Language of document : ECLI:EU:C:2023:457

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

8. Juni 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 – Zollkodex der Union – Nach Überlassung der Waren entdeckte Mehrmenge an Waren – Art. 173 – Änderung der Zollanmeldung – Andere als die in der zu ändernden Anmeldung ursprünglich angemeldeten Waren – Art. 174 – Ungültigerklärung einer Zollanmeldung – Art. 42 – Von den zuständigen Zollbehörden verhängte Sanktionen – Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446“

In der Rechtssache C‑640/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 25. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2021, in dem Verfahren

SC Zes Zollner Electronic SRL

gegen

Direcţia Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport ClujNapoca

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, F. Clotuche-Duvieusart und F. Moro als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 173 und 174 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Union).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SC Zes Zollner Electronic SRL (im Folgenden: ZZE), einem rumänischen Unternehmen, und der Direcția Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport Cluj-Napoca (Regionaldirektion für Zölle Cluj – Grenzzollamt des Flughafens Cluj-Napoca, Rumänien) über deren Entscheidung, gegen ZZE ein Bußgeld zu verhängen, weil diese 5 000 elektronische integrierte Schaltungen der Zollkontrolle entzogen habe, sowie die Zahlung eines Betrags in Höhe des Zollwerts dieser Waren zuzüglich der Einfuhrabgaben und anderer geschuldeter Abgaben zu verlangen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92

3        Art. 66 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) sah vor:

„(1)      Die Zollbehörden erklären auf Antrag des Anmelders eine bereits angenommene Anmeldung für ungültig, wenn der Anmelder nachweist, dass die Waren irrtümlich zu dem in dieser Anmeldung bezeichneten Zollverfahren angemeldet worden sind oder dass infolge besonderer Umstände die Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren nicht mehr gerechtfertigt ist.

Haben jedoch die Zollbehörden den Anmelder davon unterrichtet, dass sie eine Beschau der Waren vornehmen wollen, so kann der Antrag auf Ungültigerklärung der Anmeldung erst angenommen werden, nachdem diese Beschau stattgefunden hat.

(2)      Nach Überlassung der Waren kann die Anmeldung außer in den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen nicht mehr für ungültig erklärt werden.

(3)      Die Ungültigerklärung der Anmeldung bleibt ohne Folgen für das geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.“

 Zollkodex der Union

4        Im 15. Erwägungsgrund des Zollkodex der Union heißt es:

„Voraussetzung für die Erleichterung des legalen Handels und die Betrugsbekämpfung sind einfache, schnelle, standardisierte Zollverfahren und Arbeitsabläufe. Es ist daher angezeigt, entsprechend der Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 2003 mit dem Titel ‚Eine vereinfachte, papierlose Umgebung für Zoll und Handel‘ [(KOM[2003] 452 endg.)] die zollrechtlichen Vorschriften zu vereinfachen, um die Nutzung moderner Hilfsmittel und Technologien zu ermöglichen, die einheitliche Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften und modernisierter Konzepte der Zollkontrollen weiter zu fördern und damit dazu beizutragen, die Grundlage für einfache und effiziente Abwicklungsverfahren zu gewährleisten. …“

5        Art. 5 („Begriffsbestimmungen“) dieses Kodex sieht in den Nrn. 16, 26 und 33 vor:

„Für den Zollkodex [der Union] gelten folgende Begriffsbestimmungen:

16.      ‚Zollverfahren‘ sind die folgenden Verfahren, in die Waren nach dem Zollkodex übergeführt werden können:

a)      Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr,

b)      besondere Verfahren,

c)      Ausfuhr.

26.      ‚Überlassung von Waren‘ ist die Handlung, durch die die Zollbehörden Waren für das Zollverfahren zur Verfügung stellen, in das die betreffenden Waren übergeführt werden.

33.      ‚Gestellung‘ ist die Mitteilung an die Zollbehörden, dass Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eingetroffen sind und für Zollkontrollen zur Verfügung stehen.“

6        Art. 15 („Übermittlung von Informationen an die Zollbehörden“) des Zollkodex der Union bestimmt in Abs. 2:

„Der Beteiligte ist mit Abgabe einer Zollanmeldung … für alle folgenden Umstände verantwortlich

a)      für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen in der Anmeldung …,

b)      für die Echtheit, die Richtigkeit und die Gültigkeit jeder der Anmeldung … beigefügten Unterlage,

c)      gegebenenfalls für die Erfüllung aller Pflichten im Zusammenhang mit der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren oder aus der Durchführung der bewilligten Vorgänge.

Unterabsatz 1 gilt auch für die Bereitstellung von Informationen in anderer von den Zollbehörden verlangter oder ihnen übermittelter Form.

…“

7        Art. 42 („Anwendung von Sanktionen“) des Zollkodex der Union sieht vor:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat sieht Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vor. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2)      Werden verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt, so können sie unter anderem in einer oder beiden folgenden Formen erfolgen:

a)      als eine von den Zollbehörden auferlegte finanzielle Belastung, gegebenenfalls auch an Stelle oder zur Abwendung einer strafrechtlichen Sanktion,

b)      als Widerruf, Aussetzung oder Änderung einer dem Beteiligten erteilten Bewilligung.

…“

8        Art. 139 („Gestellung der Waren“) des Zollkodex der Union bestimmt in Abs. 1 und 7:

„(1)      Die in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren sind bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle … unverzüglich … zu gestellen

(7)      Die gestellten Waren dürfen nicht ohne Zustimmung der Zollbehörden vom Ort der Gestellung entfernt werden.“

9        Art. 158 („Zollanmeldung von Waren und zollamtliche Überwachung von Unionswaren“) des Zollkodex der Union sieht in Abs. 1 vor:

„Für alle Waren, die in ein Zollverfahren – mit Ausnahme des Freizonenverfahrens – übergeführt werden sollen, ist eine Zollanmeldung zu dem jeweiligen Verfahren erforderlich.“

10      Art. 172 („Annahme der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union lautet:

„(1)      Zollanmeldungen, die die Anforderungen dieses Kapitels erfüllen, werden von den Zollbehörden unverzüglich angenommen, sofern die betreffenden Waren den Zollbehörden gestellt wurden.

(2)      Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist der Zeitpunkt der Annahme der Anmeldung durch die Zollbehörden maßgebend für die Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, sowie für alle anderen Ein- oder Ausfuhrformalitäten.“

11      Art. 173 („Änderung der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„(1)      Dem Anmelder wird auf Antrag auch nach Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden gestattet, eine oder mehrere in der Zollanmeldung enthaltene Angaben zu ändern. Die Änderung darf nicht zur Folge haben, dass sich die Zollanmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren bezieht.

(2)      Eine Änderung von Angaben in der Zollanmeldung ist jedoch nicht mehr gestattet, wenn sie beantragt wird, nachdem die Zollbehörden

a)      den Anmelder davon unterrichtet haben, dass sie beabsichtigen, eine Beschau der Waren vorzunehmen,

b)      festgestellt haben, dass die Angaben in der Zollanmeldung unrichtig sind,

c)      die Waren überlassen haben.

(3)      Die Änderung der Zollanmeldung kann auf Antrag des Anmelders innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren gestattet werden, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann.“

12      Art. 174 („Ungültigerklärung der Zollanmeldung“) des Zollkodex der Union lautet:

„(1)      Die Zollbehörden erklären eine bereits angenommene Zollanmeldung auf Antrag des Anmelders für in jedem der folgenden Fälle für ungültig,

a)      wenn sie davon überzeugt sind, dass die Waren unverzüglich in ein anderes Zollverfahren übergeführt werden müssen,

b)      wenn sie davon überzeugt sind, dass die Überführung der Waren in das Zollverfahren, zu dem sie angemeldet wurden, infolge besonderer Umstände nicht mehr gerechtfertigt ist.

Haben die Zollbehörden den Anmelder jedoch davon unterrichtet, dass sie beabsichtigen, eine Beschau der Waren vorzunehmen, so kann der Antrag auf Ungültigerklärung der Zollanmeldung erst angenommen werden, nachdem die Prüfung stattgefunden hat.

(2)      Sofern nichts anderes bestimmt ist, darf eine Zollanmeldung nach Überlassung der Waren nicht mehr für ungültig erklärt werden.“

13      Art. 175 („Befugnisübertragung“) des Zollkodex der Union bestimmt:

„Die Kommission wird ermächtigt, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 284 zu erlassen, um – wie in Artikel 174 Absatz 2 vorgesehen – festzulegen, in welchen Fällen eine Zollanmeldung, auch nach Überlassung der Waren für ungültig erklärt werden kann.“

 Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446

14      Art. 148 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. 2015, L 343, S. 1), die u. a gestützt auf Art. 175 des Zollkodex der Union erlassen wurde, bestimmt:

„(1)      Wird nachgewiesen, dass Waren irrtümlich zu einem Zollverfahren, das zum Entstehen einer Zollschuld bei der Einfuhr führt, statt zu einem anderen Zollverfahren angemeldet wurden, so wird die Zollanmeldung nach Überlassung der Waren auf begründeten Antrag des Anmelders für ungültig erklärt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

(2)      Wird nachgewiesen, dass Waren irrtümlich anstelle anderer Waren zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das zum Entstehen einer Zollschuld bei der Einfuhr führt, so wird die Zollanmeldung nach Überlassung der Waren auf begründeten Antrag des Anmelders für ungültig erklärt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

(3)      Bei Waren, die im Rahmen eines Fernabsatzvertrags gemäß Artikel 2 Absatz 7 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64)] verkauft, zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen und zurückgegeben werden, wird die Zollanmeldung auf begründeten Antrag des Anmelders für ungültig erklärt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

(4)      Neben den Fällen gemäß den Absätzen 1 bis 3 werden Zollanmeldungen nach Überlassung der Waren auf begründeten Antrag des Anmelders in jedem der folgenden Fälle für ungültig erklärt:

a)      die Waren wurden zur Ausfuhr, Wiederausfuhr oder passiven Veredelung überlassen und haben das Zollgebiet der Union nicht verlassen;

b)      Unionswaren wurden irrtümlich für ein auf Nicht-Unionswaren anwendbares Verfahren angemeldet und ihr zollrechtlicher Status als Unionswaren wurde anschließend mit einem Versandpapier T2L, T2LF oder einem Warenmanifest nachgewiesen;

c)      die Waren wurden irrtümlicherweise mit mehr als einer Zollanmeldung angemeldet;

d)      es wurde eine rückwirkende Bewilligung gemäß Artikel 211 Absatz 2 des Zollkodex erteilt;

e)      Unionswaren wurden in das Zolllagerverfahren gemäß Artikel 237 Absatz 2 des Zollkodex übergeführt und können gemäß Artikel 237 Absatz 2 des Zollkodex nicht mehr in dieses Verfahren übergeführt werden.

…“

 Rumänisches Recht

15      Nach Art. 68 der Legea nr. 86/2006 privind Codul vamal al României (Gesetz Nr. 86/2006 über den Zollkodex Rumäniens) (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 350 vom 19. April 2006, im Folgenden: Zollkodex Rumäniens) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung konnten Waren mit Zustimmung der Zollbehörde auf Antrag zur Zuweisung einer zollrechtlichen Bestimmung geprüft werden oder einer Probeentnahme unterzogen werden.

16      Art. 100 des Zollkodex Rumäniens bestimmt:

„(1)      Die Zollbehörde ist berechtigt, die Zollanmeldung innerhalb von fünf Jahren nach der Überlassung von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders zu ändern.

(2)      Innerhalb der in Abs. 1 genannten Frist überprüft die Zollbehörde alle Unterlagen, Register und Aufzeichnungen über die abgefertigten Waren oder die späteren Handelsgeschäfte mit diesen Waren. Die Prüfung kann beim Anmelder, bei jeder anderen Person, die unmittelbar oder mittelbar beruflich mit den genannten Geschäften zu tun hat, oder bei jeder anderen Person, die die genannten Unterlagen besitzt oder über entsprechende Informationen verfügt, durchgeführt werden. Soweit noch Waren vorhanden sind, kann auch eine physische Warenkontrolle vorgenommen werden.

(3)      Wird nach einer erneuten Prüfung der Anmeldung oder einer nachträglichen Prüfung festgestellt, dass die Vorschriften über das betreffende Zollverfahren auf der Grundlage unrichtiger oder unvollständiger Informationen angewandt wurden, so ergreift die Zollbehörde Maßnahmen, um die Situation unter Berücksichtigung der ihr vorliegenden neuen Informationen zu bereinigen.

(4)      Die Zollbehörde erstellt das Muster für das zur Bereinigung der Situation erforderliche Dokument und Anweisungen zum Ausfüllen dieses Musters.

(5)      Wird festgestellt, dass eine Zollschuld entstanden ist oder Überzahlungen geleistet worden sind, so ergreift die Zollbehörde Maßnahmen, um nach den gesetzlichen Vorschriften die fehlenden Beträge einzutreiben oder die Überzahlungen zu erstatten.

(6)      Im Rahmen der nachträglichen Prüfung der Anmeldungen bestimmt die Zollbehörde nach Abs. 3, ob in Bezug auf andere Steuern und Abgaben, die dem Staat im Zusammenhang mit Zollvorgängen geschuldet werden, Über- oder Unterzahlungen geleistet wurden, und ergreift Maßnahmen zur Einziehung der festgestellten Fehlbeträge. Überzahlungen für diese Steuern und Abgaben werden nach den für sie geltenden gesetzlichen Vorschriften erstattet.

(7)      Je nachdem, ob es sich bei der Zuwiderhandlung gegen die Zollvorschriften um eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat handelt, ist die Zollbehörde verpflichtet, die Sanktionen für Ordnungswidrigkeiten zu verhängen oder die Strafverfolgungsbehörden zu befassen.

(8)      Die angenommene und registrierte Zollanmeldung sowie das in Abs. 4 genannte Dokument stellen Schuldtitel dar.“

17      Gemäß Art. 653 Abs. 1 Buchst. a der Hotărârea Guvernului nr. 707/2006 pentru aprobarea Regulamentului de aplicare a Codului vamal al României (Regierungserlass Nr. 707/2006 über die Genehmigung der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens) vom 7. Juni 2006 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 520 vom 15. Juni 2006, im Folgenden: Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens), stellt es eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von 3 000 bis 8 000 rumänische Lei (RON) geahndet werden kann, wenn Güter oder Waren, die in ein Zollverfahren hätten übergeführt werden müssen, der Zollkontrolle entzogen werden. Außerdem werden in diesem Fall die Güter beschlagnahmt.

18      Art. 654 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens sieht vor, dass im Fall einer Ordnungswidrigkeit im Sinne von Art. 653 Abs. 1 Buchst. a, wenn die Waren nicht mehr identifiziert werden können, der Täter zur Zahlung ihres Zollwerts zuzüglich Einfuhrabgaben und anderer gesetzlich geschuldeter Abgaben, die den zum Zeitpunkt der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr festgelegten Steuern und Abgaben entsprechen, verpflichtet ist, wobei diese Maßnahme hinsichtlich des Erlöschens der Zollschuld dieselbe Rechtswirkung wie die Beschlagnahme der Waren hat.

19      Nach Art. 655 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens stellen die in den Art. 651 bis 653 genannten Handlungen Ordnungswidrigkeiten dar, wenn sie nicht in einer Weise begangen werden, durch die sie nach dem Strafrecht Straftaten darstellen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20      ZZE gab bei einem Schweizer Unternehmen zwei Bestellungen für insgesamt 10 000 elektronische integrierte Schaltungen auf. Das Schweizer Unternehmen stellte hierfür zwei Rechnungen aus, zum einen die Rechnung Nr. VFE19-03168 vom 2. Juli 2019 über eine Menge von 5 000 Stück und einen Betrag von 4 950 Euro und zum anderen die Rechnung Nr. VFE19-03169 vom 2. Juli 2019 ebenfalls über eine Menge von 5 000 Stück und einen Betrag von 4 950 Euro. Die Beförderung der betreffenden Waren wurde von einem Kurierdienst durchgeführt.

21      Am 4. Juli 2019 erhielt ZZE den Einfuhrschein zum Luftfrachtbrief Nr. 1Z3022056899895681 für ein Paket mit einem Gewicht von 2,7 kg und einem vom Beförderer angemeldeten Betrag von 4 950 Euro. Auf der Grundlage dieses Dokuments wurden beim Grenzzollamt des Flughafens Cluj-Napoca nur die Waren angemeldet, auf die sich die Rechnung Nr. VFE19-03169 vom 2. Juli 2019 einschließlich der Transportkosten bezog.

22      Bei Erhalt der Sendung in Satu Mare (Rumänien) stellten die Mitarbeiter von ZZE fest, dass das Paket die doppelte Menge der in der Rechnung Nr. VFE19-03169 vom 2. Juli 2019 ausgewiesenen Menge enthielt und dass der Lieferant am selben Tag die Rechnung Nr. VFE19-03168 ausgestellt hatte, die in der bei den Zollbehörden eingereichten Anmeldung nicht berücksichtigt worden war.

23      ZZE stellte daher am 9. Juli 2019 beim Grenzzollamt des Flughafens Cluj-Napoca einen Antrag auf Behebung der festgestellten Unregelmäßigkeit durch den Erlass einer Entscheidung der Zollbehörden zur Bereinigung der Situation und zur Berechnung der entsprechenden zollrechtlichen Verpflichtungen.

24      Am 2. September 2019 erließen die zuständigen Zollbehörden einen Bußgeldbescheid, in dem sie feststellten, dass ZZE die von der Rechnung Nr. VFE19-03168 vom 2. Juli 2019 erfassten Güter vorsätzlich der Zollkontrolle entzogen habe. Sie verhängten daher gegen ZZE ein Bußgeld in Höhe von 3 000 RON wegen der begangenen Ordnungswidrigkeit nach Art. 653 Abs. 1 Buchst. a der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens sowie eine zusätzliche Sanktion in Höhe von 27 839 RON gemäß Art. 654 dieser Verordnung.

25      ZZE focht diesen Bußgeldbescheid vor den rumänischen Gerichten an.

26      Die Judecătoria Cluj-Napoca (Gericht erster Instanz Cluj‑Napoca, Rumänien) wies die Klage von ZZE im ersten Rechtszug ab. Der in Art. 653 Abs. 1 Buchst. a der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens geregelte Verstoß könne sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden. Der Umstand, dass sich ZZE einige Tage nach der Überlassung der von ihr empfangenen Waren an die zuständigen Zollbehörden gewandt habe, um die Situation zu bereinigen, sei kein Grund, weshalb der ihr zur Last gelegte Sachverhalt keinen Verstoß darstellen sollte.

27      Im Übrigen war dieses Gericht der Ansicht, Art. 173 des Zollkodex der Union sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da diese Bestimmung die Änderung einer Zollanmeldung nicht zulasse, wenn diese Änderung zur Folge hätte, dass sich die Anmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren beziehe.

28      In Bezug auf das gegen ZZE verhängte Bußgeld vertrat das erstinstanzliche Gericht die Auffassung, dass es sich um das gesetzlich vorgesehene Mindestbußgeld handele und dass es proportional zum Grad der konkreten sozialen Gefährlichkeit der Vorgänge sei. Es war außerdem der Ansicht, dass die zusätzliche Sanktion, die gemäß Art. 654 der Durchführungsverordnung zum Zollkodex Rumäniens gegen ZZE verhängt worden sei, angemessen sei. Insbesondere angesichts des Zeitraums zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Waren der Zollkontrolle entzogen worden seien, und dem Zeitpunkt, zu dem die Zollbehörde mit ihnen befasst worden sei, sowie der Tatsache, dass ZZE im Lauf des Jahres 2019 acht weitere Einfuhren gleichartiger Waren desselben Lieferanten vorgenommen habe, sei die Beklagte des Ausgangsverfahrens nicht sicher gewesen, ob die der Zollkontrolle entzogenen Waren noch hätten identifiziert werden können. Außerdem hätte ZZE die fraglichen Waren gestellen können, nachdem sie die Behörden hiermit befasst habe, was sie jedoch nicht getan habe.

29      ZZE legte gegen diese Entscheidung beim Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

30      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die rumänischen Zollbehörden und Gerichte bei der Auslegung von Art. 173 des Zollkodex der Union, insbesondere dessen Abs. 3, unterschiedliche Auffassungen vertreten hätten, was den Grundsatz der Rechtssicherheit verletze. Es ist der Ansicht, dass, wenn Art. 173 des Zollkodex der Union in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren nicht anwendbar sei, es dennoch einen anderen legalen Weg geben müsse, um einen Fehler wie denjenigen, den die Klägerin des Ausgangsverfahrens begangen zu haben behauptet, zu berichtigen, nämlich entweder den in Art. 174 des Zollkodex der Union vorgesehenen Weg oder einen anderen Verfahrensweg, der keine schwerwiegenden Sanktionen mit sich bringe, die die Klägerin davon abhalten könnten, die geltenden Vorschriften zu befolgen.

31      Insoweit weist das vorlegende Gericht unter Verweis auf die in den Rn. 20 bis 23 des vorliegenden Urteils beschriebenen Umstände des Ausgangsverfahrens darauf hin, dass ZZE nicht bösgläubig gewesen sei.

32      Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 173 oder Art. 174 des Zollkodex der Union anwendbar, wenn der Empfänger feststellt, dass mehr Waren vorhanden sind als in der ursprünglichen Zollanmeldung angegeben?

2.      Bezieht sich die Wendung „andere als die ursprünglich angemeldeten Waren“ in Art. 173 des Zollkodex der Union auf andere Waren in quantitativer Hinsicht, in qualitativer Hinsicht oder in beiderlei Hinsicht?

3.      Steht dem Empfänger, wenn mehr Waren vorhanden sind als in der ursprünglichen Zollanmeldung angegeben, nach dem Zollkodex der Union ein Verfahren zur Verfügung, das es ihm erlaubt, die Fehler zu berichtigen, ohne sich ordnungswidrigkeitsrechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionen auszusetzen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

33      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 173 und 174 des Zollkodex der Union dahin auszulegen sind, dass sie anwendbar sind, wenn der Anmelder nach Abgabe seiner Zollanmeldung und nach der Überlassung feststellt, dass eine Warenmenge, die über die ursprünglich angemeldete Menge hinausgeht, ebenfalls hätte angemeldet werden müssen.

34      Was erstens Art. 173 des Zollkodex der Union betrifft, sieht dessen Abs. 1 vor, dass der Anmelder die Änderung seiner Anmeldung nach deren Annahme durch die Zollbehörden beantragen kann, sofern die beantragte Änderung nicht zur Folge hat, dass sich die Zollanmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren bezieht.

35      Nach Abs. 2 dieses Artikels ist eine solche Änderung nicht mehr gestattet, wenn sie beantragt wird, nachdem die Zollbehörden den Anmelder davon unterrichtet haben, dass sie beabsichtigen, eine Beschau der Waren vorzunehmen, nachdem die Zollbehörden festgestellt haben, dass die Angaben in der Zollanmeldung unrichtig sind, oder nachdem die Zollbehörden die Waren überlassen haben.

36      Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union sieht vor, dass die Zollbehörden auf Antrag des Anmelders innerhalb von drei Jahren nach der Annahme der Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren die Änderung der Zollanmeldung gestatten können, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann.

37      Somit ist aus Art. 173 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 des Zollkodex der Union abzuleiten, dass die Änderung der Zollanmeldung keinesfalls gestattet werden kann, wenn die beantragte Änderung zur Folge hat, dass sich die Zollanmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren bezieht. Um festzustellen, ob dieser Artikel in dem in Rn. 33 des vorliegenden Urteils beschriebenen Fall anwendbar ist, ist daher die Wendung „andere als die ursprünglich angemeldeten Waren“ im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels auszulegen.

38      Bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 16. Juli 2020, Pfeifer & Langen, C‑97/19, EU:C:2020:574, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Was erstens den Wortlaut von Art. 173 Abs. 1 Satz 2 des Zollkodex der Union betrifft, ist festzustellen, dass er durch die Verwendung des Adjektivs „andere“ hinreichend weit gefasst ist, um jede Änderung auszuschließen, die sich auf Waren bezieht, die nicht von der ursprünglichen Zollanmeldung erfasst sind, einschließlich der Waren, die quantitativ über die ursprünglich angemeldeten Waren hinausgehen. Denn selbst wenn die betreffenden Waren qualitativ mit den von dieser Anmeldung erfassten Waren identisch sind, entspricht diese Mehrmenge Waren, die ursprünglich gerade nicht angemeldet worden sind.

40      Zweitens wird eine enge Auslegung von Art. 173 Abs. 1 des Zollkodex der Union, die die Möglichkeit einer Änderung in Bezug auf Waren, die eine Mehrmenge gegenüber der in der ursprünglichen Zollanmeldung angegebenen Menge darstellen, ausschließt, durch den Regelungszusammenhang dieser Bestimmung bestätigt, zu dem zum einen Art. 173 Abs. 3 gehört. Dieser Abs. 3 sieht zwar die Möglichkeit vor, eine Zollanmeldung nach der Überlassung zu ändern, aber nur, „damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann“. Da eine Ware erst nach ihrer Anmeldung als in ein solches Verfahren übergeführt angesehen werden kann, kann sich Art. 173 des Zollkodex der Union nur auf Waren beziehen, die den Zollbehörden durch die Zollanmeldung, deren Änderung beantragt wird, zur Kenntnis gebracht worden sind. Dies kann jedoch bei einer Warenmenge, die über die ursprünglich angemeldete Menge hinausgeht, nicht der Fall sein.

41      Zum anderen beruht der Zollkodex der Union nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf einem Anmeldesystem, um Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen in geringstmöglichem Umfang zu halten und zugleich Betrugsfälle oder Unregelmäßigkeiten, die sich nachteilig auf den Haushalt der Union auswirken können, zu verhüten. Wegen der Bedeutung, die diesen Vorabanmeldungen für das ordnungsgemäße Funktionieren der Zollunion zukommt, verpflichtet Art. 15 des Zollkodex der Union die Anmelder dazu, richtige und vollständige Informationen zu erteilen (Urteil vom 9. Juli 2020, Unipack, C‑391/19, EU:C:2020:547, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Mit dieser Verpflichtung ist der Grundsatz verknüpft, dass die Zollanmeldung nach ihrer Annahme nicht widerrufbar ist, ein Grundsatz, dessen Ausnahmen im einschlägigen Unionsrecht streng eingegrenzt sind (Urteil vom 17. September 2014, Baltic Agro, C‑3/13, EU:C:2014:2227, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Zwar wird dieser Grundsatz der Unwiderruflichkeit unter der Geltung des Zollkodex der Union durch die in dessen Art. 173 vorgesehene Möglichkeit, eine Zollanmeldung zu ändern, eingeschränkt, doch stellt diese Möglichkeit eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar, die eng auszulegen ist.

44      Eine solche Auslegung bringt im Übrigen den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck. Wie sich nämlich aus einem Vergleich von Art. 173 Abs. 3 des Zollkodex der Union in der vom Unionsgesetzgeber erlassenen Fassung mit dem Text ergibt, den die Kommission dazu in Art. 149 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (KOM [2012] 64 endg.) vorgeschlagen hatte, hat der Unionsgesetzgeber Art. 173 die in Rn. 40 des vorliegenden Urteils angeführte Voraussetzung hinzugefügt, nach der eine solche Änderung nach Überlassung der Waren nur beantragt werden kann, damit der Anmelder seine Pflichten aus der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren erfüllen kann, und damit seinen Willen zum Ausdruck gebracht, die Möglichkeiten zur Änderung von Zollanmeldungen zu beschränken.

45      Was drittens die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung verfolgten Ziele angeht, ist festzustellen, dass sie eine Auslegung von Art. 173 Abs. 1 des Zollkodex der Union stützen, die die Möglichkeit einer Änderung in Bezug auf Waren, die eine Mehrmenge gegenüber der in der ursprünglichen Zollanmeldung angegebenen Menge darstellen, ausschließt, insbesondere das im 15. Erwägungsgrund des Zollkodex der Union genannte Ziel der Betrugsbekämpfung.

46      Zum einen ist nämlich, wie sich aus Rn. 41 des vorliegenden Urteils ergibt, die Pflicht der Anmelder, in ihren Anmeldungen richtige und vollständige Informationen zu erteilen, von wesentlicher Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren der Zollkontrollen sowie für die Bekämpfung von Betrugsfällen oder Unregelmäßigkeiten. Es ist daher mit der Verfolgung dieses Ziels vereinbar, dass die Möglichkeiten zur Änderung von Zollanmeldungen streng begrenzt sind. Zum anderen geht aus dem genannten Erwägungsgrund auch hervor, dass die Zollkontrollen untrennbar mit der Verwirklichung dieses Ziels verbunden sind.

47      Insoweit hat der Gerichtshof im Rahmen von Rechtssachen zur Überprüfung von Zollanmeldungen nach der Überlassung der Waren bereits auf die Bedeutung hingewiesen, die der Möglichkeit, die betreffenden Waren zu gestellen, zukommt, und auf die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, dass dies nicht mehr der Fall ist, wenn die zu überprüfenden Angaben eine physische Kontrolle der Waren erfordern, wie dies insbesondere bei Änderungen der materiellen Angaben zu diesen Waren, wie etwa ihrer Art oder Beschaffenheit der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 2005, Overland Footwear, C‑468/03, EU:C:2005:624, Rn. 47 und 48, sowie vom 16. Juli 2020, Pfeifer & Langen, C‑97/19, EU:C:2020:574, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Diese Erwägungen erklären, weshalb der Unionsgesetzgeber, um die Verwirklichung des Ziels der Betrugsbekämpfung sicherzustellen, mit Art. 173 Abs. 1 des Zollkodex der Union auf jeden Fall ausschließen wollte, dass die Änderung der materiellen Angaben der Zollanmeldung es dem Anmelder ermöglicht, sich der ursprünglichen Verpflichtung, die betreffenden Waren bei den Zollbehörden anzumelden, zu entziehen.

49      Nach alledem ist festzustellen, dass die Wendung „andere als die ursprünglich angemeldeten Waren“ im Sinne von Art. 173 Abs. 1 des Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass darunter eine Warenmenge fällt, die über die ursprünglich angemeldete Menge hinausgeht.

50      Folglich ist Art. 173 des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass ein Antrag auf Änderung der Zollanmeldung nicht in Betracht kommt, wenn er darauf gerichtet ist, diese Anmeldung dahin zu ändern, dass sie sich auf eine Warenmenge bezieht, die über die angemeldete Menge hinausgeht.

51      Was zweitens Art. 174 des Zollkodex der Union betrifft, bestimmt dieser, dass die Zollbehörden in bestimmten in Abs. 1 genannten Fällen eine bereits angenommene Zollanmeldung für ungültig erklären können. Wie unter der Geltung der Verordnung Nr. 2913/92, deren Art. 66 in die Bestimmungen von Art. 174 übernommen worden ist, entschieden wurde, erlischt im Fall der Ungültigerklärung die Zollschuld, die sich aus der für ungültig erklärten Anmeldung ergibt, und diese Anmeldung wird hinfällig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Pfeifer & Langen, C‑97/19, EU:C:2020:574, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Wie aber Art. 174 Abs. 2 des Zollkodex der Union klarstellt, ist eine solche Ungültigerklärung, „soweit nichts anderes bestimmt ist“, nur vor der Überlassung möglich. Somit ist Art. 174 nach einer solchen Überlassung grundsätzlich nicht anwendbar.

53      Art. 175 des Zollkodex der Union ermächtigt die Kommission jedoch, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um – wie in Art. 174 Abs. 2 dieses Kodex vorgesehen – festzulegen, in welchen Fällen eine Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren für ungültig erklärt werden kann. Unter anderem auf der Grundlage dieser Bestimmung hat die Kommission die Delegierte Verordnung 2015/2446 erlassen, die in Art. 148 die Bedingungen festlegt, unter denen die Ungültigerklärung der Zollanmeldung auch nach Überlassung der Waren gestattet werden kann. Wie sich jedoch bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, fallen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umstände unter keinen der in Art. 148 der Delegierten Verordnung 2015/2446 genannten Fälle, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist.

54      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist Art. 174 des Zollkodex der Union dahin auszulegen, dass in einem Fall wie dem in Rn. 33 des vorliegenden Urteils beschriebenen ein Antrag auf Ungültigerklärung einer Zollanmeldung nicht in Betracht kommt, wenn dieser Antrag nach Überlassung der Waren gestellt wurde, ohne dass die von der Kommission in Anwendung von Art. 175 des Zollkodex der Union festgelegten Fälle vorliegen.

55      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 173 und 174 des Zollkodex der Union dahin auszulegen sind, dass sie nicht anwendbar sind, wenn der Anmelder nach Abgabe seiner Zollanmeldung und nach der Überlassung feststellt, dass eine Warenmenge, die über die ursprünglich angemeldete Menge hinausgeht, ebenfalls hätte angemeldet werden müssen, sofern

–        zum einen ein Antrag auf Änderung der Zollanmeldung auf der Grundlage der erstgenannten Bestimmung nicht in Betracht kommt, wenn er darauf gerichtet ist, diese Anmeldung dahin zu ändern, dass sie sich auf eine Warenmenge bezieht, die über die angemeldete Menge hinausgeht, und

–        zum anderen ein Antrag auf Ungültigerklärung einer Zollanmeldung auf der Grundlage der letztgenannten Bestimmung nicht in Betracht kommt, wenn dieser Antrag nach Überlassung der Waren gestellt wurde, ohne dass die von der Kommission in Anwendung von Art. 175 des Zollkodex der Union festgelegten Fälle vorliegen.

 Zur dritten Frage

56      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Zollkodex der Union dahin auszulegen ist, dass ein Anmelder, wenn er nach der Überlassung feststellt, dass die eingeführte Warenmenge größer ist als in seiner Zollanmeldung angegeben, in Anwendung anderer Bestimmungen als der Art. 173 und 174 des Zollkodex der Union Abhilfe leisten kann, ohne dass ihm gegebenenfalls Sanktionen auferlegt werden.

57      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Anmelder in einem solchen Fall nach Art. 139 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1 des Zollkodex der Union auf jeden Fall verpflichtet ist, jede Warenmenge anzumelden, die über die angemeldete Menge hinausgeht. Der Zollkodex der Union schließt jedoch nicht aus, dass die Zollbehörden, auch wenn sie eine solche verspätete Anmeldung annehmen, gegen diesen Anmelder Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften verhängen können.

58      Art. 42 Abs. 1 des Zollkodex der Union sieht nämlich vor, dass jeder Mitgliedstaat Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vorsieht, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.

59      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sollen durch die in Art. 42 vorgesehenen Sanktionen jedoch nicht mögliche betrügerische oder widerrechtliche Handlungen, sondern Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften geahndet werden (Urteil vom 4. März 2020, Schenker, C‑655/18, EU:C:2020:157, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      Insoweit sind die Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Sanktionen bei Nichtbeachtung der Voraussetzungen, die eine nach dem Unionsrecht geschaffene Regelung vorsieht, befugt, die Sanktionen zu wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen. Sie sind allerdings verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten (Urteil vom 4. März 2020, Schenker, C‑655/18, EU:C:2020:157, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61      Insbesondere dürfen die nach den nationalen Rechtsvorschriften zulässigen administrativen oder repressiven Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit diesen Rechtsvorschriften in legitimer Weise verfolgten Ziele erforderlich ist und im Verhältnis zu diesen Zielen nicht unangemessen sein (Urteil vom 4. März 2020, Schenker, C‑655/18, EU:C:2020:157, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Daher müssen die Zollbehörden, wenn sie in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nationale Rechtsvorschriften anwenden, die mit den in den Rn. 60 und 61 des vorliegenden Urteils genannten Grundsätzen im Einklang stehen müssen, sowohl bei der rechtlichen Einordnung der möglicherweise begangenen Zuwiderhandlung als auch gegebenenfalls bei der Festlegung der zu verhängenden Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften alle maßgeblichen Umstände, eventuell einschließlich des guten Glaubens des Anmelders, berücksichtigen, um zu gewährleisten, dass diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

63      Nach alledem ist der Zollkodex der Union, insbesondere dessen Art. 42, Art. 139 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1, dahin auszulegen, dass ein Anmelder, wenn er nach der Überlassung feststellt, dass die eingeführte Warenmenge größer ist als in seiner Zollanmeldung angegeben, zur Abgabe einer neuen Anmeldung für diese Mehrmenge verpflichtet ist. Haben die Zollbehörden im Fall einer solchen verspäteten Anmeldung nationale Rechtsvorschriften anzuwenden, die Sanktionen nach Art. 42 des Zollkodex der Union vorsehen, müssen sie bei der rechtlichen Einordnung der möglicherweise begangenen Zuwiderhandlung und gegebenenfalls bei der Festlegung der zu verhängenden Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften alle maßgeblichen Umstände, eventuell einschließlich des guten Glaubens des Anmelders, berücksichtigen, um zu gewährleisten, dass diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

 Kosten

64      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 173 und 174 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union

sind dahin auszulegen, dass

sie nicht anwendbar sind, wenn der Anmelder nach Abgabe seiner Zollanmeldung und nach der Überlassung feststellt, dass eine Warenmenge, die über die ursprünglich angemeldete Menge hinausgeht, ebenfalls hätte angemeldet werden müssen, sofern

–        zum einen ein Antrag auf Änderung der Zollanmeldung auf der Grundlage der erstgenannten Bestimmung nicht in Betracht kommt, wenn er darauf gerichtet ist, diese Anmeldung dahin zu ändern, dass sie sich auf eine Warenmenge bezieht, die über die angemeldete Menge hinausgeht, und

–        zum anderen ein Antrag auf Ungültigerklärung einer Zollanmeldung auf der Grundlage der letztgenannten Bestimmung nicht in Betracht kommt, wenn dieser Antrag nach Überlassung der Waren gestellt wurde, ohne dass die von der Europäischen Kommission in Anwendung von Art. 175 dieser Verordnung festgelegten Fälle vorliegen.

2.      Die Verordnung Nr. 952/2013, insbesondere deren Art. 42, Art. 139 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1,

ist dahin auszulegen, dass

ein Anmelder, wenn er nach der Überlassung feststellt, dass die eingeführte Warenmenge größer ist als in seiner Zollanmeldung angegeben, zur Abgabe einer neuen Anmeldung für diese Mehrmenge verpflichtet ist. Haben die Zollbehörden im Fall einer solchen verspäteten Anmeldung nationale Rechtsvorschriften anzuwenden, die Sanktionen nach Art. 42 dieser Verordnung vorsehen, müssen sie bei der rechtlichen Einordnung der möglicherweise begangenen Zuwiderhandlung und gegebenenfalls bei der Festlegung der zu verhängenden Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften alle maßgeblichen Umstände, eventuell einschließlich des guten Glaubens des Anmelders, berücksichtigen, um zu gewährleisten, dass diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Rumänisch.