Language of document : ECLI:EU:C:2023:378

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTHONY M. COLLINS

vom 4. Mai 2023(1)

Rechtssache C148/22

OP

gegen

Commune d’Ans

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal du travail de Liège [Arbeitsgericht Lüttich, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2000/78/EG – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Verbot von Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung – Art. 2 Abs. 2 Buchst. a – Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i – Art. 2 Abs. 5 – Art. 4 Abs. 1 – Dienstordnung einer öffentlichen Einrichtung, die deren Bediensteten das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz untersagt – Einer Arbeitnehmerin auferlegtes Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs – Grundsatz der Neutralität des Staates“






 Einleitung

1.        In mehreren europäischen Ländern ist die Problematik des Tragens religiöser Zeichen im öffentlichen Raum, in Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz regelmäßig Gegenstand intensiver Debatten innerhalb der Zivilgesellschaft, der politischen Klasse und der Medien. Insbesondere die Frage, ob ein Arbeitgeber das Recht hat, seinen Arbeitnehmern diesbezügliche Beschränkungen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben aufzuerlegen, ruft lebhafte Kontroversen hervor. Hierbei handelt es sich um eine sensible Frage, die es erfordert, das Grundrecht der Religionsfreiheit, das mit dem Verbot von Diskriminierungen wegen der Religion einhergeht, mit anderen Freiheiten und Grundsätzen wie beispielsweise der unternehmerischen Freiheit, den Grundsätzen der Laizität, der Neutralität und der Unparteilichkeit sowie dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer in Einklang zu bringen.

2.        In den letzten Jahren hatte der Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt des Verbots der „Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung“ im Sinne der Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(2) mehrfach den Fall im privaten Sektor beschäftigter Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens zu prüfen, denen von ihrem Arbeitgeber untersagt worden war, das islamische Kopftuch(3) am Arbeitsplatz zu tragen(4).

3.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal du travail de Liège (Arbeitsgericht Lüttich, Belgien) knüpft an diese Rechtssachen an, weist aber die Besonderheit auf, dass das Verbot des Tragens religiöser Zeichen am Arbeitsplatz dieses Mal nicht von einem privaten, sondern von einem öffentlichen Arbeitgeber, im vorliegenden Fall einer Gemeinde, ausgeht. Der Gerichtshof hat sich erstmals zu einem Fall zu äußern, in dem u. a. die Frage aufgeworfen wird, ob es die Art und die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes sowie der den einzelnen Mitgliedstaaten eigene Kontext gebieten, sich im vorliegenden Fall für eine andere Lösung zu entscheiden, als sie in diesen früheren Rechtssachen gewählt worden ist.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

4.        Nach ihrem Art. 1 ist Zweck der Richtlinie 2000/78 die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung(5), einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

5.        Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 „bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 [dieser Richtlinie] genannten Gründe geben darf“.

6.        Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 sieht vor, dass für die Zwecke von deren Art. 2 Abs. 1

„a)      … eine unmittelbare Diskriminierung vor[liegt], wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      … eine mittelbare Diskriminierung vor[liegt], wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich …“

7.        Nach ihrem Art. 2 Abs. 5 berührt die Richtlinie 2000/78 nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

8.        Der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 wird in ihrem Art. 3 festgelegt, dessen Abs. 1 u. a. bestimmt:

„Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

9.        Art. 4 („Berufliche Anforderungen“) dieser Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.“

 Belgisches Recht

10.      Mit dem Gesetz vom 10. Mai 2007 zur Bekämpfung bestimmter Formen von Diskriminierung(6) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Allgemeines Antidiskriminierungsgesetz) soll die Richtlinie 2000/78 in belgisches Recht umgesetzt werden.

11.      Gemäß seinem Art. 3 wird mit dem Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetz bezweckt, für die in Art. 5 erwähnten Angelegenheiten einen allgemeinen Rahmen zu schaffen für die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund des Alters, der sexuellen Ausrichtung, des Personenstands, der Geburt, des Vermögens, der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, der politischen Überzeugung, der Sprache, des aktuellen oder künftigen Gesundheitszustands, einer Behinderung, eines körperlichen oder genetischen Merkmals oder der sozialen Herkunft.

12.      In Art. 4 dieses Gesetzes, der sich auf die Begriffsbestimmungen bezieht, heißt es:

„Für die Anwendung des vorliegenden Gesetzes versteht man unter:

1.      Arbeitsverhältnissen: die Beziehungen, die unter anderem die Beschäftigung, die Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen und die Kündigungsregelungen umfassen, und dies:

–        sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor,

4.      geschützten Merkmalen: Alter, sexuelle Ausrichtung, Personenstand, Geburt, Vermögen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugung, politische Überzeugung, Sprache, aktueller oder künftiger Gesundheitszustand, eine Behinderung, ein körperliches oder genetisches Merkmal, soziale Herkunft,

6.      unmittelbarer Unterscheidung: Situation, die entsteht, wenn eine Person aufgrund eines der geschützten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde,

7.      unmittelbarer Diskriminierung: unmittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale, die nicht aufgrund der Bestimmungen von Titel II gerechtfertigt werden kann,

8.      mittelbarer Unterscheidung: Situation, die entsteht, wenn dem Anschein nach neutrale Bestimmungen, Kriterien oder Verfahren Personen, die durch ein bestimmtes geschütztes Merkmal gekennzeichnet sind, gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können,

9.      mittelbarer Diskriminierung: mittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale, die nicht aufgrund der Bestimmungen von Titel II gerechtfertigt werden kann,

…“

13.      Art. 5 § 1 des Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes sieht vor, dass dieses Gesetz mit Ausnahme der Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Gemeinschaften oder Regionen fallen, auf sämtliche Personen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, einschließlich der öffentlichen Einrichtungen, u. a. in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse anwendbar ist.

14.      Art. 7 dieses Gesetzes(7) lautet:

„Jede unmittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar, es sei denn, diese unmittelbare Unterscheidung ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und notwendig.“

15.      Art. 8 des Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes bestimmt:

„§ 1      In Abweichung von Artikel 7 und unbeschadet sonstiger Bestimmungen des vorliegenden Titels kann eine unmittelbare Unterscheidung aufgrund des Alters, der sexuellen Ausrichtung, der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder einer Behinderung in den in Artikel 5 § 1 Nr. 4, 5 und 7 erwähnten Angelegenheiten ausschließlich aufgrund wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen gerechtfertigt werden.

§ 2      Von einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung kann nur die Rede sein, wenn:

–      ein bestimmtes Merkmal, das im Zusammenhang mit dem Alter, der sexuellen Ausrichtung, der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder einer Behinderung steht, aufgrund der Art der betreffenden spezifischen Berufstätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung wesentlich und entscheidend ist und

–      die Anforderung auf einem rechtmäßigen Ziel beruht und im Verhältnis zu diesem erstrebten Ziel steht.

§ 3      Es obliegt dem Richter, im Einzelfall zu untersuchen, ob ein bestimmtes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt.

…“

16.      Art. 9 dieses Gesetzes sieht vor:

„Jede mittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale stellt eine mittelbare Diskriminierung dar,

–      es sei denn, die dem Anschein nach neutralen Bestimmungen, Kriterien oder Verfahren, die dieser mittelbaren Unterscheidung zugrunde liegen, sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und notwendig, …

…“

17.      Gemäß Art. 11 § 1 des Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes führt „[e]ine unmittelbare oder mittelbare Unterscheidung aufgrund eines der geschützten Merkmale … nie zu der Feststellung irgendeiner Form von Diskriminierung, die durch vorliegendes Gesetz verboten ist, wenn diese unmittelbare oder mittelbare Unterscheidung durch oder aufgrund eines Gesetzes auferlegt wird“.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18.      Am 11. April 2016 wurde die ausgebildete Juristin OP von der Gemeinde Ans (Belgien) (im Folgenden: Gemeinde) per befristetem Vertrag als Vertragsbedienstete eingestellt. Am darauffolgenden 11. Oktober wurde sie zur Büroleiterin befördert und ihr Vertrag in einen unbefristeten Vertrag umgewandelt. Sie ist mit der Bearbeitung öffentlicher Aufträge der Gemeinde beauftragt und nimmt ihre Aufgaben hauptsächlich wahr, ohne mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu stehen, d. h., um den vom vorlegenden Gericht verwendeten Ausdruck wiederzugeben, „im Back Office“(8).

19.      Am 8. Februar 2021 informierte OP, die muslimischen Glaubens ist, die Gemeinde offiziell über ihre Absicht, ab dem darauffolgenden 22. Februar am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen.

20.      Am 18. Februar 2021 erließ die Gemeinde eine erste Entscheidung, mit der OP untersagt wurde, „bis zum Erlass einer allgemeinen Regelung über das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen in Behörden“(9) bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit „Zeichen bestimmter Überzeugungen“(10) zu tragen.

21.      Am 26. Februar 2021 erließ die Gemeinde nach Anhörung von OP im Beistand ihres Rechtsanwalts eine zweite Entscheidung, mit der die erste ersetzt und das darin enthaltene Verbot bestätigt wurde.

22.      Am 29. März 2021 änderte die Gemeinde Art. 9 ihrer Dienstordnung. In seiner aus dieser Änderung hervorgegangenen Neufassung sieht dieser Artikel, der nunmehr mit „Neutralitäts- und Verschwiegenheitsverpflichtung“ überschrieben ist, u. a. vor(11):

„Der Arbeitnehmer verfügt über das Recht auf freie Meinungsäußerung unter Einhaltung des Grundsatzes der Neutralität, seiner Verschwiegenheitsverpflichtung und seiner Loyalitätspflicht.

Der Arbeitnehmer ist zur Einhaltung des Grundsatzes der Neutralität verpflichtet, was bedeutet, dass er sich jeder Form von Proselytismus enthält und es ihm untersagt ist, auffällige Zeichen, die sich dazu eignen, die ideologische oder weltanschauliche Zugehörigkeit bzw. die politische oder religiöse Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, für alle deutlich sichtbar zu tragen. Diese Regelung gilt sowohl für Kontakte im Publikumsverkehr als auch im Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen.

…“

23.      Anschließend leitete OP mehrere Verfahren vor den nationalen Gerichten ein, um u. a. feststellen zu lassen, dass die Gemeinde ihre Religionsfreiheit verletzt habe, und um die Aussetzung und Aufhebung der Entscheidungen der Gemeinde vom 18. und 26. Februar 2021 zu erwirken.

24.      Am 26. Mai 2021 befasste OP das vorlegende Gericht, das Tribunal du travail de Liège (Arbeitsgericht Lüttich), mit einer Unterlassungsklage(12), die u. a. auf die Feststellung gerichtet war, dass sie wegen der Religion und des Geschlechts diskriminiert werde und dass die Entscheidungen der Gemeinde vom 18. und 26. Februar 2021 sowie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel nichtig seien.

25.      Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, das OP von der Gemeinde in diesen Entscheidungen auferlegte Verbot, das islamische Kopftuch zu tragen, stelle eine „auf einer unmittelbaren Unterscheidung aufgrund des geschützten Merkmals ‚religiöse oder weltanschauliche Überzeugung‘ beruhende unmittelbare Diskriminierung“ dar. Denn auch wenn anerkannt werden könne, dass es innerhalb der Kommunalverwaltung eine ungeschriebene Regel gebe, die das Tragen „deutlich sichtbarer oder gar betont zur Schau gestellter“ Zeichen bestimmter Überzeugungen wie etwa des islamischen Kopftuchs verbiete, gehe jedoch aus mehreren von OP vorgelegten Fotografien hervor, dass das Tragen diskreter Zeichen bestimmter Überzeugungen toleriert werde. Diese unmittelbare Unterscheidung sei nicht durch wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen gerechtfertigt, da OP ihre Aufgaben hauptsächlich wahrnehme, ohne mit den Nutzern der öffentlichen Dienstleistung in Kontakt zu stehen. Sie sei auch nicht durch ein rechtmäßiges Ziel, zu dessen Erreichung die Mittel angemessen und erforderlich wären, sachlich gerechtfertigt.

26.      Zu der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regel stellt das vorlegende Gericht fest, dass sie „kollektive Tragweite“ habe, sich auf jedes deutlich sichtbare Zeichen bestimmter Überzeugungen beziehe und sich die Gemeinde mit ihrem Erlass für „exklusive Neutralität“ entschieden habe(13). Diese Regel stelle keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung dar, aber dem Anschein nach eine auf diesen Kriterien beruhende mittelbare Diskriminierung, wobei die vorgenommene Unterscheidung – zumindest wenn davon ausgegangen werde, dass „die exklusive Neutralität ein wesentlicher und offenkundiger Grundsatz des Rechtsstaats [in Belgien] ist und von allen strikt eingehalten werden muss“ – insbesondere nicht durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt zu sein scheine, da OP ihre Aufgaben hauptsächlich wahrnehme, ohne mit den Nutzern der öffentlichen Dienstleistung in Kontakt zu stehen. Außerdem praktiziere die Gemeinde offenbar eine Neutralität „mit variabler Geometrie“, nämlich exklusiv in Bezug auf OP und inklusiver in Bezug auf ihre Kollegen mit anderen weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen. Dementsprechend erlaubt das vorlegende Gericht OP vorläufig, ein sichtbares Zeichen bestimmter Überzeugungen zu tragen, es sei denn, sie steht in Kontakt mit den Nutzern der öffentlichen Dienstleistung oder nimmt Aufgaben wahr, bei denen sie Weisungen erteilt.

27.      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Tatsache, dass allen Angestellten eines öffentlichen Dienstes – sogar denjenigen, die keinen direkten Kontakt mit den Nutzern der öffentlichen Dienstleistung haben – eine „exklusive und absolute“ Neutralität auferlegt wird, ein rechtmäßiges Ziel darstellt und ob die Mittel zur Erreichung dieses Ziels, nämlich das Verbot des Tragens von Zeichen bestimmter Überzeugungen, angemessen und erforderlich sind.

28.      In diesem Zusammenhang hat das Tribunal du travail de Liège (Arbeitsgericht Lüttich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie [2000/78] dahin auszulegen, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen zu verbieten?

2.      Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie [2000/78] dahin auszulegen, dass er der öffentlichen Verwaltung erlaubt, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen selbst dann zu verbieten, wenn dieses neutrale Verbot offenbar mehrheitlich Frauen trifft und es sich daher um eine verdeckte Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln könnte?

29.      OP, die Gemeinde, die belgische, die französische und die schwedische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen vorgelegt. Am 31. Januar 2023 hat eine Sitzung stattgefunden, an der OP, die Gemeinde, die französische Regierung und die Kommission teilgenommen haben und auf der die letztgenannten Verfahrensbeteiligten mündlich verhandelt und Fragen des Gerichtshofs beantwortet haben.

 Würdigung

30.      Ich werde zunächst die zweite Vorlagefrage prüfen, die von der französischen Regierung hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und von der Mehrzahl der Verfahrensbeteiligten hinsichtlich ihrer Erheblichkeit beanstandet wird.

 Zweite Frage

31.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob davon ausgegangen werden kann, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 steht, soweit das in ihr vorgesehene Verbot offenbar mehr Frauen als Männer trifft und es sich daher um eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln könnte.

32.      Nach ständiger Rechtsprechung ist das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen(14).

33.      Die Notwendigkeit, zu einer Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, die für das nationale Gericht sachdienlich ist, macht es erforderlich, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese beruhen, erläutert. Der Gerichtshof ist nämlich nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift zu äußern(15).

34.      Der Gerichtshof betont im Übrigen, wie wichtig es ist, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof für erforderlich hält. Es ist unerlässlich, dass es in der Vorlageentscheidung selbst ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und dem nationalen Recht, das auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwenden ist, herstellt(16).

35.      Im vorliegenden Fall teile ich die Ansicht der französischen Regierung, wonach die Vorlageentscheidung den vorstehenden Anforderungen in Bezug auf die zweite Vorlagefrage nicht genüge, so dass diese unzulässig sei.

36.      Zum einen enthält die Vorlageentscheidung nämlich nicht den geringsten tatsächlichen Anhaltspunkt, anhand dessen sich beurteilen ließe, ob in der vorliegenden Rechtssache gegebenenfalls eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt.

37.      Zum anderen liefert das vorlegende Gericht keine Erläuterungen zu den Gründen, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung der Vorschriften des Unionsrechts, auf die es sich in Verbindung mit der zweiten Vorlagefrage bezieht, und des Zusammenhangs hat, den es zwischen diesen Vorschriften und dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit in Bezug auf eine solche Diskriminierung herstellt. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich insoweit lediglich auf einige von OP vorgebrachte Argumente gestützt hat, ohne diese näher auszuführen. Das mit Art. 267 AEUV eingeführte System eröffnet den Parteien eines bei einem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreits aber keinen Rechtsbehelf, und dieses Gericht muss nicht allein deshalb, weil eine Partei geltend macht, der Rechtsstreit werfe eine Frage nach der Auslegung von Unionsrecht auf, davon ausgehen, dass sich eine solche Frage im Sinne dieses Artikels stellt(17).

38.      Jedenfalls ist festzustellen, dass eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, worauf sämtliche Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Gemeinde in ihren schriftlichen Erklärungen hinweisen, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78, des einzigen in der zweiten Vorlagefrage herangezogenen Unionsrechtsakts, fällt. Folglich braucht das Vorliegen einer solchen Diskriminierung im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden(18).

39.      In Anbetracht des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, davon auszugehen, dass die zweite Vorlagefrage unzulässig ist und jedenfalls nicht geprüft zu werden braucht.

 Erste Frage

 Einleitende Bemerkungen

40.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel eine gegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/78 verstoßende unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung begründet. So wie es formuliert ist, gilt das in dieser Regel vorgesehene Verbot des Tragens von Zeichen bestimmter Überzeugungen bei der Arbeit allgemein und absolut für die Bediensteten der Gemeinde, d. h. unabhängig sowohl von der Art ihrer Aufgaben (Aufgaben, bei denen Weisungen erteilt werden, oder einfache Durchführungsaufgaben) als auch von den Bedingungen für deren Wahrnehmung (direkter Kontakt im Publikumsverkehr oder nicht). Festzuhalten ist, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht darum ersucht, die Vereinbarkeit dieser allgemein anzuwendenden Regel mit den vorerwähnten Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 zu prüfen und eine Unterscheidung nach Maßgabe der letztgenannten Annahmen vorzunehmen. Vielmehr möchte es wissen, ob diese Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie einer öffentlichen Einrichtung erlaubt, ein „vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ zu gestalten und folglich dem „gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht“, das Tragen solcher Zeichen zu verbieten.

41.      Darüber hinaus erscheint es mir angebracht, auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, die nach der Rechtsprechung als gegeben angesehen werden können und für die vorliegende Rechtssache relevant sind.

42.      Zunächst ist klar, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt. Wie aus ihrem Art. 3 Abs. 1 hervorgeht, gilt diese Richtlinie zum einen nämlich sowohl für den öffentlichen als auch für den privaten Bereich. Zum anderen ist davon auszugehen, dass eine Regel, die das Tragen sichtbarer Zeichen bestimmter – u. a. weltanschaulicher oder religiöser – Überzeugungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit verbietet, unter die „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ im Sinne von Buchst. c dieser Vorschrift fällt.

43.      Sodann ist der Begriff „Religion“ in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass er sowohl das forum internum, d. h. die Tatsache, bestimmte Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, d. h. die öffentliche Äußerung des religiösen Glaubens, umfasst(19). Die Tatsache, dass eine Frau das islamische Kopftuch trägt, stellt einen Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zur islamischen Religion dar. Im vorliegenden Fall geht aus der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts hervor, dass dies bei OP, deren aufrichtige Überzeugungen nicht in Zweifel gezogen werden können, gerade der Fall ist.

44.      Schließlich ist daran zu erinnern, dass sich die Richtlinie 2000/78 darauf beschränkt, einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf festzulegen, der den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vielfalt der von ihnen verfolgten Ansätze in Bezug auf den Platz, den sie in ihrem Inneren der Religion oder der Weltanschauung einräumen, einen Wertungsspielraum lässt. Somit erlaubt sie es, dem jeweiligen Kontext der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und jedem Mitgliedstaat im Rahmen des notwendigen Ausgleichs der verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Interessen einen Wertungsspielraum einzuräumen, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen diesen zu gewährleisten(20).

45.      In Anknüpfung an die in der vorstehenden Nummer dargelegten Erwägungen teile ich die Ansicht der französischen Regierung, wonach dieser Wertungsspielraum umso größer ist, wenn Grundsätze auf dem Spiel stehen, die unter die nationale Identität der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV fallen könnten(21). Nach dieser Vorschrift hat die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, die sich in deren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zeigt, zu achten, was nach Auffassung von Generalanwältin Kokott als eine Verpflichtung verstanden werden kann, die Pluralität der Auffassungen und somit der Unterschiede zu achten, die für jeden Mitgliedstaat kennzeichnend sind(22). Wie Generalanwalt Emiliou(23) komme ich zu dem Ergebnis, dass es nicht Sache der Union ist, für jeden Mitgliedstaat zu bestimmen, welche Elemente zu dem in Art. 4 Abs. 2 EUV genannten Kern der nationalen Identität gehören. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein erhebliches Ermessen, das jedoch nicht unbegrenzt ist(24). Zudem muss die von einem Mitgliedstaat geltend gemachte Auffassung von nationaler Identität mit den Grundwerten der Union im Einklang stehen (Art. 2 EUV)(25).

46.      Ohne an dieser Stelle der Frage vorgreifen zu wollen, ob das hier der Fall ist, stimme ich insoweit darüber hinaus der französischen Regierung zu, wenn sie vorträgt, das Vorsehen von Beschränkungen der Freiheit der Bediensteten des privaten Sektors, ihre politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu äußern, könne in einigen Mitgliedstaaten von so großer Bedeutung sein, dass es unter die nationale Identität falle, die sich in den grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen dieser Mitgliedstaaten zeige.

47.      Im gleichen Kontext erscheint es mir zudem angebracht, festzuhalten, dass die nationale Identität es u. a. ermöglicht, „die Wirkung des Unionsrechts in den für die Mitgliedstaaten als wesentlich erachteten Bereichen zu begrenzen“(26), und folglich bei der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gebührend zu berücksichtigen ist(27).

48.      Meine Antwort auf die erste Vorlagefrage wird wie folgt aufgebaut sein. Zunächst werde ich untersuchen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen kann. Sodann werde ich der Frage nachgehen, ob diese Regel zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen derselben Kriterien führen könnte. Schließlich werde ich, obwohl dieser Aspekt in der Vorlageentscheidung nicht ausdrücklich angeführt worden ist, prüfen, ob im vorliegenden Fall die Möglichkeit besteht, bestimmte in der Richtlinie 2000/78 vorgesehene Ausnahmen vom Verbot solcher Diskriminierungen anzuwenden.

 Zum Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung

49.      Das vorlegende Gericht ist unter Bezugnahme auf das Urteil G4S Secure Solutions der Meinung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstelle. Es ersucht den Gerichtshof gleichwohl, sich zu diesem Punkt zu äußern.

50.      In der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, wurde der Gerichtshof dazu befragt, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens, die allgemein das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellt(28). Im besagten Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass eine solche Regel keine derartige Diskriminierung begründet, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und nach ihr alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleich behandelt werden, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt(29).

51.      Der Gerichtshof hat diesen Ansatz in den Urteilen WABE und MH Müller Handel sowie S.C.R.L. bestätigt und hinzugefügt, dass, da jede Person eine Religion oder religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen haben kann, eine solche Regel, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung begründet, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder diesen Überzeugungen verbunden ist(30). Wie der Gerichtshof im Urteil WABE und MH Müller Handel darüber hinaus festgestellt hat, ist der Umstand, dass einige Arbeitnehmer religiöse Gebote befolgen, die eine bestimmte Bekleidung vorschreiben, nicht geeignet, die vorstehenden Beurteilungen in Frage zu stellen. Auch wenn es zutrifft, so der Gerichtshof, dass eine interne Regel, die neutrale Kleidung vorschreibt, diesen Arbeitnehmern Unannehmlichkeiten bereiten kann, ändert das nichts an der Feststellung, dass diese Regel grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführt, die auf einem untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbundenen Kriterium beruht(31).

52.      Wie die Gemeinde und die französische Regierung teile ich voll und ganz den Ansatz, dem der Gerichtshof in diesen Urteilen gefolgt ist, und sehe keinen Grund, weshalb in der vorliegenden Rechtssache, die, wie bereits bemerkt worden ist, den öffentlichen und nicht den privaten Bereich betrifft, davon abgewichen werden sollte.

53.      Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel unterschiedslos für jede Bekundung insbesondere religiöser Überzeugungen gilt, ist folglich davon auszugehen, dass sie alle Bediensteten der Gemeinde gleich behandelt, indem sie diesen allgemein und undifferenziert u. a. vorschreibt, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt. Eine derartige Regel begründet daher keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.

54.      Eine solche Diskriminierung wäre jedoch festzustellen, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel dahin zu verstehen wäre, dass sie sich lediglich auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen bezieht, was meines Erachtens das islamische Kopftuch einschließen könnte. Denn wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann eine interne Regel eines Unternehmens, die nur das Tragen solcher auffälliger Zeichen verbietet, eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn dieses Kriterium mit einer oder mehreren bestimmten Religion(en) oder Weltanschauung(en) untrennbar verbunden ist(32). Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel gilt für jedes „betont zur Schau gestellte“ Zeichen – ein Merkmal, das das vorlegende Gericht (nach meinem Dafürhalten richtigerweise) mit dem Merkmal „sichtbar“ gleichsetzt – und scheint sich somit nicht auf auffällige großflächige Zeichen zu beschränken, was das letztgenannte Gericht zu prüfen hat.

55.      Das vorlegende Gericht hat darüber hinaus zu prüfen, ob die Gemeinde die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel tatsächlich allgemein und unterschiedslos anwendet, insbesondere, ob sie OP und jeden anderen Bediensteten, der seine Religion oder seine weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen durch das Tragen sichtbarer Zeichen zum Ausdruck gebracht haben soll, gleich behandelt. Dieses Gericht stellt in der Vorlageentscheidung nämlich fest, dass die Gemeinde „eine Neutralität mit räumlich und zeitlich variabler Geometrie, exklusiv in Bezug auf OP und weniger exklusiv bzw. inklusiver für ihre Kollegen anderer Überzeugungen, [praktiziert]“ und hierfür „ausreichende Beweise“ geliefert habe. In ihren schriftlichen Erklärungen machen OP und die schwedische Regierung geltend, im vorliegenden Fall bestehe somit Anlass, eine unmittelbare Diskriminierung festzustellen.

56.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, in einem ersten Schritt auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine Bestimmung der Dienstordnung einer öffentlichen Einrichtung, die den Bediensteten mit dem Ziel, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten, das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Bediensteten, die beabsichtigen, ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Kleidungsstücks mit religiösem Bezug auszuüben, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern die Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

 Zum Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung

57.      Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung begründe.

58.      Nach ständiger Rechtsprechung kann eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden(33).

59.      Zwar ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel dem Anschein nach neutral, es lässt sich, wie auch die schwedische Regierung und die Kommission geltend gemacht haben, meines Erachtens aber nicht ausschließen, dass sie in der Praxis mehrheitlich Bedienstete der Gemeinde, die religiöse Gebote befolgen, die ihnen eine bestimmte Bekleidung vorschreiben, insbesondere weibliche Arbeitnehmer, die aufgrund ihres muslimischen Glaubens ein islamisches Kopftuch tragen, trifft. Ich schließe mich insoweit der Feststellung an, die Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Bougnaoui und ADDH getroffen hat und wonach diese Bediensteten, „[w]enn sie ihren religiösen Überzeugungen treu bleiben wollen, … keine andere Wahl [haben], als gegen die Regelung zu verstoßen und die Konsequenzen zu tragen“(34). Letztlich ist es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, dies anhand des Sachverhalts, mit dem es befasst ist, zu prüfen(35).

60.      Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 würde eine solche Ungleichbehandlung allerdings keine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie begründen, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt wäre und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich wären. Diese Voraussetzungen sind eng auszulegen(36).

61.      Es obliegt – darauf sei ein weiteres Mal hingewiesen – dem vorlegenden Gericht, festzustellen, ob und inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel den genannten Voraussetzungen genügt(37). Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung zweckdienliche Antwort zu geben, ist jedoch befugt, ihm auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Akten und schriftlichen Erklärungen Hinweise zu geben(38). Daran werde ich in den nachfolgenden Ausführungen anknüpfen.

–       Zum Vorliegen eines rechtmäßigen Ziels

62.      In Bezug auf die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels(39) geht aus der Vorlageentscheidung sowie den schriftlichen und mündlichen Erklärungen der Gemeinde hervor, dass diese das ihren Bediensteten auferlegte Verbot des Tragens von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit dem Grundsatz der Neutralität des Staates (oder des öffentlichen Dienstes)(40) und mit ihrem Willen begründet, ein „vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ zu gestalten(41).

63.      Wie die Mehrzahl der Verfahrensbeteiligten bin ich der Ansicht, dass der Wille einer öffentlichen Einrichtung wie etwa der Gemeinde, eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zu betreiben, ohne Weiteres ein rechtmäßiges Ziel darstellen kann.

64.      Zwar kann der Wille des öffentlichen Arbeitgebers, eine solche Politik zu betreiben – anders als der Gerichtshof in den Urteilen G4S Secure Solutions, WABE und MH Müller Handel sowie S.C.R.L.(42) entschieden hat –, in einem Fall wie dem vorliegenden, der den öffentlichen und nicht den privaten Bereich betrifft, nicht zur unternehmerischen Freiheit gehören, die in Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt ist(43). Dagegen könnte er meines Erachtens ganz allgemein mit den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer verknüpft werden, die u. a. die Achtung aller weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen der Bürger sowie die nichtdiskriminierende und gleichberechtigte Behandlung der Nutzer einer öffentlichen Dienstleistung voraussetzen. Wie die belgische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen unter Wiedergabe einer Passage aus einem Urteil des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) vom 27. März 2013 bemerkt, muss eine Behörde in einem demokratischen Rechtsstaat neutral sein, „weil sie die Behörde aller Bürger und für alle Bürger ist und diese grundsätzlich ohne jegliche Diskriminierung aufgrund ihrer Religion, Überzeugung oder Präferenz für eine Gemeinschaft oder Partei gleichbehandeln muss“(44).

–       Zum Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung

65.      Zu prüfen ist, ob der Wille des öffentlichen Arbeitgebers, im vorliegenden Fall der Gemeinde, eine Neutralitätspolitik zu betreiben, eine potenzielle mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich rechtfertigen kann. Insoweit scheint mir die im Zusammenhang mit dem privaten Sektor entwickelte Rechtsprechung des Gerichtshofs(45), wonach eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines echten Bedürfnisses des Arbeitgebers festgestellt werden kann, das dieser nachzuweisen hat, auch im vorliegenden Kontext ohne Weiteres einschlägig zu sein.

66.      Aus den schriftlichen Erklärungen der Kommission und den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass in Belgien unterschiedliche, ja sogar entgegengesetzte Auffassungen vom Grundsatz der Neutralität des Staates koexistieren, nämlich im Wesentlichen die „inklusive Neutralität“, die „exklusive Neutralität“ und dazwischenliegende Auffassungen. Die inklusive Auffassung von der Neutralität beruht auf der Annahme, dass das Erscheinungsbild des öffentlichen Bediensteten von der Art und Weise, auf die er die öffentliche Dienstleistung erbringt, zu trennen ist. Nach dieser Auffassung kommt es auf die Neutralität der Handlungen des Bediensteten und nicht auf die Neutralität seines Erscheinungsbilds an, so dass ihm nicht verboten werden kann, Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen. Die exklusive Auffassung von der Neutralität beruht hingegen auf der Annahme, dass sowohl die Handlungen des öffentlichen Bediensteten als auch dessen Erscheinungsbild streng neutral sein müssen. Nach dieser Auffassung muss jedem öffentlichen Bediensteten verboten sein, solche Zeichen am Arbeitsplatz zur Schau zu tragen, unabhängig davon, welcher Art seine Aufgaben sind und in welchem Kontext sie wahrgenommen werden. Es gibt auch dazwischenliegende Auffassungen von der Neutralität, die sich im Grenzbereich zwischen den beiden vorstehend beschriebenen Auffassungen bewegen. Sie bestehen beispielsweise darin, ein solches Verbot Bediensteten, die direkten Kontakt im Publikumsverkehr haben, oder solchen vorzubehalten, die Aufgaben wahrnehmen, bei denen Weisungen erteilt werden – im Gegensatz zu einfachen Durchführungsaufgaben.

67.      Im vorliegenden Fall hat sich die Gemeinde, wie das vorlegende Gericht ausdrücklich hervorhebt, mit dem Erlass der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regel aus freien Stücken für die „exklusive Neutralität“ entschieden, und dies, um ein „vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ zu schaffen(46). Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass sich die Gemeinde zur Rechtfertigung des letztgenannten Ziels im Wesentlichen damit begnügt, ein „zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis“ anzuführen, dessen Vorliegen sie lediglich damit nachzuweisen versucht, dass sie lapidare und abstrakte Aussagen tätigt(47).

68.      Meines Erachtens sollte das vorlegende Gericht unter zwei Blickwinkeln, die alternativ und nicht notwendigerweise kumulativ sind, prüfen, ob die Gemeinde, der insoweit die Beweislast obliegt(48), rechtlich hinreichend nachweist, dass ihre Entscheidung für ein exklusives Verständnis vom Grundsatz der Neutralität des Staates einem echten Bedürfnis entspricht.

69.      Als Erstes wäre diese Frage aus rechtlicher Sicht zu prüfen. Da es nicht Sache des Gerichtshofs ist, zum nationalen Recht Stellung zu nehmen, und erst recht nicht, zwischen den verschiedenen Auslegungen eines Begriffs oder Grundsatzes des einzelstaatlichen Rechts zu entscheiden und festzustellen, welche dieser Auslegungen richtig ist, werde ich meine nachstehenden Anmerkungen insoweit auf einige Erwägungen beschränken, die aus den Akten und den Erklärungen in der mündlichen Verhandlung hervorgehen.

70.      So stelle ich fest, dass keiner der Verfahrensbeteiligten irgendwelche nationalen Rechtsvorschriften angeführt hat, die die Gemeinde dazu verpflichten würden, ein exklusives Neutralitätsverständnis zu wählen und ihren Bediensteten folglich ein absolutes Verbot des Tragens von Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben aufzuerlegen.

71.      Darüber hinaus ist der Grundsatz der Neutralität des Staates, auch wenn er allgemein als Verfassungsgrundsatz eingestuft wird, als solcher offenbar nicht in der belgischen Verfassung – außer im sehr spezifischen Bereich der Bildung – niedergelegt, und vor allem scheinen sein Anwendungsbereich und sein Umfang in der belgischen Rechtsordnung nicht eindeutig und einheitlich definiert zu sein. Das legt für mich den Schluss nahe, dass dieser Grundsatz per se weder dazu verpflichtet, den öffentlichen Bediensteten das Tragen von Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu verbieten, noch die Möglichkeit eines solchen Verbots ausschließt.

72.      Aufgrund der vorstehenden Feststellung gehe ich entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung zudem davon aus, dass Art. 4 Abs. 2 EUV im vorliegenden Fall keine besondere Rolle spielt. Das scheinbare Fehlen einer verfassungsrechtlichen Definition des Anwendungsbereichs und des Inhalts des Grundsatzes der Neutralität des Staates in Belgien in Verbindung mit der Tatsache, dass die belgische Regierung es weder als sinnvoll erachtet hat, eine Antwort auf die erste Vorlagefrage vorzuschlagen, und es vorgezogen hat, sich insoweit auf die Weisheit des Gerichtshofs zu verlassen, noch an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, scheint darauf hinzudeuten, dass dieser Grundsatz – zumindest in seinem exklusiven Verständnis – nicht zur nationalen Identität des Königreichs Belgien im Sinne der erwähnten Vorschrift gehört.

73.      Als Zweites wäre zu prüfen, ob es tatsächliche Gesichtspunkte gibt, die die Entscheidung der Gemeinde für ein exklusives Verständnis von der Neutralität des Staates rechtfertigen. Die Kommission weist in ihren schriftlichen Erklärungen insoweit darauf hin, dass dieses Verständnis nicht von allen belgischen Gemeinden geteilt werde, wobei sie als Beispiele die Städte Gent (Belgien) und Mechelen (Belgien) anführt, die dem Personal ihrer Verwaltungen das Tragen von Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz vorbehaltlos gestatten, und ihr in der mündlichen Verhandlung keine Partei in diesem Punkt widersprochen habe. Es lässt sich nicht ausschließen, dass eine solche Lösung nicht auf die Gemeinde übertragbar ist, beispielsweise weil es in deren Hoheitsgebiet heftige gemeindliche Spannungen oder schwerwiegende soziale Probleme gibt, in ihrer eigenen Verwaltung Bekehrungshandlungen vorgenommen werden oder eine konkrete Gefahr von Konflikten zwischen Bediensteten vorliegt, die mit solchen Überzeugungen zusammenhängen. Hierzu stelle ich erneut fest, dass die Gemeinde solche Gesichtspunkte konkret zu beweisen und das vorlegende Gericht über deren Schlüssigkeit zu entscheiden hat.

–       Zur Angemessenheit und Erforderlichkeit der Mittel zur Verwirklichung des rechtmäßigen Ziels

74.      Falls das vorlegende Gericht in Anbetracht der in den vorstehenden Nummern der vorliegenden Schlussanträge gegebenen Hinweise den Schluss zieht, dass der Wille der Gemeinde, durch Betreiben einer Politik der exklusiven Neutralität ein „vollständig neutrales Verwaltungsumfeld“ zu schaffen, eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich rechtfertigen könnte, hätte es noch zu prüfen, ob das durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel auferlegte Verbot zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist.

75.      Was das erste Erfordernis angeht, so scheint mir unbestreitbar zu sein, dass, wenn sämtliche Bediensteten der Gemeinde ihre Aufgaben wahrnehmen müssten, ohne sichtbare Zeichen u. a. weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zur Schau zu stellen, dies zur Umsetzung der Politik der exklusiven Neutralität beitrüge, zu deren Verfolgung sich die Gemeinde entschlossen hat. Es bliebe jedoch noch zu prüfen, ob diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise angewandt wird(49). Wie ich bereits in Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge bemerkt habe, hegt das vorlegende Gericht Zweifel daran. Sollten sich diese als begründet erweisen, würde die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel nicht nur nicht dem Erfordernis der Angemessenheit der Mittel zur Verwirklichung des rechtmäßigen Ziels genügen, sondern außerdem eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen.

76.      Das zweite Erfordernis setzt eine Prüfung der Frage voraus, ob das in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regel vorgesehene Verbot auf das „unbedingt Erforderliche“ beschränkt ist(50). Ich erinnere insoweit daran, dass dieses Verbot allgemein und absolut, d. h. unabhängig sowohl von der Art der Aufgaben des Bediensteten als auch vom Kontext ihrer Wahrnehmung, gilt und der Gerichtshof darum ersucht wird, zu beurteilen, ob es – in seiner Gesamtheit betrachtet – mit der Richtlinie 2000/78 vereinbar ist(51). Somit hat das vorlegende Gericht das Verbot auf seine Erforderlichkeit hin zu prüfen. Zu diesem Zweck könnten die tatsächlichen Erwägungen, die ich in Nr. 73 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, bei der Suche nach einem gerechten Gleichgewicht zwischen den betroffenen Interessen berücksichtigt werden.

77.      In Anbetracht des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, in einem zweiten Schritt auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer Bestimmung der Dienstordnung einer öffentlichen Einrichtung ergibt, die den Bediensteten das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, durch den Willen dieser Einrichtung gerechtfertigt sein kann, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten, sofern erstens dieser Wille einem echten Bedürfnis der Einrichtung entspricht, das diese nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Umsetzung dieses Willens sicherzustellen, und drittens dieses Verbot auf das unbedingt Erforderliche beschränkt ist.

 Zu den Möglichkeiten für Abweichungen

78.      Falls der Schluss gezogen wird, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellt, fiele sie bei Anwendung einer der in der Richtlinie 2000/78 vorgesehenen – insbesondere der in ihrem Art. 2 Abs. 5 und in ihrem Art. 4 Abs. 1 genannten – Ausnahmen möglicherweise nicht unter das in dieser Richtlinie vorgesehene Verbot.

79.      Zwar befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht ausdrücklich zu diesen beiden Ausnahmen, die im Übrigen als solche von der Gemeinde nicht geltend gemacht worden zu sein scheinen. Die Frage ihrer Anwendung ist jedoch von OP und der französischen Regierung in deren schriftlichen Erklärungen in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 aufgeworfen und in der mündlichen Verhandlung auch in Bezug auf Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie erörtert worden. Um dem vorlegenden Gericht eine umfassende Antwort zu liefern, werde ich im Folgenden untersuchen, ob die Vorschriften im vorliegenden Fall anwendbar sind.

–       Zu Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78

80.      Da Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 eine Abweichung vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen begründet, ist er eng auszulegen(52).

81.      Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Begriff der „im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen“ im Sinne dieser Vorschrift nicht allein auf Maßnahmen beschränkt ist, die sich aus einem im Gesetzgebungsverfahren erlassenen Rechtsakt ergeben, sondern auch Maßnahmen erfasst, die auf Grundlage einer hinreichend genauen Ermächtigungsvorschrift ergangen sind(53).

82.      Sollte im vorliegenden Fall das Vorliegen einer Ungleichbehandlung festgestellt werden, ergäbe sich diese aus dem in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regel vorgesehenen Verbot.

83.      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, stellt diese Regel offensichtlich keinen aus einem Gesetzgebungsverfahren hervorgegangen Rechtsakt, d. h. ein Gesetz im formellen Sinne, dar.

84.      Außerdem scheint – obwohl es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, über diesen Punkt zu entscheiden – auf den ersten Blick auch nicht davon ausgegangen werden zu können, dass das in Rede stehende Verbot „auf Grundlage einer hinreichend genauen Ermächtigungsvorschrift“ im Sinne der in Nr. 81 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung ergangen ist. Ich stelle insoweit fest, dass keiner der Verfahrensbeteiligten in der Lage gewesen ist, irgendwelche nationalen Rechtsvorschriften oder irgendeine nationale Regelung zu ermitteln, die so angesehen werden könnte(n), dass sie eine öffentliche Einrichtung wie etwa die Gemeinde ermächtigen würde(n), Regeln zu erlassen, „die in einer demokratischen Gesellschaft … zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“. Die von der Gemeinde in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Tatsache, dass sie nach der belgischen Verfassung die Befugnis hat, sämtliche Angelegenheiten kommunalen Interesses zu regeln, kann einer solchen Ermächtigung vorbehaltlich des Tätigwerdens der Aufsichtsbehörde nach meinem Dafürhalten nicht gleichgesetzt werden.

85.      Folglich neige ich vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht durchzuführenden Überprüfungen der Schlussfolgerung zu, dass die in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 vorgesehene Ausnahme im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

–       Zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78

86.      Nach Auffassung der französischen Regierung könnte die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein. Angestellte im öffentlichen Sektor unterlägen aufgrund der Art ihrer beruflichen Tätigkeit nämlich einer strengen Neutralitätsverpflichtung, aus der sich die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung eines Verbots der Bekundung ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen ergebe.

87.      OP tritt der vorstehenden Auslegung entgegen und macht im Wesentlichen geltend, für die Zwecke dieser Vorschrift seien Art und Bedingungen für die Ausübung der betreffenden beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall bestehe ihre Tätigkeit aber darin, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge der Gemeinde zu bearbeiten, wobei die Ausübung ohne Kontakt im Publikumsverkehr erfolge. Somit könne vorliegend nicht von einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung die Rede sein.

88.      Ich erinnere daran, dass, wenn die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, den ich im Folgenden sukzessive prüfen werde, erfüllt sind, eine Ungleichbehandlung, die andernfalls eine – unmittelbare oder mittelbare – Diskriminierung darstellen würde, nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt. Ich weise ferner darauf hin, dass die genannte Vorschrift, soweit sie es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, im Licht des 23. Erwägungsgrundes der Richtlinie, der auf „sehr [begrenzte] Bedingungen“ Bezug nimmt, unter denen eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann, eng auszulegen ist(54).

89.      Als Erstes ist es Sache der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls „vorzusehen“, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe keine Diskriminierung darstellt. Im vorliegenden Fall scheint das Königreich Belgien mit dem Erlass von Art. 8 des Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes zumindest für Fälle einer unmittelbaren Ungleichbehandlung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben, was jedoch das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

90.      Als Zweites muss eine Ungleichbehandlung, um nicht als Diskriminierung eingestuft zu werden, nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 „wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 [dieser Richtlinie] genannten Diskriminierungsgründe steht“, erfolgen. Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche Anforderung darstellen muss(55). Meines Erachtens ist das in der vorliegenden Rechtssache der Fall. Das den Bediensteten der Gemeinde auferlegte Verbot, Zeichen zu tragen, die ihre Zugehörigkeit u. a. zu einer bestimmten Religion offenbaren könnten, wie beispielsweise das islamische Kopftuch, das eine Manifestation des muslimischen Glaubens ist, stellt ein mit der Religion im Zusammenhang stehendes Merkmal dar.

91.      Als Drittes muss das betreffende Merkmal eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ darstellen, wobei diese Anforderung von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung „objektiv“(56) vorgegeben sein muss. Insoweit stimme ich Generalanwältin Sharpston uneingeschränkt zu, die davon ausgeht, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in einer Weise Anwendung finden muss, die spezifisch ist, und nicht zur Rechtfertigung einer pauschalen Abweichung für alle Tätigkeiten dienen kann, die ein bestimmter Arbeitnehmer möglicherweise ausüben könnte(57). Im vorliegenden Fall vermag ich aber nicht zu erkennen, inwieweit die Tatsache, dass OP das islamische Kopftuch trägt, sie in irgendeiner Weise daran hindern würde, ihren Aufgaben als bei einer Kommunalverwaltung beschäftigte Juristin voll und ganz nachzukommen. Die Vorlageentscheidung enthält im Übrigen keinen Hinweis, der in diese Richtung gehen könnte. Das gilt umso mehr, als Bedienstete in anderen belgischen Gemeinden die gleichen Aufgaben wahrnehmen, ohne dass ihnen eine Beschränkung hinsichtlich der zu tragenden Bekleidung auferlegt wird, und zwar unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht oder nicht.

92.      Was als Viertes die Voraussetzung angeht, wonach das verfolgte Ziel rechtmäßig und die Anforderung verhältnismäßig sein muss, sofern sie in Anbetracht des Vorstehenden überhaupt geprüft werden muss, erlaube ich mir, auf meine Analyse in den Nrn. 62 bis 64 und 76 der vorliegenden Schlussanträge zu verweisen.

93.      Daher bin ich vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht durchzuführenden Überprüfungen der Ansicht, dass auch die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 vorgesehene Ausnahme im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

 Ergebnis

94.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunal du travail de Liège (Arbeitsgericht Lüttich, Belgien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.      Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

ist dahin auszulegen, dass

eine Bestimmung der Dienstordnung einer öffentlichen Einrichtung, die den Bediensteten mit dem Ziel, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten, das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Bediensteten, die beabsichtigen, ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Kleidungsstücks mit religiösem Bezug auszuüben, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern die Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

2.      Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78

ist dahin auszulegen, dass

eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer Bestimmung der Dienstordnung einer öffentlichen Einrichtung ergibt, die den Bediensteten das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, durch den Willen dieser Einrichtung gerechtfertigt sein kann, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten, sofern erstens dieser Wille einem echten Bedürfnis der Einrichtung entspricht, das diese nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Umsetzung dieses Willens sicherzustellen, und drittens dieses Verbot auf das unbedingt Erforderliche beschränkt ist.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2000, L 303, S. 16.


3      Unter „islamischem Kopftuch“, das auch als „islamischer Schleier“ oder „Hijab“ bezeichnet wird, ist ein Kleidungsstück zu verstehen, das Haare, Ohren und Hals verdeckt, das Gesicht aber sichtbar lässt.


4      Urteile vom 14. März 2017, G4S Secure Solutions (C‑157/15, im Folgenden: Urteil G4S Secure Solutions, EU:C:2017:203), vom 14. März 2017, Bougnaoui und ADDH (C‑188/15, im Folgenden: Urteil Bougnaoui und ADDH, EU:C:2017:204), vom 15. Juli 2021, WABE und MH Müller Handel (C‑804/18 und C‑341/19, im Folgenden: Urteil WABE und MH Müller Handel, EU:C:2021:594), sowie vom 13. Oktober 2022, S.C.R.L. (Kleidungsstück mit religiösem Bezug) (C‑344/20, im Folgenden: Urteil S.C.R.L., EU:C:2022:774).


5      Der Gerichtshof hat klargestellt, dass für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes sind und der Diskriminierungsgrund „der Religion oder der Weltanschauung“ sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen umfasst (Urteil S.C.R.L., Rn. 26, 27 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


6      Belgisches Staatsblatt vom 30. Mai 2007, S. 29016.


7      Unter Titel II („Rechtfertigung der Unterscheidungen“) fasst das Allgemeine Antidiskriminierungsgesetz die Art. 7 bis 13 zusammen.


8      OP zufolge beschränken sich ihre direkten Kontakte mit der Öffentlichkeit auf die Entgegennahme persönlich abgegebener Angebote, wenn die Übermittlung auf elektronischem Wege nicht obligatorisch ist, was nur gelegentlich vorkommen soll, und die punktuelle Vertretung der Gemeinde vor einer Überprüfungsinstanz der Wallonischen Region (Belgien) auf dem Gebiet der Stadtplanungsgenehmigungen.


9      In der Vorlageentscheidung ist von der Existenz einer ungeschriebenen, gemeinhin anerkannten und befolgten Regel innerhalb der Kommunalverwaltung die Rede, wonach deren Bedienstete immer davon Abstand genommen haben, bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit Zeichen bestimmter Überzeugungen zu tragen.


10      Unter dem Ausdruck „Zeichen bestimmter Überzeugungen“, der in Belgien häufig verwendet wird, sind Gegenstände, Bildnisse, Kleidungsstücke oder Symbole zu verstehen, die eine Zugehörigkeit zu einer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung zum Ausdruck bringen.


11      Im weiteren Verlauf der vorliegenden Schlussanträge wird auf diese in der Änderungsfassung von Art. 9 der Dienstordnung der Gemeinde vorgesehene Regel mit der Wendung „im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regel“ Bezug genommen.


12      Diese Klage beruht sowohl auf dem Allgemeinen Antidiskriminierungsgesetz als auch auf dem Gesetz vom 10. Mai 2007 zur Bekämpfung der Diskriminierung zwischen Frauen und Männern (Belgisches Staatsblatt vom 30. Mai 2007, S. 29031).


13      Zur Unterscheidung zwischen exklusiver und inklusiver Neutralität vgl. Nr. 66 der vorliegenden Schlussanträge.


14      Urteil vom 1. August 2022, Vyriausioji tarnybinės etikos komisija (C‑184/20, EU:C:2022:601, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15      Urteil vom 2. März 2023, Bursa Română de Mărfuri (C‑394/21, EU:C:2023:146, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16      Urteil vom 9. September 2021, Toplofikatsia Sofia u. a. (C‑208/20 und C‑256/20, EU:C:2021:719, Rn. 19).


17      Beschluss vom 3. Juli 2014, Talasca (C‑19/14, EU:C:2014:2049, Rn. 22).


18      Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 58).


19      Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20      Urteil S.C.R.L. (Rn. 48 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2022, Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“ (C‑490/20, EU:C:2021:296, Nr. 71).


23      Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:166, Nr. 86).


24      Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:166, Nr. 86).


25      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“ (C‑490/20, EU:C:2021:296, Nr. 73) sowie Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:166, Nr. 87).


26      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“ (C‑490/20, EU:C:2021:296, Nr. 86).


27      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache G4S Secure Solutions (C‑157/15, EU:C:2016:382, Nr. 32) sowie Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:166, Nr. 83). Vgl. auch entsprechend Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo (C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 43 bis 45).


28      In jener Rechtssache war die Klägerin, die muslimischen Glaubens ist, von dem sie beschäftigenden privaten Unternehmen entlassen worden, weil sie sich weigerte, während der Arbeitszeiten auf das Tragen des islamischen Kopftuchs zu verzichten, und damit gegen eine Bestimmung der unternehmensinternen Regelung verstieß, die wie folgt lautete: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“


29      Urteil G4S Secure Solutions (Rn. 30 und 32).


30      Urteile WABE und MH Müller Handel (Rn. 52) sowie S.C.R.L. (Rn. 33 und 34). Das erste dieser Urteile betraf u. a. Dienstanweisungen eines Kindertagesstätten betreibenden Unternehmens, wonach die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz keine für Eltern, Kinder und Dritte sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen tragen durften. Das zweite bezog sich auf eine Bestimmung der Arbeitsordnung eines privaten Unternehmens, die es den Arbeitnehmern untersagte, ihre religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mochten, in irgendeiner Weise, durch Worte oder durch die Kleidung oder auf andere Weise, zum Ausdruck zu bringen.


31      Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 53).


32      Urteile WABE und MH Müller Handel (Rn. 72 und 73) sowie S.C.R.L. (Rn. 31).


33      Urteil S.C.R.L. (Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


34      Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Bougnaoui und ADDH (C‑188/15, EU:C:2016:553, Nr. 110).


35      Urteile G4S Secure Solutions (Rn. 34) sowie WABE und MH Müller Handel (Rn. 59).


36      Vgl. in diesem Sinne Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 61 und 62).


37      Urteil G4S Secure Solutions (Rn. 36).


38      Urteil vom 2. Februar 2023, Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland (C‑372/21, EU:C:2023:59, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39      Die Richtlinie 2000/78 definiert diesen Begriff nicht für die Zwecke ihres Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i.


40      In ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen beruft sich die Gemeinde darüber hinaus auf den Grundsatz der Unparteilichkeit. Etymologisch gesehen fußt das Konzept der „Neutralität“ auf dem Zustand einer Person oder einer Einrichtung, die sich einer Entscheidung enthält, die eine zurückhaltende Position einnimmt, während das Konzept der „Unparteilichkeit“ eine Entscheidungsfindung voraussetzt, ohne aber eine persönliche Präferenz erkennen zu lassen. Ich glaube allerdings nicht, dass für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache streng zwischen den beiden Konzepten unterschieden werden muss. Der Grundsatz der Neutralität, der im vorliegenden Fall geltend gemacht wird, scheint mir untrennbar mit dem Grundsatz der Unparteilichkeit verknüpft zu sein, da er so konzipiert ist, dass er die Unparteilichkeit der Behörde gewährleistet.


41      In der Begründung der Änderung der Dienstordnung der Gemeinde wird u. a. auf Folgendes hingewiesen: „[D]er Grundsatz, wonach die Bediensteten der Kommunalverwaltung verpflichtet sind, sich einer Bekundung ihrer ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen durch äußere Zeichen zu enthalten, entspricht … dem Willen, den Grundwert der Neutralität des öffentlichen Dienstes zu bekräftigen; von den verschiedenen möglichen Abstufungen des Grundsatzes der Neutralität will die Behörde bei der Gestaltung ihrer Dienststellen ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld fördern.“


42      Urteile G4S Secure Solutions (Rn. 38), WABE und MH Müller Handel (Rn. 63) sowie S.C.R.L. (Rn. 39).


43      Wie Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache G4S Secure Solutions (C‑157/15, EU:C:2016:382, Nr. 81) ausführt, gehört es zu dieser Freiheit, dass „grundsätzlich der Unternehmer bestimmen darf, in welcher Art und Weise sowie unter welchen Bedingungen die im Betrieb anfallenden Arbeiten organisiert und erledigt werden sowie in welcher Form seine Produkte und Dienstleistungen angeboten werden“.


44      C.E., Urteil Nr. 223.042 vom 27. März 2013, Nr. VI.2.6.


45      Urteil S.C.R.L. (Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insoweit kann ich mich den Ausführungen des Gerichtshofs in Rn. 41 des Urteils nur anschließen, wonach „[d]iese Auslegung … von dem Bestreben geleitet [ist], grundsätzlich Toleranz und Respekt sowie die Akzeptanz eines größeren Maßes an Vielfalt zu fördern und zu verhindern, dass die Einführung einer Neutralitätspolitik innerhalb eines Unternehmens zum Nachteil von Arbeitnehmern missbraucht wird, die religiöse Gebote beachten, die das Tragen einer bestimmten Bekleidung vorschreiben“.


46      Vgl. Fn. 41 der vorliegenden Schlussanträge.


47      So bezieht sich die Gemeinde auf die „Struktur der Diensträume“, die es mit sich bringe, dass die Bediensteten jederzeit auf einen Bürger treffen könnten, und auf die Tatsache, dass „die allen Bediensteten auferlegte Neutralität des Erscheinungsbilds nicht nur eine exemplarische Funktion hinsichtlich der gegenüber der Öffentlichkeit einzunehmenden Haltung hat, sondern auch Gewähr für das ordnungsgemäße Funktionieren des Dienstes bietet und einen Weg bereitstellt, um zu verhindern, dass Spannungen zwischen Bediensteten entstehen“.


48      Vgl. insoweit Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, der Folgendes vorsieht: „Die Mitgliedstaaten ergreifen im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“


49      Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).


50      Urteil WABE und MH Müller Handel (Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).


51      Vgl. Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge.


52      Urteil vom 12. Januar 2023, TP (Audiovisueller Monteur für das öffentliche Fernsehen) (C‑356/21, EU:C:2023:9, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).


53      Urteil vom 7. November 2019, Cafaro (C‑396/18, EU:C:2019:929, Rn. 44). Die Ermächtigungsvorschrift muss hinreichend genau sein, damit gewährleistet wird, dass die betreffende Maßnahme die in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 genannten Anforderungen beachtet (Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a., C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 61).


54      Urteil vom 15. Juli 2021, Tartu Vangla (C‑795/19, EU:C:2021:606, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


55      Urteil Bougnaoui und ADDH (Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


56      Urteil Bougnaoui und ADDH (Rn. 40).


57      Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Bougnaoui und ADDH (C‑188/15, EU:C:2016:553, Nr. 95).