Language of document : ECLI:EU:C:2022:815

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

20. Oktober 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Binnenmarkt – Verordnung (EU) Nr. 910/2014 – Art. 3 Nr. 12 – Begriff ‚Qualifizierte elektronische Signatur‘ – Art. 25 Abs. 1 – Art. 26 – Anhang I – Rechtswirkung elektronischer Signaturen – Anforderungen an eine fortgeschrittene elektronische Signatur – Verwaltungsakt in Form eines elektronischen Dokuments, dessen elektronische Signatur nicht die Anforderungen einer ‚qualifizierten elektronischen Signatur‘ erfüllt – Kumulative Anforderungen – Folgen – Art. 3 Nr. 15 – Nichtvorliegen eines ‚qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen‘ – Eintragung einer qualifizierten elektronischen Signatur in dem vom Vertrauensdiensteanbieter ausgestellten Zertifikat – Wirkung – Namen des Inhabers der elektronischen Signatur, die anstelle ihrer üblichen Schreibweise in kyrillischen Buchstaben in das lateinische Alphabet transliteriert wurden“

In der Rechtssache C‑362/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien) mit Entscheidung vom 14. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2021, in dem Verfahren

„Ekofrukt“ EOOD

gegen

Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Veliko Tarnovo

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias sowie der Richter I. Jarukaitis und Z. Csehi (Berichterstatter),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der „Ekofrukt“ EOOD, vertreten durch D. Y. Kirilova,

–        des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Veliko Tarnovo, vertreten durch B. Nikolov,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch M. Georgieva und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Očková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, D. Drambozova und P.‑J. Loewenthal als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 25 Abs. 1, Art. 26 und Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (ABl. 2014, L 257, S. 73).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Ekofrukt“ EOOD mit Sitz in Bulgarien und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Veliko Tarnovo (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ von Veliko Tarnovo, Bulgarien, im Folgenden: Direktor) betreffend einen Steuerprüfungsbescheid über die von Ekofrukt für die Steuerzeiträume von August bis Oktober 2014 geschuldete Mehrwertsteuer.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 21, 23, 33 und 49 der Verordnung Nr. 910/2014 heißt es:

„(21)      … Ferner sollte diese Verordnung keine Aspekte im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Gültigkeit von Verträgen oder anderen rechtlichen Verpflichtungen behandeln, für die nach nationalem Recht oder Unionsrecht Formvorschriften zu erfüllen sind. Unberührt bleiben sollten ferner auch nationale Formvorschriften für öffentliche Register, insbesondere das Handelsregister und das Grundbuch.

(23)      Soweit die vorliegende Verordnung eine Verpflichtung zur Anerkennung eines Vertrauensdienstes schafft, kann solch ein Vertrauensdienst nur dann abgelehnt werden, wenn der Verpflichtete aus technischen Gründen, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle des Verpflichteten liegen, nicht in der Lage ist, den Dienst zu lesen oder zu überprüfen. Diese Verpflichtung allein sollte jedoch nicht dazu führen, dass sich eine öffentliche Stelle die für die technische Lesbarkeit aller bestehenden Vertrauensdienste erforderliche Hardware und Software beschaffen muss.

(33)      Bestimmungen über die Benutzung von Pseudonymen in Zertifikaten sollten die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, eine Identifizierung der Personen nach Unionsrecht oder nationalem Recht zu verlangen.

(49)      Diese Verordnung sollte den Grundsatz festlegen, dass einer elektronischen Signatur die Rechtswirkung nicht deshalb abgesprochen werden darf, weil sie in elektronischer Form vorliegt oder nicht alle Anforderungen einer qualifizierten elektronischen Signatur erfüllt. Die Rechtswirkung elektronischer Signaturen in den Mitgliedstaaten sollte jedoch durch nationales Recht festgelegt werden, außer hinsichtlich der in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen, dass eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift haben sollte.“

4        Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 3 der Verordnung Nr. 910/2014 bestimmt:

„Diese Verordnung berührt nicht das nationale Recht oder das Unionsrecht in Bezug auf den Abschluss und die Gültigkeit von Verträgen oder andere rechtliche oder verfahrensmäßige Formvorschriften.“

5        In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 910/2014 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

10.      ‚Elektronische Signatur‘ sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verbunden werden und die der Unterzeichner zum Unterzeichnen verwendet.

11.      ‚Fortgeschrittene elektronische Signatur‘ ist eine elektronische Signatur, die die Anforderungen des Artikels 26 erfüllt.

12.      ‚Qualifizierte elektronische Signatur‘ ist eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht.

15.      ‚Qualifiziertes Zertifikat für elektronische Signaturen‘ ist ein von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter ausgestelltes Zertifikat für elektronische Signaturen, das die Anforderungen des Anhangs I erfüllt.

16.      ‚Vertrauensdienst‘ ist ein elektronischer Dienst, der in der Regel gegen Entgelt erbracht wird und aus Folgendem besteht:

a)      Erstellung, Überprüfung und Validierung von elektronischen Signaturen, elektronischen Siegeln oder elektronischen Zeitstempeln, und Diensten für die Zustellung elektronischer Einschreiben sowie von diese Dienste betreffenden Zertifikaten oder

b)      Erstellung, Überprüfung und Validierung von Zertifikaten für die Website-Authentifizierung oder

c)      Bewahrung von diese Dienste betreffenden elektronischen Signaturen, Siegeln oder Zertifikaten.

18.      ‚Konformitätsbewertungsstelle‘ ist eine Stelle im Sinne der Begriffsbestimmung in Artikel 2 Nummer 13 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates (ABl. 2008, L 218, S. 30)], die gemäß jener Verordnung als zur Durchführung der Konformitätsbewertung qualifizierter Vertrauensdiensteanbieter und der von ihnen erbrachten qualifizierten Vertrauensdienste befähigte Stelle akkreditiert worden ist.

23.      ‚Qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheit‘ ist eine elektronische Signaturerstellungseinheit, die die Anforderungen des Anhangs II erfüllt.

35.      ‚Elektronisches Dokument‘ ist jeder in elektronischer Form, insbesondere als Text‑, Ton‑, Bild- oder audiovisuelle Aufzeichnung gespeicherte Inhalt.

…“

6        Art. 17 („Aufsichtsstelle“) dieser Verordnung sieht im Wesentlichen vor, dass die Mitgliedstaaten eine Aufsichtsstelle benennen, die u. a. verantwortlich ist für: die Ausübung der Aufsicht über die qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter mit dem Ziel, zu gewährleisten, dass diese qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter und die von ihnen erbrachten qualifizierten Vertrauensdienste den Anforderungen der Verordnung Nr. 910/2014 entsprechen; die Verleihung des Qualifikationsstatus an Vertrauensdiensteanbieter und die von ihnen erbrachten Dienste sowie den Entzug dieses Status.

7        Art. 25 („Rechtswirkung elektronischer Signaturen“) der Verordnung Nr. 910/2014 lautet folgendermaßen:

„(1)      Einer elektronischen Signatur darf die Rechtswirkung und die Zulässigkeit als Beweismittel in Gerichtsverfahren nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil sie in elektronischer Form vorliegt oder weil sie die Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturen nicht erfüllt.

(2)      Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift.

…“

8        Art. 26 („Anforderungen an fortgeschrittene elektronische Signaturen“) der Verordnung Nr. 910/2014 bestimmt:

„Eine fortgeschrittene elektronische Signatur erfüllt alle folgenden Anforderungen:

a)      Sie ist eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet.

b)      Sie ermöglicht die Identifizierung des Unterzeichners.

c)      Sie wird unter Verwendung elektronischer Signaturerstellungsdaten erstellt, die der Unterzeichner mit einem hohen Maß an Vertrauen unter seiner alleinigen Kontrolle verwenden kann.

d)      Sie ist so mit den auf diese Weise unterzeichneten Daten verbunden, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann.“

9        In Anhang I („Anforderungen an qualifizierte Zertifikate für elektronische Signaturen“) der Verordnung sind die verschiedenen Angaben aufgeführt, die als elektronische Signatur eingestufte qualifizierte Zertifikate enthalten müssen. So müssen diese Zertifikate nach den Buchst. b bis d dieses Anhangs enthalten: einen Datensatz, der den qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter, der die qualifizierten Zertifikate ausstellt, eindeutig repräsentiert; mindestens den Namen des Unterzeichners oder ein Pseudonym, wobei im Fall der Verwendung eines Pseudonyms dies eindeutig anzugeben ist; elektronische Signaturvalidierungsdaten, die den elektronischen Signaturerstellungsdaten entsprechen.

10      Anhang II („Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten“) der Verordnung Nr. 910/2014 sieht u. a. in Abs. 1 vor, dass qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten durch geeignete Technik und Verfahren insbesondere zumindest gewährleisten müssen, dass die Vertraulichkeit der zum Erstellen der elektronischen Signatur verwendeten elektronischen Signaturerstellungsdaten angemessen sichergestellt ist, dass diese Daten praktisch nur einmal vorkommen können, dass die elektronische Signatur verlässlich gegen Fälschung geschützt ist und die genannten Daten vom rechtmäßigen Unterzeichner gegen eine Verwendung durch andere verlässlich geschützt werden können. Außerdem sieht Abs. 3 dieses Anhangs vor, dass das Erzeugen oder Verwalten von elektronischen Signaturerstellungsdaten im Namen eines Unterzeichners nur von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter durchgeführt werden darf.

 Bulgarisches Recht

11      Nach Art. 3 des Zakon za elektronnia dokument i elektronnite udostoveritelni uslugi (Gesetz über das elektronische Dokument und elektronische Vertrauensdienste, DV Nr. 34 vom 6. April 2001) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über das elektronische Dokument) ist ein „elektronisches Dokument“ ein elektronisches Dokument im Sinne von Art. 3 Nr. 35 der Verordnung Nr. 910/2014.

12      Art. 13 des Gesetzes über das elektronische Dokument lautet:

„(1)      Eine elektronische Signatur ist eine elektronische Signatur im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der [Verordnung Nr. 910/2014].

(2)      Eine fortgeschrittene elektronische Signatur ist eine elektronische Signatur im Sinne von Art. 3 Nr. 11 der [Verordnung Nr. 910/2014].

(3)      Eine qualifizierte elektronische Signatur ist eine elektronische Signatur im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der [Verordnung Nr. 910/2014].

(4)      Die Rechtswirkung der elektronischen Signatur und der fortgeschrittenen elektronischen Signatur entspricht derjenigen der handschriftlichen Unterschrift, wenn die Parteien dies vereinbart haben.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Ekofrukt, ist eine Handelsgesellschaft, deren Gesellschaftszweck im Groß- und Einzelhandel mit Obst und Gemüse an mehreren Verkaufsstellen besteht. Diese Gesellschaft wurde einer Steuerprüfung im Hinblick auf die Mehrwertsteuer für die Steuerzeiträume von August bis November 2014 unterzogen.

14      Nach Abschluss dieser Steuerprüfung erließen die Steuerbehörden am 4. Mai 2017 einen Steuerprüfungsbescheid. Nachdem die Klägerin des Ausgangsverfahrens diesen Bescheid beim Direktor angefochten hatte, hob ihn dieser mit Entscheidung vom 4. August 2017 auf und ordnete die Durchführung einer erneuten Steuerprüfung an.

15      Im Rahmen dieser erneuten Prüfung erließen die Steuerbehörden am 8. Februar 2018 einen Steuerprüfungsbescheid über die Nacherhebung von Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 30 915,50 bulgarischen Lewa (BGN) (etwa 15 800 Euro) für die Steuerzeiträume von August bis Oktober 2014 zuzüglich Verzugszinsen. Dieser Bescheid wurde mit Entscheidung des Direktors vom 18. September 2018 bestätigt.

16      Alle von der Steuerverwaltung im Rahmen dieser Steuerprüfung ausgestellten Dokumente wurden in Form von elektronischen Dokumenten erstellt, die mit elektronischen Signaturen unterzeichnet wurden.

17      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob beim Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen die Entscheidung des Direktors vom 18. September 2018.

18      Im Rahmen dieser Klage stellt sie die Gültigkeit der ausgestellten elektronischen Dokumente in Abrede und macht zum einen geltend, dass nichts darauf hindeute, dass es sich dabei um elektronische Dokumente handele, die mit elektronischen Signaturen versehen worden seien, und zum anderen, dass es an einer „qualifizierten elektronischen Signatur“ fehle.

19      Dem vorlegenden Gericht wurden Auszüge aus dem Register der elektronischen Signaturen vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass der Vertrauensdiensteanbieter die Signaturen der Steuerbehörden als „berufliche elektronische Signaturen“ qualifiziert hatte. Nach den dem vorlegenden Gericht vorgelegten Sachverständigengutachten handelt es sich bei den elektronischen Signaturen auf den von der Klägerin des Ausgangsverfahrens beanstandeten elektronischen Dokumenten nicht um „qualifizierte elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014.

20      Das vorlegende Gericht hält es jedoch für erforderlich, diesen Begriff zu klären. Außerdem seien zusätzliche Hinweise zur Intensität der Prüfung der Übereinstimmung der konkreten Signaturen mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt der qualifizierten Zertifikate für elektronische Signaturen erforderlich, um feststellen zu können, ob eine qualifizierte elektronische Signatur vorliegt oder nicht. Es fragt sich in diesem Zusammenhang insbesondere, welchen Wert eine „berufliche elektronische Signatur“ hat, wie sie der Vertrauensdiensteanbieter verwendet hat, obwohl es diesen Begriff in der bulgarischen Rechtsordnung nicht gibt.

21      Außerdem sei grundsätzlich anerkannt, dass Art. 25 der Verordnung Nr. 910/2014 ein Verbot einführe, elektronische Dokumente anzufechten, so dass das elektronische Dokument, selbst wenn feststehe, dass eine nicht qualifizierte elektronische Signatur auf dem elektronischen Dokument angebracht sei, als gültig angesehen werde. Dieser Ansatz führe zu einem Ungleichgewicht zwischen einerseits einem Papierdokument mit handschriftlicher Unterschrift und andererseits einem elektronischen Dokument mit elektronischer Signatur. Im Fall einer Beanstandung eines Dokuments in Papierform, die zu der Feststellung führe, dass die Unterschrift auf diesem Dokument nicht die des angegebenen Verfassers sei, sei das fragliche Dokument wegen fehlender Unterschrift für nichtig zu erklären. Dagegen könne im Fall eines elektronischen Dokuments, selbst wenn festgestellt werde, dass die elektronische Signatur keine „qualifizierte elektronische Signatur“ sei, nicht davon ausgegangen werden, dass das Dokument nicht unterzeichnet sei, so dass dieses Dokument gültig bleibe.

22      Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen, dass die Nichtigerklärung eines in Form eines elektronischen Dokuments erlassenen Verwaltungsakts unzulässig ist, wenn er mit einer elektronischen Signatur unterzeichnet wurde, die keine „qualifizierte elektronische Signatur“ ist?

2.      Genügt für die Feststellung, ob eine elektronische Signatur eine qualifizierte Signatur ist oder nicht, die Eintragung einer „qualifizierten elektronischen Signatur“ in das vom Vertrauensdiensteanbieter ausgestellte Zertifikat oder muss das Gericht feststellen, dass Art. 26 und Anhang I der Verordnung Nr. 910/2014 genügt ist?

3.      Genügt in einem Fall wie dem oben genannten, in dem der Anbieter die elektronische Signatur als „beruflich“ qualifiziert, dieser Umstand für die Feststellung, dass keine „qualifizierte elektronische Signatur“ vorliegt, wenn es an einem qualifizierten Zertifikat des Anbieters fehlt, oder ist festzustellen, ob die Signaturen die Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur erfüllen?

4.      Stellt bei einer Überprüfung der Übereinstimmung der qualifizierten elektronischen Signatur mit den Anforderungen des Anhangs I der Verordnung Nr. 910/2014 der Umstand, dass die Namen des Inhabers der elektronischen Signatur statt in kyrillischen Buchstaben, wie die Person sich identifiziert, in lateinischen Buchstaben angegeben sind, einen Verstoß gegen die Verordnung dar, der dazu führt, dass keine qualifizierte elektronische Signatur vorliegt?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

23      Die Europäische Kommission ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die zweite und die vierte Frage unzulässig seien, weil sie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht relevant seien, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden elektronischen Signaturen laut Vorlageentscheidung keine „qualifizierten elektronischen Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 darstellten.

24      Der Direktor macht zudem geltend, dass die Vorlagefragen hypothetisch seien, da die Erwägungen des vorlegenden Gerichts auf der falschen tatsächlichen Annahme beruhten, dass der vor ihm angefochtene Verwaltungsakt mittels einer anderen Signatur als einer „qualifizierten elektronischen Signatur“ unterzeichnet worden sei.

25      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑165/09 bis C‑167/09, EU:C:2011:348, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Da allein das vorlegende Gericht für die Feststellung und die Würdigung des Sachverhalts des ihm vorliegenden Rechtsstreits zuständig ist, hat der Gerichtshof seine Prüfung grundsätzlich auf die Beurteilungsfaktoren zu beschränken, die ihm das innerstaatliche Gericht vorgelegt hat, und sich somit an die Lage zu halten, die dieses Gericht als feststehend ansieht, und kann nicht an Annahmen gebunden sein, die von einer der Parteien des Ausgangsverfahrens vertreten werden (Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Der Gerichtshof ist u. a. dann nicht zur Entscheidung verpflichtet, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder auch wenn das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑165/09 bis C‑167/09, EU:C:2011:348, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Das ist vorliegend indessen nicht der Fall.

29      Denn die Begründung des Vorabentscheidungsersuchens ist zwar knapp, doch hat das vorlegende Gericht gerade keine endgültigen Schlussfolgerungen zu der Frage gezogen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden elektronischen Signaturen als „qualifizierte elektronische Signaturen“ anzusehen sind oder nicht. Das vorlegende Gericht hält nämlich ausdrücklich „zusätzliche Hinweise zur Intensität der Prüfung der Übereinstimmung der konkreten Signaturen mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt [für] erforderlich, um feststellen zu können, ob eine qualifizierte elektronische Signatur vorliegt oder nicht“.

30      Entgegen dem Vorbringen der Kommission und des Direktors ist somit nicht offensichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist.

31      Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

32      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Verwaltungsakt in Form eines elektronischen Dokuments für nichtig erklärt wird, wenn er mittels einer elektronischen Signatur unterzeichnet ist, die nicht die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung angesehen zu werden.

33      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 22. Februar 2022, Stichting Rookpreventie Jeugd u. a., C‑160/20, EU:C:2022:101, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Erstens ist festzustellen, dass schon nach dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 einer elektronischen Signatur die Rechtswirkung und die Zulässigkeit als Beweismittel in Gerichtsverfahren nicht allein deshalb abgesprochen werden darf, weil sie in elektronischer Form vorliegt oder weil sie die Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturen nicht erfüllt.

35      Daraus folgt, dass diese Bestimmung den nationalen Gerichten nicht verbietet, elektronische Signaturen für ungültig zu erklären, sondern einen allgemeinen Grundsatz aufstellt, der es diesen Gerichten verbietet, elektronischen Signaturen die Rechtswirkung und die Beweiskraft allein deshalb abzusprechen, weil sie in elektronischer Form vorliegen oder weil sie die Anforderungen, die die Verordnung Nr. 910/2014 aufstellt, damit eine elektronische Signatur als eine „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen werden kann, nicht erfüllen.

36      Zweitens ist festzustellen, dass diese Auslegung durch Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 910/2014 im Licht ihrer Erwägungsgründe 21 und 49 bestätigt wird, aus denen hervorgeht, dass die Rechtswirkung elektronischer Signaturen durch nationales Recht festgelegt werden sollte. Nach dieser Bestimmung steht es den Mitgliedstaaten nämlich frei, zu entscheiden, ob Mitteilungen und Bescheide, die u. a. von der Steuerverwaltung gegenüber den Steuerpflichtigen ergehen, in elektronischer Form erfolgen können, und gegebenenfalls festzulegen, welche Art von elektronischer Signatur nach den Umständen erforderlich ist. Die Verordnung Nr. 910/2014 sieht nicht vor, welche spezifische Art von elektronischer Signatur im Rahmen der Erstellung eines bestimmten Rechtsakts, insbesondere einer in Form eines elektronischen Dokuments erlassenen Verwaltungsentscheidung, zu verwenden ist. Folglich ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, ob eine solche Verwaltungsentscheidung ausschließlich eine qualifizierte elektronische Signatur erfordert und welche Folgen die Nichterfüllung dieser Anforderung gegebenenfalls hat.

37      Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht besteht in der in Art. 25 Abs. 2 der Verordnung Nr. 910/2014 vorgesehenen Anforderung, dass eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift haben muss. Das Ziel dieser Bestimmung, die nur zugunsten der qualifizierten elektronischen Signatur eine Vermutung der „Gleichstellung“ mit der handschriftlichen Unterschrift aufstellt, würde gefährdet, wenn eine elektronische Signatur, die nicht die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen zu werden, dennoch vergleichbare oder sogar stärkere Wirkungen hätte, da eine weite Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 eine solche Signatur unanfechtbar oder zumindest schwerer anfechtbar machen würde als eine handschriftliche Unterschrift. Wie das vorlegende Gericht zutreffend ausgeführt hat, würde ein solcher Ansatz zu einem Ungleichgewicht zwischen einem Dokument in Papierform mit handschriftlicher Unterschrift und einem elektronischen Dokument mit elektronischer Signatur führen.

38      Im vorliegenden Fall geht aus dem vom vorlegenden Gericht mitgeteilten nationalen rechtlichen Rahmen hervor, dass nach Art. 13 Abs. 4 des Gesetzes über das elektronische Dokument die Rechtswirkung der elektronischen Signatur und der fortgeschrittenen elektronischen Signatur nur dann derjenigen der handschriftlichen Unterschrift entspricht, wenn die Parteien dies vereinbart haben.

39      Drittens ist hervorzuheben, dass die Verordnung Nr. 910/2014, wie aus ihrem Art. 2 Abs. 3 im Licht ihres 49. Erwägungsgrundes hervorgeht, gewährleisten soll, dass einer elektronischen Signatur nicht allein deshalb ihre Rechtswirkung abgesprochen wird, weil sie in dieser Form vorliegt, ohne jedoch die Wahl der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Formvorschriften zu beeinträchtigen. Dagegen kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Rahmen des in der Verordnung Nr. 910/2014 vorgesehenen hierarchischen Systems der verschiedenen elektronischen Signaturen einer elektronischen Signatur, die die Anforderungen dieser Verordnung, um als „qualifizierte elektronische Unterschrift“ angesehen zu werden, nicht erfüllt, stärkere Rechtswirkung zuzuerkennen ist als einer handschriftlichen Unterschrift.

40      Daher ist festzustellen, dass Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 den nationalen Gerichten nicht verbietet, elektronische Signaturen, die nicht die Anforderungen dieser Verordnung, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung angesehen zu werden, erfüllen, für ungültig zu erklären, sofern die Ungültigkeit dieser Signaturen nicht allein deshalb festgestellt wird, weil sie in elektronischer Form vorliegen.

41      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass er nicht dem entgegensteht, dass ein Verwaltungsakt in Form eines elektronischen Dokuments für nichtig erklärt wird, wenn er mittels einer elektronischen Signatur unterzeichnet ist, die nicht die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung angesehen zu werden, sofern die Nichtigkeit dieses Verwaltungsakts nicht allein deshalb festgestellt wird, weil seine Unterschrift in elektronischer Form vorliegt.

 Zur dritten Frage

42      Mit seiner dritten Frage, die vor der zweiten Frage zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass in Ermangelung eines „qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 dieser Verordnung die Einstufung einer elektronischen Signatur durch den Vertrauensdiensteanbieter als „berufliche elektronische Signatur“ anstelle einer „qualifizierten elektronischen Signatur“ ausreicht, um der fraglichen Signatur letztere Eigenschaft nicht zuzuerkennen.

43      Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 drei kumulative Anforderungen aufstellt, damit eine elektronische Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen werden kann. Erstens muss die Signatur eine „fortgeschrittene elektronische Signatur“ sein, die nach Art. 3 Nr. 11 dieser Verordnung die Anforderungen des Art. 26 der Verordnung erfüllt. Zweitens muss die Signatur von einer „qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit“ erstellt worden sein, die nach Art. 3 Nr. 23 dieser Verordnung die Anforderungen des Anhangs II dieser Verordnung erfüllen muss. Drittens muss die Signatur auf einem „qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 der Verordnung Nr. 910/2014 beruhen. Nach dieser Bestimmung muss das fragliche Zertifikat von einem „qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter“ ausgestellt worden sein und die Anforderungen des Anhangs I dieser Verordnung erfüllen.

44      Ungeachtet des Umstands, dass der qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter im Ausgangsverfahren die in Rede stehende elektronische Signatur als „berufliche elektronische Signatur“ bezeichnet hat – ein Begriff, den die Verordnung Nr. 910/2014 nicht vorsieht –, ist somit festzustellen, dass das Vorliegen eines „qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 dieser Verordnung, das von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter ausgestellt wurde und die Anforderungen des Anhangs II dieser Verordnung erfüllt, eine der drei in Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung vorgesehenen kumulativen Anforderungen darstellt, damit eine elektronische Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen werden kann.

45      Daher reicht der Umstand, dass eine elektronische Signatur diese Anforderung nicht erfüllt, dafür aus, dass sie nicht als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne der Verordnung Nr. 910/2014 angesehen werden kann.

46      Im Übrigen schließt, wie die bulgarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht hervorgehoben hat, der Umstand, dass der betreffende Vertrauensdiensteanbieter im Ausgangsverfahren eine Einstufung als „berufliche elektronische Signatur“ vorgenommen hat, die Anerkennung derselben Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ nicht aus. Dass eine elektronische Signatur als „berufliche elektronische Signatur“ eingestuft wird, hat nämlich keinerlei Auswirkung im Rahmen der Prüfung, ob diese elektronische Signatur unter den Begriff der „qualifizierten elektronischen Signatur“ im Sinne der Verordnung Nr. 910/2014 fällt.

47      Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass das Nichtvorliegen eines „qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 dieser Verordnung für den Nachweis ausreicht, dass eine elektronische Signatur keine „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung darstellt, wobei die etwaige Einstufung dieser Signatur als „berufliche elektronische Signatur“ insoweit irrelevant ist.

 Zur zweiten Frage

48      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass die Aufnahme einer elektronischen Signatur in das vom Vertrauensdiensteanbieter ausgestellte Zertifikat genügt, damit diese Signatur die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung angesehen zu werden, oder ob das nationale Gericht prüfen muss, ob diese Signatur die Anforderungen des Art. 26 und des Anhangs I dieser Verordnung erfüllt.

49      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014, wie sich aus der Rn. 43 des vorliegenden Urteils ergibt, drei kumulative Anforderungen vorsieht, damit eine elektronische Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen werden kann. Eine davon ist das Vorliegen eines „qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen“. Zu den anderen Voraussetzungen zählen u. a. der Umstand, dass die Anforderungen des Art. 26 dieser Verordnung im Zeitpunkt des Unterzeichnens erfüllt waren und dass die elektronische Signatur von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde.

50      Für die Feststellung, ob eine elektronische Signatur die Anforderungen der Verordnung Nr. 910/2014 erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ angesehen zu werden, genügt folglich nicht allein der Umstand, dass die Signatur auf einem von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter ausgestellten Zertifikat beruht.

51      Zweitens ist hervorzuheben, dass, wie die belgische Regierung und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, zwar sämtliche Anforderungen der Verordnung Nr. 910/2014, die für qualifizierte Anbieter sowie für qualifizierte elektronische Signaturen und das qualifizierte Zertifikat gelten, bereits von einer in Art. 3 Nr. 18 dieser Verordnung definierten akkreditierten Konformitätsbewertungsstelle im Rahmen des Überprüfungsverfahrens und von einer gemäß Art. 17 der Verordnung benannten Aufsichtsstelle geprüft worden sind, das nationale Gericht aber gleichwohl, wenn eine Partei eines nationalen Verfahrens bestreitet, dass es sich bei einer elektronischen Signatur tatsächlich um eine „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 handelt, prüfen muss, ob die drei Voraussetzungen nach dieser Bestimmung erfüllt sind.

52      Drittens können diese Erwägungen nicht durch die Erklärungen der bulgarischen Regierung und des Direktors in Frage gestellt werden, wonach der 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 910/2014 eine Verpflichtung zur Anerkennung eines Vertrauensdienstes begründe, der die Anforderungen dieser Verordnung erfülle, und wonach dem durch die Verordnung Nr. 910/2014 eingeführten Kontroll- und Zertifizierungssystem sein Sinn genommen würde, wenn sich die Kontrolle durch das nationale Gericht nicht auf die Prüfung beschränken würde, ob für die in Rede stehende elektronische Signatur ein qualifiziertes Zertifikat für elektronische Signaturen von einem ins nationale Vertrauensregister eingetragenen qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter ausgestellt wurde.

53      Aus diesem Erwägungsgrund lässt sich jedoch nicht ableiten, dass er die durch die Verordnung Nr. 910/2014 für verbindlich erklärten Vertrauensdienste jeglicher gerichtlichen Kontrolle mit der Begründung entziehen soll, dass sie von der Verwaltung – durch eine akkreditierte Konformitätsbewertungsstelle, wie sie in Art. 3 Nr. 18 dieser Verordnung definiert ist, im Rahmen des Überprüfungsverfahrens oder durch die gemäß Art. 17 dieser Verordnung benannte Aufsichtsstelle – kontrolliert worden seien.

54      In diesem Erwägungsgrund heißt es nämlich nur, dass der zur Anerkennung eines Vertrauensdienstes Verpflichtete solch einen Vertrauensdienst nur dann ablehnen kann, wenn der Verpflichtete aus technischen Gründen, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle des Verpflichteten liegen, nicht in der Lage ist, den Dienst zu lesen oder zu überprüfen.

55      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen ist, dass die Eintragung einer elektronischen Signatur in das vom Vertrauensdiensteanbieter ausgestellte Zertifikat nicht genügt, damit diese Signatur die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung angesehen zu werden. Wird eine solche Einstufung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten, hat das nationale Gericht zu prüfen, ob alle in Art. 3 Nr. 12 der Verordnung vorgesehenen kumulativen Anforderungen erfüllt sind, was es insbesondere zu der Prüfung verpflichtet, ob die Voraussetzungen des Art. 26 und des Anhangs I dieser Verordnung erfüllt sind.

 Zu vierten Frage

56      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 12 und Anhang I der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen sind, dass bei der Prüfung, ob eine qualifizierte elektronische Signatur die Anforderungen dieses Anhangs erfüllt, der Umstand, dass die Namen des Unterzeichners, der sie üblicherweise mit Buchstaben des kyrillischen Alphabets schreibt, ins lateinische Alphabet transliteriert wurden, zur Folge hat, dass diese Signatur nicht als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 angesehen werden kann.

57      Zunächst ist insoweit zum einen darauf hinzuweisen, dass eine elektronische Signatur, um eine „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 darzustellen, auf einem „qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen“ beruhen muss, das nach Art. 3 Nr. 15 der Verordnung die Anforderungen von deren Anhang I erfüllen muss. Gemäß Buchst. c dieses Anhangs enthalten die qualifizierten Zertifikate für elektronische Signaturen mindestens den Namen des Unterzeichners oder ein Pseudonym; wird ein Pseudonym verwendet, ist dies eindeutig anzugeben. Zu den Bestimmungen über die Benutzung solcher Pseudonyme heißt es im 33. Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass diese die Mitgliedstaaten nicht daran hindern sollten, eine Identifizierung der Personen nach Unionsrecht oder nationalem Recht zu verlangen.

58      Zum anderen besteht eine der drei kumulativen Anforderungen nach Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 für die Anerkennung einer elektronischen Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ darin, dass es sich bei dieser elektronischen Signatur um eine „fortgeschrittene elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 11 handelt. Art. 26 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 910/2014 sieht vor, dass eine elektronische Signatur, um als „fortgeschrittene elektronische Signatur“ eingestuft zu werden, eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet sein und dessen Identifizierung ermöglichen muss.

59      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 12 und Anhang I der Verordnung Nr. 910/2014 dahin auszulegen sind, dass bei der Prüfung, ob eine qualifizierte elektronische Signatur die Anforderungen dieses Anhangs erfüllt, der Umstand, dass die Namen des Unterzeichners, der sie üblicherweise mit Buchstaben des kyrillischen Alphabets schreibt, ins lateinische Alphabet transliteriert wurden, nicht dem entgegensteht, dass dessen elektronische Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 angesehen wird, sofern diese Signatur eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet ist und dessen Identifizierung ermöglicht, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

 Kosten

60      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG ist dahin auszulegen, dass er nicht dem entgegensteht, dass ein Verwaltungsakt in Form eines elektronischen Dokuments für nichtig erklärt wird, wenn er mittels einer elektronischen Signatur unterzeichnet ist, die nicht die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung angesehen zu werden, sofern die Nichtigkeit dieses Verwaltungsakts nicht allein deshalb festgestellt wird, weil seine Unterschrift in elektronischer Form vorliegt.

2.      Art. 3 Nr. 12 der Verordnung Nr. 910/2014 ist dahin auszulegen, dass das Nichtvorliegen eines „qualifizierten Zertifikats für elektronische Signaturen“ im Sinne von Art. 3 Nr. 15 dieser Verordnung für den Nachweis ausreicht, dass eine elektronische Signatur keine „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Verordnung darstellt, wobei die etwaige Einstufung dieser Signatur als „berufliche elektronische Signatur“ insoweit irrelevant ist.

3.      Die Verordnung Nr. 910/2014 ist dahin auszulegen, dass die Eintragung einer elektronischen Signatur in das vom Vertrauensdiensteanbieter ausgestellte Zertifikat nicht genügt, damit diese Signatur die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt, um als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 dieser Verordnung angesehen zu werden. Wird eine solche Einstufung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten, hat das nationale Gericht zu prüfen, ob alle in Art. 3 Nr. 12 der Verordnung vorgesehenen kumulativen Anforderungen erfüllt sind, was es insbesondere zu der Prüfung verpflichtet, ob die Voraussetzungen des Art. 26 und des Anhangs I dieser Verordnung erfüllt sind.

4.      Art. 3 Nr. 12 und Anhang I der Verordnung Nr. 910/2014 sind dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob eine qualifizierte elektronische Signatur die Anforderungen dieses Anhangs erfüllt, der Umstand, dass die Namen des Unterzeichners, der sie üblicherweise mit Buchstaben des kyrillischen Alphabets schreibt, ins lateinische Alphabet transliteriert wurden, nicht dem entgegensteht, dass dessen elektronische Signatur als „qualifizierte elektronische Signatur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 12 angesehen wird, sofern diese Signatur eindeutig dem Unterzeichner zugeordnet ist und dessen Identifizierung ermöglicht, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.