Language of document : ECLI:EU:C:2021:437

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

3. Juni 2021(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 2008/50/EG – Luftqualität – Art. 13 Abs. 1 und Anhang XI – Systematische und anhaltende Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) in bestimmten Gebieten und Ballungsräumen Deutschlands – Art. 23 Abs. 1 – Anhang XV – Zeitraum der Nichteinhaltung ‚so kurz wie möglich‘ – Geeignete Maßnahmen“

In der Rechtssache C‑635/18

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 11. Oktober 2018,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes, E. Manhaeve und A. C. Becker als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und S. Eisenberg als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte U. Karpenstein, F. Fellenberg und K. Dingemann, dann durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte U. Karpenstein, F. Fellenberg und K. Dingemann,

Beklagte,


unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch F. Shibli als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland

–        dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. 2008, L 152, S. 1) in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen hat, dass zum einen der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) seit dem 1. Januar 2010 in 26 Gebieten und Ballungsräumen im deutschen Hoheitsgebiet (im Folgenden: streitige Gebiete), und zwar den Gebieten DEZBXX0001A (Ballungsraum Berlin), DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart), DEZCXX0043S (Regierungsbezirk Tübingen), DEZCXX0063S (Regierungsbezirk Stuttgart [ohne Ballungsraum]), DEZCXX0004A (Ballungsraum Freiburg), DEZCXX0041S (Regierungsbezirk Karlsruhe [ohne Ballungsräume]), DEZCXX0006A (Ballungsraum Mannheim/Heidelberg), DEZDXX0001A (Ballungsraum München), DEZDXX0003A (Ballungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen), DEZFXX0005S (Gebiet III Mittel- und Nordhessen), DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), DEZFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]), DEZGLX0001A (Ballungsraum Hamburg), DEZJXX0015A (Grevenbroich [Rheinisches Braunkohlerevier]), DEZJXX0004A (Köln), DEZJXX0009A (Düsseldorf), DEZJXX0006A (Essen), DEZJXX0017A (Duisburg, Oberhausen, Mülheim), DEZJXX0005A (Hagen), DEZJXX0008A (Dortmund), DEZJXX0002A (Wuppertal), DEZJXX0011A (Aachen), DEZJXX0016S (urbane Bereiche und ländlicher Raum im Land Nordrhein-Westfalen), DEZKXX0006S (Mainz), DEZKXX0007S (Worms/Frankenthal/Ludwigshafen), DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied), und zum anderen seit dem 1. Januar 2010 der Stundengrenzwert für NO2 in zwei dieser Gebiete, und zwar den Ballungsräumen DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) und DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), systematisch und anhaltend überschritten wurde, und

–        dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A, und insbesondere gegen die nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie bestehende Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen vorsehen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird, verstoßen hat, dass sie es unterlassen hat, ab dem 11. Juni 2010 geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in allen streitigen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 96/62/EG

2        Art. 8 („Maßnahmen für Gebiete, in denen die Werte die Grenzwerte überschreiten“) der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. 1996, L 296, S. 55) sah in den Abs. 1, 3 und 4 vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten.

(3)      Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1 ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass ein Plan oder Programm ausgearbeitet oder durchgeführt wird, aufgrund dessen der Grenzwert binnen der festgelegten Frist erreicht werden kann.

Der Plan oder das Programm, zu dem die Öffentlichkeit Zugang haben muss, umfasst mindestens die in Anhang IV aufgeführten Angaben.

(4)      Für die Gebiete und Ballungsräume des Absatzes 1, in denen der Wert von mehr als einem Schadstoff die Grenzwerte überschreitet, stellen die Mitgliedstaaten einen integrierten Plan auf, der sich auf alle betreffenden Schadstoffe erstreckt.“

 Richtlinie 1999/30/EG

3        Art. 4 („Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide“) der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. 1999, L 163, S. 41) sah vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die gemäß Artikel 7 beurteilten Konzentrationen von Stickstoffdioxid und gegebenenfalls Stickstoffoxiden in der Luft die Grenzwerte des Anhangs II Abschnitt I ab den dort genannten Zeitpunkten nicht überschreiten.

Die in Anhang II Abschnitt I festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 8 der Richtlinie [96/62] anzuwenden.

(2)      Die Alarmschwelle für die Stickstoffdioxidkonzentrationen in der Luft ist in Anhang II Abschnitt II festgelegt.“

4        Hinsichtlich des Schutzes der menschlichen Gesundheit wurde in Anhang II der Richtlinie 1999/30 der 1. Januar 2010 als Zeitpunkt festgelegt, ab dem die Grenzwerte für NO2 eingehalten werden mussten.

5        Nach Art. 12 der Richtlinie 1999/30 hatten die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich waren, um ihr bis zum 19. Juli 2001 nachzukommen.

 Richtlinie 2008/50

6        Die am 11. Juni 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/50 ersetzte fünf frühere Unionsrechtsakte zur Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität, u. a. die Richtlinien 96/62 und 1999/30, die mit Wirkung vom 11. Juni 2010 aufgehoben wurden, wie sich aus Art. 31 der Richtlinie 2008/50 ergibt.

7        Die Erwägungsgründe 17 und 18 der Richtlinie 2008/50 lauten:

„(17)      Die zur Verringerung der Emissionen an der Quelle notwendigen [Maßnahmen der Europäischen Union], insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung der Wirksamkeit der … Rechtsvorschriften [der Union] über Industrieemissionen, zur Begrenzung der Abgase von Schwerfahrzeugmotoren, zur zusätzlichen Senkung der zulässigen einzelstaatlichen Emissionsmengen entscheidender Schadstoffe und der Emissionsmengen, die durch das Betanken von Fahrzeugen mit Ottomotor an Tankstellen bedingt sind, sowie die Maßnahmen zur Eindämmung des Schwefelgehalts von Kraftstoffen, einschließlich Schiffskraftstoffen, sollten von allen beteiligten Institutionen mit gebührendem Vorrang geprüft werden.

(18)      Für Gebiete und Ballungsräume, in denen die Schadstoffkonzentrationen in der Luft die einschlägigen Luftqualitätszielwerte oder ‑grenzwerte gegebenenfalls zuzüglich zeitlich befristeter Toleranzmargen überschreiten, sollten Luftqualitätspläne erstellt werden. Luftschadstoffe werden durch viele verschiedene Quellen und Tätigkeiten verursacht. Damit die Kohärenz zwischen verschiedenen Strategien gewährleistet ist, sollten solche Luftqualitätspläne soweit möglich aufeinander abgestimmt und in die Pläne und Programme gemäß der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft [(ABl. 2001, L 309, S. 1)], der Richtlinie 2001/81/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (ABl. 2001, L 309, S. 22)] und der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm [(ABl. 2002, L 189, S. 12)] einbezogen werden. Die in dieser Richtlinie enthaltenen Luftqualitätsziele werden auch in den Fällen uneingeschränkt berücksichtigt, in denen auf Grund der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung [(ABl. 2008, L 24, S. 8)] Genehmigungen für industrielle Tätigkeiten erteilt werden.“

8        Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2008/50 bestimmt in den Nrn. 1 bis 3:

„Die in dieser Richtlinie festgelegten Maßnahmen dienen folgenden Zielen:

1.      Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt;

2.      Beurteilung der Luftqualität in den Mitgliedstaaten anhand einheitlicher Methoden und Kriterien;

3.      Gewinnung von Informationen über die Luftqualität als Beitrag zur Bekämpfung von Luftverschmutzungen und ‑belastungen und zur Überwachung der langfristigen Tendenzen und der Verbesserungen, die aufgrund einzelstaatlicher … Maßnahmen [und solcher der Union] erzielt werden.“

9        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2008/50 sieht in den Nrn. 5, 8, 16 bis 18 und 24 vor:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

5.      ‚Grenzwert‘ ist ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingehalten werden muss und danach nicht überschritten werden darf;

8.      ‚Luftqualitätspläne‘ sind Pläne, in denen Maßnahmen zur Erreichung der Grenzwerte oder Zielwerte festgelegt sind;

16.      ‚Gebiet‘ ist ein Teil des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats, das dieser Mitgliedstaat für die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität abgegrenzt hat;

17.      ‚Ballungsraum‘ ist ein städtisches Gebiet mit einer Bevölkerung von mehr als 250 000 Einwohnern oder, falls 250 000 oder weniger Einwohner in dem Gebiet wohnen, mit einer Bevölkerungsdichte pro km², die von den Mitgliedstaaten festzulegen ist;

18.      ‚PM10‘ sind die Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass gemäß der Referenzmethode für die Probenahme und Messung von PM10, EN 12 341, passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 μm eine Abscheidewirksamkeit von 50 % aufweist;

24.      ‚Stickstoffoxide‘ sind die Summe der Volumenmischungsverhältnisse (ppbv) von Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid, ausgedrückt in der Einheit der Massenkonzentration von Stickstoffdioxid (μg/m3)“.

10      Art. 13 („Grenzwerte und Alarmschwellen für den Schutz der menschlichen Gesundheit“) der Richtlinie 2008/50 bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte für Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid in der Luft die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.

Die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Benzol dürfen von dem dort festgelegten Zeitpunkt an nicht mehr überschritten werden.

Die Einhaltung dieser Anforderungen wird nach Anhang III beurteilt.

Die in Anhang XI festgelegten Toleranzmargen sind gemäß Artikel 22 Absatz 3 und Artikel 23 Absatz 1 anzuwenden.“

11      Art. 22 („Verlängerung der Fristen für die Erfüllung der Vorschriften und Ausnahmen von der vorgeschriebenen Anwendung bestimmter Grenzwerte“) der Richtlinie 2008/50 lautet:

„(1)      Können in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum die Grenzwerte für Stickstoffdioxid oder Benzol nicht innerhalb der in Anhang XI festgelegten Fristen eingehalten werden, so kann ein Mitgliedstaat diese Fristen für dieses bestimmte Gebiet oder diesen bestimmten Ballungsraum um höchstens fünf Jahre verlängern, wenn folgende Voraussetzung erfüllt ist: für das Gebiet oder den Ballungsraum, für das/den die Verlängerung gelten soll, wird ein Luftqualitätsplan gemäß Artikel 23 erstellt; dieser Luftqualitätsplan wird durch die in Anhang XV Abschnitt B aufgeführten Informationen in Bezug auf die betreffenden Schadstoffe ergänzt und zeigt auf, wie die Einhaltung der Grenzwerte vor Ablauf der neuen Frist erreicht werden soll.

(4)      Ein Mitgliedstaat, der der Ansicht ist, dass Absatz 1 oder Absatz 2 anwendbar ist, teilt dies der Kommission mit und übermittelt ihr den Luftqualitätsplan gemäß Absatz 1 einschließlich aller relevanten Informationen, die die Kommission benötigt, um festzustellen, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei berücksichtigt die Kommission die voraussichtlichen Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen auf die gegenwärtige und die zukünftige Luftqualität in den Mitgliedstaaten sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der gegenwärtigen [Unionsmaßnahmen] und der von der Kommission vorzuschlagenden geplanten [Unionsmaßnahmen] auf die Luftqualität.

Hat die Kommission neun Monate nach Eingang dieser Mitteilung keine Einwände erhoben, gelten die Bedingungen für die Anwendung von Absatz 1 bzw. Absatz 2 als erfüllt.

Werden Einwände erhoben, kann die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, Anpassungen vorzunehmen oder neue Luftqualitätspläne vorzulegen.“

12      Art. 23 („Luftqualitätspläne“) der Richtlinie 2008/50 bestimmt in Abs. 1:

„Überschreiten in bestimmten Gebieten oder Ballungsräumen die Schadstoffwerte in der Luft einen Grenzwert oder Zielwert zuzüglich einer jeweils dafür geltenden Toleranzmarge, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass für diese Gebiete oder Ballungsräume Luftqualitätspläne erstellt werden, um die entsprechenden in den Anhängen XI und XIV festgelegten Grenzwerte oder Zielwerte einzuhalten.

Im Falle der Überschreitung dieser Grenzwerte, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, enthalten die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann. Die genannten Pläne können zusätzlich gezielte Maßnahmen zum Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Kindern, vorsehen.

Diese Luftqualitätspläne müssen mindestens die in Anhang XV Abschnitt A aufgeführten Angaben umfassen und können Maßnahmen gemäß Artikel 24 umfassen. Diese Pläne sind der Kommission unverzüglich, spätestens jedoch zwei Jahre nach Ende des Jahres, in dem die erste Überschreitung festgestellt wurde, zu übermitteln.

Müssen für mehrere Schadstoffe Luftqualitätspläne ausgearbeitet oder durchgeführt werden, so arbeiten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls für alle betreffenden Schadstoffe integrierte Luftqualitätspläne aus und führen sie durch.“

13      Art. 27 („Übermittlung von Informationen und Berichten“) der Richtlinie 2008/50 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Kommission Informationen über die Luftqualität innerhalb der Fristen übermittelt werden, die in den in Artikel 28 Absatz 2 genannten Durchführungsmaßnahmen vorgesehen sind.

(2)      Auf jeden Fall müssen diese Informationen speziell zur Beurteilung der Einhaltung der Grenzwerte und der kritischen Werte sowie der Erreichung der Zielwerte – spätestens neun Monate nach Ablauf jedes Jahres – der Kommission übermittelt werden und folgende Angaben enthalten:

b)      Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Grenzwerte zuzüglich etwaiger Toleranzmargen oder die Zielwerte oder die kritischen Werte überschreiten, wobei für diese Gebiete und Ballungsräume Folgendes anzugeben ist:

i)      beurteilte Werte und gegebenenfalls Tage und Zeiträume, an bzw. in denen diese Werte festgestellt wurden;

ii)      gegebenenfalls eine Beurteilung der gemäß den Artikeln 20 und 21 der Kommission gemeldeten Beiträge natürlicher Quellen sowie von Partikeln, die nach dem Ausbringen von Streusand oder ‑salz auf Straßen im Winterdienst aufgewirbelt werden, zu den beurteilten Werten.

(3)      Die Absätze 1 und 2 gelten für Informationen, die ab dem Beginn des zweiten Kalenderjahrs nach Inkrafttreten der in Artikel 28 Absatz 2 genannten Durchführungsmaßnahmen erhoben werden.“

14      Anhang XI („Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit“) der Richtlinie 2008/50 enthält in Abschnitt B folgende Grenzwerte für NO2:

„Mittelungszeitraum

Grenzwert

Toleranzmarge

Frist für die Einhaltung des Grenzwerts




Stunde

200 μg/m3 dürfen nicht öfter als 18‑mal im Kalenderjahr überschritten werden

… 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010

Kalenderjahr

40 μg/m3

… 0 % am 1. Januar 2010

1. Januar 2010“


15      Zu den in den Luftqualitätsplänen gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50 zu berücksichtigenden Informationen gehören nach deren Anhang XV Abschnitt A Nr. 8 („Angaben zu den nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie zur Verminderung der Verschmutzung beschlossenen Maßnahmen oder Vorhaben“):

„a)      Auflistung und Beschreibung aller in den Vorhaben genannten Maßnahmen;

b)      Zeitplan für die Durchführung;

c)      Schätzung der angestrebten Verbesserung der Luftqualität und des für die Verwirklichung dieser Ziele veranschlagten Zeitraums.“

 Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

16      Zwischen September und November 2014 tauschte sich die Kommission mit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines Vorverfahrens über mögliche Verstöße gegen die Richtlinie 2008/50 in 33 Gebieten und Ballungsräumen im deutschen Hoheitsgebiet aus.

17      Am 19. Juni 2015 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland, in dem sie den Mitgliedstaat aufforderte, seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht zu beachten; sie war der Ansicht, dass er gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen habe, da in der Zeit von 2010 bis 2013 in 29 Gebieten der Jahresgrenzwert für NO2 und in drei dieser Gebiete auch der Stundengrenzwert für NO2 kontinuierlich nicht eingehalten worden sei.

18      Zudem rügte die Kommission in ihrem Schreiben die Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/50, da die Bundesrepublik Deutschland zum einen keine geeigneten Maßnahmen vorgesehen habe, um den Zeitraum der Nichteinhaltung der genannten Grenzwerte möglichst kurz zu halten, und zum anderen in den von den deutschen Behörden erstellten Luftqualitätsplänen die in Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie vorgesehenen Informationen nicht mitgeteilt habe.

19      Die Bundesrepublik Deutschland beantwortete das Aufforderungsschreiben mit Schreiben vom 18. August 2015 und einer ergänzenden Mitteilung vom 19. Juli 2016. Darin bestritt sie die Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 nicht, führte aber zu den möglichen Ursachen der durch diesen Schadstoff herbeigeführten Verschmutzung in Deutschland und den getroffenen oder geplanten Maßnahmen aus, die Überschreitungen seien hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Realemissionen von Diesel-Fahrzeugen nicht in dem Maße abgenommen hätten, wie dies aufgrund der mit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) aufgestellten Normen, insbesondere der Euro-6-Norm, zu erwarten gewesen sei.

20      Am 16. Februar 2017 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit ihrem Anhang XI für 28 der im Aufforderungsschreiben aufgeführten Gebiete und Ballungsräume aufrechterhielt. Ferner rügte die Kommission, dass dort in der Zeit von 2010 bis 2013 sowie in den Jahren 2014 und 2015 der Jahresgrenzwert für NO2 kontinuierlich überschritten worden sei sowie in drei dieser Gebiete auch der Stundengrenzwert für NO2.

21      Die Kommission hielt auch an der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A fest und forderte die Bundesrepublik Deutschland daher auf, binnen zwei Monaten die insoweit notwendigen Maßnahmen zu treffen. Diese Frist lief, nachdem sie von der Kommission verlängert worden war, am 2. Mai 2017 ab.

22      In ihrer Antwort vom 5. Mai 2017 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme wiederholte die Bundesrepublik Deutschland ihre Auffassung, dass der Hauptgrund für die Überschreitung der Grenzwerte für NO2 darin bestehe, dass die Realemissionen von Diesel-Fahrzeugen höher gewesen seien als erwartet.

23      In einer weiteren Mitteilung vom 17. November 2017 führte die Bundesrepublik Deutschland neuere Entwicklungen an, wie etwa eine Reihe von Selbstverpflichtungen der Automobilindustrie zur Verringerung von NO2-Emissionen bei Diesel-Fahrzeugen der Abgasstufen „Euro 5“ und „Euro 6“, die Verlängerung von Steuerermäßigungen für Erdgas und Flüssiggas sowie die Einrichtung eines Fonds „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“.

24      Am 30. Januar 2018 lud die Kommission die Bundesrepublik Deutschland und acht weitere Mitgliedstaaten, gegen die Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit übermäßiger Luftverschmutzung liefen, zu einem Luftqualitätsgipfel ein. Im Anschluss daran übermittelten die zuständigen deutschen Minister dem für Umwelt zuständigen Kommissar am 11. Februar 2018 ein Schreiben, in dem sie die geplanten zusätzlichen Maßnahmen allgemein beschrieben.

25      Da die Kommission zu der Ansicht gelangte, dass sich mit den genannten Maßnahmen die Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 nicht beseitigen ließen, so dass sie nicht geeignet seien, den Zeitraum der Nichteinhaltung dieser Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten, hat sie am 17. Mai 2018 die vorliegende Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV erhoben.

26      Mit Beschluss vom 11. April 2019 hat der Präsident des Gerichtshofs das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen.

 Zur Klage

 Zur ersten Rüge: systematischer und anhaltender Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI

 Zur Zulässigkeit

–       Vorbringen der Parteien

27      Die Bundesrepublik Deutschland hält die erste Rüge aus zwei Gründen für unzulässig.

28      Zum einen macht sie geltend, die Kommission habe in unzulässiger Weise den Streitgegenstand wesensmäßig geändert, denn sie habe im Vorverfahren einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 und deren Anhang XI für die Zeit von 2010 bis 2013 gerügt, während sie in ihrer Klageschrift den Vorwurf eines seit 2010 bestehenden Verstoßes gegen diese Bestimmungen erhebe. Damit habe die Kommission den Zeitraum der behaupteten Vertragsverletzung rechtswidrig über das Jahr 2013 hinaus erweitert und zudem den gerügten Verstoß – erstmals – als „systematisch und fortdauernd“ qualifiziert.

29      Dieser „rechtliche Paradigmenwechsel“ stehe im Widerspruch zur Funktion des Vorverfahrens, den Streitgegenstand einzugrenzen, und verletze die Verteidigungsrechte der Bundesrepublik Deutschland; dies wiege umso schwerer, als die Feststellung eines kontinuierlichen und anhaltenden Verstoßes in einem etwaigen nachfolgenden Sanktionsverfahren gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV anders bewertet werden könnte als ein zeitlich begrenzter Verstoß.

30      Ferner trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, angesichts der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vorgenommenen Begrenzung der Rügen auf die Zeit von 2010 bis 2013 habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Kommission keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einstufung des gerügten Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 und deren Anhang XI als „systematisch und anhaltend“ gesehen habe. Zudem habe die Kommission bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 allein auf diesen Zeitraum Bezug genommen, während sie im Zusammenhang mit Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie einen kontinuierlichen Verstoß gegen diese Bestimmung gerügt habe.

31      Überdies habe die Kommission im Rahmen anderer Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich bei der Beanstandung einer systematischen und anhaltenden Überschreitung der Grenzwerte in ihren mit Gründen versehenen Stellungnahmen eine andere Formulierung benutzt, indem sie beispielsweise ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Überschreitung einen bestimmten Zeitraum „und noch darüber hinaus“ oder „mindestens“ betreffe. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die im Vorverfahren an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet worden sei, finde sich hingegen keine vergleichbare Formulierung.

32      Schließlich lasse der Unterschied zwischen den Rügen im Vorverfahren und in der vorliegenden Klage es nicht zu, die erste Rüge für teilweise zulässig zu erklären, so dass sie insgesamt als unzulässig zurückzuweisen sei.

33      Jedenfalls hält die Bundesrepublik Deutschland die erste Rüge für eine unzulässige Erweiterung des Streitgegenstands.

34      Insoweit macht sie erstens geltend, die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Gegenstand einer Klage wegen einer mutmaßlich anhaltenden Vertragsverletzung auch Tatsachen erfassen könne, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten, aber von derselben Art seien wie die in dieser Stellungnahme erwähnten und die ein und demselben Verhalten zuzurechnen seien, sei in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar, da die Kommission keine Erweiterung der Rüge um Tatsachen aus der Zeit nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme vornehme, sondern Tatsachen aus der Zeit vor der dort gesetzten Frist einzubeziehen versuche, nämlich Tatsachen aus den Jahren 2014 bis 2016.

35      Zweitens komme eine solche Erweiterung des Streitgegenstands nur zur Stützung des Vorwurfs eines „generellen und fortdauernden Charakter[s]“ des behaupteten Verstoßes in Betracht, den die Kommission im Rahmen des Vorverfahrens nicht geltend gemacht habe.

36      Drittens solle die Möglichkeit einer solchen Erweiterung des Streitgegenstands verhindern, dass ein Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren dadurch behindern könne, dass er bei jeder Bekanntgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme die die Vertragsverletzung begründende Rechtsvorschrift oder Verwaltungspraxis geringfügig ändere, das beanstandete Verhalten im Übrigen aber beibehalte. Dieser Sinn und Zweck komme vorliegend aber nicht zum Tragen.

37      Zum anderen macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, die erste Rüge sei mangels eines ausdrücklichen Zeitpunkts für den Fristablauf unbestimmt. Wie aus Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und aus dessen Rechtsprechung folge, müssten die Angaben in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klage so klar und deutlich sein, dass sie der beklagten Partei die Vorbereitung ihres Verteidigungsvorbringens und dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichten. Daher müssten sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die eine Klage gestützt werde, zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben, und die Anträge müssten in der Klageschrift eindeutig formuliert sein, damit der Gerichtshof nicht ultra petita entscheide oder eine Rüge übergehe.

38      Die Kommission beschränke sich in der Klageschrift auf die Angabe, dass die Grenzwerte für NO2 seit 2010 systematisch und anhaltend überschritten worden seien, ohne jedoch den Zeitraum zu präzisieren, in dem das Unionsrecht verletzt worden sein solle. Eine solche Vorgehensweise genüge den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an Kohärenz, Klarheit und Genauigkeit nicht und habe der Bundesrepublik Deutschland die Vorbereitung ihrer Verteidigung in unzulässiger Weise erschwert. Schließlich sei es ebenso wenig möglich, den von der Kommission herangezogenen Zeitraum anhand schlüssiger Indizien in der Akte zu ermitteln. Da die Kommission auch kein Jahr angebe, bis zu dem der Verstoß „mindestens“ festgestellt werden solle, sei ihr Antrag weder hinreichend bestimmt noch bestimmbar und daher insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.

39      Die Kommission tritt in ihrer Erwiderung dem gesamten Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland entgegen und macht geltend, die von den deutschen Behörden im September 2017 vorgelegten Luftqualitätsdaten für das Jahr 2016 seien zwar zum Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch nicht verfügbar gewesen, doch habe der Gerichtshof in den Urteilen vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien (C‑488/15, EU:C:2017:267), und vom 22. Februar 2018, Kommission/Polen (C‑336/16, EU:C:2018:94), im Kontext einer Klage auf Feststellung einer systematischen und anhaltenden Vertragsverletzung die Befugnis der Kommission bejaht, ergänzende Beweise vorzulegen, die dazu dienten, den generellen und anhaltenden Charakter der gerügten Vertragsverletzung im Stadium des gerichtlichen Verfahrens zu untermauern. Daher könne der Gegenstand einer Klage auf Tatsachen erstreckt werden, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten seien, sofern sie von derselben Art seien wie die in der Stellungnahme erwähnten und demselben Verhalten zuzurechnen seien. Die von der Bundesrepublik Deutschland im September 2017 übermittelten Daten zur Luftqualität für das Jahr 2016 genügten dieser Anforderung.

40      Ferner habe die Bundesrepublik Deutschland nicht dargetan, warum die Daten zur Luftqualität für das Jahr 2016 von anderer Art bzw. einem anderen Verhalten zuzurechnen sein sollten als diejenigen der Vorjahre.

41      Überdies gehe aus dem Petitum der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. Februar 2017 ausdrücklich hervor, dass die zwischenzeitlich übermittelten Luftqualitätsberichte für die Jahre 2014 und 2015 darin einbezogen worden seien. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme sei auch klargestellt worden, dass die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 den „Überschreitungen des Jahres- und des Stundengrenzwerts für NO2 im Zeitraum von 2010 bis einschließlich 2015“ gegolten habe. Insoweit hätten die Luftqualitätsberichte für die Jahre 2014 und 2015 bestätigt, dass die bereits von 2010 bis 2013 überschrittenen Grenzwerte in denselben Gebieten „weiter überschritten worden sind“. In der Klageschrift seien sodann die im September 2017 übermittelten Daten des Luftqualitätsberichts für 2016 in die erste Rüge einbezogen worden.

42      Diese Vorgehensweise beeinträchtige auch nicht die Verteidigungsrechte der Bundesrepublik Deutschland, da sich die Kommission ausschließlich auf die von diesem Mitgliedstaat selbst im Einklang mit Art. 27 der Richtlinie 2008/50 übermittelten Jahresberichte stütze. Zudem habe die Bundesrepublik Deutschland durchaus verstanden, dass ihr in der mit Gründen versehenen Stellungnahme zur Last gelegt werde, dass die Überschreitung der Grenzwerte für NO2 in den streitigen Gebieten „weiter anhalte“ und es sich nicht um die Rüge eines nur während der Jahre 2010 bis 2013 begangenen „historischen“ Verstoßes handele, denn sie habe sich auch im Hinblick auf die Jahre nach 2013 verteidigt.

43      Es gebe in der Klageschrift auch keinen „Paradigmenwechsel“, denn die mit Gründen versehene Stellungnahme habe bereits ersichtlich die anhaltende Überschreitung der Grenzwerte für NO2 in den Jahren 2010 bis 2015 in einer Vielzahl von Gebieten und Ballungsräumen des fraglichen Mitgliedstaats betroffen. Diese Grenzwerte seien „wiederholt und kontinuierlich überschritten“ worden, und die Rüge habe einem „mindestens sechs Jahre lange[n] Zeitraum der fortdauernden und wiederholten Nichteinhaltung der Grenzwerte“ gegolten. Die im Petitum der mit Gründen versehenen Stellungnahme enthaltene Klarstellung, dass der gerügte Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 weiterhin anhalte, lasse daher nicht den Umkehrschluss zu, dass sich die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie auf einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit beschränke.

44      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs führe die fehlende Benennung eines festen und bestimmten Enddatums der Vertragsverletzung nicht zur Unzulässigkeit der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50.

45      Die Bundesrepublik Deutschland trägt in ihrer Gegenerwiderung vor, im Vorverfahren habe es keinen Hinweis auf den systematischen und anhaltenden Charakter des behaupteten Verstoßes gegeben. Zudem seien die Luftqualitätsberichte für die Jahre 2014 und 2015 nur als zusätzlicher Beleg für eine angebliche Verletzung von Vorgaben der Richtlinie in der Zeit von 2010 bis 2013 in die mit Gründen versehene Stellungnahme einbezogen worden.

46      Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Antwort vom 5. Mai 2017 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme auch im Hinblick auf die Jahre nach 2013 verteidigt habe. Das darauf gestützte Vorbringen der Kommission sei rechtlich irrelevant, da ein Fehler bei der Abgrenzung des Streitgegenstands nicht dadurch ausgeglichen werden könne, dass sich der beklagte Mitgliedstaat zu der an ihn gerichteten mit Gründen versehenen Stellungnahme geäußert habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stelle das Vorverfahren nämlich eine wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats dar, sondern auch dafür, dass sichergestellt sei, dass das eventuelle gerichtliche Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand habe.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

47      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie diese Stellungnahme (Urteil vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien, C‑488/15, EU:C:2017:267, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Kommission kann ihre ursprünglichen Rügen in der Klageschrift präzisieren, sofern sie nicht den Streitgegenstand ändert (Urteil vom 26. September 2019, Kommission/Spanien [Gewässer – Aktualisierung der Bewirtschaftungspläne für die Kanarischen Inseln], C‑556/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:785, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Petitum der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. Februar 2017, dass „auch durch die … Luftqualitätsberichte für die Jahre 2014 und 2015 bestätigt worden ist“, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen habe. Dieselbe Formulierung findet sich in den Rn. 46 und 47 der Stellungnahme.

49      Die mit Gründen versehene Stellungnahme enthält mehrere klare Hinweise (und zwar in den Rn. 40, 45, 50, 68, 90 und 98 sowie im Anhang I), dass die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 Überschreitungen der Jahres- und Stundengrenzwerte für NO2 in der Zeit von 2010 bis 2015 betraf.

50      Zudem stellte die Kommission in den Rn. 51 und 84 der mit Gründen versehenen Stellungnahme auch klar, dass sie eine Überschreitung mit systematischem und anhaltendem Charakter über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren rüge.

51      Folglich stützt sich die vorliegende Klage, was die erste Rüge angeht, auf dasselbe Vorbringen und dieselben Gründe wie die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 16. Februar 2017.

52      Des Weiteren kann die bloße Tatsache, dass die Kommission in ihrer Klageschrift keinen festen und bestimmten Zeitpunkt angibt, bis zu dem die Bundesrepublik Deutschland ab dem 1. Januar 2010 systematisch und anhaltend gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen haben soll, nicht zur Unzulässigkeit der ersten Rüge führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2020, Kommission/Rumänien [Überschreitung der Grenzwerte für PM10], C‑638/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:334, Rn. 59). Das Gleiche gilt für den Umstand, dass in der Klageschrift in Bezug auf diese Vertragsverletzung das Jahr 2016 einbezogen wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung nämlich anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, während spätere Änderungen nicht berücksichtigt werden dürfen (Urteil vom 27. Januar 2021, Kommission/Österreich [Mehrwertsteuer – Reisebüros], C‑787/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:72, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      In der vorliegenden Rechtssache sollte die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. Februar 2017 – die der Bundesrepublik Deutschland am selben Tag zuging – gesetzte Frist am 16. April 2017 ablaufen. Nach ihrer Verlängerung durch die Kommission endete sie am 2. Mai 2017.

54      Desgleichen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem mit einer Klage nach Art. 258 AEUV die Feststellung eines systematischen und anhaltenden Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI begehrt wird, die Vorlage ergänzender Beweise, mit denen der generelle und anhaltende Charakter des gerügten Verstoßes im Stadium des Verfahrens vor dem Gerichtshof untermauert werden soll, nicht grundsätzlich unzulässig ist (Urteil vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien, C‑488/15, EU:C:2017:267, Rn. 42).

55      Der Gerichtshof hatte insbesondere bereits Gelegenheit, klarzustellen, dass der Gegenstand einer Klage wegen einer mutmaßlich anhaltenden Vertragsverletzung auch auf Tatsachen erstreckt werden kann, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme eingetreten sind, sofern sie von derselben Art sind wie die in dieser Stellungnahme erwähnten und ein und demselben Verhalten zuzurechnen sind (Urteil vom 30. April 2020, Kommission/Rumänien [Überschreitung der Grenzwerte für PM10], C‑638/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:334, Rn. 55).

56      Im vorliegenden Fall übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission den Jahresbericht über die Luftqualität für das Jahr 2016 gemäß Art. 27 der Richtlinie 2008/50, auf den sich die Kommission in ihrer Klageschrift auch gestützt hat, erst im September 2017.

57      Somit stellen die genannten Daten Tatsachen dar, die nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. Februar 2017 eintraten, aber von derselben Art sind wie die in dieser Stellungnahme erwähnten und ein und demselben Verhalten zuzurechnen sind, so dass sich der Klagegegenstand auf sie erstrecken kann (vgl. entsprechend Urteile vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 50).

58      Somit durfte die Kommission die genannten Daten, von denen sie nach Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 16. Februar 2017 Kenntnis erlangte, als Beleg dafür heranziehen, dass die Bundesrepublik Deutschland auch in Bezug auf das Jahr 2016 gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen hatte.

59      Hinzuzufügen ist, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gegenerwiderung die Daten zu den Tages- und Jahreskonzentrationen von NO2 in den streitigen Gebieten für das Jahr 2017 vorgelegt hat. Diese Daten waren jedoch noch vorläufig, wie auch die Kommission angibt. Daher sind sie im Rahmen der vorliegenden Klage nicht zu berücksichtigen.

60      Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen, mit dem die Bundesrepublik Deutschland den systematischen und anhaltenden Charakter der ihr vorgeworfenen Vertragsverletzung bestreitet, in Wirklichkeit nicht die Zulässigkeit der Klage betrifft, sondern die Frage, ob die erste Rüge der Kommission stichhaltig ist; es wird deshalb in dem die inhaltliche Prüfung der ersten Rüge betreffenden Teil des vorliegenden Urteils berücksichtigt.

61      Nach alledem ist festzustellen, dass die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI zulässig ist, soweit sie die geltend gemachte Verletzung von Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 2010 bis 2016 betrifft.

 Zur Begründetheit

–       Vorbringen der Parteien

62      Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe die sich aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI ergebende Verpflichtung seit dem 1. Januar 2010 bis einschließlich 2016 systematisch und anhaltend verletzt, da zum einen der Jahresgrenzwert für NO2 in den 26 streitigen Gebieten regelmäßig überschritten worden sei und zum anderen auch der Stundengrenzwert für diesen Schadstoff in zwei dieser Gebiete regelmäßig an mehr als 18 Tagen im Kalenderjahr überschritten worden sei. Für keines der streitigen Gebiete sei die Frist zur Erreichung der Grenzwerte gemäß Art. 22 der Richtlinie verlängert worden.

63      Unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Verfahren nach Art. 258 AEUV auf der objektiven Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem AEU-Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt beruht, trägt die Kommission vor, dass eine Überschreitung der Grenzwerte für NO2 ausreiche, um eine Verletzung dieser Bestimmungen der Richtlinie 2008/50 festzustellen. Die bloße Erstellung eines Luftqualitätsplans stelle keine Abhilfe für eine solche Verletzung dar.

64      Die Bundesrepublik Deutschland hebt unter Vorlage der Daten für das Jahr 2017 zunächst hervor, dass diese Zahlen den neuerdings abnehmenden Trend der NO2-Belastung im gesamten Hoheitsgebiet und damit die Wirksamkeit der vom Bund und den Bundesländern ergriffenen Maßnahmen zur Luftreinhaltung belegten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen zeigten sich in allen streitigen Gebieten überwiegend deutliche Reduzierungen der Grenzwertüberschreitungen um bis zu 9 μg/m3 bzw. 22 %, insbesondere im Gebiet DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart). In zwei der streitigen Gebiete, nämlich dem Ballungsraum DEZFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]) und dem Gebiet DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied), hätten alle ergriffenen Maßnahmen inzwischen bereits zu einer vollständigen Einhaltung bzw. sogar Unterschreitung des Jahresgrenzwerts von 40 μg/m³ geführt.

65      In Bezug auf den Stundengrenzwert für NO2, der nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden dürfe, zeige eine Fortschreibung der Daten für das Jahr 2017 in beiden genannten Gebieten eine deutliche Unterschreitung der Vorgaben der Richtlinie 2008/50, so dass ein Verstoß gegen den Stundengrenzwert für NO2 im Jahr 2017 im gesamten Hoheitsgebiet nicht mehr gegeben sei.

66      Die Bundesrepublik Deutschland beanstandet insbesondere die Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Luftverschmutzung mit PM10, wonach die Überschreitung der Grenzwerte für sich genommen ausreiche, um eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI feststellen zu können, auf Überschreitungen der Grenzwerte für NO2.

67      Insoweit macht sie unter Bezugnahme auf den im Jahr 2018 veröffentlichten Bericht „Luftverschmutzung: Unsere Gesundheit ist nach wie vor nicht hinreichend geschützt“ des Europäischen Rechnungshofs erstens geltend, die ganz überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten habe den Jahresgrenzwert für NO2 nicht eingehalten. Auch wenn diese Tatsache als solche die Feststellung einer Vertragsverletzung nicht in Frage stellen könne, würde ein auf die Überschreitung von Grenzwerten für einen Schadstoff gestützter automatischer und zwingender Schluss auf eine Vertragsverletzung die besonderen und komplexen Herausforderungen verkennen, vor die nahezu sämtliche Mitgliedstaaten durch die ambitionierten Grenzwerte der Richtlinie 2008/50 für NO2 gestellt würden. Diese besonderen Herausforderungen seien auch der Grund dafür, dass die Richtlinie selbst solche Überschreitungen in ihrem Art. 23 Abs. 1 bereits vorhergesehen und einem spezifischen Rechtsregime unterstellt habe. Im Übrigen habe die Kommission in ihrer Mitteilung vom 18. Dezember 2013 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über ein Programm „Saubere Luft für Europa“ (COM[2013] 918 final) konzediert, dass die vollständige Einhaltung der Grenzwerte wenig realistisch sei.

68      Zweitens seien die Überschreitungen der genannten Grenzwerte maßgeblich auf eigene Versäumnisse der Kommission zurückzuführen, die sich beim Vorschlag für eine wirksame Gesetzgebung zur Begrenzung der Emissionen des genannten Schadstoffs durch Dieselfahrzeuge nachlässig gezeigt habe. Als besonders problematisch im Hinblick auf die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 hätten sich Dieselfahrzeuge der Norm „Euro 5“ erwiesen. Da die Kommission es über Jahre unterlassen habe, ihrer Pflicht zur Sicherstellung der Einhaltung der Verordnung Nr. 715/2007 und insbesondere von deren Bestimmungen über Emissionen im praktischen Fahrbetrieb nachzukommen, hätten die Mitgliedstaaten die erforderliche Reduzierung der NO2-Belastung im vorgegebenen Zeitraum nicht mit verhältnismäßigen Maßnahmen erreichen können.

69      Drittens stehe einem aufgrund einer Überschreitung der Grenzwerte für NO2 automatisch gezogenen Schluss, dass gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 verstoßen worden sei, die Tatsache entgegen, dass die Richtlinienvorgaben zur Messung der Luftqualität zu einer gewissen Variabilität der Ergebnisse führten. Ferner bestünde, sofern bei jeder Überschreitung eines Grenzwerts ohne weitere Prüfung und pauschaliert auf der Grundlage der in Rn. 63 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung automatisch dieser Schluss gezogen und eine Vertragsverletzung festgestellt würde, die Gefahr einer Beeinträchtigung der mit der Richtlinie 2008/50 verfolgten Ziele der öffentlichen Gesundheit, da die Mitgliedstaaten künftig versucht sein könnten, möglichst niedrige Werte zu messen, um finanziellen Sanktionen nach Art. 260 AEUV zu entgehen.

70      Schließlich wäre, selbst wenn eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 bejaht werden und der von dieser Feststellung betroffene Zeitraum über die Jahre 2010 bis 2013 hinausgehen sollte, die von der Kommission erhobene erste Rüge jedenfalls insoweit unbegründet, als sie eine Überschreitung des Stunden- und Jahresgrenzwerts für NO2 in den Gebieten DEFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]) und DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied) betreffe, da diese Grenzwerte dort bereits seit dem Jahr 2017 eingehalten würden.

71      Die Kommission hält in ihrer Erwiderung dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, wonach zahlreiche Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Einhaltung der genannten Grenzwerte hätten, zunächst entgegen, dieser Mitgliedstaat verkenne, dass es sich bei diesen Grenzwerten um seit dem 1. Januar 2010 geltendes Unionsrecht handele und dass sie nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 seit diesem Zeitpunkt von den Mitgliedstaaten einzuhalten seien.

72      Insoweit macht die Kommission geltend, ein Vorbringen wie das der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung, das auf die „komplexen Herausforderungen“, die die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 mit sich bringe, und auf die Grenzwertüberschreitungen in anderen Mitgliedstaaten gestützt werde, sei rechtlich irrelevant. Gleiches gelte für das Vorbringen dieses Mitgliedstaats, wonach die Divergenz zwischen den in der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehenen und den im praktischen Fahrbetrieb zu beobachtenden NO2-Emissionen ihren Versäumnissen zuzuschreiben sei. Denn auch wenn sie gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 715/2007 über Durchführungsbefugnisse verfüge, um u. a. Prüfverfahren festzulegen, mit denen Hersteller gegenüber den mitgliedstaatlichen Typgenehmigungsbehörden die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nachweisen könnten, obliege es den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass alle Fahrzeuge der von ihnen genehmigten Typen die Emissionsgrenzwerte anhand der vorgeschriebenen Prüfverfahren im Labor einhielten und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verwendeten. Mit der deutschen Regelung habe sich dieses Ergebnis nicht erreichen lassen. Ebenfalls rechtlich irrelevant sei das Vorbringen, wonach rechtlich verbindliche Grenzwerte für NO2 die Mitgliedstaaten zu Manipulationen der Messdaten verleiten könnten, da solche Manipulationen gegen die Verpflichtung in Art. 7 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhängen III und V verstoßen würden.

73      Die Bundesrepublik Deutschland hält in ihrer Gegenerwiderung dem Vorbringen der Kommission, wonach die nationale Regelung im Bereich von Prüfverfahren für die Messung der Schadstoffemissionen von Dieselfahrzeugen unzureichend sei, entgegen, es seien vielmehr Defizite in diesem Bereich auf der Ebene des Unionsrechts, die den Mitgliedstaaten die Einhaltung der mit der Richtlinie 2008/50 festgelegten Grenzwerte für NO2 erschwert oder gar unmöglich gemacht hätten. Folglich unterscheide sich die Situation im Bereich der NO2-Emissionen grundlegend von der Situation, die im Bereich der PM10-Emissionen vorherrsche, so dass sich die zum letztgenannten Bereich ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf den erstgenannten Bereich übertragen lasse. Hinzu komme die Unzulänglichkeit des unionsrechtlichen Rahmens im Bereich der sogenannten „Abschalteinrichtungen“, da die bestehenden Verfahren von vornherein zur Feststellung unzulässiger Einrichtungen ungeeignet seien.

74      Darüber hinaus weist die Bundesrepublik Deutschland darauf hin, dass die genannten Grenzwerte in nur 26 der beurteilten Gebiete überschritten worden seien, so dass nur ein sehr kleiner Teil der deutschen Bevölkerung von diesen Überschreitungen betroffen sei. Angesichts des teils beträchtlichen Rückgangs der NO2-Belastung könne der Bundesrepublik Deutschland daher kein „systematischer Verstoß“ gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2008/50 vorgeworfen werden.

75      Hilfsweise trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, auch aus den vorläufigen Zahlen für das Jahr 2018 gehe hervor, dass die Zahl zulässiger Überschreitungen des Stundengrenzwerts für NO2 inzwischen im gesamten Bundesgebiet eingehalten werde.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

76      Die in der Richtlinie 2008/50 festgelegten Maßnahmen dienen gemäß ihrem Art. 1 Nr. 1 zur Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt. In diesem Rahmen sieht Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte u. a. für NO2 in der Luft die in Anhang XI der Richtlinie festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.

77      Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 der Richtlinie 2008/50 ist unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen, wonach das in Art. 258 AEUV vorgesehene Verfahren auf der objektiven Feststellung des Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem AEU-Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt beruht (Urteile vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 70, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 53).

78      Der Gerichtshof hat schon wiederholt hervorgehoben, dass die Überschreitung der Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft für sich genommen ausreicht, um einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI feststellen zu können (Urteile vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 71, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 54).

79      Im vorliegenden Fall zeigen die Daten aus den von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 27 der Richtlinie 2008/50 vorgelegten Jahresberichten über die Luftqualität, dass ab 2010 bis einschließlich 2016 der Jahresgrenzwert für NO2 in allen streitigen Gebieten, d. h. in 26 der über 80 Beurteilungsgebiete, die neun der zehn bevölkerungsreichsten Großstädte dieses Mitgliedstaats umfassten, regelmäßig überschritten wurde. Desgleichen wurde während des gesamten Zeitraums auch der Stundengrenzwert für NO2 in zwei dieser Gebiete öfter als an den nach der Richtlinie 2008/50 zulässigen 18 Tagen pro Kalenderjahr überschritten.

80      Im Einzelnen ergibt sich in Bezug auf die Überschreitungen des Jahresgrenzwerts von 40 μg/m³ für NO2 aus den genannten Daten, dass die für das Jahr 2016 gemeldeten Werte in allen streitigen Gebieten zwischen 2,5 % und 105 % über dem in der Richtlinie 2008/50 festgelegten Grenzwert lagen. In 16 der 26 streitigen Gebiete lagen die NO2‑Konzentrationen in der Luft um 25 % oder mehr über dem für diesen Schadstoff festgelegten Grenzwert. In sieben Gebieten lagen die Konzentrationen sogar um 50 % oder mehr über dem Grenzwert. In einigen Jahren wurde der in der Richtlinie 2008/50 festgelegte Grenzwert für NO2 in einer Reihe dieser Gebiete – so im Gebiet DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) in den Jahren 2010 und 2011 und im Gebiet DEZDXX0001A (Ballungsraum München) im Jahr 2010 – um etwa 150 % überschritten.

81      Desgleichen wurde bei dem in der Richtlinie 2008/50 festgelegten Stundengrenzwert von 200 μg/m3 für NO2 die zulässige Zahl von 18 Tagen pro Kalenderjahr in den Gebieten DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) und DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]) von 2010 bis einschließlich 2016 in jedem Jahr um mindestens 50 % überschritten, denn die Zahl der Überschreitungen dieses Werts lag zwischen 28 und 183 Tagen pro Jahr, wenn auch mit einer gewissen rückläufigen Tendenz während dieses Zeitraums.

82      Folglich sind die festgestellten Überschreitungen als anhaltend und systematisch zu betrachten, ohne dass die Kommission insoweit ergänzende Nachweise zu erbringen braucht (vgl. entsprechend Urteile vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 76, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 58).

83      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine Vertragsverletzung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs auch dann systematisch und anhaltend sein kann, wenn den gesammelten Daten eine partiell rückläufige Tendenz zu entnehmen sein mag, die jedoch nicht dazu führt, dass dieser Mitgliedstaat die von ihm einzuhaltenden Grenzwerte erreicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 3. Februar 2021, Kommission/Ungarn, [Grenzwerte – PM10], C‑637/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:92, Rn. 70). Dies ist in Bezug auf die hier in Rede stehenden Jahre 2010 bis 2016 der Fall, wie sich aus den Rn. 83 bis 85 des vorliegenden Urteils ergibt. Im Übrigen kann die etwaige Einhaltung dieser Grenzwerte im Jahr 2017 oder auch im Jahr 2018, die von der Bundesrepublik Deutschland hilfsweise geltend gemacht worden ist, nicht in Frage stellen, dass die Vertragsverletzung von 2010 bis 2016 systematisch und anhaltend blieb.

84      Ebenso wenig vermag das in Rn. 73 des vorliegenden Urteils zusammengefasste Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland durchzudringen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Überschreitungen der Grenzwerte für PM10 nicht auf Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 übertragen werden könne. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Wortlaut der Art. 13 und 23 der Richtlinie 2008/50 unterschiedslos für alle Luftschadstoffe gilt, auf die diese Richtlinie Anwendung findet. Die genannte Rechtsprechung kann daher als Prüfungsrahmen für die Beurteilung der Frage dienen, ob ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus diesen Artikeln hinsichtlich eines anderen Schadstoffs als den PM10-Partikeln nachgekommen ist, sofern dieser Schadstoff unter die Richtlinie fällt (Urteil vom 24. Oktober 2019, Kommission/Frankreich [Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid], C‑636/18, EU:C:2019:900, Rn. 77).

85      Des Weiteren genügt – wie aus Rn. 78 des vorliegenden Urteils hervorgeht – die bloße Überschreitung der Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft, um eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI bejahen zu können (Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Verstöße gegen die genannten Bestimmungen sind in diesem Zusammenhang auf der Ebene der Gebiete und Ballungsräume zu untersuchen, wobei die Überschreitung für jedes Gebiet oder jeden Ballungsraum auf der Grundlage der Messwerte jeder Messstation zu prüfen ist. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass Art. 13 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 anhand der Systematik und Zielsetzung der Regelung, zu der diese Bestimmungen gehören, dahin auszulegen sind, dass es für die Feststellung einer Überschreitung eines in Anhang XI der Richtlinie festgelegten Grenzwerts im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs genügt, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juni 2019, Craeynest u. a., C‑723/17, EU:C:2019:533, Rn. 60, 66 und 68, sowie vom 24. Oktober 2019, Kommission/Frankreich [Überschreitung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid], C‑636/18, EU:C:2019:900, Rn. 44).

87      Demzufolge gibt es keine „De-minimis“-Schwelle für die Zahl der Gebiete, in denen eine Überschreitung festgestellt werden kann (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Folglich ist auch das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass bei den Messergebnissen der Luftqualität gewisse Schwankungen vorlägen, zurückzuweisen.

89      Zum Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass nicht nur ihr ein Verstoß gegen Art. 13 der Richtlinie 2008/50 anzulasten sei, genügt die Feststellung, dass die Vertragsverletzung eines anderen Mitgliedstaats nicht geeignet ist, die Bundesrepublik Deutschland der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang XI zu entheben (vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 59).

90      Schließlich macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, Mängel des Unionsrechts im Bereich der Schadstoffemissionen, die auf Versäumnisse der Kommission zurückzuführen seien, hätten den Mitgliedstaaten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 erschwert oder gar unmöglich gemacht. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass – abgesehen davon, dass Kraftfahrzeuge, die den durch die Verordnung Nr. 715/2007 aufgestellten Vorschriften unterliegen, nicht die alleinige und einzige Ursache von NO2-Emissionen oder von PM10-Partikeln sind – die für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen geltende Unionsregelung die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte befreien kann, die in der Richtlinie 2008/50 auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Erfahrung der Mitgliedstaaten festgelegt wurden, um den Wert widerzuspiegeln, den die Union und die Mitgliedstaaten zur Vermeidung, Verhinderung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen der Luftschadstoffe auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt für angemessen halten (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Nach alledem greift die erste Rüge durch.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A

 Zur Zulässigkeit

–       Vorbringen der Parteien

92      Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe seit dem 11. Juni 2010 gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A, verstoßen, insbesondere gegen die Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 so kurz wie möglich gehalten werde.

93      Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die Unzulässigkeit der ersten Rüge habe zur Folge, dass auch die zweite Rüge unzulässig sei. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich nämlich, dass Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Überschreitung der in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang XI vorgesehenen Grenzwerte einerseits und der Erstellung von Luftqualitätsplänen andererseits herstelle. Der Gerichtshof habe daraus geschlossen, dass eine von der Kommission erhobene Rüge eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie, die wie im vorliegenden Fall zeitlich nicht begrenzt sei, denselben Zeitraum betreffe wie die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie. Die geltend gemachte vollständige oder teilweise Unzulässigkeit der Rüge eines Verstoßes gegen diese Bestimmung müsse daher gleichermaßen für die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 gelten.

94      Die Kommission tritt in ihrer Erwiderung diesem Vorbringen entgegen.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

95      Die Einwände der Bundesrepublik Deutschland gegen die Zulässigkeit der zweiten Rüge beruhen vollständig auf der geltend gemachten Unzulässigkeit der ersten Rüge.

96      Da die erste Rüge der Kommission für zulässig erklärt worden ist, kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden, so dass die von der Bundesrepublik Deutschland erhobene Einrede der Unzulässigkeit der zweiten Rüge zurückzuweisen ist.

 Zur Begründetheit

–       Vorbringen der Parteien

97      Zur Stützung ihrer zweiten Rüge macht die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs geltend, dass unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren anhand einer Einzelfallprüfung festzustellen sei, ob ein Luftqualitätsplan geeignete Maßnahmen enthalte, um den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten.

98      Erstens belege die mehrjährige „systematische und andauernde“ Überschreitung der Grenzwerte für einen Schadstoff aus sich selbst heraus, ohne dass es einer detaillierten Prüfung des Inhalts der vom betreffenden Mitgliedstaat erstellten Luftqualitätspläne bedürfe, dass der Mitgliedstaat keine geeigneten und wirksamen Maßnahmen durchgeführt habe, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte „so kurz wie möglich“ gehalten werde.

99      Zweitens seien Pläne, die nur langfristig die Einhaltung der Grenzwerte für einen Schadstoff vorsähen, mit der Pflicht unvereinbar, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung dieser Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten werde.

100    Drittens liege ein weiteres Indiz für die Unzulänglichkeit der in einem Luftqualitätsplan vorgesehenen Maßnahmen vor, wenn die Überschreitungen der Grenzwerte für einen Schadstoff zunehmende oder stagnierende Tendenz hätten. Das Gleiche gelte, wenn der Trend zwar rückläufig sei, dies aber angesichts des Ausmaßes der Grenzwertüberschreitung nicht genüge, um in Kürze die Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen. In solchen Fällen seien die in den Luftqualitätsplänen enthaltenen Maßnahmen nicht geeignet, den Zeitraum der Nichteinhaltung der genannten Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

101    Zudem habe eine Grenzwertüberschreitung, die nicht nur von langer Dauer sei, sondern auch von intensivem Ausmaß, besonders schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.

102    Viertens sei der formale Inhalt der Luftqualitätspläne bei der Frage zu berücksichtigen, ob sie alle nach Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 erforderlichen Angaben enthielten.

103    Was den materiellen Inhalt der Luftqualitätspläne angehe, müssten die darin vorgesehenen Maßnahmen geeignet sein, die Hauptursachen für Überschreitungen der Grenzwerte für einen Schadstoff wirksam und zeitnah anzugehen. Es gehe u. a. darum, feststellen zu können, ob die getroffenen Maßnahmen rechtlich verbindlich und ausreichend finanziert seien und ob ihre Umsetzung in der Praxis gewährleistet sei.

104    Gestützt auf eine Prüfung der einzelnen Pläne für jedes der streitigen Gebiete, auf Entscheidungen nationaler Verwaltungsgerichte, mit denen die Unzulänglichkeit einer Reihe dieser Pläne festgestellt wurde, und auf die in der Klageschrift enthaltenen Tabellen 1 und 2 macht die Kommission geltend, die Bundesrepublik Deutschland habe nicht die geeigneten Maßnahmen ergriffen, um den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 so kurz wie möglich zu halten.

105    Im Einzelnen seien die in der Richtlinie 2008/50 festgelegten Grenzwerte für NO2, obwohl die Bundesrepublik Deutschland zumindest seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 1999/30 im Jahr 1999 gewusst habe, dass sie spätestens zum 1. Januar 2010 erreicht werden müssten, danach sieben Jahre lang systematisch und anhaltend überschritten worden, wie die Kommission bereits im Rahmen ihres Vorbringens zum ersten Klagegrund geltend gemacht habe.

106    Ferner erwarte die Bundesrepublik Deutschland selbst für eine Vielzahl der streitigen Gebiete, dass die Grenzwerte frühestens im Jahr 2020 und in einigen Gebieten sogar erst 2030 eingehalten würden.

107    Zwar gebe es bei den Überschreitungen der Grenzwerte in vielen Gebieten einen stagnierenden oder sogar rückläufigen Trend. Dieser Rückgang reiche angesichts des Ausmaßes der Überschreitungen jedoch eindeutig nicht aus, um eine zeitnahe Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen.

108    Zudem enthielten die von den deutschen Behörden erstellten Luftqualitätspläne keine geeigneten Maßnahmen, um die Hauptursache der Überschreitungen der Grenzwerte für NO2, nämlich die Nutzung von Kraftfahrzeugen und insbesondere Dieselkraftfahrzeugen, wirksam und zeitnah abzustellen; dies sei in mehreren Entscheidungen nationaler Verwaltungsgerichte bestätigt worden.

109    Darüber hinaus fehlten in einer Reihe der Luftqualitätspläne die nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A erforderlichen Informationen.

110    Dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 zum Großteil darauf zurückgingen, dass die Normen für Kraftfahrzeugemissionen auf Unionsebene trotz ihrer schrittweisen Verschärfung in den letzten Jahren nicht zu den erwarteten Verringerungen bei den Emissionen dieser Art von Schadstoffpartikeln geführt hätten, sei entgegenzuhalten, dass diese Divergenz dem Mitgliedstaat seit über zehn Jahren bekannt gewesen sei und daher nicht den Aufschub effektiver Maßnahmen rechtfertigen könne.

111    Desgleichen könne die Bundesrepublik Deutschland ihr Vorbringen, dass eine Lösung der Luftreinhalteproblematik nur unter Berücksichtigung des tatsächlichen Schadstoffausstoßes von Dieselfahrzeugen auf Unionsebene erfolgen könne, nicht von ihrer Pflicht befreien, durch eine effiziente Luftreinhalteplanung zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte für NO2 beizutragen.

112    Hinzu komme, dass der relevante Zeitrahmen für die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 allein durch die Richtlinie 2008/50 festgelegt werde und dass Initiativen, Trends oder geplante Maßnahmen keine konkreten, mit einem genauen und verbindlichen Zeitplan für ihre Annahme und Umsetzung verbundenen Maßnahmen seien.

113    Die Bundesrepublik Deutschland macht in ihrer Klagebeantwortung geltend, die Kommission habe nichts vorgetragen, was die Feststellung rechtfertige, dass sie ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie 2008/50 und insbesondere derjenigen, dafür zu sorgen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 in allen streitigen Gebieten so kurz wie möglich gehalten werden könne, nicht nachgekommen sei.

114    Insoweit habe die Kommission eine unzulässige Umkehr der Beweislast vorgenommen und den behaupteten Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 nicht hinreichend substantiiert. Die in den Luftqualitätsplänen vorgesehenen Maßnahmen stünden im Einklang mit den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XV.

115    Erstens sei in Bezug auf die Beweislastumkehr durch die Kommission festzustellen, dass nach den allgemeinen Regeln für die Beweislastverteilung die Kommission die Darlegungs- und Beweislast für den von ihr behaupteten Verstoß gegen Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 treffe.

116    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügten die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ihrer Verpflichtung, den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für einen Schadstoff so kurz wie möglich zu halten, über einen Ermessensspielraum hinsichtlich der zu erlassenden Maßnahmen. Daher sei der Umstand, dass die Grenzwerte für NO2 in bestimmten Gebieten eines Mitgliedstaats überschritten worden seien, für sich genommen nicht ausreichend, um festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat gegen die Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 verstoßen habe.

117    Zu beanstanden sei insbesondere die Praxis der Kommission, nur eine Reihe von „Indizien“ heranzuziehen, wie die Dauer, den Trend und das Ausmaß von Überschreitungen der Grenzwerte für einen Schadstoff. Der Gerichtshof habe noch nie entschieden, dass einzelne oder alle der genannten Faktoren im Vertragsverletzungsverfahren solche Indizien darstellen könnten. Die Kommission missverstehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach es unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein könne, von der grundsätzlich erforderlichen detaillierten Prüfung der vom betreffenden Mitgliedstaat erstellten Pläne abzusehen, sofern die Sachlage „aus sich selbst heraus“ belege, dass ein Mitgliedstaat keine geeigneten und wirksamen Maßnahmen durchgeführt habe, um den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für Schadstoffe so kurz wie möglich zu halten. Der Gerichtshof habe erst aus dem Zusammenwirken der von ihm benannten Faktoren auf die Ungeeignetheit und Unwirksamkeit der vom betreffenden Mitgliedstaat ergriffenen Maßnahmen geschlossen und einzelnen Parametern wie der Dauer oder dem Ausmaß der Überschreitung somit keine Bedeutung für die Feststellung einer Verletzung der Bestimmungen der Richtlinie 2008/50 beigemessen.

118    Es treffe auch nicht zu, dass das Urteil vom 22. Februar 2018, Kommission/Polen (C‑336/16, EU:C:2018:94), sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sei. Erstens stünden die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2008/50 in deutsches Recht mit den Bestimmungen der Richtlinie im Einklang, und für alle streitigen Gebiete seien rechtzeitig Luftqualitätspläne erstellt worden. Zweitens könne der Bundesrepublik Deutschland kein systematischer und anhaltender Verstoß gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie vorgeworfen werden, weil die Kommission im Vorverfahren keine entsprechende Rüge erhoben habe. Drittens sei ein solcher systematischer Verstoß offenkundig nicht erwiesen, weil die Grenzwerte für NO2 nicht im gesamten Bundesgebiet überschritten worden seien, denn der Jahresmittelwert für NO2 sei im Jahr 2017 in 52 der über 80 Beurteilungsgebiete eingehalten worden, während der Stundengrenzwert für NO2 in all diesen Gebieten eingehalten worden sei. Viertens sei das genannte Urteil, selbst wenn die tatsächliche Lage vergleichbar wäre, nicht auf Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 übertragbar, da die Rechtssache, in der es ergangen sei, Überschreitungen der Grenzwerte für PM10 in der Luft betroffen habe.

119    In der Bundesrepublik Deutschland seien seit 2007 Umweltzonen zur Bekämpfung der Verschmutzung durch PM10 eingerichtet worden, zu denen nur Fahrzeuge, die bestimmte Abgasstandards einhielten, Zugang hätten und die sich trotz der mit ihnen verbundenen grundsätzlich erheblichen Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung leichter einrichten ließen als Fahrverbotszonen, die prioritär zur Senkung der NO2-Belastung dienten. Die Einrichtung der ersten Umweltzonen stelle eine verhältnismäßige Maßnahme dar, da gleichzeitig technische Fortschritte zur Senkung der Partikelemissionen auch von älteren Kraftfahrzeugen erzielt worden seien, so dass der Anteil der von Fahrverboten betroffenen Fahrzeughalter angesichts der Erneuerung der Fahrzeugflotte relativ gering gewesen sei. Demgegenüber seien von Fahrverboten, die prioritär zur Senkung der NO2-Belastung dienten, vor allem Diesel-Pkw der Klasse „Euro 5“ betroffen, die jünger und daher zahlreicher seien, da es sich um Fahrzeuge handele, die bis einschließlich August 2015 hätten zugelassen werden können.

120    Die Einführung solcher Maßnahmen sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit derzeit unmöglich, wie das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) in einem Urteil vom 27. Februar 2018 bestätigt habe, mit dem es die Einrichtung solcher Fahrverbotszonen nur unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Folgen und nur in gestaffelter Form für zulässig erachtet habe.

121    Ein im Einklang mit den neuesten anwendbaren unionsrechtlichen Normen zugelassenes Fahrzeug dürfe nicht ohne weiteres mit Nutzungsbeschränkungen belegt werden, denn hieraus ergäben sich Bedenken in Bezug auf Vorgaben zur Typgenehmigung, auf die Warenverkehrsfreiheit und auf das unionsrechtlich geschützte Eigentumsrecht.

122    Zweitens dürfe sich die Kommission nicht mit der Annahme begnügen, dass Dauer, Trend und Ausmaß der Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 sowie weitere Faktoren „Indizien“ für einen Verstoß gegen die genannte Bestimmung darstellten. Im vorliegenden Fall beschränke sich die Kommission zur Stützung ihrer Klage jedoch auf Ausführungen, die nicht über eine schematische und oberflächliche Zusammenfassung der genannten „Indizien“ in den verschiedenen streitigen Gebieten hinausgingen. Ferner seien die Verteidigungsrechte der Bundesrepublik Deutschland nicht gewahrt, da die Kommission nicht angebe, inwieweit die in den streitigen Gebieten aufgestellten Luftqualitätspläne hinter den Anforderungen der Richtlinie 2008/50 zurückblieben und welche zusätzlichen der ihr tatsächlich und rechtlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen unterlassen worden seien.

123    Ferner sei der Kommission anzulasten, dass sie nicht anhand einer Untersuchung jedes einzelnen Falles geprüft habe, ob die von der Bundesrepublik Deutschland erstellten Pläne den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 Genüge täten. Der Klage der Kommission sei nicht zu entnehmen, inwieweit die bisher von diesem Mitgliedstaat auf Bundes- und Länderebene unternommenen Anstrengungen unzureichend seien und welche konkreten Maßnahmen nach Auffassung der Kommission fehlten, um diesen Anforderungen Genüge zu tun. Zudem habe die Kommission verkannt, dass die Mitgliedstaaten nur solche Maßnahmen erlassen könnten, die zur Reduzierung der NO2-Belastung geeignet seien und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stünden.

124    Die Kommission habe für keines der streitigen Gebiete das Vorliegen aller für die Feststellung einer Vertragsverletzung erforderlichen Anhaltspunkte nachgewiesen. Dies gelte auch für die Fälle, in denen deutsche Verwaltungsgerichte festgestellt hätten, dass die in die Luftqualitätspläne aufgenommenen Maßnahmen nicht geeignet gewesen seien, die Einhaltung der vorgegebenen Grenzwerte für NO2‑Konzentrationen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt sicherzustellen.

125    Drittens sei nochmals darauf hinzuweisen, dass zum einen die Überschreitungen der Grenzwerte im Wesentlichen auf Versäumnisse der Kommission insbesondere in Bezug auf den Vorschlag für eine wirksame Gesetzgebung zur Begrenzung der NO2-Emissionen von Dieselfahrzeugen zurückzuführen seien, und dass es zum anderen unmöglich sei, auf der Ebene allein der Mitgliedstaaten die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Richtlinie 2008/50 durchzusetzen.

126    Aktuelle Fahrzeugstatistiken in Deutschland zeigten, dass eine frühzeitige Einführung von Bestimmungen zur Reduzierung der NO2‑Emissionen im praktischen Fahrbetrieb sinnvoll und geeignet gewesen wäre, erheblich zur Einhaltung der Grenzwerte für NO2 beizutragen. Die Erneuerung der Fahrzeugflotte trage kurz- und mittelfristig in starkem Maß zur Einhaltung des Jahresmittelwerts für NO2‑Emissionen in Deutschland bei. Die in Deutschland zum Zeitpunkt der vorliegenden Klage in Verkehr gebrachten Neufahrzeuge seien bereits fast ausschließlich Fahrzeuge mit niedrigen NO2‑Emissionen im praktischen Fahrbetrieb. Hätte die Kommission entsprechende Maßnahmen früher umgesetzt, wäre auch in den streitigen Gebieten die NO2‑Belastung erheblich geringer gewesen.

127    Viertens schließlich zeige eine detaillierte Betrachtung der im Rahmen der Luftqualitätspläne ergriffenen Maßnahmen, dass diese Pläne alle erforderlichen und verhältnismäßigen Maßnahmen enthielten, um die NO2-Belastung in den streitigen Gebieten so zu reduzieren, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für diesen Schadstoff so kurz wie möglich gehalten werde.

128    Hilfsweise seien insoweit die Maßnahmen zu nennen, die in den streitigen Gebieten und auf nationaler Ebene geplant oder bereits durchgeführt worden seien. Zum einen seien ab 2017 auf Bundesebene neue Maßnahmen ergriffen worden, u. a. ein „Sofortprogramm Saubere Luft 2017–2020“, die Förderung innovativer Verkehrsprojekte in Modellstädten und das „Konzept für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ sowie herstellerspezifische Maßnahmen für Euro-5-Dieselfahrzeuge. Zum anderen seien in den einzelnen Ländern und in den streitigen Gebieten bei der Reduzierung von Überschreitungen der Grenzwerte für NO2 Fortschritte seit dem Zeitpunkt erreicht worden, an dem die Bundesrepublik Deutschland ihre in den Rn. 22 und 23 des vorliegenden Urteils genannten Antworten auf die mit Gründen versehene Stellungnahme abgesandt habe (5. Mai und 17. November 2017).

129    Die Kommission tritt in ihrer Erwiderung dem gesamten Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung entgegen. Insoweit macht sie insbesondere geltend, sie habe die ihr im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 258 AEUV obliegende Beweislast gewahrt, und das Urteil vom 5. April 2017, Kommission/Bulgarien (C‑488/15, EU:C:2017:267), sei sehr wohl auf das vorliegende Verfahren übertragbar.

130    Sie fügt hinzu, die Auswahl unter mehreren gleich geeigneten Maßnahmen stehe den Mitgliedstaaten zu, wobei diese – wie stets beim Erlass nationaler Maßnahmen im Anwendungsbereich des Unionsrechts – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen hätten. Die Bundesrepublik Deutschland könne daher nicht mit Erfolg die Wahrung dieses Grundsatzes geltend machen, um einen Verstoß gegen die Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 zu rechtfertigen, soweit er ihr vorschreibe, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 so kurz wie möglich gehalten werde.

131    Dem Vorwurf der Bundesrepublik Deutschland, die Kommission habe sich auf eine schematische und pauschale Analyse der Luftqualitätspläne beschränkt und in diesem Zusammenhang nicht die konkreten Maßnahmen benannt, die von diesem Mitgliedstaat hätten ergriffen werden müssen, sei entgegenzuhalten, dass sie sich in einem Verfahren nach Art. 258 AEUV darauf beschränken dürfe, zur Stützung der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 darzulegen, dass die in den Luftqualitätsplänen enthaltenen Maßnahmen nicht geeignet seien, den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für den betreffenden Schadstoff „so kurz wie möglich“ zu halten. Ihr obliege es hingegen nicht, anstelle der mitgliedstaatlichen Stellen solche Maßnahmen vorzuschlagen.

132    Die Behauptung der Bundesrepublik Deutschland, zahlreiche Entscheidungen der deutschen Verwaltungsgerichte belegten, dass die deutschen Stellen sämtliche Optionen hinsichtlich geeigneter Maßnahmen berücksichtigten und Luftqualitätspläne kontinuierlich fortgeschrieben würden, sei unzutreffend. Die genannten Entscheidungen bestätigten vielmehr, dass der Mitgliedstaat in einer Vielzahl von Fällen keine geeigneten Maßnahmen ergriffen und in einem konkreten Fall diese Pläne sogar trotz einer Verurteilung und der Verhängung von Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen nicht fortgeschrieben habe.

133    Zu dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, dass die von ihr seit 2017 ergriffenen zusätzlichen Maßnahmen eine erneute Bewertung der Sachlage bezüglich der Luftqualität in Deutschland rechtfertigten, sei darauf hinzuweisen, dass die präzise Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem der Mitgliedstaat imstande sein werde, die Grenzwerte für NO2 einzuhalten, kein bloßer Formalismus sei, sondern zwingend erforderlich, um die Ursachen und Wirkungen der getroffenen Maßnahmen und damit ihre Eignung zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung beurteilen zu können.

134    Die von der Bundesrepublik Deutschland angeführten zusätzlichen Maßnahmen auf Bundesebene ließen nicht erkennen, welche positiven Auswirkungen sie auf die festgestellten Überschreitungen haben würden, und zwar in keinem der 26 streitigen Gebiete. Insoweit fehle auch die nach Anhang XV Abschnitt A Ziff. 8 Buchst. c der Richtlinie 2008/50 erforderliche quantifizierte Schätzung der angestrebten Verbesserung der Luftqualität für die einzelnen Gebiete und des für die Verwirklichung dieser Ziele veranschlagten Zeitraums. Desgleichen seien die von der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung beschriebenen Maßnahmen in den einzelnen streitigen Gebieten nicht geeignet, die Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2, wie es Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie verlange, in so kurzer Zeit wie möglich abzustellen. Insbesondere verweise dieser Mitgliedstaat für zahlreiche der streitigen Gebiete auf keine konkreten zusätzlichen Maßnahmen, sondern auf noch nicht angenommene oder lediglich beabsichtigte Maßnahmen. Zudem räume er ein, dass einige der von ihm beschriebenen zusätzlichen Maßnahmen es ihm nicht ermöglichen würden, eine kurzfristige Einhaltung der Grenzwerte auf der Grundlage der bestehenden Maßnahmen zu erreichen.

135    Die Bundesrepublik Deutschland wiederholt in ihrer Gegenerwiderung, dass nur 26 der 89 Beurteilungsgebiete von Überschreitungen der genannten Grenzwerte betroffen seien. Dem Vorbringen der Kommission, sie habe eingeräumt, dass einige der von ihr ergriffenen zusätzlichen Maßnahmen es ihr nicht ermöglichen würden, eine kurzfristige Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu erreichen, sei entgegenzuhalten, dass Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 keine solche Einhaltung vorschreibe. Der Unionsgesetzgeber habe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch das Erfordernis Rechnung getragen, den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten. Damit werde dieser Zeitraum nicht abstrakt, sondern konkret, d. h. im Einzelfall im Hinblick auf die rechtlich und tatsächlich möglichen Maßnahmen, bestimmt. Erweise sich eine tatsächlich mögliche Maßnahme als unverhältnismäßig und rechtswidrig, begründe es also keine Verletzung des Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie, wenn sie nicht implementiert werde. Insoweit belege allein die Tatsache, dass die Kommission weiterhin nicht angebe, welche verhältnismäßigen Maßnahmen dieser Mitgliedstaat hätte erlassen müssen, dass die Luftqualitätspläne in allen streitigen Gebieten den rechtlichen Anforderungen gerecht würden.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

136    Aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 ergibt sich, dass der betreffende Mitgliedstaat bei Überschreitung der Grenzwerte für NO2 nach dem Verstreichen der Frist für ihre Einhaltung einen Luftqualitätsplan erstellen muss, der bestimmten Anforderungen genügt.

137    So muss dieser Plan geeignete Maßnahmen enthalten, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der genannten Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten werden kann, und er kann zusätzlich gezielte Maßnahmen zum Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zum Schutz von Kindern, vorsehen. Außerdem muss der Plan nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2008/50 mindestens die in Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie aufgeführten Angaben umfassen. Er ist der Kommission unverzüglich, spätestens jedoch zwei Jahre nach Ende des Jahres, in dem die erste Überschreitung festgestellt wurde, zu übermitteln.

138    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 allgemeinere Bedeutung, da er ohne zeitliche Beschränkung auf Überschreitungen jeglicher in der Richtlinie festgelegter Grenzwerte für Schadstoffe anwendbar ist, zu denen es nach Ablauf der in der Richtlinie oder von der Kommission nach ihrem Art. 22 festgelegten Frist für ihre Einhaltung kommt (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 132 und die dort angeführte Rechtsprechung).

139    Ferner schafft Art. 23 der Richtlinie 2008/50 eine unmittelbare Verknüpfung zwischen der Überschreitung der in ihrem Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XI vorgesehenen Grenzwerte für NO2 und der Erstellung von Luftqualitätsplänen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

140    Luftqualitätspläne können nur auf der Grundlage eines Ausgleichs zwischen dem Ziel einer Verringerung der Gefahr der Verschmutzung und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen erstellt werden (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

141    Daher ist der Umstand, dass ein Mitgliedstaat die Grenzwerte für NO2 überschreitet, für sich allein nicht ausreichend, um festzustellen, dass dieser Mitgliedstaat gegen die Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 verstoßen hat (vgl. entsprechend Urteil vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – NO2], C‑664/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:171, Rn. 137 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142    Allerdings ergibt sich aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der zu erlassenden Maßnahmen zwar über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen, diese Maßnahmen es jedenfalls aber ermöglichen müssen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 136 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143    Infolgedessen ist anhand einer Analyse des Einzelfalls zu prüfen, ob die vom betroffenen Mitgliedstaat erstellten Luftqualitätspläne mit Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 im Einklang stehen (Urteil vom 10. November 2020, Kommission/Italien [Grenzwerte – PM10], C‑644/18, EU:C:2020:895, Rn. 137 und die dort angeführte Rechtsprechung).

144    Im vorliegenden Fall hat die Bundesrepublik Deutschland, wie sich aus der Prüfung der ersten Rüge der Kommission ergibt, in Bezug auf die Grenzwerte für NO2 in allen streitigen Gebieten im gesamten Zeitraum der Jahre 2010 bis 2016 systematisch und anhaltend gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen. Ferner war, wie sich aus den Rn. 79 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt, das Ausmaß der Überschreitungen der Grenzwerte während dieses Zeitraums in der Mehrzahl der streitigen Gebiete beträchtlich.

145    In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland seit dem 11. Juni 2010 verpflichtet ist, bei Überschreitungen der in der Richtlinie 2008/50 vorgesehenen Grenzwerte für einen Schadstoff Luftqualitätspläne zu erstellen. Gemäß Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie musste sie nämlich bis spätestens zu diesem Zeitpunkt die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich waren, um der Richtlinie nachzukommen. Folglich war sie verpflichtet, so schnell wie möglich geeignete Maßnahmen zu erlassen und umzusetzen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 im Einklang mit Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie so kurz wie möglich gehalten werden kann.

146    Im vorliegenden Fall hatte die Bundesrepublik Deutschland Luftqualitätspläne erstellt und verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in den streitigen Gebieten ergriffen, als am 2. Mai 2017 die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist ablief. Nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2008/50 müssen diese Pläne jedoch mindestens die in Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie aufgeführten Angaben enthalten.

147    Nach den Angaben in der dem Gerichtshof vorgelegten Akte sehen die Luftqualitätspläne für eine Reihe der streitigen Gebiete, nämlich die Gebiete DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart), DEZCXX0043S (Regierungsbezirk Tübingen), DEZCXX0063S (Regierungsbezirk Stuttgart [ohne Ballungsraum]), DEZDXX0003A (Ballungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen), DEZFXX0005S (Gebiet III Mittel- und Nordhessen), DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), DEZFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]), DEZJXX0015A (Grevenbroich [Rheinisches Braunkohlerevier]), DEZJXX0009A (Düsseldorf), DEZJXX0017A (Duisburg, Oberhausen, Mülheim), DEZJXX0008A (Dortmund), DEZJXX0016S (urbane Bereiche und ländlicher Raum im Land Nordrhein-Westfalen), DEZKXX0006S (Mainz), DEZKXX0007S (Worms/Frankenthal/Ludwigshafen) und DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied), zwar bestimmte Maßnahmen zur Erreichung einer Verringerung des Umfangs der Überschreitungen des Jahresgrenzwerts für NO2 und – in Bezug auf die Gebiete DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) und DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]) – auch des Umfangs der Überschreitungen des Stundengrenzwerts für NO2 vor, enthalten aber nicht die im Hinblick auf die Anforderungen von Anhang XV Abschnitt A Ziff. 8 Buchst. c der Richtlinie 2008/50 erforderlichen Informationen, da eine Schätzung der angestrebten Verbesserung der Luftqualität fehlt, obwohl diese Informationen von zentraler Bedeutung sind.

148    Für einige der streitigen Gebiete, nämlich die Gebiete DEZCXX0043S (Regierungsbezirk Tübingen), DEZBXX0001A (Ballungsraum Berlin), DEZCXX0041S (Regierungsbezirk Karlsruhe [ohne Ballungsräume]), DEZGLX0001A (Ballungsraum Hamburg), DEZJXX0006A (Essen) und DEZJXX0005A (Hagen), geht aus den Plänen hervor, dass sich ihre Verwirklichung über einen beträchtlichen Zeitraum erstrecken konnte. Die Bundesrepublik Deutschland hatte im Übrigen darauf hingewiesen, dass sie nicht erwarte, dass der Jahresgrenzwert für NO2 in den genannten Gebieten vor dem Jahr 2020 eingehalten werde.

149    Bei den Gebieten DEZJXX0005A ([Hagen] in Bezug auf den Plan für Schwerte) und DEZJXX0002A ([Wuppertal] in Bezug auf den Plan für Remscheid) war die Einhaltung des genannten Grenzwerts ab dem Jahr 2015 vorgesehen. Dieses Ziel wurde dort jedoch offenbar weder 2015 noch 2016 erreicht. In Bezug auf das Gebiet DEZJXX0011A (Aachen) sieht die Bundesrepublik Deutschland vor, dass der genannte Grenzwert bis zum Jahr 2025 eingehalten wird. In Bezug auf das Gebiet DEZDXX0001A (Ballungsraum München) geht aus dem Luftqualitätsplan hervor, dass die Einhaltung des Grenzwerts ohne zusätzliche Maßnahmen nicht vor 2025 oder gar 2030 zu erwarten ist.

150    Zudem sind zahlreiche Maßnahmen, die in den dem Gerichtshof zur Beurteilung vorgelegten Luftqualitätsplänen vorgesehen sind, nicht konkret, da sie nur auf die Förderung bestimmter Fortbewegungsmittel wie Erdgasfahrzeuge, Fahrräder oder die Mobilität zu Fuß, auf die Förderung öffentlicher Verkehrsmittel, von Elektromobilität oder Car‑Sharing und auf Sensibilisierungskampagnen oder die Verkehrssicherheit im Allgemeinen abzielen (vgl. u. a. die Gebiete DEZBXX0001A [Ballungsraum Berlin], DEZCXX0043S [Regierungsbezirk Tübingen], DEZCXX0063S [Regierungsbezirk Stuttgart (ohne Ballungsraum)], DEZCXX0006A [Ballungsraum Mannheim/Heidelberg], DEZDXX0001A [Ballungsraum München], DEZGLX0001A [Ballungsraum Hamburg], DEZJXX0006A [Essen] und DEZJXX0002A [Wuppertal]).

151    In mehreren der streitigen Gebiete sind zusätzliche Maßnahmen angekündigt worden, um die Grenzwerte für NO2 rascher einzuhalten. Anhand der dem Gerichtshof von der Bundesrepublik Deutschland zur Prüfung vorgelegten Unterlagen lässt sich allerdings nicht feststellen, ob diese Maßnahmen tatsächlich eingeführt wurden, und gegebenenfalls überprüfen, bis wann die Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden können (vgl. u. a. die Gebiete DEZCXX0063S [Regierungsbezirk Stuttgart (ohne Ballungsraum)], DEZCXX0004A [Ballungsraum Freiburg], DEZJXX0015A [Grevenbroich (Rheinisches Braunkohlerevier)], DEZJXX0004A [Köln], DEZJXX0009A [Düsseldorf], DEZJXX0006A [Essen] und DEZJXX0002A [Wuppertal]).

152    Angesichts der Erwägungen in den Rn. 147 bis 151 des vorliegenden Urteils ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen der ihr nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 obliegenden Verpflichtung offenkundig nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen erlassen hat, damit die Zeiträume der Nichteinhaltung der Grenzwerte für NO2 in den 26 streitigen Gebieten so kurz wie möglich gehalten werden.

153    Folglich greift die zweite Rüge durch.

154    Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland

dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen hat, dass seit dem 1. Januar 2010 bis einschließlich 2016 zum einen der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) in den 26 streitigen Gebieten, und zwar den Gebieten DEZBXX0001A (Ballungsraum Berlin), DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart), DEZCXX0043S (Regierungsbezirk Tübingen), DEZCXX0063S (Regierungsbezirk Stuttgart [ohne Ballungsraum]), DEZCXX0004A (Ballungsraum Freiburg), DEZCXX0041S (Regierungsbezirk Karlsruhe [ohne Ballungsräume]), DEZCXX0006A (Ballungsraum Mannheim/Heidelberg), DEZDXX0001A (Ballungsraum München), DEZDXX0003A (Ballungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen), DEZFXX0005S (Gebiet III Mittel- und Nordhessen), DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), DEZFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]), DEZGLX0001A (Ballungsraum Hamburg), DEZJXX0015A (Grevenbroich [Rheinisches Braunkohlerevier]), DEZJXX0004A (Köln), DEZJXX0009A (Düsseldorf), DEZJXX0006A (Essen), DEZJXX0017A (Duisburg, Oberhausen, Mülheim), DEZJXX0005A (Hagen), DEZJXX0008A (Dortmund), DEZJXX0002A (Wuppertal), DEZJXX0011A (Aachen), DEZJXX0016S (urbane Bereiche und ländlicher Raum im Land Nordrhein-Westfalen), DEZKXX0006S (Mainz), DEZKXX0007S (Worms/Frankenthal/Ludwigshafen), DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied), und zum anderen der Stundengrenzwert für NO2 in zwei dieser Gebiete, und zwar den Ballungsräumen DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) und DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), systematisch und anhaltend überschritten wurde, und

dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A, und insbesondere gegen die nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bestehende Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen vorsehen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird, verstoßen hat, dass sie es unterlassen hat, ab dem 11. Juni 2010 geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in allen streitigen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten.

 Kosten

155    Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.


156    Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt das Vereinigte Königreich seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat

–        dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa in Verbindung mit deren Anhang XI verstoßen, dass seit dem 1. Januar 2010 bis einschließlich 2016 zum einen der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) in 26 Gebieten und Ballungsräumen im deutschen Hoheitsgebiet, und zwar den Gebieten DEZBXX0001A (Ballungsraum Berlin), DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart), DEZCXX0043S (Regierungsbezirk Tübingen), DEZCXX0063S (Regierungsbezirk Stuttgart [ohne Ballungsraum]), DEZCXX0004A (Ballungsraum Freiburg), DEZCXX0041S (Regierungsbezirk Karlsruhe [ohne Ballungsräume]), DEZCXX0006A (Ballungsraum Mannheim/Heidelberg), DEZDXX0001A (Ballungsraum München), DEZDXX0003A (Ballungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen), DEZFXX0005S (Gebiet III Mittel- und Nordhessen), DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), DEZFXX0002A (Ballungsraum II [Kassel]), DEZGLX0001A (Ballungsraum Hamburg), DEZJXX0015A (Grevenbroich [Rheinisches Braunkohlerevier]), DEZJXX0004A (Köln), DEZJXX0009A (Düsseldorf), DEZJXX0006A (Essen), DEZJXX0017A (Duisburg, Oberhausen, Mülheim), DEZJXX0005A (Hagen), DEZJXX0008A (Dortmund), DEZJXX0002A (Wuppertal), DEZJXX0011A (Aachen), DEZJXX0016S (urbane Bereiche und ländlicher Raum im Land Nordrhein-Westfalen), DEZKXX0006S (Mainz), DEZKXX0007S (Worms/Frankenthal/Ludwigshafen), DEZKXX0004S (Koblenz/Neuwied), und zum anderen der Stundengrenzwert für NO2 in zwei dieser Gebiete, und zwar den Ballungsräumen DEZCXX0007A (Ballungsraum Stuttgart) und DEZFXX0001A (Ballungsraum I [Rhein-Main]), systematisch und anhaltend überschritten wurde,

und

–        dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50, allein und in Verbindung mit deren Anhang XV Abschnitt A, und insbesondere gegen die nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bestehende Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen vorsehen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird, verstoßen, dass sie es unterlassen hat, ab dem 11. Juni 2010 geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um in allen diesen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.

Kumin

von Danwitz

Xuereb

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Juni 2021.

Der Kanzler

 

Der Präsident der Siebten Kammer

A. Calot Escobar

 

A. Kumin


*      Verfahrenssprache: Deutsch.