Language of document : ECLI:EU:C:2021:141

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

25. Februar 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsamer Zolltarif – Kombinierte Nomenklatur – Zolltarifliche Einreihung – Tarifpositionen 8701 und 8705 – Auslegung – Flugzeugabschleppwagen“

In der Rechtssache C‑772/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 9. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2019, in dem Verfahren

Bartosch Airport Supply Services GmbH

gegen

Zollamt Wien

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra (Berichterstatter), des Richters S. Rodin und der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen


–        der Bartosch Airport Supply Services GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte U. Schrömbges und J. Gesinn,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Pethke und M. Salyková als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Position 8705 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der durch die Durchführungsverordnung (EU) 2016/1821 der Kommission vom 6. Oktober 2016 (ABl. 2016, L 294, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Bartosch Airport Supply Services (im Folgenden: Bartosch) und dem Zollamt Wien (Österreich) (im Folgenden: Zollbehörde) wegen der zolltariflichen Einreihung eines „elektrisch betriebenen, stangenlosen Flugzeugabschleppwagens“, der zum Ziehen und Schieben von Luftfahrzeugen konzipiert ist (im Folgenden: Flugzeugabschleppwagen).

 Rechtlicher Rahmen

 HS

3        Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde im Rahmen der Weltzollorganisation (WZO) mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren eingeführt, das mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt wurde.

4        Die HS-Nomenklatur enthält einen Abschnitt XVII („Beförderungsmittel“), der ein Kapitel 87 („Zugmaschinen, Kraftwagen, Krafträder, Fahrräder und andere nicht schienengebundene Landfahrzeuge, Teile davon und Zubehör“) umfasst. Zu diesem Kapitel gehören u. a. die Positionen 8701 („Zugmaschinen [ausgenommen Zugkraftkarren der Position 8709]“) und 8705 („Kraftfahrzeuge zu besonderen Zwecken, ihrer Beschaffenheit nach nicht hauptsächlich zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt [z. B. Abschleppwagen, Kranwagen, Feuerwehrwagen, Betonmischwagen, Straßenkehrwagen, Straßensprengwagen, Werkstattwagen, Wagen mit Röntgenanlage]“).

5        In der HS-Erläuterung zu diesem Kapitel 87 heißt es:

„Allgemeines

Mit Ausnahme bestimmter fahrbarer Maschinen, die zu Abschnitt XVI gehören (siehe dazu die Erläuterungen zu den Pos. 8701, 8705 und 8716) umfasst dieses Kapitel alle nicht schienengebundenen Landfahrzeuge. Hierher gehören demnach:

1)      Zugmaschinen (Pos. 8701).

2)      Kraftfahrzeuge zum Befördern von Personen (Pos. 8702 oder 8703) oder Gütern (Pos. 8704) sowie Kraftfahrzeuge zu besonderen Zwecken (Pos. 8705).

3)      Kraftkarren ohne Hebevorrichtung, von der in Fabriken, Lagerhäusern, Häfen oder auf Flugplätzen zum Kurzstreckentransport von Waren verwendeten Art und Zugkraftkarren, von der auf Bahnhöfen verwendeten Art (Pos. 8709).

…“

6        In den HS-Erläuterungen zu Position 8701 und deren Unterpositionen heißt es:

„Unter ‚Zugmaschinen‘ im Sinne dieser Position sind auf Rädern oder Gleisketten fahrende Kraftfahrzeuge zu verstehen, die hauptsächlich zum Ziehen oder Schieben anderer Fahrzeuge, Geräte oder Lasten gebaut sind. Sie können auch eine Hilfsladefläche oder eine ähnliche Vorrichtung besitzen, die es ermöglicht, im Zusammenhang mit der Hauptverwendung der Zugmaschine Arbeitswerkzeuge, Arbeitsgeräte, Saatgut, Düngemittel usw. zu befördern oder zusätzlich mit Vorrichtungen zum Anbringen von Arbeitsgeräten ausgerüstet sein.

Zu dieser Position gehören, mit Ausnahme der in der Pos. 8709 erfassten Zugkraftkarren von der auf Bahnhöfen verwendeten Art, Zugmaschinen aller Art und für alle Verwendungszwecke (Ackerschlepper, Schlepper für die Forstwirtschaft, Straßenzugmaschinen, Zugmaschinen für Bauarbeiten, Zugmaschinen mit Seilwinden usw.), ohne Rücksicht auf die Art des Antriebs (Otto- oder Dieselmotor, Elektromotor usw.). …

Die Zugmaschinen dieser Position können mit einer Karosserie oder mit Sitzen für das Bedienungspersonal oder mit einem Führerhaus ausgestattet sein. Sie können mit einem Werkzeugkasten, einer Vorrichtung zum Heben oder Senken der Arbeitsgeräte, einer Anhängevorrichtung für Sattelanhänger oder andere Anhänger und auch mit einer Riemenscheibe oder einer Zapfwelle ausgestattet sein, womit sie mit ihrem Motor verschiedene Maschinen (z. B. Dreschmaschinen oder Kreissägen) antreiben können.

Zu dieser Position gehören auch mit Seilwinden ausgestattete Zugmaschinen (Windenschlepper genannt), mit denen z. B. eingesunkene Fahrzeuge herausgezogen, Bäume umgerissen und weggeschleppt oder an einem Seilzug hängende landwirtschaftliche Geräte gezogen und fernbetätigt werden können.

Nicht zu dieser Position gehören außerdem mit Kranen, Hebebäumen, Seilwinden usw. ausgerüstete Abschleppwagen (Pos. 8705).

Zu Unterposition 8701 91 bis 8701 95:

Zu dieser Unterposition gehören Kraftfahrzeuge, die dazu bestimmt sind Auflieger/Sattelanhänger über kurze Distanzen zu ziehen. Derartige Kraftfahrzeuge sind unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt, wie beispielsweise als Terminalzugmaschinen, Hafenzugmaschinen etc. und sie sind dazu bestimmt Auflieger/Sattelanhänger auf begrenztem Raum zu bewegen. Sie sind nicht für einen Langstreckenstraßeneinsatz als Sattel-Straßenzugmaschinen der Unterposition 8701 20 konzipiert. Diese Kraftfahrzeuge unterscheiden sich von Sattel-Straßenzugmaschinen dadurch, dass sie üblicherweise mit Dieselmotoren ausgestattet sind, deren Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 50 km/h beträgt und nur mit einer geschlossenen Kabine mit einem schmalen Einzelsitz für den Fahrer versehen sind.“

7        In den HS-Erläuterungen zu Position 8705 und deren Unterpositionen heißt es:

„Zu dieser Position gehören eine Reihe besonders konstruierter oder umgebauter Kraftfahrzeuge, auf denen Vorrichtungen oder Geräte angebracht sind, um sie für bestimmte, andere als bloße Beförderungszwecke verwendbar zu machen. Es sind demnach Fahrzeuge, deren wesentlicher Zweck nicht das Befördern von Personen oder Gütern ist.

Zu dieser Position gehören:

1)      Abschleppwagen, bestehend aus einem Lastkraftwagenfahrgestell, auch mit Ladepritsche, Hebezeug, wie nicht drehbaren Kran, Hebebaum, Flaschenzug oder Seilwinde zum Heben und Abschleppen von Pannenfahrzeugen.

…“

 KN

8        Die zolltarifliche Einreihung von Waren, die in die Europäische Union eingeführt werden, richtet sich nach der KN. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2658/87 übernimmt die KN bei den ersten sechs Stellen die Codenummern der Positionen und Unterpositionen des HS; lediglich die siebte und die achte Stelle bilden eigene Unterteilungen.

9        Teil I der KN umfasst einen Titel I („Allgemeine Vorschriften“), dessen Abschnitt A („Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der [KN]“) bestimmt:

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1.      Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

3.      Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:

a)      Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen oder mehrere Bestandteile einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.

c)      Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen.

6.      Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

10      Teil II („Zolltarif“) der KN umfasst u. a. einen Abschnitt XVII („Beförderungsmittel“), der das Kapitel 87 betreffend Zugmaschinen, Kraftwagen, Krafträder, Fahrräder und andere nicht schienengebundene Landfahrzeuge, Teile davon und Zubehör enthält. In Anmerkung 2 zu diesem Kapitel 87, die Position 8701 betrifft, heißt es:

„Im Sinne des Kapitels 87 sind Zugmaschinen Kraftfahrzeuge, die im Wesentlichen zum Ziehen oder Schieben anderer Fahrzeuge, Geräte oder Lasten gebaut sind. Sie können auch Zusatzvorrichtungen haben, die es möglich machen, im Zusammenhang mit der Hauptverwendung der Zugmaschinen Werkzeuge, Geräte, Saatgut, Düngemittel usw. zu befördern.

…“

11      Die Positionen 8701 und 8705 in diesem Kapitel 87 lauten:

„8701

Zugmaschinen (ausgenommen Zugkraftkarren der Position 8709)

8701 10 00

– Einachsschlepper

8701 20

– Sattel-Straßenzugmaschinen

8701 20 10

– – neu

8701 20 90

– – gebraucht

8701 30 00

– Gleiskettenzugmaschinen


– andere, mit einer Motorleistung von

8701 91

– – 18 kW oder weniger

8701 91 10

– – – Ackerschlepper und Forstschlepper, auf Rädern

8701 91 90

– – – andere

8701 92

– – mehr als 18 kW bis 37 kW

8701 92 10

– – – Ackerschlepper und Forstschlepper, auf Rädern

8701 92 90

– – – andere



8705

Kraftfahrzeuge zu besonderen Zwecken, ihrer Beschaffenheit nach nicht hauptsächlich zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt (z. B. Abschleppwagen, Kranwagen, Feuerwehrwagen, Betonmischwagen, Straßenkehrwagen, Straßensprengwagen, Werkstattwagen, Wagen mit Röntgenanlage)

8705 10 00

– Kranwagen (Autokrane)

8705 20 00

– Kraftfahrzeuge mit Bohrturm zum Tiefbohren

8705 30 00

– Feuerwehrwagen

8705 40 00

– Betonmischwagen (Lkw-Betonmischer)

8705 90

– andere:

8705 90 30

– – Betonpumpenwagen

8705 90 80

– – andere“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12      Am 23. Februar 2017 beantragte Bartosch bei der Zollbehörde die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft für einen Flugzeugabschleppwagen. Dieser wird im Vorabentscheidungsersuchen als ein Gerät beschrieben, das Luftfahrzeuge mit einem Gewicht von bis zu 54 432 kg schleppen kann und aus einer Metallplattform mit vier Rädern, einem Elektromotor mit einer Leistung von 33,8 kW, Antriebs‑, Brems- und Lenkvorrichtungen sowie zwei entgegengesetzt angeordneten Fahrersitzen mit Bedienhebeln an beiden Seiten besteht. Er ist außerdem mit einer Zugwinde mit Gurtzugvorrichtung und einer elektrohydraulischen Hebevorrichtung ausgestattet. Mit der Winde wird das Bugrad des Flugzeugs auf die hydraulische Hebevorrichtung gezogen und dann mittels dieser Hebevorrichtung angehoben. In dieser Position kann das Flugzeug sodann geschleppt oder geschoben werden.

13      Bartosch machte geltend, dass ein solches Fahrzeug in die KN-Unterposition 8705 90 80 einzureihen sei, zu der Kraftfahrzeuge zu besonderen Zwecken, die ihrer Beschaffenheit nach nicht zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt seien, gehörten, für die ein Zollsatz von 3,7 % gelte.

14      Mit Bescheid vom 8. Mai 2017 erteilte die Zollbehörde eine verbindliche Zolltarifauskunft, mit der das Fahrzeug als „andere“ Zugmaschine in die KN-Unterposition 8701 92 90 eingereiht wurde. Für die zu dieser Unterposition gehörenden Waren gilt ein Zollsatz von 7 %.

15      Nachdem ihre Beschwerde gegen diesen Bescheid abgewiesen worden war, beantragte Bartosch beim Bundesfinanzgericht (Österreich) die Entscheidung über ihre Beschwerde. Dieses Gericht wies die Beschwerde mit der Begründung ab, dass nur Fahrzeuge, deren wesentliches Merkmal darin bestehe, Pannenfahrzeuge zu heben und abzuschleppen, als „Abschleppwagen“ im Sinne der Position 8705 der KN einzustufen seien. Ein Flugzeugabschleppwagen falle unter die KN-Position 8701, da diese mit einer weit gefassten Definition eindeutig „Zugmaschinen“ erfasse.

16      Bartosch erhob gegen dieses Erkenntnis Revision beim vorlegenden Gericht, dem Verwaltungsgerichtshof (Österreich).

17      Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass die KN-Position 8701 nach den HS-Erläuterungen Zugmaschinen aller Art und für alle Verwendungszwecke ohne Rücksicht auf die Art des Antriebs erfasse. Nicht zu dieser Position gehörten mit Kranen, Hebebäumen und Seilwinden ausgerüstete Abschleppwagen, die in die KN-Position 8705 einzureihen seien. Zur KN-Position 8705 gehörten eine Reihe besonders konstruierter oder umgebauter Kraftfahrzeuge, auf denen Vorrichtungen und Geräte angebracht seien, um sie für bestimmte andere als bloße das Befördern von Personen oder Gütern betreffende Zwecke verwendbar zu machen. Dabei handele es sich u. a. um Abschleppwagen, die zum Heben und Abschleppen von Pannenfahrzeugen bestimmt seien. Daraus leitet das vorlegende Gericht ab, dass die KN-Position 8705 eine speziellere Fahrzeugkategorie betreffe als die KN-Position 8701.

18      Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass ein Flugzeugabschleppwagen, da er zum Ziehen und Schieben von Flugzeugen auf Flughäfen bestimmt sei, nicht hauptsächlich zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt sei. Allerdings erfülle er keinen der Verwendungszwecke, die in Position 8705 beispielhaft aufgezählt seien.

19      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in der englischen und der französischen Sprachfassung der KN die in der Position 8705 als „break down lorries“ bzw. „dépanneuses“ bezeichneten Fahrzeuge ausschließlich dazu bestimmt seien, Pannenfahrzeuge abzuschleppen, was gegen eine Einreihung von Flugzeugabschleppwagen in diese Tarifposition spreche.

20      Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die KN-Position 8705 dahin gehend auszulegen, dass stangenlose Kraftfahrzeuge mit einer Zugwinde mit Gurtzugvorrichtung zum Ziehen und einer elektrohydraulischen Hebevorrichtung zum Schieben von Flugzeugen unter diese Position fallen?

 Zur Vorlagefrage

21      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die KN dahin auszulegen ist, dass die Position 8705 dieser Nomenklatur Fahrzeuge erfasst, die zum Schleppen und Schieben von Luftfahrzeugen konzipiert sind und als „Flugzeugabschleppwagen“ bezeichnet werden.

22      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Position und der Unterposition der KN sowie der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind, bevor die anderen Bestimmungen der Allgemeinen Vorschriften eingreifen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 11. Dezember 2008, Kip Europe u. a., C‑362/07 und C‑363/07, EU:C:2008:710, Rn. 39, vom 12. Juli 2012, TNT Freight Management [Amsterdam], C‑291/11, EU:C:2012:459, Rn. 31, vom 19. Dezember 2019, Amoena, C‑677/18, EU:C:2019:1142, Rn. 39 und 40, sowie vom 26. März 2020, Pfizer Consumer Healthcare, C‑182/19, EU:C:2020:243, Rn. 37).

23      Zweitens sind die von der Europäischen Kommission zur KN und von der WZO zum HS ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Mai 2014, Data I/O, C‑297/13, EU:C:2014:331, Rn. 33, und vom 15. Mai 2019, Korado, C‑306/18, EU:C:2019:414, Rn. 35).

24      Drittens kann die Einreihung zwar nicht allein auf der Grundlage der objektiven Merkmale und Eigenschaften der betreffenden Ware erfolgen, jedoch kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dieser Ware innewohnt. Dieses Innewohnen muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. September 2019, TDK-Lambda Germany, C‑559/18, EU:C:2019:667, Rn. 27, und vom 26. März 2020, Pfizer Consumer Healthcare, C‑182/19, EU:C:2020:243, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Was den Zweifel anbelangt, den das vorlegende Gericht hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung des Flugzeugabschleppwagens hat, ist festzustellen, dass dieser Zweifel eng mit der Verwendung des Begriffs „Abschleppwagen“ in der deutschen Sprachfassung der KN-Position 8705 zusammenhängt. Dieser Begriff bezeichnet nämlich Zugmaschinen, die zum Abschleppen anderer Fahrzeuge bestimmt sind, unabhängig davon, ob es sich dabei um Pannenfahrzeuge handelt oder nicht, während die Begriffe „dépanneuses“ und „break down lorries“ in der französischen bzw. der englischen Sprachfassung dieser Nomenklatur nur Fahrzeuge bezeichnen, die zum Abschleppen von Pannenfahrzeugen dienen.

26      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung und Anwendung jeder Vorschrift des Unionsrechts schließt es somit aus, sie in einer ihrer Sprachfassungen isoliert zu betrachten, sondern gebietet vielmehr, sie nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung auszulegen, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, EU:C:1977:172, Rn. 14, und vom 8. Juni 2017, Sharda Europe, C‑293/16, EU:C:2017:430, Rn. 21).

27      Sowohl aus dem Zweck als auch aus der Systematik der KN-Position 8705, ausgelegt im Licht der HS-Erläuterungen, ergibt sich aber, dass diese Position nur Fahrzeuge erfasst, die zum Abschleppen von Pannenfahrzeugen dienen, während Fahrzeuge, die zum Abschleppen von Fahrzeugen dienen, die keine Pannenfahrzeuge sind, in die Position 8701 dieser Nomenklatur einzureihen sind.

28      Zunächst ist festzustellen, dass in Anmerkung 2 zu Kapitel 87 der KN, die die Position 8701 betrifft, ebenso wie in der Erläuterung zur HS-Position 8701 darauf hingewiesen wird, dass der Begriff „Zugmaschinen“ Kraftfahrzeuge bezeichnet, die im Wesentlichen zum Ziehen oder Schieben anderer Fahrzeuge, Geräte oder Lasten gebaut sind. Sie können auch Zusatzvorrichtungen haben, die es möglich machen, im Zusammenhang mit der Hauptverwendung der Zugmaschinen Werkzeuge, Geräte, Saatgut, Düngemittel usw. zu befördern. In der HS-Erläuterung heißt es außerdem, dass die Position 8701 Zugmaschinen aller Art und für alle Verwendungszwecke erfasst, darunter Windenschlepper, die mit Seilwinden ausgestattet sind, mit denen z. B. eingesunkene Fahrzeuge herausgezogen oder an einem Seilzug hängende landwirtschaftliche Geräte gezogen und fernbetätigt werden können. Nicht unter die Position 8701 fallen nach dieser Erläuterung dagegen mit Kranen, Hebebäumen und Seilwinden ausgerüstete Abschleppwagen – die dazu dienen, Pannenfahrzeuge abzuschleppen –, die in die KN-Position 8705 einzureihen sind.

29      Außerdem wird in den HS-Erläuterungen, konkret zu den Unterpositionen 8701 91 bis 8701 95, klargestellt, dass zu diesen Unterpositionen Kraftfahrzeuge gehören, die dazu bestimmt sind, Auflieger/Sattelanhänger über kurze Distanzen zu ziehen.

30      Sodann ist festzustellen, dass nach der Allgemeinen Vorschrift 3 Buchst. a für die Auslegung der KN bei der Einreihung von Waren dann, wenn für die Einreihung zwei oder mehr Positionen in Betracht kommen, in der Weise verfahren wird, dass die Position mit der genaueren Warenbezeichnung den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vorgeht.


31      Aus den Rn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils ergibt sich aber, dass die KN-Position 8701, die sich auf Zugmaschinen bezieht, gegenüber der KN-Position 8705 – die sich im weiteren Sinne auf Kraftfahrzeuge zu besonderen Zwecken bezieht, die ihrer Beschaffenheit nach nicht hauptsächlich zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt sind – die genauere Warenbezeichnung enthält.

32      Eine solche Auslegung der KN-Position 8701 wird schließlich durch das Urteil vom 27. April 2006, Kawasaki Motors Europe (C‑15/05, EU:C:2006:259), bestätigt, das die zolltarifliche Einreihung eines Geländefahrzeugs betrifft. Aus Rn. 46 dieses Urteils geht nämlich hervor, dass die Zugkraft eines Fahrzeugs die objektive Eigenschaft darstellt, anhand deren festgestellt werden kann, ob es im Wesentlichen zum Ziehen oder Schieben anderer Fahrzeuge, Geräte oder Lasten oder vielmehr zur Personenbeförderung konzipiert ist. Der Gerichtshof leitete daraus in Rn. 55 dieses Urteils ab, dass die objektiven Merkmale und Eigenschaften dieser Fahrzeuge den Hinweisen in Anmerkung 2 des KN-Kapitels 87 entsprechen, da sie im Wesentlichen zum Ziehen oder Schieben anderer Fahrzeuge, Geräte oder Lasten gebaut sind. Die Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 1 für die Auslegung der KN führt folglich zur Einreihung dieser Fahrzeuge in die Position 8701 dieser Nomenklatur.

33      Nach alledem ist festzustellen, dass ein Fahrzeug, das die Merkmale des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Flugzeugabschleppwagens aufweist, in die KN-Position 8701 einzureihen ist, da dieses Fahrzeug nicht dem Abschleppen von Pannenfahrzeugen dient und keine andere besondere Funktion hat als die, Flugzeuge auf kurzen Strecken zu ziehen und zu schieben.

34      Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die KN dahin auszulegen ist, dass die Position 8705 dieser Nomenklatur nicht Fahrzeuge erfasst, die zum Schleppen und Schieben von Luftfahrzeugen konzipiert sind und als „Flugzeugabschleppwagen“ bezeichnet werden, und dass Letztere in die Position 8701 der genannten Nomenklatur einzureihen sind.

 Kosten

35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/1821 der Kommission vom 6. Oktober 2016 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Position 8705 dieser Nomenklatur nicht Fahrzeuge erfasst, die zum Schleppen und Schieben von Luftfahrzeugen konzipiert sind und als „Flugzeugabschleppwagen“ bezeichnet werden, und dass Letztere in die Position 8701 der genannten Nomenklatur einzureihen sind.

Piçarra

Rodin

Jürimäe

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Februar 2021.

Der Kanzler

 

Der Präsident der Neunten Kammer

A. Calot Escobar

 

N. Piçarra


*      Verfahrenssprache: Deutsch.