Language of document : ECLI:EU:C:2024:310

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 11. April 2024(1)

Rechtssache C709/22

Syndyk Masy Upadłości A

gegen

Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu,

Beteiligte:

Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców

(Vorabentscheidungsersuchen des Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu [Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug – Sondermaßnahme – Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen – Mehrwertsteuerkonto des insolventen Steuerpflichtigen – Überweisung der auf dem Mehrwertsteuerkonto angesammelten Mittel auf Antrag des Insolvenzverwalters – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17 Abs. 1 – Eigentumsgrundrecht – Art. 51 Abs. 1 – Durchführung von Unionsrecht“






I.      Einführung

1.        Polen führte 2019 ein besonderes Verfahren zur „Aufspaltung von Zahlungen“ ein (im Folgenden: Sondermaßnahme), um Mehrwertsteuerbetrug besser bekämpfen zu können. Dieses Verfahren sieht im Zusammenhang mit bestimmten Lieferungen und Dienstleistungen vor, dass der zivilrechtlich geschuldete Preis auf zwei unterschiedliche Konten gezahlt wird. Während der Nettopreis auf ein reguläres Konto des steuerpflichtigen Lieferers oder Dienstleistungserbringers (im Folgenden: Steuerpflichtiger) gezahlt wird, wird die Mehrwertsteuer auf ein gesondertes Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen überwiesen, das nur zur Bezahlung von Steuerschulden verwendet werden kann.

2.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Wirkungen dieser Sondermaßnahme in der Insolvenz des Steuerpflichtigen: Dürfen die Steuerbehörden dem Insolvenzverwalter den Zugriff auf Mittel verweigern, die sich auf dem Mehrwertsteuerkonto des insolventen Steuerpflichtigen befinden?

3.        Dies wäre abzulehnen, wenn die Sondermaßnahme bereits grundsätzlich nicht mit Unionsrecht, insbesondere den Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie),(2) vereinbar wäre. Die Verweigerung des Zugriffs auf das Konto wäre aber auch dann mit dem Unionsrecht unvereinbar, wenn sie unverhältnismäßig in das Eigentumsgrundrecht des Steuerpflichtigen nach Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) eingreifen würde. Dies wiederum setzt aber voraus, dass es sich bei der Sondermaßnahme um eine Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta handelt.

4.        Zu klären ist außerdem, ob sich aus dem Unionsrecht Vorgaben hinsichtlich des Rangs von Mehrwertsteuerforderungen in der Insolvenz des Steuerpflichtigen ergeben. Ein vorrangiger Zugriff des Staates könnte daraus folgen, dass die Mehrwertsteuer, die der Steuerpflichtige vom Verbraucher einsammelt, primär an den Staat weiterzuleiten ist und nicht den übrigen Gläubigern des Steuerpflichtigen zugutekommen soll.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Mehrwertsteuerrichtlinie

5.        Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft den Vorsteuerabzug und lautet:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)      die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;“

6.        Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft die Entrichtung der Mehrwertsteuer:

„Jeder Steuerpflichtige, der die Steuer schuldet, hat bei der Abgabe der Mehrwertsteuererklärung nach Artikel 250 den sich nach Abzug der Vorsteuer ergebenden Mehrwertsteuerbetrag zu entrichten. Die Mitgliedstaaten können jedoch einen anderen Termin für die Zahlung dieses Betrags festsetzen oder Vorauszahlungen erheben.“

7.        Nach Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie müssen ausgestellte Rechnungen nur bestimmte, enumerativ aufgezählte Angaben enthalten. Der Hinweis der Bezahlung der Mehrwertsteuer auf ein gesondertes Mehrwertsteuerkonto zählt nicht dazu.

8.        Gemäß Art. 273 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.

9.        Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft die Ermächtigung zur Einführung von Sondermaßnahmen:

„(1)      Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder –umgehungen zu verhindern.

Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Gesamtbetrag der von dem Mitgliedstaat auf der Stufe des Endverbrauchs erhobenen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.“

2.      Europäische Insolvenzverordnung

10.      Art. 7 der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (im Folgenden: Europäische Insolvenzverordnung)(3) regelt das für Insolvenzverfahren und seine Wirkungen anwendbare Recht:

„(1)      Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird (im Folgenden ‚Staat der Verfahrenseröffnung‘).

(2)      Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:

i)      die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, den Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden; …“

3.      Durchführungsbeschluss 2019/310

11.      Die Erwägungsgründe 1 und 3 bis 5 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2019/310 zur Ermächtigung Polens, eine von Artikel 226 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem abweichende Sondermaßnahme einzuführen (im Folgenden: Durchführungsbeschluss 2019/310),(4) erläutern den Hintergrund der Maßnahme:

„(1) Mit Schreiben, das am 15. Mai 2018 bei der Kommission registriert wurde, beantragte Polen eine Ermächtigung [zu] einer von Artikel 226 der Richtlinie 2006/112/EG abweichenden Sondermaßnahme[,] um ein Verfahren zur Aufspaltung von Zahlungen (im Folgenden ‚Sondermaßnahme‘) anzuwenden. Diese Sondermaßnahme sollte die Aufnahme einer besonderen Erklärung erfordern, wonach Mehrwertsteuer auf Rechnungen für betrugsanfällige Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, für die in Polen im Allgemeinen die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft und die gesamtschuldnerische Haftung gilt, auf ein gesperrtes Mehrwertsteuerkonto des Lieferers zu zahlen ist. …

(3) Polen hat bereits zahlreiche Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung ergriffen. Es führte u. a. die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft und die gesamtschuldnerische Haftung des Lieferers und des Kunden, die standardmäßige Prüfungsdatei, strengere Vorschriften für die Registrierung und Deregistrierung Steuerpflichtiger für Mehrwertsteuerzwecke, vermehrte Prüfungen ein. Dennoch ist Polen der Auffassung, dass diese Lösungsansätze noch nicht ausreichen, um Mehrwertsteuerbetrug zu vermeiden.

(4) Polen ist der Ansicht, dass Mehrwertsteuerbetrug durch die Anwendung der Sondermaßnahme unterbunden werden kann. Da der Mehrwertsteuerbetrag, der im Rahmen … des Verfahrens zur Aufspaltung von Zahlungen auf einem separaten Mehrwertsteuerkonto eines Lieferers (Steuerpflichtigen) hinterlegt wurde, nur für beschränkte Zwecke verwendet werden kann, nämlich für die Begleichung der Mehrwertsteuerschuld gegenüber den Steuerbehörden oder die Zahlung der Mehrwertsteuer auf Rechnungen von Lieferern, wird besser gewährleistet, dass die Steuerbehörden den gesamten Mehrwertsteuerbetrag erhalten, der vom Steuerpflichtigen zugunsten der polnischen Staatskasse überwiesen werden sollte.

(5) Polen führte am 1. Juli 2018 ein freiwilliges Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen ein. Polen ist der Auffassung, dass für Bereiche, die für Mehrwertsteuerbetrug besonders anfällig sind, die Sondermaßnahme eingeführt werden sollte. Zu den fraglichen Bereichen zählen Wirtschaftszweige wie Stahl, Schrott, elektronische Geräte, Gold, Nichteisenmetalle, Kraftstoffe und Plastik. Für diese Bereiche gelten in Polen im Allgemeinen die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft und die gesamtschuldnerische Haftung des Lieferers und des Kunden.“

12.      Art. 1 des Durchführungsbeschlusses 2019/310 genehmigt die Maßnahme:

„Abweichend von Artikel 226 der Richtlinie 2006/112/EG wird Polen ermächtigt, eine besondere Erklärung einzuführen, wonach Mehrwertsteuer auf Rechnungen, die im Zusammenhang mit der Lieferung von Gegenständen bzw. der Erbringung von Dienstleistungen ausgestellt werden, die im Anhang dieses Beschlusses aufgeführt sind und die zwischen Steuerpflichtigen erfolgen, auf ein gesondertes, gesperrtes und in Polen eröffnetes Mehrwertsteuerkonto des Lieferers zu zahlen ist, wenn die Zahlung für die Lieferung der Gegenstände bzw. Dienstleistungen per elektronische Banküberweisung getätigt wird.“

B.      Polnisches Recht

1.      Mehrwertsteuergesetz

13.      Art. 106e Abs. 1 Nr. 18a des Ustawa z 11.03.2004 r. o podatku od towarów i usług (Gesetz vom 11. März 2004 über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) regelt, dass im Fall von Rechnungen, deren Gesamtforderungsbetrag 15 000 Zloty (PLN) oder den Gegenwert dieses Betrags in einer Fremdwährung übersteigt und die eine an den Steuerpflichtigen bewirkte Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen umfassen, die in Anhang Nr. 15 des Gesetzes aufgeführt sind, die Rechnung den Ausdruck „Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen“ enthalten muss.

14.      Nach Art. 108a Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes können Steuerpflichtige, die eine Rechnung mit ausgewiesenem Steuerbetrag erhalten haben, bei der Zahlung des in Rechnung gestellten Forderungsbetrags das Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen anwenden. Bei der Vornahme der Zahlung für die erworbenen, in Anhang Nr. 15 des Gesetzes aufgeführten Gegenstände und Dienstleistungen, die durch eine Rechnung belegt werden, deren Gesamtforderungsbetrag 15 000 PLN oder den Gegenwert dieses Betrags in einer Fremdwährung übersteigt, sind die Steuerpflichtigen gemäß Art. 108a Abs. 1a des Mehrwertsteuergesetzes zur Anwendung dieses Verfahrens verpflichtet.

15.      Laut Art. 108b Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes erteilt der Leiter des Finanzamts auf Antrag des Steuerpflichtigen die Erlaubnis zur Überweisung der Mittel auf ein Konto des Steuerpflichtigen bzw. lehnt dies nach Art. 108b Abs. 5 Nr. 1 des Mehrwertsteuergesetzes mit Bescheid ab, falls der Steuerpflichtige mit der Begleichung bestimmter Steuern oder Forderungen im Rückstand ist.

2.      Bankengesetz

16.      Nach Art. 62b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a des Bankengesetzes kann das Mehrwertsteuerkonto ausschließlich belastet werden, um bestimmte dort geregelte Zahlungen an das Finanzamt vorzunehmen, u. a. für die Zahlung von Mehrwertsteuer, Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Akzisen und Zöllen.

III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

17.      Die von Polen eingeführte Sondermaßnahme erfasst die Lieferung bestimmter Gegenstände bzw. die Erbringung bestimmter Dienstleistungen, die per elektronischer Banküberweisung bezahlt werden. Insoweit muss der Steuerpflichtige über ein gesondertes, gesperrtes und in Polen eröffnetes Mehrwertsteuerkonto verfügen. Dieses Mehrwertsteuerkonto ist der Erhebung der von seinen Kunden entrichteten Mehrwertsteuer und der Zahlung der Mehrwertsteuer an seine Lieferanten oder Dienstleistungserbringer sowie der Erfüllung anderer öffentlich-rechtlicher Forderungen der Staatskasse vorbehalten.

18.      Der Leistungsempfänger zahlt den Nettopreis auf das normale Bankkonto des Steuerpflichtigen. Die für die Lieferung oder Leistung zu zahlende Mehrwertsteuer überweist er dagegen auf das Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen.

19.      Am 28. Juni 2021 beantragte die Insolvenzverwalterin der Steuerpflichtigen, gegen die am 30. Januar 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, bei der erstinstanzlichen Steuerbehörde die Überweisung der auf dem Mehrwertsteuerkonto der Steuerpflichtigen angesammelten Mittel auf das Konto der Insolvenzmasse.

20.      Die erstinstanzliche Steuerbehörde lehnte die Erteilung der Erlaubnis ab. Sie führte an, dass die Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Insolvenz sowohl bei der Mehrwertsteuer als auch bei der Einkommensteuer Rückstände gehabt habe, die höher gewesen seien als der Betrag, um dessen Überweisung die Insolvenzverwalterin ersuche.

21.      Ein dagegen eingelegter Widerspruch der Insolvenzverwalterin blieb erfolglos. Die Widerspruchsbehörde hielt den Bescheid der erstinstanzlichen Steuerbehörde aufrecht und teilte die darin vertretene Auffassung. Dagegen hat die Insolvenzverwalterin Klage erhoben.

22.      Das für die Klage zuständige Wojewódzki Sąd Administracyjny we Wrocławiu (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Wrocław [Breslau], Polen) hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV folgende drei Fragen vorgelegt:

1.      Sind die Bestimmungen des Durchführungsbeschlusses 2019/310, die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere deren Art. 395 und 273, sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift und einer nationalen Praxis entgegenstehen, wonach unter den Umständen des vorliegenden Falles dem Insolvenzverwalter die Erlaubnis versagt wird, die auf dem Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen angesammelten Mittel (Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen) auf das vom Insolvenzverwalter angegebene Bankkonto zu überweisen?

2.      Ist Art. 17 Abs. 1 (Eigentumsrecht) der Charta in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift und einer nationalen Praxis entgegensteht, die unter den Umständen des vorliegenden Falles – indem dem Insolvenzverwalter die Erlaubnis versagt wird, die auf dem Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen angesammelten Mittel (Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen) zu überweisen – dazu führen, dass die Finanzmittel, die im Eigentum des insolventen Steuerpflichtigen stehen, auf dem Mehrwertsteuerkonto eingefroren werden, so dass der Insolvenzverwalter seinen Pflichten im Insolvenzverfahren nicht nachkommen kann?

3.      Sind der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nach Art. 2 EUV, der daraus abgeleitete Grundsatz der Rechtssicherheit, der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV und der Grundsatz der guten Verwaltung nach Art. 41 Abs. 1 der Charta unter Berücksichtigung des Kontexts und der Ziele des Durchführungsbeschlusses 2019/310 sowie der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Praxis entgegenstehen, die – indem dem Insolvenzverwalter die Erlaubnis versagt wird, die auf dem Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen angesammelten Mittel (Verfahren der Aufspaltung von Zahlungen) zu überweisen – darauf hinausläuft, dass die Ziele des Insolvenzverfahrens, das dem Insolvenzgericht zufolge nach Art. 3 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzverordnung in die Zuständigkeit der polnischen Gerichte fällt, vereitelt werden, und die so zu einer Situation führt, in der durch die Anwendung einer unangemessenen innerstaatlichen Maßnahme der Fiskus als Gläubiger zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger bevorzugt behandelt wird?

23.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben der Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wrocławiu (Direktor der Steuerkammer Breslau, Polen), der Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców (Ombudsmann für kleine und mittlere Unternehmen, Polen), Polen und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung abgesehen.

IV.    Rechtliche Würdigung

24.      Mit seinen drei Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift und einer nationalen Praxis entgegensteht, wonach dem Insolvenzverwalter der Zugriff auf die auf dem Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen befindlichen Mittel versagt wird, soweit der Steuerpflichtige Steuerrückstände hat. In seinem Vorabentscheidungsersuchen äußert das vorlegende Gericht grundsätzliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Sondermaßnahme mit der Mehrwertsteuerrichtlinie, dem Durchführungsbeschluss 2019/310, der Charta sowie den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts.

25.      Zunächst gehe ich daher darauf ein, ob und inwieweit die Ausgestaltung der Sondermaßnahme mit der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist (dazu unter A.). Sodann prüfe ich, ob die Verweigerung des Zugriffs auf das Mehrwertsteuerkonto in der Insolvenz des Steuerpflichtigen unionsrechtskonform ist (dazu unter B.).

A.      Zur Vereinbarkeit der Sondermaßnahme mit der Mehrwertsteuerrichtlinie

26.      Das vorlegende Gericht zweifelt an der Vereinbarkeit der Sondermaßnahme insbesondere im Hinblick auf die Art. 395 und 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie (dazu unter 1.). Darüber hinaus ist die Vereinbarkeit mit Art. 206 in Verbindung mit Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie zu prüfen (dazu unter 2.).

1.      Rechtsgrundlage: Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie

27.      Art. 1 des Durchführungsbeschlusses 2019/310 ermächtigt Polen, eine besondere Erklärung einzuführen, wonach die Mehrwertsteuer in bestimmten Fällen auf ein gesondertes, gesperrtes Mehrwertsteuerkonto zu zahlen ist. Da diese Ermächtigung laut Art. 1 des Durchführungsbeschlusses eine Abweichung von Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, ist unter dieser „besonderen Erklärung“ eine besondere Rechnungsangabe im Zusammenhang mit der Lieferung bestimmter Gegenstände bzw. der Erbringung bestimmter Dienstleistungen zu verstehen. Danach ist in der Rechnung abweichend von Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch darauf hinzuweisen, dass die Mehrwertsteuer von dem Leistungsempfänger auf ein gesondertes Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen zu zahlen ist.

28.      Der Rat hat diese Ermächtigung zur Einführung einer Sondermaßnahme insbesondere auf Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gestützt. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen kann, von der Mehrwertsteuerrichtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen zu verhindern. Wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen des Durchführungsbeschlusses 2019/310 ergibt, dient die Einführung der Sondermaßnahme der Unterbindung von Mehrwertsteuerbetrug.

29.      Da die Voraussetzungen von Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie somit erfüllt sind, kommt es trotz der dahin gehenden Frage des vorlegenden Gerichts hier auf die Vereinbarkeit der Sondermaßnahme mit Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht an. Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist für die Sondermaßnahme jedenfalls die speziellere Rechtsgrundlage.

30.      Es ist auch zweifelhaft, ob Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für die Einführung der Sondermaßnahme wäre. Im Unterschied zu Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der Maßnahmen erlaubt, um (alternativ) die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen zu verhindern, gestattet Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie es nur, zusätzliche Pflichten vorzusehen, um (kumulativ) eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Die Sondermaßnahme dient allerdings nicht der genauen Steuererhebung, sondern allein der Verhinderung von Steuerhinterziehungen (und Steuerausfällen). Zudem handelt es sich bei der Sondermaßnahme gerade nicht um eine zusätzliche Pflicht, sondern um eine Abweichung von der Mehrwertsteuerrichtlinie. Abweichungen sind aber nur auf Basis von Art. 395 der Mehrwertsteuerrichtlinie zulässig.

2.      Zur Vereinbarkeit mit Art. 206 in Verbindung mit Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie

31.      Die Sondermaßnahme müsste jedoch auch mit den weiteren Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar sein. Denn Polen hat, anders als z. B. Italien,(5) nur eine Abweichung von Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie beantragt und durch den Durchführungsbeschluss 2019/310 erhalten.

32.      In Betracht kommt hier auf den ersten Blick ein Verstoß gegen Art. 206 in Verbindung mit Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie. Denn Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass der Steuerpflichtige nur die Steuer aus seinen Umsätzen schuldet, die sich bei der Abgabe der Mehrwertsteuererklärung nach Ablauf eines bestimmten Besteuerungszeitraums (vgl. Art. 250 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie) und nach dem Abzug der Vorsteuern ergibt, die er selbst an andere Steuerpflichtige gezahlt hat. Die Mehrwertsteuer ist also grundsätzlich nicht nach jedem bewirkten steuerbaren Umsatz, sondern erst nach Ablauf des jeweiligen Besteuerungszeitraums abzuführen.(6) Die polnische Regelung führt jedoch dazu, dass der Steuerpflichtige bereits mit der Bezahlung seines Kunden nicht mehr frei über diesen Betrag verfügen kann.

33.      Zudem steht Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie im engen Zusammenhang mit dem Recht auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie. Das darin zum Ausdruck kommende Recht des Steuerpflichtigen, von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer sofort abzuziehen, die für die von ihm erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder gezahlt wurde, ist nach ständiger Rechtsprechung ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems.(7) Die Vorfinanzierung der Mehrwertsteuer, die den steuerpflichtigen Unternehmer eigentlich nicht belasten soll, muss daher so gering wie möglich gehalten werden.(8)

34.      Gleichwohl ist die polnische Sondermaßnahme mit diesen Regelungen vereinbar. Zwar kann der Steuerpflichtige nicht frei über das Mehrwertsteuerkonto verfügen, doch kann er es zumindest zur Zahlung der Mehrwertsteuer an seine Lieferanten oder Dienstleistungserbringer verwenden. Darüber hinaus scheinen alle Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat damit beglichen werden zu können.

35.      Soweit der Steuerpflichtige daher die Zahlung der Mehrwertsteuer an seine Lieferanten oder Dienstleistungserbringer mit den auf dem Mehrwertsteuerkonto befindlichen Mitteln vornehmen kann, muss er die Mehrwertsteuer nicht in größerem Umfang vorfinanzieren, als dies im normalen System der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen ist. Unter diesen Voraussetzungen verstößt die Sondermaßnahme nicht gegen Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie.

36.      Etwas anderes könnte aber im Hinblick auf Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie gelten, wenn die Summe der auf dem Mehrwertsteuerkonto befindlichen Mittel den Betrag der Steuerschuld übersteigt. Wenn der Steuerpflichtige dann nicht zeitnah über die Mittel auf dem Mehrwertsteuerkonto verfügen kann, wird ihm Liquidität entzogen, ohne dass es dafür einen steuerrechtlichen Grund gibt. Der überschießende Betrag ist dem Steuerpflichtigen daher zeitnah freizugeben, wobei es der Steuerbehörde aber jedenfalls bei konkreten Zweifeln möglich bleiben muss, die Richtigkeit der erklärten Steuerschuld zu prüfen.(9) Die Einhaltung dieser Anforderungen muss das nationale Gericht kontrollieren. Eine solche Konstellation liegt hier aber wohl nicht vor, da die Steuerpflichtige nach den Angaben des vorlegenden Gerichts fällige Steuerrückstände zu haben scheint. Letztlich muss auch dies aber das vorlegende Gericht prüfen.

37.      Damit wird der Steuerpflichtige zwar in der Verfügungsbefugnis über die eingesammelte Mehrwertsteuer eingeschränkt. Aber es kann (noch) nicht davon gesprochen werden, dass er die Steuer bereits zu einem früheren Zeitpunkt als in Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen abführen muss. In der Masse der typischen Fälle beschränkt sich die eingeschränkte Verfügungsbefugnis auf die Differenz zwischen der eigenen Steuerschuld und dem Vorsteuerabzug zuzüglich der genannten öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten. Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Verfügungsbefugnis nur bis zum Zeitpunkt der nächsten Steuererklärung limitiert. Im Übrigen würde es Art. 206 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie sogar erlauben, von der Regel der Zahlung bei Abgabe der Mehrwertsteuererklärung abzuweichen und Vorauszahlungen hinsichtlich bereits entstandener Mehrwertsteueransprüche zu erheben.(10)

38.      Eine Abweichung von Art. 206 der Mehrwertsteuerrichtlinie liegt daher nicht vor. Somit kann offenbleiben, ob eine lediglich geringfügige Abweichung von einzelnen Vorschriften der Mehrwertsteuerrichtlinie in dem sehr förmlichen Verfahren von Art. 395 der Mehrwertsteuerrichtlinie (konkludent) mitgenehmigt wäre, auch wenn diese Vorschriften nicht im Durchführungsbeschluss genannt sind.

B.      Vereinbarkeit der Nichtfreigabe des Mehrwertsteuerkontos im Fall der Insolvenz mit dem Unionsrecht

39.      Des Weiteren ist zu klären, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn nationale Steuerbehörden dem Insolvenzverwalter des insolventen Steuerpflichtigen den Zugriff auf das Mehrwertsteuerkonto verwehren.

40.      Daher ist zu prüfen, ob die Europäische Insolvenzverordnung oder die Mehrwertsteuerrichtlinie einem Vorrang von (Mehrwert‑)Steuerforderungen in der Insolvenz entgegensteht (dazu unter 1.) oder ob Art. 17 Abs. 1 der Charta es erfordert, einen uneingeschränkten Zugriff auf das Mehrwertsteuerkonto zu gewähren (dazu unter 2.), bzw. dieser aus sonstigen Grundsätzen des Unionsrechts folgt (dazu unter 3.).

1.      Zum Rang von (Mehrwert)Steuerforderungen in der Insolvenz

41.      Das Unionsrecht sieht keine eigenen materiellen Regeln für die Frage vor, in welcher Rangfolge die Gläubiger in einem Insolvenzverfahren zu befriedigen sind. Es stellt hierfür lediglich Kollisionsnormen bereit: Nach Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. i der Europäischen Insolvenzverordnung regelt das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung u. a. die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens und den Rang der Forderungen. Wird also ein Insolvenzverfahren in Polen eröffnet, bestimmt grundsätzlich das polnische Recht als Insolvenzstatut u. a. über die Rangfolge der Forderungen.

42.      Auch die Mehrwertsteuerrichtlinie steht einem Vorrang von Steuerforderungen in der Insolvenz des Steuerpflichtigen jedenfalls nicht entgegen. Möglicherweise gebieten es die Besonderheiten des Mehrwertsteuerrechts umgekehrt sogar, dass die vom insolventen Steuerschuldner eingesammelte Mehrwertsteuer primär an den Staat abzuführen ist und gerade nicht zur Befriedigung aller anderen Gläubiger des Steuerpflichtigen dient.

43.      Nach Ansicht des Direktors der Steuerkammer Breslau lässt sich dies dem Urteil vom 15. Oktober 2020, E. (Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:829), entnehmen. Dort entschied der Gerichtshof, dass der Vorrang des Unionsrechts auch zur Unanwendbarkeit der im Insolvenzrecht vorgesehenen Reihenfolge der Befriedigung der Gläubiger führen kann, wenn diese nicht im Einklang mit Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie steht.(11)

44.      In dem genannten Rechtsstreit ging es aber um die unmittelbare Wirkung von Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie zugunsten des Steuerpflichtigen, der nicht das Insolvenzrisiko seines Schuldners, des Leistungsempfängers, tragen sollte. Demgegenüber betrifft das vorliegende Verfahren die Frage, wie sich die Insolvenz des Steuerpflichtigen auf das separate, gesperrte Mehrwertsteuerkonto auswirkt. Darüber lässt sich dem zitierten Urteil keine unmittelbare Aussage entnehmen.

45.      Für eine vorrangige Befriedigung der Mehrwertsteuerforderungen des Staates im Fall der Insolvenz des Steuerpflichtigen spricht allerdings die besondere Funktion, die das Mehrwertsteuersystem dem leistenden, nun insolventen Steuerpflichtigen zuweist.

46.      Die Mehrwertsteuer ist nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs eine indirekte Verbrauchsteuer, die vom Endverbraucher zu tragen ist.(12) Das steuerpflichtige Unternehmen agiert insoweit – so formuliert es der Gerichtshof – nur als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“.(13) Die Steuerschuld des steuerpflichtigen Unternehmens hat damit eine rein technische Funktion, die allein aus der indirekten Erhebungsform der Mehrwertsteuer resultiert. In materieller Hinsicht soll die Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer nicht das steuerpflichtige Unternehmen, sondern die Leistungsfähigkeit des Verbrauchers besteuern, die sich in seiner Aufwendung von Vermögen zur Verschaffung eines verbrauchbaren Nutzens zeigt.(14)

47.      Wenn aber der Steuerpflichtige nur als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“ agiert, dann erscheint es widersprüchlich, allen seinen Gläubigern freien Zugriff auf diesen eingenommenen Betrag zu erlauben. Vielmehr handelt der Steuerpflichtige insoweit wie eine Art Treuhänder. Er sammelt (lediglich) die Steuer für den Staat ein und leitet sie an diesen weiter. Bereits im Moment der Zahlung der Mehrwertsteuer (als Teil des Preises) wissen alle Beteiligten – d. h. der Steuerpflichtige (einschließlich des Insolvenzverwalters), seine Gläubiger und der Zahlende –, dass dieser Betrag materiell nicht dem Steuerpflichtigen zusteht, sondern an den Staat weiterzuleiten ist (indirekte Steuererhebung), auch wenn er zunächst (formal) auf ein Konto des Steuerpflichtigen gezahlt wird.

48.      Hinzu kommt, dass die Technik der indirekten Besteuerung nach der Mehrwertsteuerrichtlinie an einigen Stellen durchbrochen wird. Insbesondere die Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger (vgl. Art. 196 und 199 der Mehrwertsteuerrichtlinie) hat eine direkte Besteuerung des Aufwands beim Leistungsempfänger zur Folge. Im Fall einer solchen Umkehr der Steuerschuldnerschaft steht die Mehrwertsteuer, die aufgrund des Umsatzes anfällt, aber ebenso wenig den Gläubigern des Steuerpflichtigen zur Verfügung, weil sie bereits der Leistungsempfänger schuldet und an den Staat abführt, sie mithin gar nicht erst an den Leistenden zahlt. Wie sich aber insbesondere aus dem fünften Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2019/310 ergibt, wurde die Sondermaßnahme gerade für Umsätze eingeführt, die aufgrund ihrer Betrugsanfälligkeit bereits der Umkehr der Steuerschuldnerschaft unterfielen. Ohne die Sondermaßnahme hätte diese Mehrwertsteuer daher offenbar ebenfalls nicht der Insolvenzmasse zur Verfügung gestanden.

49.      Die (formelle) Besteuerungstechnik kann aber meines Erachtens keinen Einfluss auf die materielle Frage haben, ob die Mehrwertsteuer an den Staat abzuführen ist, für den sie eingenommen wurde, oder ob sie auch den Gläubigern des Steuereinnehmers zur Befriedigung ihrer Forderungen zur Verfügung steht.

50.      Daher steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift und Rechtspraxis nicht entgegen, die der Befriedigung des Gläubigers der Steuerschulden in der Insolvenz im Ergebnis einen Vorrang vor den Gläubigern anderer Forderungen einräumt.

2.      Zur Vereinbarkeit mit Art. 17 Abs. 1 der Charta

51.      Die Versagung der Freigabe der auf dem Mehrwertsteuerkonto befindlichen Mittel durch die Finanzbehörden könnte aber einen Verstoß gegen das in Art. 17 Abs. 1 der Charta verbürgte Eigentumsrecht des Steuerpflichtigen (Kontoinhabers) darstellen.

a)      Anwendungsbereich der Charta nach Art. 51 Abs. 1 der Charta

52.      Dafür müsste die Sondermaßnahme zunächst eine Durchführung von Unionsrecht nach Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen.

53.      Nach Auffassung der Kommission ist dies nicht der Fall, da weder die Mehrwertsteuerrichtlinie noch die Europäische Insolvenzverordnung die Rangfolge der Forderungen in der Insolvenz regeln. Der Umstand, dass der Durchführungsbeschluss 2019/310 Polen zu der Einführung des Mechanismus der Aufspaltung der Zahlungen ermächtigt, genüge nicht, um hier eine Durchführung von Unionsrecht zu bejahen. Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen.

54.      Nach ständiger Rechtsprechung setzt der Begriff „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta das Vorliegen eines hinreichenden Zusammenhangs zwischen einem Unionsrechtsakt und der nationalen Maßnahme voraus. Dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann, genügt nicht.(15) Die Grundrechte der Union sind auf eine nationale Regelung dann nicht anwendbar, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften keine spezifischen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen.(16)

55.      Wenngleich die Sondermaßnahme eine Abweichung von den Regelungen der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt, handelt es sich dennoch um eine Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta. Denn erst das Unionsrecht, nämlich Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit dem Durchführungsbeschluss 2019/310, ermöglicht es Polen überhaupt, die von der Mehrwertsteuerrichtlinie abweichende Sondermaßnahme einzuführen. Diese Sondermaßnahme konkretisiert somit weiterhin die Vorgaben der Mehrwertsteuerrichtlinie für Polen, nur eben abweichend von den anderen Mitgliedstaaten.

56.      Wenn aber bei der Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie eine Bindung an die Unionsgrundrechte besteht, muss dies gleichermaßen gelten, wenn einzelne Mitgliedstaaten, gestützt auf Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, durch die Union zur Einführung punktuell abweichender Sondermaßnahmen ermächtigt werden und diese dann durchführen.

57.      Zudem dient die Sondermaßnahme, entsprechend dem Erfordernis von Art. 395 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug.(17) Dieses Ziel wird von den unionsrechtlichen Vorschriften über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem anerkannt und gefördert.(18) Auch deswegen handelt es sich bei der Anwendung der Sondermaßnahme um die Durchführung von Unionsrecht.

58.      Darüber hinaus soll die Sondermaßnahme wohl auch die den Mitgliedstaaten durch Art. 325 Abs. 1 AEUV auferlegte Verpflichtung zur wirksamen Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten Handlungen erfüllen. Denn laut Gerichtshof(19) soll aufgrund des Eigenmittelbeschlusses(20) ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union bestehen, da jedes Versäumnis bei der Erhebung dieser Einnahmen potenziell zu einer Verringerung dieser Mittel führe. Auch wenn Letzteres bezweifelt werden könnte,(21) ist im Ergebnis jedoch festzuhalten, dass es sich bei der Sondermaßnahme um die Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 der Charta handelt, nämlich um eine Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie.

59.      Die Sondermaßnahme ist daher an Art. 17 Abs. 1 der Charta zu messen.

b)      Eingriff in Art. 17 Abs. 1 der Charta und dessen Rechtfertigung

60.      Art. 17 Abs. 1 der Charta schützt alle vermögenswerten Rechte, aus denen sich im Hinblick auf die betreffende Rechtsordnung eine gesicherte Rechtsposition ergibt, die eine selbständige Ausübung dieser Rechte durch und zugunsten ihres Inhabers ermöglicht.(22) Vorhandenes Geld ist eine solche vermögenswerte Rechtsposition.(23) Art. 17 Abs. 1 Satz 1 der Charta schützt auch die Nutzung und Verfügung über rechtmäßig erworbenes Eigentum.

61.      Durch eine Maßnahme, die vorsieht, dass die Mehrwertsteuer auf ein separates Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen zu zahlen ist, das nur eingeschränkt genutzt werden kann, wird mithin in den Schutzbereich von Art. 17 Abs. 1 der Charta eingegriffen. Denn der Steuerpflichtige kann über die auf dem Mehrwertsteuerkonto befindlichen Vermögenswerte nicht frei verfügen. So wie ich die polnischen Regelungen verstehe, kann er das Mehrwertsteuerkonto nur für bestimmte, enumerativ aufgelistete Zahlungen verwenden. Im Übrigen ist er darauf angewiesen, dass ihm die Finanzbehörde nach Art. 108b Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes einen anderweitigen Zugriff erlaubt.

62.      Aus Art. 17 Abs. 1 Satz 3 der Charta ergibt sich jedoch, dass die Nutzung des Eigentums gesetzlich geregelt werden kann, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Darüber hinaus kann nach Art. 52 Abs. 1 der Charta die Ausübung der in der Charta verankerten Rechte und Freiheiten Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese nicht unverhältnismäßig sind.(24)

63.      Die Sondermaßnahme verfolgt einen legitimen Zweck, nämlich die Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug.(25) Sie ist zur Erreichung dieses Ziels auch nicht offensichtlich ungeeignet. Denn sie macht aus einem betrugsanfälligen System indirekter Steuererhebung ein weniger betrugsanfälliges System semi-indirekter Steuererhebung, bei dem die eingesammelte Mehrwertsteuer weder direkt an den Staat noch indirekt über einen anderen Steuerpflichtigen an den Staat, sondern auf eine Art Treuhandkonto des Steuerpflichtigen gezahlt wird.

64.      Sie darf aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des von ihr verfolgten Zwecks erforderlich ist. Als mildere, gleich geeignete Mittel kommen nur andere Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung in Betracht. Insoweit besteht eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers des Mitgliedstaats, die hier zu beachten ist. Dem Gerichtshof liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Grenzen dieses Spielraums hier verletzt worden wären. Offenbar waren andere Betrugsbekämpfungsmaßnahmen nicht hinreichend erfolgreich.(26)

65.      Zuletzt müsste die Maßnahme angemessen sein. Zwar mag im Fall der Insolvenzverwaltung das Risiko eines Mehrwertsteuerbetrugs niedriger sein als im normalen Geschäftsbetrieb. Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht. Außerdem wird das auf dem Mehrwertsteuerkonto befindliche Vermögen zur Begleichung der Steuerschulden des Steuerschuldners verwendet und ihm damit gerade nicht entzogen. Es erfolgt lediglich eine temporäre Verfügungsbeschränkung bezüglich der Mehrwertsteuer, die materiell ohnehin allein dem Staat zusteht.

66.      Denkbar wäre allenfalls, dass das Vermögen den übrigen Insolvenzgläubigern zur Befriedigung ihrer Forderungen entzogen wird, indem dem Staat im Ergebnis Vorrang vor den anderen Insolvenzgläubigern eingeräumt wird. Einerseits bezieht sich das Vorabentscheidungsersuchen aber nicht auf deren Grundrechte. Andererseits fällt es aufgrund der lediglich „treuhänderisch“ eingesammelten Mehrwertsteuer schwer, insoweit ein vermögenswertes Recht der übrigen Gläubiger auf Herausgabe der eigentlich dem Staat zustehenden Mehrwertsteuer zu begründen.

67.      Im Übrigen regelt das Unionsrecht die Rangfolge von Forderungen in der Insolvenz nicht. Wenn das nationale Recht ein Vorrecht des Fiskus in der Insolvenz bezüglich nicht harmonisierter Steuern vorsieht, handelt es sich schon gar nicht um eine Durchführung von Unionsrecht. Unionsgrundrechte sind daher insoweit nicht zu prüfen.

68.      Es ist daher unionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Steuerbehörden nach nationalem Recht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Steuerpflichtigen prüfen, ob Steuerrückstände bestehen, und auf dem Mehrwertsteuerkonto befindliche Beträge nur insoweit freigeben, als dies nicht der Fall ist. Dies gilt jedenfalls, wenn die Prüfung und Freigabe von Mitteln, die nicht zur Befriedigung von Steuerrückständen benötigt wird, in angemessener Zeit erfolgt.

69.      Somit stellt die Sondermaßnahme zwar einen Eingriff in Art. 17 Abs. 1 der Charta dar, der aber gerechtfertigt ist.

3.      Zur Verletzung sonstiger Grundsätze des Unionsrechts

70.      Für eine Verletzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit nach Art. 2 EUV – die das vorlegende Gericht auch noch anspricht – finden sich keine Anhaltspunkte. Die Entscheidung der Finanzbehörde enthielt eine Begründung und stützte sich nach dem Vorbringen des vorlegenden Gerichts auf die polnischen Gesetze sowie deren Auslegung durch die polnischen Gerichte. Zudem war sie einem Rechtsbehelf zugänglich.

71.      Das Recht auf eine gute Verwaltung spiegelt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wider. Die daraus folgenden Anforderungen gelten auch für die mitgliedstaatlichen Steuerbehörden bei der Durchführung von Unionsrecht.(27) Für eine Verletzung dieses Grundsatzes ist hier aber nichts ersichtlich. Zuletzt bestehen auch für die Verletzung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV keine Anhaltspunkte.

V.      Ergebnis

72.      Somit schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Neutralität, der Rechtsstaatlichkeit, der Rechtssicherheit, der loyalen Zusammenarbeit und der guten Verwaltung sowie die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, insbesondere deren Art. 395 und 206, und des Durchführungsbeschlusses 2019/310 stehen einer nationalen Rechtsvorschrift und einer nationalen Praxis nicht entgegen, wonach dem Insolvenzverwalter die Erlaubnis versagt wird, die auf dem Mehrwertsteuerkonto des Steuerpflichtigen angesammelten Mittel auf das vom Insolvenzverwalter angegebene Bankkonto zu überweisen, soweit der Steuerpflichtige noch Steuerrückstände hat.


1      Originalsprache: Deutsch.


2      Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 (ABl. 2006, L 347, S. 1).


3      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 (ABl. 2015, L 141, S. 19).


4      Durchführungsbeschluss des Rates vom 18. Februar 2019 (ABl. 2019, L 51, S. 19).


5      Vgl. Durchführungsbeschluss (EU) 2017/784 des Rates vom 25. April 2017 zur Ermächtigung der Italienischen Republik, eine von Artikel 206 und 226 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem abweichende Sonderregelung anzuwenden, und zur Aufhebung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/1401 (ABl. 2017, L 118, S. 17).


6      Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Bydgoszczy (Innergemeinschaftlicher Erwerb von Dieselkraftstoff) (C‑855/19, EU:C:2021:222, Nrn. 111 und 114).


7      Urteil vom 14. Oktober 2021, Finanzamt N und Finanzamt G (Mitteilung der Zuordnungsentscheidung) (C‑45/20 und C‑46/20, EU:C:2021:852, Rn. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


8      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Agrobet CZ (C‑446/18, EU:C:2019:1137, Nr. 64).


9      Vgl. in diesem Sinne meine Schlussanträge in der Rechtssache Agrobet CZ (C‑446/18, EU:C:2019:1137, Nr. 52).


10      Vgl. Urteil vom 9. September 2021, Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Bydgoszczy (Innergemeinschaftlicher Erwerb von Dieselkraftstoff) (C‑855/19, EU:C:2021:714, Rn. 32).


11      Urteil vom 15. Oktober 2020, E. (Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:829, Rn. 51 und 52).


12      Urteile vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 34), und vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 19), sowie Beschluss vom 9. Dezember 2011, Connoisseur Belgium (C‑69/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:825, Rn. 21); vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache E. (Mehrwertsteuer – Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage) (C‑335/19, EU:C:2020:424, Nrn. 23 und 24).


13      Urteile vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt (C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 21), und vom 20. Oktober 1993, Balocchi (C‑10/92, EU:C:1993:846, Rn. 25).


14      Vgl. exemplarisch: Urteile vom 3. März 2020, Vodafone Magyarország (C‑75/18, EU:C:2020:139, Rn. 62), vom 11. Oktober 2007, KÖGÁZ u. a. (C‑283/06 und C‑312/06, EU:C:2007:598, Rn. 37 – „Festsetzung ihrer Höhe proportional zum Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die Gegenstände und Dienstleistungen erhält“), und vom 18. Dezember 1997, Landboden-Agrardienste (C‑384/95, EU:C:1997:627, Rn. 20 und 23).


15      Urteil vom 22. April 2021, Profi Credit Slovakia (C‑485/19, EU:C:2021:313, Rn. 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Direktor na Direktsia Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika (C‑1/21, EU:C:2022:435, Nr. 66).


16      Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori (C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


17      Vgl. meine Ausführungen oben in Nr. 28.


18      Vgl. Urteile vom 28. Juli 2016, Astone (C‑332/15, EU:C:2016:614, Rn. 50), vom 14. Mai 2020, Agrobet CZ (C‑446/18, EU:C:2020:369, Rn. 41), und vom 20. Mai 2021, ALTI (C‑4/20, EU:C:2021:397, Rn. 35), sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache Agrobet CZ (C‑446/18, EU:C:2019:1137, Nr. 67).


19      Urteile vom 5. Dezember 2017, M. A. S. und M. B. (C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 31), vom 7. April 2016, Degano Trasporti (C‑546/14, EU:C:2016:206, Rn. 22), und vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


20      Beschluss 2007/436/EG, Euratom des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2007, L 163, S. 17).


21      So führt die Kommission zu den finanziellen Folgen der Erweiterung einer Mehrwertsteuerbefreiung für den Haushalt der Union aus: „Dadurch, dass der Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerbefreiungen ausgeweitet wird, könne der Vorschlag zu einer Verminderung der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten und damit der Mehrwertsteuer-Eigenmittel führen. Es würden sich aber keine negativen Auswirkungen auf den EU-Haushalt ergeben [(Hervorhebung nur hier)], da alle Ausgaben, die nicht durch die traditionellen Eigenmittel und die Mehrwertsteuer-Eigenmittel abgedeckt sind, durch die Eigenmittel auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE‑Eigenmittel) ausgeglichen werden“ (Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 24. April 2019 zur Änderung der Richtlinie 2006/112 und der Richtlinie 2008/118 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem in Bezug auf Verteidigungsanstrengungen im Rahmen der Union, COM(2019) 192 final, S. 10 – Version DE). Dies widerspricht einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union.


22      Urteile vom 21. Mai 2019, Kommission/Ungarn (Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen) (C‑235/17, EU:C:2019:432, Rn. 69), und vom 22. Januar 2013, Sky Österreich (C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 34), sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache MAX7 Design (C‑519/22, EU:C:2023:998, Nr. 40).


23      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache MAX7 Design (C‑519/22, EU:C:2023:998, Nr. 40).


24      Urteil vom 14. Januar 2021, Okrazhna prokuratura – Haskovo und Apelativna prokuratura – Plovdiv (C‑393/19, EU:C:2021:8, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


25      Vgl. meine Ausführungen oben in Nrn. 28 und 57.


26      Vgl. dritter Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2019/310.


27      Vgl. in diesem Sinn Urteile vom 13. Juli 2023, Napfény-Toll (C‑615/21, EU:C:2023:573, Rn. 53), und vom 21. Oktober 2021, CHEP Equipment Pooling (C‑396/20, EU:C:2021:867, Rn. 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).