Language of document : ECLI:EU:C:2021:709

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

9. September 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich – Begriff ‚Familienangehöriger‘ – Volljähriger, der aufgrund seiner familiären Bindung zu einem Minderjährigen, dem bereits subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, internationalen Schutz beantragt – Für die Beurteilung der Minderjährigkeit maßgebender Zeitpunkt“

In der Rechtssache C‑768/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. August 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2019, in dem Verfahren

Bundesrepublik Deutschland

gegen

SE,

Beteiligter:

Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter N. Wahl und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) und des Richters J. Passer,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch A. Schumacher als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch K. Szíjjártó und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, M. Condou-Durande, K. Kaiser und C. Ladenburger als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. März 2021

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

2        Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen SE, einem afghanischen Staatsangehörigen, und der Bundesrepublik Deutschland wegen der Weigerung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland), ihm die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem Sohn zuzuerkennen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2011/95

3        In den Erwägungsgründen 12, 16, 18, 19 und 38 der Richtlinie 2011/95 heißt es:

„(12)      Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie besteht darin, einerseits zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

(16)      Diese Richtlinie achtet die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze. Sie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende und die sie begleitenden Familienangehörigen sicherzustellen sowie die Anwendung der Artikel 1, 7, 11, 14, 15, 16, 18, 21, 24, 34 und 35 der Charta zu fördern, und sollte daher entsprechend umgesetzt werden.

(18)      Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem [am 20. November 1989 in New York geschlossenen] Übereinkommen der Vereinten Nationen … über die Rechte des Kindes [(United Nations Treaty Series, Bd. 1577, S. 3)] vorrangig das ‚Wohl des Kindes‘ berücksichtigen. Bei der Bewertung der Frage, was dem Wohl des Kindes dient, sollten die Mitgliedstaaten insbesondere dem Grundsatz des Familienverbands, dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen, Sicherheitsaspekten sowie dem Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife Rechnung tragen.

(19)      Der Begriff ‚Familienangehörige‘ muss ausgeweitet werden, wobei den unterschiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen und das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen ist.

(38)      Bei der Gewährung der Ansprüche auf die Leistungen gemäß dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten dem Wohl des Kindes sowie den besonderen Umständen der Abhängigkeit der nahen Angehörigen, die sich bereits in dem Mitgliedstaat aufhalten und die nicht Familienmitglieder der Person sind, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, von dieser Person Rechnung tragen. …“

4        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2011/95 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

j)      ‚Familienangehörige‘ die folgenden Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

–        der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist;

k)      ‚Minderjähriger‘ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren;

…“

5        Art. 3 („Günstigere Normen“) der Richtlinie 2011/95 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind.“

6        Art. 20 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2011/95 lautet:

„(2)      Sofern nichts anderes bestimmt wird, gilt dieses Kapitel sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz.

(5)      Bei der Umsetzung der Minderjährige berührenden Bestimmungen dieses Kapitels berücksichtigen die Mitgliedstaaten vorrangig das Wohl des Kindes.“

7        Art. 23 („Wahrung des Familienverbands“) der Richtlinie 2011/95 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann.

(2)      Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist.

(3)      Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn der Familienangehörige aufgrund der Kapitel III und V von der Gewährung internationalen Schutzes ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen wäre.

…“

8        Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 lautet:

„So bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und ihren Familienangehörigen einen verlängerbaren Aufenthaltstitel aus, der mindestens ein Jahr und im Fall der Verlängerung mindestens zwei Jahre gültig sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.“

 Richtlinie 2013/32/EU

Art. 6 („Zugang zum Verfahren“) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) sieht vor:

„(1)      Stellt eine Person einen Antrag auf internationalen Schutz bei einer Behörde, die nach nationalem Recht für die Registrierung solcher Anträge zuständig ist, so erfolgt die Registrierung spätestens drei Arbeitstage nach Antragstellung.

Wird der Antrag auf internationalen Schutz bei anderen Behörden gestellt, bei denen derartige Anträge wahrscheinlich gestellt werden, die aber nach nationalem Recht nicht für die Registrierung zuständig sind, so gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Registrierung spätestens sechs Arbeitstage nach Antragstellung erfolgt.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass diese anderen Behörden, bei denen wahrscheinlich Anträge auf internationalen Schutz gestellt werden, wie Polizei, Grenzschutz, Einwanderungsbehörden und Personal von Gewahrsamseinrichtungen, über die einschlägigen Informationen verfügen und ihr Personal das erforderliche, seinen Aufgaben und Zuständigkeiten entsprechende Schulungsniveau und Anweisungen erhält, um die Antragsteller darüber zu informieren, wo und wie Anträge auf internationalen Schutz gestellt werden können.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, tatsächlich die Möglichkeit hat, diesen so bald wie möglich förmlich zu stellen. Stellt der Antragsteller keinen förmlichen Antrag, so können die Mitgliedstaaten Artikel 28 entsprechend anwenden.

(3)      Unbeschadet des Absatzes 2 können die Mitgliedstaaten verlangen, dass Anträge auf internationalen Schutz persönlich und/oder an einem bestimmten Ort gestellt werden.

(4)      Ungeachtet des Absatzes 3 gilt ein Antrag auf internationalen Schutz als förmlich gestellt, sobald den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller vorgelegtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll, sofern nach nationalem Recht vorgesehen, zugegangen ist.

…“

 Deutsches Recht

9        Die Richtlinie 2011/95 wurde durch das Asylgesetz (BGBl. 2008 I, S. 1798, im Folgenden: AsylG) in deutsches Recht umgesetzt.

10      Das AsylG unterscheidet zwischen einem formlosen Asylantrag (Asylgesuch, § 13 Abs. 1 AsylG) und einem förmlichen Asylantrag (§ 14 Abs. 1 AsylG).

11      § 13 Abs. 1 AsylG bestimmt:

„Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.“

12      § 14 Abs. 1 AsylG sieht vor:

„Der Asylantrag ist bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist. …“

13      In § 26 AsylG heißt es:

„…

(2)      Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3)      Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie [2011/95] werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.      die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,

2.      die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie [2011/95] schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,

3.      sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,

4.      die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und

5.      sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.

Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(5)      Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.“

14      § 77 Abs. 1 AsylG bestimmt:

„In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. …“

 Sachverhalt und Vorlagefragen

15      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass der am 20. April 1998 geborene Sohn des Klägers des Ausgangsverfahrens im Laufe des Jahres 2012 nach Deutschland einreiste und am 21. August 2012 dort einen Asylantrag stellte. Am 13. Mai 2016, d. h., als dieses Kind bereits 18 Jahre alt war, lehnte die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab, erkannte ihm aber den subsidiären Schutzstatus zu.

16      Der Kläger des Ausgangsverfahrens reiste im Januar 2016 nach Deutschland ein. Er beantragte im darauffolgenden Monat Asyl und stellte am 21. April 2016 einen förmlichen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers des Ausgangsverfahrens ab, verweigerte ihm die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorlägen.

17      Mit Entscheidung vom 23. Mai 2018 gab das Verwaltungsgericht (Deutschland) seiner Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge statt und verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland, ihm auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 Unterabs. 1 und Abs. 5 AsylG den subsidiären Schutzstatus als Elternteil eines nicht verheirateten Minderjährigen, dem dieser Schutz zuerkannt worden ist, zu gewähren. Das Verwaltungsgericht führte aus, der Sohn des Klägers des Ausgangsverfahrens sei zu dem insoweit maßgebenden Zeitpunkt der Stellung seines Asylantrags minderjährig gewesen. In diesem Zusammenhang sei ein Asylantrag als gestellt zu betrachten, sobald der Antragsteller in Deutschland erstmals um Asyl nachsuche und die zuständige Behörde davon Kenntnis erlange.

18      Die Bundesrepublik Deutschland legte gegen diesen Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) Sprungrevision ein, mit der sie einen Verstoß gegen § 26 Abs. 3 Unterabs. 1 AsylG rügte. Maßgebend für die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers des Ausgangsverfahrens sei gemäß § 77 Abs. 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht oder – in Ermangelung einer solchen – im Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt werde. Da der Sohn des Klägers des Ausgangsverfahrens zu dem gemäß dieser Bestimmung maßgebenden Zeitpunkt nicht mehr minderjährig gewesen sei, könne sich der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht auf § 26 Abs. 3 AsylG berufen, der auf Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 verweise. Nur im Fall eines bei der Zuerkennung seines eigenen subsidiären Schutzstatus durch die zuständige Behörde noch Minderjährigen könnten gemäß Art. 2 Buchst. j Rechte zugunsten seiner Eltern entstehen. Dies werde durch den Zweck von § 26 Abs. 3 AsylG – den Schutz der Interessen des Minderjährigen – bestätigt, der mit Eintritt der Volljährigkeit gegenstandslos werde. Selbst wenn die Voraussetzungen dafür, den Eltern eines Minderjährigen das abgeleitete Asylrecht zuzuerkennen, anhand des Zeitpunkts der Asylantragstellung des betreffenden Elternteils zu beurteilen sein sollten, komme es jedenfalls auf den Zeitpunkt der förmlichen Stellung des Asylantrags gemäß § 14 AsylG an und nicht auf den Zeitpunkt, zu dem im Sinne von § 13 AsylG erstmals formlos um Asyl nachgesucht werde.

19      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass dem Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens auf subsidiären Schutz als Familienangehöriger eines international Schutzbedürftigen hätte stattgegeben werden müssen, wenn sein Sohn „minderjährig“ im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2011/95 gewesen wäre und er zu dem für die Sachverhaltswürdigung maßgebenden Zeitpunkt die elterliche Sorge wahrgenommen hätte. Gemäß Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 zähle zu den „Familienangehörigen“ des minderjährigen und nicht verheirateten international Schutzbedürftigen u. a. dessen Vater, sofern sich dieser im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz im Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaats aufhalte und die Familie des Betroffenen bereits im Herkunftsland bestanden habe. Dem Wortlaut dieser Bestimmung sei jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des international Schutzbedürftigen abzustellen sei und ob gegebenenfalls die Eigenschaft des Vaters dieses Minderjährigen als Familienangehöriger auch nach dessen Volljährigkeit fortbestehe.

20      Zur Bestimmung dieses Zeitpunkts führt das vorlegende Gericht aus, in der Rechtssache, in der das Urteil vom 12. April 2018, A und S (C‑550/16, EU:C:2018:248), ergangen sei, habe der Gerichtshof festgestellt, dass eine nationale Regelung, die das Recht auf Familienzusammenführung davon abhängig mache, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling entscheide, geeignet sei, einem erheblichen Teil der Flüchtlinge, die ihren Antrag auf internationalen Schutz als unbegleitete Minderjährige gestellt hätten, die Ausübung dieses Rechts zu verwehren. Die Erwägungen des Gerichtshofs in dieser Rechtssache könnten im vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung finden, da das Kind des Klägers des Ausgangsverfahrens, anders als in jener Rechtssache, keinen Anspruch auf Asyl, sondern auf den subsidiären Schutzstatus habe, dessen Zuerkennung im Gegensatz zum Flüchtlingsstatus einer förmlichen Entscheidung bedürfe.

21      Zudem stelle sich in diesem Zusammenhang gegebenenfalls die Frage, ob für die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden sei, das formlose Asylgesuch oder der förmlich gestellte Asylantrag maßgebend sei.

22      Darüber hinaus bestünden Zweifel daran, welche Bedeutung einer tatsächlichen Wiederaufnahme des Familienlebens des Kindes und des betreffenden Elternteils im Sinne von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) im Aufnahmemitgliedstaat und der früheren Existenz eines solchen Familienlebens im Herkunftsland sowie der Absicht des Klägers des Ausgangsverfahrens zukämen, die elterliche Sorge im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich wahrzunehmen.

23      Schließlich sei fraglich, ob ein Asylantragsteller mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Schutzberechtigten die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 verliere, da diese Eigenschaft an den begrenzten Zeitraum der Minderjährigkeit des Schutzberechtigten anzuknüpfen scheine.

24      Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist bei einem Asylantragsteller, der vor Eintritt der Volljährigkeit seines Kindes, mit dem im Herkunftsstaat eine Familie bestanden hat und dem auf einen vor Eintritt der Volljährigkeit gestellten Schutzantrag nach Eintritt der Volljährigkeit der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist (nachfolgend: Schutzberechtigter), in den Aufnahmemitgliedstaat des Schutzberechtigten eingereist ist und dort ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (nachfolgend: Asylantragsteller), bei einer nationalen Regelung, die für die Gewährung eines vom Schutzberechtigten abgeleiteten Anspruchs auf Zuerkennung subsidiären Schutzes Bezug auf Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 nimmt, für die Frage, ob der Schutzberechtigte „minderjährig“ im Sinne des Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich dieser Richtlinie ist, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des Asylantragstellers oder aber auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen, etwa den Zeitpunkt, in dem

a)      dem Schutzberechtigten der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist,

b)      der Asylantragsteller seinen Asylantrag gestellt hat,

c)      der Asylantragsteller in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist oder

d)      der Schutzberechtigte seinen Asylantrag gestellt hat?

2.      Für den Fall,

a)      dass der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist:

Ist insoweit auf das schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerte Schutzersuchen, das der für den Asylantrag zuständigen nationalen Behörde bekannt geworden ist (Asylgesuch), oder auf den förmlich gestellten Antrag auf internationalen Schutz abzustellen?

b)      dass der Zeitpunkt der Einreise des Asylantragstellers oder der Zeitpunkt der Stellung des Asylantrages durch diesen maßgeblich ist:

Kommt es auch darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt über den Schutzantrag des zu einem späteren Zeitpunkt als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Schutzberechtigten noch nicht entschieden war?

3.      a)      Welche Anforderungen sind in der unter 1. beschriebenen Situation zu stellen, damit es sich bei dem Asylantragsteller um einen „Familienangehörigen“ (Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95) handelt, der sich „im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat“ aufhält, in dem sich die Person aufhält, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und mit dem die Familie „bereits im Herkunftsstaat“ bestanden hat? Setzt dies insbesondere voraus, dass das Familienleben zwischen dem Schutzberechtigten und dem Asylantragsteller im Sinne des Art. 7 der Charta der Grundrechte im Aufnahmemitgliedstaat wiederaufgenommen worden ist, oder genügt insoweit die bloße zeitgleiche Anwesenheit des Schutzberechtigten und des Asylantragstellers im Aufnahmemitgliedstaat? Ist ein Elternteil auch dann Familienangehöriger, wenn die Einreise nach den Umständen des Einzelfalles nicht darauf gerichtet war, die Verantwortlichkeit im Sinne des Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 für eine Person tatsächlich wahrzunehmen, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist und die noch minderjährig und nicht verheiratet ist?

b)      Soweit Frage 3. a) dahin zu beantworten ist, dass das Familienleben zwischen dem Schutzberechtigten und dem Asylantragsteller im Sinne des Art. 7 der Charta im Aufnahmemitgliedstaat wiederaufgenommen worden sein muss, kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Wiederaufnahme erfolgt ist? Ist insoweit insbesondere darauf abzustellen, ob das Familienleben innerhalb einer bestimmten Frist nach Einreise des Asylantragstellers, im Zeitpunkt der Antragstellung des Asylantragstellers oder zu einem Zeitpunkt wiederhergestellt worden ist, zu dem der Schutzberechtigte noch minderjährig war?

4.      Endet die Eigenschaft eines Asylantragstellers als Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Schutzberechtigten und einem damit verbundenen Wegfall der Verantwortlichkeit für eine Person, die minderjährig und nicht verheiratet ist? Sollte dies verneint werden: Besteht diese Eigenschaft als Familienangehöriger (und die damit verbundenen Rechte) über diesen Zeitpunkt hinaus zeitlich unbegrenzt fort oder entfällt sie nach einer bestimmten Frist (wenn ja: welcher?) oder bei Eintritt bestimmter Ereignisse (wenn ja: welcher?)?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

25      Mit Entscheidung vom 26. Mai 2020 hat der Präsident des Gerichtshofs das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache nach Art. 55 Abs. 1 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bis zur Entscheidung in den Rechtssachen C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, État belge (Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind), ausgesetzt. Das Urteil vom 16. Juli 2020, État belge (Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind) (C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577), ist in diesem Verfahren dem vorlegenden Gericht übermittelt worden, um in Erfahrung zu bringen, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten will. Mit Beschluss vom 19. August 2020, der am 26. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle. Infolgedessen ist das vorliegende Verfahren auf Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. August 2020 fortgesetzt worden.

26      Am 10. November 2020 ist die deutsche Regierung aufgefordert worden, schriftlich darzulegen, welche Unterschiede, insbesondere in Bezug auf Verfahren, Fristen und Voraussetzungen, im deutschen Recht zwischen dem formlosen Asylgesuch im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG und der förmlichen Beantragung von Asyl im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylG bestehen. Am 14. Dezember 2020 hat die deutsche Regierung auf diese Frage geantwortet.

27      Am 10. November 2020 sind die Parteien und sonstigen Beteiligten gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgefordert worden, zu den etwaigen Konsequenzen Stellung zu nehmen, die aus dem Urteil vom 16. Juli 2020, État belge (Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind) (C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577), für die Beantwortung insbesondere der ersten Vorlagefrage zu ziehen sind. Die ungarische Regierung und die Europäische Kommission haben hierzu Stellung genommen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

28      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, welcher Zeitpunkt in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, und der aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, einen Anspruch auf Asyl gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats – wonach die unter Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 fallenden Personen einen solchen Anspruch haben – ableiten will, bei der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz dafür maßgebend ist, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

29      Insbesondere möchte das vorlegende Gericht wissen, ob auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des Asylantragstellers oder auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen ist.

30      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass mit der Richtlinie 2011/95, die u. a. auf der Grundlage von Art. 78 Abs. 2 Buchst. b AEUV erlassen wurde, insbesondere eine einheitliche Regelung für den subsidiären Schutz eingeführt werden soll. Aus dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie geht hierzu hervor, dass eines ihrer wesentlichen Ziele darin besteht, zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich internationalen Schutz benötigen (Urteil vom 23. Mai 2019, Bilali, C‑720/17, EU:C:2019:448, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      In diesem Zusammenhang verpflichtet Art. 23 Abs. 1 und 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass der Familienverband aufrechterhalten wird und dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des betreffenden Familienangehörigen vereinbar ist.

32      Zu den im Zusammenhang mit einem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhältigen Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, gehören, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für diese Person verantwortlich ist, wenn sie minderjährig und nicht verheiratet ist.

33      Hierzu ist festzustellen, dass ein Minderjähriger zwar nach Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2011/95 unter 18 Jahre alt sein muss; diese Bestimmung regelt aber weder, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzung abzustellen ist, noch verweist sie insoweit auf das Recht der Mitgliedstaaten.

34      Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festlegung des maßgebenden Zeitpunkts für die Beurteilung, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 ist, ein Ermessen eingeräumt hat.

35      Aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt nämlich, dass eine Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss, die unter Berücksichtigung insbesondere des Kontexts der Vorschrift und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (Urteil vom 16. Juli 2020, État belge [Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind], C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Zudem achtet die Richtlinie 2011/95 gemäß ihrem 16. Erwägungsgrund die Grundrechte und die in der Charta verankerten Grundsätze und zielt darauf ab, die Anwendung u. a. der Art. 7 und 24 der Charta zu fördern.

37      Insbesondere wird in Art. 7 der Charta, in dem Rechte verankert sind, die den in Art. 8 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkannt. Art. 7 der Charta ist nach ständiger Rechtsprechung in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach ihrem Art. 24 Abs. 2 und unter Beachtung des in Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen, dass ein Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen unterhält (Urteil vom 16. Juli 2020, État belge [Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind], C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Daraus folgt, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 u. a. im Licht von Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 und 3 der Charta ausgelegt und angewandt werden müssen, wie sich im Übrigen auch aus den Erwägungsgründen 18, 19 und 38 sowie aus Art. 20 Abs. 5 der Richtlinie ergibt, wonach bei ihrer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten das Wohl des Kindes eine vorrangige, besonders zu berücksichtigende Erwägung darstellen muss, bei deren Beurteilung sie u. a. dem Grundsatz des Familienverbands sowie dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen gebührend Rechnung tragen müssen.

39      Wenn – wie insbesondere die deutsche Regierung vorschlägt – als der für die Frage, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 ist, maßgebende Zeitpunkt der Zeitpunkt zugrunde gelegt würde, zu dem die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats über den Asylantrag des Elternteils, der aus dem seinem Kind zuerkannten subsidiären Schutzstatus ein Recht auf subsidiären Schutz ableiten will, entscheidet, wäre dies weder mit den Zielen der Richtlinie noch mit den Anforderungen vereinbar, die sich aus dem auf die Förderung des Familienlebens abzielenden Art. 7 der Charta und aus ihrem Art. 24 Abs. 2 ergeben; Letzterer verlangt nämlich, dass bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen, zu denen die von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Anwendung der Richtlinie getroffenen Maßnahmen gehören, das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, État belge [Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind], C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577, Rn. 36).

40      Die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte hätten dann nämlich keine Veranlassung, die Anträge der Eltern Minderjähriger mit der Dringlichkeit, die geboten ist, um der Schutzbedürftigkeit der Minderjährigen Rechnung zu tragen, vorrangig zu bearbeiten und könnten somit in einer Weise handeln, die das Recht auf Familienleben sowohl eines Elternteils mit seinem minderjährigen Kind als auch des Kindes mit einem Familienangehörigen gefährden würde (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, État belge [Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind], C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Darüber hinaus würde eine solche Auslegung es auch nicht ermöglichen, im Einklang mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit eine gleiche und vorhersehbare Behandlung aller Antragsteller, die sich zeitlich in der gleichen Situation befinden, zu gewährleisten, da sie dazu führen würde, dass der Erfolg des Antrags auf internationalen Schutz hauptsächlich von Umständen abhinge, die in der Sphäre der nationalen Behörden oder Gerichte liegen, und insbesondere von der mehr oder weniger zügigen Bearbeitung des Antrags oder von der mehr oder weniger zügigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, einen solchen Antrag abzulehnen, und nicht von Umständen, die in der Sphäre des Asylantragstellers liegen (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2020, État belge [Familienzusammenführung – Minderjähriges Kind], C‑133/19, C‑136/19 und C‑137/19, EU:C:2020:577, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Unter diesen Umständen ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 73 und 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass dann, wenn ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, das Recht auf die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie 2011/95 genannten Leistungen und gegebenenfalls das Recht auf Asyl ableiten will, sofern dies im Einklang mit Art. 3 der Richtlinie im nationalen Recht vorgesehen ist, für die Beurteilung, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 ist, bei der Entscheidung über den von ihrem Vater gestellten Asylantrag der Zeitpunkt der Stellung seines Antrags maßgebend ist.

43      Das Recht des Familienangehörigen auf diese Leistungen – gegebenenfalls einschließlich des Rechts auf Asyl, sofern dies im nationalen Recht vorgesehen ist – muss daher von dem betreffenden Elternteil geltend gemacht werden, wenn sein Kind als die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, noch minderjährig ist. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95, dass die Familie bereits im Herkunftsland bestanden haben muss und dass sich die betreffenden Familienangehörigen im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufgehalten haben müssen, bevor die Person volljährig geworden ist, was zugleich bedeutet, dass sie den Schutz vor Eintritt der Volljährigkeit beantragt hat.

44      Eine solche Auslegung steht sowohl mit den Zielen der Richtlinie 2011/95 im Einklang als auch mit den in der Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten, wonach, wie oben in den Rn. 36 bis 38 ausgeführt, das Wohl des Kindes eine vorrangige, von den Mitgliedstaaten besonders zu berücksichtigende Erwägung darstellen muss, bei deren Beurteilung sie u. a. dem Grundsatz des Familienverbands sowie dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen gebührend Rechnung tragen müssen.

45      Sofern der Zeitpunkt der Antragstellung durch den betreffenden Elternteil als maßgebend angesehen wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem dieser Elternteil formlos erstmals um Asyl nachgesucht und die zuständige Behörde davon Kenntnis erlangt hat, oder auf den Zeitpunkt, zu dem er förmlich einen Asylantrag gestellt hat.

46      Im vorliegenden Fall unterscheidet, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, das anwendbare deutsche Recht zwischen einem formlosen Asylgesuch (§ 13 Abs. 1 AsylG) und der förmlichen Stellung von Asylanträgen (§ 14 Abs. 1 AsylG). Diese Unterscheidung spiegelt die in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 vorgenommene Unterscheidung zwischen der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz und der förmlichen Stellung eines solchen Antrags wider.

47      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts für die Einreichung des Asylgesuchs im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG keine bestimmte Form erforderlich ist und dass sie hauptsächlich von Umständen abhängt, die in der Sphäre der Person, die internationalen Schutz beantragt, liegen, während die Stellung eines förmlichen Asylantrags im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylG von der Erfüllung bestimmter Formalitäten durch die zuständige nationale Behörde abhängt.

48      Wie der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Drittstaatsangehöriger die Eigenschaft einer Person, die internationalen Schutz beantragt, im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32 ab dem Zeitpunkt erwirbt, zu dem er einen solchen Antrag „stellt“. Insoweit ist zwar die Registrierung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 dieser Richtlinie Sache des betreffenden Mitgliedstaats, und die förmliche Stellung des Antrags setzt gemäß Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie grundsätzlich voraus, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt, ein dafür vorgesehenes Formblatt ausfüllt, doch erfordert die „Stellung“ eines Antrags auf internationalen Schutz keine Verwaltungsformalität, da solche Formalitäten bei der „förmlichen Stellung“ des Antrags zu erfüllen sind (Urteil vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal [Behörde, die zur Entgegennahme eines Antrags auf internationalen Schutz berechtigt ist], C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 92 und 93).

49      Folglich kann zum einen die Erlangung der Eigenschaft als Person, die internationalen Schutz beantragt, weder von der förmlichen Stellung des Antrags noch von dessen Registrierung abhängig gemacht werden, und zum anderen reicht es aus, dass ein Drittstaatsangehöriger bei einer „anderen Behörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/32 seine Absicht, internationalen Schutz zu beantragen, bekundet, um ihm die Eigenschaft als Person, die internationalen Schutz beantragt, zu verleihen und damit die Frist von sechs Arbeitstagen in Gang zu setzen, innerhalb deren der betreffende Mitgliedstaat diesen Antrag registrieren muss (Urteil vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal [Behörde, die zur Entgegennahme eines Antrags auf internationalen Schutz berechtigt ist], C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 94).

50      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass der Elternteil, der internationalen Schutz beantragt, im Januar 2016 nach Deutschland einreiste. Im darauffolgenden Monat ersuchte er um Asyl, und am 21. April 2016 stellte er einen förmlichen Asylantrag im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylG. Die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag mit der Begründung ab, dass sein Sohn am 20. April 2016 volljährig geworden sei.

51      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass ein Asylantragsteller, der formlos sein Gesuch gestellt hat, als sein Sohn noch minderjährig im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2011/95 war, für die Zwecke dieser Bestimmung grundsätzlich als Familienangehöriger der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, anzusehen ist.

52      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, und der aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, einen Anspruch auf Asyl gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats – wonach die unter Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 fallenden Personen einen solchen Anspruch haben – ableiten will, bei der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz für die Frage, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller – gegebenenfalls formlos – seinen Asylantrag eingereicht hat.

 Zur dritten Frage

53      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 und Art. 7 der Charta dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Familienangehöriger“ keine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und seinem Kind verlangt. Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob ein Elternteil als „Familienangehöriger“ anzusehen ist, wenn die Einreise in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats nicht darauf gerichtet war, für das betreffende Kind die elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 tatsächlich wahrzunehmen.

54      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass in Bezug auf den Vater eines Kindes, dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, der Begriff „Familienangehöriger“ in Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 nur von den drei dort genannten Voraussetzungen abhängt, und zwar, dass die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, dass sich die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten und dass die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, minderjährig und nicht verheiratet ist. Die tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats gehört dagegen nicht zu diesen Voraussetzungen.

55      Im Übrigen wird auch in Art. 23 der Richtlinie nicht auf eine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens Bezug genommen. Nach ihrem Art. 23 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der Familienverband aufrechterhalten wird, und nach ihrem Art. 23 Abs. 2 müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, grundsätzlich Anspruch auf die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen haben.

56      Desgleichen sieht Art. 7 der Charta lediglich das Recht jeder Person auf Achtung ihres Familienlebens vor und stellt – ebenso wie Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich und Art. 23 der Richtlinie 2011/95 – keine besonderen Anforderungen hinsichtlich der Modalitäten der Ausübung dieses Rechts oder der Intensität der betreffenden familiären Beziehungen.

57      Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es für den Begriff „Familienangehöriger“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 auf die tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und dem Elternteil ankommt, der aus dem seinem Kind zuerkannten subsidiären Schutzstatus einen Anspruch auf subsidiären Schutz herleiten will.

58      Mit anderen Worten stellt die tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens keine Voraussetzung für die Erlangung der Leistungen dar, die den Familienangehörigen der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, gewährt werden. Somit schützen die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2011/95 und der Charta zwar das Recht auf ein Familienleben und fördern dessen Wahrung, doch überlassen sie es grundsätzlich den Inhabern dieses Rechts, darüber zu entscheiden, wie sie ihr Familienleben führen wollen, und stellen insbesondere keine Anforderungen an die Intensität ihrer familiären Beziehung.

59      Nach alledem ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 und Art. 7 der Charta dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Familienangehöriger“ keine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und seinem Kind verlangt.

 Zur vierten Frage

60      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass die Eigenschaft eines Elternteils als Familienangehöriger im Sinne dieser Bestimmung endet, wenn das Kind, dem der subsidiäre Schutz zuerkannt worden ist, volljährig wird und damit die elterliche Verantwortung für das Kind endet. Sofern dies verneint wird, möchte das vorlegende Gericht ferner wissen, ob die Eigenschaft dieses Elternteils als Familienangehöriger und die damit verbundenen Rechte über den Zeitpunkt, zu dem das betreffende Kind volljährig wird, hinaus unbegrenzt fortbestehen oder ob diese Rechte zu einem bestimmten Zeitpunkt oder unter bestimmten Voraussetzungen entfallen.

61      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 der Vater oder die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der der internationale Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, nicht für unbegrenzte Zeit als Familienangehöriger im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 anzusehen ist und somit die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen, namentlich das Recht auf einen Aufenthaltstitel sowie auf Zugang zu einer Beschäftigung und zu Wohnraum, in Anspruch nehmen kann.

62      Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 verpflichtet, Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, und ihren Familienangehörigen so bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes einen verlängerbaren Aufenthaltstitel auszustellen, der mindestens ein Jahr und im Fall der Verlängerung mindestens zwei Jahre gültig sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

63      Nach diesen Bestimmungen stellt die Gewährung internationalen Schutzes für einen Elternteil als „Familienangehöriger“ der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95 ein Recht dar, das sich zur Aufrechterhaltung des Familienverbands der Betroffenen aus dem seinem Kind verliehenen subsidiären Schutzstatus ableitet. Unter diesen Umständen kann der einem solchen Elternteil zuerkannte Schutz nicht unter allen Umständen allein wegen des Eintritts der Volljährigkeit des Kindes, dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, sofort enden, oder dies kann jedenfalls nicht dazu führen, dass dem betreffenden Elternteil der noch für gewisse Zeit gültige Aufenthaltstitel automatisch entzogen wird.

64      Wenn die „Familienangehörigen“ der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Definition erfüllt haben, muss das ihnen gewährte subjektive Recht auf die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie vorgesehenen Leistungen nämlich auch nach dem Eintritt der Volljährigkeit dieser Person während der Geltungsdauer des ihnen im Einklang mit Art. 24 der Richtlinie ausgestellten Aufenthaltstitels fortbestehen.

65      Insoweit können, wie die Kommission ausführt, die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Laufzeit des Aufenthaltstitels dem Umstand Rechnung tragen, dass die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, nach der Entstehung des subjektiven Rechts ihrer Familienangehörigen volljährig werden wird. Der Wortlaut von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 schließt es nämlich insbesondere nicht aus, zwischen der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels der Person, der dieser Schutz zuerkannt worden ist, und der Geltungsdauer des Aufenthaltstitels ihrer Familienangehörigen zu differenzieren. Der Aufenthaltstitel der Familienangehörigen muss allerdings mindestens ein Jahr gültig sein.

66      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass die Rechte, über die die Familienangehörigen einer Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aufgrund des ihrem Kind zustehenden subsidiären Schutzstatus verfügen, und insbesondere die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit der betreffenden Person für die Geltungsdauer des ihnen gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie erteilten Aufenthaltstitels fortbestehen.

 Kosten

67      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, und der aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, einen Anspruch auf Asyl gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats – wonach die unter Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 fallenden Personen einen solchen Anspruch haben – ableiten will, bei der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz für die Frage, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, „minderjährig“ im Sinne dieser Bestimmung ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller – gegebenenfalls formlos – seinen Asylantrag eingereicht hat.

2.      Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Familienangehöriger“ keine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und seinem Kind verlangt.

3.      Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit ihrem Art. 23 Abs. 2 ist dahin auszulegen, dass die Rechte, über die die Familienangehörigen einer Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aufgrund des ihrem Kind zustehenden subsidiären Schutzstatus verfügen, und insbesondere die in den Art. 24 bis 35 der Richtlinie genannten Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit der betreffenden Person für die Geltungsdauer des ihnen gemäß Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie erteilten Aufenthaltstitels fortbestehen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.