Language of document : ECLI:EU:C:2019:481

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. Juni 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Marken – Richtlinie 2008/95/EG – Art. 4 Abs. 1 Buchst. b – Verwechslungsgefahr – Gesamteindruck – Ältere Marke, die mit einer Verzichtserklärung (Disclaimer) eingetragen worden ist – Auswirkungen eines solchen Verzichts auf den Schutzumfang der älteren Marke“

In der Rechtssache C‑705/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm, Schweden) mit Entscheidung vom 20. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2017, in dem Verfahren

Patent- och registreringsverket

gegen

Mats Hansson

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Patent- och registreringsverk, vertreten durch K. Isaksson, M. Nowicka und M. Ahlgren als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson, É. Gippini Fournier, E. Ljung Rasmussen und G. Tolstoy als Bevollmächtigte,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2018,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. März 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Patent- och registreringsverk (Amt für geistiges Eigentum, Schweden, im Folgenden: PRV) und dem schwedischen Staatsangehörigen Mats Hansson wegen der Ablehnung der Eintragung des Wortzeichens „ROSLAGSÖL“ als nationale Marke.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 4, 6, 8, 10 und 11 der Richtlinie 2008/95 heißt es:

„(4)      Es erscheint nicht notwendig, die Markenrechte der Mitgliedstaaten vollständig anzugleichen. Es ist ausreichend, wenn sich die Angleichung auf diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beschränkt, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken.

(6)      Den Mitgliedstaaten sollte es weiterhin freistehen, Verfahrensbestimmungen für die Eintragung, den Verfall oder die Ungültigkeit der durch Eintragung erworbenen Marken zu erlassen. Es steht ihnen beispielsweise zu, die Form der Verfahren für die Eintragung und die Ungültigerklärung festzulegen, zu bestimmen, ob ältere Rechte im Eintragungsverfahren oder im Verfahren zur Ungültigerklärung oder in beiden Verfahren geltend gemacht werden müssen, und – wenn ältere Rechte im Eintragungsverfahren geltend gemacht werden dürfen – ein Widerspruchsverfahren oder eine Prüfung von Amts wegen oder beides vorzusehen. …

(8)      Die Verwirklichung der mit der Angleichung verfolgten Ziele setzt voraus, dass für den Erwerb und die Aufrechterhaltung einer eingetragenen Marke in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleiche Bedingungen gelten. …

(10)      Zur Erleichterung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs ist es von wesentlicher Bedeutung, zu erreichen, dass die eingetragenen Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen. Hiervon bleibt jedoch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, bekannten Marken einen weiter gehenden Schutz zu gewähren.

(11)      Der durch die eingetragene Marke gewährte Schutz, der insbesondere die Herkunftsfunktion der Marke gewährleisten sollte, sollte im Falle der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den Waren oder Dienstleistungen absolut sein. Der Schutz sollte sich ebenfalls auf Fälle der Ähnlichkeit von Zeichen und Marke und der jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erstrecken. Es ist unbedingt erforderlich, den Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen. Die Verwechslungsgefahr sollte die spezifische Voraussetzung für den Schutz darstellen; ob sie vorliegt, hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke im Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. Bestimmungen über die Art und Weise der Feststellung der Verwechslungsgefahr, insbesondere über die Beweislast, sollten Sache nationaler Verfahrensregeln sein, die von dieser Richtlinie nicht berührt werden sollten.“

4        Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/95 bestimmt:

„(1)      Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:

c)      Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können“.

5        Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 sieht vor:

„(1)      Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:

b)      wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

6        Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 bestimmt:

„(1)      Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

b)      ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

7        Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 sieht vor:

„(1)      Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten,

b)      Angaben über die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert, die geografische Herkunft oder die Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder über andere Merkmale der Ware oder Dienstleistung,

im geschäftlichen Verkehr zu benutzen …“

8        Die Richtlinie 2008/95 wurde durch die Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1), die am 12. Januar 2016 in Kraft getreten ist, mit Wirkung vom 15. Januar 2019 aufgehoben. In Anbetracht des Zeitpunkts der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anmeldung ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen jedoch anhand der Bestimmungen der Richtlinie 2008/95 zu prüfen.

9        Art. 37 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unionsmarke] (ABl. 2009, L 78, S. 1), die wortgleiche Nachfolgeregelung zu Art. 38 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), lautete:

„Enthält die Marke einen Bestandteil, der nicht unterscheidungskräftig ist, und kann die Aufnahme dieses Bestandteils in die Marke zu Zweifeln über den Schutzumfang der Marke Anlass geben, so kann das [Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)] als Bedingung für die Eintragung der Marke verlangen, dass der Anmelder erklärt, dass er an dem Bestandteil kein ausschließliches Recht in Anspruch nehmen wird. Diese Erklärung wird mit der Anmeldung oder gegebenenfalls mit der Eintragung der [Unionsmarke] veröffentlicht.“

10      Dieser Art. 37 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 wurde durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung Nr. 207/2009 und der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2869/95 der Kommission über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren (ABl. 2015, L 341, S. 21) aufgehoben.

 Schwedisches Recht

11      Nach Kapitel 1 § 6 Varumärkeslagen (2010:1877) (Gesetz [2010:1877] über Marken, im Folgenden: Gesetz von 2010) wird ein ausschließliches Recht an einer Marke durch deren Eintragung erworben.

12      Gemäß Kapitel 1 § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes von 2010 bedeutet das ausschließliche Recht an einer Marke, dass niemand außer dem Inhaber ohne dessen Zustimmung im Geschäftsverkehr ein mit der Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen für Waren gleicher oder ähnlicher Art benutzen darf, wenn eine Verwechslungsgefahr besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Benutzung des Zeichens den Eindruck erweckt, es gebe eine Verbindung zwischen dem Verwender des Zeichens und dem Inhaber der Marke.

13      Nach Kapitel 2 § 5 des Gesetzes von 2010 wird als allgemeine Bedingung für die Eintragung verlangt, dass die Marke für die von ihr erfassten Waren oder Dienstleistungen unterscheidungskräftig sein muss.

14      Gemäß Kapitel 2 § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes von 2010 wird eine Marke nicht eingetragen, wenn sie einer älteren Marke für Waren gleicher oder ähnlicher Art ähnlich ist, wenn eine Verwechslungsgefahr besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Benutzung der Marke den Eindruck erweckt, es gebe eine Verbindung zwischen dem Verwender der Marke und dem Inhaber der eingetragenen Marke.

15      Nach Kapitel 2 § 12 Abs. 1 des Gesetzes von 2010 kann dann, wenn eine Marke einen Bestandteil enthält, der für sich genommen nicht eingetragen werden kann, und ein offensichtliches Risiko besteht, dass die Eintragung zu einer Unsicherheit über den Umfang des ausschließlichen Rechts führt, dieser Bestandteil ausdrücklich vom Schutz durch die Eintragung ausgenommen werden (sogenannter Disclaimer).

16      Erfüllt der Bestandteil später die Voraussetzungen für eine Eintragung, so kann der Bestandteil oder die Marke insgesamt gemäß Kapitel 2 § 12 Abs. 2 des Gesetzes von 2010 nach einer neuen Anmeldung ohne eine solche Einschränkung eingetragen werden.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17      Im Jahr 2007 ließ die schwedische Gesellschaft Norrtelje Brenneri Aktiebolag für alkoholische Getränke der Klasse 33 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung das folgende Wort- und Bildzeichen als nationale Marke eintragen (im Folgenden: ältere Marke):

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18      Die Marke ist mit einem sogenannten Disclaimer eingetragen, wonach die „Eintragung … kein ausschließliches Recht an dem Wort ‚Roslagspunsch‘ [verleiht]“. Die Aufnahme dieses Disclaimers war vom PRV als Voraussetzung für die Eintragung der älteren Marke verlangt worden, da der Begriff „Roslags“ auf eine Region in Schweden verweise und der Begriff „Punsch“ eine der von dieser Eintragung erfassten Waren beschreibe.

19      Am 16. Dezember 2015 meldete Herr Hansson beim PRV die nationale Wortmarke „ROSLAGSÖL“ für Waren der Klasse 32 im Sinne des Abkommens von Nizza, insbesondere für nichtalkoholische Getränke und Biere, an.

20      Mit Entscheidung vom 14. Juli 2016 wies das PRV diese Anmeldung wegen einer Verwechslungsgefahr zwischen diesem Zeichen und der älteren Marke zurück. Das PRV stellte fest, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen mit dem beschreibenden Begriff „Roslags“ begännen. Dass sie darüber hinaus weitere Wort- und Bildbestandteile enthielten, schließe eine Ähnlichkeit der Marken nicht aus, da das Wort „Roslags“ ein dominierender Bestandteil der beiden Zeichen sei. Zudem erfassten die Zeichen identische oder ähnliche Waren, die über dieselben Absatzkanäle vertrieben werden und sich an denselben Kundenkreis wenden könnten.

21      Herr Hansson focht diese Entscheidung beim Patent- och marknadsdomstol (Patent‑ und Marktgericht, Schweden) an und machte geltend, dass keinerlei Verwechslungsgefahr zwischen den in Rede stehenden Zeichen bestehe. Hinsichtlich der Auswirkungen des Disclaimers betreffend die ältere Marke auf die Entscheidung über die Klage brachte das PRV bei diesem Gericht vor, dass der Teil einer Marke, der durch einen Disclaimer vom Schutz ausgenommen worden sei, grundsätzlich als nicht unterscheidungskräftig anzusehen sei. Im vorliegenden Fall sei die ältere Marke mit einem Disclaimer eingetragen worden, weil sie die Bezeichnung eines geografischen Gebiets, nämlich „Roslags“, enthalte.

22      Die Praxis des PRV zur fehlenden Unterscheidungskraft geografischer Namen habe sich jedoch zwischenzeitlich geändert, insbesondere um die Ausführungen in den Rn. 31 und 32 des Urteils vom 4. Mai 1999, Windsurfing Chiemsee (C‑108/97 und C‑109/97, EU:C:1999:230), umzusetzen. Der Begriff „Roslags“ könne jetzt für sich genommen als Marke eingetragen werden und sei für die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Waren unterscheidungskräftig, so dass er sogar den Gesamteindruck der älteren Marke dominieren könne. So ergebe sich aus einer Gesamtbetrachtung der einander gegenüberstehenden Zeichen, dass wegen des gemeinsamen Bestandteils „Roslags“ bei den maßgeblichen Verkehrskreisen der Eindruck bestehen könne, dass die von diesen Zeichen erfassten Waren den gleichen betrieblichen Ursprung hätten.

23      Der Patent- och marknadsdomstol (Patent‑ und Marktgericht) gab der Klage von Herrn Hansson entgegen dem vom PRV vertretenen Standpunkt statt, genehmigte die Eintragung seines Zeichens als Marke und stellte dabei fest, dass keine Verwechslungsgefahr gegeben sei. Trotz des Disclaimers müssten die von ihm erfassten Wörter im Rahmen der Beurteilung der Verwechslungsgefahr Berücksichtigung finden, da sie sich auf den von der älteren Marke erzeugten Gesamteindruck und damit auf ihren Schutzumfang auswirken könnten. Ziel des Disclaimers sei es, klarzustellen, dass sich das aus der Eintragung der älteren Marke folgende ausschließliche Recht nicht auf die von dem Disclaimer erfassten Wörter als solche erstrecke.

24      Gegen das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts legte das PRV ein Rechtsmittel beim Svea hovrätt, Patent ‑ och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm, Schweden), ein.

25      Nach Ansicht dieses Gerichts bestätigen die Richtlinie 2008/95 und die hierzu ergangene Rechtsprechung, dass die materiellen Regelungen zum Schutz einer nationalen Marke grundsätzlich auf der Ebene des Unionsrechts vollständig harmonisiert seien, während die Verfahrensvorschriften in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen. Daher stellt sich dieses Gericht die Frage, ob eine nationale Regelung, die die Aufnahme eines Disclaimers erlaube, als „Verfahrensvorschrift“ eingestuft werden könne, obwohl sie eine Änderung der Kriterien bewirke, auf denen die Gesamtbetrachtung beruhe, die vorgenommen werden müsse, um die Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 zu prüfen.

26      Insoweit fragt sich dieses Gericht, ob diese Bestimmung insbesondere in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf den Gesamteindruck abzustellen sei und die Wahrnehmung der Verbraucher eine entscheidende Rolle bei der Gesamtbeurteilung dieser Gefahr spiele, dahin ausgelegt werden könne, dass ein Disclaimer diese Beurteilung dadurch beeinflussen könne, dass ein Bestandteil der älteren Marke bei ihrer Eintragung durch den betreffenden Disclaimer ausdrücklich vom Schutz ausgenommen worden sei, so dass diesem Bestandteil bei der Prüfung des Gesamteindrucks eine geringere Bedeutung beigemessen werde, als ihm zugekommen wäre, wenn der Disclaimer nicht bestünde.

27      Sollte die Richtlinie 2008/95 einem solchen Ansatz entgegenstehen, stellte sich sodann die Frage, ob es nach ihr zulässig sei, dass der Disclaimer bewirke, dass der von ihm erfasste Bestandteil als nicht von der Eintragung der älteren Marke und somit vom Schutz dieser Marke erfasst angesehen werde, so dass er bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 unberücksichtigt gelassen werden könne. Diesem Ansatz scheine auch das EUIPO bei der Anwendung von Art. 37 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 gefolgt zu sein.

28      Darüber hinaus sei die Rechtsprechung der nationalen Gerichte zu den Auswirkungen des Disclaimers, wie er im nationalen Recht vorgesehen sei, auf die Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 nicht einheitlich.

29      Unter diesen Umständen hat das Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm), beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen, dass die Gesamtbeurteilung aller relevanten Faktoren, die bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr durchzuführen ist, dadurch beeinflusst werden kann, dass ein Bestandteil der Marke bei der Eintragung ausdrücklich vom Schutz ausgenommen wurde, d. h., dass ein sogenannter Disclaimer in die Eintragung aufgenommen wurde?

2.      Wenn die erste Frage bejaht wird: Kann der Disclaimer in einem solchen Fall die Gesamtbeurteilung dahin beeinflussen, dass die zuständige Behörde den fraglichen Bestandteil zwar berücksichtigt, ihm aber eine begrenztere Bedeutung beimisst, so dass er selbst dann nicht als unterscheidungskräftig angesehen wird, wenn der Bestandteil in der älteren Marke tatsächlich unterscheidungskräftig und dominierend wäre?

3.      Wenn die erste Frage bejaht und die zweite Frage verneint wird: Kann sich der Disclaimer dennoch in irgendeiner anderen Weise auf die Gesamtbeurteilung auswirken?

 Zu den Vorlagefragen

30      Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Verzichtserklärung („Disclaimer“) vorsieht, die bewirken würde, einen von dieser Erklärung erfassten Bestandteil einer zusammengesetzten Marke von der Prüfung der für die Feststellung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr im Sinne der genannten Bestimmung relevanten Faktoren auszuschließen oder diesem Bestandteil im Rahmen dieser Prüfung von vornherein und dauerhaft eine begrenzte Bedeutung beizumessen.

31      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Hauptfunktion der Marke darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der durch die Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung zu garantieren, indem sie es ihm ermöglicht, diese Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. September 2004, SAT.1/HABM, C‑329/02 P, EU:C:2004:532, Rn. 23, und vom 8. Juni 2017, W. F. Gözze Frottierweberei und Gözze, C‑689/15, EU:C:2017:434, Rn. 41).

32      Die Richtlinie 2008/95, die nach ihrem Art. 1 u. a. auf Marken für Waren oder Dienstleistungen Anwendung findet, die in einem Mitgliedstaat eingetragen oder angemeldet worden sind, nimmt gemäß ihren Erwägungsgründen 4, 6, 8 und 10 eine Angleichung derjenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften vor, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarkts auswirken. Wie in den genannten Erwägungsgründen ausgeführt wird, ist es zu diesem Zweck von wesentlicher Bedeutung, zu erreichen, dass die eingetragenen Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen und dass für den Erwerb einer eingetragenen Marke in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleiche Bedingungen gelten, wobei es den Mitgliedstaaten freistehen sollte, Verfahrensbestimmungen u. a. für die Eintragung dieser Marken zu erlassen.

33      In diesem Zusammenhang stellt Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 klar, dass die eingetragene Marke ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht gewährt. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber u. a., Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der eingetragenen Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

34      Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 ist eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegt im Fall der Eintragung der Ungültigerklärung, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

35      Somit sollen die genannten Bestimmungen die individuellen Interessen der Inhaber von älteren Marken schützen und gewährleisten die Herkunftsfunktion der Marke im Fall einer Verwechslungsgefahr (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2005, Medion, C‑120/04, EU:C:2005:594, Rn. 24 bis 26, und vom 22. Oktober 2015, BGW, C‑20/14, EU:C:2015:714, Rn. 26).

36      Jedoch enthalten weder diese Bestimmungen noch irgendeine andere Bestimmung der Richtlinie 2008/95 eine Verpflichtung oder ein Verbot für die Mitgliedstaaten, in ihr innerstaatliches Recht Bestimmungen einzuführen, wonach die Eintragung eines Zeichens als Marke mit einem Disclaimer erfolgen kann. Die genannten Bestimmungen enthalten auch keine näheren Angaben über die Auswirkungen eines Disclaimers auf die Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne dieser Richtlinie.

37      Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 22 und 24 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, festzustellen, dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich weiterhin freisteht, in ihrem nationalen Recht Bestimmungen vorzusehen, die bei der Eintragung von Zeichen als Marken eine Aufnahme von Disclaimern zulassen, und zwar unabhängig davon, ob die Disclaimer freiwillig durch den Anmelder oder auf Aufforderung des für eine solche Eintragung zuständigen nationalen Amtes vorgelegt werden, solange die Disclaimer die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie 2008/95 und insbesondere den Schutz nicht beeinträchtigen, der den Inhabern älterer Marken gegen die Eintragung von Marken gewährt wird, die geeignet sind, für Verbraucher oder Endabnehmer eine Verwechslungsgefahr hervorzurufen.

38      Außerdem dürfen die Wirkungen von Disclaimern nicht dazu führen, die in den Erwägungsgründen 8 und 10 der Richtlinie 2008/95 genannten Ziele dieser Richtlinie in Frage zu stellen, die darin bestehen, sicherzustellen, dass für den Erwerb einer eingetragenen Marke in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleiche Bedingungen gelten, und zu gewährleisten, dass Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen (vgl. entsprechend Urteile vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 58 und 59, vom 19. Juni 2014, Oberbank u. a., C‑217/13 und C‑218/13, EU:C:2014:2012, Rn. 66 und 67, sowie vom 22. September 2011, Budějovický Budvar, C‑482/09, EU:C:2011:605, Rn. 30 und 32).

39      Im vorliegenden Fall legt das vorlegende Gericht drei denkbare Auswirkungen des Disclaimers, wie er im nationalen Recht vorgesehen ist, auf die Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dar. Das nationale Recht könne erstens so ausgelegt werden, dass ein Bestandteil einer zusammengesetzten Marke, auf den sich ein solcher Disclaimer beziehe, von der Prüfung der Verwechslungsgefahr ausgenommen sei. Nach einer zweiten Auslegung des nationalen Rechts werde dieser Bestandteil bei dieser Prüfung zwar berücksichtigt, jedoch müsse seine Bedeutung dabei beschränkt sein, selbst wenn es sich dabei tatsächlich um den unterscheidungskräftigen und dominierenden Bestandteil der Marke handele. Eine dritte Auslegung bestehe im Wesentlichen darin, zu sagen, dass ein solcher Bestandteil bei der genannten Prüfung in einer Art und Weise zu berücksichtigen sei, die mit den in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen für die Prüfung der Verwechslungsgefahr vereinbar sei.

40      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dann vorliegt, wenn die Öffentlichkeit glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 29, und vom 8. Mai 2014, Bimbo/HABM, C‑591/12 P, EU:C:2014:305, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hängt das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr von einer Vielzahl von Faktoren ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke im Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. Die Verwechslungsgefahr ist also unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 16, vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 18, und vom 10. April 2008, adidas und adidas Benelux, C‑102/07, EU:C:2008:217, Rn. 29).

42      Zu diesen Faktoren zählt auch die Unterscheidungskraft der älteren Marke, die deren Schutzumfang bestimmt. Der Gerichtshof hat nämlich bereits ausgeführt, dass die Verwechslungsgefahr umso größer ist, je größer die Unterscheidungskraft dieser Marke ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, BSH/EUIPO, C‑43/15 P, EU:C:2016:837, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den berücksichtigten Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt. Die Wechselbeziehung zwischen diesen Faktoren kommt in der elften Begründungserwägung der Richtlinie 2008/95 zum Ausdruck, wonach es unbedingt erforderlich ist, den Begriff der „Ähnlichkeit“ im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 17, und vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 19).

44      Ebenso schließt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Umstand, dass eine Marke eine schwache Unterscheidungskraft aufweist, eine Verwechslungsgefahr nicht aus, insbesondere wenn zwischen den Zeichen und den erfassten Waren oder Dienstleistungen Ähnlichkeit besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, BSH/EUIPO, C‑43/15 P, EU:C:2016:837, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken in Bild, Klang oder Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese hervorrufen. Für die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr kommt es entscheidend darauf an, wie die Marken auf den Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren oder Dienstleistungen wirken. Der Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke dabei regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 23, vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 25, und vom 22. Oktober 2015, BGW, C‑20/14, EU:C:2015:714, Rn. 35).

46      In Anbetracht dieser Grundsätze und der gesamten Rechtsprechung, die in den Rn. 40 bis 45 des vorliegenden Urteils angeführt worden ist, ist als Erstes festzustellen, dass ein im nationalen Recht vorgesehener Disclaimer, der bewirken würde, einen von ihm erfassten Bestandteil einer zusammengesetzten Marke wegen seines beschreibenden Charakters oder seiner fehlenden Unterscheidungskraft von der Prüfung der für die Feststellung des Vorliegens von Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 relevanten Faktoren auszuschließen, mit den Anforderungen dieser Bestimmung nicht vereinbar wäre.

47      Ein solcher Ausschluss könnte nämlich dazu führen, dass sowohl die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen als auch die Unterscheidungskraft der älteren Marke unzutreffend beurteilt würden, was eine veränderte Gesamtbeurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 nach sich zöge. Dies gilt umso mehr, als diese Faktoren, wie in Rn. 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, in einer Wechselbeziehung stehen und diese Wechselbeziehung, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dazu führen soll, dass die gesamte Beurteilung der Verwechslungsgefahr so weit wie möglich mit der tatsächlichen Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise in Einklang gebracht wird.

48      Insoweit darf erstens die Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen nicht darauf beschränkt bleiben, dass nur ein Bestandteil einer zusammengesetzten Marke berücksichtigt und mit einer anderen Marke verglichen wird. Vielmehr sind die fraglichen Marken bei dem Vergleich jeweils als Ganzes zu prüfen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Bestandteile zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, BGW, C‑20/14, EU:C:2015:714, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Daher sind in jedem Einzelfall die Bestandteile eines Zeichens und ihr jeweiliges Gewicht in der Wahrnehmung der Verkehrskreise zu prüfen, um je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls den von den in Rede stehenden Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck, der dem Verbraucher im Gedächtnis bleibt, zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, Bimbo/HABM, C‑591/12 P, EU:C:2014:305, Rn. 34 und 36). Es kann daher nicht von vornherein und generell davon ausgegangen werden, dass die beschreibenden Bestandteile einander gegenüberstehender Zeichen von der Beurteilung ihrer Ähnlichkeit auszuschließen sind (vgl. hierzu Beschluss vom 7. Mai 2015, Adler Modemärkte/HABM, C‑343/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:310, Rn. 38).

50      Zweitens ergibt sich zur Unterscheidungskraft der älteren Marke aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Bestimmung der Unterscheidungskraft insbesondere davon abhängt, welche Eigenschaften die Marke von Haus aus besitzt, einschließlich des Vorhandenseins oder Fehlens von Bestandteilen, die die Waren oder Dienstleistungen beschreiben, für die diese Marke eingetragen worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer, C‑342/97, EU:C:1999:323, Rn. 20, 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Wie jedoch der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Eignung des Zeichens, die Waren oder Dienstleistungen, für die es als Marke eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu identifizieren, unter Bezugnahme auf das Zeichen in seiner Gesamtheit, also im Licht aller seiner Bestandteile, zu beurteilen, so dass der Ausschluss eines der Bestandteile der älteren Marke von der Prüfung ihrer Unterscheidungskraft den Schutzumfang dieser Marke beeinflussen kann.

52      Als Zweites ist festzustellen, dass aus Gründen, die den in den Rn. 48 bis 51 des vorliegenden Urteils angeführten entsprechen, auch ein im nationalen Recht vorgesehener Disclaimer, der bewirken würde, dem von ihm erfassten Bestandteil einer zusammengesetzten Marke von vornherein und dauerhaft die Unterscheidungskraft abzusprechen, so dass ihm bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 nur eine beschränkte Bedeutung zukäme, mit den Anforderungen dieser Bestimmung nicht vereinbar wäre.

53      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die beschreibenden, nicht unterscheidungskräftigen oder schwach unterscheidungskräftigen Bestandteile einer zusammengesetzten Marke, unabhängig davon, ob sie von einem Disclaimer wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erfasst werden, im Allgemeinen ein geringeres Gewicht bei der Prüfung der Ähnlichkeit zwischen Zeichen haben als die Bestandteile mit einer größeren Unterscheidungskraft, die auch den von dieser Marke hervorgerufenen Gesamteindruck eher dominieren können (vgl. hierzu Urteil vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 23, und Beschluss vom 27. April 2006, L’Oréal/HABM, C‑235/05 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2006:271, Rn. 43).

54      Der Gerichtshof hat jedoch bereits klargestellt, dass die individuelle Beurteilung jedes Zeichens, um den sich aus ihm ergebenden Gesamteindruck zu bestimmen – so wie es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs geboten ist –, nach Maßgabe der besonderen Umstände des konkreten Falles vorzunehmen ist, und dass für sie daher keine allgemeinen Vermutungen gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, Bimbo/HABM, C‑591/12 P, EU:C:2014:305, Rn. 36).

55      Zweitens wird, wenn die ältere Marke und das angemeldete Zeichen in einem schwach unterscheidungskräftigen oder für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen beschreibenden Bestandteil übereinstimmen, die Gesamtbeurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 zwar häufig nicht dazu führen, dass eine solche Gefahr festgestellt wird. Jedoch geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Feststellung des Vorliegens einer solchen Verwechslungsgefahr wegen der Wechselwirkung der hierbei relevanten Faktoren nicht im Voraus und in jedem Fall ausgeschlossen werden kann (vgl. hierzu Beschluss vom 29. November 2012, Hrbek/HABM, C‑42/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:765, Rn. 63, und Urteil vom 8. November 2016, BSH/EUIPO, C‑43/15 P, EU:C:2016:837, Rn. 48 und 61 bis 64).

56      Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass, wenn einem Bestandteil einer zusammengesetzten Marke, der von einem Disclaimer erfasst wird, die Unterscheidungskraft abgesprochen und somit nur ein begrenztes Gewicht bei der Gesamtbeurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 zugesprochen wird, dies zwar in bestimmten Fällen der Wahrnehmung der in Rede stehenden Zeichen durch die maßgeblichen Verkehrskreise entsprechen könnte. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies zwingend in jedem Fall so ist, so dass ein Disclaimer mit einer solchen Wirkung zur Eintragung von Zeichen führen könnte, die in der Wahrnehmung der Verkehrskreise möglicherweise Verwechslungsgefahr im Sinne der genannten Bestimmung hervorrufen.

57      Als Drittes ist hervorzuheben, dass die in den Rn. 46 und 52 des vorliegenden Urteils festgehaltene Auslegung nicht dadurch in Frage gestellt werden kann, dass der von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Disclaimer erfasste Bestandteil nach nationalem Recht wegen seines beschreibenden Charakters von dem einer eingetragenen Marke zukommenden Schutz ausgeschlossen ist, so dass seine Berücksichtigung bei der Prüfung der für die Feststellung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 relevanten Faktoren dazu führen könnte, dass dafür ein Schutz erlangt wird, der ihm im System der genannten Richtlinie nicht zukäme.

58      Die Feststellung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr führt nämlich nur zum Schutz einer bestimmten Kombination von Bestandteilen, ohne indessen einen zu dieser Kombination gehörenden beschreibenden Bestandteil als solchen zu schützen (vgl. entsprechend Beschlüsse vom 15. Januar 2010, Messer Group/Air Products and Chemicals, C‑579/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:18, Rn. 73, und vom 30. Januar 2014, Industrias Alen/The Clorox Company, C‑422/12 P, EU:C:2014:57, Rn. 45). Folglich kann der Inhaber einer zusammengesetzten Marke jedenfalls kein ausschließliches Recht nur an einem Bestandteil dieser Marke geltend machen, unabhängig davon, ob dieser von einem nach nationalem Recht vorgesehenen Disclaimer erfasst wird oder nicht.

59      Im Übrigen sieht die Richtlinie 2008/95, wie der Generalanwalt in den Nrn. 26 und 50 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hinreichende Garantien vor, mit denen zum einen sichergestellt werden soll, dass Zeichen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die Kategorien von Waren oder Dienstleistungen beschreiben, für die die Eintragung beantragt wird, gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie von der Eintragung ausgeschlossen sind oder für ungültig erklärt werden und daher von anderen Wirtschaftsteilnehmern frei verwendet werden können.

60      Zum anderen ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95, dass dann, wenn ein Zeichen wirksam als Marke eingetragen ist, das durch diese Marke verliehene ausschließliche Recht es dem Markeninhaber nicht erlaubt, einem Dritten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Angaben zu benutzen, die für die erfassten Waren und Dienstleistungen beschreibend sind, sofern dabei bestimmte Voraussetzungen beachtet werden (vgl. hierzu Urteile vom 4. Mai 1999, Windsurfing Chiemsee, C‑108/97 und C‑109/97, EU:C:1999:230, Rn. 25 und 28, vom 10. April 2008, adidas und adidas Benelux, C‑102/07, EU:C:2008:217, Rn. 46 und 47, sowie vom 10. März 2011, Agencja Wydawnicza Technopol/HABM, C‑51/10 P, EU:C:2011:139, Rn. 59 bis 62).

61      Darüber hinaus fügt sich diese Auslegung in die Verfolgung der Ziele der Richtlinie 2008/95 ein, auf die in Rn. 32 des vorliegenden Urteils Bezug genommen wird. Denn sie zielt darauf ab, sicherzustellen, dass der Schutz einer eingetragenen nationalen Marke gegen Verwechslungsgefahr in allen Mitgliedstaaten nach denselben Kriterien und somit einheitlich gewährleistet wird, insbesondere angesichts des Umstands, dass zahlreiche Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit vorsehen, Zeichen mit solchen Disclaimern als Marken einzutragen, und dass die Voraussetzungen der Eintragung der Disclaimer sowie deren Auswirkungen im Recht der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können.

62      Nach alledem ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Verzichtserklärung („Disclaimer“) vorsieht, die bewirken würde, einen von dieser Erklärung erfassten Bestandteil einer zusammengesetzten Marke von der Gesamtprüfung der für die Feststellung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr im Sinne der genannten Bestimmung relevanten Faktoren auszuschließen oder diesem Bestandteil im Rahmen dieser Prüfung von vornherein und dauerhaft eine begrenzte Bedeutung beizumessen.

 Kosten

63      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Verzichtserklärung („Disclaimer“) vorsieht, die bewirken würde, einen von dieser Erklärung erfassten Bestandteil einer zusammengesetzten Marke von der Gesamtprüfung der für die Feststellung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr im Sinne der genannten Bestimmung relevanten Faktoren auszuschließen oder diesem Bestandteil im Rahmen dieser Prüfung von vornherein und dauerhaft eine begrenzte Bedeutung beizumessen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Schwedisch.