Language of document : ECLI:EU:C:2020:856

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

22. Oktober 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Begriff ‚technische Vorschrift‘ – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift zu übermitteln – Keine Anwendbarkeit der nicht übermittelten technischen Vorschrift gegenüber Einzelnen – Unanwendbarkeit auf Dienstleistungserbringer“

In der Rechtssache C‑275/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) mit Entscheidung vom 21. März 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. April 2019, in dem Verfahren

Sportingbet PLC,

Internet Opportunity Entertainment Ltd

gegen

Santa Casa da Misericórdia de Lisboa,

Beteiligte:

Sporting Clube de Braga,

Sporting Clube de Braga – Futebol SAD,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Sportingbet PLC, vertreten durch B. Mendes und S. Ribeiro Mendes, advogados,

–        der Internet Opportunity Entertainment Ltd, vertreten durch L. Marçal und M. Mendes Pereira, advogados,

–        der Santa Casa da Misericórdia de Lisboa, vertreten durch S. Estima Martins, T. Alexandre und P. Faria, advogados,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, J. Gomes de Almeida, A. Pimenta, P. Barros da Costa und A. Silva Coelho als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck, M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und R. Verbeke, advocaten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braga da Cruz und M. Jáuregui Gómez als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 11 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. 1998, L 217, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sportingbet PLC und der Internet Opportunity Entertainment Ltd (im Folgenden: IOE) auf der einen Seite und der Santa Casa da Misericórdia de Lisboa (im Folgenden: Santa Casa) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit des Onlinebetriebs von Glücks- und Geldspielen durch Sportingbet und IOE sowie der Werbung für diese Tätigkeit in Portugal.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 83/189

3        Art. 1 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. 1983, L 109, S. 8) in der durch die Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. 1988, L 81, S. 75) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 83/189) bestimmt:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      Technische Spezifikation: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Festlegungen über Terminologie, Bildzeichen, Prüfung und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung oder Beschriftung sowie Produktionsmethoden und -verfahren für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne von Artikel 38 Absatz 1 des Vertrages, für Nahrungs- und Futtermittel sowie für Arzneimittel ...

5.      Technische Vorschrift: Technische Spezifikationen einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für die Vermarktung oder Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, ausgenommen die von den örtlichen Behörden festgelegten technischen Spezifikationen.

…“

4        In Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, es sei denn, es handelt sich lediglich um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm, wobei es dann ausreicht mitzuteilen, um welche Norm es sich handelt; sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer kurzen Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

…“

 Richtlinie 98/34

5        Art. 1 der Richtlinie 98/34 sieht vor:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

2.      ‚Dienst‘: eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.

Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck

–        ‚im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird;

–        ‚elektronisch erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird;

–        ‚auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird.

3.      ‚technische Spezifikation‘ Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

4.      ‚sonstige Vorschrift‘ eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;

5.      ‚Vorschrift betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.

Im Sinne dieser Definition

–        gilt eine Vorschrift als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielend, wenn sie nach ihrer Begründung und ihrem Wortlaut insgesamt oder in Form einzelner Bestimmungen ausdrücklich und gezielt auf die Regelung dieser Dienste abstellt;

–        ist eine Vorschrift nicht als speziell auf die Dienste der Informationsgesellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder im Sinne eines Nebeneffekts auf diese Dienste auswirkt.

11.      ‚Technische Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

…“

6        Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

Gegebenenfalls – sofern dies noch nicht bei einer früheren Mitteilung geschehen ist – übermitteln die Mitgliedstaaten gleichzeitig den Wortlaut der hauptsächlich und unmittelbar betroffenen grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfs einer technischen Vorschrift notwendig ist.

…“

 Richtlinie 98/48

7        Die Erwägungsgründe 7 und 8 der Richtlinie 98/48 lauten:

„(7)      Es sollte möglich sein, die bestehenden nationalen Regelungen, die auf die gegenwärtigen Dienste anwendbar sind, an die neuen Dienste der Informationsgesellschaft anzupassen, und zwar entweder im Sinne eines besseren Schutzes der Allgemeininteressen oder, im Gegenteil, im Sinne einer Lockerung der Regelungen, wenn ihre Anwendung in Anbetracht der Zielsetzungen unangemessen wäre.

(8)      Ohne Koordinierung auf Gemeinschaftsebene könnten sich aus dieser auf nationaler Ebene vorhersehbaren Regelungstätigkeit Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit ergeben, die zu einer Zersplitterung des Binnenmarktes, zu einer Überreglementierung und zu rechtlichen Inkohärenzen führen würden.“

 Portugiesisches Recht

8        Das Decreto-Lei nº 422/89 (Gesetzesdekret Nr. 422/89) vom 2. Dezember 1989 (Diário da República I, Serie I‑A, Nr. 277, vom 2. Dezember 1989) in seiner durch das Decreto-Lei n° 10/95 (Gesetzesdekret Nr. 10/95) vom 19. Januar 1995 geänderten Fassung (im Folgenden: DL Nr. 422/89) sieht in Art. 3 („Spielzonen“) vor:

„1 – Die Veranstaltung von und die Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen ist nur in Kasinos, die in den durch Decreto-Lei geschaffenen ständigen oder vorübergehenden Spielzonen bestehen, oder außerhalb dieser Zonen in den Ausnahmefällen nach den Art. 6 bis 8 erlaubt.

2 – Für die Veranstaltung von und die Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen wird es Spielzonen auf den Azoren, an der Algarve, in Espinho, in Estoril, in Figueira da Foz, in Funchal, auf Porto Santo, in Póvoa de Varzim, in Tróia und in Vidago Pedras Salgadas geben.

3 – Der Mindestabstand zum Schutz vor Wettbewerb zwischen Kasinos in Spielzonen wird für jeden einzelnen Fall durch eine Durchführungsverordnung bestimmt, die die Voraussetzungen für die Erteilung der jeweiligen Konzessionen festlegt.

4 – Mittels nach Anhörung der Inspecção‑Geral de Jogos [(im Folgenden: Generalinspektion für Spiele)] erteilter Erlaubnis des für die Aufsicht zuständigen Regierungsmitglieds können die Konzessionäre der Spielzonen für die Veranstaltung des Bingospiels in Sälen optieren, die die regulatorischen Anforderungen erfüllen, denen auch Kasinos unterliegen, jedoch außerhalb von diesen liegen, sofern sie in dem Gemeindegebiet liegen, in dem sich diese befinden.“

9        Art. 6 („Veranstaltung von Glücksspielen an Bord von Schiffen oder Luftfahrzeugen“) dieses Gesetzesdekrets bestimmt:

„1 – Das für Tourismus zuständige Regierungsmitglied kann nach Anhörung der Generalinspektion für Spiele und der Direcção-Geral do Turismo [(im Folgenden: Generaldirektion für Tourismus)] für bestimmte Zeit die Veranstaltung von und die Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen an Bord von in Portugal registrierten Luftfahrzeugen oder Schiffen erlauben, wenn diese sich außerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets befinden.

2 – Die Veranstaltung von Spielen, auf die sich Abs. 1 bezieht, kann nur den Unternehmen, die Eigentümer oder Charterer der nationalen Schiffe oder Luftfahrzeuge sind, oder Unternehmen, die Inhaber von Konzessionen in den Spielzonen sind, mit deren Genehmigung gewährt werden.

3 – Die Veranstaltung von und die Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen, die nach diesem Artikel erlaubt werden, unterliegen den für ihre Durchführung in Kasinos erlassenen Regeln, wobei das für die Aufsicht zuständige Regierungsmitglied durch Erlass die besonderen Bedingungen festlegt, die einzuhalten sind.“

10      Art. 7 („Veranstaltung von Spielen ohne Bankhalter und Betrieb von Geldspielautomaten außerhalb von Kasinos“) des Gesetzesdekrets lautet:

„1 – Bei Veranstaltungen von bedeutendem touristischem Interesse kann das für die Aufsicht zuständige Regierungsmitglied nach Anhörung der Generalinspektion für Spiele und der Generaldirektion für Tourismus die Veranstaltung von und die Teilnahme an Spielen ohne Bankhalter außerhalb von Kasinos erlauben.

2 – An überwiegend touristisch geprägten Orten kann das für die Aufsicht zuständige Regierungsmitglied nach Anhörung der Generalinspektion für Spiele und der Generaldirektion für Tourismus die Veranstaltung von und die Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen an Automaten in Beherbergungs- oder ergänzenden Betrieben erlauben, wobei die Einzelheiten und der Umfang in einer Durchführungsverordnung festgelegt werden.

3 – Die in den vorhergehenden Absätzen genannten Erlaubnisse können – unbeschadet des Art. 3 Abs. 3 – nur dem Konzessionär der Spielzone erteilt werden, dessen Kasino in Luftlinie dem Ort, an dem die Veranstaltung stattfindet, am nächsten liegt.

4 – Die Veranstaltung von und die Teilnahme an Spielen unter den in den vorhergehenden Absätzen genannten Bedingungen unterliegen den für ihre Durchführung in Kasinos erlassenen Regeln, wobei durch Erlass die besonderen Bedingungen festgelegt werden, die einzuhalten sind.“

11      In Art. 8 („Bingospiel“) desselben Gesetzesdekrets heißt es:

„Außerhalb des Gebiets der Gemeinden, in denen sich die Kasinos befinden, und des Gebiets der angrenzenden Gemeinden, kann die Veranstaltung von und die Teilnahme an Bingospielen nach den anwendbaren besonderen Rechtsvorschriften auch in speziellen Sälen stattfinden.“

12      Art. 9 („Konzessionsregelung“) des DL Nr. 422/89 bestimmt:

„Das Recht zur Veranstaltung von Glücks- oder Geldspielen ist dem Staat vorbehalten und kann nur von in Form einer Kapitalgesellschaft gegründeten Unternehmen ausgeübt werden, denen die Regierung die entsprechende Konzession durch einen verwaltungsrechtlichen Vertrag verleiht, außer in den in Art. 6 Abs. 2 vorgesehenen Fällen.“

13      Das Decreto-Lei n° 282/2003 (Gesetzesdekret Nr. 282/2003) vom 8. November 2003 (Diário da República I, Serie‑A, Nr. 259, vom 8. November 2003, im Folgenden: DL Nr. 282/2003) sieht in seinem Art. 2 („Anwendungsbereich“) vor:

„Die Veranstaltung im Sinne des Art. 1 erfolgt für das gesamte nationale Hoheitsgebiet einschließlich des Rundfunkbereichs, des analogen und digitalen terrestrischen Richtfunkspektrums, des Internets sowie aller anderen öffentlichen Telekommunikationsnetze ausschließlich durch die Santa Casa..., vertreten durch ihr Departamento de Jogos [(Abteilung ‚Spiele‘)], nach den Rechtsvorschriften, die die jeweiligen Spiele regeln, und dem Decreto-Lei Nr. 322/91 (Gesetzesdekret Nr. 322/91) vom 26. August 1991.“

14      Art. 3 („Spielvertrag“) des DL Nr. 282/2003 bestimmt:

„1 – Der Spielvertrag wird unmittelbar zwischen dem Spieler und der Abteilung ‚Spiele‘ der Santa Casa ... mit oder ohne Einsatz von Vermittlern geschlossen.

2 – Durch einen Spielvertrag erwirbt einer der Vertragspartner durch die Zahlung eines bestimmten Betrags Nummern oder Prognosen, die ihn dazu berechtigen, als Gegenleistung einen vom anderen Vertragspartner zu zahlenden festen oder veränderlichen Preis entsprechend dem Ergebnis eines Vorgangs zu erhalten, der nach im Voraus festgelegten Regeln ausschließlich oder vornehmlich vom Zufall abhängt.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15      Sportingbet ist eine Gesellschaft, die über elektronische Medien Glücksspiele, diesen verwandte Spiele, Totalisatorwetten und Lotterien veranstaltet. Sie ist Inhaberin der Internetdomain www.sportingbet.com, über die Nutzer an dieser Art von Spielen teilnehmen können. Es gibt eine portugiesische Fassung dieser Seite, die automatisch erscheint, wenn der Nutzer, der sie aufruft, sich in Portugal befindet.

16      IOE ist das Unternehmen, das die Seite „www.sportingbet.com“ im Auftrag von Sportingbet verwaltet.

17      Sportingbet erteilte IOE die Erlaubnis, die Domains sportingbet.com und sportingbetplc.com sowie die Marken Global Sportsbook & Casino sportingbet sowie sportingbet in ihrem Namen einzutragen und zu ihrem Vorteil zu nutzen.

18      Santa Casa ist eine juristische Person mit Verwaltungsgemeinnützigkeit und ohne Gewinnerzielungsabsicht, die Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit ausübt. Die Portugiesische Republik hat ihr das ausschließliche Recht übertragen, Social Games und Totalisatorwetten, u. a. über elektronische Medien, zu veranstalten.

19      Der Sporting Clube de Braga (im Folgenden: SC Braga) ist ein Sportverein, der in verschiedenen Sportarten, u. a. im Fußball, an Wettbewerben teilnimmt.

20      Die Sporting Clube de Braga – Futebol SAD (im Folgenden: SC Braga SAD) ist eine Gesellschaft, die zur Verwaltung der Profifußballabteilung des SC Braga gegründet wurde; in der Saison 2006/2007 nahm die Profifußballmannschaft des SC Braga in Portugal an den Spielen um die Meisterschaft in der ersten Liga teil.

21      IOE und SC Braga SAD schlossen sowohl für die Sportsaison 2006/2007 als auch für die Sportsaison 2007/2008 einen Sponsoringvertrag, der die Werbung für die Tätigkeit von Sportingbet und die Förderung dieser Tätigkeit zum Gegenstand hatte. Diese von SC Braga und SC Braga SAD durchgeführte Werbekampagne sah die Verbreitung des Logos von Sportingbet sowie einer Abbildung mit dem Schriftzug „www.sportingbet.com“ vor. Die Abbildungen wurden über die Website des SC Braga verbreitet und waren mit einem Link versehen, der direkt auf die Website von Sportingbet führte. Außerdem trug die Profifußballmannschaft des SC Braga das Logo von Sportingbet bei einem Freundschaftsspiel auf ihrer Sportausrüstung.

22      Santa Casa erhob Klage gegen den SC Braga, die SC Braga SAD, Sportingbet sowie IOE und beantragte u. a., den Sponsoringvertrag für nichtig zu erklären, die Tätigkeit von Sportingbet in Portugal sowie die Werbung hierfür für rechtswidrig zu erklären, dieser Gesellschaft die Veranstaltung von Lotterien und Totalisatorwetten für Portugal zu untersagen, den Beklagten jede Form der Werbung für die Website „www.sportingbet.com“ oder der Bekanntmachung dieser Website zu verbieten und die Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung für die Schäden zu verurteilen, die sie durch deren rechtswidrige Handlungen erlitten habe.

23      Im ersten Rechtszug erging ein Urteil, mit dem der Klage von Santa Casa teilweise stattgegeben wurde. Insoweit wurde den ersten drei der in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Anträge von Santa Casa vollumfänglich und dem vierten Antrag nur in Bezug auf Sportingbet und IOE stattgegeben; der Schadensersatzantrag der Klägerin wurde zurückgewiesen.

24      Sportingbet und IOE legten gegen das erstinstanzliche Urteil Rechtsmittel beim Tribunal da Relação de Guimarães (Berufungsgericht Guimarães, Portugal) ein. Allerdings bestätigte dieses Gericht mit Urteil vom 7. April 2016 die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung.

25      Daraufhin legten sowohl Sportingbet als auch IOE beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein und beantragten die Aufhebung des bestätigenden Urteils. IOE beantragte beim Supremo Tribunal de Justiçia (Oberster Gerichtshof, Portugal) darüber hinaus, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen zu befassen.

26      Mit Entscheidung vom 16. März 2017 beschloss das vorlegende Gericht, dem Gerichtshof zehn Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Mit den Fragen 8 bis 10 wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich Einzelne auf die in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen technischen Vorschriften, wie etwa das DL Nr. 422/89 und das DL Nr. 282/2003, berufen können, wenn diese der Kommission von diesem Mitgliedstaat nicht übermittelt wurden.

27      Mit Beschluss vom 19. Oktober 2017, Sportingbet und Internet Opportunity Entertainment (C‑166/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:790), hat der Gerichtshof die Fragen 8 bis 10 für offensichtlich unzulässig erklärt, weil er sich mangels der für die erbetene Auslegung des Unionsrechts erforderlichen Anhaltspunkte nicht zur Beantwortung dieser Fragen in der Lage sah.

28      IOE beantragte, dem Gerichtshof die Fragen, die in der durch jenen Beschluss entschiedenen Rechtssache als Vorlagefragen 8 bis 10 gestellt wurden, erneut vorzulegen, sie aber nun um die Anhaltspunkte zu ergänzen, die im vorigen Vorabentscheidungsersuchen gefehlt hatten. Santa Casa sprach sich gegen ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen aus.

29      Das vorlegende Gericht ist weiterhin der Auffassung, dass die Beantwortung dieser Fragen für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens unerlässlich und nicht eindeutig geklärt ist.

30      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich nämlich nach wie vor die Frage, ob Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass es sich bei der Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats, wonach das ausschließliche Recht, im gesamten Hoheitsgebiet dieses Staates Lotterien und Wetten zu veranstalten und zu betreiben, auf alle elektronischen Kommunikationsmittel, insbesondere das Internet, ausgedehnt wird, um eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung handelt. Das vorlegende Gericht sowie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, dass gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 eine Bejahung dieser Frage zur Folge hätte, dass der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet wäre, der Kommission die entsprechenden nationalen Bestimmungen als technische Vorschriften zu übermitteln, weil diese andernfalls Einzelnen nicht entgegengehalten werden könnten.

31      Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Die Portugiesische Republik hat der Kommission die im DL Nr. 422/89 enthaltenen technischen Vorschriften nicht übermittelt; sind diese Vorschriften – genauer gesagt dessen Art. 3 und 9 – damit unanwendbar, und können sich Einzelne auf diese Unanwendbarkeit berufen?

2.      Die Portugiesische Republik hat der Kommission die im DL Nr. 282/2003 enthaltenen technischen Vorschriften nicht übermitttelt; sind diese – genauer gesagt dessen Art. 2 und 3 – damit auf Dienstleistungserbringer in Portugal nicht anzuwenden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

32      Santa Casa und die belgische Regierung machen geltend, dass die Vorlagefragen unzulässig seien, weil IOE eine in einem Drittstaat, nämlich auf Antigua und Barbuda, ansässige Gesellschaft sei und sich als solche nicht auf die Grundfreiheiten und infolgedessen auch nicht auf die Richtlinie 98/34 berufen könne. Diese Gesellschaft sei die einzige der beiden Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die sich auf Argumente im Zusammenhang mit den Vorlagefragen stütze.

33      Es ist daran zu erinnern, dass es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt (Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Daraus folgt, dass für die von den nationalen Gerichten gestellten Fragen eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt und dass der Gerichtshof die Beantwortung dieser Fragen nur ablehnen kann, wenn die erbetene Auslegung in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung dieser Fragen erforderlich sind (Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall weist aber, wie in Rn. 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, das vorlegende Gericht darauf hin, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen der Richtlinie 98/34 für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei. Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht feststellen lassen, ob die darin angeführten Bestimmungen des nationalen Rechts, wonach sich das ausschließliche Recht, im gesamten Hoheitsgebiet Lotterien und Totalisatorwetten zu veranstalten und zu betreiben, auf alle elektronischen Kommunikationsmittel – u. a. das Internet – erstreckt, in den Anwendungsbereich insbesondere dieser Richtlinie fallen. Sollte dies der Fall sein, möchte es außerdem wissen, welche Folgen sich daraus ergeben, wenn diese Bestimmungen unter den Begriff „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie fallen.

36      Unter diesen Umständen sind die von Santa Casa und der belgischen Regierung vorgebrachten Argumente im Hinblick auf die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung nicht geeignet, die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der vom vorlegenden Gericht formulierten Fragen zu widerlegen, da sie eher die Anwendbarkeit der Richtlinie auf den Ausgangsrechtsstreit und damit die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits in der Sache betreffen.

37      Demzufolge sind die Vorlagefragen zulässig.

 Vorbemerkungen

38      Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft Bestimmungen des DL Nr. 422/89, und in der zweiten geht es um Bestimmungen des DL Nr. 282/2003.

39      Im Hinblick darauf, wann zum einen diese Gesetzesdekrete und zum anderen die Richtlinien 83/189 und 98/34 in Kraft getreten sind, ist die erste Frage unter dem Blickwinkel der Richtlinie 83/189 und die zweite unter dem Blickwinkel der Richtlinie 98/34 zu prüfen.

 Zur ersten Frage

40      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 83/189 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die bestimmt, dass das Recht, Glücksspiele zu betreiben, dem Staat vorbehalten wird und nur von in Form einer Kapitalgesellschaft gegründeten Unternehmen ausgeübt werden darf, denen der betreffende Mitgliedstaat die entsprechende Konzession erteilt hat, und die die Bedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit und die Gebiete, in denen diese erlaubt ist, vorsieht, eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Sollte dies der Fall sein, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob die Tatsache, dass diese nationale Rechtsvorschrift der Kommission nicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie übermittelt wurde, zur Folge hat, dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

41      Nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 83/189 sind unter einer technischen Vorschrift technische Spezifikationen einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften zu verstehen, deren Beachtung de iure oder de facto für die Vermarktung oder Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, ausgenommen die von den örtlichen Behörden festgelegten technischen Spezifikationen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift.

42      Nach Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 83/189 ist eine „technische Spezifikation“ im Sinne dieser Richtlinie die Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Festlegungen über Terminologie, Bildzeichen, Prüfung und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung oder Beschriftung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2001, van der Burg, C‑278/99, EU:C:2001:143, Rn. 20).

43      Da die Art. 3 und 9 des DL Nr. 422/89 für das Betreiben von Glücks- oder Geldspielen ein Konzessionssystem sowie die Bedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit und die Gebiete hierfür vorsehen, ist nicht erkennbar, inwiefern diese Bestimmungen gemäß Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 83/189 die Merkmale eines Erzeugnisses betreffen sollten, so dass sie nicht als „technische Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie qualifiziert werden können.

44      Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 83/189 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die bestimmt, dass das Recht, Glücksspiele zu betreiben, dem Staat vorbehalten wird und nur von in Form einer Kapitalgesellschaft gegründeten Unternehmen ausgeübt werden darf, denen der betreffende Mitgliedstaat die entsprechende Konzession erteilt hat, und die die Bedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit und die Gebiete hierfür vorsieht, keine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

 Zur zweiten Frage

45      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 in Verbindung mit deren Art. 1 Nr. 5 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift, wonach das einer öffentlichen Einrichtung vorbehaltene ausschließliche Recht zum Betrieb bestimmter Glücksspiele für das gesamte nationale Hoheitsgebiet auch den Betrieb über das Internet umfasst, eine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt. Sollte dies der Fall sein, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob die Tatsache, dass diese nationale Rechtsvorschrift der Kommission nicht nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie übermittelt wurde, zur Folge hat, dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

46      Der Begriff „technische Vorschrift“ umfasst erstens „technische Spezifikationen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie, zweitens „sonstige Vorschriften“ gemäß der Definition in Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie, drittens „Vorschriften betreffend Dienste“ nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie und viertens „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden“, im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34  (Urteil vom 26. September 2018, Van Gennip u. a., C‑137/17, EU:C:2018:771, Rn. 37).

47      Nach Art. 1 Nr. 5 der genannten Richtlinie ist eine „Vorschrift betreffend Dienste“ eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie genannten Dienste, die für „eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“, stehen.

48      Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Bestimmungen über das Verbot, Glücksspiele im Internet anzubieten, die Ausnahmen von diesem Verbot und die Beschränkungen der Möglichkeit, Sportwetten im Internet anzubieten, sowie das Verbot der Werbung für Glücksspiele im Internet als „Vorschriften betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 qualifiziert werden können, da sie eine „Dienstleistung der Informationsgesellschaft“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie betreffen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 75).

49      Im vorliegenden Fall betreffen die Regelungen der Art. 2 und 3 des DL Nr. 282/2003 gerade Dienstleistungen der Informationsgesellschaft. Darüber hinaus ist, da Santa Casa das ausschließliche Recht zum Betrieb von Glücksspielen über das Internet übertragen wurde, gemäß diesen Bestimmungen allen Wirtschaftsteilnehmern mit Ausnahme dieser öffentlichen Einrichtung die Erbringung solcher Dienstleistungen untersagt.

50      Folglich fallen diese Bestimmungen unter die vierte Kategorie des Begriffs „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34, die „Rechts[vorschriften] ..., mit denen ... [die] Erbringung ... eines Dienstes ... verboten [wird]“, betrifft.

51      Eine solche Auslegung ist vereinbar mit dem Ziel der Richtlinie 98/34, wie es sich aus den Erwägungsgründen 7 und 8 der Richtlinie 98/48 ergibt, mit der diese Richtlinie geändert wurde, und das darauf gerichtet ist, die bestehenden nationalen Regelungen an die neuen Dienste der Informationsgesellschaft anzupassen und Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit, die zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts führen würden, zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Falbert u. a., C‑255/16, EU:C:2017:983, Rn. 34).

52      In Bezug auf die Frage, ob die Art. 2 und 3 des DL Nr. 282/2003, bevor sie in Kraft gesetzt wurden, gemäß Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 der Kommission hätten übermittelt werden müssen, ist daran zu erinnern, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung, nämlich dass die Mitgliedstaaten der Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift übermitteln, in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 bereits ebenso vorgesehen war wie die Sanktion der Unanwendbarkeit von nicht übermittelten technischen Vorschriften (Urteil vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 35 und 36).

53      Die in Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 vorgesehene Verpflichtung zur Mitteilung stellt ein wichtiges Mittel zur Verwirklichung der Kontrolle durch die Europäische Union dar, mit der der freie Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit geschützt werden sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Falbert u. a., C-255/16, EU:C:2017:983, Rn. 34). Eine Missachtung dieser Verpflichtung stellt daher einen wesentlichen Verfahrensmangel beim Erlass der betreffenden technischen Vorschriften dar, der zur Unanwendbarkeit dieser technischen Vorschriften führt, so dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 67, sowie vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Unanwendbarkeit kann von den Einzelnen vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden; das Gericht ist verpflichtet, die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift, die nicht gemäß der Richtlinie 98/34 übermittelt wurde, abzulehnen (Urteil vom 10. Juli 2014, Ivansson u. a., C‑307/13, EU:C:2014:2058, Rn. 48).

54      Nach alledem sind die technischen Vorschriften in den Art. 2 und 3 des DL Nr. 282/2003 unanwendbar, da sie der Kommission nicht gemäß der Richtlinie 98/34 übermittelt wurden, und können folglich Einzelnen nicht entgegengehalten werden. Insoweit ist, anders als von Santa Casa und der belgischen Regierung ausgeführt, unerheblich, dass ein Wirtschaftsteilnehmer sich auf die Grundfreiheiten oder auf diese Richtlinie berufen kann.

55      Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 in Verbindung mit deren Art. 1 Nr. 5 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Rechtsvorschrift, wonach das einer öffentlichen Einrichtung vorbehaltene ausschließliche Recht zum Betrieb bestimmter Glücksspiele für das gesamte nationale Hoheitsgebiet auch den Betrieb über das Internet umfasst, eine „technische Vorschrift“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellt, deren fehlende Übermittlung an die Kommission nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie zur Folge hat, dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

 Kosten

56      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der durch die Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Rechtsvorschrift, die bestimmt, dass das Recht, Glücksspiele zu betreiben, dem Staat vorbehalten wird und nur von in Form einer Kapitalgesellschaft gegründeten Unternehmen ausgeübt werden darf, denen der betreffende Mitgliedstaat die entsprechende Konzession erteilt hat, und die die Bedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit und die Gebiete hierfür vorsieht, keine „technische Vorschrift“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

2.      Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 1 Nr. 5 dieser geänderten Richtlinie ist dahin auszulegen, dass eine nationale Rechtsvorschrift, wonach das einer öffentlichen Einrichtung vorbehaltene ausschließliche Recht zum Betrieb bestimmter Glücksspiele für das gesamte nationale Hoheitsgebiet auch den Betrieb über das Internet umfasst, eine „technische Vorschrift“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellt, deren fehlende Übermittlung an die Kommission nach Art. 8 Abs. 1 der geänderten Richtlinie zur Folge hat, dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden kann.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Portugiesisch.