Language of document : ECLI:EU:C:2022:548

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

12. Juli 2022(*)

„Rechtsmittel – Energie – Erdgasbinnenmarkt – Richtlinie 2009/73/EG – Richtlinie (EU) 2019/692 – Erweiterung der Anwendbarkeit der Richtlinie 2009/73 auf Gasleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern – Art. 263 Abs. 4 AEUV – Nichtigkeitsklage – Voraussetzung, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme unmittelbar betroffen sein muss – Kein Ermessen in Bezug auf die dem Kläger auferlegten Verpflichtungen – Voraussetzung, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme individuell betroffen sein muss – Ausgestaltung der Ausnahmen, durch die der Kläger als einziger Wirtschaftsteilnehmer von deren Inanspruchnahme ausgeschlossen wird – Antrag auf Entfernung von Dokumenten aus den Akten – Regeln über die Vorlage von Beweisen im Verfahren vor den Unionsgerichten – Interne Dokumente der Unionsorgane“

In der Rechtssache C‑348/20 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 28. Juli 2020,

Nord Stream 2 AG mit Sitz in Zug (Schweiz), im schriftlichen und mündlichen Verfahren vertreten durch L. Van den Hende, Advocaat, L. Malý, Solicitor-Advocate, Rechtsanwältin J. Penz-Evren und M. Schonberg, Solicitor-Advocate,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäisches Parlament, vertreten durch I. McDowell, L. Visaggio, J. Etienne und O. Denkov als Bevollmächtigte,

Rat der Europäischen Union, zunächst vertreten durch A. Lo Monaco, K. Pavlaki und S. Boelaert, dann durch A. Lo Monaco und K. Pavlaki als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch

Republik Estland, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,

Republik Lettland, zunächst vertreten durch K. Pommere und V. Soņeca, dann durch K. Pommere als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Streithelferinnen im Rechtsmittelverfahren,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, S. Rodin, I. Jarukaitis und N. Jääskinen, der Richter J.‑C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb und N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi sowie des Richters A. Kumin,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Oktober 2021

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Nord Stream 2 AG die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 20. Mai 2020, Nord Stream 2/Parlament und Rat (T‑526/19, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2020:210), soweit das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie (EU) 2019/692 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. 2019, L 117, S. 1, im Folgenden: streitige Richtlinie) als unzulässig abgewiesen sowie u. a. angeordnet hat, bestimmte von der Rechtsmittelführerin vorgelegte Dokumente aus den Akten zu entfernen.

 Rechtlicher Rahmen

 Streitige Richtlinie und Richtlinie 2009/73

2        Durch die streitige Richtlinie wurde die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94) geändert. In den Erwägungsgründen 1 bis 4 und 9 der streitigen Richtlinie heißt es:

„(1)      Der Erdgasbinnenmarkt, der seit 1999 in der [Europäischen] Union schrittweise geschaffen wird, soll allen privaten und gewerblichen Endverbrauchern in der Union eine echte Wahl ermöglichen, neue Geschäftschancen eröffnen, faire Wettbewerbsbedingungen bieten, wettbewerbsfähige Preise, effiziente Investitionssignale und einen höheren Dienstleistungsstandard bewirken sowie zu mehr Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit beitragen.

(2)      Die Richtlinien 2003/55/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. 2003, L 176, S. 57)] und [2009/73] waren ein wichtiger Beitrag zur Schaffung des Erdgasbinnenmarktes.

(3)      Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, Hindernisse für die Vollendung des Erdgasbinnenmarktes zu beseitigen, die sich aus der Nichtanwendung der Marktvorschriften der Union auf Gasfernleitungen aus Drittländern und in Drittländer ergeben. Mit den durch diese Richtlinie eingeführten Änderungen soll sichergestellt werden, dass die für Gasfernleitungen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften auch für Gasfernleitungen in der Union aus Drittländern und in Drittländer gelten. …

(4)      Um dem Fehlen spezifischer Unionsvorschriften für Gasfernleitungen aus Drittländern und in Drittländer vor dem Tag des Inkrafttretens dieser Richtlinie Rechnung zu tragen, sollten die Mitgliedstaaten Ausnahmen von bestimmten Vorschriften der Richtlinie [2009/73] für Gasfernleitungen gewähren können, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieser Richtlinie fertiggestellt sind. …

(9)      Die Anwendbarkeit der Richtlinie [2009/73] auf Gasfernleitungen aus Drittländern und in Drittländer bleibt auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten beschränkt. In Bezug auf Offshore-Gasfernleitungen sollte die Richtlinie [2009/73] im Küstenmeer des Mitgliedstaats gelten, in dem der erste Kopplungspunkt mit dem Netz der Mitgliedstaaten gelegen ist.

…“

3        Ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 werden mit der Richtlinie 2009/73 in der durch die streitige Richtlinie geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2009/73) gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas erlassen, und sie regelt die Organisation und Funktionsweise des Erdgassektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Erteilung von Fernleitungs-, Verteilungs-, Liefer- und Speichergenehmigungen für Erdgas sowie den Betrieb des Netzes.

4        Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 lautet: „Die Einrichtung eines Netzbetreibers (ISO) oder eines Fernleitungsnetzbetreibers (ITO), der unabhängig von Versorgungs- und Gewinnungsinteressen ist, sollte es vertikal integrierten Unternehmen ermöglichen, Eigentümer der Vermögenswerte des Netzes zu bleiben und gleichzeitig eine wirksame Trennung der Interessen sicherzustellen, sofern der unabhängige Netzbetreiber oder der unabhängige Fernleitungsnetzbetreiber sämtliche Funktionen eines Netzbetreibers wahrnimmt und sofern eine detaillierte Regulierung und umfassende Regulierungskontrollmechanismen gewährleistet sind.“

5        Seit dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie sieht Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 2009/73 vor, dass der Begriff „Verbindungsleitung“ nicht nur „eine Fernleitung, die eine Grenze zwischen Mitgliedstaaten quert oder überspannt und dem Zweck dient, die nationalen Fernleitungsnetze dieser Mitgliedstaaten zu verbinden“ bezeichnet, sondern nunmehr auch „eine Fernleitung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland bis zum Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder dem Küstenmeer dieses Mitgliedstaats“.

6        Art. 9 („Entflechtung der Fernleitungsnetze und der Fernleitungsnetzbetreiber“) der Richtlinie 2009/73 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass ab dem 3. März 2012

a)      jedes Unternehmen, das Eigentümer eines Fernleitungsnetzes ist, als Fernleitungsnetzbetreiber agiert;

b)      nicht ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind),

i)      direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen der Gewinnung oder der Versorgung wahrnimmt, und direkt oder indirekt die Kontrolle über einen Fernleitungsnetzbetreiber oder ein Fernleitungsnetz auszuüben oder Rechte an einem Fernleitungsnetzbetreiber oder einem Fernleitungsnetz auszuüben oder

ii)      direkt oder indirekt die Kontrolle über einen Fernleitungsnetzbetreiber oder ein Fernleitungsnetz auszuüben und direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen Gewinnung oder Versorgung wahrnimmt, oder Rechte an einem Unternehmen, das eine dieser Funktionen wahrnimmt, auszuüben;

c)      nicht ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), Mitglieder des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe eines Fernleitungsnetzbetreibers oder eines Fernleitungsnetzes zu bestellen und direkt oder indirekt die Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben, das eine der Funktionen Gewinnung oder Versorgung wahrnimmt, oder Rechte an einem Unternehmen, das eine dieser Funktionen wahrnimmt, auszuüben, und

d)      nicht ein und dieselbe(n) Person(en) berechtigt ist (sind), Mitglied des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrates oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe sowohl eines Unternehmens, das eine der Funktionen Gewinnung oder Versorgung wahrnimmt, als auch eines Fernleitungsnetzbetreibers oder eines Fernleitungsnetzes zu sein.

(8)      In den Fällen, in denen das Fernleitungsnetz am 3. September 2009 einem vertikal integrierten Unternehmen gehörte, kann ein Mitgliedstaat beschließen, Absatz 1 nicht anzuwenden. In Bezug auf den Abschnitt des Fernleitungsnetzes, der einen Mitgliedstaat mit einem Drittland zwischen der Grenze dieses Mitgliedstaats und dem ersten Kopplungspunkt mit dem Netz dieses Mitgliedstaats verbindet, kann in den Fällen, in denen das Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 einem vertikal integrierten Unternehmen gehört, ein Mitgliedstaat beschließen, Absatz 1 nicht anzuwenden.

In diesem Fall muss der betreffende Mitgliedstaat entweder

a)      einen unabhängigen Netzbetreiber gemäß Artikel 14 benennen oder

b)      die Bestimmungen des Kapitels IV einhalten.

(9)      In den Fällen, in denen das Fernleitungsnetz am 3. September 2009 einem vertikal integrierten Unternehmen gehörte und Regelungen bestanden, die eine wirksamere Unabhängigkeit des Fernleitungsnetzbetreibers gewährleisten als die Bestimmungen des Kapitels IV, kann ein Mitgliedstaat beschließen, Absatz 1 des vorliegenden Artikels nicht anzuwenden:

In Bezug auf den Abschnitt des Fernleitungsnetzes, der einen Mitgliedstaat mit einem Drittland verbindet, zwischen der Grenze dieses Mitgliedstaats und dem ersten Kopplungspunkt mit dem Netz dieses Mitgliedstaats in den Fällen, in denen das Fernleitungsnetz am 23. Mai 2019 einem vertikal integrierten Unternehmen gehört und sofern Regelungen bestehen, die eine wirksamere Unabhängigkeit des Fernleitungsnetzbetreibers gewährleisten als die Bestimmungen des Kapitels IV, kann dieser Mitgliedstaat beschließen, Absatz 1 des vorliegenden Artikels nicht anzuwenden.“

7        Art. 32 („Zugang Dritter“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Einführung eines Systems für den Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilernetz und zu den [Flüssiggas (LNG)-Anlagen] auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden, einschließlich Versorgungsunternehmen, und wird nach objektiven Kriterien und ohne Diskriminierung von Netzbenutzern angewandt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese Tarife oder die Methoden zu ihrer Berechnung gemäß Artikel 41 von einer in Artikel 39 Absatz 1 genannten Regulierungsbehörde vor deren Inkrafttreten genehmigt werden und dass die Tarife und – soweit nur die Methoden einer Genehmigung unterliegen – die Methoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.“

8        Nach Art. 36 („Neue Infrastruktur“) Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 können große neue Erdgasinfrastrukturen, d. h. Verbindungsleitungen, LNG- und Speicheranlagen, auf Antrag unter den dort genannten Voraussetzungen – darunter u. a. nach Buchst. b derjenigen, dass das mit der Investition verbundene Risiko so hoch ist, dass die Investition ohne eine Ausnahmegenehmigung nicht getätigt würde – für einen bestimmten Zeitraum von den Bestimmungen u. a. der Art. 9 und 32 ausgenommen werden. Seit Inkrafttreten der streitigen Richtlinie sieht Art. 36 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2009/73 zudem vor, dass sich die nach dieser Bestimmung gewährte Ausnahme für neue Infrastruktur u. a. nicht nachteilig auf die „Erdgasversorgungssicherheit der Union“ auswirken darf.

9        Art. 41 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) Abs. 6, 8 und 10 der Richtlinie 2009/73 bestimmt:

„(6)      Den Regulierungsbehörden obliegt es, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen mit ausreichendem Vorlauf vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen:

a)      Anschluss und Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich Fernleitungs- und Verteilungstarife, und Bedingungen und Tarife für den Zugang zu LNG-Anlagen. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze und LNG-Anlagen so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze und LNG-Anlagen gewährleistet ist;

c)      die Bedingungen für den Zugang zu grenzübergreifenden Infrastrukturen einschließlich der Verfahren für Kapazitätsvergabe und Engpassmanagement.

(8)      Bei der Festsetzung oder Genehmigung der Tarife oder Methoden und der Ausgleichsleistungen stellt die Regulierungsbehörde sicher, dass für die Fernleitungs- und Verteilerbetreiber angemessene Anreize geschaffen werden, sowohl kurzfristig als auch langfristig die Effizienz zu steigern, die Marktintegration und die Versorgungssicherheit zu fördern und entsprechende Forschungsarbeiten zu unterstützen.

(10)      Die Regulierungsbehörden sind befugt, falls erforderlich von Betreibern von Fernleitungsnetzen, Speicheranlagen, LNG-Anlagen und Verteilernetzen zu verlangen, die in diesem Artikel genannten Bedingungen, einschließlich der Tarife, zu ändern, um sicherzustellen, dass sie angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden. …“

10      Art. 49a („Abweichungen in Bezug auf Fernleitungen aus Drittländern und in Drittländer“) der Richtlinie 2009/73 wurde durch die streitige Richtlinie eingefügt; in dieser Bestimmung heißt es:

„(1)      Für Gasfernleitungen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland, die vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden, kann der Mitgliedstaat, in dem der erste Kopplungspunkt einer solchen Fernleitung mit dem Netz eines Mitgliedstaats gelegen ist, beschließen, in Bezug auf die Abschnitte einer solchen in seinem Hoheitsgebiet und Küstenmeer befindlichen Gasfernleitung aus objektiven Gründen, wie etwa, um eine Amortisierung der getätigten Investitionen zu ermöglichen oder aus Gründen der Versorgungssicherheit, von den Artikeln 9, 10, 11 und 32 und von Artikel 41 Absätze 6, 8 und 10 abzuweichen, sofern die Abweichung den Wettbewerb auf dem Erdgasbinnenmarkt in der Union, dessen effektives Funktionieren oder die Versorgungssicherheit in der Union nicht beeinträchtigen würde.

Die Ausnahmeregelung ist zeitlich begrenzt auf bis zu 20 Jahre auf der Grundlage einer objektiven Begründung, kann – falls gerechtfertigt – verlängert werden und kann an Bedingungen geknüpft sein, die zur Einhaltung der oben genannten Bedingungen beitragen.

(3)      Entscheidungen gemäß den Absätzen 1 und 2 werden bis zum 24. Mai 2020 getroffen. Die Mitgliedstaaten übermitteln der [Europäischen] Kommission diese Entscheidungen und veröffentlichen sie.“

11      Nach Art. 2 Abs. 1 der streitigen Richtlinie waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, unbeschadet jeglicher Ausnahmeregelungen aufgrund von Art. 49a der Richtlinie 2009/73 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich sind, um der streitigen Richtlinie bis zum 24. Februar 2020 nachzukommen.

 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001

12      In Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) heißt es:

„(1)      Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

a)      der Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf:

–        die internationalen Beziehungen,

(2)      Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

–        der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

13      Die in den Rn. 1 bis 11 des angefochtenen Beschlusses dargestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.

14      Bei der Rechtsmittelführerin, Nord Stream 2, handelt es sich um eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, deren einzige Anteilseignerin die russische öffentliche Aktiengesellschaft Gazprom ist. Ihre Aufgabe besteht in der Planung, dem Bau und dem Betrieb der Offshore-Gasfernleitung Nord Stream 2, an deren Finanzierung in Höhe von 9,5 Mrd. Euro sich die ENGIE SA, die OMV AG, die Royal Dutch Shell plc, die Uniper SE und die Wintershall Dea GmbH zu 50 % beteiligen.

15      Im Januar 2017 wurde mit den Betonierungsarbeiten für die Rohre der Offshore-Gasfernleitung begonnen, deren Abnahme im September 2018 hätte erfolgen sollen.

16      Die aus zwei Röhren bestehende Offshore-Gasfernleitung Nord Stream 2 wird zur Durchleitung von Gas zwischen Wyborg (Russland) und Lubmin (Deutschland) dienen. Auf deutschem Gebiet wird das über die Offshore-Gasfernleitung zugeführte Gas in der Onshore-Gasfernleitung ENEL sowie in der Onshore-Gasfernleitung EUGAL weitergeleitet.

17      Auf Vorschlag der Kommission vom 8. November 2017 (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, COM[2017] 660 final) erließen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 17. April 2019 die streitige Richtlinie, die am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung, d. h. am 23. Mai 2019, in Kraft trat. Zu diesem Zeitpunkt waren die Betonierungsarbeiten für die Röhren der Gasfernleitung Nord Stream 2 nach den Angaben der Rechtsmittelführerin zu 95 % abgeschlossen, und 610 km bzw. 432 km ihrer beiden Gasfernleitungsröhren waren auf dem Boden des Küstenmeers und/oder der ausschließlichen Wirtschaftszone Russlands, Finnlands, Schwedens und Deutschlands verlegt worden.

 Verfahren vor dem Gericht

18      Mit Klageschrift, die am 26. Juli 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Richtlinie in ihrer Gesamtheit und machte hierzu sechs Klagegründe geltend.

19      Mit gesonderten Schriftsätzen, die am 10. Oktober bzw. 14. Oktober 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben das Parlament und der Rat jeweils eine Einrede der Unzulässigkeit gegen diese Klage, mit der die Nichtigerklärung der streitigen Richtlinie begehrt wurde.

20      Darüber hinaus beantragte der Rat mit gesondertem Schriftsatz, der am 11. Oktober 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, anzuordnen, dass bestimmte Dokumente nicht zu den Akten genommen oder, sofern sie von der Rechtsmittelführerin vorgelegt wurden, aus den Akten entfernt werden. Im Rahmen dieses Zwischenstreitantrags trug der Rat vor, dass er mehrere Anfragen nach der Verordnung Nr. 1049/2001 erhalten habe, die sich auf Dokumente zu den Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Union und der Russischen Föderation sowie auf das Gesetzgebungsverfahren bezogen hätten, das zum Erlass der streitigen Richtlinie geführt habe. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Zwischenstreitantrags habe er zu keinem dieser Dokumente Zugang gewährt und zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage durch die Rechtsmittelführerin sei die Zurückweisung dieser Anträge auf Dokumentenzugang nicht vor dem Gericht angefochten worden.

21      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 29. November 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte die Rechtsmittelführerin den Erlass einer prozessleitenden Maßnahme, mit der die Vorlage bestimmter im Besitz des Rates befindlicher Dokumente angeordnet wird.

22      Am 17. Januar 2020 nahmen das Parlament und der Rat zu diesem Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme Stellung. Hierbei beantragte der Rat außerdem, bestimmte Dokumente, die die Rechtsmittelführerin ihrem in der vorstehenden Randnummer genannten Antrag beigefügt hatte, aus den Akten zu entfernen.

 Angefochtener Beschluss

 Anträge auf Entfernung von Unterlagen und auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme

23      Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Gericht erstens hinsichtlich des vom Rat am 11. Oktober 2019 gestellten Zwischenstreitantrags auf die Entfernung von Dokumenten aus der Akte an, dass die von der Rechtsmittelführerin als Anlage A.14 (Empfehlung der Kommission an den Rat vom 9. Juni 2017 zur Annahme eines Beschlusses über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein internationales Abkommen zwischen der Union und der Russischen Föderation über den Betrieb der Gasfernleitung Nord Stream 2, im Folgenden: Empfehlung der Kommission) und O.20 (Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates vom 27. September 2017 über diese Empfehlung für die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten der Union beim Rat, im Folgenden: Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates) vorgelegten Dokumente aus den Akten entfernt werden und die Stellen in der Klageschrift und deren Anlagen mit Auszügen aus diesen Dokumenten nicht zu berücksichtigen sind. Was zum anderen den auf Entfernung von Dokumenten gerichteten Antrag des Rates vom 17. Januar 2020 betrifft, den er im Rahmen seiner Stellungnahme zum Antrag der Rechtsmittelführerin auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme gestellt hatte, ordnete das Gericht an, dass die beiden von der Rechtsmittelführerin als Anlagen M.26 und M.30 vorgelegten Dokumente (diese enthalten Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, das zum Erlass der streitigen Richtlinie geführt hatte, im Folgenden: Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland) aus den Akten entfernt werden.

24      Insoweit führte das Gericht zunächst in den Rn. 38 bis 45 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen aus, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 im Verfahren vor ihm zwar nicht anwendbar sei, sie aber gleichwohl eine gewisse Orientierung für die Gewichtung der Interessen biete, die für die Entscheidung über den Zwischenstreitantrag auf Entfernung der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils genannten Dokumente erforderlich sei; dabei stützte es sich insbesondere auf den Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament (C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438), und auf das Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien (C‑457/18, EU:C:2020:65).

25      Sodann prüfte das Gericht in den Rn. 47 bis 56 des angefochtenen Beschlusses das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates und befand, dass sich der Rat hinsichtlich dieses Gutachtens zu Recht auf den Schutz der Rechtsberatung nach Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 berufe.

26      Ferner prüfte das Gericht in den Rn. 57 bis 64 des angefochtenen Beschlusses die Empfehlung der Kommission und gelangte zu dem Ergebnis, dass der Rat zu Recht angenommen habe, eine Verbreitung dieser Empfehlung würde den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 konkret und tatsächlich beeinträchtigen, was für sich genommen eine Entfernung dieser Empfehlung aus den Akten rechtfertige.

27      Schließlich untersuchte das Gericht in den Rn. 125 bis 135 des angefochtenen Beschlusses die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland. Es vertrat zum einen die Auffassung, die Rechtsmittelführerin habe nicht nachgewiesen, dass die unbereinigten Fassungen der beiden diese Stellungnahmen enthaltenden Dokumente rechtmäßig erlangt worden seien; zum anderen war das Gericht der Ansicht, dass die Verbreitung dieser beiden Dokumente geeignet wäre, den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen der Union im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 insbesondere insoweit konkret und tatsächlich zu beeinträchtigen, als die Stellung der Union im Rahmen des von der Rechtsmittelführerin gegen sie eingeleiteten Schiedsverfahrens geschwächt würde. Deshalb befand das Gericht, dass dem Antrag des Rates, diese Dokumente aus den Akten zu entfernen, stattzugeben sei, und wies überdies darauf hin, dass die beiden Dokumente jedenfalls nicht geeignet seien, darzutun, dass die Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV unmittelbar betroffen sei, so dass es für das Gericht keine Veranlassung gebe, die Vorlage der Dokumente durch den Rat anzuordnen.

 Zulässigkeit der Klage

28      In Bezug auf die vom Parlament und vom Rat erhobenen Einreden der Unzulässigkeit befand das Gericht vorab zum einen in Rn. 78 des angefochtenen Beschlusses, dass der Umstand, dass die Klage gegen eine Richtlinie erhoben worden sei, allein nicht ausreiche, um diese Klage für unzulässig zu erklären. Zum anderen führte es in den Rn. 79 bis 85 des angefochtenen Beschlusses aus, dass die streitige Richtlinie ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Gesetzgebungsakt sei und für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelte, so dass die Klage nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV nur unter der Voraussetzung zulässig sei, dass die Rechtsmittelführerin von der Richtlinie unmittelbar und individuell betroffen sei.

29      Im Anschluss an die Ausführungen in den Rn. 102 bis 124 des angefochtenen Beschlusses erklärte das Gericht die Klage mit der Begründung für unzulässig, dass die Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie nicht unmittelbar betroffen sei.

30      Insoweit führte das Gericht zunächst in den Rn. 106 und 107 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen aus, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen könne; daher könnten sich die nationalen Behörden dem Einzelnen gegenüber nicht auf die Richtlinie als solche berufen, wenn sie keine Maßnahmen zu deren Umsetzung ergriffen hätten. Mithin könnten die Bestimmungen der streitigen Richtlinie vor dem Erlass von Umsetzungsmaßnahmen keine unmittelbare oder direkte Quelle von Verpflichtungen für die Rechtsmittelführerin sein und deren Rechtsstellung deshalb nicht unmittelbar berühren.

31      In den Rn. 108 und 109 des angefochtenen Beschlusses stellte das Gericht unter Bezugnahme auf das Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864), fest, der Umstand, dass die Tätigkeiten der Rechtsmittelführerin nunmehr teilweise unter die Richtlinie 2009/73 fielen, sei jedenfalls nur eine Folge ihrer Entscheidung, ihre Geschäftstätigkeit im Gebiet der Union zu entwickeln und weiterzuführen. Wolle man dem von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Vorbringen folgen, liefe das auf die Annahme hinaus, dass, wann immer der Unionsgesetzgeber in einem bestimmten Bereich Verpflichtungen für Wirtschaftsteilnehmer einführe, denen diese zuvor nicht unterworfen gewesen seien, die Unionsrechtsvorschriften zwangsläufig die Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV unmittelbar berührten.

32      In den Rn. 110 und 111 des angefochtenen Beschlusses hielt das Gericht fest, dass vorliegend Wirtschaftsteilnehmer wie die Rechtsmittelführerin den Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/73 nur auf dem Weg über die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der streitigen Richtlinie unterworfen würden. Als die Rechtsmittelführerin ihre Klage beim Gericht erhoben habe, habe es noch keine solchen Umsetzungsmaßnahmen seitens der Bundesrepublik Deutschland gegeben.

33      Sodann legte das Gericht in Rn. 111 sowie in den Rn. 112 bis 115 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen dar, dass die Mitgliedstaaten jedenfalls über ein weites Ermessen bei der Durchführung der Bestimmungen der Richtlinie 2009/73 verfügten. Zum einen könnten die Mitgliedstaaten seit Inkrafttreten der streitigen Richtlinie nach Art. 9 Abs. 8 Unterabs. 1 und Abs. 9 der Richtlinie 2009/73 beschließen, auf Verbindungsleitungen die in Art. 9 Abs. 1 vorgesehene Verpflichtung zur Entflechtung der Fernleitungsnetze und der Fernleitungsnetzbetreiber nicht anzuwenden. Zum anderen könnten die nationalen Behörden aufgrund der durch die streitige Richtlinie vorgenommenen Änderungen – insbesondere aufgrund der Änderungen an Art. 36 sowie der Einfügung von Art. 49a – nunmehr beschließen, für große neue Erdgasinfrastrukturen und für Gasfernleitungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern, die vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden, Ausnahmen von einigen Artikeln der Richtlinie 2009/73 zu gewähren.

34      Schließlich führte das Gericht in Rn. 117 des angefochtenen Beschlusses aus, dass sich die Rechtsmittelführerin zur Untermauerung ihres Vortrags, mit dem sie habe dartun wollen, dass sie von der streitigen Richtlinie unmittelbar betroffen sei, nicht auf die Lösung berufen könne, zu der der Gerichtshof im Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), gelangt sei. Die Sach- und Rechtslage in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, lasse sich nämlich in keiner Weise mit derjenigen in der vorliegenden Rechtssache vergleichen, die allein eine Richtlinie betreffe, die darüber hinaus nicht im Hinblick auf Art. 288 Abs. 3 AEUV „atypisch“ sei.

 Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

35      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, die Klage für zulässig zu erklären und die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit an das Gericht zurückzuverweisen;

–        hilfsweise, festzustellen, dass sie von der streitigen Richtlinie unmittelbar betroffen ist, und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen, damit es über die Frage, ob sie von dieser Richtlinie individuell betroffen ist, entscheiden oder sie dem Endurteil vorbehalten möge;

–        dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

36      Das Parlament und der Rat beantragen,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

37      Mit Entscheidungen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 22. Oktober, 12. und 19. November 2020 sind die Republik Estland, die Republik Lettland und die Republik Polen als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge des Parlaments und des Rates zugelassen worden.

38      Am 16. Juli 2021 hat die Rechtsmittelführerin auf eine prozessleitende Maßnahme des Berichterstatters und des Generalanwalts nach Art. 62 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Gerichtshof die von ihr zuvor als Anlagen A.14, O.20, M.26 und M.30 im Verfahren vor dem Gericht eingereichten Dokumente vorgelegt.

39      Mit Schreiben vom 17. März 2022 haben die Vertreter der Rechtsmittelführerin dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie diese seit dem 1. März 2022 nicht mehr verträten; dabei wiesen sie darauf hin, dass einer der Vertreter weiterhin als Kontaktperson zwischen dem Gerichtshof und der Rechtsmittelführerin fungieren könne, bis diese einen neuen Vertreter benannt habe.

 Zum Rechtsmittel

40      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund, der aus zwei Teilen besteht, werden Rechtsfehler des Gerichts bei der Feststellung gerügt, dass sie von der streitigen Richtlinie nicht im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen sei.

41      Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht sie mehrere Rechtsfehler geltend, die dem Gericht bei der Prüfung der Anträge des Rates auf Entfernung von Dokumenten unterlaufen seien.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund

 Vorbemerkungen

42      Für die Prüfung des Rechtsmittels ist darauf hinzuweisen, dass die Zulässigkeit der von der Rechtsmittelführerin erhobenen Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Richtlinie anhand der in Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV vorgesehenen Voraussetzungen zu prüfen ist, wonach eine solche Klage nur zulässig ist, wenn der Kläger von der angefochtenen Handlung unmittelbar und individuell betroffen ist. Da die Rechtsmittelführerin nach Ansicht des Gerichts von der streitigen Richtlinie nicht unmittelbar betroffen ist und diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, hat das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob die Rechtsmittelführerin von der Richtlinie individuell betroffen ist.

43      Nach ständiger Rechtsprechung, die das Gericht in Rn. 102 des angefochtenen Beschlusses angeführt hat, ist die Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der mit ihrer Klage angefochtenen Maßnahme unmittelbar betroffen sein muss, nur dann erfüllt, wenn zwei Kriterien kumulativ erfüllt sind, nämlich erstens, dass die Maßnahme sich auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt, und zweitens, dass sie den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteil vom 28. Februar 2019, Rat/Growth Energy und Renewable Fuels Association, C‑465/16 P, EU:C:2019:155, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Das Gleiche gilt, wie das Gericht in Rn. 103 des angefochtenen Beschlusses weiter ausgeführt hat, wenn für die Adressaten nur eine rein theoretische Möglichkeit besteht, dem Unionsrechtsakt nicht nachzukommen, weil ihr Wille, diesem Akt Folge zu leisten, keinem Zweifel unterliegt (Urteile vom 23. November 1971, Bock/Kommission, 62/70, EU:C:1971:108, Rn. 6 bis 8, und vom 4. Dezember 2019, PGNiG Supply & Trading/Kommission, C‑117/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1042, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Mit beiden Teilen des ersten Rechtsmittelgrundes beanstandet die Rechtsmittelführerin die Anwendung der ersten und der zweiten der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen durch das Gericht.

 Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

–       Vorbringen der Parteien

46      Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, der sich auf die Rn. 106 bis 111 des angefochtenen Beschlusses bezieht, macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es den Schluss gezogen habe, dass sich die streitige Richtlinie nicht unmittelbar auf ihre Rechtsstellung auswirke, weil es sich um eine Richtlinie handele.

47      Insoweit bringt die Rechtsmittelführerin erstens vor, die Begründung des Gerichts im angefochtenen Beschluss, wonach eine Richtlinie vor dem Erlass von Umsetzungsmaßnahmen durch den betreffenden Mitgliedstaat oder dem Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist die Rechtsstellung eines Wirtschaftsteilnehmers nicht selbst unmittelbar beeinträchtigen könne, sei schon im Grundsatz fehlerhaft. Dies liefe nämlich darauf hinaus, jede Klage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV gegen eine Richtlinie zu verhindern, da die Klagefrist in der Praxis regelmäßig vor dem Erlass der erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen ablaufe. Durch diese Begründung habe das Gericht gegen die doch in Rn. 78 des angefochtenen Beschlusses angeführte Rechtsprechung verstoßen, wonach der Umstand, dass ein Rechtsakt in Form einer Richtlinie erlassen wurde, für sich genommen nicht ausreiche, um ausschließen zu können, dass ein Einzelner von den Bestimmungen dieses Rechtsakts unmittelbar und individuell betroffen sein könnte.

48      Zweitens sei der vom Gericht in Rn. 111 des angefochtenen Beschlusses hervorgehobene Umstand, nämlich, dass die streitige Richtlinie zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Klage von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht umgesetzt gewesen sei, unerheblich. Ob die Rechtsstellung einer Person von einer Richtlinie unmittelbar betroffen sei, hänge nämlich vom Inhalt dieser Richtlinie ab und nicht vom etwaigen Erlass von Maßnahmen zu deren Umsetzung. Die Zulässigkeitsvoraussetzung, nach der der Kläger von der angefochtenen Handlung im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar betroffen sein müsse, sei zudem identisch, gleich, ob es sich um die zweite oder die dritte Variante dieser Bestimmung handele; dies bedeute zwangsläufig, dass die Voraussetzung, nach der der angefochtene Rechtsakt gemäß Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht“, eine zusätzliche, von dieser Zulässigkeitsvoraussetzung verschiedene Voraussetzung darstelle.

49      Drittens macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass die Wirkung der streitigen Richtlinie zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Nichtigkeitsklage darin bestanden habe, sie den Vorschriften der Richtlinie 2009/73 zu unterwerfen, die sie vor Erlass der streitigen Richtlinie nicht erfasst habe. Diese Änderung der Rechtsstellung habe für sie tiefgreifende und schwerwiegende Rechtswirkungen. Wenn die betroffenen Mitgliedstaaten, wie es hier der Fall sei, über keinen Ermessensspielraum bei der Durchführung einer Maßnahme der Union verfügten, komme die Frist für die Umsetzung dieser Maßnahme einer bloßen zeitlichen Verschiebung ihrer vollen Anwendbarkeit gleich.

50      Viertens schließlich gebe es keinen Anhaltspunkt, der dem Gericht erlaubt habe, wie in Rn. 109 des angefochtenen Beschlusses offenbar geschehen, davon auszugehen, dass die Anerkennung des Umstands, dass sie von der streitigen Richtlinie unmittelbar betroffen sei, darauf hinausliefe, dass es jedem Wirtschaftsteilnehmer möglich werde, jegliche gesetzgeberische Maßnahme zu beanstanden, durch die ihm neue Verpflichtungen auferlegt würden; denn die wichtigste Einschränkung, die verhindere, dass Klagen gegen gesetzgeberische Maßnahmen Tür und Tor geöffnet werde, sei die Zulässigkeitsvoraussetzung, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme individuell betroffen sein müsse.

51      Das Parlament und der Rat stimmen hingegen der Argumentation des Gerichts zu.

52      Nach Ansicht des Parlaments hat das Gericht zu Recht entschieden, dass eine Richtlinie, einschließlich der streitigen Richtlinie, für sich genommen vor dem Erlass von Umsetzungsmaßnahmen oder dem Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist die Rechtsstellung eines Wirtschaftsteilnehmers nicht im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar beeinträchtigen könne.

53      Im Übrigen sei auch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin unzutreffend, wonach die Umsetzungsfrist einer „bloßen zeitlichen Verschiebung der vollen Anwendbarkeit“ der in Rede stehenden Maßnahme gleichkomme. Dieses Vorbringen beruhe auf der Annahme, dass sich diese Maßnahme allgemein unmittelbar auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auswirken könne, was nicht der Fall sei.

54      Außerdem teilt das Parlament die Analyse des Gerichts, wonach die Voraussetzung, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme unmittelbar betroffen sein müsse, jegliche praktische Wirksamkeit verlöre, wenn man der Argumentation der Rechtsmittelführerin folgte. Sämtliche neuen Rechtsvorschriften würden dann nämlich jede natürliche oder juristische Person unmittelbar betreffen, die in dem von diesen Vorschriften geregelten Bereich tätig seien.

55      Der Rat trägt vor, das Vorbringen der Rechtsmittelführerin beruhe auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Beschlusses. Denn das Gericht habe nicht entschieden, dass die Form der in Rede stehenden Maßnahme (Richtlinie) für sich genommen ausreiche, um auszuschließen, dass die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie unmittelbar betroffen sein könne. Vielmehr sei das Gericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie nicht unmittelbar betroffen sei, weil die deutsche Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur (Deutschland), ohne Maßnahmen zur Umsetzung der streitigen Richtlinie durch die Bundesrepublik Deutschland von der Rechtsmittelführerin nicht verlangen könne, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen einzuhalten.

56      Zudem könne die streitige Richtlinie als Richtlinie im Sinne von Art. 288 Abs. 3 AEUV als solche Einzelnen nicht entgegengehalten werden, was die Rechtsmittelführerin im Übrigen nicht bestreite.

57      Außerdem finde die von der Rechtsmittelführerin vertretene Auslegung, wonach die Voraussetzung, dass die Rechtsstellung des Klägers durch die mit seiner Klage angefochtene Maßnahme unmittelbar betroffen sein müsse, im Hinblick auf das Wesen der betreffenden Maßnahme zu prüfen sei, in der Rechtsprechung keine Grundlage. Im Übrigen betreffe das Kriterium der Rechtsakte, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“, nur Rechtsakte mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV. Dieses Kriterium könne daher nichts daran ändern, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV unmittelbar betroffen sein müsse.

58      Die estnische, die lettische und die polnische Regierung unterstützen im Wesentlichen das Vorbringen des Parlaments und des Rates.

59      Die polnische Regierung fügt zum einen hinzu, dass die Richtlinie 2009/73 bereits vor Erlass der streitigen Richtlinie auf die Gasfernleitung Nord Stream 2 anwendbar gewesen sei, da die streitige Richtlinie nur die praktischen Modalitäten für die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 2009/73 auf Gasfernleitungen wie die Gasfernleitung Nord Stream 2 habe regeln sollen.

60      Zum anderen müsse die Voraussetzung, dass der Kläger von der mit seiner Klage angefochtenen Maßnahme unmittelbar betroffen sein müsse, zum Zeitpunkt der Klageerhebung erfüllt sein, was hier zwangsläufig nicht der Fall gewesen sei. Es stehe nämlich fest, dass die Gasfernleitung Nord Stream 2 weder zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der streitigen Richtlinie noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch die Rechtsmittelführerin fertiggestellt gewesen sei.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

61      Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes betrifft die Frage, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass sich die streitige Richtlinie nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auswirke und damit die erste der beiden Voraussetzungen, die in der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung aufgestellt wurden, nicht erfüllt sei.

62      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mit der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV alle von den Organen erlassenen Bestimmungen unabhängig von ihrer Form anfechtbar sind, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen (Urteil vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Um festzustellen, ob eine Handlung solche Wirkungen erzeugt und daher Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV sein kann, ist auf ihr Wesen abzustellen und sind diese Wirkungen anhand objektiver Kriterien wie z. B. des Inhalts dieser Handlung zu beurteilen, wobei gegebenenfalls der Zusammenhang ihres Erlasses und die Befugnisse des die Handlung vornehmenden Organs zu berücksichtigen sind (Urteil vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 38).

64      Ob sich eine Handlung unmittelbar auf die Rechtsstellung einer natürlichen oder juristischen Person auswirken kann, lässt sich daher nicht allein danach beurteilen, ob diese Handlung die Form einer Richtlinie hat.

65      Obwohl das Gericht in Rn. 78 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen hat, dass der Umstand, dass sich die Klage gegen eine Richtlinie richte, allein nicht ausreiche, um sie für unzulässig zu erklären, hat es sich jedoch, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass sich die streitige Richtlinie nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auswirke, in seinen weiteren Ausführungen, insbesondere in den Rn. 106 und 107 des angefochtenen Beschlusses, in erster Linie darauf gestützt, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen oder eine unmittelbare oder direkte Quelle von Verpflichtungen sein könne, solange keine Maßnahmen zu ihrer Umsetzung ergriffen worden seien.

66      Aufgrund des Umstands, dass Richtlinien dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nicht selbst Verpflichtungen für den Einzelnen begründen können und dem Einzelnen gegenüber eine Berufung auf Richtlinien nicht möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung), impliziert die Argumentation des Gerichts, wie die Rechtsmittelführerin zu Recht geltend macht, dass es kategorisch ausgeschlossen ist, dass sich Richtlinien unmittelbar auf die Rechtsstellung eines Einzelnen auswirken und dadurch Gegenstand einer Klage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV sein können.

67      Dieser Ansatz läuft unter Verstoß gegen den in den Rn. 63 und 64 des vorliegenden Urteils dargelegten Ansatz letztlich darauf hinaus, bei der Prüfung der Voraussetzung, dass sich die mit der Klage angefochtene Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung des Klägers auswirken muss, der Form dieser Maßnahme (Richtlinie) Vorrang gegenüber ihrem Wesen zu geben.

68      Das Gleiche gilt zweitens für die Begründung des Gerichts in den Rn. 110 und 111 des angefochtenen Beschlusses, wonach der Einzelne grundsätzlich nicht von einer Richtlinie in seiner Rechtsstellung betroffen ist, sondern allein von den Maßnahmen zu deren Umsetzung, und zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage keine solchen Maßnahmen von dem betreffenden Mitgliedstaat, der Bundesrepublik Deutschland, erlassen worden waren.

69      Zwar hat nach ständiger Rechtsprechung jeder Mitgliedstaat, der Adressat einer Richtlinie ist, die Verpflichtung, in seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um deren volle Wirksamkeit gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (Urteil vom 8. Mai 2008, Danske Svineproducenter, C‑491/06, EU:C:2008:263, Rn. 28).

70      Den in Rn. 68 des vorliegenden Urteils dargelegten Ansatz des Gerichts zu bestätigen, liefe jedoch darauf hinaus, dass sich Richtlinien niemals unmittelbar auf die Rechtsstellung des Einzelnen auswirken könnten, da diese Wirkungen immer mit den zu ihrer Umsetzung erlassenen Maßnahmen und nicht mit den Richtlinien selbst verknüpft seien.

71      Außerdem verkennen diese Randnummern des angefochtenen Beschlusses die gebotene Unterscheidung zwischen der Voraussetzung, dass der mit einer Klage angefochtene Rechtsakt einen Kläger unmittelbar betreffen muss, und der in Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV enthaltenen Voraussetzung, dass ein solcher Rechtsakt keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen darf.

72      Denn diese dritte Variante, die sich auf die Befugnis zur Klage gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter bezieht, stellt sowohl die Zulässigkeitsvoraussetzung auf, dass der Kläger von dem mit seiner Klage angefochtenen Rechtsakt unmittelbar betroffen sein muss, als auch die, dass solche Rechtsakte keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen dürfen; die letztere Voraussetzung tritt somit zur ersteren hinzu und fällt daher nicht mit ihr zusammen.

73      Die Voraussetzung, dass der Kläger von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen sein muss, die mit identischem Wortlaut sowohl in der zweiten als auch in der dritten Variante von Art. 263 Abs. 4 AEUV enthalten ist, muss in beiden Varianten dieselbe Bedeutung haben. Die Beurteilung dieser objektiven Voraussetzung kann nämlich nicht nach den verschiedenen Varianten dieser Bestimmung variieren.

74      Folglich kann jeder Rechtsakt, gleich, ob mit Verordnungscharakter oder anderer Art, einen Einzelnen grundsätzlich unmittelbar betreffen und sich somit auf seine Rechtsstellung unmittelbar auswirken, unabhängig davon, ob er Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – einschließlich, bei Richtlinien, Maßnahmen zu deren Umsetzung. Somit ist dann, wenn die in Rede stehende Richtlinie solche Wirkungen hat, der Umstand, dass Maßnahmen zu ihrer Umsetzung erlassen wurden oder noch erlassen werden müssen, als solcher nicht relevant, da diese Maßnahmen die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs zwischen der Richtlinie und diesen Wirkungen nicht in Frage stellen, sofern die Richtlinie den Mitgliedstaaten kein Ermessen hinsichtlich der Auferlegung dieser Wirkungen an den Einzelnen lässt. Die letztgenannte Voraussetzung wird im zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes geprüft.

75      Was drittens die Prüfung betrifft, ob sich die streitige Richtlinie nach den in Rn. 63 des vorliegenden Urteils dargelegten Kriterien unmittelbar auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auswirken kann, ist festzustellen, dass die streitige Richtlinie dadurch, dass sie den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/73 auf Verbindungsleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern, wie die Verbindungsleitung, deren Betrieb die Rechtsmittelführerin beabsichtigt, erweitert, zur Folge hat, den Betrieb dieser Verbindungsleitung den in der Richtlinie 2009/73 enthaltenen Vorschriften zu unterwerfen und somit die dort hierzu enthaltenen spezifischen Verpflichtungen gegenüber der Rechtsmittelführerin anwendbar zu machen; dazu gehören insbesondere die Verpflichtungen im Bereich der Entflechtung der Fernleitungsnetze und der Fernleitungsnetzbetreiber nach Art. 9 der Richtlinie 2009/73 sowie die in Art. 32 der Richtlinie 2009/73 genannten Verpflichtungen zur Regelung des Netzzugangs Dritter auf der Grundlage veröffentlichter Tarife, die von der betreffenden Regulierungsbehörde genehmigt oder auf der Grundlage von durch diese genehmigten Methoden berechnet werden.

76      Insoweit ist, wie in Rn. 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Umstand, dass die Erfüllung dieser Verpflichtungen den Erlass von Umsetzungsmaßnahmen durch den betreffenden Mitgliedstaat, hier die Bundesrepublik Deutschland, erfordert, als solcher unerheblich, sofern dieser Mitgliedstaat hinsichtlich der Umsetzungsmaßnahmen über keinen Ermessensspielraum verfügt, der verhindern könnte, dass der Rechtsmittelführerin diese Verpflichtungen auferlegt werden. Fehlt ein solcher Ermessensspielraum, stellen nämlich die Umsetzungsmaßnahmen die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs zwischen der streitigen Richtlinie und der Auferlegung der Verpflichtungen nicht in Frage.

77      Nach alledem ist festzustellen, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass sich die streitige Richtlinie nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auswirke.

78      Das Vorbringen der polnischen Regierung, wonach die Rechtsmittelführerin aus anderen als den vom Gericht im angefochtenen Beschluss angeführten Gründen von der streitigen Richtlinie nicht unmittelbar betroffen sei, ist ebenfalls zurückzuweisen.

79      So wird zum einen das Vorbringen, die Richtlinie 2009/73 sei bereits vor dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie auf Verbindungsleitungen wie diejenige der Rechtsmittelführerin anwendbar gewesen, in jedem Fall eindeutig widerlegt, und zwar sowohl durch den Gegenstand der letztgenannten Richtlinie, wie er in deren Erwägungsgründen 3 und 4 genannt wird, als auch durch die Änderung der Definition des Begriffs „Verbindungsleitung“ in Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 2009/73.

80      Zum anderen kann entgegen dem Vorbringen der polnischen Regierung eine unmittelbare Auswirkung der streitigen Richtlinie auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auch nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Verbindungsleitung der Rechtsmittelführerin weder zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der streitigen Richtlinie noch zum Zeitpunkt der Erhebung der gegen diese gerichteten Klage fertiggestellt gewesen sei. Erstens hatte die Rechtsmittelführerin zum Zeitpunkt des Erlasses und des Inkrafttretens der streitigen Richtlinie nämlich bereits erhebliche Investitionen für den Bau dieser Verbindungsleitung getätigt, der sich in einem fortgeschrittenen Stadium befand. Zweitens berücksichtigt die Richtlinie 2009/73, insbesondere in ihrem Art. 36, der unter bestimmten Voraussetzungen die Gewährung einer Ausnahme für Gasinfrastrukturprojekte erlaubt, gerade den Fall des Baus neuer Gasfernleitungen und zielt folglich darauf ab, auch den Fall geplanter und noch nicht realisierter Gasfernleitungen zu regeln.

81      Unter diesen Umständen ist dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes stattzugeben.

 Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

–       Vorbringen der Parteien

82      Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, der die Rn. 111 bis 115 des angefochtenen Beschlusses betrifft, macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass die streitige Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum lasse.

83      Die Rechtsmittelführerin macht erstens geltend, der insoweit verfolgte Ansatz des Gerichts sei fehlerhaft, da er von einer allgemeinen Beurteilung herrühre, ohne dass entsprechend der Rechtsprechung, die aus den Urteilen vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission (C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 30 und 31), sowie vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 50 und 51), hervorgegangen sei, speziell im Hinblick auf den Gegenstand ihrer Klage geprüft worden sei, inwieweit ihre Rechtsstellung durch die streitige Richtlinie unmittelbar beeinträchtigt sei.

84      Zweitens bringt die Rechtsmittelführerin zu den Verpflichtungen im Bereich der Entflechtung, denen sie nach dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie unterliege, vor, dass die Richtlinie 2009/73 den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit einräume, andere Lösungen als die vollständige Entflechtung einzuführen, dass aber die beiden im vorliegenden Fall möglichen alternativen Modelle, nämlich der unabhängige Netzbetreiber und der unabhängige Fernleitungsnetzbetreiber, ebenso wie die vollständige Entflechtung eine erhebliche negative Auswirkung auf ihre Rechtsstellung hätten. Gleiches gelte für die Vorschriften über den Zugang Dritter und die Regulierung der Tarife, die auf sie in jedem Fall anwendbar seien. So gingen mit den Worten des Urteils vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), die Eingriffe in die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin auf die streitige Richtlinie und die von ihr geänderte Richtlinie 2009/73 sowie insbesondere auf das Erfordernis zurück, das von diesen vorgeschriebene Ergebnis zu erreichen.

85      Drittens macht die Rechtsmittelführerin geltend, ob ein etwaiger Ermessensspielraum des betroffenen Mitgliedstaats bei der Durchführung der in den Art. 36 und 49a der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Ausnahmen bestanden habe, hätte in Bezug auf ihre besondere Situation und den Gegenstand ihrer Klage ermittelt werden müssen, die sich im Wesentlichen gegen den durch die streitige Richtlinie eingeführten Art. 49a der Richtlinie 2009/73 richte. Was die in der letztgenannten Bestimmung vorgesehene Ausnahme angehe, habe der Unionsgesetzgeber aber, indem er diese auf Gasfernleitungen beschränkt habe, die „vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt wurden“, der Bundesrepublik Deutschland keinen Ermessensspielraum lassen wollen, da der Zeitpunkt dieser Beschränkung gerade gewählt worden sei, um die Rechtsmittelführerin von dieser Ausnahmeregelung auszuschließen. Ebenso stehe fest, dass ihre Gasfernleitung nicht unter die in Art. 36 der Richtlinie 2009/73 vorgesehene Ausnahme fallen könne, ohne dass die deutschen Behörden insoweit über einen Ermessensspielraum verfügten.

86      Das Parlament und der Rat stimmen dagegen der Argumentation des Gerichts zu.

87      Das Parlament macht erstens geltend, dass die auf das von der Rechtsmittelführerin genannte Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100), zurückgehende Rechtsprechung Rechtsakte mit Verordnungscharakter und keine Gesetzgebungsakte betreffe; daher könne diese Rechtsprechung den vorherrschenden restriktiven Ansatz bei Klagen Einzelner gegen die letztgenannten Rechtsakte nicht in Frage stellen.

88      Zweitens lasse der Wortlaut der streitigen Richtlinie den Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessensspielraum, insbesondere in Art. 9 Abs. 8 und 9 sowie in Art. 49a der Richtlinie 2009/73. In diesem Zusammenhang seien sämtliche Bestimmungen der streitigen Richtlinie zu prüfen und nicht nur, ob die Möglichkeit bestehe, eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 49a der Richtlinie 2009/73 zu erhalten.

89      Drittens betreffe das von der Rechtsmittelführerin angeführte Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), eine Rechtssache, in der der angefochtene Rechtsakt den nationalen Behörden im Gegensatz zur vorliegenden Rechtssache keinen Ermessensspielraum lasse.

90      Der Rat macht erstens geltend, dass sich die Klage der Rechtsmittelführerin gegen die gesamte streitige Richtlinie richte, so dass der den Mitgliedstaaten belassene Ermessensspielraum im Licht dieser Richtlinie insgesamt hätte geprüft werden müssen.

91      Zweitens sei das Vorbringen, dass kein Zweifel daran bestanden habe, wie die Bundesrepublik Deutschland die streitige Richtlinie umsetzen werde, grundlegend falsch. Der Gerichtshof habe im Urteil vom 4. Dezember 2019, Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo/Kommission (C‑342/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1043), entschieden, dass Art. 36 der Richtlinie 2009/73 den nationalen Regulierungsbehörden bei der Gewährung von Ausnahmen von den durch diese Richtlinie geschaffenen Vorschriften ein Ermessen einräume. Die gleiche Logik gelte für die in Art. 49a der Richtlinie vorgesehene Ausnahme.

92      Drittens habe das Gericht ebenfalls zu Recht festgestellt, dass die rechtliche und tatsächliche Situation der Rechtsmittelführerin nicht mit derjenigen in der Rechtssache vergleichbar sei, in der das Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), ergangen sei. Anders als der in jener Rechtssache angefochtene Rechtsakt sei die streitige Richtlinie nämlich ihrer Form und ihrem Inhalt nach eine „typische“ Richtlinie im Sinne von Art. 288 Abs. 3 AEUV, d. h., sie „[ist] für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“, überlasse aber „den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“. Folglich bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen der streitigen Richtlinie und den Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin.

93      Die estnische, die lettische und die polnische Regierung unterstützen im Wesentlichen das Vorbringen des Parlaments und des Rates.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

94      Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes betrifft die Frage, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass die streitige Richtlinie den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung im Sinne der zweiten der beiden Voraussetzungen, die in der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung aufgestellt worden sind, einen Ermessensspielraum belässt.

95      Erstens ergibt sich zum einen aus der Feststellung in Rn. 63 des vorliegenden Urteils, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine Handlung den Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, ein Ermessen lässt, auf das Wesen dieser Handlung abzustellen ist.

96      Zum anderen bedeutet, wie in Rn. 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, der bloße Umstand, dass der angefochtene Rechtsakt Durchführungsmaßnahmen erfordert – einschließlich, bei Richtlinien, Maßnahmen zu deren Umsetzung –, nicht zwangsläufig, dass für die Adressaten dieser Handlung ein Ermessensspielraum besteht.

97      Zweitens ist dann, wenn eine bestimmte Handlung, wie im vorliegenden Fall, je nach den verschiedenen Situationen, auf die sie Anwendung finden kann, geeignet ist, mehrere Rechtswirkungen zu erzeugen, das Vorliegen eines Ermessensspielraums notwendigerweise anhand der konkreten Rechtswirkungen zu beurteilen, die Gegenstand der Klage sind und sich tatsächlich auf die Rechtsstellung des Betroffenen auswirken können.

98      Für die Beurteilung, ob eine Handlung ihren Adressaten einen Ermessensspielraum hinsichtlich ihrer Durchführung lässt, sind daher die Rechtswirkungen der mit der Klage angefochtenen Bestimmungen dieses Rechtsakts auf die Situation der Person zu prüfen, die sich auf eine Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV beruft (vgl. entsprechend Urteile vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 50 und 51, sowie vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 38 und 39).

99      Entgegen dem Vorbringen des Parlaments und des Rates ist dies auch dann der Fall, wenn die Klage formal auf die betreffende Handlung in ihrer Gesamtheit gerichtet ist, sofern anhand der zur Stützung dieser Klage geltend gemachten Klagegründe ersichtlich ist, dass der Gegenstand der Klage in Wirklichkeit spezifische Aspekte dieser Handlung betrifft.

100    Drittens hat die Rechtsmittelführerin zur Untermauerung ihrer Argumentation, wonach den Mitgliedstaaten durch die streitige Richtlinie hinsichtlich der Auswirkungen dieser Richtlinie auf ihre Rechtsstellung kein Ermessen eingeräumt worden sei, im Rahmen ihrer Klage im Wesentlichen geltend gemacht, dass die streitige Richtlinie infolge der durch sie erfolgten Änderung des Begriffs „Verbindungsleitung“ in Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 2009/73 dazu geführt habe, dass sie den spezifischen Verpflichtungen dieser Richtlinie betreffend die Entflechtung der Fernleitungsnetze und der Fernleitungsnetzbetreiber nach deren Art. 9 und den in deren Art. 32 vorgesehenen Verpflichtungen betreffend den Zugang Dritter und die Regulierung der Tarife unterliege, ohne dass sie nach Art. 36 der Richtlinie 2009/73 oder nach dem durch die streitige Richtlinie eingeführten Art. 49a der Richtlinie 2009/73 eine Ausnahme von diesen Vorschriften in Anspruch nehmen könne.

101    Daher ist anhand dieser Bestimmungen und im Hinblick auf die konkrete Situation der Rechtsmittelführerin zu bestimmen, ob die Richtlinie 2009/73 der Bundesrepublik Deutschland nach dem Erlass und dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie einen Ermessensspielraum bei der Durchführung dieser Bestimmungen und insbesondere ihrer Anwendung auf die Rechtsmittelführerin lässt.

102    Was erstens die in den Art. 36 und 49a der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Ausnahmen betrifft, hat das Gericht in den Rn. 114 und 115 des angefochtenen Beschlusses auf diese Ausnahmemöglichkeiten hingewiesen und gleichzeitig klargestellt, dass die nationalen Regulierungsbehörden bei der Anwendung der in Art. 49a vorgesehenen Ausnahmen über ein weites Ermessen in Bezug auf die Gewährung solcher Ausnahmen verfügten.

103    Hierbei hat es das Gericht jedoch versäumt, unter Berücksichtigung der Situation der Rechtsmittelführerin und des Wesens dieser Ausnahmen zu prüfen, ob diese möglicherweise auf die Situation der Rechtsmittelführerin anwendbar sind und ob die streitige Richtlinie dem betroffenen Mitgliedstaat bei ihrer Durchführung in Bezug auf die Rechtsmittelführerin einen Beurteilungsspielraum ließ.

104    Zum Bestehen eines solchen Ermessensspielraums im Rahmen der in den Art. 36 und 49a der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Ausnahmen ist festzustellen, dass – wie auch der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 74 und 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – keine dieser Ausnahmen auf die Situation der Rechtsmittelführerin Anwendung finden kann, da zum einen die Investitionen für die Gasfernleitung Nord Stream 2 zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Richtlinie bereits beschlossen waren, weswegen diese Gasfernleitung nicht unter die Ausnahme nach Art. 36 der Richtlinie 2009/73 fallen kann, die für große neue Erdgasinfrastrukturen oder erhebliche Kapazitätssteigerungen bestehender Infrastruktur gilt. Zum anderen war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich, dass die Gasfernleitung Nord Stream 2 nicht bis zum 23. Mai 2019 fertiggestellt sein konnte, was mithin die Gewährung einer Ausnahme nach Art. 49a der Richtlinie 2009/73 verhindert.

105    Unter diesen Umständen verfügen die Mitgliedstaaten zwar über einen Ermessensspielraum in Bezug auf die Gewährung solcher Ausnahmen an Gasunternehmen, die die Voraussetzungen von Art. 36 bzw. von Art. 49a der Richtlinie 2009/73 erfüllen; sie verfügen dagegen über keinerlei Ermessensspielraum hinsichtlich der Möglichkeit, diese Ausnahmen der Rechtsmittelführerin zu gewähren, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Somit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie und dem Umstand, dass durch diese der Rechtsmittelführerin die in Rn. 75 des vorliegenden Urteils genannten Verpflichtungen aus der Richtlinie 2009/73 auferlegt werden.

106    Zweitens ist unter diesen Umständen zu prüfen, ob der betroffene Mitgliedstaat im Hinblick auf die Rechtsmittelführerin über ein Ermessen bei der Bestimmung des zu erreichenden Ziels verfügt, wodurch die Rechtsmittelführerin gleichwohl diesen Verpflichtungen entgehen könnte.

107    Insoweit hat das Gericht hinsichtlich der Verpflichtung zur Entflechtung nach Art. 9 der Richtlinie 2009/73 in Rn. 112 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen gemäß Art. 9 Abs. 8 Unterabs. 2 Buchst. a und b sowie Abs. 9 dieser Richtlinie die Möglichkeit hätten, diese Verpflichtung u. a. auf Verbindungsleitungen wie die Gasfernleitung Nord Stream 2 nicht anzuwenden. In diesem Fall müssten die Mitgliedstaaten, anstatt die Entflechtung des Eigentums von den Versorgungs- und Gewinnungsinteressen vorzunehmen, entweder einen unabhängigen Netzbetreiber nach Art. 14 der Richtlinie 2009/73 oder einen unabhängigen Fernleitungsnetzbetreiber benennen. Mithin verfügen die Mitgliedstaaten nach Ansicht des Gerichts insoweit über ein Ermessen.

108    Diese Feststellung genügt jedoch nicht, um zu belegen, dass den nationalen Behörden in Bezug auf die in Art. 9 der Richtlinie 2009/73 vorgesehene Verpflichtung zur Entflechtung ein Ermessen zusteht.

109    Aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/73 ergibt sich nämlich, dass die beiden Optionen in Bezug auf die in Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Verpflichtung zur Entflechtung es zwar „vertikal integrierten Unternehmen ermöglichen [sollten], Eigentümer der Vermögenswerte des Netzes zu bleiben“, gleichwohl aber „gleichzeitig eine wirksame Trennung der Interessen [sicherstellen sollten]“; dabei muss der unabhängige Netzbetreiber oder der unabhängige Fernleitungsnetzbetreiber „sämtliche Funktionen eines Netzbetreibers [wahrnehmen]“ und einer „detaillierte[n] Regulierung und umfassende[n] Regulierungskontrollmechanismen“ unterliegen.

110    Daraus folgt, dass sich, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 80 und 81 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin zwangsläufig ändern wird, unabhängig davon, welche der in Rn. 107 des vorliegenden Urteils genannten Optionen letztlich gewählt wird; denn Art. 9 der Richtlinie 2009/73 lässt den Mitgliedstaaten nur die Wahl der Mittel, mit denen ein klar definiertes Ziel, nämlich das einer wirksamen Trennung der Transportstrukturen von den Gewinnungs- und Versorgungsinteressen, erreicht werden muss. Obwohl den Mitgliedstaaten nicht jeglicher Handlungsspielraum bei der Umsetzung von Art. 9 der Richtlinie 2009/73 genommen wird, verfügen sie hinsichtlich der in dieser Bestimmung vorgesehenen Verpflichtung zur Entflechtung über keinerlei Ermessensspielraum, so dass sich die Rechtsmittelführerin ihr nicht entziehen kann, und zwar unabhängig davon, welche der drei in dieser Bestimmung vorgesehenen Methoden gewählt wird.

111    Gleiches gilt für die Verpflichtungen aus Art. 32 der Richtlinie 2009/73 in Verbindung mit deren Art. 41 Abs. 6, 8 und 10. Diese Verpflichtungen verlangen von den dieser Richtlinie unterliegenden Fernleitungsnetzbetreibern insbesondere, Dritten auf der Grundlage einer objektiv und ohne Diskriminierung angewandten Regelung, die auf veröffentlichten Tarifen beruht, die verhältnismäßig sind und von der zuständigen Regulierungsbehörde genehmigt worden sind, Zugang zu ihrem Netz zu gewähren. Bei der Genehmigung der Tarife stellt diese Behörde sicher, dass für die Betreiber angemessene Anreize geschaffen werden, um ihre Effizienz zu steigern.

112    Auch wenn diese Verpflichtungen den Erlass konkretisierender technischer Maßnahmen insbesondere durch die nationalen Regulierungsbehörden erfordern, können solche Maßnahmen nichts an dem Ziel dieser Verpflichtungen ändern, nämlich, dass die Fernleitungsnetzbetreiber Dritten unter den in der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Voraussetzungen einen diskriminierungsfreien Zugang zu diesem Netz garantieren, um für alle Marktteilnehmer einen effektiven Marktzugang sicherzustellen.

113    Insoweit hat das Gericht in Rn. 117 des angefochtenen Beschlusses ebenfalls zu Unrecht festgestellt, dass sich die Rechtsmittelführerin nicht auf das Urteil vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), berufen könne. Auch wenn sich die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, von der vorliegenden Rechtssache unterscheidet, da sie Rechtswirkungen betraf, die sich aus einer von der Kommission auf der Grundlage einer Richtlinie erlassenen Entscheidung ergaben, ändert dies nämlich nichts daran, dass die Bindungswirkung dieser Entscheidung letztlich auf die Richtlinie zurückzuführen war und dass diese Entscheidung wie die oben in den Rn. 110 und 111 genannten Bestimmungen der streitigen Richtlinie jedenfalls das zu erreichende Ziel festlegte, hinsichtlich dessen die Mitgliedstaaten über keinerlei Ermessen verfügten.

114    Folglich hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt hat, dass die streitige Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum lasse, ohne die Situation der Rechtsmittelführerin und den Umstand zu berücksichtigen, dass das Inkrafttreten der streitigen Richtlinie unmittelbar dazu geführt hatte, dass der Rechtsmittelführerin Verpflichtungen auferlegt werden, deren Ziel nicht verändert werden konnte. Unter diesen Umständen ist auch dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes stattzugeben.

115    Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund begründet, da das Gericht zu Unrecht entschieden hat, dass die Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie nicht unmittelbar betroffen sei. Daraus folgt, dass Nr. 4 des Tenors des angefochtenen Beschlusses aufzuheben ist, soweit darin die von der Rechtsmittelführerin erhobene Klage aus diesem Grund als unzulässig abgewiesen worden ist.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

116    Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe bei seiner Prüfung des Antrags auf Entfernung der Dokumente des Rates mehrere Rechtsfehler begangen, die es zu Unrecht dazu veranlasst hätten, anzuordnen, das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, die Empfehlung der Kommission und die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland aus den Akten zu entfernen sowie die Stellen der Klageschrift und deren Anlagen mit Auszügen aus diesen Dokumenten nicht zu berücksichtigen.

117    Insoweit macht die Rechtsmittelführerin erstens geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es seine Beurteilung vollständig auf den Rahmen gestützt habe, der von der Verordnung Nr. 1049/2001, die den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten regele, errichtet worden sei, ohne zu untersuchen, ob die in Rede stehenden Dokumente für die Entscheidung des Rechtsstreits von Nutzen gewesen seien, wie es die auf das Urteil vom 12. Mai 2015, Dalli/Kommission (T‑562/12, EU:T:2015:270), zurückgehende Rechtsprechung verlange.

118    Zweitens habe das Gericht auch dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es auf die in Rede stehenden Dokumente den restriktiven rechtlichen Rahmen angewandt habe, den der Gerichtshof unter den schwerwiegenden und spezifischen Umständen der Rechtssachen festgelegt habe, in denen der Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament (C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438), und das Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien (C‑457/18, EU:C:2020:65), ergangen seien. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin gehören alle diese Dokumente zu den Vorarbeiten zur streitigen Richtlinie, so dass sie in den Anwendungsbereich des durch das Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat (C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374), verankerten Grundsatzes einer besonderen Transparenz fielen. Im Übrigen sei das Gericht nicht auf das Vorbringen eingegangen, wonach einige Passagen des Gutachtens des Juristischen Dienstes des Rates von den Unionsorganen selbst sehr ausführlich im Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt angeführt worden seien.

119    Drittens macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es dem Schiedsverfahren erhebliche Bedeutung beigemessen habe, das sie nach dem am 17. Dezember 1994 in Lissabon unterzeichneten Vertrag über die Energiecharta (ABl. 1994, L 380, S. 24) eingeleitet habe, der mit dem Beschluss 98/181/EG, EGKS, Euratom des Rates und der Kommission vom 23. September 1997 (ABl. 1998, L 69, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaften genehmigt worden sei. Das Gericht begründe seinen Ansatz mit der Notwendigkeit, das öffentliche Interesse im Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu schützen, erläutere aber nicht, inwiefern die Vorlage der in Rede stehenden Dokumente dieses Interesse möglicherweise beeinträchtigen könnte. Ein Schiedsverfahren falle nämlich nicht unter die „internationalen Beziehungen“ im Sinne dieser Bestimmung.

120    Der Rat hält den zweiten Rechtsmittelgrund für unzulässig, da er darauf abziele, dass der Gerichtshof die Tatsachenwürdigung des Gerichts erneut prüfe.

121    Außerdem sind das Parlament und der Rat der Ansicht, dass der zweite Rechtsmittelgrund jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen sei.

122    Erstens trägt das Parlament vor, das gesamte Vorbringen der Rechtsmittelführerin beruhe auf der falschen Prämisse, dass das Gericht nicht geprüft habe, ob die in Rede stehenden Dokumente „für die Entscheidung des Rechtsstreits offensichtlich relevant“ gewesen seien. In diesem Zusammenhang fügt der Rat hinzu, dass das Gericht die Verordnung Nr. 1049/2001 weder ausschließlich noch unmittelbar angewandt habe. Seiner Ansicht nach hat das Gericht in Wirklichkeit gemäß der auf das Urteil des Gerichts vom 12. Mai 2015, Dalli/Kommission (T‑562/12, EU:T:2015:270), zurückgehenden Rechtsprechung eine Abwägung der bestehenden Interessen vorgenommen.

123    Zweitens führt der Rat insoweit aus, das Gericht habe nicht entschieden, dass Dokumente in einem Verfahren allgemein nur verwendet werden dürften, wenn der beklagte Urheber oder das beklagte Organ ihre Vorlage genehmigt habe. Vielmehr habe das Gericht alle Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache genau geprüft und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Entfernung der in Rede stehenden Dokumente aus den Akten aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich sei.

124    Drittens macht das Parlament geltend, das Gericht habe im Einklang mit der Rechtsprechung, die aus dem Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament (C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438), und aus dem Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien (C‑457/18, EU:C:2020:65), hervorgehe, zu Recht festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin, indem sie sich im vorliegenden Fall auf das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates gestützt habe, in Wirklichkeit den Rat mit dem Gutachten habe konfrontieren wollen, das er von seinem Juristischen Dienst erhalten habe, um ihn zu zwingen, öffentlich zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen, was sich auf das Interesse dieses Organs, juristische Gutachten nutzen zu können, negativ auswirke.

125    Das Parlament und der Rat tragen in diesem Zusammenhang vor, dass sich keines der in Rede stehenden Dokumente und insbesondere nicht das Rechtsgutachten des Rates auf ein Gesetzgebungsverfahren beziehe, da sie alle aus der Zeit vor dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt stammten.

126    Viertens macht der Rat geltend, das Gericht habe die Entfernung der Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland aus den Akten u. a. mit der Begründung angeordnet, dass die Verbreitung ihres Inhalts den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigen würde, wodurch der status quo ante wiederhergestellt worden sei, wonach der Unionsrichter die einzige Instanz sei, die befugt sei, den Parteien aufzugeben, Dokumente vorzulegen, oder deren Relevanz zu beurteilen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

127    Der vom Rat gegen den zweiten Rechtsmittelgrund geltend gemachte Unzulässigkeitsgrund, wonach der Gerichtshof mit diesem Rechtsmittelgrund aufgefordert werde, sich zu Tatsachenfeststellungen des Gerichts zu äußern, ist zurückzuweisen. Auch wenn grundsätzlich allein das Gericht für die Feststellung und Würdigung der Tatsachen zuständig ist, wird nämlich der Gerichtshof mit diesem Rechtsmittelgrund nicht ersucht, die Tatsachen, auf die sich das Gericht im vorliegenden Fall gestützt hat, erneut zu prüfen; dieser Rechtsmittelgrund betrifft vielmehr eine Rechtsfrage hinsichtlich des rechtlichen Rahmens, den das Gericht bei der Würdigung der Tatsachen angewandt hat.

128    Zur Prüfung der Begründetheit des zweiten Rechtsmittelgrundes ist erstens darauf hinzuweisen, dass zum einen der Grundsatz der Waffengleichheit, der eine logische Folge aus dem Begriff des fairen Verfahrens ist, das u. a. durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert wird, gebietet, dass es jeder Partei angemessen ermöglicht wird, ihren Standpunkt sowie ihre Beweise unter Bedingungen vorzutragen, die sie nicht in eine gegenüber ihrem Gegner deutlich nachteilige Position versetzen (Urteil vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund, C‑682/15, EU:C:2017:373, Rn. 96).

129    Zum anderen gilt nach gefestigter Rechtsprechung im Unionsrecht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, aus dem folgt, dass die Zulässigkeit eines rechtzeitig vorgelegten Beweismittels vor dem Unionsrichter nur mit der Begründung in Frage gestellt werden kann, dass es unrechtmäßig erlangt worden sei (Urteil vom 30. September 2021, Rechnungshof/Pinxten, C‑130/19, EU:C:2021:782, Rn. 104).

130    Sind Beweise vorhanden, die von einer Partei in unrechtmäßiger Weise vorgelegt wurden, wie interne Dokumente im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001, deren Vorlage weder von dem betroffenen Organ genehmigt noch vom Unionsrichter angeordnet worden ist, müssen daher die Interessen der jeweiligen Parteien des Verfahrens in Verbindung mit ihrem Recht auf ein faires Verfahren miteinander abgewogen werden, wobei die Interessen zu berücksichtigen sind, die durch diejenigen Vorschriften geschützt werden, die bei Erlangung dieser Beweise verletzt oder umgangen worden sind.

131    Daraus ergibt sich, dass, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 119 und 138 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, der Unionsrichter, bei dem ein Antrag auf Entfernung der entsprechenden Beweismittel gestellt worden ist, abzuwägen hat zwischen den Interessen des Klägers, der diese Beweise vorgelegt hat, und dabei ihren Nutzen für die Beurteilung der Begründetheit der bei ihm erhobenen Klage zu berücksichtigen, und den Interessen der Gegenpartei, die konkret und tatsächlich beeinträchtigt werden könnten, wenn die Beweismittel in den Akten belassen würden.

132    Zweitens bietet die Verordnung Nr. 1049/2001, auch wenn sie im Rahmen einer Klage wie der von der Rechtsmittelführerin beim Gericht erhobenen nicht anwendbar ist, für die Prüfung eines Antrags, interne Dokumente im Sinne dieser Verordnung aus den Akten zu entfernen, somit eine gewisse Orientierung für die Gewichtung der Interessen, die erforderlich ist, um über diesen Antrag zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 12 und 13).

133    Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 die Interessenabwägung, die für die Prüfung eines Antrags auf Entfernung von Dokumenten aus den Akten einer Rechtssache erforderlich ist, abschließend regelt.

134    Denn während diese Verordnung die Transparenz des Entscheidungsprozesses auf Unionsebene durch die Umsetzung des in Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV verankerten und in Art. 42 der Charta der Grundrechte niedergelegten Rechts auf Zugang zu Dokumenten verbessern soll (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, Stichting Rookpreventie Jeugd u. a., C‑160/20, EU:C:2022:101, Rn. 35 und 36), hängt die Zulässigkeit von Beweismitteln ihrerseits nämlich letztlich von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen im Hinblick auf das Ziel ab, das Recht der Parteien auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 129 und 130 seiner Schlussanträge ausgeführt hat.

135    Drittens ist zur Prüfung der in Rede stehenden Dokumente im Hinblick auf die oben dargestellten Grundsätze zunächst festzustellen, dass das Gericht rechtsfehlerfrei angeordnet hat, das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates aus den Akten zu entfernen sowie die Stellen in der Klageschrift und deren Anlagen mit Auszügen aus diesem Gutachten nicht zu berücksichtigen.

136    Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es dem öffentlichen Interesse daran, dass die Organe die in völliger Unabhängigkeit abgegebenen Stellungnahmen ihrer Juristischen Dienste nutzen können, zuwiderliefe, wenn zugelassen würde, dass solche internen Dokumente in einem Rechtsstreit vor dem Gerichtshof vorgelegt werden, ohne dass ihre Vorlage von dem betreffenden Organ genehmigt oder vom Gerichtshof angeordnet worden wäre (Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C‑156/21, EU:C:2022:97, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

137    Durch die ungenehmigte Vorlage eines solchen Rechtsgutachtens konfrontiert der Kläger nämlich das betreffende Organ in dem Verfahren über die Gültigkeit eines angefochtenen Rechtsakts mit einer Stellungnahme, die sein eigener Juristischer Dienst bei der Ausarbeitung dieses Rechtsakts abgegeben hat. Ließe man zu, dass der Kläger ein von einem Organ erstelltes Rechtsgutachten, dessen Verbreitung von diesem Organ nicht genehmigt wurde, zu den Akten reicht, so stünde dies grundsätzlich im Widerspruch zu den Erfordernissen eines fairen Verfahrens (Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C‑156/21, EU:C:2022:97, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

138    Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass der Grundsatz der Transparenz es ausnahmsweise rechtfertigen kann, ein von einem Organ erstelltes Dokument, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde und ein Rechtsgutachten enthält, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu verbreiten, wenn das Rechtsgutachten ein Gesetzgebungsverfahren betrifft, in dem besondere Transparenz geboten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C‑156/21, EU:C:2022:97, Rn. 56 bis 59).

139    Diese Transparenz schließt jedoch nicht aus, dass die Verbreitung eines spezifischen Rechtsgutachtens, das im Zusammenhang mit einem bestimmten Gesetzgebungsverfahren erstellt wurde, aber besonders sensibel oder von besonders großer Tragweite ist, die über den Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens hinausgeht, zum Schutz der Rechtsberatung verweigert werden kann; in einem solchen Fall muss das betreffende Organ die Verweigerung substantiiert begründen (Urteil vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C‑156/21, EU:C:2022:97, Rn. 60).

140    Im vorliegenden Fall betrifft, wie das Gericht in den Rn. 50 und 54 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates, dessen Vorlage dieser nicht genehmigt hatte, entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht ein Gesetzgebungsverfahren, sondern hat eine Empfehlung der Kommission an den Rat zur Aufnahme von Verhandlungen zwischen der Union und einem Drittstaat über den Abschluss eines internationalen Abkommens zum Gegenstand. Dieser Gegenstand kann außerdem nicht allein dadurch beeinträchtigt werden, dass dieses Gutachten von den Unionsorganen selbst im Zusammenhang mit dem Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt angeführt worden ist.

141    Unter diesen Umständen ist hinreichend nachgewiesen, dass der Verbleib dieses Gutachtens in den Akten das Recht des Rates auf ein faires Verfahren und sein Interesse, freie, objektive und vollständige Stellungnahmen zu erhalten, beeinträchtigen könnte und zum anderen kein überwiegendes öffentliches Interesse gegeben ist, das die Vorlage des in Rede stehenden Rechtsgutachtens durch die Rechtsmittelführerin rechtfertigen könnte. Da außerdem das – wiewohl legitime – Interesse der Rechtsmittelführerin, ihr Vorbringen mit Hilfe dieses Gutachtens zu untermauern, nicht ausreicht, um eine solche Beeinträchtigung der Rechte und Interessen des Rates zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 15 bis 18, sowie Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien, C‑457/18, EU:C:2020:65, Rn. 70 und 71), ist, zumal die Stichhaltigkeit dieser Argumentation und folglich die Möglichkeit eines Obsiegens nicht von der Vorlage des Gutachtens abhängen, der Schluss zu ziehen, dass die in Rn. 131 des vorliegenden Urteils angeführte Interessenabwägung zugunsten des Schutzes der Rechte und Interessen des Rates ausfällt.

142    Was dagegen zweitens die Empfehlung der Kommission und die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland betrifft, hat sich das Gericht, obwohl es in Rn. 39 des angefochtenen Beschlusses selbst darauf hingewiesen hat, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 für die Prüfung eines Antrags auf Entfernung von Dokumenten nur eine Orientierung bieten könne, trotz dieser Prämisse und der Ausführungen in den Rn. 131 und 133 des vorliegenden Urteils in Wirklichkeit ausschließlich auf die Bestimmungen dieser Verordnung, insbesondere auf deren Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich betreffend den Schutz der internationalen Beziehungen gestützt, um die Entfernung dieser Unterlagen zu rechtfertigen.

143    Zwar bietet in diesem Zusammenhang das in dieser Bestimmung verankerte Interesse am Schutz der internationalen Beziehungen eine gewisse Orientierung, doch muss für die in Rn. 131 des vorliegenden Urteils genannte Interessenabwägung nachgewiesen werden, dass der Verbleib dieser Dokumente in den Akten das Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte, das geltend gemacht wird, um die Entfernung der Dokumente zu rechtfertigen.

144    So hat der Gerichtshof zu Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 entschieden, dass der bloße Umstand, dass ein Dokument ein durch eine Ausnahme vom Zugangsrecht im Sinne dieser Bestimmung geschütztes Interesse betrifft, nicht für die Anwendung dieser Verordnung ausreichen kann, da das betreffende Organ erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument ein solches Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte, und zwar unabhängig davon, dass das Organ bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 über ein weites Ermessen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Rat/in’t Veld, C‑350/12 P, EU:C:2014:2039, Rn. 51, 52, 63 und 64).

145    Aus dem angefochtenen Beschluss geht jedoch nicht hervor, dass das Gericht die Erläuterungen des Rates im Hinblick auf diese Anforderungen geprüft hätte. Vielmehr hat sich das Gericht in Bezug auf die Empfehlung der Kommission darauf beschränkt, in den Rn. 57 und 60 bis 63 des angefochtenen Beschlusses die Gefahr einer konkreten und tatsächlichen Beeinträchtigung des betroffenen Interesses allein daraus abzuleiten, dass sich dieses Dokument auf den Erlass eines Beschlusses über internationale Verhandlungen mit einem Drittstaat beziehe.

146    Was die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland betrifft, hat sich das Gericht, um deren Entfernung aus den Akten zu rechtfertigen, auf die Feststellung beschränkt, dass ihre Verbreitung den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 insbesondere insoweit konkret und tatsächlich beeinträchtige, „als die Stellung der Union im Rahmen des von der [Rechtsmittelführerin] gegen sie eingeleiteten Schiedsverfahrens geschwächt würde“, ohne, wie auch der Generalanwalt in Nr. 157 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zu erläutern, inwiefern dieses Schiedsverfahren, bei dem es sich wahrscheinlich um ein privates Verfahren handelt, die internationalen Beziehungen der Union betreffen sollte, oder nachzuweisen, dass eine durch den Verbleib der Stellungnahmen in den Akten hervorgerufene Gefahr der Beeinträchtigung des Schutzes dieses Interesses tatsächlich besteht.

147    Zum anderen hätte das Gericht, selbst wenn erwiesen wäre, dass dieses öffentliche Interesse im Fall des Verbleibs der Empfehlung der Kommission und der Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland in den Akten gefährdet wäre, dennoch eine Abwägung der bestehenden Interessen vornehmen müssen, wie in Rn. 131 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist. Dies hat das Gericht aber versäumt.

148    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Gericht durch die Anordnung, dass die Empfehlung der Kommission und die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland aus den Akten entfernt werden und die Stellen der Klageschrift und deren Anlagen mit Auszügen aus diesen Dokumenten nicht berücksichtigt werden dürfen, Rechtsfehler begangen hat, indem es zum einen bei der Prüfung des Antrags auf Entfernung dieser Dokumente aus den Akten ausschließlich die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001 angewandt hat, ohne eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen, und es zum anderen versäumt hat, unter Berücksichtigung der insoweit vorgebrachten Erläuterungen des Rates zu beurteilen, ob es den Schutz des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die internationalen Beziehungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte, wenn diese Dokumente in den Akten belassen würden.

149    Nach alledem ist auch dem zweiten Rechtsmittelgrund stattzugeben, soweit er die Empfehlung der Kommission und die Stellungnahmen der Bundesrepublik Deutschland betrifft. Daraus folgt, dass Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Beschlusses, soweit sie sich auf die Empfehlung der Kommission (Anlage A.14) bezieht, und auch Nr. 3 dieses Tenors aufzuheben sind.

150    Im Übrigen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 Zur Klage vor dem Gericht

151    Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

152    Vorliegend ist der Gerichtshof in dieser Phase des Verfahrens zwar nicht in der Lage, über die Begründetheit der vor dem Gericht erhobenen Klage zu entscheiden; er verfügt jedoch über die erforderlichen Angaben, um über die vom Parlament und vom Rat im Verfahren des ersten Rechtszugs erhobene Einrede der Unzulässigkeit endgültig zu entscheiden.

153    Was erstens die Frage betrifft, ob die Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie individuell betroffen ist, so macht diese im Wesentlichen geltend, dass die Offshore-Gasfernleitung Nord Stream 2 die einzige von dieser Richtlinie betroffene, weitgehend fertiggestellte neue Gasfernleitung sei, für die eine endgültige Investitionsentscheidung getroffen worden sei, für die lange vor dem Erlass dieser Richtlinie eine sehr bedeutende Investition vereinbart worden sei und deren Eigentümer keine Ausnahme nach Art. 49a der Richtlinie 2009/73 in Anspruch nehmen könne.

154    Das Parlament und der Rat machen im Wesentlichen geltend, dass die Rechtsmittelführerin von der streitigen Richtlinie nicht individuell betroffen sei. Der Umstand, dass es möglich sei, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Zahl oder sogar die Identität der in ihren Anwendungsbereich fallenden Personen zu bestimmen, ändere nichts daran, dass diese Richtlinie alle Gasfernleitungen zwischen der Union und Drittländern – onshore oder offshore, bereits bestehend oder fertigstellt, neu oder zukünftig – in gleicher Weise betreffe. Es handele sich daher um einen offenen Kreis von Wirtschaftsteilnehmern. Jedenfalls mache die Rechtsmittelführerin keine näheren Angaben dazu, inwiefern sich die Gasfernleitung Nord Stream 2 von allen anderen grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen mit einem Drittland unterscheide.

155    Der Rat fügt zum einen hinzu, dass die Rechtsmittelführerin die streitige Richtlinie insgesamt in Frage stelle, so dass ihre Klage nicht auf die Gültigkeit der Voraussetzungen für die Ausnahme in dem durch die streitige Richtlinie eingefügten Art. 49a der Richtlinie 2009/73 beschränkt sei. Zum anderen seien die von der Rechtsmittelführerin angeführten Urteile vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM (C‑125/06 P, EU:C:2008:159), und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100), im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da sich diese Urteile auf Wirtschaftsteilnehmer bezögen, die ein in der Vergangenheit erworbenes Recht besäßen, das sie gegenüber allen anderen Wirtschaftsteilnehmern individualisiere.

156    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine Person, die nicht Adressat eines Beschlusses ist, nur dann geltend machen kann, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV individuell betroffen zu sein, wenn dieser Beschluss sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert, wie es der Adressat eines solchen Beschlusses wäre (Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 93).

157    Insoweit ergibt sich aus einer gefestigten Rechtsprechung, dass der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, keineswegs bedeutet, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern diese Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (Urteil vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).

158    Gleichwohl können nach ständiger Rechtsprechung, wenn eine Handlung eine Gruppe von Personen berührt, deren Identität zum Zeitpunkt des Erlasses der Handlung aufgrund von Kriterien, die den Mitgliedern der Gruppe eigen waren, feststand oder feststellbar war, diese Personen von der Handlung individuell betroffen sein, sofern sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59).

159    Im vorliegenden Fall ist die streitige Richtlinie zwar allgemein formuliert und gilt unterschiedslos für alle Wirtschaftsteilnehmer, die eine Gasfernleitung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland betreiben, indem sie diese Wirtschaftsteilnehmer den in der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Verpflichtungen unterwirft. Der Umstand, dass die Zahl dieser Wirtschaftsteilnehmer gering ist, kann dabei nicht belegen, dass sie von der streitigen Richtlinie individuell betroffen sind; denn dieser Umstand gründet nicht in der Art der von dieser Richtlinie erzeugten Rechtswirkungen, sondern in den Merkmalen des betroffenen Marktes.

160    Wie in Rn. 104 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, konnte die Rechtsmittelführerin jedoch weder eine Ausnahme nach Art. 36 noch nach Art. 49a der Richtlinie 2009/73 in Anspruch nehmen.

161    In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sowohl unter den bestehenden als auch unter den noch zu errichtenden Verbindungsleitungen die Gasfernleitung Nord Stream 2 die einzige ist, die sich in einer solchen Situation befindet und sich in einer solchen Situation befinden kann, da die Betreiber aller anderen unter die Richtlinie 2009/73 fallenden Verbindungsleitungen die Möglichkeit hatten oder haben werden, eine Ausnahme auf der Grundlage einer der in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen dieser Richtlinie zu erhalten, wie die Rechtsmittelführerin unwidersprochen geltend macht.

162    Daraus folgt, dass sich nach dem Inkrafttreten der streitigen Richtlinie das Zusammenspiel zwischen der in Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 2009/73 vorgesehenen Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie auf Verbindungsleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern auf der einen und der Ausgestaltung der in den Art. 36 und 49a dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme auf der anderen Seite auf die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin ausgewirkt hat, so dass sie in ähnlicher Weise individualisiert ist, wie es der Adressat eines Beschlusses wäre.

163    Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Rechtsmittelführerin von den Voraussetzungen für die Ausnahmen, die sich aus den Art. 36 und 49a der Richtlinie 2009/73 ergeben, wie sie durch die streitige Richtlinie geändert bzw. eingefügt wurden, individuell betroffen ist.

164    Zweitens ergibt sich aus den Erwägungen in den Rn. 61 bis 81 und 94 bis 115 des vorliegenden Urteils, dass die Rechtsmittelführerin von diesen Bestimmungen auch unmittelbar betroffen ist.

165    Drittens ist festzustellen, dass diese Bestimmungen von den übrigen Bestimmungen der Richtlinie 2009/73 in der durch die streitige Richtlinie geänderten Fassung abtrennbar sind.

166    Nach alledem ist die von der Rechtsmittelführerin beim Gericht erhobene Nichtigkeitsklage in den in Rn. 163 des vorliegenden Urteils genannten Grenzen für zulässig zu erklären.

167    Die Sache wird zur Entscheidung über die Begründetheit der Nichtigkeitsklage an das Gericht zurückverwiesen.

 Kosten

168    Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Verfahrens vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Nr. 1 des Tenors des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 20. Mai 2020, Nord Stream 2/Parlament und Rat (T526/19, EU:T:2020:210), soweit diese Nummer die Empfehlung der Europäischen Kommission an den Rat der Europäischen Union vom 9. Juni 2017 zur Annahme eines Beschlusses über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein internationales Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über den Betrieb der Gasfernleitung Nord Stream 2 (Anlage A.14) betrifft, sowie die Nrn. 3 und 4 des Tenors dieses Beschlusses werden aufgehoben.

2.      Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

3.      Die Nichtigkeitsklage der Nord Stream 2 AG gegen die Richtlinie (EU) 2019/692 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt ist zulässig, soweit sie gegen die Bestimmungen der Art. 36 und 49a der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG gerichtet ist, wie sie durch die Richtlinie 2019/692 geändert bzw. eingefügt worden sind.

4.      Die Sache wird zur Entscheidung über die Begründetheit der in Nr. 3 des vorliegenden Tenors genannten Nichtigkeitsklage an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

5.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.