Language of document : ECLI:EU:C:2025:429

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. Juni 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 1 Buchst. i Abs. 1 – Erhaltungszustand einer Art – Begriff – Art. 14 – Verwaltungsmaßnahmen – Entnahme aus der Natur und Nutzung, die mit der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Art vereinbar sind – Art. 1 Buchst. i Abs. 2 – Bewertung, ob der Erhaltungszustand der betreffenden Art günstig ist – Kumulative Voraussetzungen – Canis lupus (Wolf) – Einstufung in die Kategorie ‚gefährdet‘ der ‚Roten Liste‘ der Weltnaturschutzunion – Tierart, die zu einer Population gehört, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hinaus erstreckt – Berücksichtigung des Austauschs mit Populationen derselben Art, die in benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern vorkommen – Art. 2 Abs. 3 – Berücksichtigung der Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie der regionalen und örtlichen Besonderheiten “

In der Rechtssache C‑629/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland) mit Entscheidung vom 13. Oktober 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 2023, in dem Verfahren

MTÜ Eesti Suurkiskjad

gegen

Keskkonnaamet,

Beteiligte:

Keskkonnaagentuur,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter D. Gratsias, E. Regan, J. Passer (Berichterstatter) und B. Smulders,

Generalanwältin: Frau J. Kokott,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2024,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von MTÜ Eesti Suurkiskjad, vertreten durch M. Ellermaa und E. Lopp,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch D. Elkan, J. F. Kronborg et C. Maertens als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und M. Kopetzki als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, C. Hermes, E. Randvere, N. Ruiz García und K. Toomus als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Dezember 2024

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. i, Art. 2 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem MTÜ Eesti Suurkiskjad und dem Keskkonnaamet (Umweltamt, Estland) über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts betreffend Quoten für die Jagd auf Wölfe.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im 15. Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie heißt es:

„[Es] ist ein allgemeines Schutzsystem für bestimmte Tier- und Pflanzenarten vorzusehen. Für bestimmte Arten sind Regulierungsmaßnahmen vorzusehen, wenn dies aufgrund ihres Erhaltungszustands gerechtfertigt ist; hierzu zählt auch das Verbot bestimmter Fang- und Tötungsmethoden, wobei unter gewissen Voraussetzungen Abweichungen zulässig sein müssen.“

4        In Art. 1 der Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

i)      ‚Erhaltungszustand einer Art‘: die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand wird als ‚günstig‘ betrachtet, wenn

–        aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird,

und

–        das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird

und

–        ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

…“

5        Art. 2 der Habitatrichtlinie lautet:

„(1)      Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.

(2)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

(3)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und Besonderheiten Rechnung.“

6        Art. 11 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten überwachen den Erhaltungszustand der in Artikel 2 genannten Arten und Lebensräume, wobei sie die prioritären natürlichen Lebensraumtypen und die prioritären Arten besonders berücksichtigen.“

7        Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a)      alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

b)      jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs‑, Aufzucht‑, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;

c)      jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;

d)      jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.“

8        Art. 14 Abs. 1 der Habitatrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen, sofern sie es aufgrund der Überwachung gemäß Artikel 11 für erforderlich halten, die notwendigen Maßnahmen, damit die Entnahme aus der Natur von Exemplaren der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten des Anhangs V sowie deren Nutzung mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands vereinbar sind.“

9        Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:

a)      zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;

b)      zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;

c)      im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;

d)      zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;

e)      um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.“

10      In Anhang II („Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“) der Habitatrichtlinie wird unter diesen Tierarten u. a. der „Canis lupus (ausgenommen die estnische Population…)“ genannt.

11      Gemäß Anhang IV („Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse“) der Habitatrichtlinie gehört der Canis lupus, „ausgenommen die … estnischen Populationen“, zu diesen Tierarten.

12      Nach Anhang V („Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, deren Entnahme aus der Natur und Nutzung Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können“) der Habitatrichtlinie können die estnischen Populationen des Canis lupus Gegenstand solcher Maßnahmen sein.

 Estnisches Recht

 Naturschutzgesetz

13      In § 1 des Looduskaitseseadus (Naturschutzgesetz, RT I 2004, 38, 258) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Naturschutzgesetz) heißt es:

„Das Gesetz zielt darauf ab,

1)      die Natur zu schützen, indem ihre Vielfalt bewahrt und der günstige Zustand der natürlichen Lebensräume sowie der Tier‑, Pflanzen- und Pilzarten gewährleistet wird;

…“

14      § 3 („Günstiger Zustand eines Lebensraums und einer Art“) Abs. 2 des Naturschutzgesetzes lautet:

„Der Zustand einer Art wird als günstig betrachtet, wenn die Größe ihrer Population darauf hindeutet, dass die Art langfristig als lebensfähiges Element ihres natürlichen Lebensraums oder ihres Fortpflanzungshabitats fortbestehen wird, wenn das natürliche Verbreitungsgebiet der Art nicht abnimmt und wenn ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Population der Art zu sichern“.

15      § 49 („Aktionsplan zum Schutz und zum Management der Art“) des Naturschutzgesetzes bestimmt:

„(1)      Es wird ein Aktionsplan ausgearbeitet:

1)      um die Erhaltung der Art, die unter die Schutzkategorie I fällt, zu organisieren;

2)      um einen günstigen Erhaltungszustand der Art zu gewährleisten, wenn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der Art erkennen lassen, dass dies durch die bislang getroffenen Maßnahmen nicht gewährleistet ist, oder wenn eine internationale Verpflichtung dies erfordert;

3)      für das Management der Art, wenn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der Art erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt oder eine Gefahr für Güter oder die menschliche Gesundheit infolge einer Zunahme der Häufigkeit der Art erkennen lassen.

(2)      Der Aktionsplan muss Folgendes beinhalten:

1)      Daten über die Biologie, die Häufigkeit und die Verbreitung der Art;

2)      die Bedingungen für die Gewährleistung des günstigen Zustands der bedrohten Art;

3)      die Risikofaktoren;

4)      das Ziel der Erhaltung oder des Managements;

5)      die Prioritäten und den Zeitplan der Maßnahmen, die zur Erreichung des günstigen Zustands oder zum Management der Art erforderlich sind;

6)      den Haushaltsplan für die Organisation der Erhaltung oder des Managements.

…“

 Jagdgesetz

16      § 21 („Wildüberwachung“) Abs. 4 des Jahiseadus (Jagdgesetz) (RT I 2013, 2) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Jagdgesetz) bestimmt:

„Die in Abs. 3 dieses Paragrafen genannte Behörde [die Keskkonnaagentuur (Umweltbehörde, Estland)] erstellt jährlich einen Bericht über die Wildüberwachung. Der Überwachungsbericht muss die folgenden Angaben beinhalten:

1)      die Beschreibung des Zustands der Wildpopulationen;

2)      die Veränderungen im Zustand der Wildpopulationen;

3)      die Prognosen für den Zustand der Wildpopulationen und die Risikofaktoren;

4)      die Empfehlungen zu Quoten und Jagdgestaltung.“

17      § 22 („Quoten und Jagdgestaltung“) Abs. 2 des Jagdgesetzes lautet:

„Das Umweltamt setzt jedes Jahr die Quoten für die Jagd auf Braunbären, Wölfe, Luchse und Kegelrobben auf der Grundlage der in § 21 Abs. 4 dieses Gesetzes genannten Berichte und des Vorschlags des Jagdrats fest.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18      Am 4. Oktober 2012 verabschiedete das estnische Umweltministerium einen „Aktionsplan für den Schutz und das Management von Großraubtieren (Canis lupus [Wolf], Lynx lynx [Luchs] und Ursus arctos [Braunbär]) für den Zeitraum 2012-2021“ (im Folgenden: Aktionsplan für den Zeitraum 2012-2021).

19      Im Aktionsplan für den Zeitraum 2012-2021 hieß es, dass der Erhaltungszustand der estnischen Großraubtierpopulationen als günstig betrachtet werden könne und u. a. darauf abziele, den günstigen Erhaltungszustand des Wolfs auf den Ebenen sowohl der estnischen als auch der baltischen Wolfspopulation aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck legte der Aktionsplan das Ziel fest, jedes Jahr vor Beginn der Jagdsaison 15 bis 25 Wolfsrudel mit Jungtieren zu erhalten, so dass die Gesamtpopulation der Art auf estnischem Gebiet etwa 150 bis 250 Individuen betragen sollte. Innerhalb dieser Spanne sollten jährliche Ziele anhand der Ergebnisse der Überwachung festgelegt werden, und die Populationsgröße sollte durch Bejagung innerhalb dieser Spanne gehalten werden. Das Ziel bestand auch darin, die vom Wolf verursachten Schäden zu reduzieren, insbesondere indem der Wolf bevorzugt in den Gebieten bejagt werden sollte, in denen er Schäden verursacht.

20      Dem Aktionsplan zufolge war die baltische Wolfspopulation selbst Teil der eurasischen Wolfpopulation, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über Estland, Lettland, Litauen, den Nordosten Polens, Belarus, den Norden der Ukraine und einige russische Regionen erstreckt habe. Der Aktionsplan gab die ungefähre Zahl der Wölfe an, die sich im Jahr 2008 in Lettland und Litauen sowie im Jahr 2010 in den russischen Regionen, die an Estland angrenzen, befunden hätten. Zwar seien Pläne zum Schutz oder zur Erhaltung und zum Management des Wolfs von der Republik Lettland, der Republik Finnland und der Republik Belarus erlassen worden sowie in der Republik Litauen und der Republik Polen in Vorbereitung, doch würden sie in Russland fehlen. Zudem könne der Wolf in diesen Mitgliedstaaten und in Drittländern bejagt werden. Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit führte der Aktionsplan insbesondere die Beteiligung der Republik Estland an der Arbeitsgruppe der International Union for Conservation of Nature (Weltnaturschutzunion, im Folgenden: IUCN) an sowie die Tatsache, dass der Vertreter Estlands mit den Vertretern Lettlands, Litauens, Polens, Finnlands, Schwedens, Norwegens und Russlands in Kontakt stehe. Der Aktionsplan sah auch die Einführung eines regelmäßigen Informationsaustauschs zwischen der Republik Estland sowie der Republik Lettland über die quantitative Entwicklung der Population der Großraubtiere und die Jagdquoten vor sowie die aktive Beteiligung der Republik Estland an internationalen Projekten zur Organisation der Erhaltung und des Managements von Großraubtieren.

21      Mit Verfügung vom 29. Oktober 2020, die gemäß § 22 Abs. 2 des Jagdgesetzes erlassen wurde, legte das Umweltamt den ersten Teil der Wolfsjagdquote für die Jagdsaison 2020/2021 in Estland auf 140 Exemplare fest, aufgeteilt auf 20 Managementgebiete, wobei Viehzuchtgebieten und Gebieten, in denen Schäden durch Wölfe verursacht wurden, der Vorzug gegeben wurde.

22      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine estnische Umweltschutzvereinigung, erhob beim Tallinna Halduskohus (Verwaltungsgericht Tallinn, Estland) eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Verfügung. Diese Klage stützte sie u. a. darauf, dass der Erhaltungszustand des Wolfs in Estland nicht als „günstig“ im Sinne von § 3 des Naturschutzgesetzes betrachtet werden könne und dass wegen der Genehmigung der Jagd auf 140 Wölfe das Ziel der Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands von Wölfen noch schwerer zu erreichen sei.

23      Mit einem Urteil vom 1. Oktober 2021 wies das Tallinna Halduskohus (Verwaltungsgericht Tallinn) diese Klage ab.

24      Diese ablehnende Entscheidung wurde vom Tallinna Ringkonnakohus (Berufungsgericht Tallinn, Estland) bestätigt.

25      Beim Riigikohus (Oberstes Gericht, Estland), dem vorlegenden Gericht, ist ein Rechtsmittel der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichts anhängig.

26      Das vorlegende Gericht fragt sich erstens, ob, wenn ein Mitgliedstaat Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 der Habitatrichtlinie erlässt, bei der Prüfung der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Ziel, im Sinne von Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie einen „günstigen Erhaltungszustand“ der betreffenden Art zu bewahren oder wiederherzustellen, der Erhaltungszustand der Population dieser Art, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats vorkommt, zu berücksichtigen ist, oder ob der Erhaltungszustand von Populationen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vorliegend der baltischen Population, berücksichtigt werden kann.

27      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass der „günstige“ Erhaltungszustand der baltischen Wolfspopulation zwar keineswegs in Abrede gestellt werde, die Klägerin des Ausgangsverfahrens jedoch unter Berufung auf eine Bewertung der IUCN geltend mache, dass der Erhaltungszustand der estnischen Wolfspopulation nicht als günstig zu betrachten sei.

28      In diesem Kontext weist das vorlegende Gericht zweitens darauf hin, dass es seiner Kenntnis nach im Hinblick auf die Erhaltung der fraglichen Wolfspopulation keine förmliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gebe, in deren Hoheitsgebiet das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Population liege, sondern es bestehe nur eine informelle Kommunikation zwischen Wissenschaftlern.

29      Drittens stellt sich das vorlegende Gericht insbesondere im Hinblick auf die Urteile vom 14. Juni 2007, Kommission/Finnland (C‑342/05, EU:C:2007:341), und vom 23. April 2020, Kommission/Finnland (Frühjahrsjagd auf die männliche Eiderente) (C‑217/19, EU:C:2020:291), die Frage, ob die Population einer Art, die in Bezug auf einen Mitgliedstaat in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN (im Folgenden: Rote Liste der IUCN) als „gefährdet“ eingestuft sei, einen „günstigen Erhaltungszustand“ im Sinne der Habitatrichtlinie haben könne. In dem Aktionsplan für den Zeitraum 2022–2031, der nach dem Aktionsplan für den Zeitraum 2012-2021 erstellt worden sei, werde die baltische Wolfspopulation nach den Kategorien der Roten Liste der IUCN als „nicht gefährdet“ (LC) eingestuft, wohingegen die die estnische Wolfspopulation als „gefährdet“ (VU) eingestuft werde und bei Außerachtlassung der benachbarten Populationen sogar als „stark gefährdet“ (EN) zu betrachten sei.

30      Viertens schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das Umweltamt und die Umweltagentur im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits stets geltend gemacht hätten, dass ein Anstieg der Zahl der Wölfe zu starken sozialen und wirtschaftlichen Spannungen führen würde. Eines der Hauptargumente, das zur Rechtfertigung der Genehmigung der Wolfsjagd vorgebracht werde, sei nämlich die Notwendigkeit, den von Wölfen vor allem am Viehbestand verursachten Schaden zu verringern.

31      Unter diesen Umständen hat das Riigikohus (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 14 Abs. 1 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass er dazu verpflichtet, beim Erlass der in dieser Vorschrift genannten Maßnahmen einen günstigen Erhaltungszustand im Sinne von Art. 1 Buchst. i für eine regionale Population einer Art in einem bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten, oder kann der Erhaltungszustand der gesamten Population im Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union berücksichtigt werden?

2.      Wenn es zulässig ist, den Erhaltungszustand der gesamten Population im Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu berücksichtigen, ist die Habitatrichtlinie dann dahin auszulegen, dass sie eine förmliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, auf die sich das Verbreitungsgebiet der Population erstreckt, zur Erhaltung dieser Population voraussetzt, oder genügt es, dass der Mitgliedstaat, der die in Art. 14 der Habitatrichtlinie genannten Maßnahmen erlässt, die Situation der Population der Art in den anderen betroffenen Mitgliedstaaten ermittelt oder die Bedingungen dafür in einem nationalen Bewirtschaftungsplan festlegt?

3.      Kann Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass eine regionale Population einer nach den Kriterien der Roten Liste der IUCN in die Gefährdungskategorie „gefährdet“ (VU [vulnerable]) eingestuften Art einen günstigen Erhaltungszustand im Sinne der Habitatrichtlinie haben kann?

4.      Kann Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 dahin ausgelegt werden, dass bei der Feststellung des günstigen Erhaltungszustands einer Art auch Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen werden kann?

 Zu den Vorlagefragen

 Zu den Fragen eins bis drei

32      Mit seinen ersten drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Einstufung der Population einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vorkommenden Tierart in die Kategorie „gefährdet“ der Roten Liste der IUCN es ausschließt, dass der Erhaltungszustand dieser Art im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats als „günstig“ im Sinne dieser Bestimmung betrachtet wird. Des Weiteren möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie durch einen Mitgliedstaat mit der Verpflichtung einhergeht, einen günstigen Erhaltungszustand der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats vorkommenden Population dieser Art zu bewahren, oder ob dieser Mitgliedstaat den Erhaltungszustand der gesamten Population, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hinaus erstreckt, berücksichtigen darf, und gegebenenfalls in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen.

33      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Wolf grundsätzlich gemäß Art. 12 in Verbindung mit Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie zu den Arten von „gemeinschaftlichem Interesse“ gehört, die im Sinne dieses Art. 12 „streng zu schützen“ sind.

34      Dieser Anhang IV Buchst. a schließt jedoch u. a. estnische Wolfspopulationen von diesem strengen Schutz aus.

35      Daher sind diese Populationen in Anhang V Buchst. a der Habitatrichtlinie als Tierart von gemeinschaftlichem Interesse aufgeführt, deren Entnahme aus der Natur und Nutzung Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können und die somit unter Art. 14 der Richtlinie fallen.

36      In Bezug auf die Verwaltungsmaßnahmen, deren Gegenstand die in Anhang V der Habitatrichtlinie verzeichneten Arten sein können, bestimmt Art. 14 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, dass die Mitgliedstaaten, „sofern sie es aufgrund der Überwachung gemäß Art. 11 für erforderlich halten, die notwendigen Maßnahmen [treffen], damit die Entnahme aus der Natur von Exemplaren der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten des Anhangs V sowie deren Nutzung mit der Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands vereinbar sind“.

37      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht hervor, dass die Mitgliedstaaten über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügen, um festzustellen, ob es notwendig ist, Maßnahmen in Anwendung dieser Bestimmung zu erlassen, die geeignet sind, die Nutzung der in Anhang V der Habitatrichtlinie verzeichneten Arten zu begrenzen (Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 53).

38      Jedoch ist dieser Beurteilungsspielraum durch die Pflicht begrenzt, dafür zu sorgen, dass die Entnahme der Exemplare einer Art aus der Natur und die Nutzung dieser Exemplare mit der Erhaltung dieser Art in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 55).

39      Jede von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage der Habitatrichtlinie getroffene Maßnahme muss nämlich gemäß deren Art. 2 Abs. 2 darauf abzielen, einen günstigen Erhaltungszustand der Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen (Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 56).

40      Wie aus dem 15. Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie hervorgeht, war der Unionsgesetzgeber zudem der Auffassung, dass ein allgemeines Schutzsystem für bestimmte Tier- und Pflanzenarten vorzusehen ist und dass für bestimmte Arten Regulierungsmaßnahmen vorzusehen sind, „wenn dies aufgrund ihres Erhaltungszustands gerechtfertigt ist“, wozu auch das Verbot bestimmter Fang- und Tötungsmethoden zählt, wobei unter gewissen Voraussetzungen Abweichungen zulässig sein müssen. Wie der Einschub „wenn dies aufgrund ihres Erhaltungszustands gerechtfertigt ist“ belegt, muss somit der Erlass solcher Maßnahmen dadurch gerechtfertigt sein, dass es erforderlich ist, die betroffene Art in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen (Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 57).

41      Wenn sich eine Tierart in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet, müssen außerdem die zuständigen Behörden Maßnahmen im Sinne von Art. 14 der Habitatrichtlinie ergreifen, um den Erhaltungszustand der Art so weit zu verbessern, dass deren Populationen in Zukunft dauerhaft einen günstigen Erhaltungszustand erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 69).

42      Schließlich ist die Bewertung des Erhaltungszustands einer Art und der Frage, ob es angezeigt ist, auf Art. 14 der Habitatrichtlinie gestützte Maßnahmen zu erlassen, unter Berücksichtigung insbesondere der neuesten wissenschaftlichen Daten durchzuführen, die durch die Überwachung gemäß Art. 11 dieser Richtlinie erlangt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 65). Gemäß dem in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerten Vorsorgeprinzip muss insoweit der Mitgliedstaat, wenn bei der Prüfung der besten zur Verfügung stehenden Daten eine Ungewissheit darüber bestehen bleibt, ob die Nutzung einer Art von gemeinschaftlichem Interesse mit deren Erhaltung in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar ist, davon absehen, eine solche Nutzung zu erlauben (Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Vorliegend geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass im Aktionsplan für den Zeitraum 2012-2021 der Erhaltungszustand des Wolfs in Estland als günstig betrachtet wurde. Dabei wurden u. a. die in Rn. 20 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte in Bezug auf benachbarte Mitgliedstaaten und Drittländer berücksichtigt.

44      Das vorlegende Gericht weist jedoch u. a. darauf hin, dass in dem späteren Aktionsplan, der für den Zeitraum 2022–2031 erstellt worden sei, die estnische Wolfspopulation in die Kategorie „gefährdet“ der Roten Liste der IUCN eingestuft worden sei, d. h. nach der Definition in den Leitlinien für die Verwendung der Kategorien und Kriterien der Roten Liste der IUCN als „einer hohen Gefahr des Aussterbens im wildlebenden Zustand ausgesetzt“.

45      Insoweit ist zum einen festzustellen, dass der Begriff „Erhaltungszustand einer Art“ in Art. 1 Buchst. i Abs. 1 der Habitatrichtlinie definiert wird als die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Art. 2 der Habitatrichtlinie bezeichneten Gebiet auswirken können.

46      Zum anderen wird gemäß Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie der Erhaltungszustand einer Art als günstig betrachtet, wenn drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen sein, dass diese ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird. Zweitens darf das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnehmen noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen. Drittens muss ein genügend großer Lebensraum vorhanden sein und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein, um langfristig ein Überleben der Populationen der betreffenden Art zu sichern (Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 16 der Habitatrichtlinie, der den Mitgliedstaaten gestattet, von den Bestimmungen der Art. 12 bis 15 der Richtlinie abzuweichen, und dessen Anwendung u. a. auch davon abhängt, dass die Populationen der betreffenden Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, ergibt sich, dass dieser Zustand in erster Linie und zwangsläufig auf örtlicher und nationaler Ebene bestehen und bewertet werden muss, so dass ein ungünstiger Erhaltungszustand im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder in einem Teil davon nicht durch eine nur auf grenzüberschreitender Ebene vorgenommene Bewertung verschleiert wird, aus der sich ergäbe, dass sich diese Art in einem günstigen Erhaltungszustand befinde (Urteil vom 11. Juli 2024, WWF Österreich u. a., C‑601/22, EU:C:2024:595, Rn. 57).

48      Gleiches gilt notwendigerweise im Rahmen der Durchführung von Art. 14 der Habitatrichtlinie. Wie die Generalanwältin in den Nrn. 39 und 40 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann nämlich eine Art, wenn ihr Erhaltungszustand in einem Mitgliedstaat, auf dessen Gebiet sich zumindest potenziell ihr natürliches Verbreitungsgebiet erstreckt, nicht günstig ist, dort ihre ökologische Funktion nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang verwirklichen, selbst wenn die in diesem Mitgliedstaat vorkommende Population der betreffenden Art Teil einer Population mit günstigem Erhaltungszustand ist.

49      Was allerdings als Erstes die Einstufung der estnischen Wolfspopulation in die Kategorie „gefährdet“ der Roten Liste der IUCN angeht, ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in Nr. 85 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, weder Art. 1 Buchst. i noch eine andere Bestimmung der Habitatrichtlinie für die Zwecke der Definition des Begriffs „günstiger Erhaltungszustand einer Art“ auf die Rote Liste der IUCN oder auf die Kriterien Bezug nimmt, anhand deren diese Liste als Indikator dafür erstellt wird, ob eine Art einen günstigen Erhaltungszustand aufweist.

50      Des Weiteren unterscheidet sich, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, die Bewertungsmethode, die für die Einstufung von Arten in die Rote Liste der IUCN verwendet wird, von derjenigen, die nach Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie anzuwenden ist.

51      Zwar können daher, wie die Generalanwältin in Nr. 86 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Daten, Kriterien und Bewertungen, die zur Einstufung einer Art in die rote Liste der IUCN geführt haben, zu den wissenschaftlichen Daten gehören, die der betreffende Mitgliedstaat bei seiner eigenen Bewertung berücksichtigen muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2007, Kommission/Finnland, C‑342/05, EU:C:2007:341, Rn. 26 und 27, vom 23. April 2020, Kommission/Finnland [Frühjahrsjagd auf die männliche Eiderente], C‑217/19, EU:C:2020:291, Rn. 77 bis 88, sowie vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 65 und 78). Doch die Einstufung einer Art in der Roten Liste der IUCN, insbesondere eine Einstufung in die Kategorie der Roten Liste „gefährdet“ auf nationaler Ebene, schließt als solche nicht aus, dass der Erhaltungszustand dieser Art im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gleichwohl als günstig betrachtet wird, wenn die kumulativen Voraussetzungen, die in Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie festgelegt sind, vorliegen.

52      Was als Zweites diese letztgenannten Voraussetzungen betrifft, können für die Feststellung, ob der Erhaltungszustand einer Art im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats günstig ist, Daten über die Populationen dieser Art in anderen Mitgliedstaaten oder auch in Drittländern maßgeblich sein. Dies gilt insbesondere im Fall von geschützten Tierarten, die – wie der Wolf – große Lebensräume beanspruchen und deren „natürliches Verbreitungsgebiet“, das eines der Kriterien darstellt, die bei der Feststellung berücksichtigt werden müssen, ob der Erhaltungszustand einer Art günstig ist, daher mehr als den geografischen Raum umfasst, der die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und biologischen Elemente aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, ASCEL, C‑436/22, EU:C:2024:656, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 48 bis 52 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, werden nämlich insbesondere bei einer Tierart wie dem Wolf diejenigen ihrer Populationen, die auch in benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern des Mitgliedstaats vorkommen, der Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 Abs. 1 der Habitatrichtlinie in Betracht zieht, für die von diesem letztgenannten Mitgliedstaat durchgeführte Prüfung relevant sein, ob der Erhaltungszustand der Population dieser Art in seinem Hoheitsgebiet günstig ist, sofern ein Austausch zwischen diesen Populationen stattfindet, da ein solcher Austausch einen Einfluss darstellen kann, der sich im Sinne von Art. 1 Buchst. i Abs. 1 der Habitatrichtlinie langfristig auf die Verbreitung und die Größe dieser letztgenannten Population in diesem Gebiet auswirken kann.

54      Ein solcher Austausch ist nämlich insbesondere geeignet, durch Einwanderung die Verluste von Exemplaren einer Art auszugleichen oder aber durch Auswanderung ein übermäßiges Wachstum der Population dieser Art in dem betreffenden Mitgliedstaat abzuschwächen. Im Übrigen ist dieser Austausch geeignet, die genetische Variabilität dieser Population zu stärken.

55      Des Weiteren kann, wie auch die Generalanwältin in Nr. 53 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, der Austausch zwischen den Populationen der Mitgliedstaaten oder der Drittländer, die zu derselben Population, vorliegend die baltische oder auch die eurasische Wolfspopulation, gehören, sogar eine unerlässliche Voraussetzung für ihre Erhaltung sein, insbesondere bei Populationen, die in Mitgliedstaaten mit verhältnismäßig geringer Fläche vorkommen, so dass der natürliche Lebensraum, den die Art dort vorfinden kann, zu klein ist, um die Lebensfähigkeit einer Population zu gewährleisten. In einem solchen Fall kann die betreffende Art ihren Fortbestand in einem solchen Mitgliedstaat nur dann gewährleisten, wenn ihre Population, die isoliert nicht lebensfähig wäre, im kontinuierlichen Austausch mit Populationen derselben Art steht, die in den benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern vorkommen. Die Berücksichtigung dieses Austauschs kann somit die Feststellung ermöglichen, dass die drei in Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie vorgesehenen kumulativen Voraussetzungen eines günstigen Erhaltungszustands in Bezug auf diese Population erfüllt sind.

56      Wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, der in Rn. 46 des vorliegenden Urteils wiedergegeben ist, ergibt, genügt es allerdings, um den Erhaltungszustand einer Art als günstig zu betrachten, nicht, dass aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums, dem sie angehört, bildet, dass das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art nicht abnimmt und dass ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. Zusätzlich muss erstens aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen sein, dass diese Art langfristig weiterhin ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums bilden wird, zweitens darf das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art nicht in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen, und drittens muss ein genügend großer Lebensraum wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

57      Folglich ist, wie die Generalanwältin in Nr. 59 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, im Fall einer gegenwärtig zufriedenstellenden Situation im Hinblick auf diese Kriterien noch sicherzustellen, dass es sich um eine dauerhafte Situation handelt, damit der günstige Erhaltungszustand einer Art festgestellt werden kann.

58      Insoweit ist insbesondere erstens jede vorhersehbare Veränderung zu berücksichtigen, die den Austausch zwischen der in dem betreffenden Mitgliedstaat vorkommenden Population und den anderen Populationen, die zu derselben Population gehören, beeinträchtigen kann.

59      Der vom vorlegenden Gericht genannte Bau von Grenzzäunen zwischen zum einen der Republik Estland, der Republik Lettland und der Republik Litauen sowie zum anderen der Republik Belarus und der Russischen Föderation stellt eine solche Veränderung dar. Diese Zäune sind nämlich geeignet, den Austausch zwischen den Populationen der betreffenden Art, die zum einen in diesen Mitgliedstaaten sowie zum anderen in Belarus und Russland vorkommen, zu beeinträchtigen.

60      Zweitens ist das Niveau des rechtlichen Schutzes zu berücksichtigen, über den die betreffende Art in den benachbarten Mitgliedstaaten und Drittländern verfügt.

61      Die Dauerhaftigkeit des festgestellten Austauschs zwischen der Population der betreffenden Art, die in einem Mitgliedstaat vorkommt, und der Population dieser Art, die sich in anderen Mitgliedstaaten befindet, kann grundsätzlich vermutet werden, da die letztgenannten Mitgliedstaaten ebenso wie dieser erste Mitgliedstaat den Anforderungen der Habitatrichtlinie unterliegen.

62      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 63 und 64 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, besteht hingegen, wenn in einem Drittland ein Schutz fehlt, der mit dem Schutz vergleichbar ist, der durch die Habitatrichtlinie oder zumindest durch das am 19. September 1979 in Bern unterzeichnete Übereinkommen zur Erhaltung der europäischen freilebenden Tiere und wildwachsenden Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume (ABl. 1982, L 38, S. 3) gewährt wird, keine rechtliche Garantie gegen eine künftige Verschlechterung der in diesem Drittland vorkommenden Population und damit des Austauschs mit der Population des betreffenden Mitgliedstaats (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2024, WWF Österreich u. a., C‑601/22, EU:C:2024:595, Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Drittens schließlich werden, wie die Generalanwältin in Nr. 67 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Beziehungen mit den Populationen in benachbarten Mitgliedstaaten und Drittländern umso höher zu gewichten sein, wenn diese Mitgliedstaaten und Drittländer nicht nur vergleichbare Regelungen des Rechtsschutzes anwenden, sondern auch beim Schutz der betreffenden Art mit dem betreffenden Mitgliedstaat zusammenarbeiten und beispielsweise ihre Schutzmaßnahmen mit diesem dergestalt koordinieren, dass der Austausch zwischen den betreffenden Populationen optimiert wird.

64      Außerdem kann es sich, um, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dafür zu sorgen, dass die Entnahme der Exemplare einer Art aus der Natur und die Nutzung dieser Exemplare mit der Erhaltung dieser Art in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sind, als erforderlich erweisen, dass der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Wolfspopulation vorkommt, die zu einer Population gehört, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über dieses Hoheitsgebiet hinaus erstreckt, dann, wenn er beabsichtigt, den Austausch zwischen der in diesem Gebiet vorkommenden Wolfspopulation und den Wolfpopulationen zu berücksichtigen, die in benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern vorkommen, mit Letzteren Informationen über die bei den Exemplaren dieser Art beobachteten grenzüberschreitenden Bewegungen und über die Verwaltungsmaßnahmen teilt, die diese Mitgliedstaaten oder Drittländer in Bezug auf die in ihren jeweiligen Gebieten vorkommenden Populationen ergreifen oder in Betracht ziehen. Zum einen ist nämlich ein solcher Informationsaustausch geeignet, die Bewertung der Größe der eigenen Population durch den betreffenden Mitgliedstaat genauer zu gestalten. Zum anderen kann es erforderlich sein, sich über die von den maßgeblichen Mitgliedstaaten oder Drittländern angewandten oder in Betracht gezogenen Verwaltungsmaßnahmen zu informieren, damit sich dieser Mitgliedstaat vergewissern kann, dass der Erhaltungszustand der betreffenden Art in seinem Hoheitsgebiet tatsächlich als günstig zu betrachten ist. Schließlich benötigt er möglicherweise Informationen über die von den benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern angewandten oder in Betracht gezogenen Maßnahmen, um sich zu vergewissern, dass die Maßnahmen, die er in Bezug auf diese Art in Betracht zieht, mit der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Art in seinem Hoheitsgebiet vereinbar sind.

65      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob unter Berücksichtigung der in den Rn. 45 bis 64 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte der Erhaltungszustand des Wolfs in Estland zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Aktionsplans für den Zeitraum 2012-2021 als günstig betrachtet werden konnte, und ob gegebenenfalls die Verwaltungsmaßnahmen, die in der Verfügung, die im Ausgangsverfahren in Rede steht und in Rn. 21 des vorliegenden Urteils angeführt ist, beschlossen wurden, mit der Erhaltung des Wolfs in diesem Zustand vereinbar waren.

66      Nach alledem ist auf die Fragen eins bis drei zu antworten, dass Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie wie folgt auszulegen ist:

–        Die Einstufung der Population einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vorkommenden Tierart in die Kategorie „gefährdet“ der Roten Liste der IUCN schließt nicht aus, dass der Erhaltungszustand dieser Art im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats als „günstig“ im Sinne dieser Bestimmung betrachtet wird;

–        der günstige Erhaltungszustand dieser Art muss in erster Linie und zwangsläufig auf örtlicher und nationaler Ebene bestehen und bewertet werden. Dieser Mitgliedstaat kann jedoch im Rahmen der Bewertung im Hinblick auf den Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, ob der Erhaltungszustand einer Tierart, die zu einer Population gehört, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über sein Hoheitsgebiet hinaus erstreckt, „günstig“ im Sinne von Art. 1 Buchst. i der Richtlinie ist, den Austausch zwischen der Population der betreffenden Art, die in seinem Hoheitsgebiet vorkommt, und den Populationen dieser Art, die in benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern vorkommen, berücksichtigen. Bei der Beurteilung, wie maßgeblich ein solcher Austausch ist, muss der betreffende Mitgliedstaat u. a. jede vorhersehbare und wahrscheinliche Veränderung, die diesen Austausch beeinträchtigen kann, das Niveau des Rechtsschutzes, der von diesen anderen Mitgliedstaaten und Drittländern gewährleistet wird, sowie den Grad der Zusammenarbeit zwischen ihren zuständigen Behörden berücksichtigen.

 Zur vierten Frage

67      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Buchst. i in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass im Rahmen der Beurteilung des Erhaltungszustands einer Tierart im Hinblick auf den Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 der Richtlinie den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 Rechnung getragen werden kann.

68      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 73 bis 79 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie regionale und örtliche Besonderheiten, die die Situation eines Mitgliedstaats kennzeichnen, für die Feststellung relevant sein, ob der Erhaltungszustand einer in seinem Hoheitsgebiet vorkommenden Art günstig im Sinne von Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie ist. Solche Anforderungen und Besonderheiten können nämlich zu den Einflüssen gehören, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Art. 2 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bezeichneten Gebiet auswirken können.

69      Wie jedoch die Generalanwältin in den Nrn. 80 bis 82 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen auch dargelegt hat, kann, wenn nicht alle drei in Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie aufgestellten kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind, der Erhaltungszustand der betreffenden Art jedenfalls nicht als günstig angesehen werden. Wäre es nämlich den Mitgliedstaaten erlaubt, davon auszugehen, dass, obwohl diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, der Erhaltungszustand der betreffenden Art aufgrund der Anforderungen oder Besonderheiten, auf die Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie verweist, gleichwohl als günstig zu betrachten wäre, würde dies die Verwirklichung des in Art. 2 Abs. 2 genannten Ziels der Arterhaltung gefährden (vgl. entsprechend Urteile vom 7. November 2000, First Corporate Shipping, C‑371/98, EU:C:2000:600, Rn. 23, und vom 14. Januar 2010, Stadt Papenburg, C‑226/08, EU:C:2010:10, Rn. 31).

70      Aus demselben Grund können wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Anforderungen sowie regionale und örtliche Besonderheiten gemäß Art. 2 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, der im Übrigen keine eigenständige Abweichung von der durch diese Richtlinie aufgestellten allgemeinen Schutzregelung darstellt (Urteil vom 14. Januar 2010, Stadt Papenburg, C‑226/08, EU:C:2010:10, Rn. 32), nicht geltend gemacht werden, um die Pflicht auszuschließen, dafür zu sorgen, dass die Entnahme der Exemplare einer Art aus der Natur und die Nutzung dieser Exemplare mit der Erhaltung dieser Art in einem günstigen Erhaltungszustand vereinbar sind. Diese Pflicht begrenzt, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, den Beurteilungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten nach Art. 14 der Habitatrichtlinie verfügen. Nur in den Grenzen dieses Beurteilungsspielraums sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt, diesen Anforderungen und Besonderheiten Rechnung zu tragen.

71      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 1 Buchst. i in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass im Rahmen der Beurteilung des Erhaltungszustands einer Tierart im Hinblick auf den Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 dieser Richtlinie den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 Rechnung getragen werden kann, da diese Anforderungen und Besonderheiten Einflüsse darstellen, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Art. 2 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bezeichneten Gebiet auswirken können. Der Erhaltungszustand dieser Art kann jedoch nicht aufgrund dieser Anforderungen und Besonderheiten als günstig angesehen werden, wenn die drei in Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Habitatrichtlinie genannten kumulativen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

 Kosten

72      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 1 Buchst. i der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung

ist wie folgt auszulegen:

–        Die Einstufung der Population einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vorkommenden Tierart in die Kategorie „gefährdet“ (VU) der Roten Liste gefährdeter Arten der International Union for Conservation of Nature (IUCN) (Weltnaturschutzunion) schließt nicht aus, dass der Erhaltungszustand dieser Art im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats als „günstig“ im Sinne dieser Bestimmung betrachtet wird;

–        der günstige Erhaltungszustand dieser Art muss in erster Linie und zwangsläufig auf örtlicher und nationaler Ebene bestehen und bewertet werden. Dieser Mitgliedstaat kann jedoch im Rahmen der Bewertung im Hinblick auf den Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung, ob der Erhaltungszustand einer Tierart, die zu einer Population gehört, deren natürliches Verbreitungsgebiet sich über das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hinaus erstreckt, „günstig“ im Sinne von Art. 1 Buchst. i diese Richtlinie ist, den Austausch zwischen der Population der betreffenden Art, die in seinem Hoheitsgebiet vorkommt, und den Populationen dieser Art, die in benachbarten Mitgliedstaaten oder Drittländern vorkommen, berücksichtigen. Bei der Beurteilung, wie maßgeblich ein solcher Austausch ist, muss der betreffende Mitgliedstaat u. a. jede vorhersehbare und wahrscheinliche Veränderung, die diesen Austausch beeinträchtigen kann, das Niveau des Rechtsschutzes, der von diesen anderen Mitgliedstaaten und Drittländern gewährleistet wird, sowie den Grad der Zusammenarbeit zwischen ihren zuständigen Behörden berücksichtigen.

2.      Art. 1 Buchst. i in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 in der durch die Richtlinie 2013/17 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen,

dass im Rahmen der Beurteilung des Erhaltungszustands einer Tierart im Hinblick auf den Erlass von Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 14 der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 Rechnung getragen werden kann, da diese Anforderungen und Besonderheiten Einflüsse darstellen, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung bezeichneten Gebiet auswirken können. Der Erhaltungszustand dieser Art kann jedoch nicht aufgrund dieser Anforderungen und Besonderheiten als günstig angesehen werden, wenn die drei in Art. 1 Buchst. i Abs. 2 der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung genannten kumulativen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Estnisch.