Language of document : ECLI:EU:T:2017:411

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

21. Juni 2017(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das einen Toilettendeckel darstellt – Älteres Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Eigenart – Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑286/16

Ernst Kneidinger, wohnhaft in Wilhering (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Grötschl,

Kläger,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum(EUIPO), vertreten durch S. Hanne als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Partei im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Topseat International mit Sitz in Plano, Texas (Vereinigte Staaten), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Eckhartt, A. von Mühlendahl und P. Böhner,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 5. April 2016 (Sache R 1030/2015-3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Topseat International und Herrn Kneidinger


erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Gratsias, der Richterin I. Labucka und des Richters I. Ulloa Rubio (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 2. Juni 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 21. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 18. August 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts,

aufgrund des Umstands, dass keine der Hauptparteien innerhalb der Frist von drei Wochen, nachdem die Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens erfolgt ist, einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat, und des gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

  Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 15. Juli 2013 meldete der Kläger, Herr Ernst Kneidinger, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Angemeldet wurde das nachfolgend wiedergegebene Geschmacksmuster:

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3        Das oben in Rn. 2 wiedergegebene Geschmacksmuster wurde am Tag der Anmeldung unter der Nr. 2274035-0001 (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster) eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 139/2013 vom 25. Juli 2013 veröffentlicht.

4        Das angegriffene Geschmacksmuster soll für die Erzeugnisse „Verzierung, Toilettensitz (Teil von ‑)“ in den Klassen 23-02 und 32-00 im Sinne des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung verwendet werden.

5        Am 14. November 2014 beantragte die Streithelferin, Topseat International, beim EUIPO die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters. Ihr Antrag wurde mit dem Nichtigkeitsgrund des Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit deren Art. 4 bis 6 begründet. Zur Stützung ihres Antrags legte die Streithelferin die folgende Darstellung eines Toilettendeckels der Bemis Manufacturing Company vor, der in Europa seit April 2012 über die Website „amazon.co.uk“ vertrieben wird (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster D1):

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6        Im Nachgang zu ihrem Antrag auf Nichtigerklärung reichte die Streithelferin folgende vier Fotos eines Toilettensitzes mit Deckel der Bemis Manufacturing Company ein, zusammen mit Fotos der Produktverpackung sowie der Montageerklärung mit dem Vermerk „©2011 1B5990740“ (im Folgenden: älteres Geschmacksmuster D2):

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7        Mit Entscheidung vom 24. März 2015 gab die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO dem Nichtigkeitsantrag mit der Begründung statt, das angegriffene Geschmacksmuster sei nicht neu. Diese Beurteilung stützte sie auf das ältere Geschmacksmuster D1.

8        Am 22. Mai 2015 legte der Kläger gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 Beschwerde beim EUIPO ein.

9        Mit Entscheidung vom 5. April 2016 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück. Im Gegensatz zur Nichtigkeitsabteilung war sie der Ansicht, dass das angegriffene Geschmacksmuster im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 neu sei. Die Beschwerdekammer, die ihrer Beurteilung das ältere Geschmacksmuster D2 zugrunde legte, vertrat jedoch die Auffassung, dass das angegriffene Geschmacksmuster wegen fehlender Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig zu erklären sei. Im Einzelnen stellte sie erstens fest, dass die fraglichen Geschmacksmuster, die beide einen Toilettendeckel darstellten, beim informierten Benutzer den gleichen Gesamteindruck hervorriefen. Der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers sei auf die Gestaltung des Toilettendeckels beschränkt, da die äußere Form durch die Abmessungen der Toilettenschüssel und die technische Funktion, nämlich die Abdeckung des Sitzes und der Schüssel, vorgegeben sei. Zweitens führte die Beschwerdekammer aus, das angegriffene Geschmacksmuster zeige die Kontur eines ovalen Toilettendeckels in Form eines umlaufenden hochgezogenen Randes. Das ältere Geschmacksmuster D2 zeige einen durch eine kleine Stufe abgesetzten ovalen Toilettendeckel, der zum Sitz hin nach außen gewölbt sei, wodurch der Eindruck eines nach innen versetzten hochgezogenen Randes hervorgerufen werde. Somit würden zum einen die fraglichen Geschmacksmuster nicht nur in ihrer äußeren Form, sondern auch in ihrem Merkmal eines hochgezogenen Randes übereinstimmen. Zum anderen könnten sich die zwischen den fraglichen Geschmacksmustern bestehenden Unterschiede in der Gesamthöhe des Deckels und im gewölbten Abschluss zum Sitz hin nicht auf den Gesamteindruck auswirken. Des Weiteren habe der Kläger eine Art der Wiedergabe und der Ansichten des angegriffenen Geschmacksmusters gewählt, die die Merkmale, für die der Schutz beansprucht werde, nicht vollständig oder nicht eindeutig zeigten, und nur die Merkmale, die klar im angegriffenen Geschmacksmuster offenbart seien, könnten als Grundlage für den Vergleich des Gesamteindrucks dienen. Die Wiedergabe des angegriffenen Geschmacksmusters in Form von Strichzeichnungen habe weder die Proportionen des Randes noch dessen konkrete Ausgestaltung erkennen lassen, da eine Querschnittsansicht fehle.

 Anträge der Parteien

10      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens vor der Beschwerdekammer aufzuerlegen.

11      Das EUIPO und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

12      Der Kläger macht im Wesentlichen einen einzigen Klagegrund geltend, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 rügt, da die Beschwerdekammer den durch die fraglichen Geschmacksmuster hervorgerufen Gesamteindruck nicht zutreffend beurteilt habe.

13      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen des Klägers entgegen.

14      Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster nur gemeinschaftlich geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

15      Aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 geht hervor, dass die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen ist. Dieser Gesamteindruck muss der sich von dem unterscheiden, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden war, bei diesem Benutzer hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei der Beurteilung der Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

16      Nach der Rechtsprechung beruht die Eigenart eines Geschmacksmusters darauf, dass aus der Sicht eines informierten Benutzers in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz ein Unterschied im Gesamteindruck oder kein „Déjà-vu“ besteht, wobei Unterschiede außer Betracht bleiben, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – zu schwach ausgeprägt sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinflussen, jedoch Unterschiede berücksichtigt werden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Budziewska/HABM – Puma [Springende Raubkatze], T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Bei der Beurteilung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz aufweist, sind die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt wird oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig und der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, eine mögliche Sättigung des Stands der Technik, durch die der informierte Benutzer für Unterschiede zwischen den verglichenen Geschmacksmustern aufmerksamer wird, sowie die Art der Benutzung des fraglichen Erzeugnisses, insbesondere im Hinblick auf die dafür übliche Bedienungsweise, zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Springende Raubkatze, T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob aus der Sicht des informierten Benutzers und unter Berücksichtigung des Grades der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers von Toilettendeckeln der von dem angegriffenen Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck von dem abweicht, den die älteren Geschmacksmuster hervorrufen.

 Zum informierten Benutzer

19      Was die Auslegung des Begriffs des informierten Benutzers angeht, ist festzustellen, dass die Benutzereigenschaft voraussetzt, dass die betroffene Person das Erzeugnis, das das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Erzeugnis vorgesehenen Zweck benutzt. Außerdem setzt die Bezeichnung „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, die verschiedenen Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er diese Erzeugnisse aufgrund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (Urteile vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 59, und vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 46 und 47).

20      Der Begriff des informierten Benutzers ist als Begriff zu verstehen, der zwischen dem im Markenbereich anwendbaren Begriff des Durchschnittsverbrauchers, von dem keine speziellen Kenntnisse erwartet werden und der im Allgemeinen keinen direkten Vergleich zwischen den einander gegenüberstehenden Marken anstellt, und dem des Fachmanns als Sachkundigen mit profunden technischen Fertigkeiten liegt. Somit kann der Begriff des informierten Benutzers als Bezeichnung eines Benutzers verstanden werden, dem keine durchschnittliche Aufmerksamkeit, sondern eine besondere Wachsamkeit eigen ist, sei es wegen seiner persönlichen Erfahrung oder seiner umfangreichen Kenntnisse in dem betreffenden Bereich (Urteil vom 20. Oktober 2011, PepsiCo/Grupo Promer Mon Graphic, C‑281/10 P, EU:C:2011:679, Rn. 53).

21      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass die fraglichen Geschmacksmuster Toilettendeckel beträfen und dass der informierte Benutzer mit den Merkmalen von Toilettendeckeln vertraut sei.

22      Der Kläger trägt vor, der Aufmerksamkeitsgrad des informierten Benutzers sei nicht berücksichtigt worden. Dieser lege nach der Rechtsprechung u. a. eine besondere Wachsamkeit oder einen verhältnismäßig hohen Aufmerksamkeitsgrad an den Tag, so dass die Beschwerdekammer bei Berücksichtigung dieses Aufmerksamkeitsgrads erkannt hätte, dass selbst kleine Unterschiede einen anderen Gesamteindruck der fraglichen Geschmacksmuster hervorrufen können.

23      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen ist, dass die Betrachtungsweise der Beschwerdekammer hinsichtlich des Aufmerksamkeitsgrads des informierten Benutzers falsch wäre. Die Beschwerdekammer hat einen informierten Benutzer zugrunde gelegt, der mit den Merkmalen von Toilettendeckeln vertraut ist und den beschränkten Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers kennt, was einen informierten Benutzer mit verhältnismäßig hohem Aufmerksamkeitsgrad voraussetzt. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung beruht jedenfalls nicht darauf, dass dem informierten Benutzer eventuelle Unterschiede im Gesamteindruck der fraglichen Geschmacksmuster wegen seiner zu geringen Aufmerksamkeit nicht auffallen würden.

24      Somit ist der Beurteilung der Beschwerdekammer beizupflichten.

 Zum Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers

25      Nach der Rechtsprechung wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters insbesondere durch die Vorgaben bestimmt, die sich aus den durch die technische Funktion des Erzeugnisses oder eines Bestandteils des Erzeugnisses bedingten Merkmalen oder aus den auf das Erzeugnis anwendbaren gesetzlichen Vorschriften ergeben. Diese Vorgaben führen zu einer Standardisierung bestimmter Merkmale, die dann zu gemeinsamen Merkmalen mehrerer Geschmacksmuster werden, die bei dem betreffenden Erzeugnis verwendet werden (vgl. Urteil vom 15. Oktober 2015, Promarc Technics/HABM – PIS [Türenteil], T‑251/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:780, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Je größer also die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters ist, desto weniger reichen kleine Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern aus, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen. Je beschränkter umgekehrt die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters ist, desto eher genügen kleine Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen. Daher bestärkt ein hoher Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters die Schlussfolgerung, dass Geschmacksmuster, die keine signifikanten Unterschiede aufweisen, beim informierten Benutzer den gleichen Gesamteindruck hervorrufen (vgl. Urteil vom 15. Oktober 2015, Türenteil, T‑251/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:780, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Vorliegend hat die Beschwerdekammer zu Recht angenommen, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers eines Toilettendeckels auf die Gestaltung des Deckels beschränkt ist, da die äußere Form durch die Abmessungen der Toilettenschüssel und durch die technische Funktion, nämlich die Abdeckung des Sitzes und der Schüssel, vorgegeben sei.

28      Der Kläger stellt nicht in Frage, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit bei einem Toilettensitz aufgrund von dessen technischer Funktion auf die Gestaltung des Deckels beschränkt ist. Er rügt jedoch, die Beschwerdekammer habe nicht die Schlüsse gezogen, die sich daraus ergeben würden, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers beschränkt sei. Insofern könnten aufgrund der nahezu nicht vorhandenen Gestaltungsfreiheit bereits geringe Gestaltungsunterschiede ausreichen, um Eigenart zu begründen.

29      Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Argumente Erwägungen betreffen, die keinen Einfluss auf den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers haben, sondern bei denen es vielmehr um die Beurteilung der Eigenart geht.

 Zur Beurteilung der Eigenart

30      Die Beschwerdekammer hat ausgeführt, die Wiedergabe des angegriffenen Geschmacksmusters zeige in durchgezogenen Linien die Kontur eines ovalen Toilettendeckels in Form eines umlaufenden hochgezogenen Randes. Das ältere Geschmacksmuster D2 zeige einen ovalen Toilettensitz mit einem Deckel, der zum Rand hin durch eine kleine Stufe abgesetzt und zum Sitz hin nach außen gewölbt sei, was den Eindruck eines nach innen versetzten hochgezogenen Randes hervorrufe. Des Weiteren lasse die Wiedergabe des angegriffenen Geschmacksmusters nicht eindeutig erkennen, ob der hochgezogene Rand zugleich den Abschluss des Deckels bilde oder etwas eingerückt auf dem Deckel angeordnet sei.

31      So hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass der durch die fraglichen Geschmacksmuster hervorgerufene Gesamteindruck durch deren äußere Form und ihr Merkmal eines hochgezogenen Randes bestimmt werde, und dass sich die Unterschiede in der Gesamthöhe des Deckels und im gewölbten Abschluss zum Sitz hin nicht auf den Gesamteindruck auswirken könnten.

32      Des Weiteren hat die Beschwerdekammer geltend gemacht, dass der Kläger eine Art der Wiedergabe und der Ansichten gewählt habe, die die Merkmale, für die ein Schutz beansprucht wurde, nicht vollständig oder nicht eindeutig zeigten, und die weder die Proportionen des Randes noch dessen konkrete Ausgestaltung erkennen ließen, da eine Querschnittsansicht fehle.

33      Daraus hat sie geschlossen, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster den gleichen Gesamteindruck beim informierten Benutzer hervorriefen und dass das angegriffene Geschmacksmuster somit keine Eigenart im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 aufweise.

34      Der Kläger macht geltend, dass sich die von den fraglichen Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindrücke voneinander unterschieden. Im Wesentlichen habe die Beschwerdekammer erstens eine unzutreffende Deutung der Wiedergabe der fraglichen Geschmacksmuster vorgenommen. Zweitens seien die Proportionen des angegriffenen Geschmacksmusters falsch beurteilt worden. Drittens schließlich habe die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht berücksichtigt, dass die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers beschränkt sei.

35      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Eigenart eines Geschmacksmusters darauf beruht, dass aus der Sicht eines informierten Benutzers in Bezug auf den vorbestehenden Formschatz ein Unterschied im Gesamteindruck oder kein „Déjà-vu“ besteht, wobei Unterschiede außer Betracht bleiben, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – zu schwach ausgeprägt sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinflussen, jedoch Unterschiede berücksichtigt werden, die hinreichend ausgeprägt sind, um unähnliche Eindrücke hervorzurufen (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Springende Raubkatze, T‑666/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:584, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Vorliegend ist einleitend darauf hinzuweisen, dass der Kläger der Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Rn. 18 der angefochtenen Entscheidung nicht entgegentritt, nach der die fraglichen Geschmacksmuster in ihrer äußeren ovalen Form identisch sind, so dass sich etwaige Unterschiede im Gesamteindruck nur aus der Gestaltung des Deckels ergeben können.

37      Als Erstes trägt der Kläger vor, dass die Wiedergabe des angegriffenen Geschmacksmusters weder einen hochgezogenen Rand noch eine zum Rand hin nach unten versetzte Stufe des Deckels zeige, da dies eine andere als die in der Wiedergabe des Geschmacksmusters gezeigte Linienführung erfordern würde. Eine richtige Deutung hätte nach Ansicht des Klägers zu dem Ergebnis geführt, dass das angegriffene Geschmacksmuster einen Randwulst zeigt, der nach oben erhaben über die übrige Deckeloberfläche vorsteht. Zudem habe die Beschwerdekammer auch die dem angegriffenen Geschmacksmuster bei der Anmeldung beigefügte Beschreibung desselben nicht angemessen geprüft. Zur Stützung seines Vorbringens verweist der Kläger auf Darstellungen – und deren etwaige Querschnittsansichten – der fraglichen Geschmacksmuster, die der Klageschrift als Anlagen 7 bis 14 beigefügt sind.

38      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger zur Stützung seines Vortrags als Anlagen 7 bis 14 zur Klageschrift erstmals dem Gericht eine bestimmte Anzahl von Wiedergaben des fraglichen Geschmacksmusters vorgelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus Art. 65 der Verordnung Nr. 207/2009, dass Tatsachen, die die Beteiligten nicht vor den Stellen des EUIPO vorgetragen haben, auch im Stadium der Klage beim Gericht nicht mehr vorgetragen werden können und das Gericht daher den Sachverhalt nicht im Licht erstmals bei ihm vorgelegter Nachweise neu prüfen kann. Denn die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung einer Beschwerdekammer des EUIPO ist anhand der Informationen zu beurteilen, die der Beschwerdekammer im Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung verfügbar sein konnten (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2014, Nanu-Nana Joachim Hoepp/HABM – Vincci Hoteles [NAMMU], T‑498/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1065, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Somit kann das Gericht diese unzulässigen Dokumente nicht prüfen.

39      Nach der Rechtsprechung sind des Weiteren für den Vergleich der Geschmacksmuster ausschließlich tatsächlich geschützte Bestandteile heranzuziehen, ohne vom Schutz ausgenommene Bestandteile zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 29. Oktober 2015, Roca Sanitario/HABM – Villeroy & Boch [Einhandmischer], T‑334/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:817, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vorliegend ist darauf hinzuweisen, dass die geschützten Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters die sind, die in der oben in Rn. 2 abgebildeten Wiedergabe des angegriffenen Geschmacksmusters erscheinen, wie sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

40      Der Kläger trägt vor, das angegriffene Geschmacksmuster zeige einen Randwulst, der nach oben erhaben über die übrige Deckeloberfläche vorstehe. Dadurch unterscheide es sich vom älteren Geschmacksmuster D1, das eine umlaufende Vertiefung in Form einer Rille auf der Oberfläche des Deckels zeige, die den umlaufenden Deckelrand optisch vom übrigen Deckel trenne, und vom älteren Geschmacksmuster D2, das einen Deckel mit einer umlaufenden, zum Deckelrand hin nach unten versetzten Stufe darstelle.

41      Jedoch ist festzustellen, dass diese vom Kläger geltend gemachten Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters nur auf den Ansichten des angegriffenen Geschmacksmusters erscheinen, die erstmals dem Gericht vorgelegt wurden, und nicht aus den bei der Anmeldung eingereichten Abbildungen des angegriffenen Geschmacksmusters hervorgehen.

42      In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdekammer in den Rn. 23 und 25 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass das angegriffene Geschmacksmuster in den drei oben in Rn. 2 wiedergegebenen Ansichten weder die Proportionen des Randes noch dessen konkrete Ausgestaltung, noch einen nach oben oder nach außen gerichteten Randwulst erkennen ließ. Um jedoch das Vorhandensein eines Randwulstes zu beurteilen, hätte es einer Seiten- oder Querschnittsansicht bedurft, die hier nicht vorlag.

43      Somit hat die Beschwerdekammer unter Berücksichtigung der bei der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters eingereichten Wiedergaben desselben zu Recht festgestellt, dass ein Gesamteindruck der Ähnlichkeit nicht auszuschließen war, da der in den Ansichten des angegriffenen Geschmacksmusters dargestellte hochgezogene Rand den gleichen Gesamteindruck hervorrufen konnte wie das ältere Geschmacksmuster D2, bei dem der Deckel leicht versetzt und nach außen in Richtung des Sitzes hin gewölbt ist, wodurch der Eindruck eines hochgezogenen Randes hervorgerufen wird.

44      Schließlich ist, was die vom Kläger bei der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters eingereichte Beschreibung desselben angeht, festzustellen, dass diese nicht maßgeblich ist, da die Beschreibung gemäß Art. 36 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 auf den Schutzumfang des angegriffenen Geschmacksmusters keine Auswirkungen hat. Der Gegenstand und der Schutzumfang eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters werden nur durch die bei der Anmeldung eingereichten Ansichten festgelegt und können durch die Beschreibung weder ersetzt noch vervollständigt werden.

45      Jedenfalls ist hinsichtlich der Beurteilung des Gesamteindrucks, den ein Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft, darauf hinzuweisen, dass dieser Bestandteilen, die völlig banal und allen Exemplaren vom Typ der fraglichen Erzeugnisse gemeinsam sind, nur eine begrenzte Aufmerksamkeit widmet, und sich auf willkürliche oder von der Norm abweichende Merkmale konzentriert (Urteil vom 18. März 2010, Grupo Promer Mon Graphic/HABM – PepsiCo [Wiedergabe eines runden Werbeträgers], T‑9/07, EU:T:2010:96, Rn. 77). Insoweit ist festzustellen, dass der Rand von Toilettendeckeln ein Merkmal darstellt, das für den informierten Benutzer von geringer Bedeutung und als banal anzusehen ist.

46      Als Zweites macht der Kläger geltend, die Tatsache, dass die gestrichelt dargestellten Linien angäben, dass für die mit ihnen dargestellten Bestandteile kein Schutz beansprucht werde, bedeute nicht, dass diese Linien beispielsweise zur Bestimmung von Proportionen völlig außer Acht gelassen werden könnten, und dass somit die Annahme der Beschwerdekammer, das angegriffene Geschmacksmuster lasse die Proportionen nicht erkennen, unrichtig sei.

47      Vorliegend greift dieses Argument nicht durch, da die Beschwerdekammer nicht festgestellt hat, dass sie wegen der gestrichelten Linien die Proportionen des angegriffenen Geschmacksmusters nicht habe bestimmen können, sondern vielmehr wegen der vom Kläger gewählten Art der Wiedergabe oder Ansichten, die die Bestimmung der Proportionen nicht ermöglichte, da es an einer Querschnittsansicht gefehlt habe.

48      Als Drittes trägt der Kläger vor, die Beschwerdekammer habe angesichts der nahezu nicht vorhandenen Gestaltungsfreiheit des Entwerfers nicht berücksichtigt, dass bei einer in diesem Maß beschränkten Gestaltungsfreiheit des Entwerfers geringe Unterschiede, hier der Unterschied zwischen einem nach oben gezogenen Rand und einer rinnenartigen Vertiefung, ausreichten, um die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu begründen.

49      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen des Klägers auf Unterschiede zwischen dem älteren Geschmacksmuster D1 und dem angegriffenen Geschmacksmuster Bezug nimmt. Die Beschwerdekammer hat jedoch bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters auf das ältere Geschmacksmuster D2 und nicht auf das ältere Geschmacksmuster D1 abgestellt. Die hierauf bezogenen Argumente des Klägers gehen somit ins Leere.

50      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist, wie dies die Beschwerdekammer in Rn. 23 der angefochtenen Entscheidung zu Recht getan hat, festzustellen, dass das angegriffene Geschmacksmuster keine hinreichend ausgeprägten Unterschiede aufweist, um beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen und seine Eigenart anzunehmen.

51      Nach alledem ist der einzige Klagegrund zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

52      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

53      Da der Kläger vorliegend unterlegen ist, sind ihm gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Herr Ernst Kneidinger trägt die Kosten.



Gratsias

Labucka

Ulloa Rubio

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Juni 2017.

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      D. Gratsias


* Verfahrenssprache: Deutsch.