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BESCHLUSS DES GERICHTS (Achte Kammer)

9. November 2021(*)

„Nichtigkeitsklage – Humanarzneimittel – Bedingte Zulassung für das Humanarzneimittel ‚COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])‘ – Fehlendes Rechtsschutzinteresse – Keine unmittelbare Betroffenheit– Keine individuelle Betroffenheit – Kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑267/21,

Heidi Amort, wohnhaft in Jenesien (Italien), und die weiteren Kläger, deren Namen in Anhang I(1) aufgeführt sind, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin R. Holzeisen,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und A. Sipos als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2021) 1763 final der Kommission vom 11. März 2021 über die Erteilung einer bedingten Zulassung für das Humanarzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates in dessen geänderter und ergänzter Fassung

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Svenningsen sowie der Richter R. Barents (Berichterstatter) und C. Mac Eochaidh,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 16. Februar 2021 beantragte die Janssen-Cilag International NV (im Folgenden: Janssen) eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Unionsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1).

2        Nachdem Janssen den Antrag gestellt hatte, gab der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) am 11. März 2021 sein Gutachten ab und empfahl die bedingte Zulassung für das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“. Infolge dieses Gutachtens erließ die Europäische Kommission den Durchführungsbeschluss C(2021) 1763 final vom 11. März 2021 über die Erteilung einer bedingten Zulassung für das Humanarzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

3        Nach Art. 1 des angefochtenen Beschlusses wird für das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“, dessen Merkmale in Anhang I dieses Beschlusses zusammengefasst sind, eine bedingte Zulassung erteilt.

4        Gemäß Art. 4 des angefochtenen Beschlusses beträgt die Geltungsdauer der Zulassung ein Jahr ab der Bekanntgabe dieses Beschlusses.

5        Gemäß Art. 5 des angefochtenen Beschlusses ist dieser an Janssen gerichtet.

6        Der angefochtene Beschluss wurde von der Kommission u. a. durch die ebenfalls an Janssen gerichteten Durchführungsbeschlüsse C(2021) 2977 final vom 22. April 2021 und C(2021) 3426 final vom 7. Mai 2021 (im Folgenden zusammen: Änderungsbeschlüsse) geändert, ohne dass diese Änderungen Auswirkungen auf die therapeutische Indikation des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ gehabt hätten.

 Sachverhalt und Verfahren

7        Mit Klageschrift, die am 19. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger, Frau Heidi Amort und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang I aufgeführt sind, die vorliegende Klage erhoben.

8        Mit gesondertem Schriftsatz, der am 19. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger gemäß Art. 152 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, diese Rechtssache im beschleunigten Verfahren zu behandeln.

9        Mit Beschluss vom 2. Juli 2021 hat das Gericht (Achte Kammer) den Antrag auf beschleunigtes Verfahren zurückgewiesen und beschlossen, dass die Rechtssache gemäß Art. 67 Abs. 2 der Verfahrensordnung mit Vorrang entschieden wird.

10      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 5. August 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

11      Daher ist die Behandlung der Anträge auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kläger, die am 21. Juli 2021 von TF, TG, TH und TI, am 3. August 2021 von TR und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, sowie am 3. August 2021 von VH und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II(2) aufgeführt sind, jeweils gestellt worden sind, gemäß Art. 144 Abs. 3 der Verfahrensordnung ausgesetzt worden.

12      Die Kläger haben innerhalb der gesetzten Frist keine Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht.

13      Die Kläger beantragen, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären.

14      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Vorbringen der Parteien

15      Die Kommission macht in ihrer Einrede der Unzulässigkeit geltend, die Kläger verkennten die Natur der nach dem in der Verordnung Nr. 726/2004 vorgesehenen zentralen Verfahren erlassenen Durchführungsbeschlüsse zur Zulassung eines Arzneimittels. In Bezug auf diese Beschlüsse hätten die Kläger kein Rechtsschutzinteresse. Außerdem seien sie nicht klagebefugt.

16      In ihrer Klageschrift bringen die Kläger vor, dass sie alle Personen seien, die im Bereich des Gesundheitswesens oder der Alten- und Krankenpflege als Ärzte, Krankenpfleger und Altenbetreuer tätig seien. Infolgedessen seien sie einem Druck zur Impfung gegen Covid-19 ausgesetzt, da in Italien mit der Verimpfung des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ begonnen worden sei.

17      Dieser gentechnikbasierte Impfstoff sei experimentell, da er durch Gentechnik gewonnene Substanzen enthalte, und habe nichts mit einem herkömmlichen Impfstoff zu tun.

18      Durch das Decreto-legge Nr. 44 der Italienischen Republik vom 1. April 2021 müssten sich im Gesundheits- und Pflegewesen tätige Personen zwingend impfen lassen. Andernfalls verlören sie von Gesetzes wegen ihre Berufszulassung und würden zunächst bis zum 31. Dezember 2021 ohne Gehaltszahlung von ihrer Arbeit suspendiert (abhängig Beschäftigte) bzw. müssten ihre Praxis schließen (Selbständige).

19      Durch die von der Kommission erteilte Zulassung des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ werde dieser Wirkstoff automatisch in jedem Mitgliedstaat zugelassen, so dass es keiner nationalen Entscheidung bedürfe, um diesen Wirkstoff im Gebiet der Mitgliedstaaten zuzulassen.

20      Nach Ansicht der Kläger folgt hieraus, dass sie durch den Beschluss der Kommission, mit dem dieses Arzneimittel widerrechtlich zugelassen worden sei, unmittelbar und individuell betroffen seien, da durch diesen Beschluss ihre Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit verletzt würden. Des Weiteren rügen sie einen Verstoß gegen die Art. 3, 35 und 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie gegen die Art. 168 und 169 AEUV.

21      Darüber hinaus habe die Kommission am 19. Januar 2021 eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten veröffentlicht, die darauf gerichtet sei, die Verabreichung bereits zugelassener experimenteller Impfstoffe in der Europäischen Union zu beschleunigen, damit bis Sommer 2021 mindestens 70 % der Erwachsenen geimpft seien. Die Kommission übe mithin einen unübersehbaren und klaren Druck in Richtung Durchimpfung aus.

22      Aufgrund des angefochtenen Beschlusses sähen sich die Kläger daher einem enormen, sich zu einem Impfzwang verdichtenden, nachweislich von der Kommission aufgebauten Druck ausgesetzt, der ein erhebliches konkretes, unzumutbares und unionsrechtswidriges Gesundheitsrisiko zur Folge habe.

 Würdigung durch das Gericht

23      Gemäß Art. 130 Abs. 1 und 7 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten vorab über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit entscheiden. Nachdem die Kommission beantragt hat, über die Unzulässigkeit zu entscheiden, beschließt das Gericht, da es sich aufgrund der Aktenlage für hinreichend informiert hält, im vorliegenden Fall ohne Fortsetzung des Verfahrens über diesen Antrag zu entscheiden.

 Zum Rechtsschutzinteresse der Kläger

24      Nach der Rechtsprechung braucht bei fehlendem Rechtsschutzinteresse nicht geprüft zu werden, ob die klagende Partei im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV unmittelbar und individuell betroffen ist (Urteil vom 18. Dezember 2003, Fern Olivieri/Kommission und EMEA, T‑326/99, EU:T:2003:351, Rn. 66, Beschluss vom 15. Mai 2013, Post Invest Europe/Kommission, T‑413/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:246, Rn. 17, sowie Urteil vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 23).

25      Das Rechtsschutzinteresse ist nämlich die wesentliche und erste Voraussetzung jeder Klage. Eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person ist somit nur zulässig, soweit die klagende Partei ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung besitzt. Das Bestehen des Rechtsschutzinteresses bei einer klagenden Partei setzt voraus, dass die Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann, dass also die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann und dass diese ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung nachweist (Urteil vom 19. Juni 2009, Socratec/Kommission, T‑269/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:211, Rn. 36, Beschluss vom 15. Mai 2013, Post Invest Europe/Kommission, T‑413/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:246, Rn. 22, sowie Urteil vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 24).

26      Nach der Rechtsprechung hat die klagende Partei ihr Rechtsschutzinteresse nachzuweisen. Sie muss insbesondere ein persönliches Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung darlegen. Es muss sich dabei um ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse handeln, wofür auf den Tag der Klageerhebung abzustellen ist (vgl. Urteil vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Allerdings überschneidet sich, wenn ein nicht privilegierter Kläger eine Nichtigkeitsklage gegen eine nicht an ihn gerichtete Handlung erhebt, das Erfordernis, dass die verbindlichen Rechtswirkungen der angefochtenen Maßnahme geeignet sein müssen, die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen, mit den Voraussetzungen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV (Urteile vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656, Rn. 38, vom 16. Oktober 2014, Alro/Kommission, T‑517/12, EU:T:2014:890, Rn. 25, sowie vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 26).

28      Um zu beurteilen, ob die Kläger den angefochtenen Beschluss im Wege einer Klage anfechten können, ist daher zu prüfen, ob dieser eine Handlung darstellt, die ihnen gegenüber verbindliche Rechtswirkungen entfaltet (vgl. Urteil vom 12. November 2015, HSH Investment Holdings Coinvest-C und HSH Investment Holdings FSO/Kommission, T‑499/12, EU:T:2015:840, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Für die Feststellung, ob eine Handlung einem Kläger gegenüber Rechtswirkungen erzeugt und seine Rechtsstellung qualifiziert ändert, ist u. a. auf ihren Gegenstand, ihren Inhalt, ihren Sachgehalt und auch auf den tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie steht, abzustellen (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2019, Pilatus Bank/EZB, T‑687/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:542, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass der angefochtene Beschluss und die Änderungsbeschlüsse allesamt an Janssen gerichtet sind, die deren alleiniger Adressat ist, so dass die Kläger im Hinblick auf diesen Beschluss als Dritte anzusehen sind.

31      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Beschluss, wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, lediglich zur Folge hat, dass zum einen das von dem Beschluss betroffene herstellende Unternehmen des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ dieses Mittel vertreiben darf und es zum anderen den Mitgliedstaaten untersagt ist, sich seinem Inverkehrbringen zu widersetzen. Dieser Beschluss erzeugt mithin keine wie auch immer geartete Belastung oder Verpflichtung für natürliche Personen und erlegt ihnen keine Impfpflicht auf.

32      Somit kann der angefochtene Beschluss in der durch die Änderungsbeschlüsse geänderten Fassung, der ausschließlich das Inverkehrbringen des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ genehmigt, da er lediglich die Zulassung für dieses Arzneimittel erteilt, ohne insbesondere eine Impfpflicht aufzuerlegen, nicht als potenziell die körperliche Unversehrtheit der Kläger beeinträchtigend angesehen werden.

33      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kläger in ihren Schriftsätzen ausdrücklich einräumen, dass sich die Impfpflicht nicht aus dem angefochtenen Beschluss oder den Änderungsbeschlüssen, sondern allein aus den italienischen Vorschriften ergebe.

34      Der angefochtene Beschluss, mit dem das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ zugelassen wurde, ändert daher die Rechtsstellung der Kläger nicht in qualifizierter Weise. Somit kann die Nichtigerklärung dieses Beschlusses als solche den Klägern keinen Vorteil im Sinne der oben in Rn. 25 angeführten Rechtsprechung verschaffen.

35      Folglich haben die Kläger in Bezug auf den angefochtenen Beschluss kein Rechtsschutzinteresse.

 Zur Klagebefugnis der Kläger

36      Obwohl die Kläger kein Rechtsschutzinteresse haben, hält es das Gericht im vorliegenden Fall gleichwohl für angebracht, die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf Art. 263 Abs. 4 AEUV zu prüfen.

–       Keine unmittelbare Betroffenheit

37      Hinsichtlich der unmittelbaren Betroffenheit ist darauf hinzuweisen, dass diese Voraussetzung nur vorliegt, wenn zwei Kriterien kumulativ erfüllt sind, nämlich erstens, dass die beanstandete Maßnahme sich auf die Rechtsstellung der betreffenden Person unmittelbar auswirkt, und zweitens, dass sie ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt (Urteil vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, EU:C:2011:656‚ Rn. 66, sowie Beschluss vom 8. Februar 2019, Front Polisario/Rat, T‑376/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:77, Rn. 27).

38      Die erste Voraussetzung der „unmittelbaren Betroffenheit“ bedeutet u. a., dass sich die in Rede stehende Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung der natürlichen oder juristischen Person auswirken muss, die eine Klage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV zu erheben gedenkt. Eine solche Voraussetzung ist somit ausschließlich anhand der Rechtswirkungen der Maßnahme zu beurteilen, wohingegen sich ihre etwaigen politischen Wirkungen nicht auf die Beurteilung auswirken (Urteil vom 3. Dezember 2020, Région de Bruxelles-Capitale/Kommission, C‑352/19 P, EU:C:2020:978, Rn. 64).

39      Bereits oben aus den Rn. 30 bis 33 ergibt sich jedoch, dass der angefochtene Beschluss im Hinblick auf die Situation der Kläger keine Rechtswirkungen entfaltet, sondern nur gegenüber Janssen und den Mitgliedstaaten.

40      Der angefochtene Beschluss enthält nämlich als solcher keinerlei Pflicht für die Kläger, insbesondere nicht die Pflicht, sich impfen zu lassen, unabhängig davon, welcher Impfstoff gegebenenfalls zur Verfügung steht.

41      Die Kläger räumen im Übrigen ein, dass sich aus dem angefochtenen Beschluss keine Impfpflicht ergebe. Sie machen einen lediglich „sozialen Druck“ geltend, sich mit dem Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ impfen zu lassen.

42      Der „soziale Druck“ kann jedoch kein maßgebliches Kriterium sein, anhand dessen die Kläger als von dem angefochtenen Beschluss unmittelbar betroffen angesehen werden könnten.

43      Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, würde es sich selbst dann, wenn sich aus der Rechtsordnung Italiens oder gar der Union eine Impfpflicht ergäbe oder Personen, die sich nicht impfen lassen wollten, die Kündigung des Arbeitsvertrags oder andere Nachteile drohten, nicht um Rechtswirkungen des angefochtenen Beschlusses handeln, sondern um die Folge anderer, auf nationaler Ebene oder auf Ebene der Union erlassener Maßnahmen.

44      Die zweite Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit bedeutet, dass die betreffende Maßnahme ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Umsetzung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Unionsregelung ohne Anwendung anderer Durchführungsvorschriften ergibt.

45      Der angefochtene Beschluss beschränkt sich jedoch darauf, Janssen eine Zulassung für ihr Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ zu erteilen, ohne dass dieser Beschluss an die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten gerichtet wäre. Hieraus ergibt sich, dass diese Behörden über ein uneingeschränktes Ermessen im Hinblick darauf verfügen, ob es zweckmäßig ist, dieses durch den angefochtenen Beschluss zugelassene Arzneimittel anzuwenden, erforderlichenfalls auch mittels etwaiger Zwangsmaßnahmen.

46      Somit geht aus dem angefochtenen Beschluss keineswegs hervor, dass ein Mitgliedstaat wie die Italienische Republik durch ihn verpflichtet wäre, das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ der gesamten Bevölkerung oder nur einem Teil davon zu verabreichen oder gar die Impfung mit diesem Arzneimittel zwingend vorzuschreiben.

47      Im Übrigen hat die Kommission, als sie die Mitgliedstaaten aufforderte, die Impfung zu beschleunigen, mit der Mitteilung COM(2021) 35 final vom 19. Januar 2021 ein Instrument verwendet, das weder unmittelbar noch mittelbar eine Impfpflicht begründet, so dass sie keine Rechtswirkung entfaltet.

48      Nach alledem ist die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit der Kläger nicht erfüllt.

–       Keine individuelle Betroffenheit

49      Nach ständiger Rechtsprechung können andere Personen als die Adressaten einer Entscheidung nur dann individuell betroffen sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten einer solchen Entscheidung (Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, vom 13. Dezember 2005, Kommission/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, C‑78/03 P, EU:C:2005:761, Rn. 33, sowie Beschluss vom 27. März 2012, Connefroy u. a./Kommission, T‑327/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:155, Rn. 21).

50      Hierzu genügt die Feststellung, dass der angefochtene Beschluss die Kläger nicht wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften berührt, die sie im Verhältnis zu anderen Personen aufweisen, die möglicherweise von der Zulassung des Arzneimittels „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ betroffen sind.

51      Die bloße Tatsache, dass die Kläger im Gesundheits- oder Pflegesektor tätig sind, genügt nicht, um sie zu individualisieren und aus dem Kreis aller übrigen Personen herauszuheben, weil sich der angefochtene Beschluss gerade nicht an eine besondere Gruppe der allgemeinen Bevölkerung richtet.

52      Darüber hinaus genügt die Behauptung, der angefochtene Beschluss verletze die Grundrechte der Kläger, für sich allein nicht, um die Zulässigkeit der Klage eines Einzelnen herbeizuführen, denn sonst würden die Anforderungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV ihres Inhalts beraubt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. März 2021, Carvalho u. a./Parlament und Rat, C‑565/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:252, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies gilt umso mehr, als die Kläger nicht darlegen konnten, inwiefern allein der angefochtene Beschluss ihre körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen könnte, da er lediglich das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ innerhalb der Union zulässt.

53      Selbst wenn man unterstellt, die Kläger hätten eine Verletzung ihrer Grundrechte geltend gemacht und daraus eine individuelle Betroffenheit mit der Begründung abgeleitet, dass die körperliche Unversehrtheit und damit die Verletzung der Grundrechte für jede Person einzigartig und unterschiedlich sei, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der angefochtene Beschluss die Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten.

–       Kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter

54      Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ alle Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung umfasst (vgl. Beschluss vom 8. Juni 2021, Price/Rat, T‑231/20, nicht veröffentlicht, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2021:349, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Es ist jedoch festzustellen, dass ein Beschluss wie der Beschluss der Kommission, mit dem das Arzneimittel „COVID-19 Vaccine Janssen – COVID-19-Impfstoff (Ad26.COV2-S [recombinant])“ in der Union zugelassen wird, gegenüber Dritten keine Rechtswirkung entfaltet, sondern nur gegenüber dem es herstellenden Unternehmen. Mithin hat er keine allgemeine und abstrakte Geltung.

56      Nach alledem ist der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit daher stattzugeben und die Klage als unzulässig abzuweisen.

 Zu den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe

57      Nach Art. 144 Abs. 3 der Verfahrensordnung wird, wenn der Beklagte nach Art. 130 Abs. 1 eine Einrede der Unzulässigkeit erhebt, über den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe erst entschieden, nachdem die Einrede zurückgewiesen oder die Entscheidung darüber dem Endurteil vorbehalten wurde. Außerdem wird die Streithilfe gemäß Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung u. a. dann gegenstandslos, wenn die Klage für unzulässig erklärt wird.

58      Da der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit im vorliegenden Fall stattgegeben worden ist und folglich der vorliegende Beschluss das Verfahren beendet, haben sich die von TF, TG, TH und TI, von TR und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, sowie von VH und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, gestellten Anträge auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kläger erledigt.

 Kosten

59      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

60      Da die Kläger mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

61      Darüber hinaus tragen nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung TF, TG, TH und TI, TR und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, sowie VH und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe zur Unterstützung der Anträge der Kläger entstandenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Anträge auf Zulassung zur Streithilfe von TF, TG, TH und TI, von TR und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, sowie von VH und den weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, haben sich erledigt.

3.      Frau Heidi Amort und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang I aufgeführt sind, tragen die Kosten.

4.      TF, TG, TH und TI, TR und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, sowie VH und die weiteren Personen, deren Namen in Anhang II aufgeführt sind, tragen jeweils ihre eigenen im Zusammenhang mit den Anträgen auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

Luxemburg, den 9. November 2021

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      J. Svenningsen


*      Verfahrenssprache: Deutsch.


1      Die Liste der weiteren Kläger ist nur der den Parteien zugestellten Fassung als Anhang beigefügt.


2      Die Liste der weiteren Personen, die einen Antrag auf Zulassung zur Streithilfe gestellt haben, ist nur der den Parteien zugestellten Fassung als Anhang beigefügt.