Language of document : ECLI:EU:T:2024:425

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTS (Neunte erweiterte Kammer)

26. Juni 2024(*)

„Öffentlicher Dienst – Beamte – Dienstbezüge – Familienzulagen – Erziehungszulage – Verweigerung der Gewährung – Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts – Berufsausbildung – Hochschulbildung – Übertragung von Befugnissen – Rücknahme der übertragenen Befugnisse – Zuständige Anstellungsbehörde“

In der Rechtssache T‑698/21,

Georgios Paraskevaidis, wohnhaft in Wezembeek-Oppem (Belgien), vertreten durch Rechtsanwalt S. Pappas, Rechtsanwältin D.‑A. Pappa und Rechtsanwalt A. Pappas,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer und M. Alver als Bevollmächtigte,

und

Europäische Kommission, vertreten durch T. S. Bohr und I. Melo Sampaio als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas, der Richter L. Truchot und H. Kanninen, der Richterin R. Frendo (Berichterstatterin) sowie des Richters M. Sampol Pucurull,

Kanzler: A. Marghelis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens, insbesondere

–        der Einrede der Unzulässigkeit, die die Kommission mit am 27. Januar 2022 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem gesondertem Schriftsatz erhoben hat,

–        des Beschlusses vom 15. Juli 2022, die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorzubehalten,

auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2023

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 270 AEUV beantragt der Kläger, Herr Georgios Paraskevaidis, die Aufhebung erstens der Entscheidung des „Amtes für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche“ (PMO) vom 4. Februar 2021, die in seinem Schreiben vom 1. März 2021 wiederholt wird, wonach ihm für die von November 2019 bis August 2020 absolvierte Ausbildung seiner Tochter keine Erziehungszulage zustehe, sowie der am 9. März 2021 übermittelten Entscheidung, mit der die Ratenzahlung der zu Unrecht erhaltenen Beträge festgesetzt wurde (im Folgenden zusammen: Entscheidungen des PMO), und zweitens der Entscheidung der Anstellungsbehörde des Rates der Europäischen Union vom 19. Juli 2021, mit der die Beschwerde des Klägers gegen diese Entscheidungen zurückgewiesen wurde (im Folgenden: Entscheidung über die Beschwerde).

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Der Kläger ist Beamter beim Rat.

3        Mit dem Beschluss (EU) 2019/792 des Rates vom 13. Mai 2019 zur Beauftragung der Europäischen Kommission des Amts für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche (PMO) mit der Ausübung bestimmter der Anstellungsbehörde und der zum Abschluss der Dienstverträge ermächtigten Stelle übertragenen Befugnisse (ABl. 2019, L 129, S. 3, im Folgenden: Beschluss vom 13. Mai 2019) beauftragte der Rat das PMO u. a. mit der Ausübung der Befugnisse zur Gewährung und Verwaltung der Erziehungszulagen. Nach Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses verzichtet das PMO zugunsten des Rates auf die Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse, wenn die Anstellungsbehörde bzw. die zum Abschluss der Dienstverträge ermächtigte Stelle des Rates dies im Einzelfall wünscht.

4        Zwischen dem 25. November 2019 und dem 30. August 2020 absolvierte die Tochter des Klägers ein Ausbildungsprogramm in pädagogischer Psychologie (im Folgenden: Ausbildungsprogramm). Während des Ausbildungsprogramms wurde dem Kläger gemäß Art. 3 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) eine Erziehungszulage gezahlt.

5        Am 4. Februar 2021 stellte das PMO dem Kläger eine Entscheidung zu, mit der ihm der Anspruch auf die Erziehungszulage mit der Begründung verweigert wurde, dass das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET), zu dem das Ausbildungsprogramm berechtige, kein höheres Niveau habe. Folglich seien die ihm als Erziehungszulage gezahlten Beträge zurückzufordern.

6        Am 1. März 2021 wiederholte das PMO auf einen vom Kläger am 27. Februar 2021 gestellten Antrag auf erneute Prüfung die oben in Rn. 5 genannte Entscheidung und wies darauf hin, dass die Tochter des Klägers nur 21 ECVET‑Punkte erhalten habe, während nach der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 zur Gewährung der Erziehungszulage und zur Auslegung des Begriffs des regelmäßigen und vollzeitlichen Besuchs einer Lehranstalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts, die vom Kollegium der Verwaltungschefs in seiner 284. Sitzung vom 1. Juli 2020 (im Folgenden: überarbeitete Schlussfolgerung 237/05) gebilligt wurde, die Voraussetzung eines regelmäßigen und vollzeitlichen Besuchs einer Lehranstalt der Gewährung von 30 Punkten im Rahmen des Europäischen Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) entspreche.

7        Am 9. März 2021 übermittelte das PMO dem Kläger einen Plan für die Rückzahlung der zu Unrecht als Erziehungszulage erhaltenen Beträge.

8        Am 31. März 2021 legte der Kläger mittels eines über das Personalverwaltungssystem des Rates gesendeten Online-Formulars beim Rat Beschwerde nach Art. 90 Abs. 2 des Statuts gegen die Entscheidungen des PMO ein (im Folgenden: Beschwerde) und stellte insbesondere die Anwendbarkeit der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 in Abrede. Am 21. April 2021 legte er eine gleichlautende Beschwerde bei der Kommission ein.

9        Mit Schreiben vom 23. April 2021 forderte der Rat das PMO gemäß Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses vom 13. Mai 2019 auf, auf die Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse einer Anstellungsbehörde in Bezug auf die Beschwerde des Klägers zu verzichten. Das PMO kam dieser Aufforderung mit Schreiben vom 10. Juni 2021 nach (im Folgenden: Rücknahme der übertragenen Befugnisse).

10      Am 19. Juli 2021 teilte der Rat dem Kläger die Rücknahme der übertragenen Befugnisse mit und wies die Beschwerde zurück. Er stellte im Wesentlichen fest, dass die Erziehungszulage dem Kläger nach Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts nicht zugestanden habe, da das Ausbildungsprogramm beruflicher Art sei und nicht zu einem Diplom führe. Er fügte hinzu, dass es unter diesen Umständen nicht erforderlich sei, sich zur Anwendbarkeit der in der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 vorgesehenen Mindestschwelle von 30 ECTS-Punkten zu äußern.

II.    Anträge der Parteien

11      Der Kläger beantragt,

–        die Klage in vollem Umfang für zulässig zu erklären;

–        die Entscheidungen des PMO und die Entscheidung über die Beschwerde aufzuheben;

–        der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

12      Die Kommission beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären, soweit sie gegen sie gerichtet ist;

–        hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

13      Der Rat beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

A.      Zur Zulässigkeit

14      Die Klage ist auf die Aufhebung mehrerer Entscheidungen von zwei verschiedenen Organen gerichtet, mit denen dem Kläger die Gewährung der Erziehungszulage verweigert wurde. Die Entscheidungen des PMO sind der Kommission zuzuordnen, während die Entscheidung über die Beschwerde – infolge der Rücknahme der übertragenen Befugnisse im Vorverfahren – von der Anstellungsbehörde des Rates stammt.

15      Die Kommission macht geltend, die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen sie richte, da sie nicht die zuständige Anstellungsbehörde sei, von der die Entscheidung über die Beschwerde stamme; diese stelle die einzige den Kläger beschwerende Maßnahme dar. In Anbetracht der Rücknahme der übertragenen Befugnisse durch den Rat sowie der Änderung der rechtlichen Argumente, die die Entscheidung über die Beschwerde stützten, sei diese Entscheidung an die Stelle der Entscheidungen des PMO getreten.

16      In der Klagebeantwortung hat der Rat ebenfalls geltend gemacht, dass die Klage aufgrund der Rücknahme der übertragenen Befugnisse nur gegen ihn erhoben werden könne.

17      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Vorverfahren in Anbetracht seines eigentlichen Zwecks, es der Verwaltung zu ermöglichen, ihre Entscheidungen zu überdenken, einen evolutiven Charakter aufweist, so dass sich die Verwaltung nach dem Rechtsbehelfssystem der Art. 90 und 91 des Statuts veranlasst sehen kann, die Gründe, auf die sie die angefochtene Maßnahme gestützt hat, abzuändern, obwohl sie die Beschwerde zurückweist (vgl. Urteil vom 26. März 2014, CP/Parlament, F‑8/13, EU:F:2014:44, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ziel des Beschwerdeverfahrens ist es nämlich, der Anstellungsbehörde die Überprüfung der angefochtenen Maßnahme im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen zu ermöglichen, gegebenenfalls unter Änderung der Gründe, auf die sich der Tenor der Maßnahme stützt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2014, Mocová/Kommission, T‑347/12 P, EU:T:2014:268, Rn. 32 und 33).

18      Somit steht die Ergänzung der Begründung im Stadium der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde mit dem Zweck von Art. 90 Abs. 2 des Statuts, der gerade eine begründete Entscheidung vorsieht, im Einklang. Denn diese Bestimmung impliziert notwendigerweise, dass die über die Beschwerde entscheidende Behörde an die Begründung der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung nicht gebunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2017, Skareby/EAD, T‑585/16, EU:T:2017:613, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Unter diesen Umständen bewirkt die Klageerhebung, selbst wenn sie formal gegen die Zurückweisung der Beschwerde gerichtet ist, dass das Gericht mit der beschwerenden Maßnahme befasst wird, gegen die die Beschwerde gerichtet ist, es sei denn, die Zurückweisung der Beschwerde hat einen anderen Umfang als die Maßnahme, gegen die sich die Beschwerde richtet. Es kann sein, dass eine ausdrückliche Entscheidung über die Zurückweisung einer Beschwerde in Anbetracht ihres Inhalts die vom Kläger angefochtene Maßnahme nicht bloß bestätigt. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung über die Beschwerde eine Überprüfung der Lage des Klägers aufgrund neuer rechtlicher oder tatsächlicher Umstände enthält oder die ursprüngliche Entscheidung ändert oder vervollständigt. In diesen Fällen stellt die Zurückweisung der Beschwerde eine Handlung dar, die der Kontrolle durch das Gericht unterliegt, das diese Handlung bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme berücksichtigt oder sie sogar als eine beschwerende Maßnahme ansieht, die an die Stelle der angefochtenen Maßnahme tritt (vgl. Urteil vom 21. Mai 2014, Mocová/Kommission, T‑347/12 P, EU:T:2014:268, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20      Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung über die Beschwerde vom Rat getroffen, nachdem dieser das PMO gemäß Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses vom 13. Mai 2019 aufgefordert hatte, auf seine Befugnisse als Anstellungsbehörde zu verzichten. Der Rat bestätigt die Verweigerung der Gewährung der Erziehungszulage. Die Begründung für die Entscheidung über die Beschwerde unterscheidet sich jedoch von der in den Entscheidungen des PMO enthaltenen. Während sich das PMO auf die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05 stützte, um festzustellen, dass das Ausbildungsprogramm das für die Einstufung als Hochschulbildung erforderliche quantitative Kriterium der Mindestschwelle von 30 ECTS-Punkten nicht erfülle, lässt der Rat dieses Kriterium vollständig beiseite und stützt sich stattdessen auf ein qualitatives Kriterium, das die Analyse auf die Natur des Ausbildungsprogramms selbst konzentriert.

21      Daher ist festzustellen, dass der Rat mit der Entscheidung über die Beschwerde eine erneute Prüfung der Situation des Klägers vorgenommen hat und die in den Entscheidungen des PMO enthaltenen Gründe vollständig geändert hat. Diese Entscheidung hat somit einen eigenständigen Inhalt und einen anderen Umfang als die Entscheidungen des PMO und kann nicht als bloße Bestätigung dieser Entscheidungen angesehen werden.

22      Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Beschwerde an die Stelle der Entscheidungen des PMO getreten ist und im vorliegenden Fall die beschwerende Maßnahme darstellt.

23      Folglich ist die Klage unzulässig, soweit sie gegen die Entscheidungen des PMO und damit gegen die Kommission, von der sie stammen, gerichtet ist.

B.      Zur Begründetheit

24      Der Kläger stützt seine Klage im Wesentlichen auf drei Klagegründe:

–        erstens einen Verstoß gegen das Gebot rechtmäßigen Handelns aufgrund zum einen des Fehlens einer in zeitlicher Hinsicht anwendbaren Rechtsgrundlage und zum anderen einer rechtswidrigen rückwirkenden Anwendung der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05;

–        zweitens eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05, mit der eine Unterscheidung zwischen Berufsausbildungsprogrammen und Programmen, die zu einem Diplom führen, getroffen werde, sowie die Unzuständigkeit der Verwaltungschefs für die Festlegung dieser Unterscheidung;

–        drittens einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts.

25      Im Stadium der Erwiderung macht der Kläger einen vierten Klagegrund geltend, nämlich die Rechtswidrigkeit der Rücknahme der übertragenen Befugnisse, die folglich die Zuständigkeit des Rates für den Erlass der Entscheidung über die Beschwerde in Frage stellt.

26      Das Gericht wird zunächst den ersten und den zweiten Klagegrund zusammen prüfen, dann den vierten Klagegrund und schließlich den dritten Klagegrund.

1.      Zum ersten und zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen das Gebot rechtmäßigen Handelns durch die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05 aufgrund ihrer rückwirkenden Anwendung und rechtswidrige Unterscheidung zwischen Bildungsprogrammen

27      Mit seinem ersten Klagegrund wendet sich der Kläger im Wesentlichen gegen die rückwirkende Anwendung der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 und macht somit geltend, dass es für die Entscheidungen des PMO an einer in zeitlicher Hinsicht anwendbaren Rechtsgrundlage fehle.

28      Mit seinem zweiten Klagegrund erhebt der Kläger eine Einrede der Rechtswidrigkeit gegen die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05, soweit darin eine Unterscheidung zwischen Berufsausbildungsprogrammen und Programmen, die zu einem Diplom führen, getroffen werde. Der Kläger macht außerdem geltend, dass die Verwaltungschefs für die Festlegung dieser Unterscheidung unzuständig seien.

29      Der Rat tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

30      Insoweit ist festzustellen, dass sich, wie oben aus den Rn. 6 und 10 sowie aus den Rn. 19 und 20 hervorgeht, die Entscheidungen des PMO zwar auf die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05 stützten, die mit dem ersten und dem zweiten Klagegrund angegriffen wird, dass aber die Anstellungsbehörde des Rates in der Entscheidung über die Beschwerde die rechtlichen Gesichtspunkte vollständig geändert hat, um zu dem Schluss zu gelangen, dass dem Kläger die Erziehungszulage nicht zugestanden habe.

31      Insbesondere wurde in der Entscheidung über die Beschwerde die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05, die die Rechtsgrundlage für die Entscheidungen des PMO darstellte, beiseitegelassen, indem darauf hingewiesen wurde, dass es nicht erforderlich sei, über die Anwendbarkeit der in der überarbeiteten Schlussfolgerung enthaltenen Mindestschwelle von 30 ECTS-Punkten zu entscheiden.

32      Daraus folgt, dass sich der erste und der zweite Klagegrund ausschließlich auf die Entscheidungen des PMO beziehen.

33      Wie oben in Rn. 23 festgestellt, ist die Klage jedoch unzulässig, soweit sie auf die Aufhebung der Entscheidungen des PMO gerichtet ist, so dass der erste und der zweite Klagegrund, die sich darauf beziehen, als ins Leere gehend zurückzuweisen sind.

2.      Zum vierten Klagegrund: Unzuständigkeit des Rates für die Rücknahme der Übertragung der Befugnisse auf das PMO und den Erlass der Entscheidung über die Beschwerde

a)      Zur Zulässigkeit des vierten Klagegrundes

34      Der Rat stellt die Zulässigkeit des vierten Klagegrundes in Abrede und macht geltend, nach Art. 84 der Verfahrensordnung des Gerichts sei das Vorbringen eines neuen Klagegrundes, der sich nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkten ergebe, die erst nach Klageerhebung zutage getreten seien, im Laufe des Verfahrens unzulässig. Da der Rat in der Entscheidung über die Beschwerde den Kläger über die Rücknahme der übertragenen Befugnisse in Kenntnis gesetzt habe, sei der vom Kläger im Stadium der Erwiderung vorgebrachte Klagegrund verspätet und daher unzulässig.

35      Hierzu ist festzustellen, dass zwar grundsätzlich das Vorbringen eines neuen Klage- oder Verteidigungsgrundes den Anforderungen von Art. 84 der Verfahrensordnung genügen muss, diese Anforderungen jedoch nicht gelten, wenn ein Klage- oder Verteidigungsgrund zwar als neu eingestuft werden kann, aber einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. September 2016, La Ferla/Kommission und ECHA, T‑392/13, EU:T:2016:478, Rn. 65, und vom 24. September 2019, Yanukovych/Rat, T‑301/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:676, Rn. 64).

36      Wie der Kläger geltend macht, betrifft der Klagegrund der Unzuständigkeit des Urhebers einer beschwerenden Maßnahme einen Gesichtspunkt zwingenden Rechts, so dass er in jedem Verfahrensstadium geltend gemacht werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2018, Pipiliagkas/Kommission, T‑689/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:925, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. September 2022, Grieger/Kommission, T‑517/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:588, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Folglich ist der vierte Klagegrund zulässig.

b)      Zur Begründetheit des vierten Klagegrundes

38      Der Kläger macht geltend, dass die Entscheidung über die Beschwerde wegen Unzuständigkeit ihres Urhebers rechtswidrig sei. Insoweit erhebt er im Wesentlichen zwei Rügen.

39      Als Erstes trägt er vor, der Rat habe die Übertragung der Befugnisse auf das PMO nur in ihrer Gesamtheit und nicht für einen Einzelfall widerrufen können. Die Art. 90c und 91a des Statuts unterbänden eine Rücknahme der übertragenen Befugnisse, wenn das PMO die Befugnisse der Anstellungsbehörde, die Gegenstand der Übertragung seien, bereits ausgeübt habe. Außerdem werfe diese Rücknahme der übertragenen Befugnisse Fragen hinsichtlich des Grundsatzes der Rechtssicherheit auf.

40      Als Zweites rügt der Kläger eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, da die Einzelfallentscheidung über die Rücknahme der Befugnisse durch den Rat nach der Beschwerde des Klägers nicht bekannt gemacht worden sei.

41      Der Rat tritt diesem Vorbringen entgegen.

1)      Zur ersten Rüge: Unzuständigkeit des Rates, eine Rücknahme der übertragenen Befugnisse für einen Einzelfall vorzunehmen

42      Nach Art. 2 Abs. 2 des Statuts können ein oder mehrere Organe einem der Organe oder einer gemeinsamen Einrichtung einige oder alle Befugnisse übertragen, die der Anstellungsbehörde übertragen wurden; davon ausgenommen sind Entscheidungen über die Ernennung, die Beförderung oder die Versetzung von Beamten. Im vorliegenden Fall hat der Rat gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a erster Gedankenstrich des Beschlusses vom 13. Mai 2019 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, indem er dem PMO u. a. seine Befugnisse als Anstellungsbehörde zur Gewährung und Verwaltung der von seinen Beamten und Bediensteten gestellten Anträge auf Erziehungszulage übertrug.

43      In Bezug auf Bereiche, auf die Art. 2 Abs. 2 des Statuts angewendet worden ist, bestimmt Art. 90c des Statuts, dass Beschwerden an die Anstellungsbehörde zu richten sind, der die Befugnisse übertragen worden sind, während nach Art. 91a des Statuts Klagen gegen das Organ zu richten sind, dem gegenüber die Anstellungsbehörde, der die Befugnisse übertragen worden sind, rechenschaftspflichtig ist.

44      Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die Anstellungsbehörde der Kommission grundsätzlich für den Erlass aller Entscheidungen über eine im Bereich der Erziehungszulage eingelegte Beschwerde in Bezug auf die Beamten und Beschäftigten des Rates zuständig war.

45      Darüber hinaus stellt die Übertragung einer Befugnis nach der Rechtsprechung eine Maßnahme dar, die der übertragenden Behörde die übertragene Befugnis entzieht und somit einen Übergang von Befugnissen bewirkt, der es der übertragenden Behörde grundsätzlich verwehrt, sich auf die übertragene Befugnis zu berufen, soll ihre Entscheidung nicht mit einem Zuständigkeitsmangel behaftet sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2018, Janssen‑Cases/Kommission, T‑688/16, EU:T:2018:822, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Es ist jedoch zum einen darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber im Statut die Möglichkeit einer Rücknahme von auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 2 des Statuts übertragenen Befugnissen durch das übertragende Organ nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.

47      Zum anderen erkennt die Rechtsprechung an, dass die übertragende Behörde die Zuständigkeit erneut ausüben kann, wobei der Grundsatz der Rechtssicherheit, der dem förmlichen Charakter der Befugnisübertragung zugrunde liegt, verlangt, dass sie zuvor einen ausdrücklichen Rechtsakt erlässt, mit dem sie die übertragene Befugnis wieder zurückerlangt. Ebenso wie eine Befugnisübertragung den Erlass eines ausdrücklichen Rechtsakts erfordert, durch den die fragliche Befugnis übertragen wird, muss also auch die Rücknahme der übertragenen Befugnisse durch Erlass eines ausdrücklichen Rechtsakts erfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2018, Janssen‑Cases/Kommission, T‑688/16, EU:T:2018:822, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Im Übrigen verlangt der Grundsatz der guten Verwaltung nach der Rechtsprechung insbesondere, dass die Aufteilung der Befugnisse im Bereich der Personalverwaltung klar definiert und ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 9. Juli 2008, Kuchta/EZB, F‑89/07, EU:F:2008:97, Rn. 62).

49      Im vorliegenden Fall war das PMO erstens nach Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses vom 13. Mai 2019 verpflichtet, dem Rat bis zum 31. Dezember 2021 alle bei ihm eingegangenen Beschwerden gegen eine einen Beamten oder Bediensteten des Rates betreffende Entscheidung mitzuteilen. Diese Bestimmung sieht vor, dass, „[wenn] die Anstellungsbehörde bzw. die zum Abschluss der Dienstverträge ermächtigte Stelle des Rates dies im Einzelfall wünscht, … das PMO auf die Ausübung der ihm nach Absatz 1 des vorliegenden Artikels übertragenen Befugnisse [verzichtet] und … die Anstellungsbehörde bzw. die zum Abschluss der Dienstverträge ermächtigte Stelle des Rates in einem solchen Fall ihre Befugnisse [ausübt]“. Somit ermächtigte diese Bestimmung den Rat ausdrücklich, das PMO aufzufordern, auf die ihm übertragenen Befugnisse der Anstellungsbehörde zu verzichten, damit der Rat sie wieder selbst ausüben kann.

50      Daraus folgt, dass Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses vom 13. Mai 2019 den Rat ausdrücklich zu einer Rücknahme der übertragenen Befugnisse ermächtigte, und zwar gerade in Einzelfällen und nach Einlegung einer Beschwerde.

51      Zweitens wird nicht bestritten, dass der Beschluss vom 13. Mai 2019 ordnungsgemäß im Amtsblatt veröffentlicht wurde.

52      Drittens hat der Rat seine Zuständigkeit erst im Anschluss an einen ausdrücklichen vorherigen Rechtsakt ausgeübt, mit dem er das PMO am 23. April 2021 aufforderte, auf die Ausübung der im vorliegenden Fall übertragenen Befugnisse zu verzichten – eine Aufforderung, der das PMO am 10. Juni 2021 nachkam (vgl. oben, Rn. 9).

53      Aus den Erwägungen oben in den Rn. 49 bis 52 folgt, dass die Rücknahme der übertragenen Befugnisse den sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebenden Anforderungen, insbesondere im Sinne der oben in den Rn. 47 und 48 angeführten Rechtsprechung, genügte.

54      Unter diesen Umständen kann insbesondere der Umstand, dass nach Art. 90c des Statuts Anträge und Beschwerden im Zusammenhang mit übertragenen Befugnissen an die Anstellungsbehörde zu richten sind, der die Befugnisse übertragen worden sind, nicht einem gesetzlichen Verbot der vollständigen oder einzelfallbezogenen Rücknahme solcher Befugnisse durch ihren Inhaber gleichgestellt werden. Ebenso wenig verbietet diese Bestimmung, wie der Kläger meint, die Rücknahme der übertragenen Befugnisse im Laufe des Vorverfahrens, insbesondere in Anbetracht dessen evolutiven Charakters, wie er in der oben in Rn. 17 angeführten Rechtsprechung dargelegt wurde.

55      Folglich ist die erste Rüge, mit der die Unzuständigkeit des Rates, eine Rücknahme der übertragenen Befugnisse für einen Einzelfall vorzunehmen, geltend gemacht wird, zurückzuweisen.

2)      Zur zweiten Rüge: fehlende Bekanntmachung der Einzelfallentscheidung über die Rücknahme der übertragenen Befugnisse

56      Der Kläger wirft dem Rat vor, die Einzelfallentscheidung über die Rücknahme der Befugnisse nach seiner Beschwerde nicht bekannt gemacht zu haben.

57      Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Klageschrift nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung in ihrer Auslegung nach ständiger Rechtsprechung die geltend gemachten Klagegründe und Argumente enthalten muss und diese hinreichend klar und bestimmt sein müssen, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung gegebenenfalls ohne Einholung weiterer Informationen zu ermöglichen. Andernfalls ist die unklare oder unbestimmte Rüge unzulässig (vgl. Urteil vom 23. März 2022, ON/Kommission, T‑730/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:155, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Im vorliegenden Fall macht der Kläger geltend, der Rat habe dadurch, dass er die Entscheidung über die Rücknahme der Befugnisübertragung in Bezug auf die Beschwerde nicht bekannt gemacht habe, gegen eine wesentliche Formvorschrift verstoßen. Er hat jedoch keine Rechtsgrundlage angegeben, die eine Verpflichtung zur Bekanntmachung der Einzelfallentscheidung begründen würde, und sein Vorbringen zu dieser Rüge nicht weiter und in hinreichend klarer und bestimmter Weise begründet.

59      Folglich ist dieses Vorbringen nach Art. 76 der Verfahrensordnung als unzulässig zurückzuweisen.

60      Selbst wenn der Kläger mit seiner zweiten Rüge geltend machen wollte, dass die Einzelfallentscheidung über die Rücknahme der übertragenen Befugnisse in Bezug auf die Beschwerde ihm gegenüber nicht bekannt gemacht worden sei, so ist jedenfalls festzustellen, dass diese Bekanntmachung am 10. Juni 2021, dem Datum des Schreibens des PMO, mit dem es dem Rat sein Einverständnis mit dem Verzicht auf die Ausübung der übertragenen Befugnisse erklärte, erfolgt ist. Dieses Schreiben wurde dem Kläger zwar nicht zugestellt, und er wurde davon erst zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung über die Beschwerde am 19. Juli 2021, d. h. fünfeinhalb Wochen später, in Kenntnis gesetzt (vgl. oben, Rn. 9 und 10).

61      Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch die verspätete Mitteilung einer Einzelfallentscheidung an ihren Adressaten nicht deren Aufhebung nach sich ziehen, da die Mitteilung eine Handlung ist, die auf die Entscheidung folgt, und daher keinen Einfluss auf den Inhalt der Entscheidung hat (Urteile vom 29. Oktober 1981, Arning/Kommission, 125/80, EU:C:1981:248, Rn. 9, und vom 7. Februar 2007, Caló/Kommission, T‑118/04 und T‑134/04, EU:T:2007:37, Rn. 79).

62      Im Übrigen reichte der Kläger, wie oben aus Rn. 8 hervorgeht, seine Beschwerde zunächst beim Rat und erst drei Wochen später bei der Kommission ein, indem er ihr eine Kopie der beim Rat eingelegten Beschwerde übermittelte.

63      Außerdem trägt der Kläger nicht vor und belegt erst recht nicht, dass der Umstand, dass die Entscheidung über die Beschwerde vom Rat und nicht von der Kommission erlassen wurde, als solcher geeignet gewesen wäre, gegen eine der Garantien, die ihm durch das Statut gewährt werden, oder gegen die Regeln einer ordnungsgemäßen Verwaltung im Bereich Personalverwaltung zu verstoßen.

64      Folglich ist festzustellen, dass der Rücknahme der übertragenen Befugnisse durch den Rat kein Verfahrensfehler anhaftet, so dass der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass die Entscheidung über die Beschwerde von einer unzuständigen Behörde getroffen worden sei.

65      Der vierte Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

3.      Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts

66      Mit dem dritten Klagegrund, der sich in zwei Teile gliedert, wird ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts gerügt.

67      Im Rahmen des ersten Teils macht der Kläger geltend, im Sinne der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 sei die Voraussetzung des „vollzeitlichen“ Besuchs einer Hochschule im Wesentlichen nur dann erfüllt, wenn das absolvierte Studium 30 ECTS-Punkten entspreche. Somit sei mit dieser überarbeiteten Schlussfolgerung eine rechtswidrige zusätzliche Bedingung aufgestellt worden, indem sie die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts unter Ausschluss jeder Berufsausbildung, die zur Gewährung von ECVET‑Einheiten berechtige, auf Programme der akademischen Ausbildung beschränke.

68      Wie sich aber aus den vorstehenden Rn. 30 bis 32 ergibt, hat die Anstellungsbehörde des Rates die überarbeitete Schlussfolgerung 237/05, die die Rechtsgrundlage für die Entscheidungen des PMO darstellte, vollständig beiseitegelassen, so dass der erste Teil des dritten Klagegrundes, der sich auf diese Entscheidungen bezieht, als ins Leere gehend zurückzuweisen ist.

69      Zur Begründung des zweiten Teils des dritten Klagegrundes macht der Kläger geltend, die Entscheidung über die Beschwerde habe gegen Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts verstoßen, indem sie eine Unterscheidung zwischen Hochschulbildung und Berufsbildung geschaffen habe.

70      Der Rat tritt diesem Vorbringen entgegen.

71      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts die Erziehungszulage für jedes mindestens fünf Jahre alte unterhaltsberechtigte Kind zusteht, das regelmäßig und vollzeitlich eine gebührenpflichtige Primar- oder Sekundarschule bzw. eine Hochschule besucht.

72      In der Entscheidung über die Beschwerde hat der Rat festgestellt, dass die Erziehungszulage dem Kläger nicht zustehe. Zum einen sei das Ausbildungsprogramm beruflicher Art und führe zum Erhalt von ECVET‑Einheiten und nicht von ECTS-Punkten. Zum anderen verleihe es kein Recht auf einen Universitätsabschluss des zweiten oder dritten Studienzyklus und gehöre daher nicht zur Hochschulbildung im Sinne des griechischen Bildungssystems. Der Rat hat daraus geschlossen, dass das Ausbildungsprogramm nicht als „Hochschul[bildung]“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts angesehen werden könne.

73      Im Laufe des vorliegenden Verfahrens hat der Rat vorgetragen, dass Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts, der einen Anspruch auf Gewährung der Erziehungszulage begründe, im Licht von Art. 2 Abs. 3 Buchst. b dieses Anhangs auszulegen sei, der die Gewährung einer Zulage für ein unterhaltsberechtigtes Kind vorsehe, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befinde.

74      Der Umstand, dass der Begriff „Berufsausbildung“ in Art. 2 Abs. 3 Buchst. b des Anhangs VII des Statuts, der die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder betreffe, nicht aber in Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts über die Erziehungszulage enthalten sei, zeige, dass der Begriff „Berufsausbildung“ ein eigenständiger Begriff sei, der sich von dem der „Hochschul[bildung]“ unterscheide, von dem Art. 3 Abs. 1 dieses Anhangs die Gewährung der Erziehungszulage u. a. abhängig mache. Daher könne die Hochschulbildung nicht die Berufsausbildung umfassen, so dass die Erziehungszulage nicht zustehe, wenn das betreffende Kind eine Berufsausbildung absolviere.

75      Hierzu stellt das Gericht fest, dass Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts, wie oben aus Rn. 71 hervorgeht, u. a. drei Voraussetzungen für die Gewährung einer Erziehungszulage verlangt, nämlich erstens den Besuch einer Hochschule, zweitens die Regelmäßigkeit dieses Besuchs und drittens den Umstand, dass der Besuch vollzeitlich erfolgt. So erwähnt Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts in keiner Weise die Art der Ausbildung als solche.

76      Zwar hat der Gesetzgeber die Art der von einer Hochschule erteilten Ausbildung im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts nicht erwähnt, während er dies im Rahmen von Art. 2 Abs. 3 Buchst. b dieses Anhangs getan hat, doch ist es entgegen dem Vorbringen des Rates weder Sache des Rates noch des Gerichts, diese als zusätzliche Voraussetzung anzusehen.

77      So hat das Gericht bereits festgestellt, dass die Unterscheidung zwischen Schul- und Berufsausbildung in Art. 2 Abs. 3 Buchst. b des Anhangs VII des Statuts es zwar erlaubt, die in Art. 3 Abs. 1 dieses Anhangs vorgesehene Zahlung der Erziehungszulage auszuschließen, wenn das unterhaltsberechtigte Kind eine Berufsausbildung ohne irgendeine Beziehung zu einer Lehranstalt erhält. Diese Unterscheidung steht der Zahlung der Erziehungszulage jedoch nicht entgegen, wenn ein unterhaltsberechtigtes Kind eine Berufsausbildung in einer Lehranstalt erhält, die es regelmäßig und vollzeitlich besucht (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 29. Januar 1993, Wery/Parlament, T‑86/91, EU:T:1993:7, Rn. 44, 45, 50 und 51).

78      Folglich hat die berufliche Natur der Ausbildung keine Auswirkung auf die Gewährung der Erziehungszulage nach Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts, sofern die Ausbildung von einer Lehranstalt erteilt wird.

79      Diese Auslegung wird durch den dritten Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 317/2013 der Kommission vom 8. April 2013 zur Änderung der Anhänge der Verordnungen (EG) Nr. 1983/2003, (EG) Nr. 1738/2005, (EG) Nr. 698/2006, (EG) Nr. 377/2008 und (EU) Nr. 823/2010 in Bezug auf die Internationale Standardklassifikation für das Bildungswesen (ABl. 2013, L 99, S. 1) gestützt, wonach von den Organen der Union Bildungsklassifikationen zu verwenden sind, die mit der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen 2011 (ISCED) übereinstimmen. Nr. 2 Abs. 2 der überarbeiteten Schlussfolgerung 237/05 bezieht sich für die Definition des Begriffs des vollzeitlichen Besuchs einer Hochschule tatsächlich auf die ISCED.

80      In der mündlichen Verhandlung hat der Rat jedoch zum einen eingeräumt, dass die Definition von Hochschulbildung durch die ISCED sowohl das umfasst, was gemeinhin als akademische Bildung verstanden wird, als auch das, was der fortgeschrittenen beruflichen Bildung entspricht, und zum anderen, dass die Universität der Ägäis (Griechenland), an der das Ausbildungsprogramm durchgeführt wurde, eine Hochschule ist.

81      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Rat dem Kläger die Gewährung der Erziehungszulage nicht mit der Begründung verweigern konnte, das Ausbildungsprogramm könne nicht als „Hochschul[bildung]“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Anhangs VII des Statuts angesehen werden.

82      Nach alledem ist zum einen dem zweiten Teil des dritten Klagegrundes stattzugeben und folglich die Entscheidung über die Beschwerde aufzuheben; zum anderen ist die Klage im Übrigen abzuweisen.

IV.    Kosten

83      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

84      Jedoch entscheidet das Gericht nach Art. 135 Abs. 1 der Verfahrensordnung aus Gründen der Billigkeit, dass eine unterliegende Partei neben ihren eigenen Kosten nur einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt oder gar nicht zur Tragung dieser Kosten zu verurteilen ist.

85      Im vorliegenden Fall ist der Kläger hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage unterlegen, soweit sie gegen die Entscheidungen des PMO und damit gegen die Kommission gerichtet ist.

86      Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Übergangsbestimmung in Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses vom 13. Mai 2019 in Verbindung mit den Art. 90c und 91a des Statuts (vgl. oben, Rn. 43 und 49) eine gewisse Unklarheit hinsichtlich der im vorliegenden Fall beschwerenden Maßnahme schaffen konnte.

87      Unter diesen Umständen erscheint es bei angemessener Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geboten, der Kommission ihre eigenen Kosten aufzuerlegen, auch wenn der Kläger mit seinen Anträgen unterlegen ist, soweit sie gegen die Kommission gerichtet sind.

88      Da der Rat in der Sache unterlegen ist, sind ihm seine eigenen Kosten sowie die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage ist unzulässig, soweit sie gegen die Europäische Kommission gerichtet ist.

2.      Die Entscheidung des Rates der Europäischen Union vom 19. Juli 2021, mit der die von Herrn Georgios Paraskevaidis gegen die Entscheidungen des „Amtes für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche“ der Kommission vom 4. Februar 2021, vom 1. März 2021 und vom 9. März 2021 eingereichte Beschwerde zurückgewiesen wurde, wird aufgehoben.

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Der Rat trägt seine eigenen Kosten sowie die Kosten von Herrn Paraskevaidis.

5.      Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

Papasavvas

Truchot

Kanninen

Frendo

 

Sampol Pucurull

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. Juni 2024.

Der Kanzler

 

Der Präsident

V. Di Bucci


*      Verfahrenssprache: Englisch.