Language of document : ECLI:EU:C:2023:523

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

29. Juni 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus – Art. 4 Abs. 1 Satz 2 – Zusammenarbeit des Mitgliedstaats mit dem Antragsteller bei der Prüfung der für seinen Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte – Umfang – Generelle Glaubwürdigkeit eines Antragstellers – Art. 4 Abs. 5 Buchst. e – Prüfungskriterien – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2005/85/EG – Angemessene Prüfung – Art. 8 Abs. 2 und 3 – Gerichtliche Kontrolle – Art. 39 – Umfang – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Effektivitätsgrundsatz – Angemessene Frist für den Erlass einer Entscheidung – Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 – Folgen eines eventuellen Verstoßes“

In der Rechtssache C‑756/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hohes Gericht, Irland) mit Entscheidung vom 23. November 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 2021, in dem Verfahren

X

gegen

International Protection Appeals Tribunal,

Minister for Justice and Equality,

Irland,

Attorney General

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von X, vertreten durch B. Burns, Solicitor, Rechtsanwalt H. Hofmann und P. O’Shea, BL,

–        des International Protection Appeals Tribunal, des Minister for Justice and Equality, Irland und The Attorney General, vertreten durch M. Browne, C. Aherne und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von C. Donnelly, SC, sowie E. Doyle und A. McMahon, BL,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Februar 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 5 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12) sowie von Art. 8 Abs. 2 und 3, Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13).

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen X sowie erstens dem International Protection Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Sachen des internationalen Schutzes, Irland) (im Folgenden: IPAT), zweitens dem Minister for Justice and Equality (Minister für Justiz und Gleichstellung, Irland), drittens Irland und viertens dem Attorney General (Irland) (im Folgenden zusammen: IPAT u. a.) wegen der Zurückweisung der Rechtsbehelfe durch das IPAT, die X gegen die Ablehnung seiner Anträge auf Asyl und subsidiären Schutz eingelegt hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2004/83

3        Die Richtlinie 2004/83 wurde durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) ersetzt und aufgehoben. Da Irland nicht an der Annahme der letztgenannten Richtlinie beteiligt war und durch diese Richtlinie nicht gebunden ist, bleibt jedoch auf diesen Mitgliedstaat die Richtlinie 2004/83 anwendbar.

4        Art. 2 Buchst. a, d, e, f, g und k der Richtlinie 2004/83 enthält die folgenden Begriffsbestimmungen:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d) und f);

d)      ‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;

e)      ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel[s] 15 zu erleiden, und auf den Artikel 17 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;

f)      ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat;

g)      ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht;

k)      ‚Herkunftsland‘ das Land oder die Länder der Staatsangehörigkeit oder – bei Staatenlosen – des früheren gewöhnlichen Aufenthalts.“

5        Art. 4 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

(2)      Zu den in Absatz 1 genannten Anhaltspunkten gehören Angaben des Antragstellers zu Alter, familiären und sozialen Verhältnissen – auch der betroffenen Verwandten –, Identität, Staatsangehörigkeit(en), Land/Ländern und Ort(en) des früheren Aufenthalts, früheren Asylanträgen, Reisewegen, Identitätsausweisen und Reisedokumenten sowie zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen hierzu.

(3)      Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)      alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)      die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)      die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

(4)      Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

(5)      Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a)      der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren;

b)      alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c)      festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d)      der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war;

e)      die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

6        Art. 15 Buchst. c der Richtlinie hat folgenden Wortlaut:

„Als ernsthafter Schaden gilt:

c)      eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.“

 Richtlinie 2005/85

7        Die Richtlinie 2005/85 wurde durch die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) ersetzt und aufgehoben. Da Irland nicht an der Annahme der letztgenannten Richtlinie beteiligt war und durch diese Richtlinie nicht gebunden ist, bleibt jedoch auf diesen Mitgliedstaat die Richtlinie 2005/85 anwendbar.

8        Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/85 lautet:

„Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Asylbewerber, dass über Asylanträge so rasch wie möglich entschieden wird. Die Organisation der Bearbeitung von Asylanträgen sollte dem freien Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen bleiben, so dass sie gemäß den nationalen Erfordernissen unter Berücksichtigung der in dieser Richtlinie enthaltenen Normen Anträge vorrangig oder beschleunigt bearbeiten können.“

9        Art. 2 Buchst. b bis e der Richtlinie 2005/85 enthält folgende Begriffsbestimmungen:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚Antrag‘ oder ‚Asylantrag‘ den von einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen gestellten Antrag, der als Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaats im Sinne [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) in der durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung] betrachtet werden kann. Jedes Ersuchen um internationalen Schutz wird als Asylantrag betrachtet, es sei denn, die betreffende Person ersucht ausdrücklich um eine andere Form des Schutzes, die gesondert beantragt werden kann;

c)      ‚Antragsteller‘ oder ‚Asylbewerber‘ den Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist;

d)      ‚rechtskräftige Entscheidung‘ eine Entscheidung darüber, ob einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie 2004/83/EG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist … und gegen die vorbehaltlich des Anhangs III der vorliegenden Richtlinie kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der vorliegenden Richtlinie mehr eingelegt werden kann, unabhängig davon, ob ein solcher Rechtsbehelf zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen;

e)      ‚Asylbehörde‘ vorbehaltlich des Anhangs I jede gerichtsähnliche Behörde bzw. jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Asylanträgen zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen“.

10      Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie sieht vor:

„(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Asylbehörde ihre Entscheidung über einen Asylantrag nach angemessener Prüfung trifft. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass

a)      die Anträge einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft und entschieden werden;

b)      genaue und aktuelle Informationen verschiedener Quellen gesammelt werden, wie etwa des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Asylbewerber und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, und den für die Prüfung der Anträge und die Entscheidungen zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen;

c)      die für die Prüfung der Anträge und die Entscheidungen zuständigen Bediensteten die anzuwendenden Normen im Bereich Asyl- und Flüchtlingsrecht kennen.

(3)      Die in Kapitel V genannten staatlichen Stellen haben über die Asylbehörde oder den Antragsteller oder in sonstiger Weise Zugang zu den in Absatz 2 Buchstabe b genannten allgemeinen Informationen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.“

11      Art. 23 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten bearbeiten Asylanträge im Rahmen eines Prüfungsverfahrens unter Beachtung der in Kapitel II enthaltenen Grundsätze und Garantien.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein derartiges Verfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Asylbewerber für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann,

a)      über die Verzögerung informiert wird oder

b)      auf sein Ersuchen hin über den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung über seinen Antrag zu rechnen ist, unterrichtet wird. Diese Unterrichtung begründet für den Mitgliedstaat keine Verpflichtung gegenüber dem Asylbewerber, innerhalb dieses zeitlichen Rahmens eine Entscheidung zu treffen.“

12      Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 sieht vor:

„Unbeschadet der Artikel 19 und 20 können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nur dann als unbegründet betrachten, wenn die Asylbehörde festgestellt hat, dass der Asylbewerber nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt.“

13      In Art. 39 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 4 der Richtlinie 2005/85 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben gegen

a)      eine Entscheidung über ihren Asylantrag …

(4)      Die Mitgliedstaaten können für das Gericht nach Absatz 1 Fristen für die Prüfung der Entscheidung der Asylbehörde vorsehen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14      X ist ein pakistanischer Staatsangehöriger, der am 1. Juli 2015 nach Irland einreiste, nachdem er sich im Zeitraum von 2011 bis 2015 im Vereinigten Königreich aufgehalten hatte. Dort hatte er keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

15      Am 2. Juli 2015 stellte X in Irland einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dieser Antrag, der ursprünglich auf einer falschen Angabe beruhte, die X bei seinem ersten Gespräch zurücknahm, war auf die Tatsache gestützt, dass bei einem terroristischen Zwischenfall auf einer Beerdigung in Pakistan in seiner unmittelbaren Nähe eine Bombe explodiert war, durch die rund 40 Personen, darunter zwei Bekannte, zu Tode gekommen waren. X behauptet, über dieses Ereignis zutiefst bestürzt zu sein, so dass er Angst habe, in Pakistan zu leben, und befürchte, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, wenn er dorthin rückgeführt werde. Er gibt an, unter Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen zu leiden. Dieser Antrag wurde vom Refugee Applications Commissioner (Flüchtlingskommissar, Irland) mit Entscheidung vom 14. November 2016 abgelehnt.

16      Gegen diese Entscheidung legte X am 2. Dezember 2016 einen Rechtsbehelf beim Refugee Appeals Tribunal (Gericht für Rechtsbehelfe in Flüchtlingssachen, Irland) ein. Das Rechtsbehelfsverfahren wurde aufgrund am 31. Dezember 2016 erfolgender Gesetzesänderungen durch das Inkrafttreten des International Protection Act 2015 (Gesetz von 2015 über den internationalen Schutz), mit dem die verschiedenen zuvor vorgesehenen Verfahren betreffend internationalen Schutz vereinheitlicht und insbesondere das International Protection Office (Amt für internationalen Schutz, Irland, im Folgenden: IPO) und das IPAT geschaffen wurden, ausgesetzt.

17      Am 13. März 2017 stellte X einen Antrag auf subsidiären Schutz. Gegen die Ablehnung dieses Antrags durch das IPO legte X ebenfalls einen Rechtsbehelf beim IPAT ein.

18      Mit Entscheidung vom 7. Februar 2019 wies das IPAT beide Rechtsbehelfe zurück.

19      Am 7. April 2019 legte X ein Rechtsmittel zum High Court (Hohes Gericht, Irland) ein und beantragte die Aufhebung dieser Entscheidung des IPAT.

20      Zur Stützung seines Rechtsmittels machte X erstens geltend, dass das IPAT unvollständige und überholte Informationen über das Herkunftsland konsultiert habe, die aus den Jahren 2015 bis 2017 datierten, so dass es die zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung vom 7. Februar 2019 in Pakistan herrschenden Verhältnisse nicht berücksichtigt habe. Außerdem habe das IPAT die ihm vorliegenden Informationen nicht angemessen geprüft.

21      Zweitens sei die Dauer bis zur Entscheidung über den Antrag vom 2. Juli 2015 offensichtlich unangemessen und verstoße gegen den Effektivitätsgrundsatz, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und die in der Richtlinie 2005/85 festgelegten verfahrensrechtlichen Mindestnormen.

22      Drittens sei das IPAT auf den psychischen Gesundheitszustand von X aufmerksam gemacht worden, habe aber keine Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass ihm alle erforderlichen Beweise vorlägen, um über die Anträge ordnungsgemäß entscheiden zu können. Insbesondere hätte das IPAT ein rechtsmedizinisches Gutachten, das allgemein zur Stützung des Asylantrags eines Folterüberlebenden verwendet werde, oder sogar ein weiteres Gutachten über seinen psychischen Gesundheitszustand einholen müssen.

23      Viertens sei X eine günstige Auslegung zweifelhafter Umstände (benefit of the doubt) in Bezug auf andere für seinen Antrag maßgebliche Anhaltspunkte verweigert worden, obwohl sein psychischer Gesundheitszustand nicht ordnungsgemäß festgestellt und berücksichtigt worden sei. So seien maßgebliche Anhaltspunkte seines Antrags nicht überprüft bzw. ignoriert worden, und es habe keine Zusammenarbeit zwischen ihm und den zuständigen Behörden, insbesondere in Bezug auf das besagte rechtsmedizinische Gutachten, stattgefunden.

24      Fünftens sei es unter den Umständen der Rechtssache, die sich dadurch auszeichneten, dass der Antragsteller zugegeben habe, dass eine frühere Version der behaupteten Ereignisse falsch gewesen sei, und er möglicherweise an psychischen Gesundheitsproblemen leide, unbillig, wenn der Schluss gezogen werde, dass X in Bezug auf wichtige Anhaltspunkte seines Antrags nicht glaubwürdig sei.

25      Insoweit führt der High Court (Hohes Gericht) zunächst aus, dass das IPAT weder aktuelle Informationen über das Herkunftsland noch ein rechtsmedizinisches Gutachten eingeholt habe. Er fragt sich jedoch, ob das IPAT unionsrechtlich verpflichtet war, ein solches Gutachten einzuholen, und ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn im Einklang mit dem nationalen Recht verlangt wird, dass X außerdem das Vorliegen eines sich aus dieser Pflichtverletzung ergebenden Schadens nachweist, um die Aufhebung der Entscheidung des IPAT zu erwirken.

26      Sodann fragt sich das vorlegende Gericht, welche Konsequenzen es aus der Tatsache zu ziehen hat, dass zwischen der Einreichung des Antrags am 2. Juli 2015 und dem Erlass der Entscheidung des IPAT am 7. Februar 2019 mehr als drei Jahre und sechs Monate vergangen sind, ein Zeitraum zur Entscheidungsfindung, der für unangemessen erachtet werden könnte.

27      Schließlich zweifelt dieses Gericht daran, dass durch eine einzige Falschaussage, die X bei der ersten Gelegenheit erläutert und zurückgenommen hat, dessen generelle Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden kann.

28      Unter diesen Umständen hat der High Court (Hohes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Wenn im Rahmen eines Antrags auf subsidiären Schutz die Pflicht zur Zusammenarbeit, wie in Rn. 66 des Urteils des Gerichtshofs vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744), beschrieben, vollständig verletzt wurde, wurde dann der Prüfung dieses Antrags in dem im Urteil vom 15. Oktober 2015, Kommission/Deutschland (C‑137/14, EU:C:2015:683), angenommenen Sinne ihre „praktische Wirksamkeit“ genommen?

2.      Wenn die erste Frage bejaht wird, sollte dann die genannte Verletzung der Pflicht zur Zusammenarbeit ohne Weiteres einen Anspruch des Antragstellers auf Aufhebung der Entscheidung über die Verweigerung des subsidiären Schutzes begründen?

3.      Wenn die zweite Frage zu verneinen ist, wem obliegt es dann, gegebenenfalls nachzuweisen, dass die ablehnende Entscheidung anders hätte ausfallen können, wenn der Entscheider im Rahmen des Antrags auf subsidiären Schutz ordnungsgemäß mitgewirkt hätte?

4.      Sollte die Nichtentscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz innerhalb einer angemessenen Frist einen Anspruch des Antragstellers auf Aufhebung einer ablehnenden Entscheidung begründen, wenn sie ergangen ist?

5.      Entbinden Verzögerungen bei der Änderung des in einem Mitgliedstaat geltenden Asylschutzrahmens diesen Mitgliedstaat von der Anwendung einer internationalen Schutzregelung, nach der über einen solchen Schutzantrag innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden gewesen wäre?

6.      Ist ein Entscheider über einen Antrag auf internationalen Schutz, wenn ihm keine ausreichenden Beweise für den psychischen Gesundheitszustand eines Antragstellers vorliegen, aber Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Antragsteller möglicherweise solche Probleme hat, gemäß der im Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 66), genannten Pflicht zur Zusammenarbeit oder sonst verpflichtet, weiter zu ermitteln, oder hat er eine andere Pflicht, bevor er eine endgültige Entscheidung erlässt?

7.      Wenn ein Mitgliedstaat seiner Pflicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 nachkommt, die für einen Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen, kann dann ohne Weiteres festgestellt werden, dass die generelle Glaubwürdigkeit eines Antragstellers aufgrund einer einzigen Lüge, die bei der ersten bei vernünftiger Betrachtungsweise sich bietenden Gelegenheit danach erläutert und zurückgenommen wurde, nicht nachgewiesen ist?

 Zum Verfahren vor dem Gerichtshof

29      Das vorlegende Gericht hat beantragt, die Rechtssache dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

30      Am 17. Dezember 2021 hat der Gerichtshof auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, diesem Antrag nicht stattzugeben, da das vorlegende Gericht keinen Anhaltspunkt vorgelegt hat, der die Feststellung zuließ, dass eine Entscheidung der vorliegenden Rechtssache dringlich gewesen wäre. Das Gericht hatte insbesondere nicht ausgeführt, dass X sich in Haft befinde, und erst recht nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Antworten des Gerichtshofs für eine etwaige Freilassung von X hätten ausschlaggebend sein können.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

31      IPAT u. a. führen erstens aus, das vorlegende Gericht habe entgegen des Wortlauts der ersten Frage keine vollständige Verletzung der den zuständigen Behörden obliegenden Pflicht zur Zusammenarbeit festgestellt und habe eine solche Feststellung auf der Grundlage des Sachverhalts der bei ihm anhängigen Rechtssache auch gar nicht treffen können. Daher sei diese Frage hypothetisch. Zudem werde der Gerichtshof mit der Frage aufgefordert, maßgeblich über den Sachverhalt des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren zu entscheiden, was nicht in seinen Zuständigkeitsbereich falle. Diese Erwägungen gälten auch für die zweite und die dritte Frage, da diese mit der ersten Frage in engem Zusammenhang stünden.

32      Zweitens seien auch die vierte und die fünfte Frage hypothetisch, da der High Court (Hohes Gericht) keine Verletzung der Pflicht zum Erlass einer Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist festgestellt habe.

33      Drittens sei eine Beantwortung der sechsten Frage nicht erforderlich, da das IPAT die von X vorgelegten medizinischen Beweise berücksichtigt habe, ohne sie in Frage zu stellen.

34      Viertens sei die siebte Frage hypothetisch, da X klargestellt habe, dass er den Schlussfolgerungen des IPAT zu seiner Glaubwürdigkeit nicht entgegentrete, und die Falschaussage entgegen der Formulierung dieser Frage nicht der einzige Gesichtspunkt gewesen sei, der das IPAT zu der Auffassung veranlasst habe, dass die Glaubwürdigkeit von X nicht nachgewiesen sei. X habe nämlich erst sehr spät Schlüsselelemente betreffend die vergangenen Ereignisse erwähnt und in seinem ursprünglichen Antrag nicht um internationalen Schutz nachgesucht.

35      Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens ausschließlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Richters, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Solange diese Fragen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, über sie zu befinden (Urteil vom 20. September 2022, VD und SR, C‑339/20 und C‑397/20, EU:C:2022:703, Rn. 56).

36      Die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts kann nur dann abgelehnt werden, wenn die Auslegung des Unionsrechts, um die der Gerichtshof ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 20. September 2022, VD und SR, C‑339/20 und C‑397/20, EU:C:2022:703, Rn. 57).

37      Zudem hat der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Europäischen Union und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen (Urteil vom 20. Oktober 2022, Centre public d’action sociale de Liège [Rücknahme oder Aussetzung einer Rückkehrentscheidung], C‑825/21, EU:C:2022:810, Rn. 35).

38      Wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der Vorlagefragen festgelegt hat, ist es daher nicht Sache des Gerichtshofs, dessen Richtigkeit zu überprüfen (Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 50).

39      Im vorliegenden Fall geht erstens aus der ersten, der zweiten und der dritten Frage hervor, dass sich das vorlegende Gericht fragt, ob der wiedergegebene Sachverhalt eine Verletzung der Pflicht zur Zusammenarbeit darstellt und welche Konsequenzen es gegebenenfalls im Hinblick auf die seinen Befugnissen durch das nationale Recht auferlegten Grenzen aus einer solchen Feststellung zu ziehen hat. Entgegen dem Vorbringen von IPAT u. a. sind diese Fragen nicht hypothetisch, da sie im Mittelpunkt des Ausgangsverfahrens stehen. Darüber hinaus wird der Gerichtshof aufgefordert, diese Fragen unter Auslegung des Unionsrechts zu beantworten, und kann dies mithin tun, ohne maßgeblich über den Sachverhalt des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren zu entscheiden.

40      Zweitens können, da aus der Vorlageentscheidung eindeutig hervorgeht, dass der High Court (Hohes Gericht) beabsichtigt, einen Verstoß gegen die Pflicht zum Erlass seiner Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, die vierte und die fünfte Frage nicht allein deshalb hypothetisch sein, weil das vorlegende Gericht diese Feststellung noch nicht getroffen hat.

41      Drittens mindert der Umstand, dass das IPAT die von X vorgelegten medizinischen Beweise berücksichtigt hat, ohne sie in Frage zu stellen, nicht die Relevanz der sechsten Frage, die die etwaige Pflicht betrifft, ein ergänzendes rechtsmedizinisches Gutachten anzustrengen.

42      Viertens beanstanden IPAT u. a. mit ihren Einwänden gegen die Zulässigkeit der siebten Frage die vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Tatsachenfeststellungen sowie dessen Beurteilung in Bezug darauf, ob diese Frage für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens relevant ist. Es ist aber nicht Sache des Gerichtshofs, die Beurteilung des vorlegenden Gerichts durch seine eigene zu ersetzen, weder im Hinblick auf Tatsachenfeststellungen noch hinsichtlich einer solchen Beurteilung.

43      Nach alledem sind die von IPAT u. a. gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens erhobenen Einwände als unbegründet zurückzuweisen.

 Zur ersten und zur sechsten Frage betreffend die Pflicht zur Zusammenarbeit

44      Mit seiner ersten und seiner sechsten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Pflicht zur Zusammenarbeit der Asylbehörde vorschreibt, zum einen aktuelle Informationen über alle relevanten Tatsachen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsland einer Asyl und internationalen Schutz beantragenden Person sowie zum anderen ein rechtsmedizinisches Gutachten über deren psychische Gesundheit einzuholen, wenn Anhaltspunkte für psychische Gesundheitsprobleme vorliegen, die möglicherweise auf ein in diesem Land aufgetretenes traumatisierendes Ereignis zurückzuführen sind.

45      Art. 4 der Richtlinie 2004/83 bezieht sich, wie aus seiner Überschrift hervorgeht, auf die „Prüfung der Ereignisse und Umstände“.

46      Nach Abs. 1 dieser Bestimmung können es zum einen die Mitgliedstaaten als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Zum anderen ist es Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

47      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, vollzieht sich die Prüfung der Ereignisse und Umstände in zwei getrennten Abschnitten. Der erste Abschnitt betrifft die Feststellung der tatsächlichen Umstände, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, während der zweite Abschnitt die rechtliche Würdigung dieser Umstände betrifft, die in der Entscheidung besteht, ob die in den Art. 9 und 10 oder 15 der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes in Anbetracht der Umstände, die einen konkreten Fall auszeichnen, erfüllt sind (Urteil vom 22. November 2012, M., C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 64).

48      Zwar ist es nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 Sache des Antragstellers, so schnell wie möglich alle zur Begründung seines Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen, doch hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass die Behörden der Mitgliedstaaten gegebenenfalls aktiv mit dem Antragsteller zusammenarbeiten müssen, um die maßgeblichen Anhaltspunkte des Antrags zu bestimmen und zu ergänzen, wobei diese Behörden im Übrigen oft eher Zugang zu bestimmten Arten von Unterlagen haben als der Antragsteller (Urteil vom 22. November 2012, M., C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 65 und 66).

49      Zum Umfang dieser Zusammenarbeit ergibt sich aus dem Kontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, und zum einen insbesondere aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85, dass die Asylbehörde damit beauftragt ist, die Anträge angemessen zu prüfen, bevor sie über sie entscheidet (Urteil vom 25. Januar 2018, F, C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 40).

50      Insbesondere ist, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Beurteilung der Frage, ob die festgestellten Umstände eine Bedrohung darstellen oder nicht, aufgrund deren der Betroffene in Anbetracht seiner individuellen Lage begründete Furcht haben kann, tatsächlich Verfolgungshandlungen zu erleiden, in allen Fällen mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Union gehören (Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, EU:C:2010:105, Rn. 89 und 90).

51      Zum anderen ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 Buchst. a bis c und Abs. 5 der Richtlinie 2004/83, dass die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz eine individuelle Antragsprüfung umfassen muss, bei der insbesondere alle mit dem Herkunftsland des Betroffenen verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seine individuelle Lage und persönlichen Umstände zu berücksichtigen sind. Gegebenenfalls muss die zuständige Behörde auch Erklärungen für das Fehlen von Beweisen und die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Januar 2018, F, C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 41).

52      Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Mitgliedstaaten nach Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 einen Antrag nur dann als unbegründet betrachten können, wenn die Asylbehörde festgestellt hat, dass der Asylbewerber nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Maßgabe der Richtlinie 2004/83 erfüllt.

53      Wenn also eine Person die in den Art. 9 und 10 oder 15 der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes erfüllt, sind die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der in dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe – verpflichtet, den beantragten internationalen Schutz zuzuerkennen, wobei sie in dieser Hinsicht über kein Ermessen verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Aus der in den Rn. 48 bis 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 vorgesehene Pflicht zur Zusammenarbeit bedeutet, dass die Asylbehörde, hier das IPO, Anträge nicht angemessen prüfen und mithin einen Antrag nicht für unbegründet erklären kann, ohne zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag alle mit der allgemeinen Lage im Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag maßgeblich sind, und alle maßgeblichen Anhaltspunkte im Hinblick auf die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers zu berücksichtigen.

55      Hinsichtlich der mit der allgemeinen Lage im Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag maßgeblich sind, ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass genaue und aktuelle Informationen über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Asylbewerber und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, gesammelt werden (Urteil vom 22. November 2012, M., C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 67).

56      Was die maßgeblichen Anhaltspunkte im Hinblick auf die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85 keine Beschränkung der Mittel darstellen, die die Behörden heranziehen dürfen, und insbesondere nicht ausschließen, dass im Zuge der Prüfung der Tatsachen und Umstände auf Gutachten zurückgegriffen wird, um mit größerer Genauigkeit feststellen zu können, inwieweit der Antragsteller tatsächlich internationalen Schutzes bedarf, sofern die Art und Weise, in der hierbei gegebenenfalls auf ein Gutachten zurückgegriffen wird, mit den einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere mit den in der Charta garantierten Grundrechten, in Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Januar 2018, F, C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 34 und 35).

57      Die somit erforderliche individuelle Prüfung kann also insbesondere die Heranziehung eines rechtsmedizinischen Gutachtens umfassen, wenn sich ein solches Gutachten als erforderlich oder maßgeblich erweist, um mit der geforderten Wachsamkeit und Vorsicht zu beurteilen, inwieweit der Antragsteller tatsächlich internationalen Schutzes bedarf, sofern die Art und Weise dieser Heranziehung u. a. mit den von der Charta garantierten Grundrechten in Einklang steht.

58      Hieraus ergibt sich, dass die Asylbehörde über einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Erforderlichkeit und Maßgeblichkeit eines solchen Gutachtens verfügt und dass es ihr, falls sie eine solche Erforderlichkeit und Maßgeblichkeit feststellt, obliegt, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten, um dieses innerhalb der in der vorstehenden Randnummer genannten Grenzen einzuholen.

59      Soweit aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass sich der High Court (Hohes Gericht) konkret die Frage stellt, ob die in den Rn. 54 bis 58 des vorliegenden Urteils getätigten Feststellungen auch für das IPAT gelten, ist schließlich darauf hinzuweisen, dass dieses Gericht in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs ausgeführt hat, dass das IPAT nach den geltenden irischen Rechtsvorschriften eine vollständige Ex-nunc-Kontrolle der Entscheidungen des IPO durchzuführen hat, dass es insbesondere befugt ist, vom Minister für Justiz und Gleichstellung die Durchführung von Untersuchungen zu fordern oder zu verlangen, dass er ihm Informationen zur Verfügung stellt, und dass das IPAT insbesondere anhand dieser Anhaltspunkte die Entscheidungen des IPO bestätigen oder diese aufheben und die bindende Empfehlung aussprechen kann, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen oder subsidiären Schutz zu gewähren.

60      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass diese Feststellungen auch für das IPAT gelten. Eine solche Kontrolle der Stichhaltigkeit der Begründung der Entscheidung des IPO impliziert es nämlich, genaue und aktuelle Informationen über die dieser Entscheidung zugrunde liegende Lage in dem Herkunftsland des Antragstellers zu erlangen und zu prüfen sowie Beweiserhebungsmaßnahmen anordnen zu können, um ex nunc entscheiden zu können. Das IPAT kann mithin verpflichtet sein, solche genauen und aktuellen Informationen zu erlangen und zu prüfen, einschließlich ein für maßgeblich oder erforderlich erachtetes rechtsmedizinisches Gutachten.

61      Nach alledem ist auf die erste und die sechste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Pflicht zur Zusammenarbeit der Asylbehörde vorschreibt, zum einen genaue und aktuelle Informationen über alle relevanten Tatsachen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsland einer Asyl und internationalen Schutz beantragenden Person sowie zum anderen ein rechtsmedizinisches Gutachten über deren psychische Gesundheit einzuholen, wenn Anhaltspunkte für psychische Gesundheitsprobleme vorliegen, die möglicherweise auf ein in diesem Land aufgetretenes traumatisierendes Ereignis zurückzuführen sind, und wenn sich die Heranziehung eines solchen Gutachtens als erforderlich oder maßgeblich erweist, um zu beurteilen, inwieweit der Antragsteller tatsächlich internationalen Schutzes bedarf, sofern die Art und Weise der Heranziehung eines solchen Gutachtens u. a. mit den von der Charta garantierten Grundrechten in Einklang steht.

 Zur zweiten und zur dritten Frage betreffend die verfahrensrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung der Pflicht zur Zusammenarbeit

62      Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass die im Rahmen der Ausübung einer im nationalen Recht vorgesehenen zweitinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle erfolgte Feststellung einer Verletzung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Pflicht zur Zusammenarbeit für sich genommen zur Aufhebung der Entscheidung führt, mit der ein Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird, oder ob demjenigen, der internationalen Schutz beantragt, auferlegt werden kann, nachzuweisen, dass die den Rechtsbehelf zurückweisende Entscheidung anders hätte ausfallen können, wenn diese Verletzung nicht gegeben wäre.

63      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das IPAT ausweislich der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen und in Beantwortung der vom Gerichtshof gestellten Frage gemachten Angaben als erstinstanzliches Gericht anzusehen ist, dem die Aufgaben der in Art. 39 der Richtlinie 2005/85 vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle übertragen wurden. In dieser Funktion hat es die in Rn. 59 des vorliegenden Urteils genannte vollständige Kontrolle durchzuführen, was bedeutet, dass es dafür zuständig ist, anhand der ihm, gegebenenfalls auf seine Aufforderung hin, vorlegten Nachweise eine Ex-nunc-Entscheidung zu treffen und dass es befugt ist, anhand dieser Nachweise eine Entscheidung des IPO zu bestätigen oder aufzuheben sowie gegebenenfalls die bindende Empfehlung auszusprechen, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen oder subsidiären Schutz zu gewähren. Vor dem Gerichtshof ist zudem nicht behauptet worden, und es ergibt sich nicht aus der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akte, dass die somit vom IPAT über die einen Antrag auf internationalen Schutz ablehnenden Entscheidungen des IPO auszuübende gerichtliche Kontrolle die Anforderungen von Art. 39 der Richtlinie 2005/85 nicht erfüllt.

64      Aus dem Ersuchen und der genannten Antwort ergibt sich, dass das vorlegende Gericht seinerseits als zweitinstanzliches Gericht anzusehen ist, das, wie von ihm ausgeführt worden ist, für eine Kontrolle der Entscheidungen des IPAT zuständig ist, die auf Ermessensmissbrauch, auf Rechtsfehler oder wesentliche Sachverhaltsfehler, auf die Irrationalität oder Unverhältnismäßigkeit einer solchen Entscheidung sowie auf den Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder gegen den Schutz berechtigten Vertrauens sowie, falls eine solche Rechtswidrigkeit festgestellt wird, auf die Aufhebung dieser Entscheidungen und die Zurückverweisung der Rechtssachen an das IPAT beschränkt ist.

65      Gleichwohl darf dieses Gericht, wie von ihm ebenfalls klargestellt worden ist, eine solche Aufhebung und Zurückverweisung nicht aussprechen, wenn ersichtlich ist, dass die Entscheidung des IPAT selbst dann nicht anders hätte ausfallen können, wenn die festgestellte Rechtswidrigkeit nicht gegeben wäre. Nach dem irischen Recht trage nämlich die die Aufhebung dieser Entscheidung begehrende Person die Beweislast dafür, dass die Entscheidung anders hätte ausfallen können, wenn die Rechtswidrigkeit nicht gegeben wäre.

66      Da die Richtlinie 2005/85 keine Vorschriften hinsichtlich der Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, mit der über den Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz entschieden wird, oder zur ausdrücklichen Regelung eines zweitinstanzlichen Rechtsmittelverfahrens enthält, ist davon auszugehen, dass der Schutz, den Art. 39 der Richtlinie 2005/85 in Verbindung mit den Art. 18 und 47 der Charta gewährt, auf einen einzigen gerichtlichen Rechtsbehelf beschränkt ist und nicht die Einführung mehrerer Rechtszüge verlangt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie [Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels], C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 33).

67      Mangels einschlägiger Unionsregeln ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie mithin Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, über die etwaige Schaffung eines zweiten Rechtszugs gegen ein Urteil zu entscheiden, mit dem über einen Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz entschieden wird, und gegebenenfalls die Verfahrensmodalitäten dieses zweiten Rechtszugs zu regeln, wobei diese Modalitäten jedoch in den dem Unionsrecht unterliegenden Fällen nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie [Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels], C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 34 und 35, sowie vom 15. April 2021, État belge [Nach der Überstellungsentscheidung eingetretene Umstände], C‑194/19, EU:C:2021:270, Rn. 42).

68      Hinsichtlich des Äquivalenzgrundsatzes geht aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf die Frage des Gerichtshofs hervor, dass die in den Rn. 64 und 65 des vorliegenden Urteils genannten Verfahrensmodalitäten stets für die von diesem Gericht ausgeübte zweitinstanzliche Kontrolle gelten, sowohl wenn der Fall unter das Unionsrecht fällt als auch wenn er unter das innerstaatliche Recht fällt.

69      Was den Effektivitätsgrundsatz betrifft, so ist nicht ersichtlich, dass die Beweislast dafür, dass die Entscheidung des IPO und/oder die Entscheidung des IPAT anders hätte ausfallen können, wenn die festgestellte Verletzung der Pflicht zur Zusammenarbeit nicht gegeben wäre, die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren würde, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

70      Zum einen bedeutet diese Beweislast nämlich offenkundig nicht, dass die internationalen Schutz beantragende Person nachweisen muss, dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn die Verletzung nicht gegeben wäre, sondern lediglich, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung hätte anders ausfallen können.

71      Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass es, sollte sich von vornherein herausstellen oder sollte die zuständige Behörde vor dem vorlegenden Gericht – gegebenenfalls in Reaktion auf das Vorbringen der internationalen Schutz beantragenden Person – nachweisen können, dass die Entscheidung nicht anders hätte ausfallen können, selbst wenn die Verletzung nicht gegeben wäre, vom Unionsrecht verliehene Rechte gibt, deren Ausübung praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde. Das vorlegende Gericht übt nämlich ausweislich seiner Angaben selbst eine Kontrolle über die Begründetheit dieser Entscheidung aus, so dass in diesem Fall eine Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das IPAT die Gefahr bergen würde, diese Kontrolle lediglich zu verdoppeln und das Verfahren unnötig zu verlängern.

72      Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass die im Rahmen der Ausübung einer im nationalen Recht vorgesehenen zweitinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle erfolgte Feststellung einer Verletzung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Pflicht zur Zusammenarbeit für sich genommen nicht zwingend zur Aufhebung der Entscheidung führt, mit der ein Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird, da demjenigen, der internationalen Schutz beantragt, auferlegt werden kann, nachzuweisen, dass die den Rechtsbehelf zurückweisende Entscheidung anders hätte ausfallen können, wenn diese Verletzung nicht gegeben wäre.

 Zur vierten und zur fünften Frage betreffend eine angemessene Frist

73      Mit seiner vierten und seiner fünften Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85, dahin auszulegen ist, dass die Zeitspannen, die zwischen der Einreichung des Asylantrags auf der einen sowie dem Erlass der Entscheidungen der Asylbehörde und des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts auf der anderen Seite verstrichen sind, durch in dem Mitgliedstaat während dieser Zeit eingetretene legislative Änderungen gerechtfertigt werden können und, sollte dies nicht der Fall sein, ob die etwaige Unangemessenheit einer dieser Zeitspannen für sich genommen zur Aufhebung der Entscheidung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts führt.

74      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 89 bis 93 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht aus dem Aufbau, der Systematik und den Zielen der Richtlinie 2005/85 zunächst hervor, dass die in deren Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 jeweils vorgesehenen Fristen voneinander zu unterscheiden sind, da die erstgenannte Frist für das Verwaltungsverfahren gilt und die zweitgenannte Frist auf das Gerichtsverfahren Anwendung findet.

75      Sodann weisen diese Fristen, wie sich ebenfalls aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt, keinen verbindlichen Charakter für den Erlass einer Entscheidung auf.

76      Da die Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85 sicherstellen, dass das Verwaltungsverfahren so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird, die Mitgliedstaaten nach Art. 39 Abs. 4 dieser Richtlinie ausdrücklich für das zuständige Gericht Fristen für die Prüfung der Entscheidung der Asylbehörde vorsehen können und es ausweislich des elften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2005/85 im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Asylbewerber liegt, dass über Asylanträge so rasch wie möglich entschieden wird, ruft schließlich diese Richtlinie zu einer raschen Prüfung sowohl der Anträge auf internationalen Schutz als auch der Rechtsbehelfe auf, die insbesondere gegen abschlägige Entscheidungen über diese Anträge eingelegt werden.

77      Die Wirksamkeit des Zugangs zum internationalen Schutzstatus erfordert nämlich, dass die Prüfung des Antrags innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, N., C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 45). Darüber hinaus geht aus dem Wortlaut von Art. 47 der Charta hervor, dass es für einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz erforderlich ist, dass die Sache einer Person insbesondere innerhalb angemessener Frist von einem Gericht verhandelt wird.

78      Es ist mithin Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die am Ende der Phase des Verwaltungsverfahrens vom IPO bzw. am Ende der erstinstanzlichen gerichtlichen Phase vom IPAT erlassenen Entscheidungen angesichts der Umstände des vorliegenden Falles innerhalb einer angemessenen Frist ergingen.

79      Hinsichtlich dieser Umstände ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die „Angemessenheit“ der Frist, die benötigt wird, um die in Rede stehende Handlung vorzunehmen, mangels Festlegung der Verfahrensdauer durch eine Bestimmung des Unionsrechts anhand aller Umstände jeder einzelnen Rechtssache und insbesondere anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens der Parteien zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juni 2020, CSUE/KF, C‑14/19 P, EU:C:2020:492, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Legislative Änderungen, die eingetreten sind, während eine Sache in einem Mitgliedstaat in den Phasen des Verwaltungsverfahrens oder des gerichtlichen Verfahrens bearbeitet wurde, zählen jedoch nicht zu den Umständen jeder einzelnen Rechtssache. Aus den in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils angeführten Gesichtspunkten ergibt sich nämlich, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass diese Verfahren so rasch wie möglich, in jedem Fall innerhalb einer angemessenen Frist, zum Abschluss gebracht werden. Sie können sich daher nicht auf in ihre Sphäre fallende Umstände, wie legislative Änderungen, berufen, um eine etwaige Nichteinhaltung dieses Erfordernisses zu rechtfertigen.

81      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 103 bis 105 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann aber eine etwaige Nichteinhaltung des Erfordernisses, Rechtssachen auf dem Gebiet des internationalen Schutzes in der Phase des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist zu bearbeiten, nicht für sich genommen zur Folge haben, dass eine Entscheidung aufgehoben wird, mit der ein Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wurde, es sei denn, das Überschreiten einer angemessenen Frist hatte eine Verletzung der Verteidigungsrechte zur Folge.

82      Da Entscheidungen über die Begründetheit von Anträgen auf internationalen Schutz unter Berücksichtigung der von der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen materiellen Kriterien für die Gewährung dieses Schutzes getroffen werden müssen, kann nämlich die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die überlange Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, nicht zur Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung oder der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, Bolloré/Kommission, C‑414/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:301, Rn. 84).

83      Liegen dagegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die überlange Dauer eines Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens möglicherweise Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, kann die Nichteinhaltung einer angemessenen Frist zur Aufhebung der angefochtenen Verwaltungs‑ oder Gerichtsentscheidung führen, insbesondere, wenn diese Nichteinhaltung zur Folge hat, dass die Verteidigungsrechte beeinträchtigt werden, die als Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Oktober 2011, Solvay/Kommission, C‑110/10 P, EU:C:2011:687, Rn. 47 bis 52).

84      Daher ist es, auch wenn die dem Gerichtshof vorgelegte Akte kein Element enthält, mit dem nachgewiesen werden soll, dass die gegebenenfalls bestehende Unangemessenheit der einen oder anderen der beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitspannen eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte von X zur Folge hatte, Sache des vorlegenden Gerichts, diesen Umstand zu prüfen.

85      Nach alledem ist auf die vierte und die fünfte Frage zu antworten, dass das Unionsrecht, insbesondere Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85, dahin auszulegen ist, dass

–        die Zeitspannen, die zwischen der Einreichung des Asylantrags auf der einen sowie dem Erlass der Entscheidungen der Asylbehörde und des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts auf der anderen Seite verstrichen sind, nicht durch nationale legislative Änderungen gerechtfertigt werden können, die während dieser Zeit eintraten, und

–        die Unangemessenheit der einen oder anderen dieser Zeitspannen in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die überlange Dauer des Verwaltungs‑ oder Gerichtsverfahrens Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, für sich genommen nicht zur Aufhebung der Entscheidung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts führen kann.

 Zur siebten Frage betreffend die generelle Glaubwürdigkeit eines Antragstellers

86      Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Abs. 5 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass eine im ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz enthaltene Falschaussage, die vom Asylbewerber erläutert und zurückgenommen wurde, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, für sich genommen verhindern kann, dass dessen generelle Glaubwürdigkeit im Sinne dieser Bestimmung festgestellt wird.

87      Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83 bedürfen, wenn die Mitgliedstaaten den Grundsatz anwenden, wonach der Antragsteller seinen Antrag begründen muss, und wenn für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, diese Aussagen keines Nachweises, wenn die in den Buchst. a bis e dieser Bestimmung angeführten Voraussetzungen erfüllt sind.

88      Diese kumulativen Voraussetzungen beziehen sich darauf, dass der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, dass er sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren, dass alle ihm verfügbaren maßgeblichen Anhaltspunkte vorliegen, dass er eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben hat, dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, und dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

89      Mithin ergibt sich aus Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83, dass die Aussagen von Asylbewerbern, die nicht durch Beweise belegt sind, eines Nachweises bedürfen können, wenn die in den Buchst. a bis e dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 2014, A u. a., C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 51).

90      Hieraus folgt, dass die generelle Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers einen Gesichtspunkt von mehreren darstellt, der beim ersten Prüfungsabschnitt nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 zu berücksichtigen ist; dieser betrifft den Nachweis tatsächlicher Anhaltspunkte, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, wenn die Aussagen der Asylbewerber eines Nachweises bedürfen.

91      Jedoch können sich in einem konkreten Fall getätigte Feststellungen hinsichtlich der in Art. 4 Abs. 5 Buchst. a bis d der Richtlinie 2004/83 genannten Voraussetzungen möglicherweise auf die Beurteilung der in Buchst. e dieser Bestimmung genannten generellen Glaubwürdigkeit des Antragstellers auswirken.

92      Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 109 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann sich die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers nicht darauf beschränken, die in Art. 4 Abs. 5 Buchst. a bis d der Richtlinie 2004/83 genannten Voraussetzungen zu berücksichtigen, sondern ist, wie die deutsche Regierung ausgeführt hat, unter Berücksichtigung aller anderen relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls im Wege einer individuellen Gesamtbeurteilung vorzunehmen.

93      Im Rahmen dieser Analyse stellt eine im ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz enthaltene Falschaussage sicherlich einen zu berücksichtigenden maßgeblichen Anhaltspunkt dar. Gleichwohl kann dieser nicht für sich genommen die Feststellung der generellen Glaubwürdigkeit des Antragstellers verhindern. Ebenfalls relevant sind nämlich der Umstand, dass diese Falschaussage durch den Asylbewerber erläutert und zurückgenommen wurde, sobald sich die Gelegenheit hierfür bot, die Angaben, die an die Stelle dieser Falschaussage traten, und das weitere Verhalten des Asylbewerbers.

94      Sollte die Beurteilung aller relevanten Gesichtspunkte des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens dazu führen, dass die generelle Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers nicht festgestellt werden kann, können mithin seine Aussagen, die nicht durch Beweise belegt sind, eines Nachweises bedürfen; in diesem Fall kann es dem betroffenen Mitgliedstaat obliegen, mit dem Antragsteller, wie insbesondere in den Rn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, zusammenzuarbeiten, um die Zusammenstellung aller zur Begründung des Asylantrags geeigneten Anhaltspunkte zu ermöglichen.

95      Nach alledem ist auf die siebte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 5 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 dahin auszulegen ist, dass eine im ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz enthaltene Falschaussage, die vom Asylbewerber erläutert und zurückgenommen wurde, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, für sich genommen nicht verhindern kann, dass dessen generelle Glaubwürdigkeit im Sinne dieser Bestimmung festgestellt wird.

 Kosten

96      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

–        die in dieser Bestimmung vorgesehene Pflicht zur Zusammenarbeit der Asylbehörde vorschreibt, zum einen genaue und aktuelle Informationen über alle relevanten Tatsachen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsland einer Asyl und internationalen Schutz beantragenden Person sowie zum anderen ein rechtsmedizinisches Gutachten über deren psychische Gesundheit einzuholen, wenn Anhaltspunkte für psychische Gesundheitsprobleme vorliegen, die möglicherweise auf ein in diesem Land aufgetretenes traumatisierendes Ereignis zurückzuführen sind, und wenn sich die Heranziehung eines solchen Gutachtens als erforderlich oder maßgeblich erweist, um zu beurteilen, inwieweit der Antragsteller tatsächlich internationalen Schutzes bedarf, sofern die Art und Weise der Heranziehung eines solchen Gutachtens u. a. mit den von der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechten in Einklang steht;

–        die im Rahmen der Ausübung einer im nationalen Recht vorgesehenen zweitinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle erfolgte Feststellung einer Verletzung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Pflicht zur Zusammenarbeit für sich genommen nicht zwingend zur Aufhebung der Entscheidung führt, mit der ein Rechtsbehelf gegen eine abschlägige Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird, da demjenigen, der internationalen Schutz beantragt, auferlegt werden kann, nachzuweisen, dass die den Rechtsbehelf zurückweisende Entscheidung anders hätte ausfallen können, wenn diese Verletzung nicht gegeben wäre.

2.      Das Unionsrecht, insbesondere Art. 23 Abs. 2 und Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dahin auszulegen, dass

–        die Zeitspannen, die zwischen der Einreichung des Asylantrags auf der einen sowie dem Erlass der Entscheidungen der Asylbehörde und des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts auf der anderen Seite verstrichen sind, nicht durch nationale legislative Änderungen gerechtfertigt werden können, die während dieser Zeit eintraten, und

–        die Unangemessenheit der einen oder anderen dieser Zeitspannen in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die überlange Dauer des Verwaltungs oder Gerichtsverfahrens Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, für sich genommen nicht zur Aufhebung der Entscheidung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts führen kann.

3.      Art. 4 Abs. 5 Buchst. e der Richtlinie 2004/83

ist dahin auszulegen, dass

eine im ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz enthaltene Falschaussage, die vom Asylbewerber erläutert und zurückgenommen wurde, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, für sich genommen nicht verhindern kann, dass dessen generelle Glaubwürdigkeit im Sinne dieser Bestimmung festgestellt wird.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.