Language of document : ECLI:EU:T:2012:99

BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)

2. März 2012 (*)

„Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens – Untätigkeitsklage – Schadensersatzklage – Deklaratorischer Feststellungsantrag – Verpflichtungsantrag – Offensichtliche Unzulässigkeit – Klage, der offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt“

In der Rechtssache T‑594/11

H-Holding AG mit Sitz in Cham (Schweiz), vertreten durch Rechtsanwalt R. Závodný,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission,

Beklagte,

betreffend einen Antrag auf Feststellung, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen hat, auf eine Beschwerde der Klägerin hin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten, und einen Antrag auf Ersatz des Schadens, der der Klägerin durch die von ihr geltend gemachte Untätigkeit der Kommission entstanden sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen (Berichterstatter) sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Verfahren und Anträge der Klägerin

1        Mit Klageschrift, die am 25. November 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

2        Sie beantragt,

–        die Rechtssache nach Art. 256 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV an den Gerichtshof zu verweisen;

–        festzustellen, dass sie im Zusammenhang mit ihrer Petition vom 15. Juli 2011 durch die Untätigkeit der Europäischen Kommission einen Schaden erlitten hat;

–        festzustellen, dass die Europäische Union für die Einhaltung der (vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene erlassenen) Regeln zuständig ist;

–        festzustellen, dass die Kommission verpflichtet ist, ein Verfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten, die in mehrfacher Hinsicht gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat;

–        die Kommission zu verurteilen, ihr einen Betrag von 33 616 084 CZK als Schadensersatz zu zahlen;

–        die Tschechische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen, die der Klägerin im vorliegenden Verfahren entstanden sind.

 Rechtliche Würdigung

3        Nach Art. 111 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist oder ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt oder wenn das Gericht für eine Klage offensichtlich unzuständig ist, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

4        Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend unterrichtet und beschließt, in Anwendung dieses Artikels ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

5        Die Klage kann im Wesentlichen dahin verstanden werden, dass sie auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen hat, auf die Beschwerde der Klägerin in Bezug auf eine tschechische politische Partei und auf verschiedene Entscheidungen tschechischer Gerichte und Behörden hin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten, und dass mit ihr der Ersatz des Schadens begehrt wird, der der Klägerin durch die von ihr geltend gemachte Untätigkeit der Kommission entstanden sein soll.

6        Was den Antrag der Klägerin auf Feststellung betrifft, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen hat, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten, ist darauf hinzuweisen, dass die Untätigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person, die sich auf die Feststellung richtet, dass die Kommission es unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, einen Beschluss zu fassen, indem sie gegen einen Mitgliedstaat kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, nach ständiger Rechtsprechung unzulässig ist (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1989, Star Fruit/Kommission, 247/87, Slg. 1989, 291, und Beschluss des Gerichts vom 12. November 1996, SDDDA/Kommission, T‑47/96, Slg. 1996, II‑1559, Randnr. 41). Natürliche oder juristische Personen können sich nämlich auf Art. 265 Abs. 3 AEUV nur berufen, um die Feststellung zu erwirken, dass ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union es unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, andere Akte als Empfehlungen oder Stellungnahmen zu erlassen, deren Adressaten sie sein können oder die sie entweder unmittelbar oder gegebenenfalls unmittelbar und individuell betreffen würden (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 26. November 1996, T. Port, C‑68/95, Slg. 1996, I‑6065, Randnrn. 58 und 59).

7        Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV kann die Kommission jedoch nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind (Beschlüsse des Gerichts vom 29. November 1994, Bernardi/Kommission, T‑479/93 und T‑559/93, Slg. 1994, II‑1115, Randnr. 31, und vom 19. Februar 1997, Intertronic/Kommission, T‑117/96, Slg. 1997, II‑141, Randnr. 32). Im Übrigen ergibt sich aus dem System des Art. 258 AEUV, dass weder die mit Gründen versehene Stellungnahme, die nur eine Vorstufe zur eventuellen Erhebung einer Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof ist, noch die Befassung des Gerichtshofs durch die tatsächliche Erhebung einer solchen Klage Akte sein können, die natürliche oder juristische Personen unmittelbar betreffen.

8        Daraus folgt, dass der Antrag der Klägerin, die Untätigkeit der Kommission festzustellen, die darin bestehen soll, dass sie unter Verletzung des Vertrags kein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat eingeleitet hat, als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen ist.

9        Was den Ersatz des Schadens betrifft, der der Klägerin durch die von ihr geltend gemachte Untätigkeit der Kommission entstanden sein soll, ist festzustellen, dass die Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, nicht rechtswidrig ist, da sie nicht verpflichtet ist, ein solches Verfahren einzuleiten, so dass diese Entscheidung die außervertragliche Haftung der Union nicht auslösen kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 23. Mai 1990, Asia Motor France/Kommission, C‑72/90, Slg. 1990, I‑2181, Randnr. 13, und Beschluss des Gerichts vom 14. Januar 2004, Makedoniko Metro und Michaniki/Kommission, T‑202/02, Slg. 2004, II‑181, Randnr. 43).

10      Folglich ist der Antrag der Klägerin auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die von ihr geltend gemachte Untätigkeit der Kommission in Form der Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens entstanden sein soll, als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend zurückzuweisen, ohne dass seine Zulässigkeit zu prüfen wäre.

11      Was den Antrag der Klägerin auf Feststellung betrifft, dass die Europäische Union für die Einhaltung der (vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene erlassenen) Regeln zuständig ist, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nicht für den Erlass deklaratorischer Urteile zuständig ist (Beschluss des Gerichts vom 25. Oktober 2011, DMA Die Marketing Agentur und Hofmann/Österreich, T‑472/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 10).

12      Hinsichtlich des Antrags, die Rechtssache nach Art. 256 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV an den Gerichtshof zu verweisen, genügt die Feststellung, dass die vorliegende Klage nicht den Charakter eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV hat.

13      Nach alledem ist die vorliegende Klage als teilweise offensichtlich unzulässig und teilweise offensichtlich unbegründet zurückzuweisen, ohne dass sie der Beklagten zugestellt werden müsste.

 Kosten

14      Da der vorliegende Beschluss vor einer Zustellung der Klageschrift an die Beklagte ergangen ist und dieser keine Kosten entstehen konnten, ist nur zu entscheiden, dass die Klägerin nach Art. 87 § 1 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die H-Holding AG trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 2. März 2012

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      H. Kanninen


* Verfahrenssprache: Deutsch.