Language of document : ECLI:EU:C:2022:999

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 15. Dezember 2022(1)

Rechtssache C426/21

Ocilion IPTV Technologies GmbH

gegen

Seven.One Entertainment Group GmbH,

Puls 4 TV GmbH & Co. KG

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Urheberrecht in der Informationsgesellschaft – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 – Vervielfältigungsrecht – Art. 3 – Recht der öffentlichen Wiedergabe – Art. 5 Abs. 2 Buchst. b – Ausnahme für ‚Privatkopien‘ – Online-Videorecorder – Deduplizierungsverfahren – Zugang zu geschützten Inhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber – Anbieter eines IPTV-Dienstes“






 Einleitung

1.        In seiner Rechtsprechung zum ausschließlichen Recht der öffentlichen Wiedergabe im Urheberrecht der Union hat der Gerichtshof gelegentlich anerkannt, dass für eine Verletzung dieses Rechts Akteure haften, deren Handlungen auf den ersten Blick nur einen indirekten Beitrag zu solchen Verletzungen darzustellen scheinen(2). Dieser Ansatz war verschiedentlich auf Kritik gestoßen, insbesondere in den Schlussanträgen des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in den verbundenen Rechtssachen YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2020:586)(3), auf die sich das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache bezieht.

2.        Ich kann diese Kritik nicht ganz teilen(4). Eines ist jedoch sicher. Falsch interpretiert, kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs als Grundlage für den Versuch dienen, die Haftung für die Verletzung des Rechts auf öffentliche Wiedergabe in Fällen feststellen zu lassen, in denen entweder gar keine Wiedergabe stattgefunden hat oder sich die Rolle des mutmaßlichen Rechtsverletzers auf Handlungen beschränkt, die in keinem Zusammenhang mit der Wiedergabe eines konkreten geschützten Werks stehen, insbesondere auf Handlungen der bloßen Bereitstellung technischer Einrichtungen, die eine solche Wiedergabe ermöglichen. Diese falsche Auslegung besteht insbesondere darin, die vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verwendeten Begriffe der „zentralen Rolle“ des betreffenden Akteurs und seiner „vollen Kenntnis der Folgen seines Verhaltens“ aus ihrem Kontext zu reißen.

3.        Vor diesem Hintergrund wurde eine Reihe von Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet(5). Auch die vorliegende Rechtssache gehört zwar meines Erachtens zu diesen Verfahren, ist jedoch weitaus komplexer, und zwar nicht nur wegen der Komplexität der für die öffentliche Wiedergabe geschaffenen Vorrichtung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, sondern auch, weil sie neben dem Recht der öffentlichen Wiedergabe auch das ausschließliche Recht der Vervielfältigung sowie einen Versuch betrifft, eine Ausnahme von diesem Recht, die sogenannte Ausnahme für „Privatkopien“, „innovativ“ anzuwenden.

4.        Der Schlüssel zu einer korrekten und für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits nützlichen Lösung scheint mir jedoch darin zu liegen, die jeweiligen Rollen der verschiedenen beteiligten Akteure richtig einzuschätzen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

5.        Art. 2 Buchst. a und e der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(6) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)      für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

e)      für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.“

6.        In Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

(2)      Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, zu erlauben oder zu verbieten, dass die nachstehend genannten Schutzgegenstände drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind:

d)      für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.“

7.        In Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 5 dieser Richtlinie heißt es:

„(2)      Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:

b)      in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Artikel 6 auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden;

(5)      Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“

8.        Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums(7) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen für Sendeunternehmen das ausschließliche Recht vor, die Aufzeichnung ihrer Sendungen zu erlauben oder zu verbieten, unabhängig davon, ob es sich hierbei um drahtlose oder drahtgebundene, über Kabel oder durch Satelliten vermittelte Sendungen handelt.“

9.        In Art. 10 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können Beschränkungen der in diesem Kapitel genannten Rechte in folgenden Fällen vorsehen:

a)      für eine private Benutzung;

(2)      Unbeschadet des Absatzes 1 kann jeder Mitgliedstaat für den Schutz der … Sendeunternehmen … Beschränkungen der gleichen Art vorsehen, wie sie für den Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und der Kunst vorgesehen sind.

(3)      Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“

 Österreichisches Recht

10.      Im österreichischen Recht sind das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe in Bezug auf Urheber in § 15 bzw. in den §§ 17 bis 18a des Urheberrechtsgesetzes vom 9. April 1936(8) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: UrhG) geregelt. Die für den privaten Gebrauch geltende Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht ist in § 42 Abs. 4 und 5 UrhG vorgesehen. Schließlich legt § 76a Abs. 1 UrhG das ausschließliche Recht der Rundfunkunternehmen fest, ihre Sendungen aufzuzeichnen, zu vervielfältigen, zu verbreiten und zur öffentlichen Zurverfügungstellung zu benutzen.

 Ausgangsrechtsstreit, Verfahren und Vorlagefragen

11.      Die Seven.One Entertainment Group GmbH und die Puls 4 TV GmbH & Co. KG, die Klägerinnen im ersten Rechtszug und Revisionsrekursgegnerinnen (im Folgenden: Klägerinnen des Ausgangsverfahrens), sind Sendeunternehmen mit Sitz in Deutschland bzw. Österreich.

12.      Die Ocilion IPTV Technologies GmbH, Beklagte im ersten Rechtszug und Revisionsrekursklägerin (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) ist eine Gesellschaft österreichischen Rechts. Sie bietet gewerblichen Kunden, bei denen es sich um Netzbetreiber, z. B. für Telefon oder Strom, oder um Einrichtungen wie Hotels oder Stadien (im Folgenden: Netzbetreiber) handeln kann, einen Internetfernsehdienst in einem geschlossenen Netz(9) (IPTV(10)) an. Diese Dienstleistung erfolgt entweder in Form einer On-premises-Lösung (im Folgenden auch: Vor-Ort-Lösung), bei der die erforderliche Hardware und Software dem Kunden von der Beklagten des Ausgangsverfahrens zur Verfügung gestellt und vom Kunden verwaltet werden, oder in Form einer Cloud-Hosting-Lösung, die von der Beklagten verwaltet wird.

13.      Mit Hilfe des von der Beklagten des Ausgangsverfahrens bereitgestellten Dienstes bieten die Netzbetreiber ihren Kunden (Endnutzern) den Zugang zum Internetfernsehen an. Dieses Angebot umfasst auch Fernsehsender, die den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens gehören.

14.      Die IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens umfasst eine Funktion zur Aufzeichnung bestimmter Sendungen mit einem Online-Videorekorder sowie eine Funktion zum zeitversetzten Abruf, mit der die Inhalte aller Sendungen eines bestimmten Fernsehsenders bis zu sieben Tage nach ihrer Ausstrahlung angesehen werden können (die Sendungen werden fortlaufend aufgezeichnet, um sie anschließend ansehen zu können). Grundsätzlich geht die Initiative für jede Aufzeichnung vom Endnutzer aus, der diese Funktionen selbst aktiviert, indem er bestimmt, welche Inhalte vervielfältigt werden sollen. Für die Funktion des zeitversetzten Abrufs reicht es aus, wenn die Programmierung einmalig, z. B. bei der Inbetriebnahme, vorgenommen wird.

15.      In der Praxis verhindert jedoch ein sogenanntes „Deduplizierungsverfahren“, dass für Kunden, die übereinstimmende Aufzeichnungen programmieren, mehrere Kopien erstellt werden müssen. Alle Endnutzer, die die gleiche Aufzeichnung programmiert haben, können auf die erste und einzige Kopie zugreifen, die erstellt wird, wenn ein „erster“ Endnutzer die Aufzeichnung programmiert hat. Dieser Zugriff erfolgt über eine Referenz, die den Nutzern zugeteilt wird. Die Kopie wird erst dann gelöscht, wenn der letzte Nutzer die Programmierung der jeweiligen Aufzeichnung aufgehoben hat (oder nach sieben Tagen bei der Funktion des zeitversetzten Abrufs).

16.      Die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens mit den Netzbetreibern abgeschlossenen Rahmenverträge sehen vor, dass die Netzbetreiber für die Einholung der Verwertungsrechte an den Sendungen, die sie mit Hilfe der IPTV-Lösung der Beklagten weiterverbreiten, selbst verantwortlich sind. Darüber hinaus ist die Beklagte der Auffassung, dass die Funktion des zeitversetzten Abrufs und der Online-Videoaufnahme unter die Ausnahme für Kopien zum privaten Gebrauch fällt, wie sie in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 vorgesehen sei.

17.      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass sie der Weiterverbreitung ihrer Sendungen durch die Kunden von der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht zugestimmt hätten. Darüber hinaus stellen sie die Anwendbarkeit der in Rede stehenden Ausnahme auf ein Verfahren wie das von der Beklagten im Rahmen ihrer IPTV-Lösung eingeführte in Frage. Sie haben daher vor den österreichischen Gerichten Unterlassungsklagen erhoben, verbunden mit Anträgen auf einstweilige Verfügung, die darauf abzielen, der Beklagten des Ausgangsverfahrens zu untersagen, Kopien ihrer Sendungen öffentlich wiederzugeben oder öffentlich zugänglich zu machen, zu vervielfältigen oder durch Dritte vervielfältigen und öffentlich zugänglich machen zu lassen oder ihren Kunden Dienstleistungen oder Produkte zur Verfügung zu stellen, die es ihnen ermöglichen, derartige Handlungen vorzunehmen.

18.      Nachdem diesen Anträgen im ersten Rechtszug sowie in der Rekursinstanz stattgegeben worden war, erhob die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht einen Revisionsrekurs, mit dem sie die Abweisung aller Anträge auf einstweilige Verfügung anstrebt.

19.      Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist eine nationale Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar, die auf Grundlage des Art. 5 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2001/29 den Betrieb eines von einem kommerziellen Anbieter bereitgestellten Online-Videorecorders erlaubt, der

a)      aufgrund des technisch angewandten Deduplizierungsverfahrens nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts erstellt, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, bloß – zur Vermeidung redundanter Daten – eine Referenzierung vornimmt, die es dem nachfolgenden Nutzer erlaubt, auf den bereits gespeicherten Inhalt zuzugreifen;

b)      eine Replay-Funktion hat, in deren Rahmen das gesamte Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr aufgenommen und über sieben Tage hinweg zum Abruf bereitgestellt wird, soweit der Nutzer einmalig im Menü des Online-Videorecorders bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens eine entsprechende Auswahl trifft; und

c)      dem Nutzer (entweder eingebettet in einen Cloud-Dienst des Anbieters oder im Rahmen der vom Anbieter bereitgestellten on premises IPTV-Komplettlösung) auch Zugang zu geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber vermittelt?

2.      Ist der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen, dass diese von einem kommerziellen Anbieter einer (on premises) IPTV-Komplettlösung vorgenommen wird, in deren Rahmen er neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV-Programmen über das Internet auch technischen Support leistet sowie laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden betrieben wird, wenn der Dienst dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber zugestimmt haben, sondern auch auf solche geschützten Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und der kommerzielle Anbieter

a)      Einfluss darauf nehmen kann, welche TV-Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können,

b)      weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, allerdings

c)      nicht mit dieser Möglichkeit zur unerlaubten Nutzung seines Dienstes wirbt und dadurch einen wesentlichen Anreiz zum Erwerb des Produkts schafft, sondern vielmehr seine Kunden bei Vertragsabschluss hinweist, dass sie sich eigenverantwortlich um die Rechteeinräumung kümmern müssen, und

d)      durch seine Tätigkeit keinen speziellen Zugang zu Sendungsinhalten schafft, die ohne sein Zutun nicht oder nur schwer empfangen werden könnten?

20.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 13. Juli 2021 beim Gerichtshof eingegangen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie haben in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2022 Ausführungen gemacht.

 Würdigung

21.      Das vorlegende Gericht legt dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die erste betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2001/29, der u. a. das ausschließliche Recht der Urheber festlegt, die Vervielfältigung ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der eine Ausnahme von diesem Recht für Vervielfältigungen durch natürliche Personen für ihren eigenen privaten Gebrauch vorsieht. Die zweite Frage betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie, der das ausschließliche Recht der öffentlichen Wiedergabe festlegt.

22.      Ich werde diese Fragen in der Reihenfolge analysieren, in der sie gestellt wurden, und dabei berücksichtigen, dass die Lösung des Ausgangsrechtsstreits, die in der Prüfung der Haftung der Beklagten des Ausgangsverfahrens besteht, eine gemeinsame Berücksichtigung der Antworten auf diese beiden Fragen erfordert.

 Erste Vorlagefrage

 Zur Formulierung der Frage

23.      Auch wenn die Formulierung der ersten Vorlagefrage vermuten lassen könnte, dass das vorlegende Gericht danach fragt, ob die österreichischen Rechtsvorschriften, die Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 umsetzen, mit dieser Bestimmung vereinbar sind, scheint mir diese Frage eher darauf abzuzielen, die richtige Auslegung dieser Rechtsvorschriften zu ermitteln. Dies läuft somit darauf hinaus, den Gerichtshof um die Auslegung dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 2 dieser Richtlinie zu ersuchen. Darüber hinaus ist diese Frage so zu verstehen, dass sie sich auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende bezieht, d. h. auf einen Dienst zur Online-Weiterverbreitung (im Internet) von Fernsehsendungen.

24.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht daher wissen, ob Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 Buchst b der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen sind, dass die Bereitstellung eines zusätzlichen Dienstes zur Aufzeichnung von Fernsehsendungen durch den Betreiber eines Online-Fernsehübertragungsdiensts, bei dem

–        nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des programmierten Sendungsinhalts angefertigt wird, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers aufgezeichnet wurde, lediglich eine Referenz erstellt wird, die es dem nachfolgenden Nutzer ermöglicht, auf den bereits aufgezeichneten Inhalt zuzugreifen, und

–        eine Replay-Funktion, bei der das Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr vollständig aufgezeichnet wird, es ermöglicht, dieses Programm über sieben Tage hinweg zeitversetzt anzusehen, sofern der Nutzer die Auswahl bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens trifft,

unter die in dieser zweiten Bestimmung genannte Ausnahme vom ausschließlichen Recht fällt, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten.

25.      Ich habe den letzten vom vorlegenden Gericht erwähnten Punkt in der Neuformulierung der ersten Vorlagefrage nicht wiedergegeben, weil sich dieser Punkt meines Erachtens auf die Feststellung beschränkt, dass das von dieser Frage betroffene Verfahren ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber durchgeführt wird. Da es um eine Ausnahme vom ausschließlichen Recht geht, ist dieser Aspekt bereits impliziert – auf den Fall, dass die Verwertungshandlung genehmigt wurde, ist die Ausnahme vom ausschließlichen Recht nämlich nicht anwendbar.

26.      Ich komme nun zur Analyse dieser Frage, wobei ich zunächst einen kurzen Überblick über die Funktionsweise des in Rede stehenden Dienstes geben werde.

 Zur Funktionsweise des in Rede stehenden Dienstes der Beklagten des Ausgangsverfahrens

27.      Die Beklagte des Ausgangsverfahrens stellt ihren Kunden, den Netzbetreibern, eine IT‑Lösung zur Verfügung, die aus technischer Hardware und aus Software besteht und es ihnen ermöglicht, den Endnutzern einen Internetfernsehdienst (IPTV) zu erbringen. Im Rahmen dieses Dienstes empfangen die Netzbetreiber mit Hilfe der Hard- und Software, die ihnen die Beklagte des Ausgangsverfahrens zur Verfügung stellt, jedoch ohne deren aktive Mitwirkung, die Sendungen der Sendeunternehmen, konvertieren sie und machen sie zeitgleich und unverändert den Endnutzern über das Internet zugänglich(11). Diese Zugänglichmachung erfolgt in einem geschlossenen Netzwerk, d. h., sie ist nur für Nutzer zugänglich, die Kunden der Netzbetreiber sind.

28.      Darüber hinaus umfasst der Dienst eine Online-Aufzeichnungsfunktion. Dank dieser Funktion können die Endnutzer bestimmte Sendungen aufzeichnen sowie die fortlaufende Aufzeichnung bestimmter Fernsehsender programmieren, deren Sendungen dann sieben Tage lang nach der Ausstrahlung der Sendung zugänglich bleiben.

29.      Die Aufzeichnung erfolgt auf der Hardware (Speicherkapazitäten), die die Beklagte des Ausgangsverfahrens den Netzbetreibern im Rahmen ihrer IPTV-Lösung zur Verfügung stellt. Sie ist so organisiert, dass nach der Programmierung durch einen „ersten“ Endnutzer eine konkrete Sendung oder das Programm eines Fernsehsenders aufgezeichnet wird (es wird eine Kopie erstellt). Wenn anschließend ein anderer Endnutzer die Aufzeichnung derselben Sendung oder desselben Fernsehsenders programmieren möchte, wird keine neue Kopie erstellt, sondern dieser Nutzer erhält Zugriff auf die erste und einzige Kopie, ebenso wie alle nachfolgenden Nutzer. Dieses Verfahren wird als „Deduplizierung“ bezeichnet.

30.      In der ersten Vorlagefrage geht es darum, ob ein solches Verfahren unter die Ausnahme für Privatkopien fällt. Für den Fall, dass dies zutreffen sollte, muss ich zunächst darauf hinweisen, dass die Ausnahme dann so zu verstehen wäre, dass sie das gesamte Verfahren erfasst, d. h. sowohl die Vervielfältigung selbst als auch die Zugänglichmachung der aus dieser Vervielfältigung hervorgehenden Kopien für die Endnutzer. Die Vervielfältigung, die im Rahmen dieser Ausnahme erfolgt, muss nämlich zum privaten Gebrauch des Nutzers bestimmt sein. Sofern ein Dritter die Vervielfältigung für den Nutzer anfertigt, muss der Nutzer daher in der Lage sein, die Kopie zu nutzen, er muss also Zugang zu ihr haben. Die vom Zugang zu der so erstellten Kopie getrennte Vervielfältigung kann als solche nicht unter die Ausnahme für Privatkopien fallen. Fällt das in Rede stehende Verfahren hingegen nicht unter die genannte Ausnahme, muss es meines Erachtens als eine Handlung der Verwertung von zwei verschiedenen ausschließlichen Rechten analysiert werden, nämlich des Vervielfältigungsrechts (wenn die Kopie einer Sendung erstellt wird) und des Rechts der öffentlichen Wiedergabe (wenn den Endnutzern Zugang zu dieser Kopie gewährt wird).

31.      Die Beklagte des Ausgangsverfahrens macht geltend, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erforderlich sei, dass die natürliche Person die Geräte und Medien zur Vervielfältigung selbst besitze, um in den Genuss der Ausnahme für Privatkopien zu kommen. Sie könne nämlich auf Vervielfältigungsdienstleistungen zurückgreifen, die ein Dritter erbringe(12). Der Grundsatz der Technologieneutralität erfordere es jedoch, diese Regel auf moderne Vervielfältigungstechniken wie die im Rahmen der IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwendete Deduplizierungstechnik anzuwenden. Aus der Sicht der Nutzer sei es nämlich gleichgültig, ob für jeden von ihnen eine separate Kopie erstellt werde oder ob sie Zugang zu ein und derselben Kopie erhielten, weil es auf die Initiative des einzelnen Nutzers zurückgehe, dass ihm dieser Zugang gewährt werde. Jede andere Lösung würde zur „Versteinerung“ des Urheberrechts und zur Negierung des technologischen Fortschritts führen. Somit sollte nach Ansicht der Beklagten des Ausgangsverfahrens der im Rahmen ihrer IPTV-Lösung angebotene Aufzeichnungsdienst – sowohl für konkrete Sendungen als auch für die fortlaufende Aufzeichnung von Sendungen der vom Endnutzer ausgewählten Fernsehsender – von der Ausnahme für Privatkopien profitieren und dem Monopol der Urheberrechtsinhaber entzogen werden.

32.      Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht.

 Zur Funktion des zeitversetzten Abrufs

33.      Was den Dienst der fortlaufenden Aufzeichnung von Sendungen der vom Endnutzer gewählten Fernsehsender zu dem Zweck betrifft, ihm den Zugang zu diesen Sendungen für sieben Tage nach der Ausstrahlung zu gewähren, bezweifle ich, dass die Ausnahme für Privatkopien im Fall einer solchen Aufzeichnung anwendbar ist, wobei es nicht einmal darauf ankommt, ob es eine Kopie für jeden Nutzer gibt oder ob die Nutzer sich den Zugang zu einer einzigen Kopie teilen.

34.      Wie der Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, beruht das Urheberrecht der Union gemäß dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 u. a. auf einem „angemessenen Ausgleich“ zwischen den Interessen der Inhaber von Urheberrechten (und verwandten Schutzrechten) und denen der Nutzer der Schutzgegenstände(13). Die Ausnahme für Privatkopien ist eine der wichtigsten Bestimmungen dieser Richtlinie, die diesen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Sie berücksichtigt zum einen das Interesse des Nutzers, einen rechtmäßig erworbenen Schutzgegenstand(14) in seiner Privatsphäre uneingeschränkt zu genießen, ohne befürchten zu müssen, dass die Urheberrechtsinhaber in diese Sphäre eingreifen. Zum anderen soll der mögliche Schaden, den diese Rechteinhaber durch die Privatkopie erleiden könnten, durch den gerechten Ausgleich kompensiert werden, der nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 zwingend mit der Umsetzung dieser Ausnahme in nationales Recht einhergehen muss. Da die im Rahmen der Ausnahme für Privatkopien erlaubte Nutzung jedoch auf die Privatsphäre des Nutzers beschränkt ist, ist der von den Urheberrechtsinhabern erlittene Schaden nicht geeignet, die normale Verwertung des Werks zu beeinträchtigen.

35.      Nach meiner Auffassung würde die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien auf einen Dienst zur fortlaufenden Aufzeichnung sämtlicher Sendungen der Fernsehsender, wie er in der IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens enthalten ist, dem Kriterium des angemessenen Ausgleichs zwischen den Interessen der Urheberrechtsinhaber und den Interessen der Nutzer widersprechen.

36.      Erstens handelt es sich hier nicht um einen eigenständigen Vervielfältigungs- oder Speicherdienst. Der in Rede stehende Dienst ist Bestandteil der IPTV-Lösung, die hauptsächlich in der gleichzeitigen Weiterverbreitung von Fernsehsendungen über das Internet besteht und zu der der Aufzeichnungsdienst eine Ergänzung darstellt. Dieser Aufzeichnungsdienst ist zudem von der Weiterverbreitung abhängig, weil diese für den Endnutzer die Quelle für den Zugang zu den Inhalten darstellt, die anschließend wiedergegeben werden. Er kann daher nicht eigenständig funktionieren und ist notwendigerweise mit einem Dienst für den Zugang zu Fernsehsendungen gekoppelt. Wir haben es daher mit einem Dienst zu tun, der einem Dienst mit doppelter Funktionalität wie dem, um den es in der Rechtssache ging, in der das Urteil VCAST(15) ergangen ist, ähnlich ist.

37.      Zweitens fällt der in Rede stehende Dienst aufgrund seines Umfangs und seines automatischen Ablaufs meiner Meinung nach eindeutig aus dem Rahmen der Ausnahme für Privatkopien, wie sie vom Unionsgesetzgeber konzipiert wurde. Hier liegt nämlich keine Vervielfältigung durch den Endnutzer vor, wie der Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 sie verlangt, und selbst die Ansicht, dass die Vervielfältigung auf Initiative dieses Nutzers erfolge, ließe sich schwerlich vertreten. Die einzige Handlung, die der Endnutzer im Rahmen dieses Dienstes vornimmt, beschränkt sich darauf, das Angebot anzunehmen, das ihm zusammen mit dem Angebot der Weiterverbreitung gemacht wird, nämlich künftige Sendungen en bloc aufzuzeichnen, ohne dass er auch nur den Inhalt dieser Vervielfältigung kennt oder weiß, ob er diese nutzen will oder nicht. Das eigentliche Ziel eines solchen Dienstes besteht somit nicht darin, dem Endnutzer die Möglichkeit zur zusätzlichen Nutzung von Werken zu geben, zu denen er bereits Zugang erhalten hat, sondern darin, ihm einen alternativen Zugangsweg zur zeitgleichen Weiterverbreitung von Fernsehsendungen zu bieten.

38.      All dies zeigt meines Erachtens, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Nutzung der Schutzgegenstände in der Privatsphäre des Endnutzers handelt, sondern um eine öffentliche Nutzung dieser Gegenstände durch den Anbieter des Weiterverbreitungs- und Aufzeichnungsdiensts. Neben der öffentlichen Wiedergabe der in den Fernsehsendungen enthaltenen Werke durch deren Weiterverbreitung im Internet nimmt dieser Anbieter nämlich auch eine Vervielfältigung und eine anschließende öffentliche Zugänglichmachung dieser Werke anhand der so erstellten Vervielfältigungen vor. Die Urheberrechtsinhaber können daher ihr Recht, eine solche Nutzung zu erlauben oder zu verbieten, in vollem Umfang ausüben, ohne dass dies einen Eingriff in die Privatsphäre der genannten Nutzer darstellt(16). Es gibt daher keine Rechtfertigung für die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien.

 Zur Deduplizierungstechnik

39.      Das Deduplizierungsverfahren, wie es im Rahmen der IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwendet wird(17), verstärkt und bestätigt die vorstehenden Schlussfolgerungen. Schon allein dieses Verfahren schließt die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien aus.

40.      Bei diesem Verfahren wird eine einzige Kopie erstellt, sobald ein Endnutzer die Aufzeichnung einer Sendung oder des gesamten Programms eines Fernsehsenders programmiert, und sie wird allen Endnutzern zugänglich gemacht, die die Aufzeichnung derselben Sendung oder desselben Senders programmiert haben.

41.      Wie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und die Kommission im Wesentlichen zu Recht geltend machen, kann diese Vervielfältigung nicht als vom Endnutzer zum privaten Gebrauch und zu nicht kommerziellen Zwecken vorgenommen angesehen werden, was die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien ermöglichen würde. Ganz im Gegenteil muss diese Kopie, weil sie dazu bestimmt ist, allen Endnutzern zugänglich gemacht zu werden, die dieselbe Aufzeichnung programmiert haben, als vom Dienstanbieter für den kollektiven (öffentlichen) Gebrauch und zu kommerziellen Zwecken angefertigt angesehen werden.

42.      Die Argumente der Beklagten des Ausgangsverfahrens, die sich auf die Notwendigkeit beziehen, bei der Anwendung der Ausnahme für Privatkopien den technischen Fortschritt zu berücksichtigen, können diese Feststellung nicht in Frage stellen. Das Urheberrecht der Union, wie es u. a. durch die Richtlinie 2001/29 harmonisiert wurde, beruht vollständig auf den technischen Merkmalen der verschiedenen Arten der Verwertung von Werken. Dies spiegelt sich auch in den verschiedenen ausschließlichen Rechten wider, die darin verankert sind, sowie in den verschiedenen Ausnahmen von diesen Rechten. Der Gerichtshof berücksichtigt auch den Fortschritt in diesem Bereich. So hat er die Existenz von Online-Vervielfältigungs- und Speicherdiensten und die Anwendbarkeit der Ausnahme für Privatkopien im Fall der Nutzung dieser Dienste durch eine Privatperson anerkannt(18). Dies ändert jedoch nichts an der Art der vorgenommenen Handlungen. Die Anfertigung der Kopie eines Inhalts auf einem beliebigen Träger ist eine Vervielfältigungshandlung, während die Gewährung des Zugangs zu einer bereits vorhandenen Kopie keine derartige Handlung ist. Dies sind objektive Tatsachen, die kein intellektueller Kunstgriff, wie der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens angeführte Begriff der „logischen Kopie“, zu ändern vermag.

43.      Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Vervielfältigung durch die vom ersten Endnutzer programmierte Aufzeichnung ausgelöst wird. Wie bereits ausgeführt, ist das Angebot der Wiedergabe genau definierter Inhalte(19) ein wesentlicher Bestandteil des gesamten Internetfernsehdiensts. Das Angebot wird auf Initiative eines Endnutzers realisiert, aber die erstellte Kopie steht anschließend nicht ausschließlich diesem Nutzer zur Verfügung(20), sondern bleibt unter der Kontrolle des Dienstanbieters und dient ihm als Quelle für die Wiedergabe des vervielfältigten Werks an alle Nutzer(21). Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens weisen insoweit völlig zu Recht darauf hin, dass es nicht der Aufzeichnungsdienst ist, der den Endnutzern als Werkzeug für die Vervielfältigung dient, sondern dass es im Gegenteil die Nutzer sind, die dem Anbieter dieses Dienstes als Werkzeug dienen, um eine Vervielfältigung durchzuführen.

44.      Die Online-Videoaufzeichnung, wie sie Bestandteil der IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens ist, besteht somit aus zwei verschiedenen Verwertungshandlungen, nämlich einer Vervielfältigungshandlung (in Form der Aufzeichnung von Fernsehsendungen) und einer Handlung der öffentlichen Wiedergabe (in Form der Bereitstellung des Zugangs zu der vom Dienstanbieter erstellten Kopie dieser Sendung für die Endnutzer, die die Aufzeichnung dieser Sendung programmiert haben)(22). Diese beiden Handlungen sind dem Anbieter des Dienstes zuzurechnen und können nicht unter die Ausnahme für Privatkopien fallen.

45.      Zwar richtet sich eine Wiedergabe wie die in der vorstehenden Nummer erwähnte an dasselbe Publikum wie die ursprüngliche Wiedergabe in Form der zeitgleichen Weiterverbreitung von Fernsehsendungen über das Internet, nämlich an die Kunden der Netzbetreiber. Darüber hinaus werden beide Wiedergabehandlungen mit demselben technischen Mittel, nämlich dem Internet, durchgeführt. Daher könnte man argumentieren, wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens im Wesentlichen geltend macht, dass die spätere Wiedergabe von der für die ursprüngliche Wiedergabe erteilten Genehmigung gedeckt sei(23), wie dies aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Recht der öffentlichen Wiedergabe hervorgehe(24).

46.      Das ist meines Erachtens aber nicht der Fall. Die beiden in Rede stehenden Handlungen der öffentlichen Wiedergabe stellen nämlich unterschiedliche Formen der Verwertung der Schutzgegenstände dar.

47.      Im Fall der Weiterverbreitung im Internet handelt es sich – um den im Zusammenhang mit audiovisuellen Diensten verwendeten Begriff zu übernehmen – um eine „lineare“ Wiedergabe, bei der der Inhalt nach einem vom Sender festgelegten Zeitplan ausgestrahlt wird und der Nutzer die gewünschte Sendung zur Sendezeit ansehen kann. Dies ist die normale Funktionsweise bei Rundfunk und Fernsehen, unabhängig davon, wie sie ausgestrahlt werden (terrestrisch, über Satellit, Kabel oder Internet). Wenn die Sendung hingegen aufgezeichnet wird und der Nutzer Zugang zu dieser Aufzeichnung erhält, handelt es sich um eine „nicht lineare“ Wiedergabe, d. h., der Nutzer entscheidet, wann er die Sendung sehen möchte, und er kann sie auch mehrmals ansehen, anhalten usw. Der Nutzer ist also in der Lage, die Sendung viel „intensiver“ zu nutzen als bei der linearen Wiedergabe.

48.      Auch wenn diese beiden Arten der Wiedergabe in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 unter dem Begriff „öffentliche Wiedergabe [der] Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind“ zusammengefasst werden, handelt es sich in Wirklichkeit um zwei verschiedene Verwertungshandlungen, die beide ausschließlichen Rechten unterliegen und unterschiedliche Genehmigungen von Urheberrechtsinhabern erfordern, ungeachtet der Tatsache, dass sich beide Arten der Wiedergabe an dasselbe Publikum richten und dieselben technischen Mittel verwenden können(25).

 Schlussbemerkungen und Antwort auf die Frage

49.      Auch allgemeinere Erwägungen sprechen gegen die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien auf einen Dienst, der die Deduplizierungstechnik verwendet, wie es bei der im vorliegenden Fall in Rede stehenden IPTV-Lösung der Fall ist.

50.      Der Ausgleich, der dieser Ausnahme zugrunde liegt(26), berücksichtigt u. a. die Kosten, die dem Nutzer durch die Vervielfältigung entstehen. Dabei kann es sich um die Kosten für Kopiergeräte und Trägermaterialien, die Kosten des Speicherdiensts oder schlicht um den Aufwand handeln, der für eine Vervielfältigung erforderlich ist(27). Diese Kosten sind ein Faktor, der den Umfang der vorgenommenen Vervielfältigungen begrenzt und so die Interessen der Urheberrechtsinhaber schützt. Die Deduplizierungstechnik, die die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens hervorgehobene Einsparung von Speicherkapazitäten ermöglicht, beeinträchtigt dieses Gleichgewicht, weil sie es möglich macht, eine unbegrenzte Anzahl von „Vervielfältigungen“ zu minimalen und konstanten Kosten vorzunehmen.

51.      Außerdem wird der in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 geforderte gerechte Ausgleich in der Praxis häufig durch eine Abgabe finanziert, die in den Preis des Vervielfältigungsmaterials und der Speichermedien integriert ist(28). Die durch die Deduplizierungstechnik und die Erstellung virtueller Kopien(29) bewirkte Aufhebung der Verknüpfung zwischen der Speicherkapazität und der Anzahl der Kopien, die im Rahmen der in Rede stehenden Ausnahme angefertigt werden, zerstört das Gleichgewicht, auf dem dieses System der Finanzierung des gerechten Ausgleichs beruht.

52.      Somit ist der Aufzeichnungsdienst, der die Deduplizierungstechnik verwendet, entgegen dem Vorbringen der Beklagten des Ausgangsverfahrens kein funktionales Äquivalent eines einfachen Videorekorders, jedenfalls nicht in Bezug auf die Aspekte, die unter dem Gesichtspunkt der Ausnahme für Privatkopien von Bedeutung sind. Daher kann diese Ausnahme hier nicht analog angewandt werden, wie es der Gerichtshof in Bezug auf den öffentlichen Verleih von E-Books getan hatte(30).

53.      Die oben analysierten Aspekte führen auch zu dem Schluss, dass die Anwendung der Ausnahme für Privatkopien auf einen Aufzeichnungsdienst, wie er in der IPTV-Lösung der Beklagten des Ausgangsverfahrens enthalten ist, den Anforderungen von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 zuwiderlaufen würde. Nach dieser Bestimmung dürfen Ausnahmen von den durch diese Richtlinie geschützten ausschließlichen Rechten nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.

54.      Eine Ausnahme, die es einem Anbieter, der Zugang zu Fernsehsendungen durch deren Weiterverbreitung im Internet gewährt, erlauben würde, sämtliche Sendungen zu einem im Verhältnis zum Umfang der Vervielfältigung äußerst geringen Preis zu vervielfältigen, um sie seinen Kunden dann zeitversetzt zugänglich zu machen, würde jedoch zwangsläufig die normale Verwertung der von den Sendeunternehmen ausgestrahlten Sendungen beeinträchtigen, weil diese Unternehmen selbst einen vergleichbaren Dienst anbieten oder dessen Bereitstellung gegen Zahlung von Lizenzgebühren genehmigen könnten. Da die Anwendung dieser Ausnahme außerdem nicht durch den Schutz der Privatsphäre der Endnutzer gerechtfertigt ist, wäre der dadurch verursachte Schaden ungerechtfertigt.

55.      Auf der Grundlage dieser Erwägungen schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen sind, dass die Bereitstellung eines zusätzlichen Dienstes zur Aufzeichnung von Fernsehsendungen durch den Betreiber eines Online-Fernsehübertragungsdiensts, bei dem

–        nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des Inhalts der programmierten Sendung angefertigt wird, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, lediglich eine Referenz erstellt wird, die es dem nachfolgenden Nutzer ermöglicht, auf den bereits aufgezeichneten Inhalt zuzugreifen, und

–        eine Replay-Funktion, bei der das Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr vollständig aufgezeichnet wird, es ermöglicht, dieses Programm über sieben Tage hinweg zeitversetzt anzusehen, sofern der Nutzer die Auswahl bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens trifft,

nicht unter die in dieser zweiten Bestimmung genannte Ausnahme vom ausschließlichen Recht fällt, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten.

 Zweite Vorlagefrage

56.      In der zweiten Vorlagefrage geht es darum, ob der Anbieter einer IPTV-Lösung, wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens sie anbietet, eine öffentliche Wiedergabe der Fernsehsendungen vornimmt, die mit Hilfe dieser IPTV-Lösung an Endnutzer weiterverbreitet werden. Die Formulierung dieser Frage lässt einige Unklarheiten aufkommen.

 Zur Formulierung der Frage

57.      Erstens beschränkt das vorlegende Gericht seine Frage auf den Fall des „On premises“-Dienstes, d. h., wenn die IPTV-Lösung auf der Hardware der Kunden der Beklagten des Ausgangsverfahrens (der Netzbetreiber) oder jedenfalls auf der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens zu ihrer Verfügung gestellten, aber von ihnen selbst verwalteten Hardware genutzt wird. Das vorlegende Gericht erläutert nicht, warum es den Cloud-Dienst aus dem Bereich dieser Frage ausklammert, obwohl dieser Dienst offenbar ebenfalls Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist. Ich vermute, dass das vorlegende Gericht es als offensichtlich ansieht, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens in diesem Fall eine öffentliche Wiedergabe vornimmt.

58.      Diese These mag zwar richtig sein, aber ich halte sie gleichwohl nicht für selbstverständlich. Im Fall der Cloud-Lösung besitzt die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Server, auf denen ihre Software läuft, sowie die Speichermedien für die im Rahmen des Aufzeichnungs- und Replay-Diensts erforderlichen Kopien der Sendungen. Sie steht dadurch, technisch gesehen, auch in direkter Verbindung mit den Endnutzern. Im Einklang mit meiner Analyse der ersten Vorlagefrage erscheint es daher vorstellbar, die Beklagte des Ausgangsverfahrens für die öffentliche Wiedergabe dieser Sendungen haftbar zu machen, zumindest in Bezug auf die Wiedergabe im Rahmen der Replay-Funktion. Eine abschließende Entscheidung dieser Frage würde jedoch eine detaillierte Kenntnis der jeweiligen Rollen der Beklagten des Ausgangsverfahrens und der Netzbetreiber erfordern, über die der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren nicht verfügt. Ich schlage daher vor, die Antwort auf die zweite Vorlagefrage auf den vom vorlegenden Gericht definierten Rahmen, d. h. auf den vor Ort erbrachten Dienst, zu beschränken.

59.      Zweitens erläutert das vorlegende Gericht nicht die Grundlagen für die in der zweiten Vorlagefrage, Buchst. a, enthaltene Behauptung, dass der Anbieter der IPTV-Lösung „Einfluss darauf nehmen kann, welche TV-Programme vom Endnutzer über den Dienst empfangen werden können“. Nach den Erklärungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens, die in diesem Punkt von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht bestritten werden, sind es die Netzbetreiber, die die Auswahl der Fernsehprogramme, ihren Empfang und ihre Weiterverbreitung im Internet vornehmen, ohne dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens darauf Einfluss nimmt oder einen Beitrag dazu leistet. Aus den Akten ergibt sich nichts, was diese Behauptung in Frage stellen könnte. Die in der zweiten Vorlagefrage, Buchst. a, enthaltene Prämisse scheint daher nicht belegt zu sein.

60.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht daher im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass ein Anbieter, der Hard- und Software sowie technischen Support anbietet, die es ermöglichen, Fernsehsendungen über das Internet an Endnutzer weiterzuverbreiten und einen Dienst zur Aufzeichnung und zum Abruf dieser Sendungen anzubieten (IPTV-Lösung), und der diese Hard- und Software seinen Kunden zur eigenen Nutzung zur Verfügung stellt, eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung vornimmt.

 Prüfung der Frage

61.      Nach einem fundamentalen Grundsatz des Urheberrechts der Union, der im 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29(31) verankert und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs(32) anerkannt ist, stellt die bloße Bereitstellung der Einrichtungen, die eine Wiedergabe ermöglichen oder bewirken, selbst keine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Richtlinie dar. Der Unterschied zwischen einer bloßen Bereitstellung von Einrichtungen und der öffentlichen Wiedergabe liegt in der Rolle des Anbieters bei der öffentlichen Übertragung konkreter geschützter Werke. Nur wenn der Anbieter eine aktive Rolle bei dieser Übertragung spielt, kann sein Handeln als eine Wiedergabe angesehen werden.

62.      Dieser Unterschied wird durch zwei Entscheidungen des Gerichtshofs verdeutlicht. Zunächst hat der Gerichtshof in seinem Urteil Stichting Brein(33) das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe im Fall der Bereitstellung von multimedialen Abspielgeräten anerkannt, auf denen Hyperlinks zu Websites vorinstalliert waren, über die urheberrechtlich geschützte Werke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Er war nämlich der Ansicht, dass die Installation solcher Hyperlinks eine unmittelbare Verbindung zwischen den Werken, die auf den Internetseiten, zu denen diese Links führten, bereitgestellt wurden, und den Käufern der multimedialen Abspielgeräte herstellt. Es handelte sich daher nicht um eine schlichte Bereitstellung von Einrichtungen in Form von multimedialen Abspielgeräten, sondern um eine Handlung der Wiedergabe, die über vorinstallierte Hyperlinks erfolgte(34).

63.      Sodann hatte der Gerichtshof im Fall der Vermietung von mit Radiogeräten ausgestatteten Fahrzeugen ohne jegliche Verbindung zu einer Übertragung konkreter geschützter Werke keine Bedenken, das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe zu verneinen und festzustellen, dass es sich um eine bloße Bereitstellung von Einrichtungen handelte(35).

64.      Ich räume ein, dass Leistungen, wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens sie erbringt, weit komplexer sind als die Vermietung von Fahrzeugen mit Radiogeräten. Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass diese Leistungen, zumindest was den vor Ort erbrachten Dienst betrifft, als bloße Bereitstellung von Einrichtungen im Sinne des 27. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/29 zu beurteilen sind und daher keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 dieser Richtlinie darstellen.

65.      Erstens halte ich es für offensichtlich, dass der Begriff „Einrichtungen“, auch wenn er weder in der Richtlinie 2001/29 noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs definiert wird, weit genug gefasst ist, um nicht nur die eigentliche technische Ausrüstung (die „Hardware“, um den in der Informatik geläufigen Begriff zu verwenden) zu umfassen, sondern auch die Programme und Daten (in der IT‑Terminologie: die „Software“), die die Funktion dieser Geräte ermöglichen. Die Software aus der Definition des Begriffs „Einrichtungen“ auszuschließen wäre nämlich meines Erachtens völlig anachronistisch, weil heutzutage nahezu jedes technische Gerät, das dazu bestimmt ist, eine Wiedergabe im Sinne der Richtlinie 2001/29 durchzuführen oder zu empfangen, einen Prozessor besitzt und zu seinem Betrieb Software benötigt. Außerdem unterscheidet sich die Software unter dem Gesichtspunkt des oben erwähnten Unterschieds zwischen öffentlicher Wiedergabe und bloßer Bereitstellung von Einrichtungen nicht von der Hardware, weil sie allein keine Übertragung konkreter urheberrechtlich geschützter Werke bewirkt.

66.      Zweitens ändert die Tatsache, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens den Netzbetreibern neben der Hard- und Software auch technischen Support und Anpassungen der Funktion dieser Hard- und Software zur Verfügung stellt, meiner Ansicht nach nicht grundlegend die Rolle, die sie beim Einsatz ihrer IPTV-Lösung spielt. Im Gegensatz zu der insbesondere von der Kommission vertretenen Auffassung reicht die Leistung technischen Supports meines Erachtens nicht aus, um festzustellen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahren eine öffentliche Wiedergabe vornimmt. Bei der Bereitstellung komplexer technischer Einrichtungen sind die Anpassung ihrer Funktionsweise und der Support durch den Anbieter während dieser Bereitstellung übliche Zusatzleistungen. In manchen Fällen sind sie sogar notwendig, damit der Nutzer die betreffenden Einrichtungen in vollem Umfang nutzen kann, weil häufig nur der Anbieter sie ausreichend beherrscht, um ihren ordnungsgemäßen Betrieb zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere für Software, die für ihren ordnungsgemäßen Betrieb eine kontinuierliche Wartung in Form von Fehlerkorrekturen oder in Form von Updates erfordert(36).

67.      Die Auffassung, dass bereits der Umstand, dass beim Betrieb von Einrichtungen technische Unterstützung geleistet wird, die bloße Bereitstellung solcher Einrichtungen in eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Gegenstände verwandele, sofern diese Einrichtungen einer solchen Wiedergabe dienten, würde den im 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 enthaltenen Vorbehalt und das Gleichgewicht, das dieser Erwägungsgrund sicherstellen soll, ihrer Wirkung berauben. Ich bin daher der Auffassung, dass der Begriff „Bereitstellung der Einrichtungen“ in diesem Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass er auch einen technischen Support umfasst, der das ordnungsgemäße Funktionieren der gelieferten Einrichtungen sicherstellen soll.

68.      Drittens schließlich nimmt nach einer in der Rechtsprechung des Gerichtshofs mittlerweile klassischen Formulierung eine Handlung der Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vor, wer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das verbreitete Werk grundsätzlich nicht abrufen könnten(37). Diese Formulierung konzentriert sich auf drei grundlegende Elemente, nämlich den Zugang zum Werk, den Urheber der Wiedergabe(38) und dessen Kunden, die das Publikum bilden, an das sich die Wiedergabe richtet. Durch diese Beziehung, die den Urheber der Wiedergabe, den Zugang zum Werk und die Kunden (das Publikum) verbindet, wird eine Handlung der Wiedergabe definiert. Die beiden anderen Elemente, d. h. die Kenntnis des Urhebers der Wiedergabe von der Sachlage und seine zentrale Rolle, sind zwar unerlässlich, reichen aber für sich allein nicht aus, um eine Wiedergabe darzustellen.

69.      Bei einer Fallgestaltung wie der im Ausgangsverfahren sind die Endnutzer, die hier die Öffentlichkeit darstellen, nicht die Kunden des Anbieters der IPTV-Lösung, im vorliegenden Fall die Beklagte des Ausgangsverfahrens, sondern die Kunden der Nutzer dieser Lösung, d. h. der Netzbetreiber. Daher sind es diese Netzbetreiber, die ihren Kunden Zugang zu den geschützten Werken verschaffen, sei es in Form der Live-Übertragung von Fernsehsendungen über das Internet oder des Abrufs dieser Sendungen nach ihrer Aufzeichnung.

70.      Dagegen kann die Kenntnis, die die Beklagte des Ausgangsverfahrens nach dem Vorbringen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens davon hat, dass ihre IPTV-Lösung dazu verwendet werden kann, der Öffentlichkeit Zugang zu Fernsehsendungen ohne die Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte an diesen Sendungen zu gewähren, nicht ausreichen, um der Beklagten des Ausgangsverfahrens eine Wiedergabe dieser Sendungen zuzurechnen, ohne dass eine Verbindung zwischen ihr und den Endnutzern besteht. Ebenso wenig nimmt die Beklagte des Ausgangsverfahrens aus Sicht der Endnutzer, die von der Existenz dieses Unternehmens möglicherweise gar nichts wissen, eine zentrale Rolle bei der Wiedergabe ein. Diese Rolle wird wiederum von den Netzbetreibern eingenommen, die durch den Abschluss von Verträgen mit ihren Kunden über die Bereitstellung von Internetfernsehdiensten das relevante Publikum für die fragliche Wiedergabe bestimmen. Mit anderen Worten verdanken die Endnutzer den Zugang zu den entsprechenden Sendungen den Verträgen, die sie mit den Netzbetreibern geschlossen haben. Die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens bereitgestellte IPTV-Lösung ist lediglich ein Werkzeug, das diesen Zugang ermöglicht, ohne dass eine Verbindung zu den konkreten Personen besteht, die das Publikum bilden.

71.      Ich schlage daher vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass ein Anbieter, der Hard- und Software sowie technischen Support anbietet, die es ermöglichen, Fernsehsendungen über das Internet an Endnutzer weiterzuverbreiten und einen Dienst zur Aufzeichnung und zum Abruf dieser Sendungen anzubieten (IPTV-Lösung), und der diese Hard- und Software seinen Kunden zur eigenen Nutzung zur Verfügung stellt, keine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung vornimmt.

 Ergebnis

72.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof (Österreich) vorgelegten Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft

sind dahin auszulegen, dass

die Bereitstellung eines zusätzlichen Dienstes zur Aufzeichnung von Fernsehsendungen durch den Betreiber eines Online-Fernsehübertragungsdiensts, bei dem

–        nicht bei jeder von einem Nutzer initiierten Aufzeichnung eine eigenständige Kopie des Inhalts der programmierten Sendung angefertigt wird, sondern, soweit der betreffende Inhalt bereits auf Initiative eines erstaufzeichnenden anderen Nutzers gespeichert wurde, lediglich eine Referenz erstellt wird, die es dem nachfolgenden Nutzer ermöglicht, auf den bereits aufgezeichneten Inhalt zuzugreifen, und

–        eine Replay-Funktion, bei der das Fernsehprogramm aller ausgewählten Sender rund um die Uhr vollständig aufgezeichnet wird, es ermöglicht, dieses Programm über sieben Tage hinweg zeitversetzt anzusehen, sofern der Nutzer die Auswahl bei den jeweiligen Sendern durch Anklicken eines Kästchens trifft,

nicht unter die in dieser zweiten Bestimmung genannte Ausnahme vom ausschließlichen Recht fällt, die Vervielfältigung geschützter Werke zu erlauben oder zu verbieten.

2.      Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29

ist dahin auszulegen,

dass ein Anbieter, der Hard- und Software sowie technischen Support anbietet, die es ermöglichen, Fernsehsendungen über das Internet an Endnutzer weiterzuverbreiten und einen Dienst zur Aufzeichnung und zum Abruf dieser Sendungen anzubieten (IPTV-Lösung), und der diese Hard- und Software seinen Kunden zur eigenen Nutzung zur Verfügung stellt, keine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung vornimmt.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Vgl. u. a. Urteile vom 8. September 2016, GS Media (C‑160/15, EU:C:2016:644), vom 26. April 2017, Stichting Brein (C‑527/15, EU:C:2017:300), vom 14. Juni 2017, Stichting Brein (C‑610/15, EU:C:2017:456), und vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503).


3      Siehe Nrn. 94 bis 106 der vorliegenden Schlussanträge.


4      Ich habe allerdings selbst zur Entwicklung dieser Rechtsprechungslinie beigetragen (vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Stichting Brein, C‑610/15, EU:C:2017:99).


5      Vgl. die Rechtssache, in der das Urteil vom 2. April 2020, Stim und SAMI (C‑753/18, EU:C:2020:268), ergangen ist, sowie die derzeit beim Gerichtshof anhängigen verbundenen Rechtssachen Blue Air Aviation (C‑775/21 und C‑826/21).


6      ABl. 2001, L 167, S. 10.


7      ABl. 2006, L 376, S. 28.


8      BGBl. Nr. 111/1936.


9      D. h. nur für Abonnenten zugänglich.


10      Internet Protocol Television.


11      Diese Informationen sind den schriftlichen Stellungnahmen der Beklagten des Ausgangsverfahrens entnommen. Sie sind, was die Vor-Ort-Lösung betrifft, von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden. Dieser Aspekt ist jedoch für die Antwort auf die erste Vorlagefrage nicht entscheidend.


12      Vgl. zuletzt Urteil vom 24. März 2022, Austro-Mechana (C‑433/20, EU:C:2022:217, Tenor Nr. 1).


13      Vgl. u. a. Urteil vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).


14      Den Grundsatz, dass die Kopie aus einer rechtmäßigen Quelle stammen muss, um in den Genuss der Ausnahme für Privatkopien zu kommen, hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254, Tenor Nr. 1), aufgestellt.


15      Urteil vom 29. November 2017 (C‑265/16, EU:C:2017:913).


16      Die vorliegende Situation ist eine ganz andere als die eines eigenständigen Vervielfältigungsdiensts, bei dem der Nutzer – möglicherweise geschützte – Inhalte vervielfältigt, zu denen er anderweitig Zugang erhalten hat. Im letztgenannten Fall würde die Ausübung des ausschließlichen Vervielfältigungsrechts voraussetzen, dass die Inhaber dieses Rechts Kenntnis von den vervielfältigten Inhalten hätten, was in die Privatsphäre des Nutzers fiele.


17      Siehe Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.


18      Vgl. u. a. Urteil vom 24. März 2022, Austro-Mechana (C‑433/20, EU:C:2022:217).


19      D. h. die Fernsehsendungen, die Gegenstand der Weiterverbreitung im Internet sind.


20      Der Nutzer kann z. B. nicht entscheiden, sie zu löschen, solange andere Nutzer die Aufzeichnung desselben Inhalts programmiert haben.


21      Einschließlich des „ersten“ Endnutzers, der die Aufzeichnung ausgelöst hat, denn auch dessen Zugriff auf die Kopie beruht ebenso wie bei allen anderen Endnutzern auf einer „Referenz“. Dieser Begriff des „ersten Endnutzers“ ist zudem rein fiktiv, weil mehrere Nutzer die Aufzeichnung derselben Sendung im Voraus programmieren können, so dass sich zum Zeitpunkt der Auslösung der Aufzeichnung schwer sagen lässt, wer von ihnen die Aufzeichnung veranlasst hat.


22      Siehe Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge.


23      Sofern Letztere mit Genehmigung der Inhaber der Urheberrechte erfolgt.


24      Vgl. zuletzt Urteil vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503, Rn. 70).


25      Desgleichen ist darauf hinzuweisen, dass die Inhaber der dem Urheberrecht verwandten Schutzrechte nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 nur das Recht haben, zu erlauben oder zu verbieten, dass ihre Schutzgegenstände der Öffentlichkeit in nicht linearer Form zugänglich gemacht werden, was die These stützt, dass es sich um zwei verschiedene und voneinander unabhängige Rechte handelt.


26      Siehe Nr. 34 der vorliegenden Schlussanträge.


27      Natürlich gibt es auch nicht kostenpflichtige Speicherdienste. Deren Kosten werden somit vom Anbieter des Dienstes getragen, der sie jedoch auf die eine oder andere Weise wieder von den Nutzern erhebt. Nichts ist dagegen wirklich kostenlos.


28      Nicht zuletzt aufgrund einer dahin gehenden Anregung, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt. Vgl. u. a. Urteil vom 9. Juni 2016, EGEDA u. a. (C‑470/14, EU:C:2016:418).


29      Oder „logischer“ Kopien, wie es die Beklagte des Ausgangsverfahrens formuliert.


30      Vgl. Urteil vom 10. November 2016, Vereniging Openbare Bibliotheken (C‑174/15, EU:C:2016:856, Rn. 53).


31      Der seinerseits die Vereinbarte Erklärung zu Art. 8 des Vertrags der Weltorganisation für geistiges Eigentum über das Urheberrecht (WIPO-Urheberrechtsvertrag) übernimmt, der durch den Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 über die Zustimmung – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – zum WIPO-Urheberrechtsvertrag und zum WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (ABl. 2000, L 89, S. 6) genehmigt wurde.


32      Vgl. u. a. Urteil vom 2. April 2020, Stim und SAMI (C‑753/18, EU:C:2020:268, Rn. 33).


33      Urteil vom 26. April 2017 (C‑527/15, EU:C:2017:300).


34      Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein (C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 41).


35      Urteil vom 2. April 2020, Stim und SAMI (C‑753/18, EU:C:2020:268, Rn. 33 bis 36).


36      Hierzu weise ich darauf hin, dass die fehlerbehebende Wartung einer Software gemäß der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009, L 111, S. 16) vertraglich dem Inhaber der Urheberrechte an dieser Software vorbehalten werden kann (Urteil vom 6. Oktober 2021, Top System, C‑13/20, EU:C:2021:811, Rn. 67). Im Übrigen können dem Nutzer schlicht die technischen Fähigkeiten fehlen, um eine solche Wartung durchzuführen.


37      Vgl. jüngst Urteil vom 22. Juni 2021, YouTube und Cyando (C‑682/18 und C‑683/18, EU:C:2021:503, Rn. 68).


38      Der nicht mit dem Urheber des Werks verwechselt werden darf.