Language of document : ECLI:EU:C:2022:569

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. Juli 2022(*)

„Nichtigkeitsklage – Institutionelles Recht – Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union – Europäische Arbeitsbehörde (ELA) – Zuständigkeit für die Festlegung des Sitzes – Art. 341 AEUV – Anwendungsbereich – Am Rande einer Tagung des Rates angenommener Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten – Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 263 AEUV – Urheber und Rechtsnatur der Handlung – Keine Bindungswirkung in der Unionsrechtsordnung“

In der Rechtssache C‑743/19

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 9. Oktober 2019,

Europäisches Parlament, vertreten durch I. Anagnostopoulou, C. Biz und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, J. Bauerschmidt und E. Rebasti als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch:

Königreich Belgien, vertreten durch J.‑C. Halleux, M. Jacobs, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,

Tschechische Republik, vertreten durch L. Březinová, D. Czechová, K. Najmanová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

Königreich Dänemark, vertreten durch M. Jespersen, V. Pasternak Jørgensen, J. Nymann-Lindegren und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,

Irland, vertreten durch M. Browne, G. Hodge, A. Joyce und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,

Hellenische Republik, vertreten durch K. Boskovits und E.‑M. Mamouna als Bevollmächtigte,

Königreich Spanien, vertreten durch S. Centeno Huerta und A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch A. Daly, A.‑L. Desjonquères, E. Leclerc und T. Stehelin als Bevollmächtigte,

Großherzogtum Luxemburg, vertreten durch A. Germeaux, C. Schiltz und T. Uri als Bevollmächtigte,

Ungarn, vertreten durch Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch K. Bulterman, J. M. Hoogveld und J. Langer als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

Slowakische Republik, vertreten durch E. V. Drugda und B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin, I. Jarukaitis, N. Jääskinen und J. Passer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb, A. Kumin und N. Wahl (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2021,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Oktober 2021

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage beantragt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung des im gegenseitigen Einvernehmen gefassten Beschlusses (EU) 2019/1199 der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2019 über die Festlegung des Sitzes der Europäischen Arbeitsbehörde (ABl. 2019, L 189, S. 68, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 Rechtlicher Rahmen

2        Am 12. Dezember 1992 erließen die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf der Grundlage von Art. 216 des EWG-Vertrags, Art. 77 des EGKS-Vertrags und Art. 189 des EAG-Vertrags den Beschluss über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1992, C 341, S. 1, im Folgenden: Beschluss von Edinburgh).

3        Art. 1 des Beschlusses von Edinburgh legte den Sitz des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission, des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Europäischen Rechnungshofs und der Europäischen Investitionsbank fest.

4        Art. 2 dieses Beschlusses lautet:

„Der Sitz anderer bereits bestehender oder noch zu schaffender Einrichtungen und Dienststellen wird von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten auf einer der nächsten Tagungen des Europäischen Rates im gegenseitigen Einvernehmen unter Berücksichtigung der Vorteile, die obige Bestimmungen für die betreffenden Mitgliedstaaten mit sich bringen, festgelegt; Mitgliedstaaten, in denen derzeit keine Gemeinschaftsinstitution ihren Sitz hat, wird dabei angemessene Priorität eingeräumt.“

5        Art. 341 AEUV sieht vor, dass „[d]er Sitz der Organe der Union … im Einvernehmen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmt [wird]“.

6        Im Protokoll Nr. 6 über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen der Europäischen Union (im Folgenden: Protokoll Nr. 6), das dem EU‑Vertrag, dem AEU‑Vertrag und dem EAG‑Vertrag beigefügt ist, heißt es:

„Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten –

Gestützt auf Artikel 341 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, und Artikel 189 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft,

Eingedenk und in Bestätigung des Beschlusses vom 8. April 1965, jedoch unbeschadet der Beschlüsse über den Sitz künftiger Organe, Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen –

sind über folgende Bestimmungen übereingekommen …

Einziger Artikel

a)      Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; …

b)      Der Rat hat seinen Sitz in Brüssel. …

c)      Die Kommission hat ihren Sitz in Brüssel. …

d)      Der Gerichtshof der Europäischen Union hat seinen Sitz in Luxemburg.

e)      Der Rechnungshof hat seinen Sitz in Luxemburg.

f)      Der Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seinen Sitz in Brüssel.

g)      Der Ausschuss der Regionen hat seinen Sitz in Brüssel.

h)      Die Europäische Investitionsbank hat ihren Sitz in Luxemburg.

i)      Die Europäische Zentralbank hat ihren Sitz in Frankfurt.

j)      Das Europäische Polizeiamt (Europol) hat seinen Sitz in Den Haag.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

 Verordnung (EU) 2019/1149

7        Am 13. März 2018 nahm die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde (COM[2018] 131 final) an. Art. 4 dieses Vorschlags lautete lediglich: „Sitz der Behörde ist [x].“

8        Nach interinstitutionellen Verhandlungen, die im Januar und Februar 2019 stattfanden, stellten die Vertreter des Parlaments und des Rates fest, dass sie nicht über die erforderlichen Informationen verfügten, um den Sitz der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) festzulegen, und kamen überein, diese Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Daher wurde zum einen beschlossen, Art. 4 des in der vorstehenden Randnummer angeführten Verordnungsvorschlags zu streichen, und zum anderen, die Gründe für diesen Standpunkt in einer gemeinsamen Erklärung anzugeben, der sich die Kommission anschließen würde und die der Verordnung nach ihrem Erlass als Anhang beigefügt würde.

9        Am 20. Juni 2019 wurde die Verordnung (EU) 2019/1149 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EU) Nr. 492/2011 und (EU) 2016/589 sowie zur Aufhebung des Beschlusses (EU) 2016/344 (ABl. 2019, L 186, S. 21) erlassen. Diese Verordnung, die am 11. Juli 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, enthielt keine Bestimmung über die Festlegung des Sitzes der ELA.

10      In der gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2019, L 188, S. 131), die gleichzeitig mit der Verordnung 2019/1149 angenommen und am 12. Juli 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, heißt es:

„Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission stellen fest, dass das Verfahren der Wahl des Sitzes der [ELA] zum Zeitpunkt der Annahme der Gründungsverordnung noch nicht abgeschlossen war.

Die drei Organe erinnern unter Hinweis auf die Verträge an die Verpflichtung zur loyalen und transparenten Zusammenarbeit und bekräftigen den Wert des Informationsaustauschs ab den ersten Phasen des Verfahrens der Wahl des Sitzes der [ELA].

Ein solcher frühzeitiger Informationsaustausch würde es den drei Organen erleichtern, ihre in den Verträgen verankerten Rechte im Rahmen der entsprechenden Verfahren auszuüben.

Das Europäische Parlament und der Rat nehmen die Absicht der Kommission zur Kenntnis, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit in der Gründungsverordnung eine Bestimmung über den Sitz der [ELA] enthalten ist und um sicherzustellen, dass die [ELA] im Einklang mit dieser Verordnung eigenständig tätig ist.“

 Angefochtener Beschluss

11      Die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten billigten am 13. März 2019 am Rande einer Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) einvernehmlich das Verfahren und die Kriterien für die Entscheidung über den Sitz der ELA.

12      Die aufgestellten Auswahlregeln sahen vor, dass der Beschluss über den Sitz der ELA auf Kriterien entsprechend den Kriterien beruhen sollte, die in dem Gemeinsamen Konzept im Anhang der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 19. Juli 2012 über die dezentralisierten Agenturen (im Folgenden: Gemeinsame Erklärung von 2012) aufgeführt waren. Diese Kriterien betrafen erstens die geografische Ausgewogenheit, zweitens das Datum, an dem die betreffende Agentur nach dem Inkrafttreten ihres Gründungsakts an dem in Betracht gezogenen Ort errichtet werden kann, drittens die Erreichbarkeit des Ortes, viertens das Vorhandensein angemessener schulischer Einrichtungen für die Kinder des Personals der Agentur und fünftens einen angemessenen Zugang zu Arbeitsmarkt, sozialer Sicherheit und medizinischer Versorgung für Kinder und Ehegatten.

13      Die Regeln des Auswahlverfahrens sahen ferner vor, dass alle Angebote bezüglich der Aufnahme einer solchen Einheit dem Generalsekretär des Rates mit Kopie an den Generalsekretär der Kommission zugeleitet und auf der Website des Rates veröffentlicht werden sollten, dass die Kommission eine allgemeine Bewertung aller Angebote ausarbeiten und beschreiben sollte, wie die einzelnen Angebote die festgelegten Kriterien erfüllen, dass das Generalsekretariat des Rates diese Bewertung dann an die Mitgliedstaaten weiterleiten und sie öffentlich verfügbar machen sollte und dass anschließend am Rande der Tagung des AStV politische Beratungen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten stattfinden sollten. Diese Regeln sahen außerdem vor, dass die Abstimmung später am Rande einer Tagung des Rates „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO) in Luxemburg stattfinden sollte, dass sie aus aufeinanderfolgenden Wahlgängen ohne Losverfahren bestehen sollte, bis ein Angebot die Mehrheit der Stimmen erhalten hat, und dass der endgültige Beschluss dann gemäß dem Ergebnis der Abstimmung auf derselben Tagung von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten einvernehmlich bestätigt werden sollte.

14      Am 5. Juni 2019 hatten die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage der von der Kommission vorgenommenen Bewertung der vier eingereichten Angebote, nämlich Sofia (Bulgarien), Nikosia (Zypern), Riga (Lettland) und Bratislava (Slowakei), am Rande einer Tagung des AStV einen Gedankenaustausch zu diesen Angeboten.

15      Am 13. Juni 2019 nahmen die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten am Rande einer Ratssitzung und im Anschluss an eine Abstimmung zur Entscheidung zwischen den vier Mitgliedstaaten, die angeboten hatten, die ELA aufzunehmen, den angefochtenen Beschluss, der am 15. Juli 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, an.

16      Art. 1 dieses Beschlusses lautet:

„Die [ELA] hat ihren Sitz in Bratislava.“

 Anträge der Parteien

17      Das Parlament beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

18      Der Rat beantragt,

–        die Klage als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen,

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen und

–        für den Fall, dass der Klage stattgegeben wird, die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses für den Zeitraum aufrechtzuerhalten, der für die Bestimmung des neuen Sitzes der ELA erforderlich ist.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

19      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. Januar 2020 ist die Slowakische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

20      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. Februar 2020 sind die Hellenische Republik, das Königreich Spanien und das Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

21      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 4. Februar 2020 sind das Königreich Belgien, die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, Irland, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, die Republik Polen und die Republik Finnland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

22      Am 20. November 2020 hat das Europäische Parlament gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache als Große Kammer tagt.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

 Vorbringen der Parteien

23      Der Rat, dem sich sämtliche Regierungen der als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten anschließen, hält die Klage des Parlaments für offensichtlich unzulässig.

24      Zunächst sei der angefochtene Beschluss nicht dem Rat, sondern den Mitgliedstaaten zuzurechnen. Wie durch die Rechtsprechung bestätigt worden sei, seien diese jedoch nicht passiv legitimiert. Sodann sei dieser Beschluss auf der Grundlage von Art. 341 AEUV gefasst worden, der nicht nur für die Festlegung des Sitzes der in Art. 13 EUV aufgeführten Organe der Union gelte, sondern auch für die Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union, so dass dieser Beschluss der Kontrolle durch den Gerichtshof nach Art. 263 AEUV entzogen sei. Schließlich weist der Rat darauf hin, dass der Erlass dieses Beschlusses durch die Mitgliedstaaten einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle keineswegs entgegenstehe. Jedenfalls könne die Notwendigkeit, eine solche Kontrolle zu gewährleisten, nicht zur Schaffung anderer Rechtsbehelfe als der in den Verträgen vorgesehenen führen.

25      Das Parlament ist der Ansicht, dass die Anfechtbarkeit, im Sinne von Art. 263 AEUV, des angefochtenen Beschlusses und damit die Zulässigkeit der Klage feststünden.

26      Nach Auffassung des Parlaments ist dieser Beschluss ganz offensichtlich ein verbindlicher Rechtsakt der Union. Zunächst sei auf die formale Benennung „Beschluss“ abzustellen, die nach Art. 288 Abs. 4 AEUV einen Rechtsakt bezeichne, der in allen seinen Teilen verbindlich sei. Sodann sei der Beschluss ein Rechtsakt, der nach Art. 341 AEUV erlassen worden sei, d. h. einer Vorschrift der Verträge, die den Erlass verbindlicher Rechtsakte vorsehe und mit der bestimmt werden solle, wo der Sitz der Agenturen der Union festzulegen sei. Schließlich sei dieser Beschluss in der Reihe L des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht worden, die den Rechtsetzungsakten vorbehalten sei.

27      Was den tatsächlichen Urheber des angefochtenen Beschlusses anbelangt, vertritt das Parlament die Auffassung, dass es sich dabei, obgleich im Titel dieses Beschlusses auf das „gegenseitige Einvernehmen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten“ Bezug genommen werde, um den Rat handle.

28      Zur Stützung dieses Standpunkts macht das Parlament erstens geltend, dass die Dokumente zum Auswahlverfahren und der Entwurf, der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liege, mit dem Kopftext des „Rates der Europäischen Union“ versehen seien, was darauf schließen lasse, dass der Rat die Urheberschaft übernommen habe. Zweitens habe sich der dem Erlass dieses Beschlusses vorangegangene Prozess auf die Verwaltungsstrukturen und die Vorbereitungsgremien des Rates, insbesondere auf den in Art. 240 Abs. 1 AEUV genannten AStV, gestützt. Drittens zeige die Beteiligung eines rumänischen Ministers an diesem Entscheidungsprozess, dass der Ratsvorsitz im Sinne von Art. 16 Abs. 9 EUV im vorliegenden Fall in dieser Eigenschaft gehandelt habe. Viertens belege – da Art. 297 Abs. 2 Unterabs. 1 AEUV bestimme, dass bestimmte Rechtsakte ohne Gesetzescharakter vom Präsidenten des Organs zu unterzeichnen seien, das sie erlassen habe – der Umstand, dass der rumänische Minister den angefochtenen Beschluss unterzeichnet habe, dass er im Rahmen seiner Funktion als amtierender Vorsitzender des Rates gehandelt habe.

29      Hierzu weist das Parlament darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung nicht ausreiche, dass ein Rechtsakt als Beschluss der Mitgliedstaaten eingestuft werde, damit er der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof entzogen sei. Es müsse außerdem nachgewiesen werden, dass der fragliche Rechtsakt nach seinem Inhalt und den gesamten Umständen, unter denen er erlassen worden sei, in Wirklichkeit einen Beschluss des Rates darstelle (Urteil vom 30. Juni 1993, Parlament/Rat und Kommission, C‑181/91 und C‑248/91, EU:C:1993:271, Rn. 14). Diese Feststellung könne aber nicht ohne Prüfung des Inhalts des Rechtsakts und seiner Rechtswirkungen getroffen werden. Dies gelte umso mehr, als der angefochtene Beschluss im vorliegenden Fall in die dem Unionsgesetzgeber durch die Art. 46 und 48 AEUV verliehene Befugnis eingreife.

30      Hilfsweise macht das Parlament geltend, dass die vorliegende Klage, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der angefochtene Beschluss von den Mitgliedstaaten und nicht vom Rat stamme, gleichwohl zulässig wäre. Es würde sich nämlich immer noch um einen Rechtsakt der Union handeln, der Rechtswirkungen gegenüber Dritten in zwei Bereichen entfalten solle, die in die Zuständigkeit der Union fielen, nämlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Es sei daher offensichtlich, dass die Festlegung des Ortes des Sitzes der ELA durch den angefochtenen Beschluss unmittelbar einen bereits vom Unionsgesetzgeber mit der Schaffung dieser Behörde geregelten Bereich betreffe und dazu beitrage, eine rechtliche Situation zu schaffen, die Dritten entgegengehalten werden könne.

31      Das Parlament betont, dass ein Infragestellen der Anfechtbarkeit des angefochtenen Beschlusses nach Art. 263 AEUV darauf hinausliefe, einen aufgrund einer Bestimmung der Verträge erlassenen verbindlichen Rechtsakt der Union jeder gerichtlichen Kontrolle zu entziehen. Es gebe nämlich keinen anderen Rechtsbehelf, mit dem überprüft werden könnte, ob die von den Mitgliedstaaten beanspruchte Zuständigkeit nach Art. 341 AEUV tatsächlich für die Festlegung des Sitzes von Einrichtungen der Union wie der ELA bestehe oder ob, wie das Parlament geltend macht, die Mitgliedstaaten unter Rückgriff auf Art. 341 AEUV in die dem Unionsgesetzgeber durch die Art. 46 und 48 AEUV verliehene Befugnis eingegriffen hätten.

32      Das Parlament ist der Ansicht, dass sich der Gerichtshof, obwohl die Handlungen der Mitgliedstaaten nicht zu den in Art. 263 Abs. 1 AEUV aufgezählten Handlungen gehörten, für zuständig erklären müsse, die Achtung der den Organen durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten im Sinne von Art. 13 Abs. 2 EUV zu überprüfen. Würde der angefochtene Beschluss der Kontrolle durch den Gerichtshof mit der Begründung entzogen, dass es sich um eine Handlung der Mitgliedstaaten handele, so liefe dies darauf hinaus, dem Gerichtshof die Möglichkeit zu nehmen, zu prüfen, ob die Befugnisse des Unionsgesetzgebers beachtet worden seien, und gegebenenfalls die Verletzung dieser Befugnisse durch Nichtigerklärung dieses Beschlusses abzustellen.

33      Eine solche Lösung stünde außerdem im Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen, nach denen weder die Mitgliedstaaten noch die Unionsorgane der Kontrolle darüber entzogen seien, ob ihre Handlungen mit den Verträgen im Einklang stünden (Urteil vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, EU:C:1986:166, Rn. 23). Hierzu vertritt das Parlament die Auffassung, dass diese Grundsätze die Grundlage für die allgemeine Zuständigkeit bildeten, die Art. 19 EUV dem Gerichtshof zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge einräume (Urteil vom 24. Juni 2014, Parlament/Rat, C‑658/11, EU:C:2014:2025, Rn. 70).

34      In seiner Erwiderung weist das Parlament darauf hin, dass sich die vom Rat angeführte Rechtsprechung auf Handlungen der Mitgliedstaaten außerhalb des durch die Verträge festgelegten Rahmens beziehe. Nach Ansicht des Parlaments ist der angefochtene Beschluss jedoch ein Rechtsakt der Union, der auf der Grundlage einer durch die Verträge übertragenen Zuständigkeit, nämlich derjenigen nach Art. 341 AEUV, erlassen worden sei. Die mit der vorliegenden Klage aufgeworfene wesentliche Rechtsfrage betreffe nämlich gerade die Frage, ob diese Zuständigkeit ausgeübt werden könne, um den Sitz der ELA festzulegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

35      Die Europäische Union ist eine Rechtsunion, die durch den AEU‑Vertrag mit einem umfassenden System von Rechtsbehelfen und Verfahren ausgestattet ist, das dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe zuweist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, EU:C:1986:166, Rn. 23, vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 281, sowie vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Die in Art. 263 AEUV vorgesehene Nichtigkeitsklage ist gegen alle von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union erlassenen Bestimmungen, die Rechtswirkungen entfalten sollen, unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder ihrer Form zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1971, Kommission/Rat, 22/70, EU:C:1971:32, Rn. 42, sowie vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament, C‑650/18, EU:C:2021:426, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Allerdings ist der Unionsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV nur für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen zuständig, die den Organen, den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union zuzurechnen sind. Daraus folgt u. a., dass Handlungen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die nicht als Mitglieder des Rates oder des Europäischen Rates, sondern als Vertreter ihrer Regierungen handeln und auf diese Weise gemeinsam Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ausüben, vom Unionsrichter nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 1993, Parlament/Rat und Kommission, C‑181/91 und C‑248/91, EU:C:1993:271, Rn. 12, sowie Beschluss vom 16. Juni 2021, Sharpston/Rat und Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, C‑685/20 P, EU:C:2021:485, Rn. 46).

38      Es genügt jedoch nicht, dass der Beschluss, der Gegenstand einer Klage ist, formal als eine Entscheidung der Mitgliedstaaten dargestellt wird, damit er der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Rechtmäßigkeitskontrolle entzogen ist. Vielmehr darf dieser Akt nach seinem Inhalt und den gesamten Umständen, unter denen er erlassen wurde, nicht in Wirklichkeit eine Entscheidung des Rates darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 1993, Parlament/Rat und Kommission, C‑181/91 und C‑248/91, EU:C:1993:271, Rn. 14).

39      Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss anhand des rechtlichen Rahmens zu beurteilen, der für die Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union gilt. Insoweit sind sich die Parteien jedoch uneinig darüber, ob Art. 341 AEUV, wonach der Sitz der „Organe“ „im Einvernehmen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten“ bestimmt wird, wirksam als Grundlage für Beschlüsse über die Bestimmung des Sitzes dieser Einrichtungen und dieser sonstigen Stellen herangezogen werden kann.

40      Auf der einen Seite machen nämlich der Rat und die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung von dessen Anträgen beigetreten sind, geltend, diese Vorschrift sei weit dahin auszulegen, dass sie sich auch auf die genannten Einrichtungen und sonstigen Stellen beziehe, so dass die Zuständigkeit für die Festlegung des Sitzes einer solchen Einrichtung oder sonstigen Stelle allein den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten zukomme, die im gegenseitigen Einvernehmen entschieden. Daraus folge, dass der angefochtene Beschluss als Handlung der Mitgliedstaaten und nicht des Rates der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof nach Art. 263 AEUV entzogen sei.

41      Auf der anderen Seite ist das Parlament der Ansicht, dass ein Beschluss zur Festlegung des Sitzes einer Agentur der Union nicht in den Anwendungsbereich von Art. 341 AEUV, sondern in die Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers falle. Es leitet daraus ab, dass der angefochtene Beschluss zwingend dem Rat zuzurechnen sei und daher der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gerichtshof nicht entzogen sein könne. Jedenfalls müsste die vorliegende Klage, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass dieser Beschluss den Mitgliedstaaten zuzurechnen sei, für zulässig erklärt werden, soweit sie gegen den „tatsächlichen Urheber“ dieses Beschlusses gerichtet sei.

42      Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Entscheidung über die Bestimmung des Sitzes einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union von den Mitgliedstaaten nach der in Art. 341 AEUV aufgestellten Regel zu treffen ist oder ob sie vom Unionsgesetzgeber nach der materiellen Rechtsgrundlage zu treffen ist, die für den Bereich gilt, in dem die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle tätig werden soll.

 Zur Zuständigkeit für die Festlegung des Ortes des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union

43      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut und die mit ihr verfolgten Ziele zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang. Auch die Entstehungsgeschichte einer Vorschrift des Unionsrechts kann relevante Anhaltspunkte für deren Auslegung liefern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Somit ist anhand dieser Auslegungsmethoden zu prüfen, ob Art. 341 AEUV auf Beschlüsse über die Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union anwendbar ist.

45      Was erstens den Wortlaut von Art. 341 AEUV betrifft, so bezieht sich dieser nur auf die „Organe der Union“. Nach Art. 13 Abs. 1 EUV verweist der Begriff „Organe“ auf eine genaue Auflistung von Einheiten, die nicht die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union, insbesondere nicht die Agenturen der Union, umfasst.

46      Was zweitens den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 341 AEUV einfügt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 94 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Reihe von Bestimmungen der Verträge durch den Vertrag von Lissabon geändert wurden, um einen ausdrücklichen Verweis auf die „Einrichtungen und [die] sonstigen Stellen der Union“ aufzunehmen, was zur Folge hatte, dass explizit eine Unterscheidung zwischen den in Art. 13 Abs. 1 EUV ausdrücklich genannten Organen der Union einerseits sowie den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union andererseits getroffen wurde. Somit beziehen sich einige Bestimmungen des AEU‑Vertrags nur auf die Organe der Union, während sich andere Bestimmungen dieses Vertrags, wie die Art. 15, 16, 123, 124, 127, 130, 228, 263, 265, 267, 282, 298 und 325, weiter gehend auf die Organe, die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union beziehen. Dies ist, was die Zuständigkeit des Gerichtshofs anbelangt, insbesondere bei den Art. 263, 265 und 267 AEUV der Fall.

47      Es ist jedoch festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 341 AEUV, der sich nur auf die „Organe“ bezieht, dem Wortlaut der Vorgängervorschriften dieses Artikels, nämlich Art. 216 EWG-Vertrag (danach Art. 216 EG‑Vertrag und dann Art. 289 EG), entspricht.

48      Der vom Rat hervorgehobene Umstand, dass in den Bestimmungen des Siebten Teils („Allgemeine und Schlussbestimmungen“) des AEU‑Vertrags, in den sich Art. 341 AEUV einfügt, von den „Organen“ die Rede ist, kann daher – obwohl der EU‑Vertrag, wie aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils hervorgeht, eine klare Unterscheidung zwischen den Organen der Union einerseits und den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union andererseits trifft – nicht als Ausdruck einer Absicht der Verfasser der Verträge verstanden werden, den Begriff „Organe“ in einem weiten Sinne dahin zu verstehen, dass er nicht nur die in Art. 13 Abs. 1 EUV aufgeführten Einheiten umfasst, sondern auch die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union, die mit den Verträgen oder kraft der Verträge errichtet wurden und zur Verwirklichung der Ziele der Union beitragen sollen. Dies gilt umso mehr, als der EU‑Vertrag und der AEU‑Vertrag gemäß Art. 1 Abs. 3 EUV und Art. 1 Abs. 2 AEUV eine einheitliche Verfassungsgrundlage für die Union bilden, so dass die Definition des Begriffs „Organe“ in Art. 13 Abs. 1 EUV und die Unterscheidung zwischen diesen Organen einerseits und den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union andererseits in beiden Verträgen übergreifend und einheitlich gelten müssen.

49      Ebenso wenig kann die weite Auslegung entscheidend sein, die der Gerichtshof dem Begriff „Organe“ im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV beigemessen hat, in dem es heißt, dass „[i]m Bereich der außervertraglichen Haftung … die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen [ersetzt], die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“.

50      Denn zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Organe“ im Sinne der genannten Bestimmung nicht nur die in Art. 13 Abs. 1 EUV aufgeführten Organe der Union umfasst, sondern auch sämtliche Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, die mit den Verträgen oder kraft der Verträge errichtet wurden und zur Verwirklichung der Ziele der Union beitragen sollen (Urteil vom 16. Dezember 2020, Rat u. a./K. Chrysostomides & Co. u. a., C‑597/18 P, C‑598/18 P, C‑603/18 P und C‑604/18 P, EU:C:2020:1028, Rn. 80 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), jedoch hat er sich bei der Entwicklung dieser Rechtsprechung ausdrücklich auf den Umstand gestützt, dass zum einen die mit den Verträgen oder kraft der Verträge errichteten Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur Verwirklichung der Ziele der Union beitragen sollen, und dass es zum anderen der Absicht der Verfasser der Verträge zuwiderliefe, wenn die Union den Folgen der Bestimmungen der Verträge, die die außervertragliche Haftung der Union regeln, entzogen wäre, soweit sie durch eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 1992, SGEEM und Etroy/EIB, C‑370/89, EU:C:1992:482, Rn. 13 bis 16).

51      Die weite Auslegung des Begriffs „Organe“ durch den Gerichtshof für die Zwecke der Anwendung von Art. 340 Abs. 2 AEUV trägt somit dem durch die in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen gerechtfertigten Bedürfnis Rechnung, zu verhindern, dass sich die Union der Anwendung des Systems der außervertraglichen Haftung nach Art. 268 AEUV in Verbindung mit Art. 340 Abs. 2 AEUV und der sich daraus ergebenden gerichtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof entziehen kann, wenn sie durch eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union handelt, die von den in Art. 13 Abs. 1 EUV aufgeführten Organen verschieden ist (vgl. entsprechend Urteil vom 2. Dezember 1992, SGEEM und Etroy/EIB, C‑370/89, EU:C:1992:482, Rn. 14 und 16). Dies muss umso mehr gelten, als, wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Begriff „Bedienstete“ in Art. 340 Abs. 2 AEUV in funktionaler Hinsicht das gesamte Personal umfasst, das für die Union arbeitet, sei es bei den Organen, sei es bei den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union.

52      Folglich kann die Auslegung des Begriffs „Organe“ im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV, der den Umfang der außervertraglichen Haftung der Union regelt, nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, um den Anwendungsbereich von Art. 341 AEUV, der den Umfang der Zuständigkeiten betrifft, die den Mitgliedstaaten nach den Verträgen vorbehalten sind, entsprechend zu definieren.

53      Der Rat kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Begriff „Organe“ in Art. 342 AEUV berufen, wonach „[d]ie Regelung der Sprachenfrage für die Organe der Union … unbeschadet der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom Rat einstimmig durch Verordnungen getroffen [wird]“. Wie der Generalanwalt in Nr. 98 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Begriff „Organe“ im Sinne der letztgenannten Vorschrift nämlich nicht zwingend dahin auszulegen, dass er die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union umfasst, da sich die Sprachenregelung einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union von der Regelung unterscheiden kann, die in den Organen der Union gilt.

54      Das Protokoll Nr. 6 legt zwar, wie der Rat geltend macht, nicht nur den Sitz der Unionsorgane fest, sondern auch den Sitz bestimmter Einrichtungen und sonstiger Stellen der Union, darunter Europol, und verweist auf Art. 341 AEUV, sieht jedoch nicht vor, dass die Sitze der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union von den Mitgliedstaaten gemeinsam nach dem in dieser Vorschrift enthaltenen Grundsatz bestimmt werden müssten. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass diese Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union das gemeinsame Merkmal haben, dass sie von den Mitgliedstaaten geschaffen wurden, während dies bei einer Agentur der Union wie der ELA, die vom Unionsgesetzgeber auf der Grundlage der Gründungsverträge geschaffen wurde, nicht der Fall ist. Somit kann aus diesem Protokoll nicht der Wille der Mitgliedstaaten abgeleitet werden, den in dieser Vorschrift enthaltenen Grundsatz unmittelbar oder entsprechend auf die Festlegung des Sitzes sämtlicher Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union anzuwenden.

55      Wie der Generalanwalt in Nr. 112 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zeugt die Annahme eines speziellen Protokolls vielmehr davon, dass die Mitgliedstaaten der Ansicht waren, dass ihre kollektive Entscheidung bezüglich der Festlegung des Sitzes bestimmter abschließend aufgezählter Einrichtungen und sonstiger Stellen der Union speziell in das Primärrecht aufgenommen werden müsse, um Rechtswirkungen im Unionsrecht zu entfalten.

56      Der ausdrückliche Verweis im Protokoll Nr. 6 auf Art. 341 AEUV erklärt sich daraus, dass dieses Protokoll in erster Linie die in Art. 13 Abs. 1 EUV genannten Organe betrifft.

57      Außerdem haben die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, wie aus Art. 2 des Beschlusses von Edinburgh hervorgeht, tatsächlich den Wunsch geäußert, sich die Beschlüsse über die Sitze der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union in der gleichen Weise vorzubehalten, wie sie nach Art. 341 AEUV ausdrücklich und eindeutig befugt sind, den Sitz der Organe der Union festzulegen. Darüber hinaus wurde anlässlich der Regierungskonferenz, die zur Annahme des Vertrags von Amsterdam führte, der Text des Beschlusses von Edinburgh dem EU‑, dem EG‑, dem EGKS- und dem EAG-Vertrag als Protokoll beigefügt, das heute das Protokoll Nr. 6 im Anhang zum EU‑, AEU- und EAG-Vertrag ist.

58      Allerdings legt zum einen der einzige Artikel des letztgenannten Protokolls mit ähnlichem Wortlaut wie Art. 1 des Beschlusses von Edinburgh nur den Sitz von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union fest, die von den Mitgliedstaaten geschaffen wurden. Zum anderen hat der Gerichtshof diesem Beschluss zwar im Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament (C‑345/95, EU:C:1997:450), auf das er in späteren Urteilen Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2012, Frankreich/Parlament, C‑237/11 und C‑238/11, EU:C:2012:796, Rn. 36 bis 42, und vom 2. Oktober 2018, Frankreich/Parlament [Ausübung der Haushaltsbefugnis], C‑73/17, EU:C:2018:787, Rn. 33), rechtliche Bindungswirkung zuerkannt, jedoch kann Art. 2 des genannten Beschlusses nicht zu einer Auslegung von Art. 341 AEUV führen, die dessen klarem Wortlaut zuwiderliefe.

59      Bezüglich des Zusammenhangs beruft sich der Rat auch auf die frühere institutionelle Praxis bei der Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union und macht geltend, dass diese Praxis durch die Gemeinsame Erklärung von 2012 und das Gemeinsame Konzept in deren Anhang „institutionelle Anerkennung“ genieße.

60      Aus den Informationen, die dem Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zur Kenntnis gebracht worden sind, geht jedoch hervor, dass die behauptete Praxis keineswegs allgemein üblich ist. Die Verfahren zur Bestimmung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union wurden nämlich entweder nur von den Mitgliedstaaten durchgeführt oder in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedlichen Grundlagen von den Organen der Union, gegebenenfalls in ihrer Eigenschaft als Akteure des Gesetzgebungsverfahrens.

61      Selbst wenn sich aber, wie der Rat vorträgt, eine gefestigte und kohärente frühere Praxis feststellen ließe, wonach die Sitze der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union systematisch auf der Grundlage einer politischen Entscheidung festgelegt wurden, die allein von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten getroffen wurde, kommt für die vom Rat auf der Grundlage dieser Praxis vertretene Auslegung von Art. 341 AEUV keine irgendwie geartete „institutionelle Anerkennung“ durch die Gemeinsame Erklärung von 2012 und das Gemeinsame Konzept in deren Anhang in Betracht. Diese Erklärung ist nämlich, wie in ihrem fünften Absatz hervorgehoben wird, rechtlich nicht bindend und enthält im Übrigen keinerlei Anerkennung eines Zuständigkeitsvorbehalts für die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Bestimmung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union.

62      Jedenfalls kann eine solche Praxis, die den Regeln des AEU‑Vertrags, insbesondere Art. 341 AEUV, zuwiderliefe, indem sie trotz des klaren Wortlauts dieser Vorschrift deren Anwendungsbereich auf die Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union erstrecken würde, kein Präjudiz schaffen, das die Organe bindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Mai 2008, Parlament/Rat, C‑133/06, EU:C:2008:257, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Drittens schließlich besteht das Ziel von Art. 341 AEUV darin, die Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten allein bei der Bestimmung des Sitzes der Unionsorgane zu wahren. Entgegen der vom Rat in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung kann eine Auslegung dieser Vorschrift dahin, dass er auf Einrichtungen und sonstige Stellen der Union nicht anwendbar ist, nicht dazu führen, ihm jede praktische Wirksamkeit zu nehmen, wie der Generalanwalt in Nr. 138 seiner Schlussanträge ausgeführt hat. Zwar ist der Sitz der Organe der Union bereits durch das Primärrecht, im vorliegenden Fall das Protokoll Nr. 6, festgelegt, doch ist Art. 341 AEUV für jeden etwaigen künftigen Beschluss, mit dem der Sitz eines bestehenden Organs geändert oder der Sitz eines neuen Organs festgelegt wird, weiterhin relevant.

64      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Unterschied zu den Organen der Union, deren Schaffung und Aufgaben aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Bedeutung in den Verträgen selbst vorgesehen sind, die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union wie die ELA, deren Zweck in der Verwirklichung der Ziele einer bestimmten Politik der Union besteht, in der Regel nicht durch die Verträge geschaffen werden. Unter diesen Umständen muss sich ihre Schaffung, da sie sich nicht aus dem Primärrecht ergibt, aus einem Rechtsakt des Sekundärrechts ergeben, der auf der Grundlage der materiellen Bestimmungen zur Umsetzung der Politik der Union, in der die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle tätig wird, und nach den von diesen Bestimmungen vorgesehenen Verfahren erlassen wurde.

65      Da die Verträge hierzu keine weiteren Klarstellungen enthalten, ist es ebenso Sache des Unionsgesetzgebers, nach den in den sachlich einschlägigen Bestimmungen der Verträge vorgesehenen Verfahren den Sitz einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union festzulegen, die er selbst durch einen auf der Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Sekundärrechtsakt errichtet hat, entsprechend der Zuständigkeit, die er aufgrund dieser Bestimmungen besitzt, um die Zuständigkeiten, die Organisation und die Arbeitsweise dieser Einrichtung oder dieser sonstigen Stelle festzulegen.

66      Der Beschluss über die Festlegung des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union wie einer Agentur der Union ist somit entgegen dem Vorbringen des Rates mit dem Beschluss über ihre Schaffung untrennbar verbunden.

67      Zwar kann die Festlegung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union politischen Erwägungen Rechnung tragen, wie z. B. der Notwendigkeit, bei der Ansiedlung der Einrichtungen oder der sonstigen Stellen der Union ein gewisses geografisches Gleichgewicht zu gewährleisten oder diejenigen Mitgliedstaaten zu bevorzugen, in denen noch keine Einrichtung bzw. keine sonstige Stelle der Union ihren Sitz hat.

68      Der politische Charakter des Beschlusses zur Festlegung des Ortes des Sitzes einer solchen Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union kann jedoch für sich genommen nicht rechtfertigen, dass dieser Beschluss der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers entzogen ist, der nämlich regelmäßig politische Entscheidungen bei der Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Union zu treffen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2016, Deutschland/Parlament und Rat, C‑113/14, EU:C:2016:635, Rn. 55).

69      Außerdem muss ein solcher Beschluss in erster Linie ermöglichen, die Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, mit denen die betreffende Einrichtung oder sonstige Stelle der Union im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele einer bestimmten Politik betraut ist.

70      Ebenso wenig kann die Auffassung durchgreifen, wonach die Verknüpfung der Festlegung des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union mit der materiellen Grundlage, auf der ihre Schaffung beruht, nach der einschlägigen Rechtsgrundlage dazu führen kann, dass diese Festlegung durch eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und nicht durch einen im gegenseitigen Einvernehmen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten erlassenen Beschluss erfolgt, während diese Festlegung gleichzeitig im Rahmen der gesetzgeberischen Debatte zu einem Kompromisselement gemacht wird.

71      Wie in Rn. 68 des vorliegenden Urteils ausgeführt, schließt nämlich der Umstand, dass der Beschluss über die Festlegung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union eine bedeutende politische Dimension haben kann, da er u. a. Erwägungen zum geografischen Gleichgewicht entsprechen muss, nicht aus, dass dieser Beschluss vom Unionsgesetzgeber nach den in den sachlich einschlägigen Bestimmungen der Verträge vorgesehenen Verfahren getroffen werden kann, wobei diese politische Dimension insoweit einen Gesichtspunkt darstellen kann, den der Unionsgesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens berücksichtigen kann. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, da das Gesetzgebungsverfahren der Union nach Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 EUV vom Grundsatz der Transparenz gegenüber den Bürgern geleitet wird, die Anwendung dieses Verfahrens geeignet ist, das demokratische Fundament eines Beschlusses über die Bestimmung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union wie der ELA zu stärken.

72      Darüber hinaus kann vor allem der Umstand, dass ein Beschluss wie der über die Festlegung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union politische Sensibilität aufweist, weder zu einer Änderung der den Unionsorganen durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten noch dazu führen, dass die Ausübung dieser Zuständigkeiten den in den Verträgen vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren entzogen wird. Die Ermittlung der Tragweite einer Bestimmung der Verträge, die eine sachliche Zuständigkeit der Union regelt, kann daher nicht von Erwägungen abhängen, die mit der politischen Sensibilität des betreffenden Bereichs oder dem Bestreben zusammenhängen, die Wirksamkeit eines Handelns zu gewährleisten.

73      Aus all diesen Erwägungen und insbesondere aus dem Wortlaut von Art. 341 AEUV folgt, dass diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie die Bestimmung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union wie der ELA regelt.

74      Unter diesen Umständen liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Festlegung des Ortes des Sitzes dieser Agentur nicht bei den Mitgliedstaaten, sondern beim Unionsgesetzgeber, der zu diesem Zweck nach den Verfahren zu handeln hat, die in den sachlich einschlägigen Bestimmungen der Verträge vorgesehen sind, im vorliegenden Fall den Art. 46 und 48 AEUV, die die Anwendung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vorsehen.

75      Im Licht dieses Ergebnisses ist in einem zweiten Schritt über die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Entscheidung über die vorliegende Klage zu entscheiden.

 Zum Urheber des angefochtenen Beschlusses und zur Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 263 AEUV

–       Zum Urheber des angefochtenen Beschlusses

76      Es ist erstens zu prüfen, ob der angefochtene Beschluss, der am Rande einer Ratstagung von der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten gefasst wurde, Letzteren zuzurechnen ist.

77      Was den Inhalt des angefochtenen Beschlusses betrifft, so ergibt sich aus dessen Wortlaut, dass dieser Beschluss eine Handlung der Staats- und Regierungschefs von 27 Mitgliedstaaten darstellt, die am Rande einer Tagung des Rates am Ende eines zwischenstaatlichen Verfahrens angenommen wurde. Davon zeugt die ausdrückliche Bezugnahme im Titel und am Beginn der Präambel dieses Beschlusses auf die „Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten“.

78      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Beschluss ausdrücklich auf der Grundlage von Art. 341 AEUV erlassen wurde, da die Verfasser dieses Beschlusses der Ansicht waren, dass der Hinweis in dieser Vorschrift auf die „Organe“ weit auszulegen sei, d. h. dahin, dass er nicht nur die in Art. 13 Abs. 1 EUV konkret aufgeführten Organe, sondern auch die Einrichtungen und die sonstigen Stellen der Union erfasse.

79      Außerdem ist festzustellen, dass die Vorarbeiten zum angefochtenen Beschluss anlässlich von Sitzungen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten am Rande der Tagungen des AStV vom 13. März 2019 und vom 5. Juni 2019 durchgeführt wurden.

80      Was die Umstände im Zusammenhang mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses betrifft, so ist weder der Umstand, dass das auf zwischenstaatlicher Ebene durchgeführte Auswahlverfahren zur Bestimmung des Sitzes der ELA in den Räumlichkeiten des Rates und unter Unterstützung der Dienststellen des Generalsekretariats des Rates durchgeführt wurde, noch der Umstand, dass die im Rahmen dieses Auswahlverfahrens eingereichten Angebote von der Kommission bewertet wurden, noch der Umstand, dass der angefochtene Beschluss vom Vertreter des Mitgliedstaats unterzeichnet wurde, der zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses gemäß Art. 16 Abs. 9 EUV den Ratsvorsitz innehatte, im vorliegenden Fall vom rumänischen Justizminister, geeignet, die Schlussfolgerung zu entkräften, dass dieser Beschluss den Mitgliedstaaten und nicht dem Rat zuzurechnen ist.

81      Zum einen verleiht nämlich der Umstand, dass eine Handlung in den Räumlichkeiten oder mit Unterstützung eines Organs der Union angenommen wird, für sich genommen dem Gerichtshof keine Zuständigkeit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Handlung (vgl. entsprechend Urteil vom 22. März 1990, Le Pen, C‑201/89, EU:C:1990:133, Rn. 11 und 16). Zum anderen kann die Beteiligung von Unionsorganen an der Ausarbeitung eines Beschlusses der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, der am Rande einer Ratstagung gefasst wird, nicht die Rechtsnatur und den Urheber der sich daraus ergebenden Handlung bestimmen.

82      Somit kann der angefochtene Beschluss weder nach seinem Inhalt noch nach den Umständen, unter denen er erlassen wurde, als Handlung des Rates eingestuft werden. Dieser Beschluss stellt vielmehr eine Handlung dar, die von den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten gemeinsam und im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen wurde.

–       Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 263 AEUV

83      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, um die Zuständigkeit der Unionsgerichte für die Entscheidung über eine Klage gegen Handlungen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten auszuschließen, als maßgebliches Kriterium ausschließlich auf den Urheber der Handlungen abgestellt hat, unabhängig von ihren verbindlichen Rechtswirkungen (Beschluss vom 16. Juni 2021, Sharpston/Rat und Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, C‑685/20 P, EU:C:2021:485, Rn. 47).

84      Dem Vorbringen des Parlaments, wonach im vorliegenden Fall ein weiter Begriff der Urheber der Handlungen, auf die sich Art. 263 AEUV beziehe, d. h. der Organe, der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union, zugrunde zu legen sei, um den angefochtenen Beschluss als von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union im Sinne dieser Vorschrift erlassen anzusehen oder um zumindest die vorliegende Klage einer Klage gleichzustellen, die gegen einen Beschluss des Rates erhoben wird, kann somit nicht gefolgt werden, ohne den klaren Wortlaut dieser Vorschrift zu missachten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 16. Juni 2021, Sharpston/Rat und Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, C‑685/20 P, EU:C:2021:485, Rn. 48).

85      Eine solche Auslegung verstieße auch gegen den Willen der Verfasser der Verträge- den Art. 263 AEUV widerspiegelt, dessen Anwendungsbereich allein auf die von den Organen, den Einrichtungen und den sonstigen Stellen der Union vorgenommenen Handlungen nach dem Unionsrecht beschränkt ist –, Handlungen der Mitgliedstaaten der Kontrolle durch die Unionsgerichte zu entziehen.

86      Würde der Begriff der anfechtbaren Handlungen nach Art. 263 AEUV auf Handlungen der Mitgliedstaaten – auch solche im gegenseitigen Einvernehmen – ausgeweitet, liefe dies letztlich darauf hinaus, eine unmittelbare Kontrolle der Handlungen der Mitgliedstaaten durch den Unionsrichter zuzulassen und damit die Rechtsbehelfe zu umgehen, die speziell für den Fall einer Verletzung ihrer Verpflichtungen aus den Verträgen vorgesehen sind.

87      Diese Rechtsbehelfe beruhen nämlich auf einer Berücksichtigung der jeweiligen Rolle der Organe, der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union einerseits und der Mitgliedstaaten andererseits in der Unionsrechtsordnung. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach dem in Art. 13 Abs. 2 EUV enthaltenen Grundsatz jedes Organ, wie der Gerichtshof, nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse gemäß den Verfahren, den Bedingungen und den Zielen handelt, die in den Verträgen festgelegt sind.

88      Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss zwar als ein Rechtsakt anzusehen, der allein von den Mitgliedstaaten erlassen wurde und somit der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV entzogen ist, jedoch kann er nicht einem nach Art. 341 AEUV gefassten Beschluss gleichgestellt werden, da diese Vorschrift, wie sich aus den Erwägungen in den Rn. 43 bis 73 des vorliegenden Urteils ergibt, dahin auszulegen ist, dass sie sich ausschließlich auf die Bestimmung des Sitzes der in Art. 13 Abs. 1 EUV genannten Organe und nicht auf die Bestimmung des Sitzes der Einrichtungen und der sonstigen Stellen der Union bezieht.

89      Wie der Generalanwalt in Nr. 166 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fehlt es aber einem Beschluss wie dem angefochtenen Beschluss, der von den Mitgliedstaaten in einem Bereich erlassen wurde, in dem ihr Handeln nach den Verträgen nicht vorgesehen ist, im Unionsrecht an verbindlichen Rechtswirkungen. Der Umstand, dass ein oder mehrere Organe der Union im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass dieses Beschlusses führte, eine bestimmte Rolle spielte, lässt die Natur dieses Beschlusses, der außerhalb der Unionsrechtsordnung steht, unberührt (vgl. entsprechend Urteil vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB, C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 54).

90      In diesem Zusammenhang ist es Sache des Unionsgesetzgebers, aus Gründen sowohl der Rechtssicherheit als auch des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes nach den Verfahren, die in den sachlich einschlägigen Bestimmungen der Verträge vorgesehen sind, einen Rechtsakt der Union zu erlassen, mit dem der von den Mitgliedstaaten gefasste politische Beschluss bestätigt oder im Gegenteil von ihm abgewichen wird, wobei klarzustellen ist, dass allein dieser Rechtsakt des Unionsgesetzgebers im Rahmen des Unionsrechts verbindliche Rechtswirkungen erzeugen kann und dass in einem Kontext wie dem vorliegenden dieser Rechtsakt notwendigerweise jeder Maßnahme zur konkreten Durchführung der Ansiedlung des Sitzes der betreffenden Agentur vorausgehen muss.

91      Nach alledem stellt der angefochtene Beschluss keine Handlung des Rates, sondern eine von den Mitgliedstaaten gemeinsam vorgenommene Handlung politischer Natur ohne verbindliche Rechtswirkungen dar, so dass er nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV sein kann.

92      Folglich ist die vorliegende Klage als gegen eine Handlung gerichtet, für deren Rechtmäßigkeitskontrolle der Gerichtshof keine Zuständigkeit nach Art. 263 AEUV besitzt, abzuweisen.

 Kosten

93      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

94      Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Der Gerichtshof kann jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

95      Im vorliegenden Fall, der dadurch charakterisiert ist, dass die Umstände im Zusammenhang mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses durch eine unterschiedliche Praxis und unterschiedliche Auslegungen in Bezug auf die Frage der Zuständigkeit für Entscheidungen im Bereich der Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gekennzeichnet sind, erscheint es gerechtfertigt, zu entscheiden, dass jede der Hauptparteien, d. h. das Parlament und der Rat, ihre eigenen Kosten trägt.

96      Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen das Königreich Belgien, die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, Irland, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, die Slowakische Republik und die Republik Finnland ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten.

3.      Das Königreich Belgien, die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, Irland, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, die Slowakische Republik und die Republik Finnland tragen ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.