Language of document : ECLI:EU:T:2012:39

Rechtssache T-291/09

Carrols Corp.

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Gemeinschaftsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Gemeinschaftsbildmarke Pollo Tropical CHICKEN ON THE GRILL – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Bösgläubigkeit – Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009“

Leitsätze des Urteils

1.      Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren – Klage beim Gemeinschaftsrichter – Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Beschwerdekammer, die in einem Widerspruchsverfahren entscheidet – Anfechtung unter Geltendmachung neuer Tatsachen – Unzulässigkeit – Berücksichtigung von nicht im Verfahren vor den Instanzen des Amtes geltend gemachter Rechtsprechung der Gemeinschaft, nationaler oder internationaler Rechtsprechung für Zwecke der Auslegung des Gemeinschaftsrechts – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 65)

2.      Gemeinschaftsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Absolute Nichtigkeitsgründe – Bei der Markenanmeldung bösgläubiger Anmelder – Beurteilungskriterien – Berücksichtigung aller zum Zeitpunkt der Anmeldung vorliegenden erheblichen Faktoren

(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 52 Abs. 1 Buchst. b)

1.      Die Klage beim Gericht ist auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von den Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) erlassenen Entscheidungen im Sinne von Art. 65 der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke gerichtet. Es ist daher nicht Aufgabe des Gerichts, im Licht erstmals bei ihm eingereichter Beweismittel den Sachverhalt zu überprüfen. Folglich sind nur die Dokumente zulässig, die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vor dem Amt vorgelegt worden sind.

Allerdings sind nationale Gerichtsentscheidungen für zulässig zu erklären, auch wenn sie nicht im Rahmen des Verfahrens vor dem Amt geltend gemacht worden sind. Weder die Verfahrensbeteiligten noch das Gericht selbst sind nämlich daran gehindert, in ihre Auslegung des Unionsrechts Elemente einzubeziehen, die sich aus der Rechtsprechung der Union, der nationalen Rechtsprechung oder der internationalen Rechtsprechung ergeben. Ein Verfahrensbeteiligter muss folglich die Möglichkeit haben, auf nationale gerichtliche Entscheidungen erstmals vor dem Gericht Bezug zu nehmen, da es dabei nicht darum geht, der Beschwerdekammer vorzuwerfen, sie habe in einer bestimmten nationalen Entscheidung genannte Tatsachen außer Betracht gelassen, sondern um die Rüge, dass sie gegen eine Vorschrift der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen habe, wobei zur Untermauerung dieser Rüge Rechtsprechung herangezogen wird.

(vgl. Randnrn. 30-31, 34-35)

2.      Die Bösgläubigkeit des Anmelders im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke ist umfassend zu beurteilen, wobei alle im gegebenen Fall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen sind.

Eine Vermutung dahin, dass der Anmelder von der Verwendung eines gleichen oder ähnlichen Zeichens für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware Kenntnis hatte, kann sich u. a. aus einer allgemeinen Kenntnis davon ergeben, dass eine derartige Verwendung in dem betreffenden Wirtschaftssektor besteht, wobei sich diese Kenntnis u. a. aus der Dauer einer derartigen Verwendung herleiten lässt. Denn je länger diese Verwendung zurückreicht, umso wahrscheinlicher ist es, dass der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung davon Kenntnis hatte.

Allerdings genügt der Umstand, dass der Anmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter zumindest in einem Mitgliedstaat seit langem ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware benutzt, allein noch nicht für die Bejahung der Bösgläubigkeit des Anmelders. Es ist nämlich die Absicht des Anmelders im maßgeblichen Zeitpunkt zu berücksichtigen, die ein subjektives Tatbestandsmerkmal ist, das anhand der objektiven Fallumstände bestimmt werden muss. So kann unter bestimmten Umständen die Absicht, einen Dritten an der Vermarktung einer Ware zu hindern, für die Bösgläubigkeit des Antragstellers kennzeichnend sein. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn der Anmelder ein Zeichen als Gemeinschaftsmarke hat eintragen lassen, ohne dessen Benutzung zu beabsichtigen, allein um den Marktzutritt eines Dritten zu verhindern.

Die Tatsache, dass ein Dritter seit Langem ein Zeichen für eine gleiche oder mit der angemeldeten Marke verwechselbar ähnliche Ware verwendet und dass dieses Zeichen in einem gewissen Grad rechtlichen Schutz genießt, ist einer der erheblichen Faktoren für die Beurteilung der Frage, ob der Anmelder bösgläubig war. Allerdings kann selbst in einem solchen Fall die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke so ausgelegt werden, dass sie nicht bösgläubig erfolgt ist, wenn der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung weiß, dass ein Dritter, der erst seit kurzer Zeit auf dem Markt tätig ist, versucht, Nutzen aus dem genannten Zeichen zu ziehen, indem er dessen Aufmachung kopiert, was den Anmelder dazu veranlasst, das Zeichen eintragen zu lassen, um die Verwendung dieser Aufmachung zu verhindern.

Für die Beurteilung der Bösgläubigkeit des Antragstellers kann der Bekanntheitsgrad berücksichtigt werden, der einem Zeichen zum Zeitpunkt seiner Anmeldung als Gemeinschaftsmarke zukommt. Ein solcher Bekanntheitsgrad kann nach Ansicht des Gerichtshofs gerade das Interesse des Anmelders rechtfertigen, einen weiter reichenden rechtlichen Schutz seines Zeichens sicherzustellen.

(vgl. Randnrn. 48-54)