Language of document : ECLI:EU:C:2022:393

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

16. Mai 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Unionsbürgerschaft – Art. 21 AEUV – Freizügigkeit und freier Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Besondere Strafbarkeit der internationalen Entführung Minderjähriger – Beschränkung – Kindesschutz – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑724/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. November 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2021, in dem Strafverfahren gegen

RV,

Beteiligte:

Staatsanwaltschaft Köln,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen, der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters N. Piçarra,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen RV wegen Entziehung Minderjähriger.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 2 und 21 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1) heißt es:

„(2)      Auf seiner Tagung in Tampere hat der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, der für die Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums unabdingbar ist, anerkannt und die Besuchsrechte als Priorität eingestuft.

(21)      Die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen sollten auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen und die Gründe für die Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt sein.“

 Deutsches Recht

4        § 235 („Entziehung Minderjähriger“) Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) bestimmt:

„(1)      Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.      eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List oder

2.      ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein,

den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht oder vorenthält.

(2)      Ebenso wird bestraft, wer ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger

1.      entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, oder

2.      im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

5        RV, eine rumänische Staatsangehörige und Mutter von zwei in Rumänien geborenen minderjährigen Kindern, lebt mit ihren Kindern seit unbestimmter Zeit in Deutschland.

6        Mit Beschluss vom 28. September 2018 entzog das Amtsgericht Köln (Deutschland) RV u. a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder und übertrug dieses Recht im Rahmen einer Ergänzungspflegschaft auf eine Pflegerin.

7        Im Zeitraum zwischen dem 7. und dem 15. Oktober 2020 verbrachte RV die Kinder nach Rumänien, ohne dass die Ergänzungspflegerin hierüber informiert worden war. Während RV und eines der Kinder am 11. April 2021 nach Deutschland zurückkehrten, blieb das andere Kind in Rumänien.

8        Auf eine Strafanzeige der Ergänzungspflegerin gegen RV wurde vor dem Amtsgericht Köln ein Strafverfahren wegen Entziehung Minderjähriger eingeleitet. Dieses verurteilte RV mit Urteil vom 19. April 2021 wegen Entziehung Minderjähriger gemäß § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

9        RV legte gegen dieses Urteil beim Landgericht Köln (Deutschland), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, Berufung ein.

10      Dieses Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit von § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit Art. 21 AEUV, die auf dem Urteil vom 19. November 2020, ZW (C‑454/19, EU:C:2020:947), beruhen, dessen Begründung ihm auf die vorliegende Rechtssache übertragbar erscheint.

11      Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich der Gerichtshof mit diesem Urteil im Wesentlichen zur Vereinbarkeit von § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB mit Art. 21 AEUV geäußert habe, wonach es einen Straftatbestand darstelle, wenn ein Elternteil sein Kind dem bestellten Pfleger in einem anderen Mitgliedstaat vorenthalte. Die Strafverfolgung im Ausgangsverfahren sei auf eine andere Bestimmung, nämlich § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB, gestützt, der den Tatbestand unter Strafe stelle, dass ein Kind seinem Pfleger entzogen werde, um es in das Ausland zu verbringen.

12      Das vorlegende Gericht meint, da sich das Urteil vom 19. November 2020, ZW (C‑454/19, EU:C:2020:947), nicht ausdrücklich auf § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB beziehe, von der Anwendung dieser Bestimmung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht, für deren Feststellung allein der Gerichtshof zuständig sei, nicht absehen zu können.

13      Unter diesen Umständen hat das Landgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 21 AEUV dahin gehend auszulegen, dass er der Anwendung einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem bestellten Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Entziehen, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht?

 Zur Vorlagefrage

14      Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof u. a. dann, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

15      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

16      Mit seiner einzigen Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Entziehen, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht.

17      Zunächst ergibt sich aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit dieser Frage in Wirklichkeit ersucht, über die Vereinbarkeit von § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit Art. 21 AEUV zu entscheiden. Für die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht sei nämlich allein der Gerichtshof zuständig. Eine solche Feststellung sei Voraussetzung dafür, dass das betreffende nationale Gericht die Bestimmung unangewendet lassen könne.

18      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht seine Sache ist, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beurteilen. Der Gerichtshof ist gleichwohl befugt, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, eine solche Beurteilung im Licht der vom Gerichtshof gegebenen Auslegungshinweise vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. März 2021, Consulmarketing, C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 32, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 30).

19      Ferner muss das vorlegende Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden und deren volle Wirksamkeit zu gewährleisten hat, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, eine Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lassen, wenn sie mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung oder einer der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten unvereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. April 2011, El Dridi, C‑61/11 PPU, EU:C:2011:268, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 27).

20      In Bezug auf die Antwort auf die Vorlagefrage ist das vorlegende Gericht darauf hinzuweisen, dass sich diese Antwort, wie es in seinem Vorabentscheidungsersuchen selbst nahelegt, der Sache nach aus der Begründung des Urteils vom 19. November 2020, ZW (C‑454/19, EU:C:2020:947), ergibt, aus der dieses Gericht, das allein für die Entscheidung über die Vereinbarkeit von § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit dem Unionsrecht zuständig ist, die Konsequenzen für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu ziehen hat.

21      Als Erstes stellt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung, durch die bestimmte Angehörige eines Mitgliedstaats allein deswegen benachteiligt werden, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten dar, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt (Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts, dass nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger eine Person unter 18 Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List entzieht oder vorenthält; derselbe Strafrahmen gilt nach § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB für den, der ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen.

23      Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts ist somit der einfache Tatbestand, dass ein Elternteil sein Kind dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pfleger entzieht, nach § 235 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn der Elternteil das Kind in einen anderen Mitgliedstaat der Union verbringt, in gleicher Weise strafbar, wie wenn er das Kind in einen Drittstaat verbrächte, ohne dass es dafür der Gewalt, der Drohung mit einem empfindlichen Übel oder der List bedürfte. Wird das Kind hingegen in das deutsche Hoheitsgebiet verbracht, ist der Tatbestand, dass ein Elternteil es dem Pfleger entzieht, nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur bei Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List strafbar.

24      Wenn eine Bestimmung eines Mitgliedstaats wie § 235 StGB danach unterscheidet, ob das Kind von seinem Elternteil innerhalb des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats oder außerhalb dessen, u. a. in einen anderen Mitgliedstaat, verbracht wird, begründet sie folglich eine Ungleichbehandlung, die die Freizügigkeit der Unionsbürger im Sinne von Art. 21 AEUV beeinträchtigen oder gar beschränken kann (vgl. entsprechend Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 33 bis 35).

25      Als Zweites kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine solche Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger, die – wie im Ausgangsverfahren – von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängig ist, gerechtfertigt sein, wenn sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit der fraglichen nationalen Regelung legitimerweise verfolgten Ziel steht. Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist (Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht – das im Übrigen in seinem Vorabentscheidungsersuchen keine Ausführungen zu den Zielen gemacht hat, die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmung verfolgt werden – zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in Bezug auf § 235 StGB erfüllt sind. Der Gerichtshof kann ihm jedoch Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die für diese Beurteilung von Nutzen sind.

27      In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Schutz des Kindes sowie seiner Grundrechte, wie sie in Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, berechtigte Interessen darstellt, die grundsätzlich geeignet sind, eine Beschränkung einer vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Dabei ist es nicht unerlässlich, dass die Maßnahmen eines Mitgliedstaats zum Schutz der Rechte des Kindes einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung in Bezug auf das Niveau und die Modalitäten dieses Schutzes entsprechen. Da diese Auffassung je nach Erwägungen insbesondere moralischer oder kultureller Art von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sein kann, ist den Mitgliedstaaten ein bestimmter Beurteilungsspielraum zuzuerkennen. Auch wenn es in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene Sache der Mitgliedstaaten ist, darüber zu befinden, auf welchem Niveau sie den Schutz des in Frage stehenden Interesses gewährleisten wollen, muss jedoch diese Beurteilungsbefugnis unter Beachtung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen und namentlich der oben in Rn. 25 angeführten Anforderungen ausgeübt werden (Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Ferner ist eine Strafbarkeit zur Ahndung der internationalen Kindesentführung – auch durch einen Elternteil – grundsätzlich geeignet, insbesondere wegen ihrer abschreckenden Wirkung den Schutz von Kindern vor solchen Entführungen und die Gewährleistung ihrer Rechte sicherzustellen. Die Anwendung der Bestimmung, die eine derartige Strafbarkeit vorsieht, trägt außerdem zum Ziel der Bekämpfung solcher Entführungen im Interesse des Schutzes der Kinder bei (Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 43).

30      Schließlich geht eine Strafbarkeit, nach der es für die strafrechtliche Ahndung genügt, dass ein Elternteil oder beide Eltern eines Kindes dieses dem anderen Elternteil bzw. dem Vormund oder dem Pfleger auch ohne Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List entziehen, um es in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen oder dort zurückzuhalten, jedoch in Anbetracht der Regeln und des Grundgedankens der Verordnung Nr. 2201/2003, die, wie aus ihren Erwägungsgründen 2 und 21 hervorgeht, auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen sowie auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gestützt ist, über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus, wenn gleichzeitig der Tatbestand, dass ein Kind in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verbracht wird, nur strafbar ist, wenn dies mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht (vgl. entsprechend Urteil vom 19. November 2020, ZW, C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 47 bis 49).

31      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 21 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Entziehen, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht.

 Kosten

32      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) beschlossen:

Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Entziehen, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Deutsch.