Language of document : ECLI:EU:C:2014:67

Rechtssache C‑530/11

Europäische Kommission

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten – Begriff ‚nicht übermäßig teures‘ Gerichtsverfahren“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 13. Februar 2014

1.        Handlungen der Organe – Richtlinien – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten – Richtlinie, die Ansprüche des Einzelnen begründen soll – Erfordernisse der Klarheit und der Rechtssicherheit – Umsetzung durch die Rechtsprechungspraxis – Zulässigkeit

(Richtlinie 2003/35 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4)

2.        Vertragsverletzungsklage – Streitgegenstand – Bestimmung während des Vorverfahrens

(Art. 258 AEUV)

3.        Umwelt – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten –Richtlinien 85/337 und 96/61 – Umsetzung der Richtlinie 2003/35 – Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs – Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Verfahrens – Ermessen des innerstaatlichen Gerichts – Erfordernis einer Rechtsvorschrift, durch die sichergestellt wird, dass das Verfahren nicht übermäßig teuer ist

(Richtlinie 2003/35 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4; Richtlinien 85/337 des Rates, Art. 10a, und 96/61, Art. 15a)

4.        Vertragsverletzungsklage – Nachweis der Vertragsverletzung – Obliegenheit der Kommission – Vermutungen – Unzulässigkeit

(Art. 258 AEUV)

5.        Umwelt – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten –Richtlinien 85/337 und 96/61 – Umsetzung der Richtlinie 2003/35 – Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs – Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Verfahrens – Regelung der Gegenverpflichtung gegenüber einstweiligen Anordnungen – Einbeziehung

(Richtlinie 2003/35 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4; Richtlinien 85/337 des Rates, Art. 10a, und 96/61, Art. 15a)

1.        Die Umsetzung einer Richtlinie erfordert nicht unbedingt eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche spezifische Rechtsvorschrift, sondern es kann insoweit auch ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn er tatsächlich ihre vollständige Anwendung hinreichend klar und bestimmt gewährleistet.

Insbesondere für den Fall, dass die fragliche Vorschrift dem Einzelnen Rechte verleihen soll, muss die Rechtslage hinreichend bestimmt und klar sein, und die Begünstigten müssen in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen, und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

Insoweit kann nicht angenommen werden, dass jede Rechtsprechungspraxis einen ungewissen Charakter aufweist und die Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit, um als rechtswirksame Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337 und 96/61 in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten angesehen zu werden, naturgemäß nicht erfüllen kann.

(vgl. Rn. 33-36)

2.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 39)

3.        Das Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Gerichtsverfahrens nach Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337 und 96/61 in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten untersagt den innerstaatlichen Gerichten nicht, in Gerichtsverfahren eine Verurteilung zur Tragung der Kosten auszusprechen, soweit diese angemessen sind und die für die betroffene Partei angefallenen Kosten insgesamt nicht übermäßig hoch sind.

Das Ermessen, über das das Gericht bei der Anwendung der innerstaatlichen Kostenregelung im Einzelfall verfügt, kann nicht von vornherein als mit dem Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Verfahrens unvereinbar angesehen werden. Dass das angerufene Gericht einen Kostenschutzbeschluss erlassen kann, mit dem dem Kläger in einem frühen Abschnitt des Verfahrens eine Begrenzung der möglicherweise geschuldeten Kosten gewährt werden kann, gewährleistet im Übrigen eine größere Vorhersehbarkeit der Verfahrenskosten und trägt zur Beachtung dieses Erfordernisses bei.

Gleichwohl kann nur dann davon ausgegangen werden, dass die genannten Bestimmungen der Richtlinie 2003/35 richtig umgesetzt worden sind, wenn das innerstaatliche Gericht aufgrund einer Rechtsnorm verpflichtet ist, sicherzustellen, dass das Verfahren für den Kläger nicht mit übermäßigen Kosten verbunden ist. Allein der Umstand, dass der Gerichtshof eine Untersuchung und Bewertung verschiedener Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte und daher eines ganzen Rechtsprechungskomplexes vornehmen muss, um festzustellen, ob das nationale Recht eines Mitgliedstaats mit den Zielen der genannten Richtlinie in Einklang steht, während das Unionsrecht dem Einzelnen genaue Rechte verleiht, deren Wirksamkeit eindeutige Regeln erfordert, führt daher zu dem Schluss, dass die Umsetzung jedenfalls nicht hinreichend klar und bestimmt ist.

Im Übrigen vermögen bereits die Bedingungen, von denen die innerstaatlichen Gerichte die Entscheidung über einen Kostenschutzantrag abhängig machen, in mehrfacher Hinsicht die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem in der Richtlinie 2003/35 aufgestellten Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Gerichtsverfahrens nicht zu gewährleisten, wenn das Gericht einen Kostenschutzbeschluss nur erlassen kann, wenn die zu entscheidenden Fragen von allgemeinem Interesse sind und ein solcher Schutz nicht in dem Fall gewährt wird, in dem die Kosten des Verfahrens objektiv unangemessen sind oder wenn nur das besondere Interesse des Klägers in Rede steht.

(vgl. Rn. 44, 54-57)

4.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 60-62)

5.        Das Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Verfahrens nach Art. 3 Nr. 7 und Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337 und 96/61 in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten erfasst auch die finanziellen Aufwendungen, die durch Maßnahmen verursacht werden, an die das nationale Gericht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten nach den genannten Vorschriften die Gewährung von Sicherungsmaßnahmen knüpfen kann.

Unter diesem Vorbehalt richten sich die Voraussetzungen, unter denen das nationale Gericht solche vorläufigen Anordnungen trifft, grundsätzlich allein nach innerstaatlichem Recht, sofern dabei die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt werden. Das Erfordernis eines nicht übermäßig teuren Verfahrens kann nicht dahin ausgelegt werden, dass es von vornherein der Anwendung einer finanziellen Absicherung wie einer Gegenverpflichtung gegenüber einstweiligen Anordnungen, mit denen dem Kläger eine Selbstverpflichtung abverlangt wird, den Schaden zu ersetzen, der durch eine einstweilige Anordnung entstehen kann, wenn das Recht, das mit dieser geschützt werden soll, sich letztlich als unbegründet erweist, entgegensteht, wenn diese finanzielle Garantie nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist. Gleiches gilt für die finanziellen Folgen, die sich gegebenenfalls nach innerstaatlichem Recht aus einem missbräuchlichen Rechtsbehelf ergeben könnten.

Dagegen ist es Sache des mit diesem Gegenstand befassten Gerichts, sicherzustellen, dass das finanzielle Risiko, das sich daraus für den Kläger ergibt, bei der Prüfung, ob das Verfahren übermäßig teuer ist, ebenfalls in die verschiedenen Aufwendungen miteinbezogen wird, die durch dieses Verfahren verursacht werden.

(vgl. Rn. 64, 66-68)