Language of document : ECLI:EU:C:2022:714

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

22. September 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Niederlassungsfreiheit – Beschränkungen – Glücksspiel – Konzessionen für den Betrieb von Spielen an Spielautomaten – Nationale Regelung, die den Konzessionären eine Abgabe auferlegt – Grundsatz des Vertrauensschutzes“

In den verbundenen Rechtssachen C‑475/20 bis C‑482/20

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidungen vom 31. August 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2020, in den Verfahren

Admiral Gaming Network Srl (C‑475/20),

Cirsa Italia SpA (C‑476/20),

Codere Network SpA (C‑477/20),

Gamenet SpA (C‑478/20),

NTS Network SpA (C‑479/20),

Sisal Entertainment SpA (C‑480/20),

Snaitech SpA, vormals Cogetech SpA (C‑481/20),

Snaitech SpA, vormals Snai SpA (C‑482/20),

gegen

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli,

Ministero dell’Economia e delle Finanze (C‑475/20, C‑477/20),

Presidenza del Consiglio dei Ministri (C‑475/20, C‑477/20, C‑481/20),

IGT Lottery SpA, vormals Lottomatica Holding Srl (C‑475/20),

Se. Ma. di Francesco Senese (C‑481/20),

Beteiligte:

Lottomatica Videolot Rete SpA (C‑475/20),

Coordinamento delle associazioni per la tutela dell’ambiente e dei diritti degli utenti e consumatori (Codacons) (C‑476/20, C‑478/20, C‑480/20, C‑482/20) u. a.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter J. Passer (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Admiral Gaming Network Srl und der Codere Network SpA, vertreten durch F. Cardarelli und F. Lattanzi, Avvocati,

–        der Cirsa Italia SpA und Gamenet SpA, vertreten durch C. Barreca und F. Tedeschini, Avvocati,

–        der NTS Network SpA, vertreten durch C. Barreca, F. Tedeschini und A. Tortora, Avvocati,

–        der Sisal Entertainment SpA und Snaitech SpA, vertreten durch A. Lauteri und L. Medugno, Avvocati,

–        der IGT Lottery SpA und Lottomatica Videolot Rete SpA, vertreten durch S. Fidanzia und A. Gigliola, Avvocati,

–        der Coordinamento delle associazioni per la tutela dell’ambiente e dei diritti degli utenti e consumatori (Codacons), vertreten durch M. Servino, Avvocata,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. G. Marrone und G. Palatiello, Avvocati dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Armati und L. Malferrari als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2022

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 49 und 56 AEUV sowie des Grundsatzes des Vertrauensschutzes.

2        Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Admiral Gaming Network Srl (Rechtssache C‑475/20), der Cirsa Italia SpA (Rechtssache C‑476/20), der Codere Network SpA (Rechtssache C‑477/20), der Gamenet SpA (Rechtssache C‑478/20), der NTS Network SpA (Rechtssache C‑479/20), der Sisal Entertainment SpA (Rechtssache C‑480/20) und der Snaitech SpA, vormals Cogetech SpA und Snai SpA (Rechtssachen C‑481/20 und C‑482/20), im Glücksspielsektor tätigen Gesellschaften, auf der einen Seite und der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli (Agentur für Zölle und Monopole, Italien) (im Folgenden: ADM) sowie anderen italienischen Behörden auf der anderen Seite über die Kürzung der Provisionen, die den Wirtschaftsteilnehmern zustehen, die die organisierte Tätigkeit der Annahme von Wetten über Spielautomaten ausüben.

 Rechtlicher Rahmen

3        Die Art. 1 bis 3 des Decreto legislativo n. 496 – Disciplina delle attività di giuoco (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 496 über die Regelung der Spieltätigkeiten) vom 14. April 1948 (GURI Nr. 118 vom 22. Mai 1948) bestimmen:

„1.      Die Veranstaltung und der Betrieb von Geschicklichkeitsspielen und Prognosewettbewerben, für die eine Belohnung jedweder Art geleistet wird und die die Zahlung eines geldwerten Einsatzes für die Teilnahme voraussetzen, sind dem Staat vorbehalten.

2.      Die Organisation und Ausübung der im vorstehenden Artikel genannten Tätigkeiten obliegt dem Finanzministerium, das deren Verwaltung unmittelbar oder über natürliche oder juristische Personen wahrnehmen kann, die angemessene Garantien für ihre Eignung dafür bieten. Im zweiten Fall werden die Höhe der den Betreibern zustehenden Vergütung und die anderen Modalitäten der Verwaltung in besonderen Vereinbarungen festgelegt.

3.      Die Einkünfte aus der Ausübung der in den vorstehenden Artikeln genannten Tätigkeiten sind auf einen zweckgebundenen Einnahmeposten des Finanzministeriums einzuzahlen.“

4        Die Italienische Republik übertrug der ADM die Verwaltung des Glücksspielsektors gemäß Art. 8 des Decreto-legge n. 282 – Diposizioni urgenti in materia di adempimenti comunitari e fiscali, di riscossione e di procedure di contabilità (Gesetzesdekret Nr. 282 über Dringlichkeitsbestimmungen auf dem Gebiet der gemeinschafts- und steuerrechtlichen Verpflichtungen, der Erhebung und der Buchungsverfahren) vom 24. Dezember 2002 (GURI Nr. 301 vom 24. Dezember 2002).

5        Art. 110 Abs. 6 des regio decreto n. 773 – Approvazione del testo unico delle leggi di pubblica sicurezza (Königliches Dekret Nr. 773 über die Annahme der kodifizierten Fassung der Gesetze über die öffentliche Sicherheit) vom 18. Juni 1931 (GURI Nr. 146 vom 26. Juni 1931) in der auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: Königliches Dekret Nr. 773 vom 18. Juni 1931) bestimmt:

„Als legale Spielautomaten gelten:

a)      Automaten, die über eine vom Ministerium für Wirtschaft und Finanzen … ausgestellte Bescheinigung über die Einhaltung der geltenden Bestimmungen verfügen, zwingend an das Telematiknetz im Sinne von Art. 14bis Abs. 4 des Dekrets Nr. 640 des Präsidenten der Republik vom 26. Oktober 1972 … angeschlossen sind, mit der Einführung von Münzgeld oder besonderen elektronischen Zahlungsinstrumenten … aktiviert werden, bei denen neben dem Zufallselement auch die Geschicklichkeit eine Rolle spielt …, bei denen die Spielkosten nicht mehr als 1 Euro betragen, die Mindestspieldauer vier Sekunden beträgt und Geldgewinne in bar im Wert von jeweils nicht mehr als 100 Euro ausgespielt werden, die vom Automaten ausgezahlt werden. Die Gewinne, die vom Automaten auf nicht im Voraus festgelegte Weise über einen Gesamtzyklus von höchstens 140 000 Spielen errechnet werden, dürfen 75 % der Spielbeträge nicht unterschreiten. Auf jeden Fall können diese Automaten das Pokerspiel oder seine Grundregeln nicht nachbilden;

b)      Automaten, die Teil des Telematiknetzes im Sinne von Art. 14bis Abs. 4 des Dekrets Nr. 640 des Präsidenten der Republik vom 26. Oktober 1972 … sind und ausschließlich aktiviert werden, wenn sie mit einem Netzbearbeitungssystem verbunden sind. Für diese Automaten legen die Verordnungen des Ministers für Wirtschaft und Finanzen… Folgendes fest:

1.      die Kosten und die Zahlungsmodalitäten für jede Partie;

2.      den Mindestprozentsatz der Einnahmen, der für Gewinne verwendet werden muss;

3.      den Höchstbetrag und die Modalitäten der Gewinnausschüttung;

4.      die Unveränderlichkeits- und Sicherheitsspezifikationen, die sich auch auf das Datenverarbeitungssystem beziehen, mit dem diese Automaten verbunden sind;

5.      die auf den Automaten einzurichtenden Lösungen zur Teilhabe des Spielers;

6.      die Arten und Merkmale der öffentlichen Einrichtungen und anderer zur Annahme von Spielen zugelassenen Stellen, in denen die in dieser Ziffer genannten Automaten aufgestellt werden dürfen.“

6        Art. 14bis Abs. 4 des Decreto del Presidente della Repubblica, n. 640 – Imposta sugli spettacoli (Dekret Nr. 640 des Präsidenten der Republik über die Veranstaltungssteuer) vom 26. Oktober 1972 (GURI Nr. 292 vom 11. November 1972, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 2) bestimmt, dass diese Automaten beim Betrieb zwingend an ein zu diesem Zweck eingerichtetes Telematiknetz der Verwaltung angeschlossen sein müssen und dass „ein Konzessionär oder mehrere Konzessionäre [dieses Netzes] spätestens bis zum 30. Juni 2004 durch ein öffentliches Vergabeverfahren und unter Einhaltung der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften ausgewählt werden muss bzw. müssen“, wobei jeder Konzessionär das Netzwerk und die Automaten, für die er verantwortlich ist und die an dieses Netzwerk angeschlossen sind, gegen eine Provision betreibt.

7        Gemäß dieser Bestimmung wurde ein Verfahren zur Auswahl von Konzessionären im Wege einer Ausschreibung (GURI Nr. 95, serie speciale Nr. 5 vom 12. August 2011, S. 40) durchgeführt, deren Punkt II 1.5 in Bezug auf die Provision des Konzessionärs bestimmt:

„… Die Konzessionsvergabe bringt die Verpflichtung des Konzessionärs mit sich, der Staatskasse und der autonomen staatlichen Monopolverwaltung die für die einmalige Abgabe an die Staatskasse, die Konzessionsgebühr und die Hinterlegung der Kaution als Prozentsatz der entgegengenommenen Einsätze vorgesehenen Beträge zur Verfügung zu stellen. Der Konzessionär hat Anspruch auf eine Provision in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag, der aus der Annahme der Einsätze erzielt wird, und den genannten Beträgen und den auszuschüttenden Gewinnen, berechnet auf der Grundlage der in der geltenden Regelung vorgesehenen Mindestgrenzen, sowie dem Anteil, der den mit der Annahme der Einsätze betrauten Dritten zusteht.“

8        Art. 14 des Legge n. 23 – Delega al Governo recante disposizioni per un sistema fiscale più equo, trasparente e orientato alla crescita“ (Gesetz Nr. 23 zur Übertragung von Befugnissen an die Regierung mit Bestimmungen für ein gerechteres, transparenteres und wachstumsorientiertes Steuersystem) vom 11. März 2014 (GURI Nr. 59 vom 12. März 2014, im Folgenden: Ermächtigungsgesetz) sieht vor:

„(1)      Die Regierung wird ermächtigt, durch die in Art. 1 genannten Gesetzesdekrete die geltenden Bestimmungen für öffentliche Glücksspiele neu zu ordnen, indem sie alle geltenden Vorschriften in einem Kodex der Glücksspielbestimmungen unbeschadet des auf dem Konzessions- und Genehmigungssystem beruhenden Organisationsmodells zusammenfasst, weil er zum Schutz des berechtigten Vertrauens, zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zum Ausgleich zwischen den fiskalischen Interessen des Staates und den lokalen Interessen sowie den allgemeinen Interessen der öffentlichen Gesundheit, zur Verhinderung der Geldwäsche von Erträgen aus kriminellen Tätigkeiten sowie zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Abführung der auf Glücksspiele erhobenen Steuern unerlässlich ist.

(2)      Die in Abs. 1 genannte Neuordnung erfolgt unter Beachtung der folgenden Grundsätze und Leitlinien:

g)      Überprüfung der den Konzessionären und anderen Betreibern zustehenden Vergütungen und Provisionen nach dem Kriterium der Progression in Abhängigkeit vom Volumen der entgegengenommenen Spieleinsätze;

…“

9        Art. 1 Abs. 649 der Legge n. 190 – Diposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2015) (Gesetz Nr. 190 – Bestimmungen zur Bildung des jährlichen und mehrjährigen Haushalts des Staates [Stabilitätsgesetz 2015]) vom 23. Dezember 2014 (Supplemento ordinario Nr. 99 zur GURI Nr. 300 vom 29. Dezember 2014) (im Folgenden: Stabilitätsgesetz 2015) schreibt eine jährliche Abgabe von 500 Mio. Euro auf die staatlichen Mittel vor, die Konzessionären und anderen Betreibern, die für Rechnung des Staates Spiele durchführen und Einsätze entgegennehmen, als Provision zur Verfügung gestellt werden. Diese Vorschrift lautet:

„Zum Zweck der Beteiligung an der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und im Vorgriff auf eine umfassende Neuordnung der Vergütungen und Provisionen, die den Konzessionären und den anderen Wirtschaftsteilnehmern der Branche im Rahmen des Netzwerks für die Annahme von Spieleinsätzen für Rechnung des Staates gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. g des Gesetzes Nr. 23 vom 11. März 2014 zustehen, werden die staatlichen Mittel, die den Konzessionären und den Personen, die entsprechend ihrer jeweiligen Befugnisse im Bereich der Verwaltung der Spiele und der Annahme der Einsätze mittels der in Art. 110 Abs. 6 des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 genannten Automaten tätig sind, als Provision zur Verfügung gestellt werden, ab dem Jahr 2015 um einen Betrag von 500 Mio. Euro pro Jahr gekürzt. Daher gilt ab dem 1. Januar 2015:

a)      Der Gesamtbetrag der mittels der oben genannten Automaten entgegengenommenen Einsätze abzüglich der ausgezahlten Gewinne wird von den Wirtschaftsteilnehmern der Branche an die Konzessionäre gezahlt. Die Konzessionäre teilen der [ADM] die Namen der Wirtschaftsteilnehmer der Branche mit, die diese Zahlung nicht leisten, auch im Hinblick auf eine mögliche Anzeige bei der zuständigen Justizbehörde.

b)      Die Konzessionäre werden im Rahmen der Ausübung der ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben zusätzlich zu den üblichen Zahlungen an den Staat in Form von Steuern und anderen Abgaben, die sie nach geltendem Recht und auf der Grundlage der Konzessionsvereinbarungen schulden, jährlich zwischen April und Oktober eines jeden Jahres einen Betrag von 500 Mio. Euro zahlen, und zwar jeweils proportional zur Zahl der Automaten, die ihnen am 31. Dezember 2014 zugeordnet waren. Die Zahl der in Art. 110 Abs. 6 Buchst. a und b des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 genannten Automaten, die dem jeweiligen Konzessionär zugeordnet werden, sowie die Modalitäten, nach denen die Zahlung erfolgt, werden durch eine Entscheidung des Direktors der [ADM] festgelegt, die nach Prüfung der Daten spätestens bis zum 15. Januar 2015 erlassen wird. Mit einer entsprechenden Entscheidung wird die Zahl der Automaten, die gemäß dem Vorstehenden festgelegt worden ist, ab 2016 nach regelmäßiger Überprüfung gegebenenfalls geändert.

c)      Die Konzessionäre teilen im Rahmen der Ausübung der ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben die verbleibenden Beträge, die für ihre Vergütungen und Provisionen zur Verfügung stehen, unter den anderen Wirtschaftsteilnehmern der Branche auf, indem sie die entsprechenden Verträge neu aushandeln und die geschuldeten Vergütungen und Provisionen ausschließlich im Hinblick auf den Abschluss der neu ausgehandelten Verträge zahlen.“

10      Mit dem Decreto n. 388, prot. n. 4076/RU, del Direttore dell’Agenzia delle dogane e dei monopoli (Dekret Nr. 388, prot. N. 4076/RU des Direktors der ADM) vom 15. Januar 2015 wurde die Zahl der Automaten, die am 31. Dezember 2014 dem jeweiligen Konzessionär zugeordnet waren, festgestellt, und die daraufhin geschuldeten Beträge wurden unter Aufteilung der Abgabepflicht entsprechend der Zahl der dem jeweiligen Konzessionär zugeordneten Automaten entrichtet. Nach Art. 3 dieser Verordnung musste jeder Konzessionär 40 % seines Anteils vor dem 30. April 2015 und 60 % vor dem 31. Oktober 2015 zahlen.

11      Art. 1 Abs. 920 und 921 der Legge n. 208 – Diposizioni per la formazione del bilancio annuale et pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2016) (Gesetz Nr. 208 – Bestimmungen zur Bildung des jährlichen und mehrjährigen Haushalts des Staates [Stabilitätsgesetz 2016]) vom 28. Dezember 2015 (GURI Nr. 302 vom 30. Dezember 2015, Supplemento ordinario zur GURI Nr. 70) (im Folgenden: Stabilitätsgesetz 2016) hat durch die Aufhebung von Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 den Anwendungsbereich dieser Bestimmung und damit die Abgabe auf das Jahr 2015 beschränkt (im Folgenden: Abgabe von 2015). Diese Vorschrift lautet:

„(920)      Art. 1 Abs. 649 des [Stabilitätsgesetzes 2015] wird aufgehoben.

(921)      Art. 1 Abs. 649 des [Stabilitätsgesetzes 2015] ist dahin auszulegen, dass sich die jährliche Kürzung der staatlichen Mittel, die den Konzessionären und den Personen, die sich aufgrund ihrer jeweiligen Befugnisse mittels der in Art. 110 Abs. 6 des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 genannten Automaten mit der Verwaltung von Glücksspielen und der Annahme von Spieleinsätzen befassen, als Provision zur Verfügung gestellt werden, für jeden Wirtschaftsteilnehmer der Branche im Verhältnis zu dem Anteil bemisst, mit dem er an der ausgezahlten Provision auf der Grundlage der entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen unter Berücksichtigung ihrer Laufzeit im Jahr 2015 beteiligt ist.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12      Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren sind Gesellschaften, die im Glückspielsektor mittels legaler Spielautomaten im Sinne von Art. 110 Abs. 6 des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 tätig sind. Sie wurden nach Abschluss des in Rn. 7 des vorliegenden Urteils genannten Auswahlverfahrens als Konzessionäre des Netzwerks für die Annahme von Einsätzen für Rechnung des Staates ausgewählt. Jede von ihnen erhob beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets Nr. 388 vom 15. Januar 2015 mit der Begründung, dass es ihre Gewinnspanne erheblich reduziere und rechtswidrig sei, da die mit ihm umgesetzten Bestimmungen gegen das Unionsrecht oder die italienische Verfassung verstießen.

13      Das Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) befasste die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) mit einer Frage zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015, mit dem die jährliche Abgabe eingeführt wurde. Die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) verwies diese Frage mit Urteil Nr. 125 vom 8. Mai 2018 wegen der während des Verfahrens durch Art. 1 Abs. 920 und 921 des Stabilitätsgesetzes 2016 erfolgten Gesetzesänderung an das Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) zurück.

14      Angesichts dieser Gesetzesänderung waren die Zweifel des Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung und ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ausgeräumt, und es wies die Klagen der Ausgangsverfahren als unbegründet ab.

15      Hiergegen legten die Klägerinnen der Ausgangsverfahren ein Rechtsmittel beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) ein.

16      Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht.

17      Erstens habe die durch Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 eingeführte und durch Art. 1 Abs. 920 und 921 des Stabilitätsgesetzes 2016 aufgehobene und ausgelegte Maßnahme dazu geführt, dass den Klägerinnen der Ausgangsverfahren eine wirtschaftliche Abgabe auferlegt wurde. Es handle sich um eine Beschränkung der durch die Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten. Die Abgabe von 2015 sei in dem Sinne rückwirkend gewesen, dass sie 2015 auferlegt worden sei und die im Jahr 2014 erzielten Einkünfte betroffen habe.

18      Das vorlegende Gericht bezweifelt, dass die Abgabe von 2015 als von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses geleitet angesehen werden könne. Ihr Erlass scheine nämlich ausschließlich mit der wirtschaftlichen Notwendigkeit begründet worden zu sein, die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen, wie sich aus Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 ergebe, wonach diese Abgabe die „Beteiligung an der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen“ zum Ziel gehabt habe.

19      Zweitens scheine die Abgabe von 2015 unter Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes erlassen worden zu sein. Diese Maßnahme habe sich auf die bestehenden Konzessionsbeziehungen ausgewirkt. Sie habe die wirtschaftlichen Bedingungen erheblich verschlechtert und sei für einen umsichtigen und aufmerksamen Unternehmer unvorhersehbar gewesen.

20      Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Einführung einer Regelung wie der in Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015, mit der Provisionen und Vergütungen nur gegenüber einer begrenzten und bestimmten Kategorie von Wirtschaftsteilnehmern, nämlich nur gegenüber Glücksspielbetreibern, die Spielautomaten betreiben, und nicht gegenüber allen Betreibern des Glücksspielsektors, gekürzt werden, mit der Ausübung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und mit der Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 AEUV vereinbar?

2.      Ist die Einführung einer Regelung wie der zuvor genannten in Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015, mit der allein aus wirtschaftlichen Gründen die in einer Konzessionsvereinbarung zwischen einem Unternehmen und einer Verwaltung des Italienischen Staates vereinbarte Provision während ihrer Laufzeit gekürzt wurde, mit dem unionsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

21      Mit Ersuchen um Klarstellung vom 16. November 2020 hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht aufgefordert, seinen Standpunkt zu bestimmten Gesichtspunkten zu erläutern, die für die Zulässigkeit seiner Vorabentscheidungsersuchen maßgeblich sein können.

22      Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2020 hat das vorlegende Gericht auf diese Aufforderung geantwortet und im Wesentlichen zunächst ausgeführt, dass den Klägerinnen der Ausgangsverfahren die in Rede stehenden Konzessionen im Rahmen eines allen Unternehmen der Union offenstehenden Vergabeverfahrens erteilt worden seien. Sodann seien zwar alle Klägerinnen der Ausgangsverfahren italienische Gesellschaften, doch würden vier von ihnen vollständig von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten kontrolliert. Zumindest ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats sei mit der Annahme von Spieleinsätzen über eine in Italien gelegene feste Niederlassung betraut. Schließlich habe der Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes durch die Abgabe von 2015 zu einer umgekehrten Diskriminierung der Konzessionäre, die diese Abgabe treffe, zugunsten aller Betreiber vergleichbarer Online-Spiele geführt, darunter zahlreiche Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten der Union. Diese Abgabe wirke sich somit mittelbar oder sogar unmittelbar auf das finanzielle Ergebnis von Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten aus, die auf dem italienischen Spielemarkt tätig seien.

23      Mit Entscheidung vom 26. Januar 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

24      In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission Zweifel an der Sachdienlichkeit der Vorlagefragen für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten im Anschluss an die Aufhebung des Stabilitätsgesetzes 2015 geäußert.

25      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betrifft die vorgelegte Frage die Auslegung des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er darf die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 60 und 61 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Im vorliegenden Fall ist aber festzustellen, dass der in den Vorlagefragen genannte Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 – obwohl er 2016 aufgehoben wurde und deshalb nur für 2015 anwendbar ist – die Grundlage für die Abgabe von 2015 bildet, wenn auch in seiner durch Art. 1 Abs. 920 und 921 des Stabilitätsgesetzes 2016 rückwirkend ausgelegten Fassung. Zudem könnte die etwaige Feststellung, dass diese Bestimmung gegen die durch die Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten verstoßen hat, dazu führen, dass das vorlegende Gericht die Rechtswidrigkeit dieser Abgabe feststellt. Demnach ist nicht ersichtlich, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stünde oder dass das Problem hypothetischer Natur wäre.

27      Die italienische Regierung hat die Zulässigkeit der ersten Vorlagefrage in Frage gestellt und geltend gemacht, das vorlegende Gericht habe unter Verstoß gegen Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs weder dargelegt, aus welchen Gründen die Kürzung von Provisionen und Vergütungen gegen die Art. 49 und 56 AEUV verstoßen könnte, weil sie nur gegenüber den Betreibern von Spielautomaten und nicht gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern des Glücksspielsektors in Italien vorgenommen worden sei, noch insoweit eine vergleichende Bewertung dieser verschiedenen Kategorien von Betreibern vorgelegt, die eine Beurteilung der so geltend gemachten Ungleichbehandlung ermögliche.

28      Es ist darauf hinzuweisen, dass das Vorabentscheidungsersuchen, wie sich aus Art. 94 Buchst. a und c der Verfahrensordnung ergibt, u. a. „eine kurze Darstellung des Streitgegenstands und des maßgeblichen Sachverhalts, wie er vom vorlegenden Gericht festgestellt worden ist, oder zumindest eine Darstellung der tatsächlichen Umstände, auf denen die Fragen beruhen“, sowie „eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt“, enthalten muss.

29      In Anbetracht der Zusammenarbeit, die das Verhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens kennzeichnet, führt das Fehlen bestimmter vorheriger Feststellungen durch das vorlegende Gericht jedoch nicht zwingend zur Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens oder einer der in diesem enthaltenen Fragen, sofern sich der Gerichtshof trotz dieser Unzulänglichkeiten in der Lage sieht, dem vorlegenden Gericht anhand der in der Akte enthaltenen Angaben eine sachdienliche Antwort zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, Elme Messer Metalurgs, C‑743/18, EU:C:2020:767, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im vorliegenden Fall wäre es zwar wünschenswert gewesen, dass das vorlegende Gericht die Gründe ausführlicher darlegt, aus denen es zu der Auffassung gelangt ist, dass die Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich seine erste Frage bezieht, im vorliegenden Fall möglicherweise verletzt wurden, doch ergibt sich aus den Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen, dass nur die Inhaber von Konzessionen für den Betrieb von Spielautomaten und deren nachgeschaltete Vertragspartner und nicht die anderen Akteure des Glückspielsektors, wie Online-Spielebetreiber, von der Abgabe von 2015 betroffen sind. Daher stehen weder das Fehlen einer genauen Bestimmung und Beschreibung der verschiedenen anderen Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern des Glückspielsektors durch das vorlegende Gericht noch das Fehlen ausführlicherer Erläuterungen dieses Gerichts zu der Frage, inwieweit eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Abgabe bei der Klärung der Frage, ob im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Art. 49 und 56 AEUV festzustellen ist, eine Rolle spielen kann, weder einem hinreichenden Verständnis des Kontexts, in dem die Fragen des vorlegenden Gerichts stehen, und der Verbindungen, die zwischen den genannten Bestimmungen des Unionsrechts und der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung bestehen können, noch dem Umstand entgegen, dass der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht bestimmte Mindesthinweise gibt, die es bei der Anwendung der genannten Bestimmungen im Zusammenhang mit dem jeweils anhängigen Ausgangsverfahren gegebenenfalls leiten könnten.

31      Folglich sind die Vorlagefragen des Consiglio di Stato (Staatsrat) zulässig.

 Zur Beantwortung der Fragen

 Zur ersten Frage

32      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 56 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der in Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 enthaltenen entgegenstehen, die aus Gründen, die ausschließlich mit der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen zusammenhängen, eine Abgabe vorschreibt, die dazu führt, dass die Vergütung einer begrenzten Kategorie von Wirtschaftsteilnehmern des Glücksspielsektors, nämlich der Konzessionäre, die mit dem Betrieb von Spielautomaten betraut sind, gekürzt wird.

33      Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und/oder der Dienstleistungsfreiheit alle Maßnahmen zu verstehen sind, die die Ausübung der von den Art. 49 und 56 AEUV garantierten Freiheiten untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Global Starnet, C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass die Italienische Republik mit Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 den Konzessionären des Sektors der am Spielautomaten durchgeführten Spiele im Jahr 2015 durch die Abgabe von 2015 eine Kürzung der ihnen gemäß den Konzessionsvereinbarungen zur Verfügung gestellten Provision von insgesamt 500 Mio. Euro vorschrieb, wobei die Kürzung unter ihnen entsprechend der Zahl der von jedem einzelnen am 31. Dezember 2014 kontrollierten Automaten und anschließend von jedem Konzessionär zwischen ihm und seinen eigenen nachgeordneten Vertragspartnern im Verhältnis zur jeweiligen Beteiligung an der Auszahlung der Provision aufgeteilt wurde.

35      Im Übrigen ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen in Rn. 22 des vorliegenden Urteils, dass zu den von der Abgabe von 2015 betroffenen Konzessionären italienische Gesellschaften gehören, die von Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten kontrolliert werden.

36      Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsstaats für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, ist gemäß Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Daher unterfällt der Sachverhalt, dass eine Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gründet, u. a. der Niederlassungsfreiheit. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung auch, wenn eine solche Gesellschaft oder ein Angehöriger eines Mitgliedstaats eine Beteiligung am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft erwirbt, die es ihr oder ihm ermöglicht, einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (Urteil vom 21. Dezember 2016, AGET Iraklis, C‑201/15, EU:C:2016:972, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Da aber der Gerichtshof anhand der ihm vorliegenden Angaben nicht mit hinreichender Genauigkeit feststellen kann, inwieweit auch Art. 56 AEUV von den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situationen betroffen sein könnte, ist im vorliegenden Fall einer Prüfung der vom vorlegenden Gericht formulierten Fragen allein anhand von Art. 49 AEUV der Vorzug zu geben.

39      Die italienische Regierung bestreitet, dass die Abgabe von 2015 eine Beschränkung der durch diese Bestimmung garantierten Freiheit habe darstellen können, da sie zu gering gewesen sei, um eine solche Wirkung zu entfalten.

40      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nach dem AEU-Vertrag auch eine geringfügige oder wenig bedeutende Beschränkung einer Grundfreiheit grundsätzlich untersagt ist (Urteil vom 3. Dezember 2014, De Clercq u. a., C‑315/13, EU:C:2014:2408, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Allerdings hat die Abgabe von 2015 den Charakter einer steuerlichen Maßnahme, wie die italienische Regierung u. a. in ihren Erklärungen hervorgehoben hat und aus dem Ausdruck „auf Glücksspiele erhobenen Steuern“ in Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 23 vom 11. März 2014 hervorgeht.

42      Insoweit ist vorab daran zu erinnern, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass nach ständiger Rechtsprechung diese ihre Befugnisse jedoch unter Wahrung des Unionsrechts, insbesondere der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten, ausüben müssen (Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 34).

43      Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang jedoch festgestellt, dass die Nachteile, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine Beschränkungen der Verkehrsfreiheiten darstellen, sofern eine solche Ausübung nicht diskriminierend ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Mai 2016, NN [L] International, C‑48/15, EU:C:2016:356, Rn. 47, und vom 9. September 2021, Real Vida Seguros, C‑449/20, EU:C:2021:721, Rn. 38). So hat der Gerichtshof u. a. klargestellt, dass Art. 56 AEUV solche Maßnahmen nicht erfasst, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie ihre Erbringung innerhalb eines Mitgliedstaats berühren (Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ebenso wenig erfasst Art. 49 AEUV Maßnahmen, deren einzige Wirkung darin besteht, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die diese in ähnlicher Weise berühren, je nachdem, ob es sich um eine rein interne Leistung handelt oder ob sie von einem Wirtschaftsteilnehmer erbracht wird, der von einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen kontrolliert wird.

44      Aus den dem Gerichtshof in den vorliegenden Rechtssachen vorgelegten Unterlagen geht jedoch nicht hervor, dass – was jedoch vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist – die Abgabe von 2015 zu einer Diskriminierung der Konzessionäre des Sektors der am Spielautomaten durchgeführten Spiele geführt hätte, indem sie grenzüberschreitende Sachverhalte ungünstiger behandelt hätte als interne Sachverhalte, und im Übrigen auch nicht, inwieweit diese Abgabe unter der Annahme, dass solche Diskriminierungen nach nationalem Recht verboten sind, zu einer umgekehrten Diskriminierung geführt hätte, indem interne Sachverhalte weniger günstig behandelt werden als grenzüberschreitende Sachverhalte.

45      Nicht klar ersichtlich ist auch – was wiederum vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist –, dass diese Abgabe dazu geführt haben könnte, dass eine rentable Nutzung der Spielautomaten durch die bestehenden Konzessionäre verhindert wird, indem dadurch andere Spielsektoren, insbesondere der Online-Spielsektor, bevorzugt werden, und auch nicht, inwiefern in einem solchen Fall grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber internen Sachverhalten diskriminiert worden wären (vgl. insoweit Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 39 bis 41).

46      In diesem Zusammenhang ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob die Italienische Republik durch die Abgabe von 2015, die den Betreibern von Spielautomaten auferlegt wurde, sei es im Sektor der am Spielautomaten durchgeführten Spiele oder zwischen diesem Sektor und den anderen Spielsektoren, eine diskriminierende Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte im Vergleich zu internen Sachverhalten im Hinblick auf die durch Art. 49 AEUV garantierte Freiheit hervorgerufen hat.

47      Nur in dem Fall, dass eine Beschränkung dieser Freiheit festgestellt wird, stellt sich die Frage, ob diese Beschränkung gerechtfertigt ist.

48      Was eine solche Rechtfertigung angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung dieses Bereichs durch die Union verfügen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des ihnen am geeignetsten erscheinenden Niveaus des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung über ein weites Ermessen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Global Starnet, C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Es steht den Mitgliedstaaten daher frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen. Die von ihnen vorgesehenen Beschränkungen müssen jedoch den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen – insbesondere an ihre Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und ihre Verhältnismäßigkeit – genügen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Global Starnet, C‑322/16, EU:C:2017:985, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Sofern Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten diesem Erfordernis genügen, können sie somit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein (Urteil vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Im vorliegenden Fall wird die Italienische Regierung durch Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 23 vom 11. März 2014 ermächtigt, „die geltenden Bestimmungen für öffentliche Glücksspiele neu zu ordnen, indem sie alle geltenden Vorschriften in einem Kodex der Glücksspielbestimmungen unbeschadet des auf dem Konzessions- und Genehmigungssystem beruhenden Organisationsmodells zusammenfasst, weil er zum Schutz des berechtigten Vertrauens, zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zum Ausgleich zwischen den Interessen des Staates und den lokalen Interessen sowie den allgemeinen Interessen der öffentlichen Gesundheit, zur Verhinderung der Geldwäsche von Erträgen aus kriminellen Tätigkeiten sowie zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Abführung der auf Glücksspiele erhobenen Steuern unerlässlich ist“.

51      Nach Art. 14 Abs. 2 dieses Gesetzes war diese Neuorganisation unter Beachtung bestimmter Grundsätze und Leitlinien vorzunehmen, die nach Buchst. g dieser Bestimmung u. a. in der „Überprüfung der den Konzessionären und anderen Betreibern zustehenden Vergütungen und Provisionen nach dem Kriterium der Progression in Abhängigkeit vom Volumen der entgegengenommenen Spieleinsätze“ bestehen.

52      In Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 heißt es jedoch, dass der von den Konzessionären als Abgabe von 2015 erhobene Beitrag „zum Zweck der Beteiligung am Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und im Vorgriff auf eine umfassende Neuordnung der Vergütungen und Provisionen, die den Konzessionären und den anderen Wirtschaftsteilnehmern der Branche im Rahmen des Netzwerks für die Annahme von Spieleinsätzen für Rechnung des Staates gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. g des Gesetzes Nr. 23 vom 11. März 2014 zustehen“, erfolgt.

53      Aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 scheint sich somit zu ergeben, dass die Abgabe von 2015 eingeführt wurde, ohne dass der italienische Gesetzgeber auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz und die Verhinderung von Betrug und Spielsucht Bezug nimmt, und diese Bestimmung ausschließlich das Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen verfolgt.

54      Zwar steht der Umstand, dass eine Beschränkung von Glücksspieltätigkeiten als Nebenfolge auch dem Haushalt des betreffenden Mitgliedstaats zugutekommt, einer Rechtfertigung dieser Beschränkung nicht entgegen, soweit damit wirklich Ziele verfolgt werden, die sich auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses beziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Oktober 1999, Zenatti, C‑67/98, EU:C:1999:514, Rn. 36, und vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C‑243/01, EU:C:2003:597, Rn. 62), was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist, hingegen kann das Ziel, die Einnahmen der Staatskasse zu maximieren, für sich allein eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen (Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Sofern eine Beschränkung der durch Art. 49 AEUV garantierten Freiheit durch die Erhebung der Abgabe von 2015 vorliegt, ist eine Rechtfertigung folglich nicht ersichtlich.

56      Die italienische Regierung hat jedoch insbesondere in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass mit der Abgabe von 2015 durch die damit einhergehende Kürzung der Einnahmen der Betreiber auch das Ziel verfolgt worden sei, die Infiltration des vergleichsweise besonders lukrativen Sektors der am Spielautomaten durchgeführten Glücksspiele durch kriminelle Organisationen zu verhindern. Angesichts des kontinuierlichen Wachstums dieses Spielsektors und bestimmter Merkmale dieses Sektors habe diese Abgabe auch zum Ziel gehabt, die Gesundheit der Spieler vor den mit dem Glücksspiel verbundenen Auswirkungen zu schützen.

57      Sofern das vorlegende Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung feststellen sollte, dass die Abgabe von 2015 ungeachtet des in Rn. 52 des vorliegenden Urteils angeführten Wortlauts von Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 tatsächlich in erster Linie zwingende Ziele des Allgemeininteresses verfolgte, wäre es dann seine Aufgabe, festzustellen, ob die mit dieser Abgabe auferlegte Beschränkung den Anforderungen genügte, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit ergeben, d. h., ob sie geeignet ist, die Erreichung der verfolgten Ziele zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. In diesem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Unter diesen Umständen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er, sofern feststeht, dass eine nationale Regelung, mit der eine Abgabe vorgeschrieben wird, die eine Kürzung der Vergütung der Konzessionäre, die mit dem Betrieb von Spielautomaten betraut sind, bewirkt, eine Beschränkung der durch diese Bestimmung des AEU-Vertrags garantierten Freiheit mit sich bringt, einer Rechtfertigung einer solchen Beschränkung anhand von Zielen, die ausschließlich auf Erwägungen im Zusammenhang mit der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen beruhen, entgegensteht.

 Zur zweiten Frage

59      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 enthaltenen entgegensteht, mit der während der Laufzeit einer Konzessionsvereinbarung zwischen einer Gesellschaft und der Verwaltung des betreffenden Mitgliedstaats die in dieser Vereinbarung vorgesehene Provision gekürzt wird.

60      Vorab ist zur Anwendbarkeit dieses Grundsatzes darauf hinzuweisen, dass, wenn sich ein Mitgliedstaat auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses beruft, um eine Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer durch den AEU-Vertrag garantierten Freiheit zu behindern, diese Rechtfertigung auch im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und insbesondere des allgemeinen Grundsatzes des Vertrauensschutzes auszulegen ist. Die vorgesehenen Ausnahmen können daher für die betreffende nationale Regelung nur dann gelten, wenn sie im Einklang mit diesem Grundsatz steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 74 und 75 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

61      Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Abgabe von 2015 eine Beschränkung der in Art. 49 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit hervorruft und infolgedessen ihre Verhältnismäßigkeit im Einklang mit der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung prüfen, wird es in diesem Zusammenhang auch die sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergebenden Erfordernisse zu berücksichtigen haben.

62      Nach ständiger Rechtsprechung steht die Möglichkeit, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berufen, jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, bei dem eine nationale Behörde begründete Erwartungen geweckt hat. Ist jedoch ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Maßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf diesen Grundsatz berufen. Zudem sind die Wirtschaftsteilnehmer nicht berechtigt, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens ändern können (Urteil vom 15. April 2021, Federazione nazionale delle imprese elletrotecniche ed elettroniche [Anie] u. a., C‑798/18 und C‑799/18, EU:C:2021:280, Rn. 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Dagegen bleiben diese Wirtschaftsteilnehmer in Anwendung des genannten Grundsatzes gegebenenfalls berechtigt, die Modalitäten der Durchführung solcher Änderungen in Frage zu stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof somit z. B. bereits festgestellt, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der kostspielige Investitionen getätigt hat, um einer vom Gesetzgeber zuvor erlassenen Regelung nachzukommen, durch eine vorzeitige Aufhebung dieser Regelung erheblich in seinen Interessen beeinträchtigt sein kann, zumal wenn die Aufhebung plötzlich und unvorhersehbar erfolgt ist, ohne ihm die zur Anpassung an die neue Gesetzeslage nötige Zeit zu lassen (vgl. Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 87).

65      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eine nationale Regelung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar ist, da der Gerichtshof, wenn er nach Art. 267 AEUV entscheidet, darauf beschränkt ist, dem vorlegenden Gericht alle unionsrechtlichen Auslegungshinweise zu geben, die es diesem ermöglichen können, die Frage der Vereinbarkeit zu beurteilen. Das vorlegende Gericht kann zu diesem Zweck alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigen, die u. a. aus Wortlaut, Zweck oder Aufbau der betreffenden Rechtsvorschriften hervorgehen (Urteil vom 15. April 2021, Federazione nazionale delle imprese elettrotecniche ed elettroniche [Anie] u. a., C‑798/18 und C‑799/18, EU:C:2021:280, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Punkt II 1.5 der in Rn. 7 des vorliegenden Urteils genannten Ausschreibung „der Konzessionär … Anspruch auf eine Provision in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag, der aus der Annahme der Einsätze erzielt wird, und den [für die einmalige Abgabe an die Staatskasse, die Konzessionsgebühr und die Hinterlegung der Kaution als Prozentsatz der entgegengenommenen Einsätze vorgesehenen Beträgen] sowie den auszuschüttenden Gewinnen, berechnet auf der Grundlage der in der geltenden Regelung vorgesehenen Mindestgrenzen, und dem Anteil [hat], der den mit der Annahme der Einsätze betrauten Dritten zusteht“.

67      Die Konzessionäre dürfen zwar kein berechtigtes Vertrauen auf die zeitliche Stabilität der verschiedenen in Punkt II 1.5 dieser Ausschreibung genannten Abgabe- und Gebührenposten, die den Betrag aus den entgegengenommenen Einsätzen verringern, setzen, doch enthält diese Ausschreibung nach den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – keine Bestimmung in Bezug auf die Möglichkeit, eine Abgabe aus rein wirtschaftlichen und steuerlichen Gründen zu erheben.

68      Was das Gesetz Nr. 23 vom 11. März 2014 betrifft, mit dem nach dem Vorbringen der italienischen Regierung die Abgabe von 2015 umfassend angekündigt worden sei, scheint es, dass diese Abgabe nicht im Rahmen der Neuordnung der Vergütungen der Konzessionäre, wozu die italienische Regierung nach diesem Gesetz ermächtigt war, festgelegt wurde. Wie aus Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 ausdrücklich hervorgeht, wurde diese Abgabe „im Vorgriff“ auf diese Neuordnung, also a priori außerhalb dieser Neuordnung, erhoben. Im Übrigen geht aus der Akte hervor, dass diese Neuorganisation aufgrund des Ablaufs der Ermächtigungsfristen nicht durchgeführt wurde.

69      Der fehlende Zusammenhang zwischen der Abgabe von 2015 und dem Gesetz Nr. 23 vom 11. März 2014 spiegelt sich zudem in dem Umstand wider, dass Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015 im Unterschied zu dem Kriterium der „Progression in Abhängigkeit vom Volumen der entgegengenommenen Spieleinsätze“, das im Rahmen der vorgesehenen Neuordnung angewendet werden sollte, die streitige Abgabe auf eine feste Höhe festlegte, also nicht an das Volumen der Spieleinsätze gekoppelt, und sie auf die Konzessionäre auf der Grundlage der Anzahl der von jedem von ihnen betriebenen Automaten aufgeteilt wurde, also wiederum nicht an das Volumen der entgegengenommenen Einsätze jedes einzelnen von ihnen gekoppelt war.

70      Was schließlich das Vorbringen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren betrifft, dass die Abgabe von 2015 rückwirkend gelte, ist darauf hinzuweisen, dass diese am 23. Dezember 2014 erlassene Abgabe die Kürzung der Vergütungen der Konzessionäre „ab dem Jahr 2015“ anstrebte (vgl. Art. 1 Abs. 649 des Stabilitätsgesetzes 2015) und dass sie Zahlungen zwischen April und Oktober 2015 vorsah. Demnach hatte die Abgabe von 2015 keine Rückwirkung.

71      Es trifft jedoch zu, dass der Zeitpunkt ihres Erlasses, ihre Höhe und die Aufteilung ihrer Belastung nach Maßgabe der Anzahl der Spielautomaten, die dem jeweiligen Konzessionär am 31. Dezember 2014 zugeordnet waren, geeignet erscheinen, die Finanzprognosen dieser Konzessionäre kurzfristig und nach den Angaben in der Vorlageentscheidung erheblich zu beeinflussen. Insoweit wird es gegebenenfalls Sache des vorlegenden Gerichts sein, das genaue Ausmaß der möglichen Auswirkungen zu beurteilen, die eine solche vorübergehende Abgabe auf die Rentabilität der von den Konzessionären getätigten Investitionen gehabt haben könnte, und ob und inwieweit diesen Konzessionären aufgrund des gegebenenfalls plötzlichen und unvorhersehbaren Charakters dieser Abgabe die Zeit genommen wurde, die nötig ist, um ihnen die Anpassung an die neue Situation zu ermöglichen.

72      Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass, sofern Art. 49 AEUV im Fall einer solchen nationalen Maßnahme anwendbar ist, der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, mit der während der Laufzeit einer Konzessionsvereinbarung zwischen Gesellschaften und der Verwaltung des betreffenden Mitgliedstaats die in diesen Vereinbarungen vorgesehene Vergütung der Konzessionäre vorübergehend gekürzt wird, grundsätzlich nicht entgegensteht, es sei denn, es zeigt sich unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Auswirkungen dieser Kürzung auf die Rentabilität der von den Konzessionären getätigten Investitionen und des gegebenenfalls plötzlichen und unvorhersehbaren Charakters dieser Abgabe, dass den Konzessionären nicht die Zeit gelassen wurde, die zur Anpassung an diese neue Situation nötig war.

 Kosten

73      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er, sofern feststeht, dass eine nationale Regelung, mit der eine Abgabe vorgeschrieben wird, die eine Kürzung der Vergütung der Konzessionäre, die mit dem Betrieb von Spielautomaten betraut sind, bewirkt, eine Beschränkung der durch diese Bestimmung des AEU-Vertrags garantierten Freiheit mit sich bringt, einer Rechtfertigung einer solchen Beschränkung anhand von Zielen, die ausschließlich auf Erwägungen im Zusammenhang mit der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen beruhen, entgegensteht.

2.      Sofern Art. 49 AEUV anwendbar ist, ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, mit der während der Laufzeit einer Konzessionsvereinbarung zwischen Gesellschaften und der Verwaltung des betreffenden Mitgliedstaats die in diesen Vereinbarungen vorgesehene Vergütung der Konzessionäre vorübergehend gekürzt wird, grundsätzlich nicht entgegensteht, es sei denn, es zeigt sich unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Auswirkungen dieser Kürzung auf die Rentabilität der von den Konzessionären getätigten Investitionen und des gegebenenfalls plötzlichen und unvorhersehbaren Charakters dieser Abgabe, dass den Konzessionären nicht die Zeit gelassen wurde, die zur Anpassung an diese neue Situation nötig war.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.