Language of document : ECLI:EU:C:2024:954

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

14. November 2024(*)

„ Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Art. 6 Abs. 2 – Geeignete Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zu vermeiden – Durch das Natura‑2000-Netz geschützte Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) – Flächenverluste – Fehlende gebietsspezifische Überwachung natürlicher Lebensräume – Allgemeines und strukturelles Versäumnis – Art. 4 Abs. 1 – Vorlage einer Liste von Gebieten durch jeden Mitgliedstaat, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen und einheimischen Arten aufgeführt sind – Regelmäßige Aktualisierung der Informationen zu diesen Gebieten “

In der Rechtssache C‑47/23

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 31. Januar 2023,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen


Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer K. Jürimäe in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Jääskinen, M. Gavalec (Berichterstatter) und N. Piçarra,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: N. Mundhenke, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. März 2024,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2024

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie) verstoßen hat, indem sie es

–        allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura‑2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) des Anhangs I der Habitatrichtlinie in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen, und es

–        allgemein und strukturell versäumt hat, der Kommission aktualisierte Daten zu den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu übermitteln.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Habitatrichtlinie

2        Art. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

b)      ‚Natürlicher Lebensraum‘: durch geographische, abiotische und biotische Merkmale gekennzeichnete völlig natürliche oder naturnahe terrestrische oder aquatische Gebiete.

c)      ‚Natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse‘: diejenigen Lebensräume, die in dem in Artikel 2 erwähnten Gebiet

i)      im Bereich ihres natürlichen Vorkommens vom Verschwinden bedroht sind

oder

ii)      infolge ihres Rückgangs oder aufgrund ihres an sich schon begrenzten Vorkommens ein geringes natürliches Verbreitungsgebiet haben

oder

iii)      typische Merkmale einer oder mehrerer der folgenden neun biogeografischen Regionen aufweisen: alpine, atlantische, boreale, kontinentale, makaronesische, mediterrane, pannonische Region sowie Schwarzmeer- und Steppenregion.

Diese Lebensraumtypen sind in Anhang I aufgeführt bzw. können dort aufgeführt werden.

e)      ‚Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums‘: die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können.

Der ‚Erhaltungszustand‘ eines natürlichen Lebensraums wird als ‚günstig‘ erachtet, wenn

–        sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen

und

–        die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden

und

–        der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist.

l)      ‚Besonderes Schutzgebiet‘: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden.“

3        Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie lautet:

„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.“

4        Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1)      Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG [des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1)] ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.


(2)      Jeder Staat trägt im Verhältnis der in seinem Hoheitsgebiet vorhandenen in Absatz 1 genannten natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten zur Errichtung von Natura 2000 bei. Zu diese[m] Zweck weist er nach den Bestimmungen des Artikels 4 Gebiete als besondere Schutzgebiete aus, wobei er den in Absatz 1 genannten Zielen Rechnung trägt.“

5        Art. 4 der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Anhand der in Anhang III (Phase 1) festgelegten Kriterien und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind. Bei Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, entsprechen diese Gebiete den Orten im natürlichen Verbreitungsgebiet dieser Arten, welche die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweisen. Für im Wasser lebende Tierarten, die große Lebensräume beanspruchen, werden solche Gebiete nur vorgeschlagen, wenn sich ein Raum klar abgrenzen lässt, der die für das Leben und die Fortpflanzung dieser Arten ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist. Die Mitgliedstaaten schlagen gegebenenfalls die Anpassung dieser Liste im Lichte der Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung vor.

Binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie wird der Kommission diese Liste gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet. Diese Informationen umfassen eine kartographische Darstellung des Gebietes, seine Bezeichnung, seine geographische Lage, seine Größe sowie die Daten, die sich aus der Anwendung der in Anhang III (Phase 1) genannten Kriterien ergeben, und werden anhand eines von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 ausgearbeiteten Formulars übermittelt.

(2)      Auf der Grundlage der in Anhang III (Phase 2) festgelegten Kriterien und im Rahmen der neun in Artikel 1 Buchstabe c) Ziffer iii) erwähnten biogeogra[f]ischen Regionen sowie des in Artikel 2 Absatz 1 genannten Gesamtgebietes erstellt die Kommission jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind.

Die Mitgliedstaaten, bei denen Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) und einer oder mehreren prioritären Art(en) flächenmäßig mehr als 5 v. H. des Hoheitsgebiets ausmachen, können im Einvernehmen mit der Kommission beantragen, dass die in Anhang III (Phase 2) angeführten Kriterien bei der Auswahl aller in ihrem Hoheitsgebiet liegenden Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung flexibler angewandt werden.

Die Liste der Gebiete, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewählt wurden und in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind, wird von der Kommission nach dem Verfahren des Artikels 21 festgelegt.

(3)      Die in Absatz 2 erwähnte Liste wird binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie erstellt.

(4)      Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

(5)      Sobald ein Gebiet in die Liste des Absatzes 2 Unterabsatz 3 aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

6        In Art. 6 der Habitatrichtlinie heißt es:

„(1)      Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)      Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)      Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)      Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. …

…“

7        Art. 9 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Kommission beurteilt im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 21 in regelmäßigen Zeitabständen den Beitrag von Natura 2000 zur Verwirklichung der in den Artikeln 2 und 3 genannten Ziele. In diesem Zusammenhang kann die Aufhebung der Klassifizierung als besonderes Schutzgebiet in den Fällen erwogen werden, in denen die gemäß Artikel 11 beobachtete natürliche Entwicklung dies rechtfertigt.“

8        Art. 11 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten überwachen den Erhaltungszustand der in Artikel 2 genannten Arten und Lebensräume, wobei sie die prioritären natürlichen Lebensraumtypen und die prioritären Arten besonders berücksichtigen.“

9        Art. 17 der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Alle sechs Jahre nach Ablauf der in Artikel 23 vorgesehenen Frist erstellen die Mitgliedstaaten einen Bericht über die Durchführung der im Rahmen dieser Richtlinie durchgeführten Maßnahmen. Dieser Bericht enthält insbesondere Informationen über die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Erhaltungsmaßnahmen sowie die Bewertung der Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen des Anhangs I und der Arten des Anhangs II sowie die wichtigsten Ergebnisse der in Artikel 11 genannten Überwachung. Dieser Bericht, dessen Form mit dem vom Ausschuss aufgestellten Modell übereinstimmt, wird der Kommission übermittelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

(2)      Die Kommission arbeitet auf der Grundlage der in Absatz 1 erwähnten Berichte einen zusammenfassenden Bericht aus. Dieser Bericht enthält eine zweckdienliche Bewertung der erzielten Fortschritte, insbesondere des Beitrags von Natura 2000 zur Verwirklichung der in Artikel 3 aufgeführten Ziele. Der Teil des Berichtsentwurfs, der die von einem Mitgliedstaat übermittelten Informationen betrifft, wird den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zur Überprüfung unterbreitet. Die endgültige Fassung des Berichts wird zunächst dem Ausschuss unterbreitet und wird spätestens zwei Jahre nach Vorlage der Berichte gemäß Absatz 1 sowie des Kommissionsberichts veröffentlicht und den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss zugeleitet.

(3)      Die Mitgliedstaaten können die nach dieser Richtlinie ausgewiesenen Gebiete durch vom Ausschuss eigens hierzu erarbeitete Gemeinschaftsschilder kennzeichnen.“

10      Zu den in Anhang I der Habitatrichtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen, gehören u. a. „Magere Flachland-Mähwiesen“ (Alopecurus pratensis, Sanguisorba officinalis) und „Berg-Mähwiesen“, deren Natura‑2000-Codes 6510 bzw. 6520 lauten.

 Durchführungsbeschluss 2011/484/EU

11      Der vierte Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2011/484/EU der Kommission vom 11. Juli 2011 über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu Natura‑2000-Gebieten (ABl. 2011, L 198, S. 39) lautet:

„Der Inhalt des Standard-Datenbogens für Natura 2000 sollte in regelmäßigen Abständen anhand der besten verfügbaren Informationen zu jedem Gebiet des Netzes aktualisiert werden, damit die Kommission ihre koordinierende Funktion wahrnehmen und gemäß Artikel 9 der Richtlinie 92/43/EWG in regelmäßigen Zeitabständen den Beitrag von Natura 2000 zur Verwirklichung der in den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie genannten Ziele beurteilen kann.“

 Deutsches Recht

12      § 3 („Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse, vertragliche Vereinbarungen, Zusammenarbeit der Behörden“) des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I S. 2542) in seiner auf den Rechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: BNatSchG) bestimmt:

„(1)      Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden im Sinne dieses Gesetzes sind

1.      die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden oder

2.      das Bundesamt für Naturschutz [BfN], soweit ihm nach diesem Gesetz Zuständigkeiten zugewiesen werden.

(2)      Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden überwachen die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(3)      Bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege soll vorrangig geprüft werden, ob der Zweck mit angemessenem Aufwand auch durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden kann.

(4)      Mit der Ausführung landschaftspflegerischer und ‑gestalterischer Maßnahmen sollen die zuständigen Behörden nach Möglichkeit land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Vereinigungen, in denen Gemeinden oder Gemeindeverbände, Landwirte und Vereinigungen, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördern, gleichberechtigt vertreten sind (Landschaftspflegeverbände), anerkannte Naturschutzvereinigungen oder Träger von Naturparken beauftragen. Hoheitliche Befugnisse können nicht übertragen werden.

…“

13      § 30 („Gesetzlich geschützte Biotope“) dieses Gesetzes sieht vor:

„(1)      Bestimmte Teile von Natur und Landschaft, die eine besondere Bedeutung als Biotope haben, werden gesetzlich geschützt (allgemeiner Grundsatz).

(2)      Handlungen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung folgender Biotope führen können, sind verboten:

7.      magere Flachland-Mähwiesen und Berg-Mähwiesen nach Anhang I der [Habitatrichtlinie], Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern.

Die Verbote des Satzes 1 gelten auch für weitere von den Ländern gesetzlich geschützte Biotope. …

(3)      Von den Verboten des Absatzes 2 kann auf Antrag eine Ausnahme zugelassen werden, wenn die Beeinträchtigungen ausgeglichen werden können.

…“

14      § 33 („Allgemeine Schutzvorschriften“) Abs. 1 des Gesetzes lautet:

„Alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, sind unzulässig. Die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde kann unter den Voraussetzungen des § 34 Absatz 3 bis 5 Ausnahmen von dem Verbot des Satzes 1 sowie von Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 zulassen.“


15      § 34 („Verträglichkeit und Unzulässigkeit von Projekten; Ausnahmen“) Abs. 1 des Gesetzes sieht vor:

„Projekte sind vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Soweit ein Natura 2000-Gebiet ein geschützter Teil von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Absatz 2 ist, ergeben sich die Maßstäbe für die Verträglichkeit aus dem Schutzzweck und den dazu erlassenen Vorschriften, wenn hierbei die jeweiligen Erhaltungsziele bereits berücksichtigt wurden. Der Projektträger hat die zur Prüfung der Verträglichkeit sowie der Voraussetzungen nach den Absätzen 3 bis 5 erforderlichen Unterlagen vorzulegen.“

 Vorverfahren

16      Nachdem die Kommission auf der Grundlage der von der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 17 der Habitatrichtlinie erstellten Berichte die Verschlechterung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den Gebieten, in denen sie in Deutschland vorkommen, festgestellt hatte, ersuchte sie die deutschen Behörden am 7. Mai 2018 um Informationen hierzu.

17      Nach Prüfung des Antwortschreibens der Bundesrepublik Deutschland vom 12. Oktober 2018 übermittelte die Kommission ihr am 26. Juli 2019 ein Aufforderungsschreiben mit zwei Vorwürfen.

18      Erstens warf die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie zu verstoßen, da sie es systematisch versäumt habe, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den für diese ausgewiesenen Gebieten zu treffen. Die Kommission stützte diesen Vorwurf auf Flächenverluste dieser Lebensraumtypen in den Gebieten, in denen sie vorkommen, das Fehlen einer angemessenen Überwachung dieser Gebiete und das Fehlen rechtlich verpflichtender Maßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in diesen Gebieten.

19      Zweitens warf die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, wegen systematisch fehlender Aktualisierung der im Durchführungsbeschluss 2011/484 vorgesehenen Standard-Datenbögen (im Folgenden: SDB) zu diesen Lebensraumtypen gegen Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie zu verstoßen.

20      Mit Schreiben vom 26. November 2019 wies die Bundesrepublik Deutschland beide Vorwürfe zurück.

21      Am 30. Oktober 2020 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie die Vorwürfe wiederholte.

22      Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 antwortete Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und machte geltend, der Vorwurf der Vertragsverletzung sei unbegründet.

23      Die Kommission gelangte nach Prüfung dieser Antwort zu dem Schluss, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen habe, um ihren Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 und Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie nachzukommen. Sie hat deshalb am 31. Januar 2023 die vorliegende Klage erhoben.

 Zur Klage

24      Zur Begründung ihrer Klage bringt die Kommission zwei Rügen vor. Erstens rügt sie einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie, zweitens einen Verstoß gegen deren Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2.

25      Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Vertragsverletzungsklage abzuweisen.

 Zur Zulässigkeit

26      Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die Klage sei teilweise unzulässig, da die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klageschrift nicht übereinstimmten und diese hinsichtlich des Vorwurfs unzureichender Überwachung unbestimmt sei.

 Zur Einrede der Unzulässigkeit wegen fehlender Übereinstimmung zwischen der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift

–       Vorbringen der Parteien

27      Die Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt werde, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein müsse wie diese Stellungnahme. Außerdem sei nach Art. 127 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das Vorbringen neuer Klagegründe im Verfahren unzulässig, sofern sie nicht auf rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte gestützt würden, die erst während des Verfahrens zutage getreten seien.

28      Im vorliegenden Fall rüge die Kommission in ihrer Klageschrift zwar einen Flächenverlust der natürlichen Lebensraumtypen 6510 und 6520 in 596 bzw. 88 Natura‑2000-Gebieten, doch seien 99 bzw. zwei dieser Gebiete nicht zum Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme gemacht worden. Somit sei die erste Rüge insoweit unzulässig, als sie diese 101 erstmals in der Klageschrift genannten Gebiete betreffe.

29      Die Kommission beantragt, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

30      Sie führt aus, die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klageschrift rügten wortgleich, dass die Bundesrepublik Deutschland es „allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der [Lebensraumtypen] 6510 und 6520 in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen“.

31      Außerdem dürfe sie nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bei einem systematischen und andauernden Verstoß ergänzende Beweismittel vorlegen, die den Zweck hätten, den generellen und fortdauernden Charakter des gerügten Verstoßes im Stadium des Verfahrens vor dem Gerichtshof zu untermauern. So erweitere die Nennung von 101 Gebieten in der Klageschrift, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht genannt seien, nicht den Streitgegenstand, sondern sei lediglich ein weiterer Beleg für die allgemeine Praxis der Bundesrepublik Deutschland, die gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoße und bereits zum Zeitpunkt der mit Gründen versehenen Stellungnahme bestanden habe.

32      Schließlich habe sie jedenfalls die 86 Gebiete im Freistaat Bayern (Deutschland) nicht in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme erwähnen können, da zu jenem Zeitpunkt die Managementpläne, aus denen sich die Flächenverluste ergeben hätten, nicht zugänglich gewesen seien.

33      Die Bundesrepublik Deutschland hält in ihrer Gegenerwiderung an ihrer Einrede der Unzulässigkeit fest.

34      Sie bringt vor, die Kommission könne zwar einen generellen und fortgesetzten Verstoß rügen, doch müsse sie den behaupteten Verstoß in Einzelfällen belegen, die für die Praxis des betreffenden Mitgliedstaats repräsentativ seien. Da es dann dem Mitgliedstaat obliege, die von der Kommission gemachten Angaben zu bestreiten, könne diese ihre Beispiele für den gerügten Verstoß zwar nach dem Vorverfahren durch einzelne weitere ergänzen, dürfe aber letztlich nicht einen anders zusammengestellten Pool an Beispielen verwenden, ohne dass Gründe hierfür ersichtlich wären. Dies sei hier aber der Fall, da sich die Kommission in ihrer Klageschrift nicht darauf beschränkt habe, zusätzliche Gebiete zu benennen, sondern einige der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme benannten Gebiete durch andere ausgetauscht habe, was dadurch belegt werde, dass die Gesamtzahl der Gebiete in der Klageschrift im Vergleich zur mit Gründen versehenen Stellungnahme im Wesentlichen gleich geblieben sei.

35      Schließlich weist die Bundesrepublik Deutschland das Vorbringen der Kommission zurück, dass die 86 Gebiete in Bayern zum Zeitpunkt der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch nicht einsehbar gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt seien nämlich 83 dieser Gebiete bereits monatelang online einsehbar gewesen, und der Upload der letzten drei sei am 21. Oktober 2020, also vor diesem Zeitpunkt, erfolgt.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

36      Soweit mit der Klage ein genereller Verstoß gegen die Bestimmungen einer Richtlinie gerügt werden soll, der insbesondere mit der systematischen, fortdauernden Toleranzhaltung nationaler Behörden gegenüber richtlinienwidrigen Situationen begründet wird, ist es nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht unzulässig, dass die Kommission ergänzende Beweise vorlegt, die den Zweck haben, den generellen und fortdauernden Charakter dieses behaupteten Verstoßes im Stadium des Verfahrens vor dem Gerichtshof zu untermauern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 37, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – Stickstoffdioxid], C‑664/18, EU:C:2021:171, Rn. 80).

37      In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach ständiger Rechtsprechung ihre ursprünglichen Rügen in ihrer Klageschrift präzisieren kann, sofern sie nicht den Streitgegenstand ändert. Durch die Vorlage neuer Beweise, mit denen sie die in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme angeführten Rügen, die sich auf einen generellen Verstoß gegen die Bestimmungen der in Rede stehenden Richtlinie beziehen, veranschaulichen will, ändert sie nicht den Gegenstand des Rechtsstreits (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 38, und vom 4. März 2021, Kommission/Vereinigtes Königreich [Grenzwerte – Stickstoffdioxid], C‑664/18, EU:C:2021:171, Rn. 81).

38      Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Kommission in ihrer Klageschrift zwar einen Flächenverlust der natürlichen Lebensraumtypen 6510 und 6520 in insgesamt 596 bzw. 88 Gebieten rügt, 99 bzw. zwei dieser Gebiete jedoch nicht zum Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme gemacht wurden.

39      Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet aber nicht, dass die Verschlechterung, die die Kommission für diese 101 Gebiete festgestellt hat, von gleicher Art ist wie die, auf die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Vorwurf eines allgemeinen und strukturellen Verstoßes gestützt wurde. Dass die Gebiete nicht zum Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme gemacht wurden, obwohl die Angaben zu einigen von ihnen vor der Abgabe dieser Stellungnahme online eingesehen werden konnten, hindert die Kommission somit nicht daran, sich in ihrer Klageschrift zur Veranschaulichung des generellen Verstoßes, den sie der Bundesrepublik Deutschland vorwirft, auf diese Gebiete zu berufen. Nach der in den Rn. 36 und 37 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hat die Kommission damit nämlich nicht den Gegenstand des Rechtsstreits geändert, sondern lediglich durch die Vorlage ergänzender Beweise, mit denen sie den von ihr in der mit Gründen versehenen Stellungnahme behaupteten allgemeinen und strukturellen Verstoß veranschaulichen will, ihre ursprünglichen Rügen präzisiert.

40      Daraus folgt, dass die Einrede der Unzulässigkeit, mit der eine fehlende Übereinstimmung zwischen der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift geltend gemacht wird, zurückzuweisen ist.

 Zur Einrede der Unzulässigkeit wegen Unbestimmtheit der Klageschrift hinsichtlich des Vorwurfs unzureichender Überwachung

–       Vorbringen der Parteien

41      Die Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das Vorverfahren dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit geben solle, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und sich gegen die Rügen der Kommission wirksam zu verteidigen. Außerdem müsse die mit Gründen versehene Stellungnahme eine detaillierte und zusammenhängende Darlegung der Gründe enthalten, aus denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt sei, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen eine ihm obliegende Verpflichtung verstoßen habe.

42      Im vorliegenden Fall werfe die Kommission ihr zwar vor, keine „geeignete“ Überwachung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie sicherzustellen, doch gehe weder aus der Klageschrift noch aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme hervor, welche konkreten Anforderungen die Kommission an die Überwachungspflicht auf der Ebene von Gebieten stelle, in denen diese Lebensräume vorkämen. Daher bleibe unklar, was die Bundesrepublik Deutschland zu tun habe, um den behaupteten Verstoß zu beheben, und insbesondere, ob es ihr nach Ansicht der Kommission obliege, für jedes betroffene Schutzgebiet spezifische Überwachungsmaßnahmen durchzuführen, oder ob die Kommission der Auffassung sei, dass solche Maßnahmen bestünden, sie aber zu selten oder zu oberflächlich erfolgten. Aus dem gleichen Grund mache die Unbestimmtheit der Klageschrift zudem die Verteidigung im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren unmöglich.

43      Somit sei die erste Rüge unzulässig, da es ihr insoweit an Bestimmtheit fehle.

44      Die Kommission beantragt in ihrer Erwiderung, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

45      Sie führt aus, die Bundesrepublik Deutschland mache zu Unrecht geltend, dass die erste Rüge unbestimmt sei. Die Kommission habe sowohl im Vorverfahren als auch in der Klageschrift klar dargelegt, welche rechtlichen Anforderungen an eine Überwachung sich aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ergäben.


46      Sie habe ausgeführt, dass die „geeigneten Maßnahmen“ im Sinne dieser Vorschrift eine regelmäßige Überwachung von Natura‑2000-Gebieten umfassen müssten, die starken Belastungen und Bedrohungen ausgesetzt seien und deren Entwicklung des Erhaltungszustands negativ sei, wie bei den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland, wobei die Frequenz und die Einzelheiten dieser Überwachung von den Mitgliedstaaten an den Erhaltungszustand und die für die Lebensraumtypen ihres Hoheitsgebiets beobachteten Trends angepasst werden müssten.

47      Wie sich klar aus der Klageschrift ergebe, sei eine gebietsspezifische regelmäßige Überwachung in Intervallen von jedenfalls weniger als zwölf Jahren rechtlich geboten. Im vorliegenden Fall sei jedoch die Überwachung in Deutschland, deren Intervalle bis zu zwölf Jahre betragen könnten, im Hinblick auf die von der Bundesrepublik gemachten tatsächlichen Angaben, angesichts des ungünstigen Zustands der Lebensraumtypen und dessen kontinuierlicher Verschlechterung nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie „geeignet“.

48      Die Bundesrepublik Deutschland hält in ihrer Gegenerwiderung an der erhobenen Einrede der Unzulässigkeit fest. Obwohl ihrer Ansicht nach die Erwiderung der Kommission die Klarstellung ermöglicht hat, dass sich die erste Rüge vorwiegend auf die unzureichende Frequenz der Überwachung der Gebiete mit den Lebensraumtypen 6510 und 6520 beziehe, wiederholt sie gleichwohl, dass das Wesen der Rüge weder aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch aus der Klageschrift deutlich werde.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

49      Zunächst ist festzustellen, dass die vorliegende von der Bundesrepublik Deutschland erhobene Einrede der Unzulässigkeit nicht das Vorbringen der Kommission betrifft, die signifikanten Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in einer erheblichen Anzahl von geografischen Gebieten in Deutschland belegten, dass die zuständigen deutschen Behörden es systematisch versäumten, den Erhaltungszustand dieser Lebensraumtypen regelmäßig zu überwachen.

50      Die Bundesrepublik Deutschland führt nämlich selbst aus, dass sich das Vorbringen der Kommission darauf beziehe, ob die in Deutschland stattfindende Überwachung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 den Anforderungen von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie genüge und ob sie „geeignete Maßnahmen“ im Sinne dieser Bestimmung zur Vermeidung von Verschlechterungen getroffen habe.

51      Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die sich aus der Bestimmung ergebende Frage des Umfangs und der Frequenz, auf die sich die Bundesrepublik Deutschland stützt, um die Unzulässigkeit des Vorbringens der Kommission geltend zu machen, zur Begründetheit und zur Beurteilung der Frage gehören, ob das Verhalten Deutschlands gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstößt.

52      Folglich ist auch die zweite Unzulässigkeitseinrede der Bundesrepublik Deutschland zurückzuweisen.

53      Die vorliegende Vertragsverletzungsklage ist demnach in vollem Umfang zulässig.

 Zur Begründetheit

 Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie

–       Vorbringen der Parteien

54      Mit der ersten Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen zu haben, dass sie es allgemein und strukturell versäumt habe, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den besonderen Schutzgebieten in ihrem Hoheitsgebiet zu treffen.

55      Das Versäumnis Deutschlands, keine solchen geeigneten Maßnahmen zu treffen, werde durch signifikante Flächenverluste dieser Lebensraumtypen in diesen Gebieten, das Fehlen einer gebietsspezifischen Überwachung dieser Lebensraumtypen sowie das Fehlen rechtsverbindlicher Schutzmaßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in diesen Gebieten belegt.

56      Was erstens die signifikanten Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den besonderen Schutzgebieten betrifft, so führt die Kommission aus, das BfN habe in seinem Grünland-Report von 2014 deutliche Flächen- und Qualitätsverluste sowie eine Verschlechterung bei beiden Lebensraumtypen seit 2007 festgestellt. Bestätigt werde diese Verschlechterung auch durch die Berichte der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 17 der Habitatrichtlinie für die Zeiträume 2001 bis 2006, 2007 bis 2012 und 2013 bis 2018.

57      Die Kommission habe eine vergleichende Analyse der Angaben in den von den deutschen Behörden für das Jahr 2006 übermittelten SDB und späterer Daten durchgeführt, und zwar derjenigen aus den aktuellsten verfügbaren SDB und den Managementplänen zu den jeweiligen besonderen Schutzgebieten. Aus dieser Analyse gehe hervor, dass in 596 von 2 027 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6510 ausgewiesen sei, und in 88 von 295 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6520 ausgewiesen sei, ein erheblicher Flächenverlust dieser Lebensraumtypen erfolgt sei. Genauer gesagt seien in diesen Gebieten 49,52 % der Fläche des Lebensraumtyps 6510 und 51,07 % der Fläche des Lebensraumtyps 6520 verloren gegangen.

58      Diese große Anzahl von Gebieten sei über ganz Deutschland verteilt, was eine allgemeine und strukturelle Entwicklung widerspiegele. Entgegen dem Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland sei eine Gesamtbetrachtung aller Gebiete, in denen diese Lebensraumtypen vorkämen, nicht erforderlich gewesen, da die Verschlechterung in einigen besonderen Schutzgebieten nicht durch Verbesserungen in anderen ausgeglichen werden könne.

59      Im Übrigen räume die Bundesrepublik Deutschland einen Teil der Flächenverluste ein, nämlich 977,44 ha beim Lebensraumtyp 6510 und 110,49 ha beim Lebensraumtyp 6520.

60      Die Kommission weist das Vorbringen dieses Mitgliedstaats zurück, dass ein Teil der festgestellten Flächenverluste nicht „real“ sei, sondern auf irrtümlichen Ausweisungen bestimmter Gebiete als „besondere Schutzgebiete“ und Schätzfehlern beruhe, die zur Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Berechnung des Umfangs der betreffenden Gebiete und Lebensraumtypen für das Jahr 2006 geführt hätten. Die Kommission bestreitet, dass diese angeblichen Fehler Verringerungen von 6 476,61 ha bei 347 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6510 und von 1 322,16 ha bei 75 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6520 begründeten und ist der Auffassung, sie sei berechtigt, ihre vergleichende Analyse auf die Daten zu stützen, die die Bundesrepublik Deutschland in den SDB für das Jahr 2006 und die folgenden Jahre vorgelegt habe.

61      Jedenfalls seien die von ihr festgestellten Flächenverluste zu groß, um das Ergebnis bloßer Fehler zu sein, da bei mehr als 50 % der von ihr geprüften Gebiete etwa 60 bis 100 % der Fläche der in Rede stehenden Lebensraumtypen in den Jahren 2006 bis 2017 verloren gegangen seien.

62      Zweitens macht die Kommission geltend, die Verschlechterung der Gebiete, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland vorkämen, sei insbesondere darauf zurückzuführen, dass die zuständigen deutschen Behörden es systematisch versäumten, diese Gebiete angemessen und regelmäßig zu überwachen. Die Überwachungsfrequenz hänge vom Erhaltungszustand und den für den betreffenden Lebensraumtyp beobachteten Trends ab, und ein Mitgliedstaat, dessen Behörden keine regelmäßige und gebietsspezifische Überwachung der besonderen Schutzgebiete durchführten, verstoße zwangsläufig gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie.

63      In mehreren Ländern der Bundesrepublik Deutschland fehle eine genaue Kartierung, die Aussagen darüber zuließe, inwieweit eine Verschlechterung der Lebensraumtypen eines bestimmten Schutzgebiets stattgefunden habe, bzw. der Kartierungszyklus sei jedenfalls zu lang. Zudem finde vielfach nur eine stichproben- oder anlassbezogene Überprüfung durch die zuständigen deutschen Behörden statt.

64      Drittens ergibt sich die Verschlechterung bei den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland nach Ansicht der Kommission auch daraus, dass dieser Mitgliedstaat keine rechtlich verbindlichen Maßnahmen zum Schutz der besonderen Schutzgebiete gegen Überdüngung und eine zu frühe Mahd erlassen habe. Die Bundesrepublik Deutschland bevorzuge einen vertraglichen Ansatz, der nicht hinreichend verbindlich und folglich nicht geeignet sei, Überdüngung und eine zu frühe Mahd zu verhindern.

65      Empfehlungen, unverbindliche Managementpläne und Vereinbarungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes kämen nicht als wirksame Ergänzung der Schutzregelung für die besonderen Schutzgebiete in Betracht, da sie nur freiwillig seien und lediglich eine Anreizfunktion für die Landwirte hätten.

66      Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die erste Rüge zurückzuweisen, da sie nicht gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen habe.

67      Sie macht erstens geltend, die Kommission könne auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Gebiete mit den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland keinen derartigen Flächenverlust der Lebensraumtypen in diesen Gebieten feststellen, der einen systematischen und andauernden Verstoß gegen diese Bestimmung erkennen lasse.

68      Die Kommission habe ihre vergleichende Analyse auf eine begrenzte Anzahl von Gebieten mit verhältnismäßig kleiner Fläche konzentriert, ohne die in anderen Gebieten eingetretenen Flächenzuwächse zu berücksichtigen.

69      Bei einer Gesamtbetrachtung aller Gebiete, für die das Vorkommen der Lebensraumtypen 6510 und 6520 seit 2006 von der Bundesrepublik Deutschland in den SDB angegeben worden seien – also von 2 183 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6510 (mit ca. 85 000 ha insgesamt) und 330 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6520 (mit über 12 000 ha insgesamt) – hätte die Kommission nur einen Flächenverlust von 4,27 % für den Lebensraumtyp 6520 und für den Lebensraumtyp 6510 sogar einen Flächenzuwachs von 5,22 % festgestellt.

70      Die SDB für das Jahr 2006 hätten Schätzfehler und wissenschaftliche Irrtümer enthalten, die später korrigiert worden seien. Diese Fehler erklärten zum Teil den Rückgang der eingetragenen Fläche der Lebensraumtypen 6510 und 6520 seit 2006.

71      Die Kommission werfe der Bundesrepublik Deutschland vor, es sei in den von ihr ausgewählten besonderen Schutzgebieten zu Flächenverlusten von 18 717,14 ha des Lebensraumtyps 6510 und 1 890,35 ha des Lebensraumtyps 6520 gekommen. Tatsächlich betrügen die Flächenverluste aber nur 977,44 ha bzw. 110,49 ha. Somit entspreche der Flächenverlust in diesen Gebieten nur ca. 5,4 % bzw. 6,2 % der Gesamtfläche dieser Lebensraumtypen.

72      Wenn man nur die von der Kommission ausgewählten Gebiete betrachte und annähme, dass in diesen Gebieten sämtliche Flächendefizite der Lebensraumtypen 6510 und 6520, für die kein gesicherter Grund vorliege, auf reale Flächenrückgänge zurückzuführen wären, belaufe sich dieser Flächenverlust beim Lebensraumtyp 6510 auf ca. 11 000 ha und beim Lebensraumtyp 6520 auf ca. 360 ha.

73      Zwar bestätigten sowohl der Grünland-Report von 2014 als auch die Berichte nach Art. 17 der Habitatrichtlinie für die Zeiträume 2001 bis 2006, 2007 bis 2012 und 2013 bis 2018 einen gewissen Flächenverlust bei diesen Lebensraumtypen, doch sei der festgestellte Verlust nicht groß genug, um einen systematischen und andauernden Verstoß nachzuweisen.

74      Zweitens bringt die Bundesrepublik Deutschland vor, Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie enthalte keine zwingenden Vorgaben im Hinblick auf die Überwachungspflicht der Mitgliedstaaten und lege keine spezifischen Maßnahmen fest, die sie insoweit zu treffen hätten, so dass den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Überwachungsmodalitäten ein Ermessen eingeräumt sei.

75      Die in Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie vorgesehene Überwachung sei ausreichend, wenn sich aus ihr ableiten lasse, welche Maßnahmen in den einzelnen besonderen Schutzgebieten zu treffen seien, um Verschlechterungen der Lebensraumtypen effektiv zu vermeiden.

76      Die Bundesrepublik Deutschland überwache die Gebiete mit den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in angemessener Art und Weise, mit Unterschieden in den 16 Ländern aufgrund der föderalen Staatsstruktur.

77      Die Kommission habe nicht dargelegt, dass eine andere Form der Überwachung die gerügten Flächenverluste verhindert hätte.

78      Drittens eröffne der Ausdruck „geeignete Maßnahmen“ in Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie den Mitgliedstaaten bei ihrer nationalen Umsetzung ein Ermessen, präventiv wirkende Maßnahmen seien als geeignet anzusehen, und es stehe den Mitgliedstaaten frei, auf welche Weise sie präventiv wirkende Maßnahmen implementierten, wobei Verbote nicht zwingend seien.

79      Das Brachfallen der Flächen durch Nutzungsaufgabe stelle ebenfalls einen Belastungsfaktor der Lebensraumtypen 6510 und 6520 dar, dem durch geeignete Maßnahmen entgegengewirkt werden müsse.

80      Aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ergebe sich keine Verpflichtung zum Erlass von Maßnahmen, die für bestimmte Zeitpunkte im Jahr ein Verbot der Mahd vorgäben und Höchstwerte in Bezug auf die Düngung vorschrieben. Zudem sei der Zeitpunkt, zu dem eine erste Mahd durchgeführt werden sollte, nicht ohne Weiteres genau vorherzusehen. Ähnliches gelte für die Frage, ob und in welchem Umfang gedüngt werden dürfe bzw. gegebenenfalls sogar müsse.

81      Die Kommission habe weder belegt, aus welchen Gründen ordnungsrechtliche Regelungen wirksamer seien als der Vertragsnaturschutz, noch dargelegt, dass die in Deutschland getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung von Überdüngung und zu früher Mahd in Gebieten mit den Lebensraumtypen 6510 und 6520 nicht geeignet seien. Die Kommission habe zudem nicht erläutert, weshalb ordnungsrechtliche Regelungen zu Düngung und Mahd die von ihr behaupteten Flächenverluste verhindert hätten.

82      Schließlich sei der Vertragsnaturschutz angemessener für den antizipatorischen Charakter von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie als die Vorgabe einer Bewirtschaftungsweise durch ordnungsrechtliche Regelungen. Auch wenn dieser vertragliche Ansatz nicht gewährleisten könne, dass keine Verschlechterung eintrete, sei er allgemein wirksam und führe zu einer regelmäßigen Nachverfolgung.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

83      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 der Habitatrichtlinie den Mitgliedstaaten eine Reihe von Verpflichtungen und besonderen Verfahren vorschreibt, die, wie sich aus Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie ergibt, darauf abzielen, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume, insbesondere der besonderen Schutzgebiete, zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen (Urteil vom 12. April 2018, People Over Wind und Sweetman, C‑323/17, EU:C:2018:244, Rn. 23).

84      Art. 6 der Habitatrichtlinie unterteilt die dort aufgezählten Maßnahmen in drei Kategorien, und zwar in Erhaltungs‑, Vorbeugungs- und Ausgleichsmaßnahmen gemäß den Abs. 1, 2 bzw. 4 dieses Artikels. In diesem Zusammenhang zielen die in Art. 6 Abs. 2 genannten Maßnahmen auf den Schutz der Gebiete vor Verschlechterungen ab (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 147 und 148 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

85      So treffen nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

86      Diese Vorschrift erlegt den Mitgliedstaaten eine allgemeine Verpflichtung auf, geeignete Maßnahmen zu treffen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der Lebensräume und erhebliche Störungen von Arten, für die diese Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden (Urteil vom 24. Juni 2021, Kommission/Spanien [Verschlechterung des Naturraums Doñana], C‑559/19, EU:C:2021:512, Rn. 153 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87      Die Kommission braucht für den Nachweis eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie nicht das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Handeln oder Unterlassen des betreffenden Mitgliedstaats und einer Verschlechterung oder erheblichen Störung der betreffenden Lebensräume oder Arten festzustellen. Es genügt nämlich, wenn sie die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr nachweist, dass dieses Handeln oder dieses Unterlassen eine Verschlechterung oder eine erhebliche Störung dieser Lebensräume oder Arten verursacht (Urteil vom 24. Juni 2021, Kommission/Spanien [Verschlechterung des Naturraums Doñana], C‑559/19, EU:C:2021:512, Rn. 155 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Die Kommission ist grundsätzlich nicht daran gehindert, Verstößen gegen Bestimmungen dieser Richtlinie, die auf dem Verhalten der Behörden eines Mitgliedstaats in von ihr im Einzelnen belegten konkreten Fällen beruhen, und zugleich Verstößen gegen dieselben Bestimmungen weiter nachzugehen, soweit sie darauf beruhen, dass bei diesen Behörden eine diesen Bestimmungen entgegenstehende allgemeine Praxis besteht, die durch diese Einzelfälle gegebenenfalls illustriert wird, sofern die Kommission ihrer Verpflichtung nachkommt, in beiden Situationen der ihr obliegenden Beweislast zu genügen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89      Hat die Kommission genügend Anhaltspunkte dafür beigebracht, dass sich bei den Behörden eines Mitgliedstaats eine wiederholt angewandte, fortbestehende Praxis herausgebildet hat, die gegen die Bestimmungen einer Richtlinie verstößt, obliegt es dem betreffenden Mitgliedstaat, diese Angaben und deren Folgen substantiiert zu bestreiten (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 166 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90      Die Kommission kann sich in Anbetracht ihrer Pflicht zum Nachweis der behaupteten Vertragsverletzung aber auch nicht mit dem Vorwurf, der betreffende Mitgliedstaat habe generell und anhaltend seine unionsrechtlichen Pflichten verletzt, der Pflicht entledigen, die gerügte Vertragsverletzung anhand konkreter, für den Verstoß gegen die von ihr angeführten spezifischen Bestimmungen kennzeichnender Anhaltspunkte nachzuweisen, und sich auf bloße Vermutungen oder schematische Kausalzusammenhänge stützen (Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz besonderer Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 167 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Außerdem kann die Kommission beim Gerichtshof beantragen, eine Vertragsverletzung festzustellen, die darin bestehen soll, dass das mit einer Richtlinie bezweckte Ergebnis nicht erreicht worden sei (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 2003, Kommission/Deutschland, C‑20/01 und C‑28/01, EU:C:2003:220, Rn. 30, und vom 5. September 2019, Kommission/Italien [Bakterium Xylella fastidiosa], C‑443/18, EU:C:2019:676, Rn. 77).

92      Schließlich legt Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie zwar eine allgemeine Pflicht fest, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um u. a. die Verschlechterung der Lebensräume zu vermeiden, sieht aber keine konkreten Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten zu erlassen hätten, und lässt diesen bei der Anwendung dieser Bestimmung daher ein Ermessen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a., C‑399/14, EU:C:2016:10, Rn. 36, 37 und 40).

93      Aus diesen Vorbemerkungen ergibt sich, dass die Kommission, die allein für die Entscheidung über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV zuständig ist, beim Gerichtshof Klage auf Feststellung eines systematischen und andauernden Verstoßes eines Mitgliedstaats erheben kann, der in einem Verstoß gegen seine allgemeine Verpflichtung besteht, geeignete Maßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie zu treffen, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume in den besonderen Schutzgebieten zu vermeiden. Wirft die Kommission diesem Mitgliedstaat einen solchen systematischen und andauernden Verstoß vor und weist sie dabei die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr nach, dass das Versäumnis, derartige Maßnahmen zu treffen, eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zur Folge hat, und führt Einzelfälle an, die diesen Verstoß illustrieren, dann obliegt es dem Mitgliedstaat, die von der Kommission geltend gemachten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu bestreiten sowie die behauptete Folge zu widerlegen.

94      Im vorliegenden Fall macht die Kommission geltend, das allgemeine und strukturelle Versäumnis der Bundesrepublik Deutschland, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den dafür ausgewiesenen besonderen Schutzgebieten zu treffen, stelle einen Verstoß gegen die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie dar. Nach Ansicht der Kommission wird der Verstoß durch signifikante Flächenverluste dieser Lebensraumtypen in den Gebieten, in denen sie vorkommen, belegt. Diese Flächenverluste ergäben sich wiederum aus einer fehlenden gebietsspezifischen Überwachung und dem Fehlen rechtlich verbindlicher Schutzmaßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in diesen Gebieten.

95      Was erstens die behauptete Verschlechterung bei den Lebensraumtypen 6510 und 6520 im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie aufgrund signifikanter Flächenverluste dieser Lebensraumtypen in den besonderen Schutzgebieten in Deutschland betrifft, so hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass diese Bestimmung auf den Schutz der Gebiete vor möglichen Verschlechterungen abzielt und es für ihre Umsetzung daher erforderlich sein kann, sowohl Abwehrmaßnahmen gegenüber externen, vom Menschen verursachten Beeinträchtigungen und Störungen als auch Maßnahmen zu ergreifen, um natürliche Entwicklungen zu unterbinden, die den Erhaltungszustand von natürlichen Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Irland [Schutz der besonderen Schutzgebiete], C‑444/21, EU:C:2023:524, Rn. 148 und 149 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

96      Da Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie außerdem auf Gebietsebene Anwendung findet und die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in jedem Gebiet die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume, deren Präsenz signifikant ist, zu vermeiden, können die in einem bestimmten Gebiet festgestellten Verschlechterungen nicht durch Verbesserungen in anderen Gebieten ausgeglichen werden.

97      Um zu beurteilen, ob die Bundesrepublik Deutschland allgemein und strukturell gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, ist daher zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, dass in einer erheblichen Anzahl von für Deutschland repräsentativen Gebieten signifikante Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 eingetreten sind und dass es wahrscheinlich ist, dass diese Verschlechterung der Lebensraumtypen durch das Versäumnis der Bundesrepublik Deutschland, geeignete Maßnahmen zu treffen, verursacht wurde.

98      Was zunächst die Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland betrifft, so bringt die Kommission vor, die für die Zwecke der vorliegenden Klage durchgeführte Analyse anhand eines Vergleichs der Angaben in den von Deutschland für das Jahr 2006 übermittelten SDB mit den Daten aus den aktuellsten verfügbaren SDB und den Managementplänen zu den jeweiligen Gebieten belege einen erheblichen Flächenverlust in 596 von 2 027 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6510 vorkomme, und in 88 von 295 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6520 vorkomme, so dass dieser Verlust sich in diesen Gebieten auf 49,52 % der Fläche des Lebensraumtyps 6510 und 51,07 % der Fläche des Lebensraumtyps 6520 belaufe. Ihrer Ansicht nach zeigen die große Anzahl von Gebieten, in denen ein signifikanter Flächenrückgang festgestellt worden sei, sowie die geografische Verteilung der betroffenen Gebiete über ganz Deutschland, dass es sich um eine allgemeine und strukturelle Entwicklung handele.

99      Um diesen Bewertungen entgegenzutreten, macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, die Kommission habe sich bei der Beurteilung der Flächenänderungen zu Unrecht auf die Angaben zu diesen Lebensraumtypen in den SDB für das Jahr 2006 gestützt, da diese fehlerhaft seien. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass selbst nach der Korrektur dieser Fehler Flächenverluste in 81 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6510 und in 15 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6520 bestehen.

100    Außerdem gibt die Bundesrepublik Deutschland an, dass den seit 2006 übermittelten SDB zufolge der Lebensraumtyp 6510 insgesamt ca. 85 000 ha und der Lebensraumtyp 6520 insgesamt mehr als 12 000 ha umfasse, während die Kommission für die von ihr berücksichtigten Gebieten Flächenverluste von 18 717,14 ha beim Lebensraumtyp 6510 und 1 890,35 ha beim Lebensraumtyp 6520 angegeben hat. Nach Ansicht des Mitgliedstaats betragen die in diesen Gebieten eingetretenen Flächenverluste aber nur 977,44 ha bzw. 110,49 ha.

101    Die Bundesrepublik Deutschland räumt ein, hinsichtlich bestimmter von der Kommission berücksichtigter Gebiete keine Rechtfertigung oder Erklärung für Flächenverluste in Höhe von ca. 11 000 ha des Lebensraumtyps 6510 und ca. 360 ha des Lebensraumtyps 6520 liefern zu können.


102    Dies wird durch die Daten in Anlage B.4 zur Klagebeantwortung dieses Mitgliedstaats bestätigt, da sie, wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausführt, darauf hindeuten, dass diese „nicht begründeten Verluste“ mindestens 9 853,38 ha in mehr als 200 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6510 vorkommt, und mindestens 249,78 ha in 24 Gebieten, in denen der Lebensraumtyp 6520 vorkommt, ausmachen.

103    In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass die Kommission signifikative Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in einer erheblichen Anzahl von Gebieten in der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesen hat.

104    Was sodann die Frage betrifft, ob diese Flächenverluste für Deutschland repräsentativ sind, so ist darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehenden Gebiete, was den Lebensraumtyp 6510 betrifft, in zehn Ländern und, was den Lebensraumtyp 6520 betrifft, in fünf Ländern dieses Mitgliedstaats liegen, der 16 Länder umfasst, darunter drei Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg), die den Status eines Landes haben.

105    Schließlich ist festzustellen, dass die Kommission hinreichend die Wahrscheinlichkeit nachgewiesen hat, dass diese Verschlechterung der Lebensraumtypen durch das Versäumnis verursacht wurde, geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine solche Verschlechterung zu vermeiden, und dass die Bundesrepublik Deutschland nichts vorgebracht hat, was diese Wahrscheinlichkeit ausschließen könnte.

106    Zweitens ist zum Vorbringen der Kommission, das Fehlen einer gebietsspezifischen Überwachung in den für die Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland ausgewiesenen besonderen Schutzgebieten habe zur Verschlechterung dieser Lebensraumtypen beigetragen, darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Rn. 92 und 93 des vorliegenden Urteils ergibt, Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie, der eine allgemeine Pflicht festlegt, die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zu vermeiden, jedem Mitgliedstaat bei seiner Anwendung ein Ermessen lässt und dass, wenn die Kommission einem Mitgliedstaat einen systematischen und andauernden Verstoß gegen diese Pflicht vorwirft und sie dabei die Wahrscheinlichkeit nachweist, dass seine Untätigkeit eine Verschlechterung dieser natürlichen Lebensräume zur Folge hat, es dem Mitgliedstaat obliegt, die von ihr geltend gemachten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu widerlegen.

107    Im vorliegenden Fall macht die Kommission geltend, nachdem sie signifikante Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in einer erheblichen Anzahl von geografischen Gebieten in Deutschland nachgewiesen hat, dass diese Verluste ein Anhaltspunkt dafür seien, dass die zuständigen deutschen Behörden es systematisch versäumten, den Erhaltungszustand dieser Lebensraumtypen regelmäßig zu überwachen.

108    Da es den Erläuterungen der Kommission zufolge plausibel ist, dass eine solche unzureichende Überwachung durch diese Behörden zur Verschlechterung dieser Lebensraumtypen in den Gebieten, in denen sie vorkommen, deren Erhaltungszustand sich negativ entwickelt, beigetragen hat, obliegt es der Bundesrepublik Deutschland, darzutun, dass ihrerseits kein Versäumnis bei der gebietsspezifischen Überwachung vorliegt.

109    Die Bundesrepublik Deutschland legt zum Vorwurf der Kommission hinsichtlich des Fehlens gebietsspezifischer Überwachungsmaßnahmen eine allgemeine Darstellung des Überwachungssystems sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene vor sowie die Darstellung einiger gebietsspezifischer Überwachungsmaßnahmen, die auf diesen Ebenen angewandt werden könnten. Sie überwache die Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland somit in angemessener Art und Weise. Es ist jedoch festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland in diesem Rahmen nur teilweise das Vorbringen der Kommission widerlegt, dass in einigen Ländern eine genaue Kartierung zu Gebieten mit diesen Lebensraumtypen fehle bzw. der Kartierungszyklus zu lang sei oder die Überwachung des Zustands der Lebensraumtypen fehle bzw. nur eine stichproben- oder anlassbezogene Überprüfung stattfinde.

110    Folglich ist festzustellen, dass die in Deutschland durchgeführten Überwachungsmaßnahmen nicht hinreichend gebietsspezifisch, regelmäßig und konsequent sind, um sie als geeignet im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ansehen zu können.

111    Was drittens das Vorbringen der Kommission betrifft, wonach sich die Verschlechterung der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in Deutschland auch daraus ergebe, dass dieser Mitgliedstaat keine rechtlich verbindlichen Maßnahmen zum Schutz der besonderen Schutzgebiete gegen Überdüngung und eine zu frühe Mahd getroffen habe, sondern stattdessen Vereinbarungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, Empfehlungen und unverbindliche Managementpläne bevorzuge, so ist darauf hinzuweisen, dass es zwischen den Parteien unstreitig ist, dass Überdüngung und zu frühe Mahd in den Gebieten mit diesen Lebensraumtypen die Verschlechterung dieser Lebensräume zur Folge haben, während Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung einer solchen Verschlechterung zu treffen.

112    Zur Natur dieser Maßnahmen führt die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf Rn. 63 des Urteils vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (C‑535/07, EU:C:2010:602), aus, dass es zur Verwirklichung dieses Ziels nicht notwendig erscheine, spezielle Verbote zu erlassen, und dass das Ziel durch für die Bewirtschafter der betreffenden Gebiete verbindliche Schutzvereinbarungen sowie durch Empfehlungen und unverbindliche Managementpläne erreicht werden könne.


113    Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass das in Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie vorgesehene Schutzniveau u. a. nach Maßgabe der für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu bestimmen ist (Urteil vom 12. September 2024, Elliniki Ornithologiki Etaireia u. a., C‑66/23, EU:C:2024:733, Rn. 43).

114    Da der Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Gebiete, wie in Rn. 84 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf den Schutz dieser Gebiete vor Verschlechterungen abzielt, kann die Bundesrepublik Deutschland in Ermangelung einer rechtlich verbindlichen Bestimmung, die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in Gebieten, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen, untersagt, nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie genügen.

115    Darüber hinaus beruft sich dieser Mitgliedstaat zwar auf für die Bewirtschafter dieser Gebiete verbindliche Schutzvereinbarungen, doch hat er nicht nachgewiesen, dass diese Vereinbarungen die Wirkung einer rechtlich verbindlichen Bestimmung haben, die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in den Gebieten untersagt.

116    Somit hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie keine rechtlich verbindlichen Schutzmaßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in Gebieten, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen, getroffen hat.

117    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, dass sie es allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura‑2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 und 6520 des Anhangs I dieser Richtlinie in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie

–       Vorbringen der Parteien

118    Mit der zweiten Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen zu haben, dass sie es allgemein und strukturell versäumt habe, ihr aktualisierte Daten zu den Gebieten zu übermitteln, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen.

119    Sie weist darauf hin, dass in 202 von 596 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6510 und in 14 von 88 Gebieten mit dem Lebensraumtyp 6520 die letzten SDB nicht auf dem aktuellen Stand gewesen seien, da sie nicht die aktuellen Feststellungen zur Fläche dieser Lebensraumtypen enthalten hätten. Da zehn der 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland betroffen seien, handele es sich um ein systematisches Versäumnis bei der Aktualisierung der SDB.

120    Auch wenn Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich vorschreibe, regelmäßig aktualisierte Daten zur Fläche jedes besonderen Schutzgebiets vorzulegen, ergebe sich diese Aktualisierungspflicht aus der systematischen und teleologischen Auslegung dieser Bestimmung.

121    Die Kommission müsse über diese Daten verfügen, um die Einhaltung der Erhaltungsziele nach Art. 2 der Habitatrichtlinie zu gewährleisten. Außerdem habe sie aufgrund von Art. 9 dieser Richtlinie in regelmäßigen Zeitabständen den Beitrag von Natura 2000 zur Verwirklichung der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Ziele zu beurteilen.

122    Die Bedeutung der Vorlage solcher regelmäßig aktualisierter Daten werde auch durch Art. 17 der Richtlinie verdeutlicht, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, alle sechs Jahre einen Bericht zu erstellen, in dem sie die durchgeführten Maßnahmen und die an jedem einzelnen Gebiet vorgenommenen Verbesserungen aufführen müssten.

123    Eine Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie dahin, dass diese Bestimmung nur die „erstmalige“ Übermittlung von Daten vorschreibe, könne die Erreichung der Erhaltungsziele nicht ausreichend sicherstellen, da die besonderen Schutzgebiete und die Lebensraumtypen fortlaufend Veränderungen unterworfen seien.

124    Die Kommission fügt hinzu, sie habe mit dem Durchführungsbeschluss 2011/484 den derzeit gültigen SDB für die Übermittlung von Daten zu Natura‑2000-Gebieten festgelegt. Der vierte Erwägungsgrund dieses Durchführungsbeschlusses erläutere die Verpflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung, dahin, dass „[d]er Inhalt des Standard-Datenbogens für Natura 2000 in regelmäßigen Abständen anhand der besten verfügbaren Informationen zu jedem Gebiet des Netzes aktualisiert werden [sollte], damit die Kommission ihre koordinierende Funktion wahrnehmen … kann.“

125    Schließlich erkenne die Mehrzahl der Mitgliedstaaten die Notwendigkeit einer fortlaufenden Aktualisierung der SDB an, und lege ihr jährlich aktualisierte Datensätze vor.

126    Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Rüge zurückzuweisen.

127    Sie weist darauf hin, Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie beinhalte eine einmalige Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Übermittlung detaillierter Informationen bei Meldung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, nicht aber eine Verpflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung dieser Daten.


128    Zudem werde diese wörtliche Auslegung durch die systematische Auslegung gestützt, da Art. 4 der Habitatrichtlinie das Verfahren der Meldung von Gebieten und der Erstellung der Listen von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung betreffe und nicht den späteren Informationsaustausch mit der Kommission, der im Übrigen in den Bestimmungen des folgenden Abschnitts („Information“), insbesondere in Art. 17 der Richtlinie, geregelt sei.

129    Wäre eine regelmäßige Aktualisierungspflicht beabsichtigt gewesen, so hätte der Unionsgesetzgeber sie explizit geregelt, ähnlich wie die in Art. 17 der Habitatrichtlinie enthaltene Pflicht, alle sechs Jahre einen Bericht über die Durchführung der im Rahmen dieser Richtlinie durchgeführten Maßnahmen zu erstellen.

130    Das Fehlen einer solchen Verpflichtung zur Aktualisierung der Daten ergebe sich auch aus den Erläuterungen im Anhang des Durchführungsbeschlusses 2011/484, da den Mitgliedstaaten dort lediglich „dringend empfohlen“ werde, die in den SDB enthaltene Dokumentation „im Rahmen des Möglichen“ und „anhand der besten verfügbaren Informationen“ zu aktualisieren, ohne ihnen umfassende regelmäßige Aktualisierungen aufzuerlegen.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

131    Aus Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 der Habitatrichtlinie geht hervor, dass die Liste der Gebiete, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II aufgeführt sind, „[b]innen drei Jahren nach der Bekanntgabe dieser Richtlinie der Kommission … gleichzeitig mit den Informationen über die einzelnen Gebiete zugeleitet [wird]“.

132    Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung müssen die Mitgliedstaaten u. a. die Liste der geografischen Gebiete sowie die Informationen über diese Gebiete innerhalb einer bestimmten Frist, nämlich binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe der Richtlinie, übermitteln. Wie die Bundesrepublik Deutschland ausführt, bezieht sich der Wortlaut somit eindeutig auf eine einzige Übermittlung von Informationen.

133    Daher ist festzustellen, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt, nach der in dieser Bestimmung vorgesehenen Übermittlung von Daten diese regelmäßig zu aktualisieren.

134    Die systematische Analyse dieser Bestimmung lässt keine andere Auslegung zu.


135    Zum einen umfasst das Verfahren für die Ausweisung von Gebieten als „besondere Schutzgebiete“ nach Art. 4 der Habitatrichtlinie nämlich verschiedene Schritte.

136    So legt zunächst jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie u. a. eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen aufgeführt sind, und übermittelt der Kommission diese Liste sowie verschiedene Informationen über diese Gebiete. Sodann erstellt die Kommission nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie aus den Listen der Mitgliedstaaten eine Liste der Gebiete, die als „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ ausgewählt werden. Schließlich weist der betreffende Mitgliedstaat nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ein Gebiet, das als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden ist, als „besonderes Schutzgebiet“ aus.

137    Daraus folgt, dass Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie lediglich den ersten Verfahrensschritt regelt, den die Mitgliedstaaten und die Kommission befolgen müssen, damit die besonderen Schutzgebiete ordnungsgemäß ausgewiesen werden.

138    Zum anderen ergibt sich eine Verpflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung der Daten zwar, wie die Kommission ausführt, aus Art. 17 dieser Richtlinie, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle sechs Jahre einen Bericht zu erstellen, in dem sie u. a. die auf nationaler Ebene durchgeführten Maßnahmen und die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Erhaltungszustand jedes einzelnen Gebiets aufführen müssen, doch enthält Art. 17 keinen Verweis auf Art. 4 der Habitatrichtlinie und auch generell keinen Anhaltspunkt für eine Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dahin, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, regelmäßig aktualisierte Daten zu den besonderen Schutzgebieten zu übermitteln.

139    Zu den in den Art. 2 und 3 der Habitatrichtlinie genannten Erhaltungszielen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission gemäß Art. 9 dieser Richtlinie in regelmäßigen Zeitabständen den Beitrag von Natura 2000 zur Verwirklichung dieser Ziele beurteilt. Zu diesem Zweck hat sie in Anwendung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie den Durchführungsbeschluss 2011/484 erlassen, nach dessen viertem Erwägungsgrund der Inhalt des SDB für Natura 2000 in regelmäßigen Abständen anhand der besten verfügbaren Informationen zu jedem Gebiet des Netzes aktualisiert werden sollte.

140    Wie der Generalanwalt in Nr. 98 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergäbe sich jedoch, selbst unter der Annahme, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur regelmäßigen Aktualisierung der Daten für jedes zu einem besonderen Schutzgebiet erklärte Gebiet aus Art. 9 der Habitatrichtlinie abgeleitet werden könnte, eine solche Verpflichtung nicht aus Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie.

141    Die Auslegung einer Bestimmung anhand ihres Zwecks darf nicht dazu führen, dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 2007, Kommission/Belgien, C‑437/04, EU:C:2007:178, Rn. 56, sowie vom 20. September 2022, VD und SR, C‑339/20 und C‑397/20, EU:C:2022:703, Rn. 71).

142    Darüber hinaus ist der von der Kommission angeführte Umstand, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten die Notwendigkeit einer fortlaufenden Aktualisierung der SDB anerkennen, für die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Habitatrichtlinie unerheblich. Insoweit kann, wie die Bundesrepublik Deutschland vorbringt, davon ausgegangen werden, dass der Unionsgesetzgeber, wenn mit dieser Bestimmung eine regelmäßige Aktualisierungspflicht beabsichtigt gewesen wäre, sie explizit geregelt hätte.

143    Folglich ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

144    Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, dass sie es allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura‑2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 und 6520 des Anhangs I dieser Richtlinie in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen.

145    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 Kosten

146    Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland jeweils teils obsiegt haben, teils unterlegen sind, sind ihnen jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung verstoßen, dass sie es allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) des Anhangs I der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Europäische Kommission und die Bundesrepublik Deutschland tragen ihre eigenen Kosten.

Jürimäe

Lenaerts

Jääskinen

Gavalec

 

Piçarra

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. November 2024.

Der Kanzler

 

Der Präsident

A. Calot Escobar

 

K. Lenaerts


*      Verfahrenssprache: Deutsch.