Language of document : ECLI:EU:C:2019:496

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

13. Juni 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2001/23/EG – Geltungsbereich – Übergang eines Unternehmensteils – Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer – Begriff ‚Übergang‘ – Begriff ‚wirtschaftliche Einheit‘ – Übertragung eines Teils der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Muttergesellschaft auf eine neu gegründete Tochtergesellschaft – Identität – Selbständigkeit – Verfolgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Kriterium der Dauerhaftigkeit der Verfolgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit – Heranziehen von Produktionsfaktoren Dritter – Absicht, die übertragene Einheit abzuwickeln“

In der Rechtssache C‑664/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Areios Pagos (Kassationsgerichtshof, Griechenland) mit Entscheidung vom 8. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 27. November 2017, in dem Verfahren

Ellinika Nafpigeia AE

gegen

Panagiotis Anagnostopoulos u. a.,

Beteiligte:

Syllogos Ergazomenon Nafpigeion Skaramagka I TRIAINA,

Panellinia Omospondia Ergatoÿpallilon Metallou (POEM),

Geniki Synomospondia Ergaton Ellados (GSEE),


erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, J. Malenovský (Berichterstatter) und C. G. Fernlund sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Ellinika Nafpigeia AE, vertreten durch S. Andriopoulos und D. Zerdelis, dikigoroi,

–        von P. Anagnostopoulos und 89 weiteren Arbeitnehmern, vom Syllogos Ergazomenon Nafpigeion Skaramagka I TRIAINA und von der Panellinia Omospondia Ergatoÿpallilon Metallou (POEM), vertreten durch V. Pittas, dikigoros,

–        von D. Karampinis, vertreten durch M. Michalopoulos, dikigoros,

–        von K. Priovolos und K. Kostopoulos, vertreten durch A. Tzellis, dikigoros,

–        der Geniki Synomospondia Ergaton Ellados (GSEE), vertreten durch S. Kazakou, dikigoros,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch S. Charitaki, S. Papaioannou und E.‑M. Mamouna als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Februar 2019

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ellinika Nafpigeia AE einerseits und Herrn Panagiotis Anagnostopoulos und 89 weiteren Arbeitnehmern (im Folgenden: betroffene Arbeitnehmer) andererseits über die Erfüllung der ursprünglich zwischen diesen Parteien geschlossenen Verträge.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Mit der Richtlinie 2001/23 wurde die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. 1977, L 61, S. 26) in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. 1998, L 201, S. 88) geänderten Fassung mit Wirkung vom 11. April 2001 kodifiziert. Da alle maßgeblichen Ereignisse im Zusammenhang mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Übergang nach dem 11. April 2001 stattfanden, ist die Richtlinie 2001/23 in zeitlicher Hinsicht auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbar.

4        Die Erwägungsgründe 3 und 8 der Richtlinie 2001/23 lauten:

„(3)      Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.

(8)      Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz war es erforderlich, den juristischen Begriff des Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären. Durch diese Klärung wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof nicht geändert.“

5        Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie bestimmt:

„a)      Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

b)      Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.“

6        Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)      ‚Veräußerer‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet.

b)      ‚Erwerber‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt.“

7        Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 lautet:

„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.“

8        Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

(2)      Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.“

9        Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Artikel 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.“

 Griechisches Recht

10      Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c des Proedriko Diatagma 178/2002: Métra schetiká me tin prostasía ton dikaiomáton ton ergazoménon se períptosi metavívasis epicheiríseon, enkatastáseon í tmimáton enkatastáseon í epicheiríseon, se symmórfosi pros tin Odigía 98/50/EK tou Symvoulíou (Präsidialverordnung 178/2002: Maßnahmen zum Schutz der Ansprüche der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen gemäß der Richtlinie 98/50) (FEK A’ 162/12.7.2002, im Folgenden: Präsidialverordnung 178/2002) sind die Bestimmungen dieser Verordnung auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen durch vertraglichen oder gesetzlichen Übergang oder durch Verschmelzung anwendbar, der einen Wechsel in der Person des Arbeitgebers zur Folge hat und private und öffentliche Einrichtungen betreffen kann, die wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.

11      Art. 2 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung definiert als „Übergang“ den Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, unabhängig davon, ob es sich um eine Haupt- oder Nebentätigkeit handelt.

12      Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Verordnung definiert die Begriffe „Veräußerer“ und „Erwerber“ dahin, dass als „Veräußerer“ jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im oben dargestellten Sinn als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet, und unter „Erwerber“ jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines solchen Übergangs als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt, zu verstehen ist.

13      Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Präsidialverordnung 178/2002 gehen alle bestehenden Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis mit dem Zeitpunkt des Übergangs auf den Erwerber über.

14      Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Präsidialverordnung 178/2002 sieht vor, dass der Veräußerer nach dem Übergang weiterhin gesamtschuldnerisch und in voller Höhe zusammen mit dem Erwerber für die Erfüllung der Pflichten aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis bis zu dem Zeitpunkt verantwortlich ist, an dem der Erwerber seine Aufgaben übernimmt.

15      Aus Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung folgt, dass der Erwerber nach dem Übergang weiter an die bereits in einem Kollektivvertrag, einem Schiedsspruch, einer Verordnung oder einem individuellen Arbeitsvertrag vorgesehenen Arbeitsbedingungen gebunden ist.

16      Nach Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Präsidialverordnung 178/2002 stellt der Übergang eines Unternehmens, eines Betriebs oder eines Unternehmensteils als solcher keinen Grund zur Kündigung von Arbeitnehmern dar. Jedoch sind nach den Bestimmungen von Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung Kündigungen, die sich aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich des Personals mit sich bringen, als notwendig erweisen, unter der Voraussetzung zulässig, dass die Vorschriften über Kündigungen befolgt werden. Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung sieht jedoch vor, dass, wenn es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses kommt, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, davon auszugehen ist, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.

17      Nach Art. 6 Abs. 1 der Präsidialverordnung 178/2002 gelten die Folgen eines Übergangs im Sinne der Art. 4 und 5 dieser Verordnung nicht, wenn gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren eröffnet wurde.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18      Die betroffenen Arbeitnehmer wurden vor ungefähr 30 Jahren von Ellinika Nafpigeia aufgrund von unbefristeten Arbeitsverträgen eingestellt, um in Anlagen dieser Gesellschaft in Skaramangas (Griechenland) zu arbeiten.

19      Ellinika Nafpigeia war ab 1985 ein öffentliches Unternehmen, das im Jahr 2002 privatisiert wurde und bis zum 30. September 2008 kein Personal abbauen durfte.

20      Bei ihrer Privatisierung hatte sie vier Geschäftsbereiche, nämlich den Marine- und zivilen Schiffbau, die Reparatur von Schiffen, den Bau und die Reparatur von U‑Booten und den Bau und die Reparatur von Schienenfahrzeugen. Diese Geschäftsbereiche wurden jeweils vier „Direktionen“ zugeteilt, nämlich der Direktion Überwasserschiffe, der Direktion Reparaturen, der Direktion U‑Boote und der Direktion Fahrzeuge. Neben diesen Direktionen bestand die Organisationsstruktur von Ellinika Nafpigeia aus vier Produktionsabteilungen, nämlich einem Walzwerk, einem Röhrenwerk, einer Schreinerei und einer Maschinenwerkstatt. Die Mitwirkung dieser Produktionsabteilungen war für die Durchführung der Arbeiten, die im Rahmen dieser in Direktionen organisierten Geschäftsbereiche übernommen wurden, unentbehrlich.

21      Ellinika Nafpigeia gründete kurz nach ihrer Privatisierung eine Tochtergesellschaft im Bereich Fahrzeuge, nämlich die Etaireia Trochaiou Ylikou Ellados ΑΕ (im Folgenden: ΕΤΥΕ), um auf diese die laufenden programmatischen Verträge betreffend den Bau und die Lieferung verschiedener Arten von Schienenfahrzeugen zu übertragen. Der Vorlageentscheidung zufolge schlossen Ellinika Nafpigeia und ETYE am 28. September 2006 mehrere Verträge, damit die „Direktion Fahrzeuge“ von Ellinika Nafpigeia den Betrieb ab dem 1. Oktober 2006 im Rahmen einer selbständigen Gesellschaft unter dem Namen ETYE aufnehmen konnte.

22      Diese Verträge hatten u. a. die Vermietung eines Grundstücks von Ellinika Nafpigeia zur gewerblichen Nutzung, den Verkauf und die Übergabe von beweglichen Gütern von Ellinika Nafpigeia an ETYE, die Erbringung von administrativen Dienstleistungen durch Ellinika Nafpigeia an ETYE sowie die Übertragung nicht erledigter Arbeitsaufträge gemäß dreier programmatischer Verträge zum Gegenstand.

23      Im Lauf des Jahres 2007 schlossen Ellinika Nafpigeia und ETYE weitere Verträge, die u. a. die Ausleihe von Personal von ETYE an Ellinika Nafpigeia, die Übertragung nicht erledigter Arbeitsaufträge aus einem programmatischen Vertrag von Ellinika Nafpigeia an ETYE sowie die Erbringung von Dienstleistungen durch ETYE an Ellinika Nafpigeia betrafen.

24      Am 28. September 2007 schlossen Ellinika Nafpigeia und ETYE eine Rahmenübereinkunft, in der die Abwicklung von ETYE am 30. September 2008 vorgesehen war. Außerdem wurde vereinbart, dass Ellinika Nafpigeia die Abwicklungskosten tragen werde, die den veranschlagten Kosten für die Kündigung von 160 Arbeitnehmern von ETYE entspreche. Der für diese Abwicklung vorgesehene Zeitpunkt wurde jedoch nach einer Änderung dieser Rahmenübereinkunft am 10. September 2008 verschoben

25      Am 1. Oktober 2007 gingen alle Aktien von ETYE in das Eigentum der Unternehmensgruppe der deutschen Gesellschaften mit beschränkter Haftung ΙΝΤΕΙ Industriebeteiligungsgesellschaft mbH (ΙΝΤΕΙ) und Industriegesellschaft Waggonbau Ammendorf mbH (ΙGWA) über.

26      Mit Mitteilung vom 8. Oktober 2007 wurden die betroffenen Arbeitnehmer über den Übergang von ETYE auf diese Unternehmensgruppe informiert. Am 13. Mai 2008 wurde ein Unternehmenstarifvertrag über die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer von ETYE abgeschlossen.

27      Im Jahr 2010 wurde ETYE vom Polymeles Protodikeio Athinon (erstinstanzliches Kollegialgericht Athen, Griechenland) für insolvent erklärt.

28      Die betroffenen Arbeitnehmer erhoben am 1. Juni 2009 beim Monomeles Protodikeio Athinon (erstinstanzliches Gericht in Einzelrichterbesetzung Athen, Griechenland) Klage auf Feststellung, dass sie mit privatrechtlichen unbefristeten Arbeitsverträgen weiterhin an Ellinika Nafpigeia gebunden seien, dass Ellinika Nafpigeia verpflichtet sei, ihnen ihre gesetzlich festgelegten Löhne für die gesamte Laufzeit ihrer Arbeitsverträge zu zahlen, und dass Ellinika Nafpigeia verpflichtet sei, im Fall der Beendigung der Arbeitsverträge die gesetzlichen Abfindungen an jeden einzelnen Arbeitnehmer zu zahlen.

29      Das Gericht gab dieser Klage statt, und Ellinika Nafpigeia legte beim Efeteio Athinon (Berufungsgericht Athen, Griechenland) Berufung ein. Dieses Gericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil und führte u. a. aus, dass ETYE nie eine eigenständig organisierte Einheit gewesen sei. Erstens sei ETYE keine autonome Produktionseinheit gewesen, weil für die Produktion und Reparatur von Fahrzeugen die Mitwirkung der vier Produktionsabteilungen von Ellinika Nafpigeia unentbehrlich gewesen sei, und wenn Ellinika Nafpigeia jegliche Geschäftstätigkeit eingestellt hätte, wären der Bau und die Reparatur von Schienenfahrzeugen für ETYE unmöglich gewesen. Zweitens habe ETYE über keine eigene administrative Unterstützung verfügt, die von Ellinika Nafpigeia erbracht worden sei, und drittens habe sie keine finanzielle Autonomie gehabt, da das Finanzmanagement von Ellinika Nafpigeia wahrgenommen worden sei. Das Efeteio Athinon (Berufungsgericht Athen, Griechenland) kam folglich zu dem Schluss, dass kein Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stattgefunden habe und Ellinika Nafpigeia somit weiterhin Arbeitgeberin der betroffenen Arbeitnehmer sei.

30      Ellinika Nafpigeia legte gegen diese Entscheidung am 29. August 2013 beim Areios Pagos (Kassationsgerichtshof, Griechenland) ein Rechtsmittel ein. In der mit der Rechtssache befassten Kammer dieses Gerichts ist eine Meinungsverschiedenheit in Bezug auf die Bedeutung des Begriffs „wirtschaftliche Einheit“ in Art. 1 der Richtlinie 2001/23 aufgetreten.

31      Nach der Auffassung von drei Mitgliedern dieser Kammer hatte ETYE nicht die Möglichkeit, die ihr übertragene Tätigkeit fortzuführen, da sie vor dem fraglichen Übergang nicht über die nötige materielle oder technische Infrastruktur verfügt habe und die ihr anscheinend übertragene Direktion Fahrzeuge ohne die Unterstützung durch die Produktionsabteilungen von Ellinika Nafpigeia sowie deren Dienstleistungen administrativer und finanztechnischer Art nicht funktionsfähig gewesen sei. Diese Beurteilung werde durch das geringe Arbeitsvolumen von ETYE bestätigt, das zu ihrer Insolvenz geführt habe. Durch das Vorstehende werde im Übrigen der Standpunkt der betroffenen Arbeitnehmer gestützt, dass der in Rede stehende Übergang die Einstellung der Tätigkeit im Bereich Bau und Reparatur von Schienenfahrzeugen von Ellinika Nafpigeia und die Beseitigung der damit verbundenen Arbeitsplätze bezweckt habe, ohne dass Ellinika Nafpigeia nachteilige finanzielle Folgen tragen müsse.

32      Zwei Mitglieder der Kammer sind hingegen der Ansicht, dass die übertragene Einheit sowohl vor als auch nach dem in Rede stehenden Übergang hinreichend autonom gewesen sei, um ihre wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Im Fall der Übertragung einer weniger wichtigen Einheit könnten die dem Begriff „wirtschaftliche Einheit“ innewohnenden Merkmale weniger eng aufgefasst werden als im Fall einer Übertragung des gesamten Unternehmens oder einer Haupttätigkeit. Der Umstand, dass die Erwerberin als Tochtergesellschaft vom Veräußerer bei der Ausübung der erworbenen Tätigkeit unterstützt worden sei, schließe nicht aus, dass es sich um einen Übergang handle, da bei der Auslegung des Begriffs „Übergang“ aktuelle Formen des „unternehmerischen Handelns“ berücksichtigt werden müssten, insbesondere wenn Güter und Dienstleistungen Dritter herangezogen würden. Schließlich sei die Absicht des Veräußerers und des Erwerbers, das Unternehmen zu liquidieren, kein Indiz dafür, dass ein Übergang ausgeschlossen sei, sondern ein Gesichtspunkt, der gegebenenfalls den Schluss zulasse, dass die Vertragsbedingungen nach nationalem Recht einseitig geändert worden seien und der übertragende Arbeitgeber den Vertrag verletzt habe.

33      Unter diesen Umständen hat der Areios Pagos (Kassationsgerichtshof) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist im Rahmen der Prüfung, ob ein Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebs- bzw. Unternehmensteilen im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2001/23 vorliegt, unter „wirtschaftlicher Einheit“ eine völlig eigenständige Produktionseinheit zu verstehen, die ihr wirtschaftliches Ziel erreichen kann, ohne sich von Dritten (durch Kauf, Kreditaufnahme, Miete usw.) Produktionsfaktoren (Rohstoffe, Arbeitskräfte, Maschinen, Teile des Enderzeugnisses, unterstützende Dienstleistungen, wirtschaftliche Ressourcen usw.) zu beschaffen? Oder reicht es demgegenüber zur Bejahung des Begriffs „wirtschaftliche Einheit“ aus, dass der Gegenstand der Geschäftstätigkeit unterscheidbar ist, dass dieser tatsächlich Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit sein kann und dass mit der vorliegenden Organisation der Produktionsfaktoren (Rohstoffe, Maschinen und sonstige Ausrüstung, Arbeitskräfte und unterstützende Dienstleistungen) das betreffende Ziel erreicht werden kann, wobei es nicht darauf ankommt, ob der neue Träger der Tätigkeit Produktionsfaktoren auch außerhalb der wirtschaftlichen Einheit beschafft oder im konkreten Fall das Ziel verfehlt?

2.      Ist im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2001/23 das Vorliegen eines Übergangs ausgeschlossen, wenn der Veräußerer oder der Erwerber oder auch beide nicht nur die erfolgreiche Fortführung der Geschäftstätigkeit unter dem neuen Träger beabsichtigen, sondern auch deren künftige Einstellung zum Zweck der Liquidation des betreffenden Unternehmens?

 Zu den Vorlagefragen

34      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2001/23, insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b, dahin auszulegen ist, dass sie auf den Übergang einer Produktionseinheit anzuwenden ist, wenn zum einen der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam mit Blick auf die Fortführung der vom Veräußerer ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Erwerber, aber auch mit Blick auf die spätere Auflösung des Erwerbers selbst im Rahmen einer Abwicklung handeln und zum anderen die in Rede stehende Einheit, die ihr wirtschaftliches Ziel nicht erreichen kann, ohne auf von Dritten stammende Produktionsfaktoren zurückzugreifen, nicht völlig selbständig ist.

35      Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2001/23 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. a auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar ist.

36      Vorbehaltlich des Vorliegens der genannten Voraussetzungen muss der Übergang auch noch die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie festgelegten Voraussetzungen erfüllen, nämlich auf eine ihre Identität bewahrende wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit bezogen sein, unabhängig davon, ob es sich um eine Haupt- oder Nebentätigkeit handelt.

37      Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist in einem ersten Schritt die Frage zu beantworten, ob die Richtlinie 2001/23, insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. b, auf eine Situation, in der der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam nicht nur die Fortführung der Tätigkeit der übertragenen Einheit durch den Erwerber, sondern auch die zukünftige Abwicklung des Erwerbers selbst planen, Anwendung finden kann. Denn nur bei Bejahung dieser Frage ist in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob eine übertragene Einheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/23 fallen kann.

38      Zunächst ist nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 zwar vorgesehen, dass der Übergang „zur Verfolgung einer wirtschaftlichen [Tätigkeit]“ durchgeführt wird, aus dem Wortlaut geht aber weder hervor, dass eine solche Verfolgung der Tätigkeit zeitlich unbegrenzt sein muss, noch, dass der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam nicht auch die Absicht haben könnten, später, nachdem die in Rede stehende Tätigkeit fortgeführt wurde, den Erwerber selbst aufzulösen.

39      So geht aus keiner Bestimmung der Richtlinie 2001/23 hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Anwendbarkeit der Richtlinie vom Weiterbestehen des Erwerbers über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus abhängig machen wollte.

40      Weiter ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung, die zum Ausschluss eines Übergangs wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 führen würde, dem Hauptziel dieser Richtlinie zuwiderliefe.

41      Die Richtlinie 2001/23 soll nämlich die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten (Urteil vom 6. März 2014, Amatori u. a., C‑458/12, EU:C:2014:124, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Übergang scheint aber mit Aussicht auf die Verfolgung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch den neuen Betreiber durchgeführt worden zu sein, so dass die von der Richtlinie 2001/23 garantierte Fortführung der Arbeitsverhältnisse im vorliegenden Fall gewährleistet sein muss.

43      Diese Auslegung wird schließlich durch Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 bekräftigt, der ein Teil des Kontexts ist, in den sich Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie einfügt.

44      Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 sind ihre Art. 3 und 4 nämlich grundsätzlich nicht anzuwenden, wenn gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Abwicklung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.

45      Daraus folgt, dass der im Hinblick auf die Arbeitnehmer durch die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 gewährleistete Schutz nur in dem Fall enden kann, dass gegen den Veräußerer zum Zeitpunkt des Übergangs ein solches Verfahren eröffnet worden ist.

46      Im Ausgangsverfahren steht jedoch fest, dass zum einen gegen den Veräußerer kein solches Verfahren eröffnet worden ist und dass zum anderen die Einstellung der übertragenen wirtschaftlichen Tätigkeit erst für die Zukunft, im Rahmen der Abwicklung des Erwerbers, vorgesehen ist.

47      Demnach kann den vom Übergang betroffenen Arbeitnehmern unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsverfahrens der durch die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2001/23 gewährte Schutz nicht genommen werden.

48      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Richtlinie 2001/23, insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. b, auf eine Situation, in der der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam nicht nur die Fortführung der Tätigkeit der übertragenen Einheit durch den Erwerber, sondern auch die zukünftige Abwicklung des Erwerbers selbst planen, grundsätzlich Anwendung finden kann.

49      Wie aus Rn. 31 des vorliegenden Urteils hervorgeht, scheint das vorlegende Gericht jedoch Zweifel zu haben, ob in der bei ihm anhängigen Rechtssache der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam den Übergang nicht ausnutzen, um ihre wirkliche Absicht zu verbergen, die darin besteht, die Abwicklung der übertragenen Einheit zu ermöglichen, ohne die finanziellen Folgen dafür tragen zu müssen.

50      In diesem Zusammenhang ist auf den Grundsatz des Unionsrechts hinzuweisen, wonach die Anwendung der Unionsvorschriften nicht so weit reicht, dass Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 96 bis 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Daraus folgt, dass der Rechtsvorteil aus der Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts verweigert werden muss, wenn diese nicht geltend gemacht werden, um die Ziele der Vorschriften zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu gelangen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen lediglich formal erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, N Luxembourg 1 u. a., C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16 und C‑299/16, EU:C:2019:134, Rn. 98).

52      Es obliegt dem Gerichtshof, dem vorlegenden Gericht nützliche Anhaltspunkte zu geben, damit es überprüfen kann, ob der Veräußerer und der Erwerber den in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsatz beachten oder nicht.

53      Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 macht seine Anwendbarkeit zwar von der Voraussetzung abhängig, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen Einheit nach dem Übergang weiter verfolgt wird, die bloße Fortsetzung dieser Tätigkeit kann aber nicht als solche zu der Feststellung führen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

54      Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass der Übergang dem Erwerber die dauerhafte Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des Veräußerers erlauben muss, um unter die Richtlinie 2001/23 zu fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 1999, Allen u. a., C‑234/98, EU:C:1999:594, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Das vom Gerichtshof festgesetzte Erfordernis der Dauerhaftigkeit ist als Hinweis auf eine kohärente Gesamtheit von verschiedenen Produktionsfaktoren, insbesondere materielle und immaterielle Betriebsmittel, und dem erforderlichen Personal zu verstehen, die es der übertragenen Einheit erlaubt, eine wirtschaftliche Tätigkeit fortzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 1995, Rygaard, C‑48/94, EU:C:1995:290, Rn. 21).

56      Eine Gesamtheit von Produktionsfaktoren, die ab dem Übergang eine Unausgewogenheit zwischen dem Input und dem Output in der Produktion schaffen soll, und somit riskiert, diese abzuwürgen und allmählich, aber unweigerlich zum Erlöschen der übertragenen Tätigkeit zu führen, kann nicht nur als nicht dem Erfordernis der Dauerhaftigkeit entsprechend angesehen werden, sondern könnte insbesondere eine missbräuchliche Absicht der fraglichen Wirtschaftsteilnehmer zum Ausdruck bringen, mit der sie sich den mit der zukünftigen Abwicklung der übertragenen Einheit verbundenen nachteiligen finanziellen Folgen, die normalerweise dem Veräußerer obliegen müssten und die der Erwerber nicht tragen kann, entziehen wollen.

57      Das könnte auch der Fall sein, wenn die Tätigkeit der übertragenen Einheit auf die Fertigstellung bestimmter Verträge oder Programme beschränkt ist, ohne dass im Unternehmen des Erwerbers eine organisierte Gesamtheit von Faktoren eingerichtet wird wie diejenigen, die in Rn. 55 des vorliegenden Urteils aufgeführt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 1995, Rygaard, C‑48/94, EU:C:1995:290, Rn. 20 bis 22).

58      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Hinblick auf die angeführten Kriterien zu überprüfen, ob der in Rede stehende Veräußerer und Erwerber in einer Situation wie derjenigen des Ausgangsverfahrens den in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts beachten und folglich die in der Richtlinie 2001/23 vorgesehenen Vorteile im Fall eines Unternehmensübergangs in Anspruch nehmen können.

59      In einem zweiten Schritt ist, wie in Rn. 37 des vorliegenden Urteils angekündigt, zu prüfen, ob Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/23 auf die Übertragung einer Einheit wie der im Ausgangsverfahren fraglichen angewendet werden kann.

60      Um in den Anwendungsbereich der Richtlinie zu fallen, muss der Übergang einen Teil des veräußernden Unternehmens betreffen, der eine wirtschaftliche Einheit ist, die als eine hinreichend strukturierte und selbständig organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck verstanden wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2007, Jouini u. a., C‑458/05, EU:C:2007:512, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61      Damit die Richtlinie zur Anwendung kommt, muss die fragliche wirtschaftliche Einheit nach dem Übergang auch ihre Identität bewahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2009, Klarenberg, C‑466/07, EU:C:2009:85, Rn. 39).

62      Da die Identität einer wirtschaftlichen Einheit somit aus mehreren untrennbar zusammenhängenden Merkmalen wie dem Personal der Einheit, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln besteht (Urteil vom 20. Juli 2017, Piscarreta Ricardo, C‑416/16, EU:C:2017:574, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), setzt diese Identität zwangsläufig unter anderen Merkmalen eine funktionelle Selbständigkeit voraus.

63      Die funktionelle Selbständigkeit einer solchen Einheit muss also, da sie Teil ihrer Identität ist, nach dem Übergang beibehalten werden, wie von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 verlangt wird.

64      Im Übrigen ist es nicht notwendig, dass es sich um eine völlige Selbständigkeit handelt. Aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 geht nämlich ausdrücklich hervor, dass diese nicht nur für den Übergang von Unternehmen, sondern auch dann gilt, wenn ein Teil eines Unternehmens übertragen wird.

65      Demnach kann eine Produktionseinheit eines Unternehmens wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, deren Tätigkeit vor dem Übergang innerhalb dieses Unternehmens ausgeübt wurde und deren Selbständigkeit innerhalb dieses Unternehmens aus diesem Grund beschränkt war, nicht ohne Weiteres vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 ausgeschlossen werden.

66      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die übertragene Produktionseinheit ihr wirtschaftliches Ziel möglicherweise nicht erreichen kann, ohne Produktionsfaktoren Dritter heranzuziehen.

67      Wenn nämlich Teilen des gleichen Unternehmens die Autonomie der Gesamtheit dieses Unternehmens zugutekommt, besteht die Gefahr, dass die Selbständigkeit, die diese Teile in ihren eigenen Beziehungen nach außen benötigen, fehlt.

68      In einem ähnlichen Zusammenhang hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass eine Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23, die eine Situation, in der die für die Durchführung der übertragenen Tätigkeit unabdingbaren materiellen Betriebsmittel ununterbrochen im Eigentum des Veräußerers standen, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschlösse, dieser Richtlinie einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit nehmen würde (vgl. Urteil vom 7. August 2018, Colino Sigüenza, C‑472/16, EU:C:2018:646, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69      Da jedoch, wie aus Rn. 21 des vorliegenden Urteils hervorgeht, eine Produktionseinheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die aus der „Direktion Fahrzeuge“ von Ellinika Nafpigeia besteht, auf ETYE, eine Tochtergesellschaft der Ellinika Nafpigeia, übertragen worden ist, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass diese Einheit in Bezug auf die Muttergesellschaft selbständig ist. Die Beibehaltung der Selbständigkeit einer einzelnen Einheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden setzt daher voraus, dass sie nach dem Übergang über hinreichende Garantien verfügt, die ihr den Zugang zu den in Rede stehenden Produktionsfaktoren eines Dritten sichern, damit sie nicht von wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig ist, die von diesem einseitig getroffen werden.

70      Diese Garantien können insbesondere in Form von Übereinkünften oder Verträgen zwischen der übertragenen Einheit und dem betreffenden Dritten erfolgen, die die konkreten und zwingenden Bedingungen festsetzen, unter denen der Zugang zu den Produktionsfaktoren dieses Dritten sichergestellt wird.

71      Letztlich obliegt es dem vorlegenden Gericht, im Licht der in den Rn. 69 und 70 des vorliegenden Urteils dargelegten Punkte unter Berücksichtigung sämtlicher den betreffenden Vorgang kennzeichnender Tatsachen zu überprüfen, ob die übertragene Produktionseinheit über hinreichende Garantien verfügt, die ihren Zugang zu den Produktionsfaktoren Dritter sicherstellen.

72      Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Richtlinie 2001/23, insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b, dahin auszulegen ist, dass sie auf den Übergang einer Produktionseinheit anzuwenden ist, wenn zum einen der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam mit Blick auf die Fortführung der vom Veräußerer ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Erwerber, aber auch mit Blick auf die spätere Auflösung des Erwerbers selbst im Rahmen einer Abwicklung handeln, und zum anderen die in Rede stehende Einheit, die das wirtschaftliche Ziel nicht erreichen kann, ohne auf von Dritten stammende Produktionsfaktoren zurückzugreifen, nicht völlig selbständig ist, vorausgesetzt, dass – was das vorlegende Gericht zu prüfen hat – zum einen der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts beachtet wird, wonach der Veräußerer und der Erwerber nicht versuchen dürfen, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von Vorteilen zu kommen, die sie aus der Richtlinie 2001/23 ziehen könnten, und zum anderen die betreffende Produktionseinheit über hinreichende Garantien verfügt, die ihren Zugang zu den Produktionsfaktoren Dritter sicherstellen, damit sie nicht von wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig ist, die von diesen einseitig getroffen werden.

 Kosten

73      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, insbesondere ihr Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b, ist dahin auszulegen, dass sie auf den Übergang einer Produktionseinheit anzuwenden ist, wenn zum einen der Veräußerer, der Erwerber oder beide gemeinsam mit Blick auf die Fortführung der vom Veräußerer ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit durch den Erwerber, aber auch mit Blick auf die spätere Auflösung des Erwerbers selbst im Rahmen einer Abwicklung handeln, und zum anderen die in Rede stehende Einheit, die das wirtschaftliche Ziel nicht erreichen kann, ohne auf von Dritten stammende Produktionsfaktoren zurückzugreifen, nicht völlig selbständig ist, vorausgesetzt, dass – was das vorlegende Gericht zu prüfen hat – zum einen der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts beachtet wird, wonach der Veräußerer und der Erwerber nicht versuchen dürfen, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von Vorteilen zu kommen, die sie aus der Richtlinie 2001/23 ziehen könnten, und zum anderen die betreffende Produktionseinheit über hinreichende Garantien verfügt, die ihren Zugang zu den Produktionsfaktoren Dritter sicherstellen, damit sie nicht von wirtschaftlichen Entscheidungen abhängig ist, die von diesen einseitig getroffen werden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Griechisch.