihm auftretenden Parteien auch Parteien des zuerst eingeleiteten Verfahrens sind, während das Verfahren zwischen den übrigen Parteien vor diesem Gericht fortgeführt werden kann(32).

54.      Zum Kriterium der Identität der Grundlage der Klage hat der Gerichtshof ausgeführt, dass hierunter die Tatsachen und die Rechtsvorschrift, auf die die Klage gestützt wird, zu verstehen sind(33). Die Voraussetzung des identischen Gegenstands, der als „Zweck der Klage“(34) – in einem weiten Sinne(35) – definiert wird, wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs manchmal zusammen mit dem vorgenannten Kriterium abgehandelt(36).

55.      Im vorliegenden Fall sind, wie das vorlegende Gericht ausführt, nach der Rechtsprechung die beiden letztgenannten Kriterien im Hinblick auf eine mögliche Rechtshängigkeit zwischen einer Klage mit dem Ziel, die Haftung eines Beklagten für einen Schaden festzustellen und ihn demgemäß zu Schadensersatz zu verurteilen – wie die Klage gegen HanseYachts beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) –, und einer weiteren Klage eben jenes Beklagten erfüllt, mit der dieser feststellen lassen möchte, dass er für diesen Schaden nicht haftet – wie die Klage von HanseYachts beim Landgericht Stralsund –, denn das eine dieser Verfahren bildet das Gegenstück zum anderen(37).

56.      Damit wird aber noch nicht die richtige Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts vorgegeben, die speziell darauf zielt, ob es sich als „das später angerufene Gericht“ im Sinne von Art. 27 in Verbindung mit Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001 anzusehen habe, weil dies durch eine etwaige Verschmelzung des in einem anderen Mitgliedstaat eingeleiteten Beweissicherungsverfahrens und des dort anschließend eingeleiteten Hauptsacheverfahrens zu einem einheitlichen Verfahren bewirkt werde – was meines Erachtens nicht der Fall ist(38).

57.      Der Vollständigkeit halber möchte ich klarstellen, dass ich es für unmöglich erachte, eine Identität der Grundlage und des Gegenstands zwischen einer Hauptsacheklage wie der im Ausgangsrechtsstreit erhobenen, die auf die negative Feststellung einer fehlenden zivilrechtlichen Haftung abzielt, und einem Verfahren der Beweissicherung vor jedem Prozess – wie vor dem Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) – zur Einholung eines Sachverständigengutachtens anzunehmen, auch wenn beiden Verfahren die gleichen Tatsachen zugrunde liegen. Eine solche zweifache Identität muss meines Erachtens deshalb ausscheiden, weil sowohl die von den Antragstellern geltend gemachten Rechtsvorschriften als auch ihre jeweiligen Ziele in diesen beiden Verfahrenskategorien grundlegend verschieden sind, und zwar unabhängig von den Besonderheiten des vorliegenden Falles.

58.      Wie die Kommission zutreffend ausführt, zielt das hier fragliche Beweisverfahren nämlich nur auf die Anordnung einer auf die Zukunft gerichteten Beweisaufnahme ab, die vor jedem Prozess den Beweis für Tatsachen sichern oder erheben soll, die möglicherweise eine spätere Hauptsacheklage begründen können. Auch wenn dieses Verfahren kontradiktorisch sein kann(39), umfasst sein Endergebnis – nämlich das erstellte Sachverständigengutachten – gleichwohl keine Beurteilung des Bestehens der in Frage stehenden Rechte – hier auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Haftung. Umgekehrt soll mit einer Hauptsacheklage, wie sie hier beim vorlegenden Gericht erhoben wurde, die Feststellung erwirkt werden, dass keine Haftung des Antragstellers für Schäden infolge der Havarie des von ihm verkauften Bootes besteht. Hier besteht das vom Antragsteller verfolgte Ziel somit in einer materiell-rechtlichen Entscheidung zur Beendigung des Rechtsstreits. Die Gefahr miteinander unvereinbarer Entscheidungen, auf die der in Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 geregelte Mechanismus der Rechtshängigkeit gegründet ist, besteht meines Erachtens bei zwei derart unterschiedlichen Verfahren nicht.

59.      Die damit festgestellten grundlegenden Unterschiede zwischen einem Beweissicherungsverfahren vor einem Prozess und einer auf dessen Ergebnisse gegründeten Hauptsacheklage sprechen meiner Auffassung nach gegen die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht das Schriftstück, mit dem das erstgenannte Verfahren eingeleitet worden ist, auch als das verfahrenseinleitende Schriftstück für das letztgenannte Verfahren anzusehen.

D –    Zu der Frage, ob das Schriftstück, mit dem ein Beweissicherungsverfahren vor einem Prozess eingeleitet wurde, möglicherweise als ein Schriftstück eingestuft werden kann, das dem verfahrenseinleitenden Schriftstück eines Hauptsacheverfahrens im Sinne von Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001 gleichwertig ist

60.      Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, Art. 30 in Verbindung mit Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 auszulegen. Er hat hierbei ausgeführt, dass in der Verordnung Nr. 44/2001 nicht klargestellt wird, unter welchen Umständen davon auszugehen ist, dass die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts im Sinne des Art. 27 der Verordnung „feststeht“. Dieser Artikel enthält nämlich nur eine Verfahrensregelung auf der Basis der zeitlichen Abfolge, in der die beteiligten Gerichte angerufen worden sind. Jedoch definiert Art. 30 der Verordnung einheitlich und autonom den Zeitpunkt, zu dem ein Gericht für die Zwecke der Anwendung der Verordnungsregeln über die Rechtshängigkeit als angerufen gilt(40).

61.      Ich möchte hervorheben, dass die sachliche Regelung des Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001, wie dessen erste Worte deutlich machen, für alle Bestimmungen in Abschnitt 9 des Kapitels II der Verordnung gilt, also nicht nur für die des Art. 27 über die Rechtshängigkeit, sondern auch für die des Art. 28 über den Zusammenhang zwischen Verfahren und die des Art. 29 über den besonderen Fall von Parallelklagen vor mehreren Gerichten mit ausschließlicher Zuständigkeit. Daraus folgt, dass die Art. 30 zu gebende Auslegung für alle diese verschiedenen Fallkonstellationen passend sein muss.

62.      Im vorliegenden Fall verweist das vorlegende Gericht als Argument für die von ihm selbst befürwortete weite Auslegung, wonach das Beweissicherungsverfahren von dem ihm im selben Mitgliedstaat folgenden Hauptsacheverfahren umfasst wird, als Erstes auf den Wortlaut von Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001, nach dem die Anrufung eines Gerichts nicht nur durch das „verfahrenseinleitende Schriftstück“, sondern auch durch „ein gleichwertiges Schriftstück“ begründet werden kann, worunter nach Auffassung dieses Gerichts das Schriftstück fallen könnte, mit dem der Richter, der die auf die Zukunft gerichtete Beweisaufnahme angeordnet hat, angerufen worden ist.

63.      Die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 44/2001 geben über diese alternative Formulierung in der Vorschrift keinen weiterführenden Aufschluss. Die Formulierung fand sich bereits in Art. 19 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000(41), dessen Wortlaut einem internationalen Übereinkommen nachgebildet war(42). Im Licht der Erläuterungen zum Begriff des „gleichwertigen Schriftstücks“ im Sinne jenes internationalen Übereinkommens(43) und einer Wertung, die sich in einem Urteil des Gerichtshofs zum Brüsseler Übereinkommen finden lässt(44), erscheint es mir sehr zweifelhaft, dass der Auffassung des vorlegenden Gerichts gefolgt werden könnte.

64.      Es ist vor allem zu unterstreichen, dass Art. 30 in einer bestimmten Weise, nämlich im Singular, formuliert ist, die in meinen Augen ein solches Verständnis nicht zulässt. Der Artikel legt nämlich den Zeitpunkt fest, zu dem „ein Gericht als angerufen“ gilt, und bezieht sich hierfür sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2 auf den „Zeitpunkt, zu dem das [Schriftstück] bei Gericht eingereicht worden ist“ bzw. „die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat“(45), wohingegen andere Bestimmungen der Verordnung von „den Gerichten“ eines Mitgliedstaats in ihrer Gesamtheit sprechen(46).

65.      Diese terminologische Vorgabe ist nicht neutral. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Umstände eines Falles wie des hier fraglichen, in dem das französische Gericht, vor dem das Beweisverfahren eingeleitet wurde, nicht dasselbe ist wie das mit der Hauptsacheklage befasste, das angeblich an der Fortsetzung des Beweisverfahrens teilhaben soll. Dass beide Gerichte zum selben Mitgliedstaat gehören, ist angesichts der in Art. 30 enthaltenen Vorschrift über die Festlegung des Zeitpunkts, zu dem ein ganz bestimmtes Gericht angerufen wird, ohne Bedeutung.

66.      Das vorlegende Gericht betont zweitens, es solle durch Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001 verhindert werden, dass die Parteien die innerhalb der Union bestehenden verfahrensrechtlichen Unterschiede missbräuchlich ausnutzten. Die von dem Gericht befürchtete Gefahr einer „Torpedierung“ von Verfahren ist gewiss nicht von der Hand zu weisen(47), besonders nicht im Fall einer negativen Feststellungsklage, wie sie im Ausgangsverfahren erhoben wurde(48). Ich meine jedoch, dass das „forum shopping“ durch die Verordnung Nr. 44/2001 nicht als solches untersagt wird und dass im vorliegenden Fall die verfahrensrechtliche Vorgehensweise von HanseYachts nicht missbräuchlich ist.

67.      Dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001(49) und den Vorarbeiten zu der Verordnung(50) ist zu entnehmen, dass mit dem Erlass ihres Art. 30 vorrangig das Ziel verfolgt wurde, die rechtlichen Probleme und Unsicherheiten zu mindern, die durch die große Vielfalt der Regelungen der Mitgliedstaaten über die Bestimmung des Zeitpunkts, von dem an ein Gericht als angerufen gilt, hervorgerufen wurden. Dies sollte durch eine sachliche Vorschrift geschehen, die die Bestimmung dieses Zeitpunkts einfach und einheitlich ermöglichen sollte(51).

68.      Die beiden Tatbestände der Nrn. 1 und 2 des Art. 30 haben einen einheitlichen Mechanismus geschaffen, der – wie HanseYachts ausführt – einer Auslegung der dort verwendeten Begriffe durch Verweis auf den Inhalt verschiedener nationaler Verfahrensregelungen entgegensteht(52). Für die Auslegung dieser Regelungen des Art. 30 befürworte ich deshalb einen nicht extensiven Ansatz, um den mit diesen Regelungen verfolgten Zielen der Einheitlichkeit und Rechtssicherheit zu entsprechen(53).

69.      Drittens führt das vorlegende Gericht für seine Auffassung Argumente praktischer Art an, die mir indessen nicht überzeugend erscheinen. Es meint, das hier von einem französischen Gericht geführte Beweisverfahren sei besser auf die Fragen des materiellen Rechts zugeschnitten, die im französischen Hauptsacheverfahren zu erwarten seien. Zudem sollten die Kosten vermieden werden, die dadurch entstünden, dass das deutsche Gericht möglicherweise den Sachverständigen anzuhören hätte. Meines Erachtens sind die behaupteten Sachzwänge keineswegs unüberwindbar, und Erwägungen dieser Art können keinen Vorrang vor den Schlussfolgerungen haben, die aus dem Wortlaut und Normzweck von Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001, die ich vorstehend erläutert habe, zu ziehen sind.

70.      Entscheidet man sich, wie ich vorschlage(54), für die Auffassung, dass ein Beweisverfahren vor einem Prozess nicht die gleiche Grundlage und den gleichen Gegenstand wie ein Hauptsacheverfahren im Sinne von Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 hat, so lässt sich kaum annehmen, dass das Schriftstück, mit dem dieses Beweisverfahren eingeleitet worden ist, gleichwohl als das „verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück“ im Sinne des Art. 30 der Verordnung für ein Hauptsacheverfahren angesehen sein kann, das auf den Ergebnissen des Beweisverfahrens aufbaut.

71.      Dass es an einer verfahrensrechtlichen Einheit fehlt, wird aus den Umständen, die im Ausgangsverfahren in Frage stehen, besonders deutlich. Wie sowohl die französische Regierung als auch die Kommission hervorheben, steht bereits der Wortlaut des Art. 145 CPC der Annahme einer sachlichen Kontinuität zwischen dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Beweisverfahren und dem anschließenden Hauptsacheverfahren entgegen, denn diese Bestimmung spricht gerade ausdrücklich davon, dass der Antrag auf Beweisaufnahme „vor“ einem Prozess und nicht in Zusammenhang mit einer Klageerhebung zu stellen ist(55).

72.      Diese Beurteilung wird dadurch bestätigt, dass die Folgen, die sich aus der Beweisaufnahme in futurum ergeben – hier die Auswertung des Sachverständigengutachtens –, nicht in die Zuständigkeit des Richters fallen, der diese Beweismaßnahme angeordnet hat. Denn die Befassung dieses Richters erschöpft sich, wie die französische Regierung ausführt, grundsätzlich im Erlass seiner Entscheidung, mit der er dem Antrag auf Beweisaufnahme entweder stattgibt oder ihn zurückweist. Diese Entscheidung hat im Übrigen keinerlei Rechtskraft(56).

73.      Überdies wird nach Abschluss des Beweisverfahrens nicht zwangsläufig eine Hauptsacheklage erhoben, da sich der Antragsteller, der keine Verpflichtung zur Klageerhebung hat, nach Abschluss des Beweisverfahrens auch für einen Vergleich oder für den Verzicht auf jeden Rechtsbehelf gegen die andere Partei entscheiden kann. Und selbst wenn eine Hauptsacheklage erhoben wird, kann dies vor einem anderen Gericht geschehen, so wie im vorliegenden Fall, in dem das Gutachten vom Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) eingeholt wurde, während die Hauptsacheklage beim Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) erhoben wurde(57).

74.      In Übereinstimmung mit HanseYachts und der Kommission halte ich die Regelung des Art. 2239 des französischen Code civil (Zivilgesetzbuch)(58) über die Aussetzung der Verjährung, auf die das vorlegende Gericht und die Port d’Hiver Yachting ihre Auffassung stützen, dass zwischen der Anordnung einer Beweisaufnahme in futurum und der späteren Hauptsacheklage ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, nicht für geeignet, die vorstehenden Erwägungen in Frage zu stellen, da diese Regelung das Bestehen der behaupteten verfahrensrechtlichen Einheit nicht belegt(59).

75.      An der vom vorlegenden Gericht behaupteten Kontinuität fehlt es daher meines Erachtens in diesem Fall. Mir scheint, dass das vorlegende Gericht im Übrigen die gemäß Art. 145 CPC bestehende Trennung zwischen dem fraglichen Beweisverfahren und der Hauptsacheklage(60) selbst konzediert, da es namentlich in der Formulierung seiner Vorlagefrage selbst das Beweisverfahren als gegenüber dem Hauptsacheverfahren „selbständig“ bezeichnet.

76.      Nach alledem meine ich, dass die Art. 27 und 30 der Verordnung Nr. 44/2001 zusammen dahin auszulegen sind, dass in einem Fall, in dem in einem Mitgliedstaat ein Hauptsacheverfahren als Ergebnis einer auf die Zukunft gerichteten Beweisaufnahme eingeleitet wird, dieses Verfahren nicht als von dem Zeitpunkt an eingeleitet gelten kann, zu dem das Verfahren zur Herbeiführung dieser Beweisaufnahme in demselben Mitgliedstaat eingeleitet wurde. Folglich ist ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, das zwar nach diesem Beweisverfahren, aber vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens mit einer Klage zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs befasst worden ist, nicht verpflichtet, sein Verfahren gemäß der Verordnung wegen Rechtshängigkeit auszusetzen, weil es nicht das später angerufene Gericht ist.

77.      Wie bereits dargelegt(61), ist meiner Ansicht nach Art. 31 der Verordnung Nr. 44/2001 im vorliegenden Fall nicht auszulegen. Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, dass das vorlegende Gericht in dem Vorlagebeschluss die Möglichkeit anspricht, das Urteil St. Paul Dairy(62) zu berücksichtigen, das Art. 24 des Brüsseler Übereinkommens betraf, der Art. 31 der Verordnung im Wesentlichen entsprach. In diesem Urteil hat der Gerichtshof befunden, dass unter den Begriff der „einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“, im Sinne dieses Art. 24 nicht Beweismaßnahmen fallen, die es dem Antragsteller nur ermöglichen sollen, vor einem Prozess die Zweckmäßigkeit einer etwaigen Klage einzuschätzen(63), insbesondere um einer Häufung von Gerichtsständen in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis vorzubeugen.

78.      Das vorlegende Gericht gibt zu bedenken, dass Maßnahmen der Beweisaufnahme gemäß Art. 145 CPC den in jenem Urteil behandelten Maßnahmen entsprechen könnten und sich damit aus den Gründen dieses Urteils für die mit seiner Vorlagefrage begehrte Auslegung von Art. 30 der Verordnung Nr. 44/2001 ergäbe, dass in einem Fall, in dem in einem Mitgliedstaat eine solche Beweismaßnahme angeordnet wurde, eine Hauptsacheklage nicht in einem anderen Mitgliedstaat erhoben werden dürfe.

79.      Aus meiner Sicht bedarf die Frage, ob eine Beweisaufnahme vor einem Prozess als eine einstweilige oder auf eine Sicherung gerichtete Maßnahme im Sinne von Art. 31 der Verordnung Nr. 44/2001 angesehen werden kann, in diesem Kontext nur einer knappen Behandlung, da dieses Problem hier vom vorlegenden Gericht nur nachrangig angesprochen und zudem insbesondere im Hinblick auf Art. 145 CPC kontrovers beurteilt worden ist, und zwar nicht nur in den Erklärungen und Antworten im vorliegenden Verfahren vor dem Gerichtshof(64), sondern auch in der Literatur(65).

80.      Zu dieser Frage sei bloß angemerkt, dass – systematisch betrachtet – Art. 31 den Abschnitt 10 der Verordnung Nr. 44/2001 bildet, der die einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, zum Gegenstand hat, während die Art. 27 und 30 der Verordnung – um deren Auslegung es hier allein geht – zu Abschnitt 9 gehören, der die Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren betrifft. In der Sache folgt Art. 31 der Verordnung im Unterschied zu deren Art. 27 und 30, die das Verhältnis zwischen Parallelverfahren in mehreren Mitgliedstaaten regeln, einer völlig anderen Logik, weil er eine Zuständigkeit mit Ausnahmecharakter – die darum einer restriktiven Auslegung durch den Gerichtshof unterliegt(66) – normiert, kraft deren ein Gericht eines Mitgliedstaats eine einstweilige oder auf Sicherung gerichtete Maßnahme auch dann anordnen darf, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist.

81.      Angesichts des Gegenstands der Vorlagefrage in ihrer umformulierten Fassung ist darum meiner Auffassung nach keine Beurteilung entsprechend dem Urteil St. Paul Dairy(67) vorzunehmen, und jedenfalls kann dessen Inhalt die von mir hier vorgeschlagene Auslegung der Art. 27 und 30 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht in Frage stellen(68).

V –    Ergebnis

82.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Landgerichts Stralsund wie folgt zu beantworten:

Die Art. 27 und 30 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem in einem Mitgliedstaat ein selbständiges Beweisverfahren stattgefunden hat, das die Durchführung einer Beweisaufnahme vor einem Prozess zum Gegenstand hatte, und aufgrund der Ergebnisse dieser Beweisaufnahme eine Hauptsacheklage bei einem Gericht desselben Mitgliedstaats erhoben wurde, der Zeitpunkt, zu dem dieses Gericht im Sinne von Art. 30 der Verordnung als „angerufen gilt“, nicht bereits der Zeitpunkt ist, zu dem das Beweisverfahren eingeleitet worden ist. Folglich ist ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats, bei dem in der Zwischenzeit eine Hauptsacheklage zwischen denselben Parteien und wegen desselben Anspruchs erhoben wurde, als das „zuerst angerufene Gericht“ im Sinne des Art. 27 der Verordnung anzusehen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2001, L 12, S. 1.


3      Ich weise sogleich darauf hin, dass das am 27. September 1968 in Brüssel unterzeichnete Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der späteren Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen), das durch die Verordnung Nr. 44/2001 ersetzt worden ist, in seinem Art. 21 eine zu Art. 27 der Verordnung analoge Regelung, aber keine analoge Regelung zu Art. 30 der Verordnung enthielt. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung des Brüsseler Übereinkommens kann auf die Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 übertragen werden, soweit ihre Bestimmungen als gleichbedeutend angesehen werden können (vgl. u. a. Urteil vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a., C‑509/09 und C‑161/10, EU:C:2011:685, Rn. 39).


4      So werden – insbesondere von der französischen Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) (vgl. u. a. Urteile Nrn. 15-19.671 der Zweiten Zivilkammer vom 23. Juni 2016 und 14-25.340 der Handelskammer vom 16. Februar 2016, abrufbar unter: ) – Maßnahmen der Beweisaufnahme bezeichnet, die außerhalb eines Prozesses angeordnet werden. Sie werden damit abgegrenzt gegen Beweiserhebungsmaßnahmen, die im Rahmen eines Prozesses angeordnet werden (vgl. insbesondere Combes, G., und Ménétrey, S., „Incidents de procédure, Mesures d’instruction, Dispositions générales“, JurisClasseur Procédure civile, Heft 634, 2016, Nrn. 12 und 49 ff.).


5      Unter „Hauptsacheklage“ wird hier jede Klage verstanden, mit der eine endgültige Entscheidung über die fraglichen Ansprüche und Verpflichtungen erwirkt werden soll, und zwar unabhängig davon, ob sie (wie die Gewährung von Schadensersatz) positiver oder (wie die Feststellung fehlender Haftung) negativer Art ist. Den Gegensatz dazu bilden Anträge, die auf Entscheidungen nur vorläufiger Art oder nur über Verfahrens- oder Zuständigkeitsfragen gerichtet sind.


6      Zwar ist die Verordnung Nr. 44/2001 durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäisches Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) aufgehoben worden. Jedoch bleibt die Verordnung Nr. 44/2001 im vorliegenden Fall anwendbar, weil das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren vor dem 10. Januar 2015, dem Datum des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1215/2012, eingeleitet worden war (vgl. die Art. 66 und 81 der Verordnung Nr. 1215/2012). Vgl. auch Beraudo, J.‑P., und Beraudo, M.‑J., „Convention de Bruxelles, conventions de Lugano et règlements (CE) n° 44/2001 et (UE) n° 1215/2012 – Compétence – Règles de procédure ayant une incidence sur la compétence“, JurisClasseur Europe, Heft 3030, 2015, Nr. 62, wo ausgeführt wird, dass die Verordnung Nr. 44/2001 anzuwenden ist, wenn zumindest eines der Verfahren, das die Rechtshängigkeit begründen kann, vor diesem Datum eingeleitet wurde.


7      Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 3. April 2014, Weber (C‑438/12, EU:C:2014:212, Rn. 49 ff.), äußert das vorlegende Gericht die Ansicht, dass einer Sachentscheidung dieses französischen Gerichts in den übrigen Mitgliedstaaten nicht wegen Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeit die Anerkennung verweigert würde. Es bestehe keine ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte, und es gebe keine einschlägige Gerichtsstandsvereinbarung zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens (HanseYachts) und der Klägerin in dem französischen Verfahren (SMCA). Das französische Gericht könne für sich die Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 in Anspruch nehmen, weil der Erfolg der unerlaubten Handlung in Frankreich eingetreten sei.


8      Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ergibt sich seine eigene internationale Zuständigkeit aus dem geschlossenen Vertrag gemäß Art. 5 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001.


9      Vgl. oben, Fn. 7 und 8.


10      So bezweifelt die Kommission, dass die Klausel in dem 2011 zwischen HanseYachts und Port d’Hiver Yachting geschlossenen Händlervertrag, die Greifswald zum Gerichtsstand bestimmt, rückwirkend auf den zwischen ihnen im Vorjahr geschlossenen Kaufvertrag anwendbar ist und SMCA, der zweiten Beklagten ohne vertragliche Beziehung zur Klägerin des Ausgangsverfahrens, entgegengehalten werden kann. Die Beurteilung dieser Fragen, die von den Umständen des Ausgangsrechtsstreits abhängt, obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht und nicht dem Gerichtshof im Verfahren nach Art. 267 AEUV (vgl. u. a. Urteile vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec, C‑133/11, EU:C:2012:664, Rn. 24, und vom 25. April 2013, Asociația Accept, C‑81/12, EU:C:2013:275, Rn. 41).


11      So steht nach ständiger Rechtsprechung in Fällen der Rechtshängigkeit die Beurteilung der Zuständigkeit grundsätzlich dem zuerst angerufenen, nicht hingegen dem später angerufenen Gericht zu (vgl. insbesondere Urteil vom 27. Juni 1991, Overseas Union Insurance u. a., C‑351/89, EU:C:1991:279, Rn. 25 und 26).


12      Vgl. u. a. Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements (C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 48).


13      Vgl. u. a. Urteile vom 27. Februar 2014, Cartier parfums-lunettes und Axa Corporate Solutions assurances (C‑1/13, EU:C:2014:109, Rn. 24 ff.), und vom 3. April 2014, Weber (C‑438/12, EU:C:2014:212, Rn. 33 ff.).


14      Vgl. oben, Nrn. 15 und 16.


15      Bekanntlich lehnt der Gerichtshof die Beantwortung einer Vorlagefrage nur dann als unzulässig ab, wenn die begehrte Auslegung des Unionsrechts offensichtlich hypothetischer Art ist und für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit unerheblich wäre (vgl. u. a. Urteile vom 22. Mai 2014, Érsekcsanádi Mezőgazdasági, C‑56/13, EU:C:2014:352, Rn. 36 bis 38, sowie vom 6. November 2014, Cartiera dell’Adda, C‑42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 29).


16      Diese Aufgabe obliegt ausschließlich den nationalen Gerichten (vgl. u. a. Urteile vom 15. Januar 2013, Križan u. a., C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 58, und vom 11. September 2014, Essent Belgium, C‑204/12 bis C‑208/12, EU:C:2014:2192, Rn. 52). Als Besonderheit des vorliegenden Falles sei angesprochen, dass das vorlegende Gericht hier ein deutsches Gericht ist, während die zwischen den Beteiligten streitigen Verfahrensvorschriften nicht zum deutschen Recht, sondern zum französischen Recht gehören, mit dessen Inhalt und Tragweite das vorlegende Gericht nicht notwendig vertraut ist. Allerdings hat der Gerichtshof nicht darüber zu entscheiden, ob die Auslegung dieser Vorschriften durch das vorlegende Gericht die richtige ist (Urteil vom 13. Dezember 2012, Caves Krier Frères, C‑379/11, EU:C:2012:798, Rn. 36).


17      Vgl. u. a. Urteil vom 22. Mai 2014, Érsekcsanádi Mezőgazdasági (C‑56/13, EU:C:2014:352, Rn. 53).


18      Vgl. u. a. Urteile vom 24. Februar 2015, Grünewald (C‑559/13, EU:C:2015:109, Rn. 32), und vom 13. Juli 2016, Pöpperl (C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 35).


19      Vgl. insbesondere Urteil vom 17. Januar 2013, Zakaria (C‑23/12, EU:C:2013:24, Rn. 30).


20      Dieses Konzept der Autonomie verfolgt der Gerichtshof seit Langem (vgl. u. a. Urteil vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik, 144/86, EU:C:1987:528, Rn. 6 und 11, zum Begriff der Rechtshängigkeit gemäß Art. 21 des Brüsseler Übereinkommens, dem Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 im Wesentlichen entspricht) und hat es seither immer wieder bekräftigt (vgl. u. a. Urteil vom 28. Juli 2016, Siemens Aktiengesellschaft Österreich, C‑102/15, EU:C:2016:607, Rn. 30, zur Auslegung der Vorschriften der Verordnung Nr. 44/2001).


21      Es sei angemerkt, dass hier in den Erklärungen der Beteiligten vor dem Gerichtshof zahlreiche Argumente mit innerstaatlichem Bezug vorgebracht worden sind.


22      In seiner Stellungnahme in der Rechtssache Purrucker (C‑296/10, EU:C:2010:578, Rn. 89), in der es ebenfalls um die Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit ging, hat Generalanwalt Jääskinen zu Recht ausgeführt, dass „der Ansatz des Gerichtshofs neutral, objektiv und losgelöst von Zufälligkeiten sowohl tatsächlicher als auch prozessualer oder rechtlicher Art zu sein [hat], die das Ausgangsverfahren aufweist. Die Gegebenheiten des vorliegenden Falles … können nicht entscheidend sein für die Lösung“.


23      Die französische Regierung hat insoweit nicht Stellung genommen, da sie – wie erwähnt – im vorliegenden Verfahren keine schriftlichen Erklärungen eingereicht hat, aber sie hat Fragen des Gerichtshofs nach dem Inhalt des französischen Rechts beantwortet, insbesondere nach den Maßnahmen der Beweisaufnahme gemäß Art. 145 CPC.


24      Vgl. u. a. Urteile vom 4. Juni 2015, Brasserie Bouquet (C‑285/14, EU:C:2015:353, Rn. 15), und vom 20. Oktober 2016, Danqua (C‑429/15, EU:C:2016:789, Rn. 36).


25      Vgl. u. a. Urteile vom 13. Februar 2014, Airport Shuttle Express u. a. (C‑162/12 und C‑163/12, EU:C:2014:74, Rn. 30 und 31), und vom 3. Juli 2014, Gross (C‑165/13, EU:C:2014:2042, Rn. 20).


26      Zu diesem verwandten Problem vgl. unten, Nrn. 77 ff.


27      Laut dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung müssen „[i]m Interesse einer abgestimmten Rechtspflege“ solche drohenden Parallelverfahren „so weit wie möglich vermieden werden“, und gerade zu diesem Zweck wurden einheitliche Vorschriften zur leichteren Lösung der Probleme der Rechtshängigkeit geschaffen. Vgl. Urteil vom 27. Juni 1991, Overseas Union Insurance u. a. (C‑351/89, EU:C:1991:279, Rn. 16), zum Brüsseler Übereinkommen.


28      Insoweit ist es, wie die Kommission hervorhebt, ohne Bedeutung, dass die deutsche Fassung von Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen den beiden letztgenannten Kriterien trifft, die in den anderen Sprachfassungen zu finden sind (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik, 144/86, EU:C:1987:528, Rn. 14, zur deutschen Fassung von Art. 21 des Brüsseler Übereinkommens, der Art. 27 der Verordnung Nr. 44/2001 entsprach).


29      Vgl. u. a. Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements (C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 38).


30      Vgl. u. a. Urteile vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik (144/86, EU:C:1987:528, Rn. 13), und vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements (C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 41).


31      Die Umkehrung der Verfahrenspositionen liegt im Übrigen im Wesen einer negativen Feststellungsklage, wie sie HanseYachts beim vorlegenden Gericht erhoben hat, um sich von der vor dem Tribunal de commerce de Toulon (Handelsgericht Toulon) streitigen Haftung zu befreien (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec, C‑133/11, EU:C:2012:664, Rn. 43).


32      Vgl. Urteil vom 6. Dezember 1994, Tatry (C‑406/92, EU:C:1994:400, Rn. 34 ff.). Im vorliegenden Fall stellt das vorlegende Gericht klar, dass es im Fall seiner Verpflichtung, das Verfahren zwischen HanseYachts und SMCA nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 wegen Rechtshängigkeit auszusetzen, von seiner Befugnis aus Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Gebrauch machen würde, das Verfahren wegen Zusammenhangs auch zwischen HanseYachts und den übrigen Beklagten auszusetzen.


33      Vgl. u. a. Urteil vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik (144/86, EU:C:1987:528, Rn. 15), wo der Gerichtshof feststellte, dass die beiden Parallelverfahren die gleiche Grundlage hatten, weil sie auf „demselben Vertragsverhältnis“ beruhten, und Urteil vom 14. Oktober 2004, Mærsk Olie & Gas (C‑39/02, EU:C:2004:615, Rn. 38), wo der Gerichtshof demgegenüber zu dem Ergebnis gelangte, dass „die rechtlichen Regelungen, auf die die beiden Klagen gestützt [wurden], unterschiedlich [waren]“.


34      Vgl. u. a. Urteil vom 6. Dezember 1994, Tatry (C‑406/92, EU:C:1994:400, Rn. 41). Im Urteil vom 8. Mai 2003, Gantner Electronic (C‑111/01, EU:C:2003:257, Rn. 31), hat der Gerichtshof klargestellt, dass für die Beurteilung, ob der Gegenstand identisch ist, nur die jeweiligen Anträge der Kläger in den Parallelverfahren, nicht hingegen ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel zu berücksichtigen sind.


35      Vgl. u. a. Urteil vom 8. Dezember 1987, Gubisch Maschinenfabrik (144/86, EU:C:1987:528, Rn. 17).


36      Vgl. u. a. Urteil vom 25. Oktober 2012, Folien Fischer und Fofitec (C‑133/11, EU:C:2012:664, Rn. 49), betreffend eine negative Feststellungsklage. In anderen Urteilen werden die beiden Kriterien klar voneinander geschieden (vgl. insbesondere Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements, C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 43 bis 46).


37      Vgl. Urteil vom 19. Dezember 2013, Nipponkoa Insurance (C‑452/12, EU:C:2013:858, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


38      Vgl. insoweit unten, Nrn. 60 ff.


39      Nämlich dann, wenn das Gericht nicht durch einen Antrag im Klageverfahren, sondern in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes befasst wird, wie dies vor dem Tribunal de commerce de Marseille (Handelsgericht Marseille) der Fall war.


40      Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements (C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 56 und 57), zu der Frage, ab welchem Zeitpunkt ein Gericht als im Sinne dieser Artikel angerufen gilt, wenn durch eine Zivilpartei Klage bei einem Untersuchungsgericht eingereicht worden ist.


41      Verordnung des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. 2000, L 160, S. 37). Dieser Art. 19 der Verordnung Nr. 1348/2000 über die Nichteinlassung des Beklagten wurde in den Rechtsakt übernommen, der die Verordnung Nr. 1348/2000 ersetzte, d. h. in die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 (ABl. 2007, L 324, S. 79).


42      Dem von der Kommission am 26. Mai 1999 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates (KOM[1999] 219 endg.), der zum Erlass der Verordnung Nr. 1348/2000 führte, ist zu entnehmen, dass Art. 19 dieser Verordnung den Inhalt der Art. 15 und 16 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen übernahm (vgl. Abschnitt 4.4 der Begründung des Vorschlags und die Anmerkungen zu Art. 19 des Vorschlags).


43      In seinem Manuel pratique sur le fonctionnement de la Convention Notification de La Haye (Wilson & Lafleur, Montreal 2006, Rn. 66 und 276) unterscheidet das Ständige Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zwischen verfahrenseinleitenden Schriftstücken und Schriftstücken im Verfahren der Beweisaufnahme und hebt hervor, dass „[d]er Ausdruck ‚gleichwertiges Schriftstück‘ diejenigen Schriftstücke umfasst, die gleiche Wirkungen wie das verfahrenseinleitende Schriftstück entfalten, wie die Berufungsschrift [oder] die Erklärung des Streitbeitritts“.


44      Laut dem Urteil vom 14. Oktober 2004, Mærsk Olie & Gas (C‑39/02, EU:C:2004:615, Rn. 59), ist „ein Beschluss, mit dem vorläufig der Höchstbetrag der Haftung festgelegt wird [und der] vom Gericht nach einem einseitigen Verfahren vorläufig erlassen wird, um anschließend … Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung zu werden[,] … einem verfahrenseinleitenden Schriftstück gleichwertig“. Ein Schriftstück, mit dem eine auf die Zukunft gerichtete Beweisaufnahme eingeleitet wird, lässt sich meines Erachtens einem solchen Beschluss nicht gleichsetzen.


45      Hervorhebung nur hier.


46      So verhält es sich u. a. in Art. 2 Nr. 1, Art. 5 Nr. 6, Art. 12 Abs. 1, Art. 16 Abs. 2 und Art. 22 Nr. 4 der Verordnung. Diese Bestimmungen stehen den üblicherweise so bezeichneten „besonderen“ Zuständigkeitsregeln entgegen, weil sie „den jeweiligen Gerichtsstand unmittelbar und ohne Bezug auf die innerstaatlichen Zuständigkeitsregeln des Staates, in dessen Hoheitsgebiet das in Frage kommende Gericht seinen Sitz hat, [festlegen]“, um auf diese Weise unter allen Gerichten dieses Staates dasjenige zu bestimmen, das für die Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig ist, so P. Jenard in seinem Bericht zu dem Brüsseler Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 22).


47      Das Gericht macht geltend, dass im Fall einer in einem Mitgliedstaat begonnenen Beweisaufnahme der Verfahrensgegner in diesem Beweisverfahren gewarnt wäre, dass eine Klageerhebung gegen ihn unmittelbar bevorstehe, und dann mutmaßlich, wie hier HanseYachts, die Initiative ergriffe, mit der Hauptsache ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat zu befassen, das ihm günstiger gesonnen scheine.


48      Vgl. den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 (KOM[2009] 174 endg., Abschnitte 3.4. und 3.5).


49      Im 15. Erwägungsgrund heißt es: „Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.“


50      Der Begründung für den Vorschlag der Kommission vom 14. Juli 1997 (KOM[1999] 348 endg.), der zum Erlass der Verordnung Nr. 44/2001 führte, ist zu entnehmen, dass die autonome Definition des Zeitpunkts, zu dem ein Verfahren im Sinne der Art. 27 und 28 „anhängig“ wird, vor allem eine Lücke im Brüsseler Übereinkommen schließen sollte und darauf abzielte, die verschiedenen Verfahrensordnungen miteinander in Einklang zu bringen und gleichzeitig die Waffengleichheit der Kläger sowie den Schutz vor einem Verfahrensmissbrauch zu gewährleisten (vgl. S. 7, 20 und 21).


51      Diese Vielfalt der nationalen Rechtsvorschriften ist vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Juni 1984, Zelger (129/83, EU:C:1984:215, Rn. 10 ff.), zum Brüsseler Übereinkommen hervorgehoben worden.


52      Nach diesem Art. 30 ist der Zeitpunkt der Anrufung eines Gerichts entweder der Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist – nämlich in den Mitgliedstaaten, in denen dieses Schriftstück anschließend zugestellt werden muss – (Nr. 1), oder der Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat – so in den Mitgliedstaaten, in denen die Zustellung vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist (Nr. 2). Vgl. ferner Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements (C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 57), und entsprechend Beschlüsse vom 16. Juli 2015, P (C‑507/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:512, Rn. 30 ff.), und 22. Juni 2016, M. H. (C‑173/16, EU:C:2016:542, Rn. 24 bis 28).


53      In der Mitteilung der Kommission vom 26. November 1997 an den Rat und an das Europäische Parlament mit dem Titel „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“ (KOM[97] 609 endg.) wurde ausdrücklich erwähnt, dass diese autonome Begriffsbildung die Rechtssicherheit und Effizienz der auf dem Gebiet der Rechtshängigkeit anwendbaren Mechanismen stärken kann (vgl. S. 11, Rn. 15, und S. 35).


54      Vgl. oben, Nrn. 57 ff.


55      Die französische Regierung weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) (vgl. u. a. Urteil Nr. 07-21.572 der Zweiten Zivilkammer vom 5. Februar 2009, abrufbar unter: ) eine auf die Zukunft gerichtete Beweisaufnahme, die zu einem Zeitpunkt beantragt wird, in dem schon ein Hauptsacheverfahren eingeleitet worden ist, für unzulässig zu erklären ist.


56      Die französische Regierung hat erläutert, dass im Fall eines Sachverständigengutachtens, dessen Einholung – wie hier – im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angeordnet wird, der Richter, der die Anordnung gemäß Art. 145 CPC erlassen hat, in diesem Verfahren weder ein neues Gutachten einholen noch über das eingeholte Gutachten befinden kann, weil dessen Beurteilung gegebenenfalls dem Richters des Hauptsacheverfahrens obliegt.


57      Die Gründe für die Anrufung unterschiedlicher Gerichte ergeben sich nicht aus dem Vorlagebeschluss.


58      Nach diesem Artikel, der in Buch III („Von der Art und Weise, wie man das Eigentum erlangt“) Titel XX („Die Verjährung von Ansprüchen“) steht, wird „[d]ie Verjährung … ebenfalls ausgesetzt, wenn der Richter einem Antrag auf Beweisaufnahme vor einem Prozess stattgibt“, und beginnt „[d]ie Verjährung … ab dem Abschluss der Beweisaufnahme für mindestens sechs Monate erneut zu laufen“.


59      Mit diesem Art. 2239 soll den Parteien eine Bedenkzeit eingeräumt werden, um sich – ohne Automatismus – darüber schlüssig zu werden, ob die Erhebung einer Hauptsacheklage angezeigt erscheint (vgl. Marchand, X., Savatic, P., und Audouy, J., „Mesures d’instruction exécutées par un technicien“, JurisClasseur Procédure civile, Heft 660, 2011, Rn. 24 und 238 ff.).


60      In diesem Sinne hat die französische Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) geurteilt, da sie festgestellt hat, dass im Fall eines Rechtsstreits mit internationalem Gegenstand die Durchführung einer Beweisaufnahme gemäß Art. 145 CPC dem französischen Recht unabhängig davon unterliegt, welches Recht letztlich in dem Hauptsacheverfahren anzuwenden ist, welches möglicherweise nach der Beweisaufnahme eingeleitet wird (Urteil Nr. 15‑20.495 der Ersten Zivilkammer vom 3. November 2016, abrufbar unter: ). Nach Auffassung von Théry, P., „Le référé probatoire et l’application dans le temps de la loi du 17 juin 2008“, RDI, 2009, S. 481, können das Verfahren der auf die Zukunft gerichteten Beweisaufnahme und das etwaige spätere Hauptsacheverfahren voneinander gesondert werden und damit unterschiedlichen Rechten unterstellt werden, da das letztere Verfahren „nicht die Fortsetzung“ des ersteren Verfahrens bildet.


61      Vgl. oben, Nr. 45.


62      Urteil vom 28. April 2005 (C‑104/03, EU:C:2005:255), auf dessen Rn. 19 ff. sich das vorlegende Gericht insbesondere bezieht.


63      Dort ging es um die Anordnung, einen Zeugen zu vernehmen, um es dem Antragsteller zu ermöglichen, die Zweckmäßigkeit einer etwaigen Klage einzuschätzen, die Rechtsgrundlage für eine solche Klage zu ermitteln und die Stichhaltigkeit möglicher Klagegründe zu beurteilen.


64      Die französische Regierung ist insbesondere der Ansicht, dass eine auf die Zukunft gerichtete Beweisaufnahme, wie sie im vorliegenden Fall gemäß Art. 145 CPC angeordnet wurde, als eine der „einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“, im Sinne von Art. 31 der Verordnung Nr. 44/2001 angesehen werden kann, wofür sie sich insbesondere auf ein Urteil der französischen Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) (Urteil Nr. 00‑18.547 der Ersten Zivilkammer vom 11. Dezember 2001, abrufbar unter: ) stützt. Die Kommission vertritt die gegenteilige Auffassung.


65      Vgl. insbesondere Beraudo, J.‑P., und Beraudo, M.‑J., „Convention de Bruxelles du 27 septembre 1968, convention de Lugano du 16 septembre 1988 et règlement (CE) n° 44/2001 du Conseil du 2 décembre 2000 – Compétence – Règles de compétence dérogatoires“, JurisClasseur Europe, Heft 3031, 2012, Rn. 39, sowie Gaudemet-Tallon, H., Compétence et exécution des jugements en Europe, LGDJ-Lextenso, Issy-les-Moulineaux, 5. Aufl., 2015, Nr. 308-1 und die dort angeführte weitere Literatur.


66      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 1999, Mietz (C‑99/96, EU:C:1999:202, Rn. 46 und 47), zu der analogen Regelung des Art. 24 des Brüsseler Übereinkommens.


67      Urteil vom 28. April 2005 (C‑104/03, EU:C:2005:255).


68      Siehe oben, Nr. 76.