SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
GERARD HOGAN
vom 4. März 2021(1)
Rechtssache C‑521/19
CB
gegen
Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Galicia [Oberstes Gericht von Galicien, Spanien])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2006/112/EG – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Klage gegen Festsetzungen und Sanktionen auf der Grundlage der Einkommensteuer – Nicht in Rechnung gestellte Umsätze, die der Mehrwertsteuer unterliegen – Steuerbemessungsgrundlage – Einbeziehung in den zwischen den Parteien vereinbarten Preis“
I. Einleitung
1. Welche Maßnahmen soll eine Steuerbehörde gegebenenfalls ergreifen, wenn sie entdeckt, dass bestimmte Steuerpflichtige (d. h. Parteien eines Umsatzes, die keine Endverbraucher sind) einen Umsatz auf betrügerische Weise verschleiert haben? Kann die Begründung des früheren Urteils des Gerichtshofs vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722), zu diesem Zweck als zufrieden stellende Anleitung angesehen werden? Diese Fragen stellen sich neben anderen im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen, das aus dem Verfahren vor dem Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Oberstes Gericht von Galicien, Spanien) zwischen einer natürlichen Person, CB, und dem Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia (Regionale Einspruchsentscheidungsstelle Galicien, Spanien) hervorgeht.
2. Bevor ich mich dem Sachverhalt zuwende, ist zunächst der rechtliche Rahmen darzulegen.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
3. Die Erwägungsgründe 25, 26 und 39 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) lauten:
„(25) Die Steuerbemessungsgrundlage sollte harmonisiert werden, damit die Anwendung der Mehrwertsteuer auf die steuerbaren Umsätze in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führt.
(26) Um zu gewährleisten, dass die Einschaltung verbundener Personen zur Erzielung von Steuervorteilen nicht zu Steuerausfällen führt, sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, unter bestimmten, genau festgelegten Umständen hinsichtlich des Wertes von Lieferungen von Gegenständen, Dienstleistungen und innergemeinschaftlichen Erwerben von Gegenständen tätig zu werden.
…
(39) Der Vorsteuerabzug sollte insoweit harmonisiert werden, als er die tatsächliche Höhe der Besteuerung beeinflusst, und die Pro-rata-Sätze des Vorsteuerabzugs sollten in allen Mitgliedstaaten auf gleiche Weise berechnet werden.“
4. Art. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„(1) Diese Richtlinie legt das gemeinsame Mehrwertsteuersystem fest.
(2) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wird bis zur Einzelhandelsstufe, diese eingeschlossen, angewandt.“
5. Art. 72 in Titel VII („Steuerbemessungsgrundlage“) der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gilt als ‚Normalwert‘ der gesamte Betrag, den ein Empfänger einer Lieferung oder ein Dienstleistungsempfänger auf derselben Absatzstufe, auf der die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung erfolgt, an einen selbständigen Lieferer oder Dienstleistungserbringer in dem Mitgliedstaat, in dem der Umsatz steuerpflichtig ist, zahlen müsste, um die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zu erhalten.
Kann keine vergleichbare Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen ermittelt werden, ist der Normalwert wie folgt zu bestimmen:
(1) bei Gegenständen, ein Betrag nicht unter dem Einkaufspreis der Gegenstände oder gleichartiger Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises nicht unter dem Selbstkostenpreis, und zwar jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden;
(2) bei Dienstleistungen, ein Betrag nicht unter dem Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung.“
6. Art. 73 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
7. Art. 74 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Bei den in den Artikeln 16 und 18 genannten Umsätzen in Form der Entnahme oder der Zuordnung eines Gegenstands des Unternehmens durch einen Steuerpflichtigen oder beim Besitz von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder seine Rechtsnachfolger im Fall der Aufgabe seiner steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Steuerbemessungsgrundlage der Einkaufspreis für diese oder gleichartige Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises der Selbstkostenpreis, und zwar jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden.“
8. Art. 77 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Bei der Erbringung einer Dienstleistung durch einen Steuerpflichtigen für das eigene Unternehmen im Sinne des Artikels 27 ist die Steuerbemessungsgrundlage der Normalwert des betreffenden Umsatzes.“
9. Art. 78 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:
a) Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;
b) Nebenkosten wie Provisions‑, Verpackungs‑, Beförderungs- und Versicherungskosten, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger fordert.
Die Mitgliedstaaten können als Nebenkosten im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe b Kosten ansehen, die Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung sind.“
10. Art. 273 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“
B. Spanisches Recht
11. Art. 78 („Steuerbemessungsgrundlage. Allgemeine Regel“) Abs. 1 der Ley 37/1992 del Impuesto sobre el Valor Añadido (Gesetz 37/1992 über die Mehrwertsteuer)(3) vom 28. Dezember 1992 (im Folgenden: Gesetz 37/1992) sieht vor:
„Die Steuerbemessungsgrundlage besteht aus dem Gesamtbetrag der vom Empfänger oder von Dritten für die der Steuer unterliegenden Umsätze erbrachten Gegenleistung.“
12. Art. 88 des Gesetzes 37/1992 („Abwälzung der Steuer“) lautet:
(1) Die Steuerpflichtigen müssen den Betrag der Steuer in vollem Umfang auf die Person abwälzen, für die der besteuerte Umsatz bewirkt wird, und diese hat die Steuer zu zahlen, vorausgesetzt, die Abwälzung erfolgt im Einklang mit den Bestimmungen dieses Gesetzes, unabhängig davon, was die Parteien untereinander vereinbart haben.
Bei steuerbaren und nicht steuerbefreiten Warenlieferungen und Dienstleistungen, deren Empfänger eine öffentliche Stelle ist, wird immer davon ausgegangen, dass der Steuerpflichtige bei der Formulierung seiner Preisangebote, auch wenn diese nur mündlich erfolgen, in diese Angebote die Mehrwertsteuer einbezogen hat, die gegebenenfalls gleichwohl als unabhängiger Teil in den Unterlagen abgewälzt werden muss, die für die Erhebung vorgelegt werden, während sich der vereinbarte Gesamtbetrag als Folge des ausgewiesenen Betrags der abgewälzten Steuer nicht erhöhen darf.
(2) Die Abwälzung der Steuer muss mittels einer Rechnung und im Einklang mit den gesetzlichen Voraussetzungen erfolgen. Zu diesem Zweck wird der abgewälzte Betrag, auch bei verwaltungsmäßig festgesetzten Preisen, unter Angabe des angewendeten Steuersatzes gesondert von der Steuerbemessungsgrundlage ausgewiesen. Gesetzlich festgelegte Umsätze sind von dem Vorstehenden ausgenommen.
(3) Die Abwälzung der Steuer muss im Zeitpunkt der Ausstellung und Aushändigung der entsprechenden Rechnung erfolgen.
(4) Das Recht zur Abwälzung der Steuer erlischt nach Ablauf eines Jahres seit dem Fälligkeitsdatum.
(5) Der Empfänger des mit der Mehrwertsteuer belasteten Umsatzes ist vor dem Fälligkeitsdatum der Mehrwertsteuer nicht zur Zahlung der abgewälzten Mehrwertsteuer verpflichtet.
(6) Etwaige Streitigkeiten mit Bezug auf die Abwälzung der Steuer, sowohl hinsichtlich ihrer Zulässigkeit als auch ihrer Höhe, gelten für die Zwecke der entsprechenden Einsprüche im Wirtschaftsverwaltungsverfahren als steuerlicher Art.“
13. Art. 89 des Gesetzes 37/1992 („Berichtigung der abgewälzten Steuerbeträge“) sieht vor:
„(1) Steuerpflichtige sind zur Berichtigung der abgewälzten Steuerbeträge verpflichtet, wenn deren Betrag fehlerhaft bestimmt wurde oder Umstände eintreten, die nach den Bestimmungen von Art. 80 dieses Gesetzes zur Änderung der Steuerbemessungsgrundlage führen.
Die Berichtigung muss zu dem Zeitpunkt erfolgen, in dem die Gründe für die fehlerhafte Bestimmung der Beträge bekannt werden oder die anderen Umstände eintreten, auf die der vorstehende Unterabsatz Bezug nimmt, sofern noch keine vier Jahre seit dem Zeitpunkt der Fälligkeit der dem Umsatz entsprechenden Steuer oder gegebenenfalls seit dem Eintreten der in Art. 80 dieses Gesetzes in Bezug genommenen Umstände vergangen sind.
(2) Die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes finden auch Anwendung, wenn kein Betrag abgewälzt und die dem Umsatz entsprechende Rechnung ausgestellt worden ist.
(3) Unbeschadet der Bestimmungen in den vorstehenden Absätzen dürfen die abgewälzten Steuerbeträge in den folgenden Fällen nicht berichtigt werden:
1. wenn die Berichtigung nicht auf den in Art. 80 dieses Gesetzes genannten Gründen beruht, eine Erhöhung der abgewälzten Beträge bedeutet und die Empfänger der Umsätze nicht als Unternehmer oder Gewerbetreibende handeln, außer in Fällen der gesetzlichen Anhebung der Steuersätze, in denen die Berichtigung im Monat des Inkrafttretens der neuen Steuersätze sowie im Folgemonat erfolgen kann;
2. wenn die Steuerbehörde durch entsprechende Steuerfestsetzung fällige und nicht abgewälzte Steuerbeträge nachweist, die die vom Steuerpflichtigen erklärten übersteigen, und aufgrund objektiver Daten feststeht, dass dieser Steuerpflichtige an einem Betrug beteiligt war oder wusste oder bei angemessener Sorgfalt hätte wissen müssen, dass er einen Umsatz bewirkte, der Teil eines Betrugs war.“
III. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und das Vorabentscheidungsersuchen
14. CB, der Kläger des Ausgangsverfahrens, ist ein Selbständiger, der einer Tätigkeit als Vermittler von Künstlern nachgeht, die grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegt. In dieser Eigenschaft erbrachte er Dienstleistungen für die Lito-Gruppe, eine Gruppe von Unternehmen, die derselben Person gehören und die für das Management der Infrastruktur und von Orchestern für religiöse und Dorffeste in Galicien verantwortlich war. Insbesondere nahm CB Kontakt zu Festkommittees, informellen Einwohnergruppen, die die Festlichkeiten organisierten, auf und verhandelte im Namen der Lito-Gruppe über den Auftritt der Orchester.
15. Die Zahlungen der Festkommittees an die Lito-Gruppe erfolgten in diesem Zusammenhang meist in bar, ohne Rechnung oder Verbuchung. Sie wurden weder für Zwecke der Körperschaftsteuer noch für Zwecke der Mehrwertsteuer erklärt. Zehn Prozent der Einnahmen der Lito-Gruppe wurden in bar an CB ausgezahlt und nicht erklärt. CB führte keine Buchhaltung, erstellte keine offiziellen Aufzeichnungen, stellte keine Rechnungen aus und erhielt solche auch nicht und gab infolgedessen keine Mehrwertsteuererklärungen ab.
16. Am 14. Juli 2014 stellte die Steuerbehörde nach einer Steuerprüfung fest, dass die Beträge, die CB als Vergütung für seine Tätigkeit als Vermittler für die Lito-Gruppe erhalten habe, nämlich 64 414,90 Euro im Jahr 2010, 67 565,40 Euro im Jahr 2011 und 60 692,50 Euro im Jahr 2012, keine Mehrwertsteuer enthielten. Dementsprechend war sie der Ansicht, sowohl die Mehrwertsteuer als auch die Einkommensteuer seien in der Weise festzusetzen, dass der Gesamtbetrag, den CB erhalten habe, als Steuerbemessungsgrundlage zugrunde gelegt werde.
17. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung der Steuerbehörde Einspruch ein, der mit Entscheidung vom 10. Mai 2018 zurückgewiesen wurde.
18. CB erhob vor dem vorlegenden Gericht Anfechtungsklage gegen diese Entscheidung. Er brachte vor, die nachträgliche Anwendung von Mehrwertsteuer auf Beträge, die als Einnahmen verschwiegen worden seien, verstoße u. a. gegen das Urteil des Gerichtshofs vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722), wonach die Mehrwertsteuer, wenn die Steuerprüfung Umsätze entdecke, die grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterlägen, für die jedoch keine Erklärungen abgegeben und keine Rechnungen erteilt worden sei, als im zwischen den Parteien dieser Umsätze vereinbarten Preis enthalten anzusehen sei. CB ist daher der Ansicht, dass – soweit er nach spanischem Recht die Mehrwertsteuer, die er aufgrund seines ein Steuervergehen darstellenden Verhaltens nicht habe abwälzen können, nicht zurückfordern könne – die Mehrwertsteuer als im Preis der von ihm erbrachten Dienstleistungen enthalten anzusehen sei.
19. Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass es zur Entscheidung über den Rechtsstreit im Ausgangsverfahren feststellen müsse, ob die nationalen Rechtsvorschriften, die vorsähen, dass, wenn Wirtschaftsteilnehmer freiwillig und in abgestimmter Weise Umsätze bewirkten, die zu Barzahlungen ohne Rechnungen und ohne Erklärung der Mehrwertsteuer führten, diese Zahlungen als die Mehrwertsteuer enthaltend anzusehen seien, mit der Richtlinie 2006/112 vereinbar seien.
20. Unter diesen Umständen hat das Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Oberstes Gericht von Galicien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind die Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112 im Licht der Grundsätze der Neutralität, des Verbots des Steuerbetrugs und des Rechtsmissbrauchs sowie des Verbots rechtswidriger Wettbewerbsverzerrungen dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung zu ihrer Auslegung entgegenstehen, wonach in Fällen, in denen die Steuerverwaltung verschleierte mehrwertsteuerpflichtige Umsätze entdeckt, für die keine Rechnungen ausgestellt wurden, davon auszugehen ist, dass der von den Parteien für diese Umsätze vereinbarte Preis die Mehrwertsteuer enthält?
Kann daher in Fällen von Betrug, in denen der Umsatz gegenüber der Steuerverwaltung verschleiert wurde, angenommen werden, dass, wie den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 28. Juli 2016, Astone (C‑332/15, EU:C:2016:614), vom 5. Oktober 2016, Maya Marinova (C‑576/15, EU:C:2016:740) und vom 7. März 2018, Dobre (C‑159/17, EU:C:2018:161), zu entnehmen ist, die gezahlten und erlangten Beträge die Mehrwertsteuer nicht enthalten, um die geeignete Festsetzung vorzunehmen und die entsprechende Sanktion zu verhängen?
IV. Analyse
A. Vorbemerkungen
21. Zunächst ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht seine Frage unter der Prämisse formuliert, dass die nationale Regelung das vorsieht, was der Kläger behauptet, nämlich, dass dann, wenn die Steuerbehörde versteckte mehrwertsteuerpflichtige Umsätze entdeckt, für die keine Rechnung gestellt wurde, anzunehmen ist, dass die Mehrwertsteuer im von den Parteien vereinbarten Preis enthalten ist. Es sei jedoch daran erinnert, dass eine Richtlinie als solche nach ständiger Rechtsprechung(4) keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründen kann und ihm gegenüber daher nicht geltend gemacht werden kann(5). Ich schlage daher vor, diese Frage dahin umzuformulieren, ob die Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112 im Licht der Grundsätze der Neutralität, des Verbots des Steuerbetrugs und des Rechtsmissbrauchs sowie des Verbots rechtswidriger Wettbewerbsverzerrungen dahin ausgelegt werden können, dass sie nationalen Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung zu ihrer Auslegung entgegenstehen, wonach in Fällen, in denen die Steuerverwaltung verschleierte mehrwertsteuerpflichtige Umsätze entdeckt, für die keine Rechnungen ausgestellt wurden, davon auszugehen ist, dass der von den Parteien für diese Umsätze vereinbarte Preis die Mehrwertsteuer nicht enthält.
1. Darstellung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems
22. Zunächst ist daran zu erinnern, dass Art. 73 der Richtlinie 2006/112 den Begriff der „Steuerbemessungsgrundlage“ als die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die Lieferung eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung definiert. Gemäß Art. 78 der Richtlinie 2006/112 sind in die Steuerbemessungsgrundlage Nebenkosten, Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst einzubeziehen. Diese Definition gilt sodann auf jeder Handelsstufe zur Berechnung der Mehrwertsteuer, die vom Lieferer oder Dienstleistungserbringer erhoben und vom Erwerber entrichtet wird. Obwohl die Mehrwertsteuer auf jeder Handelsstufe erhoben wird, wird diese Steuer jedoch nicht von den Zwischenerwerbern sondern letztendlich nur vom Endverbraucher getragen(6). Der Grundsatz der fraktionierten Zahlung darf nämlich nicht mit der Frage verwechselt werden, wer die Last dieser Steuer trägt.
23. Gemäß dem Grundsatz der fraktionierten Zahlung wird, statt die Auferlegung einer einzigen Mehrwertsteuer auf Umsätze gegenüber Endverbrauchern vorzusehen, auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe eine Steuer erhoben. Im Einklang mit diesem Grundsatz wird die Mehrwertsteuer dementsprechend proportional zu dem Preis, den der Steuerpflichtige als Gegenleistung für die von ihm gelieferten Gegenstände oder die von ihm erbrachten Dienstleistungen fordert, und daher ungeachtet der Zahl der zuvor bewirkten Umsätze erhoben. Allerdings ist zu bedenken, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die Steuer nur erhebt, die sodann an den betreffenden Mitgliedstaat abgeführt wird. Der Erwerber ist derjenige, der die Mehrwertsteuer zahlt.
24. Da die Anwendung der Mehrwertsteuer jedoch neutral sein soll, kann jedoch der Erwerber die Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen, die er zusätzlich zu dem vom Lieferer oder Dienstleistungserbringer geforderten Preis entrichten musste, wenn der fragliche Gegenstand oder die fragliche Dienstleistung wiederum für die Zwecke einer steuerpflichtigen Tätigkeit genutzt werden soll(7). Um die Auswirkungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auf die Liquidität der Steuerpflichtigen zu begrenzen, sieht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vor, dass jeder erwerbende Steuerpflichtige nur verpflichtet ist, die Differenz zwischen der Mehrwertsteuer, die er auf seine eigenen mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze erhoben hat, und der abziehbaren Mehrwertsteuer, d. h. der Mehrwertsteuer, die er für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Tätigkeit entrichtet hat, abzuführen (8).
25. Auf der nächsten Stufe wird der Erwerber, wenn er Steuerpflichtiger ist, dasselbe tun, bis hin zur letzten Stufe, auf der der Gegenstand oder die Dienstleistung entweder an eine nicht steuerpflichtige Person oder an einen Steuerpflichtigen, jedoch für nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Tätigkeiten, verkauft wird. Daraus folgt, dass die insgesamt erhobene Mehrwertsteuer nicht von der Anzahl der Produktionsstufen, sondern vielmehr vom Endverkaufspreis abhängt. Da jedoch das Fehlen von Mehrwertsteuererklärungen auf einer Zwischenstufe dieser Kette diesen Mechanismen zuwiderläuft, wird eine solche Unterlassung dennoch als rechtswidrig angesehen(9).
2. Zu den Maßnahmen, zu denen Mitgliedstaaten als Reaktion auf einen Verstoß gegen das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verpflichtet sind
26. Die Maßnahmen, zu deren Ergreifung die Mitgliedstaaten als Reaktion auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht durch Einzelne aufgerufen sind, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, nämlich in Sanktionen und Restitutionsmaßnahmen(10). Sanktionen haben einen Straf- und Abschreckungscharakter. Restitutionsmaßnahmen zielen hingegen darauf ab, die Situation wiederherzustellen, die bestanden hätte, hätte sich der Verstoß nicht ereignet. Entsprechend nehmen sie meist die Form einer Entschädigung oder Wiedergutmachung an.
27. Im Hinblick auf die Maßnahmen, die auf die Beseitigung der Folgen einer rechtswidrigen Handlung im Bereich der Steuern abzielen, hat der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Fontana betont, dass die Einstufung einer solchen Handlung als Betrug die Verpflichtung des Mitgliedstaats mit sich bringt, „die Situation wiederherzustellen, die ohne Steuerhinterziehung bestanden hätte“, wenn ein rechtswidriger Umsatz entdeckt wird(11). Was Sanktionen betrifft, so hat der Gerichtshof in der Rechtssache Menci festgestellt, dass „Art. 325 AEUV die Mitgliedstaaten [verpflichtet], zur Bekämpfung rechtswidriger Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen; insbesondere müssen sie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, dieselben Maßnahmen ergreifen wie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen ihre eigenen Interessen richtet“(12).
28. Obwohl der Gerichtshof diese Unterscheidung im Bereich der Steuern nur sehr selten erwähnt hat, ist sie gleichwohl bedeutsam. Erstens resultieren beide Verpflichtungen – Abhilfe- und Sanktionsmaßnahmen zu ergreifen – zwar aus dem Vorrang des Unionsrechts(13) und sind die Folge der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die volle Wirksamkeit der Richtlinie 2006/112 zu gewährleisten(14), doch besteht im Hinblick auf diese Verpflichtungen nicht derselbe Ermessensspielraum. Was die Verpflichtung angeht, der Situation abzuhelfen, müssen die Mitgliedstaaten, soweit es sich um eine Erfolgspflicht handelt, nämlich alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass zumindest die Situation wiederhergestellt wird, die hätte bestehen sollen(15), während es bezüglich der Verpflichtung, von einem weiteren Verstoß gegen die Mehrwertsteuervorschriften abzuschrecken, da die zu erlassenden Sanktionen in der Richtlinie 2006/112 keine Erwähnung finden, Sache der Mitgliedstaaten ist, die zu ergreifenden Maßnahmen mit der oben erwähnten Maßgabe genau zu bestimmen, dass sie wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sind(16). Zweitens müssen die Mitgliedstaaten zwar die erste Maßnahmenart bei Fehlen jeglichen Verschuldens vorsehen, sind aber nur verpflichtet, Sanktionen gegen Steuerpflichtige zu verhängen, wenn letztere zumindest fahrlässig gehandelt haben(17).
29. In Anbetracht des Vorstehenden ist in der vorliegenden Rechtssache meines Erachtens der Hinweis wichtig, dass die hier erörterte Frage als getrennt von der Frage anzusehen ist, ob es erforderlich ist, eine Sanktion gegen die betreffenden Einzelnen wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des gemeinsamen Mehrwertsteuermechanismus zu verhängen. Die dem Gerichtshof vorliegenden Fragen betreffen nämlich die Maßnahmen, die im Licht des Begriffs „Steuerbemessungsgrundlage“ zu ergreifen sind, um die Situation wiederherzustellen, die ohne den Betrug hätte herrschen sollen. Daher werde ich diese Fragen direkt prüfen und die Frage der Sanktionen zurückstellen, die hätten verhängt werden können, um Steuerzahler zu bestrafen und abzuschrecken, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nach dem Mehrwertsteuersystem nicht nachgekommen sind(18).
3. Zum Begriff der „Steuerbemessungsgrundlage“
30. Aus dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 geht hervor, dass eines ihrer Ziele darin besteht, den Begriff der „Steuerbemessungsgrundlage“ zu harmonisieren, damit die Anwendung der Mehrwertsteuer auf steuerbare Umsätze in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Dementsprechend muss dieser Begriff als autonomer Begriff des Unionsrechts angesehen werden, der unionsweit einheitlich auszulegen ist(19).
31. Jedoch geht es in einer Situation wie der, die im Urteil in den Rechtssachen Tulică und Plavoşin oder in der vorliegenden Rechtssache in Rede steht, nicht um den Begriff der „Steuerbemessungsgrundlage“ an sich, sondern vielmehr um die Maßnahmen, die zu treffen sind, um diese Steuerbemessungsgrundlage, nämlich den Vor-Steuer-Preis zu rekonstruieren. Zwar ist in der vorliegenden Rechtssache der für die erbrachten Dienstleistungen gezahlte Preis bekannt; da jedoch unklar bleibt, ob die Mehrwertsteuer erhoben und nicht abgeführt wurde und ob dieser Preis daher die Mehrwertsteuer enthielt, ist die Steuerbemessungsgrundlage als noch nicht vollständig rekonstruiert anzusehen.
B. Zur Maßgeblichkeit der vom vorlegenden Gericht und vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs
1. Rechtssachen Astone, Dobre und Maya Marinova
32. In seinem Vorabentscheidungsersuchen fragt sich das vorlegende Gericht, ob aus den drei Urteilen in den Rechtssachen Astone(20), Dobre(21) bzw. Maya Marinova(22) abgeleitet werden kann, dass Beträge, die im Lauf eines verschleierten Umsatzes gezahlt und vereinnahmt werden, als die nicht entrichtete Mehrwertsteuer enthaltend angesehen werden können, mit der Folge, dass die Steuer, die der Dienstleistungserbringer dem vorlegenden Gericht zufolge abzuführen habe, auf der Grundlage einer Steuerbemessungsgrundlage zu ermitteln sei, die niedriger sei, als der so bewirkte Umsatz.
33. Allerdings gibt keines der von dem vorlegenden Gericht angeführten Urteile eine direkte Antwort auf diese Frage. Die Rechtssachen Astone und Dobre betreffen nämlich das Recht auf Vorsteuerabzug und nicht die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage, die gegebenenfalls zur Berechnung der fälligen Mehrwertsteuer heranzuziehen ist. Was die Rechtssache Maya Marinova angeht, hat der Gerichtshof zwar festgestellt, dass „Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 9 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und die Art. 73 und 273 der [Richtlinie 2006/112] sowie der Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung … nicht entgegenstehen, nach der die Steuerbehörde … die Steuerbemessungsgrundlage für die Verkäufe [von] Waren anhand der ihr vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nach nicht in dieser Richtlinie vorgesehenen Regeln bestimmen darf“(23). Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in jener Rechtssache der Steuerverwaltung der vom Erwerber anlässlich der verschleierten Umsätze tatsächlich entrichtete Preis unbekannt blieb. Folglich musste der Gerichtshof keinen Standpunkt zu der Frage einnehmen, ob, wenn dieser Preis bekannt gewesen wäre, er als die Mehrwertsteuer enthaltend anzusehen gewesen wäre.
2. Rechtssachen Tulică und Plavoşin
34. Der Kläger beruft sich seinerseits auf die Rechtssachen Tulică und Plavoşin(24), die die Fälle zweier natürlicher Personen betrafen, die zahlreiche Verträge über den Verkauf von Grund und Boden sowie Immobilien abgeschlossen hatten, bezüglich derer ursprünglich keine Mehrwertsteuer erhoben wurde(25). Später stellte die Steuerbehörde fest, dass die von diesen natürlichen Personen ausgeführte Tätigkeit die Merkmale einer wirtschaftlichen Tätigkeit aufwies und diese Umsätze folglich in Wirklichkeit der Mehrwertsteuer unterlagen. Die Steuerbehörde erließ gegen die Betroffenen Steuerbescheide, mit denen sie die Entrichtung von Mehrwertsteuer verlangte, die zum einen in der Weise berechnet worden war, dass der vereinbarte Preis zuzüglich eines Säumniszuschlags als Steuerbemessungsgrundlage herangezogen wurde. In diesem Kontext lautete die vom nationalen Gericht in beiden Rechtssachen vorgelegte Frage im Kern, ob die Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass, wenn der Preis eines Gegenstands von den Vertragsparteien ohne jeglichen Hinweis auf die Mehrwertsteuer festgelegt wurde und der Lieferer dieses Gegenstands Steuerpflichtiger ist, der vereinbarte Preis als ein Preis anzusehen ist, der die Mehrwertsteuer enthält, oder als ein Preis ohne Mehrwertsteuer, der um diese noch zu erhöhen ist.
35. In seinem Urteil in diesen verbundenen Rechtssachen stellt der Gerichtshof fest, dass die Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass, wenn der Preis eines Gegenstands von den Vertragsparteien ohne jeglichen Hinweis auf die Mehrwertsteuer festgelegt wurde und der Lieferer dieses Gegenstands für den besteuerten Umsatz Steuerschuldner der Mehrwertsteuer ist, der vereinbarte Preis in dem Fall, dass dieser Lieferer nicht die Möglichkeit hat, die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer vom Erwerber wiederzuerlangen, so anzusehen ist, dass er die Mehrwertsteuer bereits enthält.
36. Diese Argumentation bedarf jedoch weiterer Prüfung und vielleicht sogar weiterer Klarstellung. Klammert man die Randnummern dieses Urteils aus, die lediglich wesentliche Grundsätze der Mehrwertsteuer wiedergeben, kann festgestellt werden, dass der Gerichtshof sich nur zwei Argumente vorbringt, um das erlangte Ergebnis zu rechtfertigen, deren erstes in den Rn. 34 und 35 und deren zweites in Rn. 36 dargelegt wird.
37. Nach dem ersten Argument ist der in Rechnung gestellte Preis als die Mehrwertsteuer enthaltend anzusehen, so dass die berechnete Mehrwertsteuer den Lieferanten so wenig wie möglich belasten sollte, gemäß dem Grundsatz, dass die Mehrwertsteuer ausschließlich vom Endverbraucher getragen werden sollte.
38. Nach dem zweiten Argument sollte die Steuerbehörde der Auffassung sein, die Mehrwertsteuer sei nicht im geforderten Preis enthalten, dies „gegen die Regel [verstieße], wonach die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt“.
39. Obwohl die vom Gerichtshof verwendete Wendung „dem Steuerpflichtigen gezahlten [Betrag]“ möglicherweise mehrdeutig ist, da sie als Verweis auf entweder den Betrag, der als Gegenleistung für die betreffenden Gegenstände gezahlt wurde – die Gegenleistung – oder die vom Erwerber entrichtete Mehrwertsteuer verstanden werden könnte, bin ich gleichwohl der Auffassung, dass das Wort „Betrag“ hier eindeutig als Verweis auf die erhobene Mehrwertsteuer zu verstehen ist(26). Daher ist die erwähnte Regel wie folgt zu verstehen: Die Steuerbehörde kann vom Lieferer oder Dienstleistungserbringer keine höhere Mehrwertsteuer erheben als die, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer ordnungsgemäß berechnet und dem Erwerber in Rechnung gestellt hat. Demzufolge gleicht dieses Argument dem ersten vom Gerichtshof erwähnten Argument, das auf dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität beruht, die in diesem Zusammenhang in ihrem „vertikalen Sinn“ verstanden wird(27). In beiden Fällen ist der Gedanke nämlich der, dass die Mehrwertsteuerlast nicht von Wirtschaftsteilnehmern zu tragen ist.
40. In dieser Hinsicht könnte diese Lösung verwundern, wenn die erzielte Lösung, wie das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Umstände des Falles den Anschein erwecken könnte, auf alle Situationen anzuwenden wäre, in denen Umsätze nicht den Mehrwertsteuervorschriften entsprechen und, insbesondere, wenn wie in der vorliegenden Rechtssache zwei Steuerpflichtige ihre Umsätze vor der Steuerbehörde verschleiern. In einer solchen Situation besteht die logische Folge des Umstands, dass sie ihren Umsatz verschleiert haben, darin, dass sie keine Mehrwertsteuer berücksichtigt haben. Da beide wissen, dass der Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegen wird, und der Erwerber daher nicht in der Lage sein wird, Mehrwertsteuer auf den gezahlten Preis als Vorsteuer abzuziehen, entspricht logischerweise der Preis auf Seiten des Erwerbers den Kosten, die er andernfalls getragen hätte, ohne die Mehrwertsteuer, die er grundsätzlich vorgeschossen hätte, und auf Seiten des Lieferers oder Dienstleistungserbringers der Vergütung, die er erhalten hätte, ohne die Mehrwertsteuer, die er normalerweise erhoben und abgeführt hätte(28). Wenn zwei Steuerpflichtige übereinkommen, einen für eine steuerpflichtige Tätigkeit bewirkten Umsatz zu verschleiern, besteht das Ziel allgemein in Wirklichkeit schlicht darin, Einkommensteuer und nicht die Mehrwertsteuer an sich zu hinterziehen, da die Mehrwertsteuer definitionsgemäß gerade wegen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität für sie neutral ist. Der Grund, aus dem sie keine Mehrwertsteuererklärung abgeben, besteht schlicht darin, dass sie jede förmliche Aufzeichnung über den Umsatz für allgemeine Steuerzwecke (einschließlich der Einkommensteuer) vermeiden wollen.
41. Die Situation stellt sich anders dar, wenn der Erwerber nicht weiß, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer keine Mehrwertsteuer abführen wird. Der Erwerber wird nämlich in einem solchen Fall grundsätzlich gewillt sein, einen Preis zu zahlen, der dem entspricht, den er für einen vergleichbaren Gegenstand oder eine vergleichbare Dienstleistung einschließlich der Mehrwertsteuer gezahlt hätte, da der Erwerber entweder Endverbraucher ist – in diesem Fall erwartet er, die Mehrwertsteuer zu tragen –, oder Steuerpflichtiger ist – in diesem Fall erwartet er, diese Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen zu können(29).
42. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass selbst in dieser Situation die wirtschaftliche Vernunft dafür spricht, dass der gezahlte Preis unter bestimmten Umständen keine Mehrwertsteuer enthalten könnte. Der Lieferer oder Dienstleistungserbringer mag nämlich entscheiden, die Mehrwertsteuer gerade zu dem Zweck nicht abzuführen, seinen Verkaufspreis zu senken, ohne seine Spanne zu reduzieren, und somit schnell (meist vor seinem Verschwinden) große Mengen an Gegenständen oder Dienstleistungen zu verkaufen.
43. Meiner Auffassung nach gibt es einen weiteren Fall, in dem der im Urteil Tulică und Plavoşin verfolgte Ansatz nicht notwendigerweise Anwendung findet, und zwar, wenn der Steuerverwaltung schlichtweg keine Informationen zum gezahlten Preis vorliegen. Je nach der Methode zur Rekonstruktion dieses Preises und insbesondere in Vergleichsfällen, sollte die Mehrwertsteuer als in dem so rekonstruierten Preis enthalten angesehen werden oder nicht. Dies hängt vollkommen vom herangezogenen Vergleichspunkt ab(30).
44. Dies alles veranschaulicht, dass es unter dem Blickwinkel der Maßnahmen, die zu ergreifen sind, um die Situation wiederherzustellen, die ohne ein rechtswidriges Verhalten hätte bestehen sollen, nicht eine einzige Methode gibt, die in allen Situationen Anwendung finden könnte(31). Insbesondere scheint der vom Gerichtshof im Urteil Tulică und Plavoşin verfolgte Ansatz nur gültig zu sein, wenn der Umsatz mit Erwerbern bewirkt wurde, von denen vernünftigerweise erwartet werden konnte, dass sie sich dessen, dass die bewirkten Umsätze der Mehrwertsteuer unterlagen, nicht bewusst waren. Nur in dieser Situation kann nämlich vernünftigerweise erwartet werden, dass der gezahlte Preis dem entsprach, der gezahlt worden wäre, wenn dieser Umsatz der Mehrwertsteuer unterlegen hätte.
45. Dementsprechend ist meines Erachtens der im Urteil Tulică und Plavoşinverfolgte Ansatz dahin zu verstehen, dass er nur in dieser Situation anwendbar ist und, selbst in dieser Situation, lediglich eine Vermutung festlegt, die von der Steuerbehörde widerlegt werden kann, falls sich beispielsweise ergibt, dass der erzielte Preis dem ohne Mehrwertsteuer näher war, der für vergleichbare Gegenstände oder Erzeugnisse verlangt wird(32).
3. Zur Art des Ansatzes, der zur Bestimmung der zu erlassenden Maßnahmen zu verfolgen ist
46. Mancher mag versucht sein, sogar noch weiter zu gehen, und der Meinung sein, dass, wenn Steuerpflichtige (d. h. Parteien eines Umsatzes, die keine Endverbraucher sind) einen Umsatz in betrügerischer Absicht verschleiert haben, keine Mehrwertsteuer zu entrichten sei. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre nämlich bei Betrachtung der gesamten Handelskette die logische Folge des auf dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität beruhenden Arguments, dass unter bestimmten Umständen keine Mehrwertsteuerzahlung an den betreffenden Mitgliedstaat erforderlich ist, um die Situation wiederherzustellen, die hätte herrschen sollen(33).
47. Insbesondere wenn ein Umsatz wie in der vorliegenden Rechtssache zwischen zwei Steuerpflichtigen bewirkt wird (im Urteil Tulică und Plavoşin wird nicht angegeben, ob die Erwerber für Mehrwertsteuerzwecke Steuerpflichtige waren), wäre die Mehrwertsteuer, wenn der Umsatz bewirkt worden wäre, wie er hätte bewirkt werden sollen, zwar vom Erwerber an den Lieferer oder Dienstleistungserbringer entrichtet worden, der sie sodann an den betreffenden Mitgliedstaat abgeführt hätte. Jedoch hätte der Erwerber die Mehrwertsteuer von der von ihm bei seinen eigenen Umsätzen erhobenen Steuer als Vorsteuer abgezogen (oder eine Erstattung der überschüssigen entrichteten Mehrwertsteuer erhalten)(34). Dementsprechend wäre, wie oben erläutert, die definitiv erhobene Mehrwertsteuer der Mehrwertsteuer gleich geblieben, die auf der Stufe des letzten Umsatzes erhoben wird, nämlich dem, in den ein Erwerber einbezogen ist, der die Gegenstände oder Dienstleistungen nicht für seine steuerbaren Umsätze verwenden wird(35). Dies ist, wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung betont, der Grund, aus dem die Mehrwertsteuer als indirekte Verbrauchsteuer letztendlich nur den Verbraucher belastet(36).
48. Unter diesen Umständen würde erstens ein Mitgliedstaat, wenn er von einem Lieferer oder Dienstleistungserbringer die Entrichtung von Mehrwertsteuer verlangt, die dieser von vornherein nicht in den Verkaufspreis einbezogen hat, so dass sie nachfolgend vom Erwerber nicht als Vorsteuer abgezogen wurde, letztendlich eine höhere Mehrwertsteuer vereinnahmen, als die Steuer, die er ohne den Betrug vereinnahmt hätte. Zweitens wird eine solche Forderung notwendigerweise den Gewinn des Lieferers oder Dienstleistungserbringers verringern, wenn dieser diese Steuer nicht auf den Erwerber abwälzen kann, was dem in Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten Grundsatz der Neutralität zu widersprechen scheint(37).
49. Der Gerichtshof hat zwar im Urteil Tulică und Plavoşin bejaht, dass die Frage der zu erlassenden Maßnahmen, um der Situation abzuhelfen, variieren kann, je nachdem, ob der Lieferer oder Dienstleistungserbringer berechtigt ist, die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer vom Erwerber wiederzuerlangen, gerade um diese Neutralität zu gewährleisten. Jedoch löst das Bestehen einer solchen Möglichkeit nicht das Problem, sondern überträgt es eher auf den Erwerber, der in gutem Glauben gehandelt haben kann. Der Erwerber könnte sich nämlich berechtigterweise in Unkenntnis darüber befunden haben, dass z. B. der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die Mehrwertsteuer nicht in den Preis einbezogen hat oder sie einbezogen hat, aber beabsichtigte, sie nicht abzuführen. Der Erwerber könnte daher einen Preis gezahlt haben, der mit dem übereinstimmt, den er gezahlt hätte, wäre der Umsatz von vornherein der Mehrwertsteuer unterworfen worden, und demzufolge bereits sein Recht auf Abzug des in der ausgestellten Rechnung angeführten Mehrwertsteuerbetrags als Vorsteuer geltend gemacht haben, wenn der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die von der Steuerbehörde geforderte Mehrwertsteuer zurückfordern wird(38).
50. Man könnte wiederum vorschlagen, dem Erwerber solle im Gegenzug gestattet werden, die entrichtete Mehrwertsteuer in einer bestimmten Weise ein zweites Mal als Vorsteuer abzuziehen, so dass sie für diesen Erwerber neutral bliebe. Dies würde jedoch den betreffenden Mitgliedstaat benachteiligen, da der vom Erwerber vorgenommene Vorsteuerabzug höher wäre als die abgeführte Mehrwertsteuer(39). Meines Erachtens sollten weder die Erwerber noch die Mitgliedstaaten (und daher indirekt ihre Steuerzahler) unter den Folgen der von den Lieferern oder Dienstleistungserbringern – sei es auch in gutem Glauben – begangenen rechtswidrigen Handlungen leiden. Unter diesem Blickwinkel würde, wenn davon auszugehen ist, dass die Mehrwertsteuer, wie vom Grundsatz der Neutralität verlangt, letztlich nur die Verbraucher belasten soll, die Wiederherstellung der Situation, die ohne die rechtswidrige Handlung hätte herrschen sollen, zunächst eine Beurteilung verlangen, ob unter Berücksichtigung der Produktionsstufe, auf der der Verstoß begangen wurde, und der Art dieses Verstoßes Mehrwertsteuer abzuführen wäre(40).
51. Auch wenn dieser Ansatz aus rein wirtschaftlicher Sicht – die den Schwerpunkt auf die Handelskette insgesamt und das theoretische Fundament des gesamten Mehrwertsteuersystems legen würde – kohärent ist, bin ich der Ansicht, dass er gleichwohl der praktischen Wirklichkeit des Systems nachgeben muss, die wiederum den Schwerpunkt auf die von jedem Steuerpflichtigen zu tragenden Pflichten legen muss.
52. Unter einem rechtlichen Blickwinkel ist die Frage, welche Maßnahmen zu erlassen sind, um einer Situation abzuhelfen, nämlich ausschließlich im Licht der Pflichten zu beurteilen, denen die betreffende Person nicht nachgekommen ist(41). Es besteht keine Notwendigkeit, zu beurteilen, ob Mehrwertsteuer nachfolgend als Vorsteuer abgezogen worden wäre oder ob der Mitgliedstaat letztendlich eine höhere Mehrwertsteuer erhalten wird als die, die ohne den Betrug erhoben worden wäre. Die einzig maßgebliche Frage ist, ob im Fall verschleierter Umsätze die Steuer bezüglich dieser Umsätze auf der Prämisse zu berechnen ist, dass diese Mehrwertsteuer in den Beträgen enthalten war, die vom Lieferer oder Dienstleistungserbringer im Hinblick auf diesen Umsatz erhoben worden sind.
53. Da jeder Steuerpflichtige die Mehrwertsteuervorschriften befolgen muss, bedeutet die Wiederherstellung der Situation, wenn jemand diese Umsätze nicht der Mehrwertsteuer unterworfen hat, im Wesentlichen, von letzterem zu verlangen, die entsprechende Mehrwertsteuer abzuführen. Unter diesem Blickwinkel soll der Begriff der Pflicht, der Situation abzuhelfen, nicht die Wirkungen der rechtswidrigen Handlungen neutralisieren, sondern zielt eher schlicht und einfach darauf ab, den Steuerpflichtigen unabhängig von Überlegungen bezüglich des Steueraufkommens oder der Wettbewerbsneutralität zu zwingen, die Mehrwertsteuervorschriften zu befolgen.
54. Obwohl diese Frage dem Gerichtshof nie klar gestellt worden ist, würde die Auffassung, die zur Wiederherstellung der fraglichen Situation zu erlassenden Maßnahmen seien im Licht der Auswirkungen von Betrug entlang der Handelskette zu beurteilen, eine ziemlich radikale Änderung der bestehenden Rechtsprechung darstellen. Selbst wenn nämlich gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt(42), scheint mir der vom Gerichtshof verfolgte Ansatz, zumindest soweit es um die Entrichtung dieser Steuer geht, stets gewesen zu sein, implizit zu berücksichtigen, dass die Bestimmung der zur Wiederherstellung der Situation zu erlassenden Maßnahmen auf der spezifischen Stufe jedes Steuerpflichtigen und daher jeder Stufe der Handelskette zu beurteilen ist(43).
55. Jedoch veranschaulicht diese Gegensätzlichkeit zwischen einem Ansatz in Bezug auf die zu erlassenden Maßnahmen, der wirtschaftlich und global wäre, auf der einen und einem rechtlichen Ansatz, der auf der individuellen Situation jedes Steuerpflichtigen beruht, auf der anderen Seite aus den oben dargelegten Gründen, dass der im Urteil Tulică und Plavoşin verfolgte Ansatz nicht durch den Grundsatz der Neutralität gerechtfertigt werden kann. Sobald man davon ausgeht, dass die zu erlassenden Maßnahmen auf der Ebene jedes Steuerpflichtigen beurteilt werden müssen, ohne jede Feststellung, ob der Betrug Folgen für das Steueraufkommen insgesamt hatte, werden die erlassenen Maßnahmen nämlich zwangsläufig nicht wirtschaftlich neutral sein.
56. Dies ist insbesondere offensichtlich im Hinblick auf die Unterscheidung, die in diesem Urteil danach getroffen wird, ob das nationale Recht dem Lieferer erlaubt, die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer vom Erwerber wiederzuerlangen, da schwer verständlich ist, wie der Umstand, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer wiedererlangen könnte, die Möglichkeit ausschließen könnte, dass die Mehrwertsteuer vom Lieferer oder Dienstleistungserbringer erhoben, aber nicht abgeführt wurde und daher im Preis enthalten war, aber nicht abgeführt wurde. Es erscheint außerdem schwierig, die allein auf der Grundlage des Grundsatzes der Neutralität angenommene Lösung zu rechtfertigen, da der Gerichtshof nicht versucht hat, festzustellen, welche Folgen sich für den Erwerber, der möglicherweise in gutem Glauben handelte, aus dem Umstand ergeben, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer berechtigt sein könnte, die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer vom Erwerber wiederzuerlangen(44).
57. Meiner Meinung nach hätte der einzige Weg, dem Grundsatz der Neutralität in dem Sinne, den der Gerichtshof ihm im Urteil Tulică und Plavoşin gegeben hat, zu entsprechen, darin bestanden, zu verlangen, dass die Mitgliedstaaten zuerst vorsehen, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer die von der Steuerbehörde geltend gemachte Mehrwertsteuer vom Erwerber wiedererlangen kann, jedoch nur, wenn vernünftigerweise aus den Umständen des Falles abgeleitet werden kann, dass diese Steuer nicht im Preis enthalten war, und zweitens, dass der Erwerber, wenn er vernünftigerweise in Unkenntnis von dem Betrug sein konnte, den Unterschied zwischen der bereits als Vorsteuer abgezogenen Mehrwertsteuer, die auf der Grundlage des gezahlten Preises berechnet wurde, und der nachfolgend geltend gemachten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen kann. Da sich jedoch diese Frage in den vorliegenden Rechtssachen nicht stellt, ist ihre weitere Prüfung nicht erforderlich.
58. Gleichwohl kommt man zu dem Schluss, dass der praxisgerechteste Ansatz, der auf der individuellen Ebene im Fall eines Betrugs zu verfolgen ist, in der Frage besteht, ob es offensichtlich ist, dass der gezahlte Preis keine Mehrwertsteuer enthielt, weil es für Kaufleute keinen Sinn gemacht hätte, sie einzubeziehen. Unter diesem Blickwinkel betrachtet muss der im Urteil Tulică und Plavoşin verfolgte Ansatz dahin verstanden werden, dass er auf der Annahme beruht, dass der Erwerber keine Kenntnis von der vom Lieferer begangenen rechtswidrigen Handlungen hatte.
59. Die Begründung des Gerichtshofs im Urteil Tulică und Plavoşin ist daher dahin zu verstehen, dass sie nur die Situation betrifft, in der der Erwerber keinen Grund hat, zu vermuten, dass der Lieferer oder Dienstleistungserbringer keine Mehrwertsteuer abführen wird, und für diese spezielle Situation eine Vermutung festlegt, um die Aufgabe der Steuerbehörde zu vereinfachen(45). Eine solche Vermutung ist gleichwohl als widerlegbar in dem Sinne anzusehen, dass, wenn im Hinblick auf die für das fragliche Erzeugnis oder die fragliche Dienstleistung üblicherweise geforderten Marktpreise Beweise dafür vorgelegt werden können, dass der Preis keine Mehrwertsteuer enthielt, die Vermutung, dass der zwischen den Parteien vereinbarte Preis Mehrwertsteuer enthielt, als widerlegt gilt.
60. Angesichts dessen, dass sich in der vorliegenden Rechtssache, wie vorstehend erläutert, aus den Akten des Gerichtshofs ergibt, dass die Parteien vereinbarten, ihre Umsätze zu verschleiern, sollte die im Urteil Tulică und Plavoşin aufgestellte Vermutung keine Anwendung finden. Unter diesen Umständen ist eher davon auszugehen, dass der gezahlte Preis keine Mehrwertsteuer enthielt, es sei denn, beispielweise die Parteien beweisen, dass dieser Preis dem Preis nahekommt, der gezahlt worden wäre, wäre der Umsatz der Mehrwertsteuer unterworfen worden. Kann CB demnach in letzterem Fall beweisen, dass die gesamte Vergütung, die er für diese Dienstleistungen erhalten hat, im Wesentlichen dem damals herrschenden Preis auf dem maßgeblichen Markt für solche Dienstleistungen (einschließlich Mehrwertsteuer) entsprach, wäre die Steuerbehörde verpflichtet, auf der Grundlage vorzugehen, dass dieser Betrag notwendigerweise Mehrwertsteuer enthält.
V. Ergebnis
61. Unter diesen Umständen schlage ich vor, auf die vom Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Oberstes Gericht von Galicien, Spanien) vorgelegte Frage zu antworten, dass die Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Licht der Grundsätze der Neutralität, des Verbots der Steuerhinterziehung und des Rechtsmissbrauchs sowie des Verbots rechtswidriger Wettbewerbsverzerrungen unter den Umständen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Falles (nämlich dem eines verschleierten Umsatzes zwischen zwei Steuerpflichtigen im Rahmen ihrer Tätigkeit, die das Recht auf Vorsteuerabzug begründet) nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, nach denen die Berechnung der geschuldeten Mehrwertsteuer unter der Prämisse erfolgt, dass sie im geforderten Preis nicht enthalten ist. Unter diesen Umständen müssen die nationalen Rechtsvorschriften jedoch auch vorsehen, dass diese Prämisse vom Steuerpflichtigen widerlegt werden kann, indem er den Beweis des Gegenteils erbringt, insbesondere durch einen Vergleich des gezahlten Preises mit dem für vergleichbare Gegenstände oder Dienstleistungen herrschenden Preis (einschließlich Mehrwertsteuer).