Language of document : ECLI:EU:C:2025:452

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 17. Juni 2025(1)

Rechtssache C590/23

CG,

YN

gegen

Pelham GmbH,

SD,

UP

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 – Vervielfältigungsrechte – Reichweite – Teile eines Werks – Teile von Tonträgern – Sampling – Ausnahmen und Beschränkungen – Art. 5 Abs. 3 Buchst. k – Nutzung zum Zwecke von Pastiches – Reichweite – Grundrechte – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 13 – Freiheit der Kunst “






I.      Einführung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist das zweite, das der Bundesgerichtshof (Deutschland) (im Folgenden: BGH) im Zusammenhang mit einer rund 20 Jahre währenden Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern der Elektronik-Musikgruppe Kraftwerk einerseits und den Hip‑Hop-Produzenten SD und UP sowie der Produktionsfirma Pelham GmbH andererseits vorgelegt hat. Dabei geht es um die Nutzung eines Ausschnitts von zwei Sekunden Länge (im Folgenden: Sample(2)) im 1997 von den Revisionsbeklagten veröffentlichten Hip‑Hop-Titel „Nur mir“, den sie unbefugt dem Tonträger(3) eines 1977 von Kraftwerk produzierten avantgardistischen Elektroniktitels („Metall auf Metall“) „entlehnt“ hatten.

2.        In seinem Urteil in der Rechtssache Pelham(4) auf das Vorabentscheidungsersuchen des BGH in dem betreffenden Rechtsstreit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Nutzung solcher „Samples“ aus bestehenden Tonträgern in neuen Musikstücken grundsätzlich unter das ausschließliche Vervielfältigungsrecht der Tonträgerhersteller nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(5) (im Folgenden: InfoSoc-Richtlinie) fällt. Entsprechend benötigt ein Dritter dafür grundsätzlich die Erlaubnis des betreffenden Herstellers, da er andernfalls das in Rede stehende ausschließliche Recht verletzen würde.

3.        In diesem neuen Vorabentscheidungsersuchen ersucht der BGH den Gerichtshof um Auskunft, ob „Sampling“ dennoch als eine unter Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie fallende Ausnahme, und zwar „für die Nutzung zum Zwecke von … Pastiches“ (Abs. 3 Buchst. k), erlaubnisfrei zulässig sein könnte. In dieser Hinsicht wirft der BGH ganz allgemein die Frage auf, ob diese Ausnahmeregelung (die in der Richtlinie nicht näher definiert wird und mit der sich der Gerichtshof bisher nicht befasst hat) es Dritten gestattet, sich vor dem Hintergrund der Freiheit der Kunst nach Art. 13 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) freizügig an bestehendes geschütztes Material (wie beispielsweise Tonträger) anzulehnen, um neue künstlerische Darstellungen (wie etwa Musikwerke) zu schaffen.

4.        Diese Frage ist übergreifender Art. Seit jeher haben sich Künstler in allen Bereichen der Kunst – in unterschiedlichem Ausmaß und mehr oder weniger offen – an frühere Kreationen angelehnt. Sie ist zudem von zentraler Bedeutung. Die genauen Grenzen, die literarisches oder künstlerisches Eigentum diesem Prozess auferlegt (oder im Rahmen der Kunstfreiheit berechtigterweise auferlegen kann), sind nämlich weltweit Gegenstand häufiger Debatten sowie Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten. In den vergangenen 20 Jahren hat die Einführung von „Web 2.0“- und „Web 3.0“-Diensten ein neues Licht auf diese Frage geworfen, da Online-Plattformen wie YouTube oder TikTok es Millionen von Nutzern ermöglichen, sich mit vorhandenem audiovisuellem Material zu beschäftigten und es weiterzuverwenden, um eigene Inhalte zu erstellen und zu teilen (im Folgenden: nutzergenerierte Inhalte). Insofern ist die vorliegende Rechtssache auch für die Auslegung des (erst kürzlich eingeführten) Art. 17 Abs. 7 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt(6) (im Folgenden: DSM-Richtlinie) von Bedeutung, der die erlaubnisfreie Erstellung von nutzergenerierten Inhalten als „Pastiche“ zulässt(7).

5.        Zwar überlässt das vorlegende Gericht die Beantwortung dem Gerichtshof, doch geht es davon aus, dass es im Licht dieser künstlerischen Ausdrucksformen und der durch Art. 13 der Charta garantierten grundlegenden Freiheit der Kunst unter Umständen erforderlich sei, die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Pastiche“-Ausnahme so auszulegen, dass sie die verschiedenen Fälle künstlerischer Weiterverwendung urheberrechtlich geschützter Materialien ebenfalls erfasse, weil die sonstigen Grundsätze, Ausnahmen und Beschränkungen, die den Umfang der Urhebern und anderen Rechtsinhabern gewährten ausschließlichen Rechte begrenzten, im Hinblick auf eine solche Weiterverwendung keinen ausreichenden „Spielraum“ zulassen würden, um den Anforderungen dieser Freiheit zu genügen. Über die Klarstellung des Begriffs „Pastiche“ hinaus verlangt das aktuelle Vorabentscheidungsersuchen daher vom Gerichtshof nicht weniger als eine Beurteilung, ob literarisches und künstlerisches Eigentum in der Union von der Systematik her mit Art. 13 der Charta vereinbar ist.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

6.        Art. 2 („Vervielfältigungsrecht“) der InfoSoc-Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)      für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

c)      für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger,

…“

7.        In Art. 5 („Ausnahmen und Beschränkungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„…

(3)      Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen:

k)      für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches;

(5)      Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“

B.      Deutsches Recht

8.        § 51a des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, im Folgenden: UrhG) in der seit dem 7. Juni 2021 geltenden Fassung bestimmt, dass „die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches [zulässig ist]. Die Befugnis nach Satz 1 umfasst die Nutzung einer Abbildung oder sonstigen Vervielfältigung des genutzten Werkes, auch wenn diese selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt ist“.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

9.        Im Jahr 1977 veröffentlichte die Musikgruppe Kraftwerk (die aus CG und dem inzwischen verstorbenen RL bestand, im Folgenden: Mitglieder von Kraftwerk) einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück „Metall auf Metall“ befindet. Zu einem späteren Zeitpunkt komponierten SD und UP das Musikstück „Nur mich“, das im Jahr 1997 auf von der Pelham GmbH eingespielten Tonträgern veröffentlicht wurde.

10.      Die Mitglieder von Kraftwerk behaupteten, dass SD und UP ohne ihre Zustimmung etwa zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ elektronisch kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“ in fortlaufender Wiederholung unterlegt hätten. SD, UP und die Pelham GmbH (im Folgenden zusammen: Pelham u. a.) hätten damit das Leistungsschutzrecht der Mitglieder von Kraftwerk – konkret ihr Vervielfältigungsrecht – als Tonträgerhersteller von „Metall auf Metall“ verletzt. Hilfsweise machten die Mitglieder von Kraftwerk geltend, dass ihr Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler und das Urheberrecht von CG am Musikstück „Metall auf Metall“ verletzt worden seien. Äußerst hilfsweise machten sie einen Verstoß der Beklagten im Ausgangsverfahren gegen die Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb, wonach wirtschaftliches Trittbrettfahren untersagt ist, geltend.

11.      Aus diesen Gründen nahmen die Mitglieder von Kraftwerk im Jahr 2004 Pelham u. a. vor dem Landgericht Hamburg (Deutschland) u. a. auf Unterlassung, Tonträger mit der Aufnahme „Nur mir“ herzustellen, anzubieten etc., sowie auf Schadensersatz in Anspruch.

12.      Im Lauf der folgenden Jahre ergingen vor verschiedenen deutschen Gerichten über die Instanzen hinweg mehrere Entscheidungen. Insbesondere entschied der BGH am 13. Dezember 2012 zugunsten der Mitglieder von Kraftwerk. Mit Urteil vom 31. Mai 2016, das auf eine von Pelham u. a. eingelegte Verfassungsbeschwerde erging, hob das Bundesverfassungsgericht (Deutschland) (im Folgenden: BVerfG) dieses Urteil auf. Im Wesentlichen war das BVerfG der Auffassung, dass die durch das Grundgesetz(8) gewährleistete Kunstfreiheit es verlange, dass die Entlehnung und Wiederverwendung kurzer „Samples“ eines Tonträgers zur Schaffung eines neuen Musikwerks erlaubnisfrei zulässig sein müsse. Entsprechend müsse das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers zugunsten der Kunstfreiheit zurücktreten. Das könne dadurch erreicht werden, indem entweder das Vervielfältigungsrecht so ausgelegt werde, dass es keine kurzen Tonausschnitte erfasse, oder indem entschieden werde, dass ein durch Benutzung solcher Tonausschnitte geschaffenes neues Werk gemäß § 24 Abs. 1 UrhG ohne Zustimmung des Herstellers des ursprünglichen Tonträgers veröffentlicht und verwertet werden könne(9).      Das BVerfG verwies die Sache zu erneuter Prüfung an den BGH zurück.

13.      Darauf legte der BGH dem Gerichtshof mehrere Fragen vor und fragte u. a., ob das in Art. 2 Buchst. c der InfoSoc-Richtlinie zugunsten von Tonträgerherstellern verankerte Vervielfältigungsrecht auch die Entlehnung von Tonträgerausschnitten erfasst und ob § 24 Abs. 1 UrhG mit dieser Richtlinie vereinbar ist. In seinem Urteil Pelham I entschied der Gerichtshof u. a., dass das in Rede stehende Vervielfältigungsrecht sich auch auf Audiofragmente (Samples) erstreckt, sobald ein solches Fragment „beim Hören des neuen Werks wiedererkennbar ist“, und dass § 24 Abs. 1 UrhG in der Tat nicht mit der Richtlinie vereinbar ist.

14.      Nach Ergehen des Urteils des Gerichtshofs verwies der BGH mit Beschluss vom 30. April 2020 die Sache zu erneuter Prüfung an das Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) zurück.

15.      Am 7. Juni 2021 trat eine neue Fassung des UrhG in Kraft. Im Zuge dieser Gesetzesreform wurde § 24 Abs. 1 aufgehoben und eine neue Vorschrift, nämlich § 51a, eingefügt. Nach dieser neuen Bestimmung ist die Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werks u. a. zum Zweck des „Pastiches“ erlaubnisfrei zulässig.

16.      Mit Urteil vom 28. April 2022 entschied das Oberlandesgericht Hamburg über die geltend gemachte fortgesetzte Verletzung des Urheberrechts, indem es zwischen drei verschiedenen Zeiträumen differenzierte. Erstens urteilte es im Hinblick auf den Zeitraum zwischen der Veröffentlichung von „Nur mir“ im Jahr 1997 und dem Ablauf der Frist für die Umsetzung der InfoSoc-Richtlinie (22. Dezember 2002) zugunsten von Pelham u. a., da das in Rede stehende Sampling nach der (damaligen) Vorschrift § 24a UrhG zulässig gewesen sei. Zweitens urteilte es angesichts des Urteils des Gerichtshofs Pelham I im Hinblick auf den Zeitraum nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der InfoSoc-Richtlinie bis zum Inkrafttreten des neuen § 51a UrhG (7. Juni 2021) zugunsten der Mitglieder von Kraftwerk. Drittens urteilte das Oberlandesgericht Hamburg im Hinblick auf den Zeitraum ab dem 7. Juni 2021 wiederum zugunsten von Pelham u. a., da die Nutzung des strittigen Audiofragments nach der Pastiche-Ausnahmeregelung in § 51a UrhG erlaubnisfrei zulässig sein könnte.

17.      CG und YN legten daraufhin bezüglich des Teils des Urteils, das den Zeitraum ab dem 7. Juni 2021 betraf, erneut Revision beim BGH ein. Der BGH wies darauf hin, dass § 51a UrhG die Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie umgesetzt habe und daher entsprechend auszulegen sei. Da der Begriff „Pastiche“ nicht definiert sei und die fragliche Ausnahmeregelung die in Art. 13 der Charta verankerte Kunstfreiheit gewährleisten solle, könne diese Ausnahme als „Auffangtatbestand“ für die künstlerische Wiederverwendung eines vorbestehenden Werks oder sonstigen Schutzgegenstands einschließlich des „Samplings“ angesehen werden. Insofern könnte diese Regelung als allgemeine Beschränkung des Urheberrechts zugunsten der Kunstfreiheit zu verstehen sein, die notwendig sei, da die sonstigen Grundsätze, Ausnahmeregelungen und Beschränkungen, die den Umfang von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten begrenzten, für sich genommen nicht ausreichen würden, um in dieser Hinsicht genügend „Spielraum“ zu gewährleisten. Da dies jedoch eine ganz neue unionsrechtliche Frage aufwirft und der Ausgang der Revision von ihrer Beantwortung abhängt, beschloss der BGH, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling? Gelten für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage?

2.      Erfordert die Nutzung „zum Zwecke“ eines Pastiche im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie die Feststellung einer Absicht des Nutzers, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiche zu nutzen oder genügt die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt?

18.      Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vom 14. September 2023 wurde am 25. September 2023 eingereicht. CG, Pelham u. a., die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2025 waren diese Beteiligten vertreten.

IV.    Würdigung

19.      Wie in der Einführung erwähnt, geht es im vorliegenden Fall um die Wiederverwendung bestehender (urheberrechtlich geschützter) Werke oder anderer (durch Leistungsschutzrechte geschützter) Gegenstände(10), wie beispielsweise Tonträger, um ein neues Werk zu schaffen. Sampling ist nur ein Beispiel für diese Praxis. Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen wissen, ob die Urheberrechte und verwandte Schutzrechte betreffende Ausnahmeregelung, die eigens für die Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen zum Zweck des „Pastiches“ gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie besteht, einen „Auffangtatbestand“ für derartige Praktiken der künstlerischen Wiederverwendung geschützter Materialien darstellt. Ich werde die beiden Fragen zusammen prüfen.

20.      Diesen Auslegungsfragen zu einem bisher noch nicht untersuchten unionsrechtlichen Begriff („Pastiche“) liegt eine grundsätzlichere Problematik zugrunde, nämlich die der Vereinbarkeit des von der InfoSoc-Richtlinie eingeführten Regelungssystems mit der in Art. 13 der Charta verankerten Freiheit der Kunst. Wie bereits erwähnt, zieht der BGH die unbefriedigende Möglichkeit in Betracht, dass eine Auslegung der Pastiche-Ausnahmeregelung, wonach solche künstlerischen Praktiken nicht unter diese Vorschrift fallen, dazu führen würde, dass dieses Regelungssystem der Kunstfreiheit entgegenstünde, vor allem auch deshalb, weil die sonstigen Beschränkungen und Ausnahmeregelungen, die das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte begrenzen, unter Umständen keinen ausreichenden Spielraum lassen würden.

21.      Um dies so gut wie möglich zu verdeutlichen, werde ich zunächst untersuchen, inwieweit die in der InfoSoc-Richtlinie geregelten Urheberrechte und verwandten Schutzrechte nach der Auslegung des Gerichtshofs der künstlerischen Wiederverwendung geschützter Materialien und damit der in Art. 13 der Charta verankerten Freiheit der Kunst Schranken auferlegen (A). Sodann werde ich erläutern, dass die für Urheber- und verwandte Schutzrechte geltende „Pastiche“-Ausnahmeregelung nicht als „Auffangtatbestand“ für derartige Praktiken verstanden werden kann und dass die sonstigen geltenden Ausnahmen und Beschränkungen in dieser Hinsicht in begrenztem Maße Abhilfe bieten (B). Schließlich werde ich mich mit der heiklen Frage beschäftigen, ob das mit der InfoSoc-Richtlinie eingeführte Regelungssystem in seiner gegenwärtigen Form mit Art. 13 der Charta vereinbar ist(11).

A.      Inwieweit Urheberrechte und verwandte Schutzrechte der Kunst dienen, ihr aber auch Beschränkungen auferlegen

22.      Ich werde zunächst auf Art und Umfang der Regelungsschranken eingehen, die literarisches und künstlerisches Eigentum in der Union der in Art. 13 der Charta verankerten Freiheit der Kunst auferlegt, und diese Regelungsschranken sodann einordnen.

1.      „Kunst … [ist] frei“, aber „Du sollst nicht stehlen“

23.      Art. 13 der Charta garantiert die „Freiheit von Kunst“ im Anwendungsbereich des Unionsrechts(12). Diese Freiheit gilt als ein Aspekt der in Art. 11 der Charta verankerten Freiheit der Meinungsäußerung, dem man eine Sonderstellung eingeräumt hat(13). Insofern umfasst sie die Rechte einer jeden Person „Informationen und Ideen“ in künstlerischer Form „weiterzugeben“(14) (also das Recht, künstlerische Werke zu imaginieren, zu kreieren und zu kommunizieren(15)) als auch „zu empfangen“ (also Zugang zu ihnen zu haben), in jedem Fall „ohne behördliche Eingriffe“. Daher heißt es in Art. 13 der Charta: „Kunst … [ist] frei.“

24.      Das durch die InfoSoc-Richtlinie und verschiedene internationale Übereinkünfte(16) harmonisierte Urheberrecht fördert zweifelsohne die Kunstfreiheit. Es stellt eine positive staatliche Schutzmaßnahme dar, um die tatsächlich Ausübung dieser Freiheit zu gewährleisten(17). So gewährt das Urheberrecht Kunstschaffenden (die als „Urheber“ gelten) eine Reihe ausschließlicher wirtschaftlicher Rechte(18) (im Grunde ein Monopol) für die Verwertung ihrer geistigen Schöpfungen (die dabei als „Werke“ bezeichnet werden), vorausgesetzt, dass es sich dabei um ein „Original“ handelt(19). Insbesondere genießen sie nach Art. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie(20) ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht, das sich grundsätzlich auf jegliche Vervielfältigung „in Bezug auf ihre Werke“, ob ganz oder teilweise, erstreckt. Dieses Monopol schützt die Schöpfer von gestern, indem es ihnen ermöglicht, die Früchte ihres Schaffens zu ernten und zu kontrollieren(21).

25.      Zugleich beschränkt das Urheberrecht schon seinem Wesen nach auch die Fähigkeit der Schöpfer von morgen, aus bestehenden Werken zu entleihen, um etwas Neues zu schaffen. Mit anderen Worten: Es beschränkt insoweit deren eigenes Recht, nach Art. 13 der Charta Kunst an die Öffentlichkeit „weiterzugeben“(22).

26.      Zur Klarstellung: Es bedeutet nicht, dass diese Schöpfer nichts aus bestehenden Werken entlehnen dürfen. Erstens sei daran erinnert, dass das Urheberrecht nach der „Idee-Ausdruck-Dichotomie“ lediglich die konkrete Form eines bestimmten Werks schützt, nicht jedoch darin ausgedrückte abstrakte Ideen(23). Zweitens sind zahlreiche gestalterische Elemente bestehender Werke für sich genommen auch nicht geschützt(24). In der Musik gilt das nicht nur für die einzelnen Noten, sondern im weiteren Sinne auch für geläufige Rhythmen, einfache Tonleitern, Akkorde und Sequenzen, Harmoniefolgen, kurze musikalische Phrasen(25). Daher ist es den Schöpfern von morgen grundsätzlich unbenommen, die Werke von gestern nach Ideen und Elementen zu durchforsten und diese Ideen und Elemente zu entleihen und zu neuen Schöpfungen zusammenzufügen. Das ist meines Erachtens eine zwingende Voraussetzung der Kunstfreiheit. Eine gegenteilige Lösung würde den „Wesensgehalt“ dieser Freiheit aushöhlen, indem sie diese Freiheit praktisch negiert. Jegliche kulturelle Schöpfung baut auf dem auf, was ihr vorherging. In den meisten Fällen besteht sie darin, das bestehende Material in „origineller“ Weise zu verarbeiten. Wegen dieser Entlehnungen können die Werke von morgen denen von gestern sogar (sehr) ähnlich erscheinen, ohne das Urheberrecht zu verletzen. So werden neue Schöpfungen in der Musik normalerweise innerhalb eines bestimmten „Genres“ eingeordnet, wenn sie Merkmale besitzen (wie insbesondere einen besonderen „Beat“, bestimmte musikalische Motive, einen „Groove“, ein „Feeling“ etc.), die für gewöhnlich auch früheren Werken zu eigen sind.

27.      Sofern der Urheber dies nicht erlaubt, ist die „Vervielfältigung“ (ob ganz oder teilweise) eines Werks nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs(26) gemäß Art. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie grundsätzlich(27) untersagt, sobald der Schöpfer Elemente aus einem bestehenden Werk entlehnt, die „originell“ sind (wie z. B. die Melodie eines Musikstücks oder ein hinreichend charakteristischer Ausschnitt aus einer solchen Melodie(28)), und diese wahrnehmbar(29) in einer neuen Schöpfung verwendet. Der Umstand, dass diese Entlehnung begrenzt ist und dass diese Schöpfung möglicherweise auch einen eigenen Beitrag des Schöpfers enthält und infolgedessen einen anderen Gesamteindruck vermittelt als das Ursprungswerk, ist insofern unerheblich.

28.      Ähnliche (wenn auch nicht dieselben) Überlegungen gelten für die in Art. 2 Buchst. c bis e der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen mit dem Urheberrecht verwandten Vervielfältigungsrechte(30). Bekanntlich werden diese Rechte Tonträgerherstellern (Buchst. c)(31), den Herstellern der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen (Buchst. d) und Sendeunternehmen (Buchst. e) gewährt und gelten für jegliche vollständige oder teilweise Vervielfältigung ihrer Tonträger, des Originals und der Vervielfältigungsstücke ihrer Filme bzw. der Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig von dem Urheberrecht an den Werken, die diese Schutzgegenstände verkörpern(32). Sie sollen den Herstellern von Musik, Filmen und Sendungen „zufrieden stellende Erträge“ auf die „beträchtlichen“ Investitionen ermöglichen, die zur Herstellung solcher Schutzgegenstände erforderlich sind. Diese Rechte sind ihrerseits dazu da, sicherzustellen, dass diese Interessengruppen auch weiterhin Urheber und deren künstlerische Arbeit finanziell unterstützen und somit (indirekt) zur Freiheit der Kunst beitragen(33).

29.      Gleichzeitig beschränken diese Rechte die Fähigkeit der Schöpfer von morgen, bestehende Tonträger wiederzuverwenden (wie beispielsweise durch „Sampling“) oder die Aufzeichnung von Filmen oder Sendungen, um etwas Neues zu schaffen. Auch insoweit beschränken sie deren Recht, Kunst gemäß Art. 13 der Charta an die Öffentlichkeit „weiterzugeben“(34).

30.      Tatsächlich ist es grundsätzlich(35) nach der Auslegung des Gerichtshofs in Bezug auf Tonträger im Urteil Pelham I, die ohne Weiteres auch auf Aufzeichnungen von Filmen und Sendungen übertragbar ist(36), so, dass auch die Entnahme eines „sehr kurzen“ Fragments aus einem solchen Schutzgegenstand (wie das im vorliegenden Fall in Rede stehende zweisekündige „Sample“ oder ein Einzelbild aus einem Film) und seine Wiederverwendung in einer neuen Schöpfung auf eine Weise, die „beim Hören … [(oder Sehen)] wiedererkennbar“ ist(37), unter die ausschließlichen Vervielfältigungsrechte nach Art. 2 Buchst. c bis e der InfoSoc-Richtlinie fallen und daher untersagt sind, es sei denn, die Rechtsinhaber erlauben sie. Auch hier ist der Umstand unerheblich, dass die Schöpfung möglicherweise auch einen eigenen Beitrag des Schöpfers enthält und infolgedessen einen anderen Gesamteindruck vermittelt als das wiederverwendete Quellmaterial(38).

2.      „Ein guter Komponist imitiert nicht, er stiehlt(39) – genauso wie YouTuber

31.      Wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, beruhen die Regelungen, die gegenwärtig für künstlerisches und literarisches Eigentum gelten, im Hinblick auf die Schöpfer von morgen auf einer strengen Trennung zwischen „Inspiration und Neuformulierung(40)“ einerseits, die erlaubnisfrei zulässig ist, und dem Kopieren geschützter Materialien andererseits, das grundsätzlich nicht erlaubt ist.

32.      Davon abgesehen, dass die Grenze zwischen „Inspiration“ und „Vervielfältigung“ in der Praxis nicht immer eindeutig ist(41) und dass es schon immer bösgläubig als „Originale“ ausgegebene Plagiate und fantasielose Nachahmungen gab, besteht das Problem einer solchen strengen Trennung darin, dass die Praxis des „kreativen Kopierens“ in der Kunst, vor allem in der Musik, seit jeher weit verbreitet ist(42). Klassische Komponisten wie Bach, Mozart, Haydn, Charke und Liszt verwendeten regelmäßig (und „wiedererkennbar“) populäre Melodien und Tonfolgen, denen sie eigene Ideen hinzufügten und sie so in neue Schöpfungen, wie beispielsweise Variationen, verwandelten(43). Auch in der modernen Musik spielte diese Praxis eine bedeutende Rolle, wie beispielsweise bei Künstlern wie Bartok, Steiner oder Ives(44). Der Popmusik hat es daran ebenfalls nie gefehlt. Dafür gibt es zahllose Beispiele: von „All you need is love“ der Beatles, das mit den ersten Akkorden der von Rouget de Lisle komponierten französischen Nationalhymne „La Marseillaise“ beginnt, bis hin zu Serge Gainsbourgs Aux armes et cætera, das dieselbe Hymne spielerisch als Reggae interpretiert. Das gesamte musikalische Genre des Jazz ist daraus entstanden, dass Musiker die Melodien beliebter Schlager ihrer Zeit in ihr Repertoire aufnahmen, das sie jeden Abend neu interpretierten und in dessen Improvisationen sie regelmäßig andere Musikstücke „zitierten“. Insofern ist das „Sampling“ – davon abgesehen, dass es statt der bloß auszugsweisen Übernahme anderer Werke das direkte Kopieren von Aufnahmen beinhaltet – lediglich eine Neuauflage dieses Gesamtphänomens(45). Eine solche erkennbare Wiederverwendung bestehenden Materials ist ein Zeichen für die Intertextualität der Kunst(46). Da diese Realität gegenwärtig zunehmende Akzeptanz findet, sind Künstler – mehr als früher – stolz darauf, dergestalt zu kopieren(47).

33.      Zudem bietet die Informationstechnologie seit Ende des 20. Jahrhunderts neue, zugängliche Möglichkeiten, sowohl für das Kopieren als auch das Erschaffen. Mit dem Entstehen von Web 2.0 und Web 3.0 sowie insbesondere sozialer Netzwerke, Blogs, Sharing-Plattformen wie YouTube etc. verschwamm die traditionelle Unterscheidung zwischen Hersteller und Konsument kultureller Inhalte: Internetnutzer übernehmen eine aktivere Rolle bei der Auseinandersetzung mit audiovisuellen Inhalten, wie etwa von Dritten hergestellte Tonträger, Filme und Sendungen (sowie die von ihnen verkörperten Werke), und kreieren damit ihre eigenen Inhalte wie z. B. „Remixe(48)“ und „Mash-ups(49)“. Das Web bietet diesen Nutzern außerdem bislang ungeahnte Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Schöpfungen. In diesem Zusammenhang entwickeln sich auch Materialien Dritter zunehmend zu einem Kommunikationsmittel außerhalb der künstlerischen Sphäre. Generationen von Internetnutzern verschaffen sich Ausdruck durch „Memes(50)“ und „GIFs(51)“, die häufig nur aus ein paar Einzelbildern aus Filmen oder Sendungen bestehen.

34.      Viele der oben genannten Beispiele stammen aus einer Zeit, als es entweder noch keine Urheberrechte und verwandten Schutzrechte gab oder in der diese noch nicht die Reichweite hatten, die sie heute haben(52). Andere (wie z. B. das „Sampling“ im Hip‑Hop in den Vereinigten Staaten der 1980er Jahre) entstanden, weil die Neuartigkeit dieser Praxis sozusagen eine „rechtliche Grauzone“ schuf (bevor die US-Gerichte im Zuge der 1990er Jahre entschieden, dass Urheberrechte strikt anzuwenden seien)(53). Andere wiederum, wie „Memes“ und „GIFs“, sind online stark verbreitet und genießen eine Art faktischer Akzeptanz. Wie sich aus dem vorangegangenen Abschnitt ergibt, fallen jedoch heutzutage all diese Beispiele grundsätzlich in den Geltungsbereich der bestimmten Rechtsinhabern gewährten ausschließlichen Rechte nach Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie, auch wenn geschütztes Material nur in sehr geringem Ausmaß wiederverwendet wurde (wie gesagt sind nur ein paar Sekunden aus einem Tonträger oder ein paar Einzelbilder aus einem Film ausreichend). Sie gelten als bloße „Ableitungen“ ihres Quellmaterials und hängen daher vollständig von der Bereitschaft des Rechtsinhabers ab, ihre Nutzung gegen eine seiner Ansicht nach angemessene Gebühr zu gestatten(54).

35.      Überdies erleichtert die Technologie, die das Kopieren und die Verbreitung geschützten Materials vereinfacht, diesen Rechtsinhabern auch, derartige Nachahmungen aufzuspüren und ihr Recht wirksam durchzusetzen. So werden online routinemäßig Filterprogramme eingesetzt, die in den von Nutzern hochgeladenen Inhalten selbst „sehr kurze“ Ausschnitte aus Tonträgern, Filmen oder Sendungen entdecken können. Art. 17 der DSM-Richtlinie verpflichtet die großen Online-Weitergabeplattformen sogar, solche Software zu nutzen(55). Daher besteht die Sorge, dass derart weit gefasste ausschließliche Rechte und ihre Durchsetzung online und darüber hinaus eine „abschreckende Wirkung“ auf bestimmte Formen der Kreativität haben könnten(56).

B.      (Begrenzte) Entlastung aufgrund der gegenwärtigen Ausnahmen und Beschränkungen zum Urheberrecht und zu den verwandten Schutzrechten

36.      Die InfoSoc-Richtlinie bietet jedoch ein gewisses Maß an Spielraum für „abgeleitete“ Ausdrucksformen. Ihr Art. 5 Abs. 1 bis 4 enthält nämlich eine Aufzählung dispositiver(57) „Ausnahmen und Beschränkungen“, die u. a. die in Art. 2 dieser Richtlinie festgelegten Vervielfältigungsrechte (sowohl Urheberrecht als auch die verwandten Schutzrechte) beschneiden. Nach dem Willen des Unionsgesetzgebers sollen diese Ausnahmen und Beschränkungen innerhalb des Regelungssystems des literarischen und künstlerischen Eigentums ein nach seinem Dafürhalten „angemessenen Ausgleich“ zwischen den Rechten und Ansprüchen der Rechtsinhaber einerseits und denen der Nutzer geschützten Materials sowie dem Gemeinwohl andererseits gewährleisten(58). Diese Ausnahmen und Beschränkungen sehen einige klar definierte Fallkonstellationen vor, in denen die freie Nutzung geschützten Materials nach Auffassung des Gesetzgebers zulässig sein soll, da seiner Ansicht nach bestimmte Erwägungen schwerer wogen als die Interessen der Rechtsinhaber.

37.      Ich möchte betonen, dass die Aufzählung der Ausnahmen und Beschränkungen als erschöpfend zu verstehen ist(59). Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht keine zusätzlichen Möglichkeiten für die freie Nutzung geschützten Materials vorsehen dürfen. Das hatte u. a. den Ausschluss der in § 24 Abs. 1 UrhG enthaltenen Bestimmung über die „freie Benutzung“ zur Folge, wonach die kreative Wiederverwendung geschützten Materials zulässig war, sofern daraus ein Werk entstand, das einen anderen Gesamteindruck als die Quelle vermittelte(60). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. Urteil Funke Medien NRW(61) und Urteil Spiegel Online(62)) dürfen die Gerichte auf der Grundlage der in den Art. 11 und 13 der Charta verankerten Freiheit der Meinungsäußerung bzw. der Kunst auch keine weiteren Abweichungen von diesen Rechten zulassen. Nach Auffassung des Gerichtshofs würden derartige zusätzliche Ausnahmen im Wesentlichen die durch die InfoSoc-Richtlinie bewirkte Harmonisierung und damit den vom Gesetzgeber mit dieser Richtlinie geschaffenen internen „Ausgleich“ beeinträchtigen.

38.      Eine Handvoll der bestehenden Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte sind für die kreative Weiterverwendung von geschütztem Material relevant, nämlich die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene Ausnahme für „Zitate“ und die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen für „Karikaturen“, „Parodien“ und „Pastiches“. Die folgenden Nummern beschäftigen sich mit dem den Vorlagefragen zugrunde liegenden Kernproblem: die „Pastiche“-Ausnahme und warum sie eine solche Wiederverwendung tatsächlich nur in engen Grenzen zulässt. Darüber hinaus werde ich auf den (ähnlich begrenzten) Spielraum, der durch die Ausnahmen für „Zitate“ und „Parodien“ gewährt wird, eingehen, da dies für den dann folgenden Abschnitt C sinnvoll ist.

1.      Reichweite der „Pastiche“-Ausnahme

39.      Wie bereits erwähnt, sieht Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie „für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“ Ausnahmen von den in Art. 2 dieser Richtlinie (Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) geregelten Vervielfältigungsrechten vor. Vom Zweck der Nutzung abgesehen, enthält diese Vorschrift keine Anwendbarkeitsvoraussetzungen für diese Ausnahmen. Ihre Reichweite hängt daher vom Bedeutungsgehalt der in dieser Vorschrift aufgeführten Begriffe ab. Leider enthält die Richtlinie hierzu keine Begriffsbestimmungen. Im Urteil in der Rechtssache Deckmyn hat der Gerichtshof diese Lücke im Hinblick auf den Begriff der „Parodie“ geschlossen(63). Er hat entschieden, dass „die wesentlichen Merkmale der Parodie darin bestehen, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen“. Wie bereits festgestellt, hat er sich mit dem Begriff „Pastiches“ hingegen bislang noch nicht befasst.

40.      Vielmehr wurde dieser Begriff in den ersten 20 Jahren seit der Verabschiedung der InfoSoc-Richtlinie von den Gerichten und in der Fachliteratur gleichermaßen ignoriert. Als fakultative Bestimmung fand Art. 5 Abs. 3 Buchst. k nur im nationalen Recht einiger weniger Mitgliedstaaten seine Entsprechung, und selbst in diesen Fällen verstand man „Pastiche“ lediglich als zu vernachlässigendes Synonym von „Parodie“ (oder ließ diesen Begriff bei der Umsetzung ganz weg)(64). Bemerkenswerterweise gab es im deutschen Recht keine „Pastiche“-Ausnahme(65).

41.      Die Verabschiedung von Art. 17 der DSM-Richtlinie erfüllte diesen Begriff indes mit neuem Leben und hat ein erneutes Interesse daran geweckt. Abs. 7 Buchst. b dieser Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten nunmehr, mehrere Ausnahmeregelungen, darunter auch die des „Pastiches“, in ihr nationales Recht umzusetzen (zumindest im Hinblick auf die Nutzung geschützten Materials durch Nutzer der unter Art. 17 fallenden Dienste für das Teilen von Online‑Inhalten)(66).

42.      Die Mitgliedstaaten haben ihr nationales Urheberrecht entsprechend angepasst. Insbesondere hat der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2021 das UrhG reformiert(67). Unter anderem wurde ein neuer § 51a in das UrhG aufgenommen, der Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie entspricht(68). In diesem Zusammenhang hat der deutsche Gesetzgeber den „Pastiche“-Begriff weit gefasst. Das UrhG enthält insoweit zwar keine Begriffsbestimmung, doch heißt es in der Gesetzesbegründung zur Reform, dass der Begriff potenziell ein breites Spektrum kreativer Wiederverwendungen geschützten Materials erfasst, einschließlich nutzergenerierter Inhalte. Ausdrücklich als Beispiele angeführt sind u. a. Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mash-up und „Sampling“(69). Im Ausgangsverfahren hat sich das Oberlandesgericht Hamburg dieser umfassenden Sichtweise angeschlossen. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass Pelham u. a. das strittige „Sample“ von „Metall auf Metall“ zum Zwecke von Pastiches im Sinne von § 51a UrhG wiederverwendet hätten(70).

43.      Da Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie jedoch insoweit nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist es unstreitig, dass der „Pastiche“-Begriff als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen ist, der einer einheitlichen Definition bedarf, die geeignet ist, in der gesamten Europäischen Union eine (ebenso) einheitliche Anwendung der entsprechenden Ausnahmeregelung zu gewährleisten(71). Dementsprechend ist es den Mitgliedstaaten nicht freigestellt, ihre eigene Vorstellung von „Pastiche“ in ihr nationales Urheberrecht umzusetzen. Sie müssen sich vielmehr an diese autonome Definition halten. Im Kern geht es bei den Vorlagefragen also darum, ob die „deutsche Vorstellung“ von „Pastiche“ dem entspricht.

44.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs(72) ist die autonome Definition des „Pastiche“-Begriffs im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört. Obwohl alle Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, über diese Methode einig sind, kommen sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

45.      Einerseits wendet sich CG gegen die vom deutschen Gesetzgeber vertretene Ansicht, die in § 51a UrhG zum Ausdruck kommt, und trägt vor, dass dieser Begriff auch Werke umfasse, die offen und gezielt auf witzige, humoristische oder satirische Weise den Stil eines anderen Werks oder eines anderen Urhebers (bzw. anderer Werke oder Urheber, die demselben „Genre“ oder derselben „Schule“ angehörten), imitierten. Danach wäre die direkte Wiederverwendung geschützten Materials, wie z. B. Tonträger, um ein neues Kunstwerk ohne nachahmende Absicht zu schaffen, unter der „Pastiche“-Ausnahmeregelung nicht zulässig(73).

46.      Andererseits tragen Pelham u. a., die deutsche Regierung und die Kommission im Einklang mit der Position des deutschen Gesetzgebers, die ihren Ausdruck in § 51a UrhG findet, sowie in Anlehnung an die Definition des Begriffs der „Parodie“ im Urteil Deckmyn vor, dass der „Pastiche“-Begriff alles umfasse, was zum einen „an ein bestehendes Werk“ oder einen Schutzgegenstand erinnere (und damit sozusagen auf wahrnehmbare Weise geschütztes Material reproduziere), gleichzeitig aber „ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede“ aufweise (insofern als dem Betrachter oder Hörer ein anderer Eindruck vermittelt werde). Im Gegensatz zur „Parodie“ müsse ein „Pastiche“ keinen „Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darstellen“. Eine „künstlerische Auseinandersetzung“ mit dem Ursprungswerk sei jedoch erforderlich. Allerdings könne diese „Auseinandersetzung“ jegliche Form annehmen: Der „Pasticheur“ könne das Ursprungswerk wesentlich verändern, stilistisch umgestalten(74), in einem neuen Zusammenhang darstellen oder ihm eine neue Bedeutung oder Botschaft geben. Eine weitere Beschäftigung mit dem Ursprungswerk sei nicht erforderlich. Insbesondere sei es nicht erforderlich, dass die neu geschaffene Sache sich kritisch mit dem Ursprungswerk auseinandersetze, mit ihm „interagiere“(75), seinen Stil imitiere oder diesbezüglich eine Hommage darstelle(76).

47.      Demzufolge dient die „Pastiche“-Ausnahme des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie nach Vorstellung dieser Beteiligten – wie auch nach der des BGH in seiner ersten Vorlagefrage – als „Auffangtatbestand“, unter den potenziell jeglicher kreative (oder auch nur kommunikative) Ausdruck auf Basis der Wiederverwendung geschützten Materials fällt, und zwar auch die von Art. 11 bzw. Art. 13 erfassten Remixe, Memes, GIFs, Mash-ups, Samplings etc.(77). Dem breiten Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung würde indes – je nach Einzelfall – die richterliche Pflicht entgegenstehen, einen solchen gegenüber einer behaupteten Verletzung vorgebrachten Einwand im Licht aller relevanten Umstände dahin gehend zu prüfen (Umfang des kopierten Materials, Umfang des kreativen Beitrags, gewerbliche oder nicht gewerbliche Art der Nutzung, Substitutionsgefahr etc.), ob die Zulässigkeit der in Rede stehenden Nutzung bei Zugrundelegung des Drei-Stufen-Tests nach Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie einem „angemessenen Ausgleich“ zwischen den Rechten und Interessen der Parteien gerecht werde. Gemäß dieser Vorschrift könne die „Pastiche“-Ausnahme erstens nur in „bestimmten Sonderfällen“ angewandt werden, in denen zweitens „die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt“ werde und drittens „die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt“ würden.

48.      Trotz meiner Sympathie für die von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission vorgeschlagene Auslegung (die einen begrüßenswerten Versuch darstellt, eine pragmatische Lösung für die in Abschnitt A dargestellte Problematik der kreativen Wiederverwendung geschützten Materials anzubieten(78)) und obwohl die Bedeutung des Begriffs „Pastiche“ im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht ganz klar ist, muss ich angesichts des Kontexts, in dem dieser Begriff benutzt wird, sowie des Zwecks von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie in den meisten Punkten, wenn auch nicht in allen, CG zustimmen.

a)      Gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „Pastiche“

49.      Alle Beteiligten, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, stimmen zu, dass eine umfassende Darstellung des Sinns des Begriffs „Pastiche“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht einfach ist. Dieser Begriff ist nicht nur ein Spezialbegriff, der selten im „gewöhnlichen Sprachgebrauch“ anzutreffen ist, er wurde im Lauf der Zeit und in den verschiedenen Sprachen und Kunstbereichen auch auf unterschiedliche und nicht immer kohärente Weise verwendet.

50.      Den Wörterbüchern (in mehreren Sprachen) und den von Kunstexperten veröffentlichten Studien, die ich zu diesem Thema hinzugezogen habe (sowie denen, die die Übersetzungsreferate des Gerichtshofs in ihren jeweiligen Sprachen konsultiert haben), ist zu entnehmen, dass der Begriff „Pastiche“ vorwiegend verwendet wird, um ein künstlerisches Werk zu bezeichnen, das stilistisch ein anderes Werk, einen anderen Künstler oder eine andere Periode imitiert (bzw. Werke, die demselben „Genre“ angehören etc.)(79) und zu diesem Zweck verschiedene Motive, Tropen und andere charakteristische Elemente entlehnt und miteinander kombiniert (entsprechend dem etymologischen Ursprung des Begriffs, nämlich dem italienischen Wort „pasticcio“, das sich auf ein aus mehreren Zutaten bestehendes Gericht bezieht)(80).

51.      Hinter diesen allgemeinen Kategorien verbirgt sich eine Vielzahl von Auffassungen. Mitunter wird „Pastiche“ verwendet, um eine versteckte Imitation zu beschreiben, die mit betrügerischer Absicht erstellt wurde (womit Pastiche synonym mit Plagiat wäre). Aus historischer Sicht spiegelt diese Auffassung beispielsweise die „Pasticcio-Malerei“ wider, ein gering geachtetes Genre, das im Zuge der Renaissance in Italien florierte. Hierbei schufen Maler Gemälde, die die der großen Meister sklavisch nachahmten, indem sie geschickt die aus deren Meisterwerken entlehnten Techniken und Motive kombinierten. Die so entstandenen Werke wurden dann widerrechtlich als Originale verkauft(81).

52.      In anderen Epochen bezeichnete „Pastiche“ demgegenüber eine offene Stilimitation. Mit dieser Bedeutung bezieht sich der Begriff in der Literatur einzig und allein auf eine humoristische oder satirische Imitation des Stils, der Manierismen oder der Lieblingsthemen eines Autors (oder einer Schule) in Anlehnung an den „literarischen Pastiche“, ein Genre, das diese Merkmale aufweist und im Frankreich des 18. Jahrhunderts seine Blütezeit erlebte(82). Es überrascht daher nicht, dass „Pastiche“ im französischen Urheberrecht genauso ausgelegt wird (seit den 1950er Jahren enthält dieses Recht eine Ausnahmeregelung, die mit Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie nahezu identisch ist). Wegen dieses humoristischen oder satirischen Aspekts wird der Begriff darin als bloßes Subgenre der „Parodie“ betrachtet(83). CG stützt sich vor dem Gerichtshof auf diese Auffassung.

53.      In anderen Bereichen der Kunst wird mit dem Begriff „Pastiche“ jedoch ganz allgemein jegliches Kunstwerk beschrieben, das unverhohlen einen bestimmten Stil imitiert(84). Sozusagen in „kreativer Anlehnung“ an die vom Gerichtshof im Urteil Deckmyn verwendeten Formulierungen bestehen die wesentlichen Merkmale eines „Pastiche“ zum einen darin, „an ein bestehendes Werk zu erinnern“ (oder an mehrere Werke, ein Genre, einen Künstler oder eine Schule), indem seine (bzw. ihre) charakteristische „ästhetische Sprache“ übernommen wird, die dem „Nachahmer“ ansonsten fremd ist, und zum anderen, dass er gegenüber der imitierten Quelle wahrnehmbare Unterschiede aufweist. Wie bereits erwähnt, ist ein solcher „Pastiche“ nämlich nicht als böswillige Fälschung gedacht, die sich selbst an die Stelle der Quelle setzt, sondern soll vielmehr als Nachahmung erkannt werden(85). Der genaue Zweck eines „Pastiches“ ist dagegen unerheblich: Wie eine „Parodie“ kann er als „Ausdruck von Humor oder eine Verspottung“ verstanden werden oder auf sonstige Weise eine kritische Auseinandersetzung mit dem Quellmaterial darstellen. Desgleichen kann er eine Hommage an das Quellmaterial sein oder ihm Tribut zollen. Allerdings ist ein „Pastiche“ nicht notwendigerweise eine Bewertung oder eine anderweitige Kommentierung des Quellmaterials. Er kann auch so konzipiert sein, dass er beispielsweise an einen bestimmten kulturellen Kontext erinnert. Ferner kann er Selbstzweck sein (der „Nachahmer“ demonstriert seine Kunstfertigkeit, indem er durch Imitation eine neue Geschichte erzählt) und so weiter(86). Diese Form der offensichtlichen, referenziellen Nachahmung ist charakteristisch für die Postmoderne(87).

54.      In der Filmwissenschaft werden die Werke von Quentin Tarantino oft als „Pastiche“ bezeichnet, da sie offensichtlich und geschickt Elemente wie Tropen, Filmtechniken, Inszenierung, Strukturen, Handlungsverläufe, Charaktere, Themen etc. replizieren, die für frühere Filme eines bestimmten Genres charakteristisch sind(88). Auch in der Musik werden die Arbeiten aktueller Künstler wie z. B. Bruno Mars häufig als „Pastiche“ beschrieben(89), da sie dazu neigen, frühere Werke eines bestimmten Genres zu imitieren, indem sie Stücke komponieren, die deren typische Produktionsstile, Tropen, Gesangstechniken, geläufige Motive, Arrangements und Hooks aufweisen. Auch Werke wie Ridley Scotts Film „Blade Runner“ von 1982 und Queens Hit „Bohemian Rhapsody“, die geschickt Stile imitieren und miteinander kombinieren, werden als „Pastiche“ bezeichnet(90). In jedem Fall geht es bei einem „Pastiche“ konzeptionell um die stilistische Nachahmung.

55.      Wie Pelham u. a., die deutsche Regierung und die Kommission betonen, wurde – und wird gewissermaßen immer noch – der Begriff „Pastiche“ einigen Wörterbüchern und Fachleuten zufolge auch für Kunstwerke verwendet, die durch die Neukombination von Elementen entstanden sind, die anderen Werken entnommen wurden, ohne deren Stil imitieren zu wollen(91). Das dafür insbesondere genannte Beispiel ist die „Pasticcio-Oper“, ein im 18. Jahrhundert populäres Genre opernähnlicher Werke, die aus einem „Patchwork“ berühmter Arien und Musikstücke bestanden. Nach dieser Auffassung ist „Pastiche“ ein Synonym für diverse Begriffe, die ähnliche „Patchwork“-Techniken heraufbeschwören wie beispielsweise „Cento“ (Flickgedicht) in der Literatur, die „Collage“ in der bildenden Kunst, musikalische „Medleys“ und die Found-Footage-Filme(92).

56.      Davon abgesehen, dass andere Experten z. B. in der Musik zwischen „Pastiche“ und „Pasticcio“ differenzieren(93), scheint mir, dass die Folgerung aus der in der vorhergehenden Nummer dargestellten Erläuterung, dass der Begriff „Pastiche“ unbestimmt sei und jegliche Art der kreativen Wiederverwendung bereits bestehenden Materials (ob „Memes“, „Mashups“ oder „Samplings“) bezeichnen könne, die sich diese Beteiligten zu eigen machen, die Bedeutung dieser alternativen Auffassung im „gewöhnlichen Sprachgebrauch“(94) überzeichnet und damit die Rolle, die sie bei der Abfassung der InfoSoc-Richtlinie gespielt haben mag(95).

57.      Ich stimme allerdings zu, dass angesichts dieser Ambiguität(96) eine kontextuelle und zweckorientierte Auslegung ausschlaggebend ist, um eine einheitliche Definition des in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie enthaltenen Rechtsbegriffs „Pastiche“ zu erzielen. Wie ich jedoch in den nächsten Abschnitten erläutern werde, bestätigen diese Auslegungen meine Vermutung, welcher „gewöhnlichen Bedeutung“ von „Pastiche“ insofern zu folgen ist.

b)      Kontext, in dem der Begriff benutzt wird

58.      Ich erinnere daran, dass der Begriff „Pastiche“ – neben „Karikatur“ und „Parodie“ – Teil einer in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie geregelten Ausnahme von Urheber- und verwandten Schutzrechten ist.

59.      Einerseits stützen meiner Ansicht nach mehrere aus eben diesem Kontext stammende Elemente eine Definition des strittigen Begriffs als Stilnachahmung.

60.      Erstens impliziert die Bündelung von „Karikatur“, „Parodie“ und „Pastiche“ in ein und derselben Vorschrift zwangsläufig, dass sie nach Vorstellung des Unionsgesetzgebers bestimmte Merkmale gemeinsam haben. Im Licht der oben in den Nrn. 50 bis 54 gemachten Ausführungen erscheint die Annahme plausibel, dass der Gesetzgeber „Pastiche“ – ebenso wie „Parodie“ (und vermutlich „Karikatur“) – als eine Art derivativer Ausdrucksform ansah, die auf der Imitation einer Quelle beruht.

61.      Zweitens ist angesichts dieses Kontexts meiner Meinung nach klar, dass der Rechtsbegriff „Pastiche“ nicht die oben in Nr. 51 beschriebene Form der versteckten Imitation einbeziehen kann. Denn eine Ausnahme für Plagiate zu gewähren würde dem Wesen des Regelungssystems der Union für künstlerische und literarische Schutzrechte zuwiderlaufen. Vielmehr kann dieser Begriff nur für die oben in Nrn. 52 bis 54 erörterte offene Stilnachahmung Anwendung finden.

62.      Drittens kann dieser Begriff entgegen dem Vorbringen von CG nicht auf die in Nr. 52 erwähnte wörtliche Lesart des französischen Wortes „Pastiche“ beschränkt werden, nämlich eine humoristische oder satirische Imitation, gleichbedeutend mit „Parodie“. Die Tatsache, dass „Parodie“ und „Pastiche“ einige Merkmale gemeinsam haben und aus diesem Grund beide in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k enthalten sind, bedeutet nicht, dass die beiden Begriffe für rechtliche Zwecke vollständig gleichgestellt werden sollten. Wenn sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, unterschiedliche Begriffe gleichberechtigt in den Gesetzestext aufzunehmen, sollte sich der Gerichtshof davor hüten, einen von ihnen als rechtlich überflüssig auszulegen (dies gilt umso mehr, wenn es um die Auslegung einer abschließenden Aufzählung von Ausnahmen und Beschränkungen geht)(97).

63.      Aus diesen Erwägungen ergibt sich meiner Auffassung nach, dass der Begriff „Pastiche“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie auf ein breites Spektrum von Kunstwerken Anwendung findet, die offen einen Stil imitieren und damit die oben in Nr. 53 definierten wesentlichen Merkmale aufweisen(98). An dieser Stelle sollte ein letztes kontextuelles Element erwähnt werden. Nichts im Wortlaut dieser Bestimmung verlangt, dass der vom Nutzer geschaffene „Pastiche“ ein Originalwerk im urheberrechtlichen Sinne ist. Auch wenn ein „Pastiche“, wie oben erläutert, gegenüber der Quelle „wahrnehmbare Unterschiede“ aufweisen muss, ist es nicht notwendig, dass er ein bestimmtes Maß an Originalität (Schöpfungshöhe) erlangt(99).

64.      Das wichtigste kontextuelle Gegenargument, das Pelham u. a., die deutsche Regierung und die Kommission gegen eine Auslegung von „Pastiche“ als Stilnachahmung anführen, ist, dass dies ihrer Ansicht nach die betreffende Ausnahmeregelung ihrer praktischen Wirksamkeit berauben und damit den vom Gerichtshof formulierten Anforderungen an die Auslegung der Ausnahmeregelungen zuwiderlaufen würde(100). In der Tat würde ein solches imitierendes Kunstwerk nicht von vornherein unter die in Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie geregelten Vervielfältigungsrechte fallen. „Stil“ als solcher ist nicht urheberrechtlich geschützt. Er gehört eher in den Bereich der Ideen als der Ausdrucksformen(101). Auch Elemente wie gebräuchliche Motive, Strukturen und Techniken etc., die für eine Kunstrichtung oder ein Kunstgenre typisch sind, sind auch dann nicht geschützt, wenn sie gestalterische Elemente eines Werks sind(102).

65.      Dieser Einwand überzeugt mich nicht. Als Abweichung von den in Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie geregelten Vervielfältigungsrechten (sowohl Urheber- als auch verwandte Schutzrechte) ist die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie vorgesehene „Pastiche“-Ausnahme offenbar für Situationen gedacht, in denen (mindestens) eines dieser Rechte greift. Daher ist sie auf eine Weise auszulegen, die in gewissem Maße die „Nutzung“ geschützten Materials erlaubt, wie etwa „Original“-Teile aus Werken oder „Samples“ von Tonträgern, denn andernfalls wäre sie in der Tat sinnlos.

66.      Allerdings verschwimmt bei imitativen Kunstwerken die Grenze zwischen der Entlehnung ungeschützter Elemente und der Vervielfältigung geschützten Materials. In mehreren Gerichtsverfahren jüngerer Zeit behaupteten Urheber, dass ihr „unverwechselbarer“ Stil eine „originelle“ Ausdrucksform sei(103). In einer Reihe weiterer Verfahren von großem öffentlichen Interesse machten Rechtsinhaber geltend, dass die Wiederverwendung stilistischer Merkmale aus ihren Werken eine Urheberrechtsverletzung darstelle(104). Dies gilt umso mehr, wenn ein Kunstwerk präzise den Stil eines einzelnen Werks nachahmt. Zwar sind die entlehnten Elemente „stilistisch“, doch könnten sie – insbesondere wenn sie miteinander kombiniert werden – auch als originell angesehen werden(105).

67.      Gemäß der von mir vorgeschlagenen Definition würde die „Pastiche“-Ausnahme Schöpfern nämlich gewissen Spielraum lassen, um in ihren Kreationen geschützte Elemente aus Werken oder Schutzgegenständen (auf „erkennbare“ Weise) wiederzuverwenden, solange diese Elemente einer offensichtlichen Imitation dienen(106). So kann der Nutzer beispielsweise ohne Weiteres „Samples“ wiederverwenden, die Tonträgern entnommen wurden(107), um ein „Pastiche“ des Genres zu kreieren, zu dem das zugrunde liegende Werk gehört(108). Eine solche Vervielfältigung geschützten Materials allein macht jedoch noch keinen „Pastiche“ aus, sondern erst das sich daraus ergebende Kunstwerk. Im Ergebnis wird durch eine solche Auslegung die praktische Wirksamkeit der „Pastiche“-Ausnahmeregelung gewahrt.

68.      Andererseits widersprechen andere kontextuelle Elemente meiner Auffassung nach eindeutig einer Definition des Begriffs „Pastiche“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie, wonach dieser Begriff auf jegliche Kunstwerke Anwendung findet, die auf geschütztem Material beruhen, aber keine Stilnachahmung beabsichtigen, wie Pelham u. a., die deutsche Regierung und die Kommission nahelegen.

69.      Zunächst bietet, wie auch CG vorträgt, weder der Wortlaut noch die Struktur dieser Bestimmung einen Anhaltspunkt dafür, dass die „Pastiche“-Ausnahme jemals als „Auffangtatbestand“ für die kreative (oder sogar kommunikative) Wiederverwendung geschützten Materials gedacht wurde. Durch die gleichberechtigte Aufzählung drei verschiedener Konzepte („Karikaturen“, „Parodien“ und „Pastiches“) hat der Gesetzgeber drei klar definierte Nutzungskategorien zulassen wollen(109). Verstünde man „Pastiche“ als solchen „Auffangtatbestand“, wären die beiden anderen Konzepte überflüssig, da „Karikatur“ und „Parodie“ bloß als Beispiele für die kreative Wiederverwendung angesehen würden, die unter „Pastiche“ zu subsumieren wären(110).

70.      Sodann ergibt sich aus der oben in Nr. 64 zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs zwar, dass die in Art. 5 Abs. 1 bis 4 der InfoSoc-Richtlinie aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen nicht notwendigerweise streng auszulegen sind, sondern dass vielmehr ihre praktische Wirksamkeit gewahrt bleiben muss. Die von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission vorgeschlagene Auslegung der „Pastiche“-Ausnahme scheint mir jedoch von einer engen Auslegung so weit entfernt zu sein wie nur möglich. Sie wahrt ihre praktische Wirksamkeit nicht bloß, sondern maximiert sie, indem sie ihr den größtmöglichen Anwendungsbereich zubilligt.

71.      Schließlich sind im System von Ausnahmen und Beschränkungen in Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie in seiner gegenwärtigen Fassung, wie oben in den Nrn. 36 und 37 erläutert, die Fälle abschließend aufgezählt, in denen die Nutzung geschützten Materials erlaubnisfrei zulässig ist. Zwar haben einige dieser Fälle (wie „Zitat“ oder „Privatkopie“) einen relativ breiten Anwendungsbereich, doch sind sie niemals völlig unbestimmt. Demgegenüber würde die „Pastiche“-Ausnahme in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie nach der von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission vorgeschlagenen Auslegung ein ungenügend definiertes und potenziell unbegrenztes Spektrum kreativer Wiederverwendungen geschützten Materials erfassen(111), das einzig unter dem Vorbehalt der auf Einzelfallbasis vorgenommenen Abwägung im Rahmen des (ebenso offenen) Drei-Stufen-Tests stünde, der gemäß Art. 5 Abs. 5 in Anbetracht verschiedener Faktoren (Ausmaß und Zweck der Nutzung, Substitutionsgefahr etc.) vorgesehen ist. Wie CG geltend macht, würde diese Ausnahme dadurch zu einer allgemeinen „Fair Use“-Klausel, wie sie in anderen Rechtsordnungen, darunter den Vereinigten Staaten(112), zu finden ist, deren flexible, fallweise Logik im Widerspruch zum geschlossenen Charakter des Unionssystems steht(113). Darüber hinaus hätte dies die seltsame Konsequenz, dass die in § 24 Abs. 1 UrhG enthaltene Bestimmung über die „freie Benutzung“, die der Gerichtshof im Urteil Pelham I als mit eben diesem System unvereinbar erklärt hat, erneut legitimiert würde.

c)      Zweck von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie

72.      Zweifelsohne beruht die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Pastiche“-Ausnahme auf der Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit der Kunst von Nutzern von Werken oder anderen Schutzgegenständen(114). Im Licht dieses Grundgedankens ist ebenso klar, dass diese Ausnahmeregelung diesen Nutzern „Rechte“ verleiht(115).

73.      Vor allem aber beabsichtigte der Gesetzgeber mit dieser Ausnahme nach meinem Dafürhalten, einen Beitrag zu dieser Freiheit zu leisten, indem er bestimmte nach Art. 11 und/oder Art. 13 der Charta geschützte „derivative“ Ausdrucksformen, nämlich „Pastiches“, gestattete. Denn solche „Pastiches“, wie oben in Nr. 53 definiert, sind Kunstwerke, die unter Art. 13 der Charta fallen. Sie können zudem genutzt werden, um nach Art. 11 der Charta geschützte Meinungen zu äußern(116).

74.      Demgegenüber wäre es ein Denkfehler, von dem zugrunde liegenden Grundrecht abzuleiten, dass die „Pastiche“-Ausnahmeregelung dazu gedacht war, potenziell alle dieser „derivativen“ Ausdrucksformen zu erfassen (unter dem Vorbehalt des Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie).

75.      Die Tatsache, dass die „Pastiche“-Ausnahmeregelung niemals bezweckte, „derivative“ Ausdrucksformen zu erfassen, die unter Art. 11 und/oder Art. 13 der Charta fallen, ergibt sich auch aus der Überarbeitung des Besitzstands auf dem Gebiet des unionsrechtlichen literarischen und künstlerischen Eigentums, der der Verabschiedung der DSM-Richtlinie vorausging, sowie aus den Vorarbeiten zu dieser Richtlinie(117). In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, diesen Besitzstand um eine Ausnahmeregelung für kreative oder kommunikative Wiederverwendung geschützten Materials (vor allem in Bezug auf nutzergenerierte Inhalte) zu ergänzen(118); zeitweilig wurde dies sogar von der Kommission(119) und auch von Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Erwägung gezogen(120). Seinerzeit war offenkundig niemand der Meinung, dass die „Pastiche“-Ausnahme in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie diese Funktion bereits erfülle. Letztlich verwarfen beide Organe diese Idee(121), und der Unionsgesetzgeber beschränkte sich schließlich darauf, die „Pastiche“-Ausnahmeregelung in Art. 17 Abs. 7 Buchst. b der DSM-Richtlinie umzuformulieren(122).

76.      Das von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission zur Untermauerung ihrer Auslegung von „Pastiche“ angeführte teleologische Argument lautet jedoch etwas anders. Im Wesentlichen tragen sie vor, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie auf eine Weise auszulegen sei, die „voll und ganz im Einklang“ mit den in den Art. 11 und 13 der Charta gewährleisteten Grundrechten stehe(123). Insoweit behaupten diese Beteiligten, dass, falls ein breites Spektrum kreativer (oder auch einfach nur kommunikativer) Praktiken auf Basis der Wiederverwendung geschützten Materials, wie etwa Remixe, Memes, GIFs, Mash-ups, Samplings etc., sich nicht auf die „Pastiche“-Ausnahmeregelung stützen könnten, Ausdrucksformen, die sowohl im derzeitigen digitalen Umfeld allgegenwärtig als auch gesellschaftlich wünschenswert seien, gefährdet wären. Bei einer solchen Auslegung würde die InfoSoc-Richtlinie im Widerspruch zu eben diesen Grundrechten stehen.

77.      Wie ich im Folgenden ausführlich erläutern werde, bin ich bis zu einem gewissen Grad geneigt, mich diesen Überlegungen anzuschließen. Ich stimme nämlich zu, dass das gegenwärtige unionsrechtliche literarische und künstlerische Regelungssystem keinen ausreichenden Spielraum für bestimmte kreative Wiederverwendungen geschützten Materials lässt, der insbesondere mit der Freiheit der Kunst im Einklang steht. Jedoch ist die von diesen Beteiligten vorgeschlagene grundrechtskonforme Auslegung des Begriffs „Pastiche“ nicht geeignet, um diesem Problem abzuhelfen.

78.      Eine mit der Charta vereinbare Auslegung eines Sekundärrechtsakts der Union setzt voraus, dass dieser Rechtsakt im Hinblick auf seinen Wortlaut, seinen Zusammenhang und seinen Zweck für eine solche Auslegung zugänglich ist(124). Wie ich bereits erläutert habe, ist der Begriff „Pastiche“ in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie im Sinne einer kontextuellen und zweckorientierten Auslegung nicht für die von diesen Beteiligten vorgeschlagene Auslegung offen. Folgte man dieser Sichtweise, so würde man diese Bestimmung in einem Maße ausdehnen, das nahezu einer Verzerrung gleichkommt.

79.      Wie bereits oben in Nr. 37 ausgeführt, vertritt der Gerichtshof die Ansicht, dass die Gerichte auf der Grundlage der in der Charta gewährleisteten Grundrechte keine zusätzlichen Abweichungen von Urheber- und verwandten Schutzrechten gewähren können, da die in Art. 5 Abs. 1 bis 4 der InfoSoc-Richtlinie aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen abschließend sind. Desgleichen kann der Gerichtshof meiner Ansicht nach auch nicht eine bestehende Ausnahmeregelung vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung verzerren, um Nutzungen zuzulassen, für die diese Regelung niemals vorgesehen war(125). Das käme nach meinem Dafürhalten einer contra legem-Auslegung gleich und würde den „angemessenen Ausgleich“ gefährden, den der Gesetzgeber zwischen den Rechtsinhabern und den Nutzern geschaffen hat, sowie das vom Gesetzgeber angestrebte „hohe Schutzniveau“ der Rechtsinhaber(126).

80.      In einer solchen Situation, in der eine konforme Auslegung keine Option ist, bleibt zu erörtern, ob die InfoSoc-Richtlinie mit diesen Grundrechten vereinbar ist. Wie erwähnt, werde ich diese Frage in Abschnitt C untersuchen.

d)      Zwischenergebnis

81.      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ein „Pastiche“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie eine künstlerische Schöpfung darstellt, die erstens an ein bestehendes Werk erinnert, indem seine charakteristische „ästhetische Sprache“ übernommen wird, zweitens gegenüber der imitierten Quelle wahrnehmbare Unterschiede aufweist und drittens als Nachahmung erkennbar sein soll. Der mit dieser offenen stilistischen Nachahmung verfolgte Zweck ist hingegen unerheblich. Die Nutzung geschützter Elemente aus Werken oder anderen Schutzgegenständen, wie z. B. „Samples“ aus Tonträgern, fällt unter die entsprechende Ausnahmeregelung, sofern sie zu einer künstlerischen Schöpfung führt, die diese wesentlichen Merkmale aufweist.

82.      Die zweite Frage des BGH geht vor allem dahin, ob ein „Pastiche“ nur dann vorliegt, wenn die subjektive Absicht des Nutzers festgestellt wurde, oder ob es genügt, dass der Charakter als „Pastiche“ für denjenigen, dem das wiederverwendete Material bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des „Pastiche“ erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt, erkennbar ist. Diese Frage erfordert meines Erachtens eine kurze Antwort. Einerseits geht diese Frage auf die vorgenannte Definition zurück, dass ein „Pastiche“ u. a. dadurch gekennzeichnet ist, dass er als Nachahmung erkannt werden soll (im Gegensatz zu Plagiaten). Daher ist die Frage, ob der Nutzer diese Absicht hatte, sehr wohl ausschlaggebend. Andererseits halte ich es für erforderlich, dass die Absicht anhand objektiver Kriterien geprüft wird, um die gebotene Rechtssicherheit zu gewährleisten (und um insbesondere zu vermeiden, dass bösgläubige Nutzer Plagiate bei Verletzungsverfahren im Nachhinein als „Pastiche“ ausgeben). Dementsprechend sollte der „Pastiche“-Charakter der Nutzung im Endergebnis offenkundig sein. Er müsste darin (in irgendeiner Form) zum Ausdruck gebracht werden oder zumindest für einen mit der Quelle vertrauten Zuschauer oder Hörer als solcher erkennbar sein.

83.      Somit bietet die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Pastiche“-Ausnahme wenig Spielraum für die kreative Wiederverwendung geschützten Materials. „Samples“ und andere Entlehnungen solchen Materials, die nicht einer solchen künstlerischen und offenen Stilnachahmung dienen, fallen nicht unter diese Ausnahmeregelung. Sie kann beispielsweise nicht auf die Wiederverwendung eines „Samples“ angewendet werden, das einem Tonträger entnommen wurde (wie dem, der „Metall auf Metall“ enthält), um ein neues Musikwerk in einem völlig anderen Stil zu schaffen (wie „Nur mir“)(127). Auch die übrigen Ausnahmen und Beschränkungen bieten nur begrenzten Spielraum, wie in den folgenden Abschnitten ausgeführt.

2.      „Zitat“-Ausnahme

84.      Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie enthält eine dispositive Ausnahmeregelung (u. a. von den in Art. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Vervielfältigungsrechten) für Nutzungen, die als „Zitate“ qualifiziert werden können und bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Zudem ist diese Ausnahme gemäß Art. 17 Abs. 7 Buchst. a der DSM-Richtlinie für Online-Nutzungen, die unter diese Bestimmung fallen, zwingend(128).

85.      Aus der Entscheidung im Urteil Pelham I ergibt sich, dass diese Ausnahme nicht auf die beispielhafte Wiedergabe eines Auszugs aus einem literarischen Werk in einem anderen Text beschränkt ist, sondern auch die Nutzung anderer Arten von Werken (musikalischer oder filmischer Art etc.) oder Schutzgegenständen (Tonträger, Aufzeichnungen von Filmen etc.) in anderen Arten von Inhalten umfassen kann. Insbesondere kann die Nutzung eines „Samples“ aus einem Tonträger und seine Einfügung in neue musikalische Inhalte ein „Zitat“ darstellen(129).

86.      Überdies sind „Zitate“ nicht nur zu den in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie aufgeführten Zwecken (nämlich „Kritik oder Rezensionen“) zulässig, da diese Aufzählung lediglich beispielhaft ist („… zu Zwecken wie …“). Wie der Gerichtshof im Urteil Pelham I (implizit) zugestanden hat, kann ein solches „Zitat“ durchaus einen anderen künstlerischen Zweck verfolgen(130).

87.      Das bedeutet offenbar, dass die „Zitat“-Ausnahme für die Wiederverwendung geschützten Materials in der Kunst relevant ist. Die ausdrücklich in dieser Bestimmung enthaltenen Voraussetzungen erlegen insoweit auch keine übermäßigen Beschränkungen auf. Zum einen muss „die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, … außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist“ angegeben werden. Bei „Zitaten“ z. B. aus Musikwerken in anderen musikalischen Inhalten kann es jedoch schwierig sein, die Quelle des Zitats in diesen Inhalten selbst anzugeben(131). Die Aufnahme solcher Informationen in das Begleitmaterial (Faltblatt, Beschreibung etc.) entspricht jedoch dem „Geist“ der Anerkennung, der in diesem Erfordernis zum Ausdruck kommt(132). Zum anderen muss die Nutzung eines „Zitats“ lediglich „den anständigen Gepflogenheiten“ entsprechen und „in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt“, also verhältnismäßig, sein. Demzufolge könnte das „Zitieren“ längerer Auszüge aus einem geschützten Werk oder Schutzgegenstand oder sogar des ganzen Werks erlaubnisfrei zulässig sein(133).

88.      Doch umfasst auch die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Zitat“-Ausnahme keinerlei künstlerische Wiederverwendung geschützten Materials. Um nach der vom Gerichtshof im Urteil Pelham I übernommenen Definition von „Zitat“ als ein solches zu gelten, muss Material fremder Herkunft, wie etwa ein „Sample“ von einem Tonträger, erstens das Ziel verfolgen, mit dem zugrunde liegenden „zitierten“ Werk „zu interagieren“, was voraussetzt, dass zweitens der Hörer oder Zuschauer dieses Werk „erkennen“ kann(134).

89.      Mit anderen Worten: Über den bloßen materiellen Bezug hinaus, der der Nutzung bestehender Werke oder sonstiger Schutzgegenstände in einer neuen Schöpfung innewohnt, muss eine solche Nutzung, um als „Zitat“ zu gelten, ein Mittel für eine Art intellektueller Interaktion zwischen der neuen Schöpfung und dem Quellmaterial sein, „[u]nabhängig davon, ob es sich um eine Auseinandersetzung, um eine ,Hommage‘ oder um etwas anderes handelt“(135). Die bloße Aneignung Materials fremder Herkunft, um wegen seiner ästhetischen Merkmale als Baustein genutzt zu werden, reicht nicht. Um zudem diese „dialogische“ Funktion zu erfüllen, muss ein „Zitat“ als Bezugnahme auf fremde Inhalte erkennbar sein. Dabei muss ein „Zitat“ in der neuen Schöpfung nicht abgegrenzt werden (wie in einem Text mittels Anführungszeichen oder Kursivdruck). Beispielsweise bei Bezugnahmen auf Werke der Musik in neuen musikalischen Inhalten wäre dies unmöglich. Hier dürften Auszüge aus Material fremder Herkunft nahtlos integriert sein. Gleichwohl muss dies für Personen, die mit dem Quellwerk vertraut sind und die das entsprechende Verständnis mitbringen, um das „Zitat“ als solches wahrzunehmen, als „Zitat“ erkennbar sein(136).

90.      Bei einer solchen Auslegung erfasst die „Zitat“-Ausnahme in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie Situationen, in denen Schöpfer in ihren eigenen Werken offen auf ein bereits existierendes Werk Bezug nehmen, sei es als Hommage an deren Urheber oder deren kulturelle Bedeutung, um an einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund zu erinnern(137) oder um durch diese Zitate ihre eigenen Ideen denen vergangener Komponisten gegenüberzustellen(138). Wie der Gerichtshof im Urteil Pelham I angedeutet hat, erfasst sie auch bestimmte Fälle des „Samplings“, wie etwa im Hip-Hop, wo erkennbare „Samples“ als referenzielle digitale „Zitate“ der zugrunde liegenden Werke fungieren sollen(139).

91.      Sie erfasst jedoch nicht die vielen Fälle der Wiederverwendung geschützten Materials, bei denen eine Entlehnung aus diesem Material nicht als „Zitat“ erkennbar ist und die Quelle lediglich verwendet wird, um – ohne weitere intellektuelle Auseinandersetzung – eine neue Kreation zu schaffen. Neben den meisten Memes(140) und GIFs würde dies beispielsweise die künstlerische Praxis der Verwendung bekannter Melodien, um Variationen daran anzulehnen, einschließen oder die Nutzung von „Samples“, die vom Hörer nicht als Anspielungen erkannt werden sollen und/oder zu kurz sind, um überhaupt eine Interaktion mit dem zugrunde liegenden Werk zu erlauben (z. B. ein einzelner Drum-Kick oder ein paar Sekunden einer geloopten Instrumentalspur, die dann als Rhythmussequenz der neuen Kreation dient), wie bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Sample“(141).

3.      „Parodie“-Ausnahme

92.      Es sei daran erinnert, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie (auch) eine dispositive Ausnahmeregelung enthält, die sich auf die Nutzung geschützten Materials „zum Zwecke … von Parodien“ bezieht. Gemäß Art. 17 Abs. 7 Buchst. b der DSM-Richtlinie ist auch diese Ausnahmeregelung für Online-Nutzungen, die unter diese Vorschrift fallen, nunmehr zwingend.

93.      Bekanntlich hat der Gerichtshof im Urteil Deckmyn entschieden, dass die wesentlichen Merkmale einer „Parodie“ im Sinne dieser Vorschrift darin bestehen, erstens „an ein bestehendes Werk zu erinnern“, zweitens aber „ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen“, und drittens „einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen“. Davon abgesehen muss der Inhalt der Parodie keine bestimmte „Schöpfungshöhe“ erlangen. Außerdem muss dieser Inhalt keine Parodie des Quellwerks sein. Das Quellwerk kann einfach als Mittel genutzt werden, um eine auf etwas anderes abzielende humoristische oder satirische Botschaft zum Ausdruck zu bringen.

94.      Diese recht weite Auslegung des Begriffs „Parodie“ bietet etwas Spielraum für die kreative Wiederverwendung geschützten Materials(142) und könnte beispielsweise auf zahlreiche Memes Anwendung finden, bei denen es sich um die „erkennbare“ Vervielfältigung von Einzelbildern aus Filmen(143) und deren humoristische Subversion durch erhebliche Modifizierungen und/oder das Hinzufügen von Bildunterschriften handelt(144). Desgleichen könnte sie bestimmte Fälle von Mash-ups erfassen, die unter Umständen durch das „Sampling“ anderer Tonträger geschaffen wurden und sich durch einen humoristischen Ton oder eine humoristische Inkongruenz auszeichnen(145). Überdies kann sie bestimmte „Found Footage“ erfassen, bei der Einzelbilder von Filmen auf humoristische Weise wiederverwendet werden(146), oder sogar kreatives Détournement einiger beliebter urheberrechtlich geschützter Figuren(147).

95.      Da diese Ausnahmeregelung jedoch die humoristische oder satirische Subversion des geschützten Materials voraussetzt, ist sie nicht auf Schutzgegenstände wie Reaktions-GIFs oder -Memes anwendbar, die auf Material beruhen, dass bereits humoristisch war. Vermutlich kann sie ebenso wenig auf das gesamte Spektrum kreativer Wiederverwendungen angewandt werden, die einer humoristischen oder kritischen Absicht entbehren. Dies gilt auch für die meisten „Samplings“ (einschließlich des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden „Samplings“).

C.      Die Vereinbarkeit der InfoSoc-Richtlinie mit der Kunstfreiheit

96.      Aus dem vorangegangenen Abschnitt ergibt sich, dass einerseits die den Rechtsinhabern über ihre Schutzgegenstände gewährten Vervielfältigungsrechte nach Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie die Möglichkeiten künftiger Schöpfer, diese Schutzgegenstände (oder auch nur einen Bruchteil davon) auf wahrnehmbare Weise in neuen Schöpfungen wiederzuverwenden, beschränken. Andererseits bieten die in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen, einschließlich der „Pastiche“-Ausnahme, begrenzten Spielraum in dieser Hinsicht. Mithin bleibt die Frage der Vereinbarkeit eines solchen Systems mit der Kunstfreiheit nach Art. 13 der Charta.

97.      „Derivative“ künstlerische Ausdrucksformen fallen eindeutig in den Anwendungsbereich von Art. 13 der Charta. Das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte stellen, indem sie diese Ausdrucksformen begrenzen, eine Beschränkung dieser Grundfreiheit dar. Ferner beschränken sie indirekt das Recht der Öffentlichkeit, auf diese Ausdrucksformen zuzugreifen. Die Freiheit der Kunst ist jedoch nicht absolut. Gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta sind solche Beschränkungen zulässig, sofern sie erstens „gesetzlich vorgesehen“ sind, zweitens den „Wesensgehalt“ dieser Freiheit achten und drittens den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ wahren. Das bedeutet, dass diese Einschränkungen zum einen „den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich“ entsprechen und zum anderen im engeren Sinne angemessen, erforderlich und verhältnismäßig sind.

98.      Es ist unstreitig, dass die Einschränkungen „gesetzlich vorgesehen“ sind (nämlich von der InfoSoc-Richtlinie) und dass sie den „Wesensgehalt“ der Freiheit der Kunst, wie oben in Nr. 26 ausgeführt, achten(148). Klar ist auch, dass sie „den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ entsprechen. Wie oben in den Nrn. 24 und 28 erläutert, stellt das Urhebern an ihren Werken gewährte Urheberrecht eine positive Maßnahme dar, die dazu angelegt ist, ihr eigenes Recht auf Kunstfreiheit nach Art. 13 der Charta zu schützen. Die Herstellern von Tonträgern und Filmen sowie Sendeunternehmen gewährten verwandten Rechte dienen dazu, ihre Investition zu schützen. Überdies sind beide Arten von Rechten als „[g]eistiges Eigentum“ nach Art. 17 Abs. 2 der Charta schützenswert(149). Und schließlich stellt das in der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene Regelungssystem ein „angemessenes“ Mittel dar, um die verfolgten Zielsetzungen zu erreichen. Es ist insofern auch „erforderlich“, da enger gefasste ausschließliche Rechte oder breiter gefasste Ausnahmen und Beschränkungen das vom Unionsgesetzgeber angestrebte „hohe Schutzniveau“ für geistiges Eigentum nicht gleichermaßen effizient gewährleisten würden.

99.      Der einzige Streitpunkt ist, ob das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfüllt ist, also ob die Nachteile infolge der Beschränkungen, die durch das von der InfoSoc-Richtlinie eingeführte Regelungssystem auferlegt werden, gegenüber den Vorteilen, die sich aus diesem System in Bezug auf seine Zielsetzungen ergeben, in einem angemessenen Verhältnis stehen(150).

100. Diese Nachteile wurden bereits erörtert. Grundsätzlich gilt, dass bei einer wahrnehmbaren Wiederverwendung geschützten Materials in einer neuen Schöpfung das Vervielfältigungsrecht bzw. die Vervielfältigungsrechte des betreffenden Rechtsinhabers bzw. der betreffenden Rechtsinhaber greift bzw. greifen, was die Fähigkeit eines jeden anderen, „derivative“ künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen, erheblich beschneiden könnte. Insofern wäre es etwas verkürzt, sich auf die Position zurückzuziehen, dass jeder, der dies tun möchte, „nur“ die Erlaubnis des Rechtsinhabers oder der Rechtsinhaber einholen und eine entsprechende Lizenzgebühr entrichten müsse.

101. Um beispielsweise ein „Sample“ aus einem Tonträger zu entlehnen und dieses in einer neuen Komposition zu verwenden, müsste ein Künstler grundsätzlich erst einmal eine Lizenz für die Nutzung des Tonträgers einholen und sodann möglicherweise auch eine Lizenz für das zugrunde liegende Werk (falls das „Sample“ „ursprüngliche“ Elemente aus diesem Werk enthält)(151). Davon abgesehen, dass die Rechtsinhaber nicht in jedem Fall bekannt oder ohne Weiteres ausfindig zu machen sind, wäre das Einholen solcher Lizenzen insofern oftmals eine zu große Last.

102. Mangels eines klaren rechtlichen Rahmens für Zwangslizenzen für die künstlerische Wiederverwendung von Werken oder Tonträgern etc. gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Parteien befinden sich jedoch nicht in der gleichen Verhandlungsposition. Im Rahmen des Urheberrechtssystems steht es den Rechtsinhabern völlig frei, ob sie eine Lizenz erteilen. Damit befinden sie sich von vornherein in einer starken Verhandlungsposition. Für die Nutzung ihres Materials können sie eine Gebühr verlangen, die unter Umständen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Erträgen steht, die eine Verwertung der „derivativen“ Schöpfung einbringen würde(152). Außerdem verfügen die Künstler von gestern und deren Produzenten (wie etwa die großen Plattenfirmen) oft über die finanziellen Mittel, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. Während andere berühmte Künstler und Produzenten in der Lage sein werden, marktübliche Konditionen auszuhandeln, wird das bei unbekannten Künstlern nicht der Fall sein. Dadurch entsteht die Gefahr eines „Zweiklassensystems“, was die schöpferischen Möglichkeiten betrifft: Nur die Reichen und Mächtigen wären in der Lage, „derivative“ Werke zu schaffen.

103. Schließlich könnten die Rechtsinhaber von gestern sich schlichtweg weigern, die Wiederverwendung ihrer Werke zu gestatten, so dass Schöpfern nur die Wahl bleibt, entweder das geplante Kunstwerk nicht zu realisieren oder das geschützte Material trotzdem zu verwenden und damit das Risiko einer kostspieligen Verletzungsklage einzugehen(153). Derartige Zwänge sind besonders beachtlich, wenn die fragliche Kunstform von der konkreten Entlehnung abhängt, wie es beim „Sampling“ der Fall ist (aber auch bei der Collage etc.). Insgesamt könnte dies zahlreiche Gestaltungsformen unterbinden.

104. Die Vorteile des in der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen Regelungssystems sind sozusagen das „Spiegelbild“ dieser Nachteile. Es belohnt frühere Kreativität und/oder Investitionen, indem es sicherstellt, dass die Rechtsinhaber von gestern nahezu völlige Kontrolle über die Nutzung ihres geistigen Eigentums haben und sein Potenzial gegebenenfalls voll ausschöpfen können.

105. Wie in Abschnitt B dieser Schlussanträge festgestellt, hat der Gesetzgeber versucht, einen „Ausgleich“ zwischen der Belohnung vergangener Leistungen und der Förderung neuer Leistungen zu schaffen. Die bestehenden Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, insbesondere die des „Zitats“, der „Parodie“ und des „Pastiches“, begünstigen insofern die Schöpfer von morgen gegenüber den Rechtsinhabern von gestern. Meiner Auffassung nach besteht kaum Zweifel, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, diese Ausnahmen und Beschränkungen in ihr nationales Recht umzusetzen, um Art. 13 der Charta zu entsprechen, wenn auch der Gesetzgeber dies in Art. 5 Abs. 3 der InfoSoc-Richtlinie als dispositiv darstellt(154).

106. Das häufig in der juristischen Literatur betonte Problem (das der recht „kreativen“ Auslegung von „Pastiche“ zugrunde liegt, die von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission vorgeschlagen wird) besteht darin, dass ein solches System weit gefasster ausschließlicher Rechte und einer abschließenden Aufzählung von Ausnahmen und Beschränkungen seinem Wesen nach besonders starr ist.

107. Wie bereits ausgeführt, darf geschütztes Material im Rahmen der gegenwärtigen Ausnahmen und Beschränkungen nur dann frei genutzt werden, wenn es zu einem offen imitativen Kunstwerk beiträgt („Pastiche“), wenn es eine „dialogische“ Befassung mit dem Quellwerk darstellt („Zitat“) oder wenn es als humoristisches oder kritisches Détournement („Parodie“) fungiert. Das Regelungssystem gestattet niemals die Aneignung von Material, das allein aufgrund seines ästhetischen Werts gewählt wurde, und dessen Wiederverwendung in einer neuen Schöpfung. Dies gilt unabhängig vom Umfang und Wert (ob kreativer oder wirtschaftlicher Art) des entlehnten Materials sowie vom Umfang des Beitrags, den der Nutzer geleistet hat, und damit ungeachtet der „kreativen Intensität“ dieser neuen Schöpfung. Offenkundig hängt der Stellenwert des Anspruchs des betroffenen Rechtsinhabers auf das geistige Eigentum nach Art. 13 und/oder Art. 17 Abs. 2 der Charta vom ersten Parameter ab, während der Stellenwert des Anspruchs des neuen Schöpfers auf Kunstfreiheit nach Art. 13 der Charta auf dem zweiten Parameter beruht. Wie die oben in Nr. 32 angeführten Beispiele verdeutlichen, könnte eine solche Wiederverwendung mit einem hohen Maß an Innovation und kulturellem Wert einhergehen(155). Doch das bestehende Regelungssystem lässt keinen Raum für derartige Nuancen.

108. Tatsächlich unterscheidet das Regelungssystem nicht zwischen Fälschungen, böswilligen Plagiaten und den Übertreibungen bestimmter Vertreter der „Appropriation Art“ (die sich massiv an bestehenden Werken bedienen, ohne dabei einen wesentlichen eigenen Beitrag zu leisten) einerseits(156), die die wirtschaftlichen Interessen der Rechtsinhaber erheblich beeinträchtigten könnten, indem sie an die Stelle des Quellmaterials treten(157), und Kunstwerken andererseits, die dadurch geschaffen wurden, dass geschütztes Material in begrenztem Maße entlehnt oder auf überaus „transformative“ Weise verwendet wird, und die aus diesem Grund nicht mit der Quelle konkurrieren und somit keinen solchen Schaden verursachen. So stellten die deutschen Gerichte in der Rechtssache, die das Ausgangsverfahren betrifft, fest, dass die Schöpfung und Verwertung von „Nur mir“ keine negativen Auswirkungen auf die normale Verwertung von „Metall auf Metall“ hatte(158). Mangels einer anwendbaren Ausnahme oder Beschränkung werden diese wirtschaftlichen Erwägungen vom bestehenden Regelungsrahmen jedoch schlicht und einfach ignoriert(159).

109. Im Kern geht es bei dieser Frage darum, ob ein solcher „Ausgleich“ die Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta erfüllt (und demzufolge als wirklich angemessen angesehen werden kann). Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Unionsgesetzgeber beim Ausgleich der miteinander konkurrierenden Rechte und Interessen der beiden Seiten (die jeweils durch die Charta geschützt sind) natürlich einen weiten Wertungsspielraum hat(160). Dementsprechend können auch unterschiedliche Ergebnisse als ein „angemessener Ausgleich“ betrachtet werden und mit dieser Vorschrift vereinbar sein. In diesem Zusammenhang kann sich der Gesetzgeber grundsätzlich dafür entscheiden, tendenziell die Rechtsinhaber zu begünstigen und ihrem geistigen Eigentum ein „hohes“ Schutzniveau zu gewähren. Allerdings kann dieser Wertungsspielraum auch nicht unbegrenzt sein. Andernfalls wäre das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bedeutungslos und damit auch die wichtige Grundrechtsgarantie, die es sicherstellen soll. Wie Generalanwalt Saugmandsgaard Øe in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Tele2 Sverige u. a. feststellte(161), ist dieses Gebot „der Ausgangspunkt für eine Debatte über die Werte, die in einer demokratischen Gesellschaft gelten sollen, und letztlich über die Art von Gesellschaft, in der wir leben wollen“.

110. Es sollte ein angemessener Prüfungsmaßstab festgelegt werden, um diesen Wertungsspielraum mit dem Gebot der richterlichen Kontrolle in Einklang zu bringen. Meines Erachtens sollte der Gerichtshof daher in der Lage sein, eine vom Unionsgesetzgeber in diesem Zusammenhang erlassene Maßnahme zu kritisieren, wenn der dadurch zwischen den Grundrechten getroffene „Ausgleich“ offenkundig fehlerhaft ist(162).

111. Im Hinblick auf das durch die InfoSoc-Richtlinie eingeführte Regelungssystem muss nach meinem Dafürhalten differenziert werden. Zunächst ist, was die Tonträgerherstellern, Filmproduzenten und Sendeunternehmen gewährten verwandten Rechte (in der Auslegung durch den Gerichtshof) betrifft, dieser Ausgleich offenkundig fehlerhaft. Sodann steht dieser Ausgleich andererseits im Hinblick auf das Urhebern gewährte Urheberrecht allgemein im Einklang mit Art. 52 Abs. 1 der Charta. Schließlich wäre dennoch de lege ferenda eine gewisse Fortentwicklung wünschenswert.

1.      Ungleichgewicht der verwandten Schutzrechte nach aktueller Auslegung

112. In Bezug auf die verwandten Schutzrechte ist meines Erachtens klar, dass die Unterordnung einer „erkennbaren“ Wiederverwendung in einer neuen Schöpfung jeglicher – auch sehr kurzen – Auszüge aus Schutzgegenständen wie Tonträgern, Aufzeichnungen von Filmen oder Sendungen, die „allein“ wegen ihrer ästhetischen Eigenschaften ausgewählt wurden, unter die ausschließlichen Vervielfältigungsrechte der betroffenen Hersteller oder Sendeunternehmen nicht in nennenswertem Maße einen „angemessenen Ausgleich“ zwischen dem Recht dieser Interessengruppe auf geistiges Eigentum gemäß Art. 17 Abs. 2 der Charta und dem Recht auf Kunstfreiheit aller anderen Menschen nach Art. 13 der Charta sicherstellt. So hat das BVerfG in der Tat in der Rechtssache im Ausgangsverfahren vor dem Hintergrund der im deutschen Grundgesetz(163) verankerten Grundrechte hinsichtlich der Wiederverwendung kurzer „Samples“ entschieden(164).

113. Bei dieser Abwägung sollte der Freiheit der Kunst nach Art. 13 der Charta in der Tat ein erhebliches Gewicht zukommen, da sie als Ausfluss der Meinungsfreiheit „einen der Grundpfeiler“ einer demokratischen Gesellschaft darstellt. Das Recht eines jeden Menschen, am öffentlichen Kulturleben teilzunehmen, ist „eine der Grundvoraussetzungen für [den Fortschritt einer solchen Gesellschaft]“(165).

114. Der Anspruch von Herstellern und Sendeunternehmen nach Art. 17 Abs. 2 der Charta ist demgegenüber weniger überzeugend. Ich erinnere daran, dass das in dieser Bestimmung verankerte Recht im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden muss(166). Mit anderen Worten: Der Schutz des „Eigentums“ des Herstellers oder Sendeunternehmens ist kein Selbstzweck. Die ausschließlichen verwandten Rechte an Tonträgern, Filmen und Sendungen sind im Licht ihrer Rechtfertigung zu betrachten. Als Beschränkungen der Kunstfreiheit eines jeden Menschen darf diesen Rechten kein größerer Umfang als für diese Rechtfertigung erforderlich eingeräumt werden(167).

115. Meiner Auffassung nach kann der oben in Nr. 28 erläuterte Schutz von Investitionen als Grund für die Herstellern und Sendeunternehmen gewährten verwandten Rechte angesichts der Kunstfreiheit – trotz seiner Berechtigung(168) – nicht gebieten, dass diese verwandten Rechte auch die kreative Wiederverwendung jeglicher „erkennbaren“ Ausschnitte aus Tonträgern, Filmen oder Sendungen erfassen.

116. Die bloße Tatsache, dass Hersteller und Sendeunternehmen Erträge aus einer solchen Lizenzierung erzielen können, ist, für sich genommen, ohne Belang. Die verwandten Rechte wurden geschaffen, um zu verhindern, dass der Verkauf solcher Schutzgegenstände sowie damit zusammenhängende rechtmäßige Transaktionen durch rechtswidrige Kopien unterlaufen werden, und um so sicherzustellen, dass die Hersteller und Sendeunternehmen zufriedenstellende Erträge daraus erzielen und ihre in die Produktion getätigten Investitionen amortisieren können(169). Sie sind nicht dazu bestimmt, Herstellern und Sendeunternehmen zu garantieren, durch die Lizenzierung jedweder Ausschnitte die höchstmögliche Vergütung aus ihren Tonträgern, Filmen oder Sendungen zu erzielen(170).

117. Im Gegensatz zum Entleihen materieller Vermögenswerte vermindert nicht jede einzelne Wiedergabe von Ausschnitten aus Tonträgern, Filmen oder Sendungen deren Wert und gefährdet die Investition des betreffenden Herstellers oder Sendeunternehmens. Diese Rechtsinhaber sollten nur gegenüber Wiedergaben von Teilen ihrer Schutzgegenstände (wie z. B. „Samples“ von Tonträgern) geschützt werden, die aus quantitativer oder qualitativer Sicht wesentlich genug sind, um ihre Möglichkeiten, zufriedenstellende Erträge auf ihre Investition zu erzielen, zu beeinträchtigen, weil solche Wiedergaben dazu benutzt werden könnten, ein Ersatzprodukt zu schaffen, das sich negativ auf die Verkäufe dieser Schutzgegenstände oder andere damit verbundene rechtmäßige Transaktionen auswirken könnte(171).

118. Beispielsweise in Bezug auf Tonträger würde dies sowohl lange als auch unterscheidungskräftige Samples einschließen, die „Hooks“ aus berühmten Songs enthalten. Die Wiederverwendung kurzer und/oder nicht unterscheidungskräftiger Samples wäre hingegen nicht mit einem solchen Risiko verbunden, und zwar unabhängig davon, ob diese Samples „beim Hören wiedererkennbar“ sind, wenn man sich Original und Sample gleichzeitig anhört. Insofern ist kaum – wenn überhaupt – zu rechtfertigen, dass die Interessen der Rechtsinhaber im zweiten Szenario der Kunstfreiheit vorgehen(172).

119. Eine solche Auslegung untergräbt die Kunstfreiheit in erheblicher Weise, da sie moderne, durch die digitale Revolution hervorgebrachte Kunstformen behindert, die auf der Wiederverwendung von Tonträgern, Filmaufzeichnungen und Sendungen beruhen, wie etwa „Sampling“ – trotz ihres kulturellen Werts. Jede „erkennbare“ Wiederverwendung von Ausschnitten aus Tonträgern, Filmaufzeichnungen oder Sendungen der vorherigen Kontrolle durch die Rechtsinhaber zu unterwerfen, stünde auch im Widerspruch zur Funktionsweise und Realität des Internets. Bei einer solchen Auslegung würden diese Rechte die alltägliche Kommunikation und Internet-Trends beeinträchtigen, wie beispielsweise Memes, GIFs und die gesamte Bandbreite der bereits erörterten nutzergenerierten Inhalte(173).

120. Die Gegenargumente halten meines Erachtens einer Überprüfung nicht stand. Auf die mit der Freigabe von Samples verbundenen Schwierigkeiten wurde bereits hingewiesen. Die von CG vor dem Gerichtshof wiederholte Behauptung, es bestünde keine wirkliche Behinderung der Kunst, da die verwandten Schutzrechte nur auf Vervielfältigungen des Tonträgers (oder der Filmaufzeichnung etc.) selbst Anwendung fänden und es Schöpfern stets freistünde, selbst die entsprechenden aufgezeichneten Klänge (oder Bilder) nachzubilden, sei es mit Hilfe von Musikinstrumenten oder anderen notwendigen Hilfsmitteln, überzeugt nicht. Nach meiner Auffassung verkennt diese Sichtweise den Wesensgehalt einer Kunstform, die gerade darauf beruht, Musikaufnahmen zu nutzen, um neue Musik zu schaffen (oder aufgezeichnete audiovisuelle Inhalte zur Schaffung neuer audiovisueller Inhalte). Sie stützt sich auf die abwertende Annahme, z. B. in der Musik würden „Samples“ von Tonträgern genutzt, um den Arbeits- und Zeitaufwand zu vermeiden, der mit der Nachbildung der zugrunde liegenden Klänge verbunden wäre. Tatsächlich werden „Samples“ häufig wegen der dabei entstehenden besonderen ästhetischen Effekte verwendet und kombiniert. Es wäre nicht in jedem Fall möglich, durch erneute Aufzeichnung der auf einer Schallplatte enthaltenen Klänge das gleiche Ergebnis zu erzielen. Aus künstlerischer Sicht ist daher das eine nicht immer ein Ersatz für das andere. Hinzu kommt, dass „Sampling“ vielfach mehr Zeit und Aufwand erfordert als die eigenständige Produktion des gleichen Klangs. „Samplers“ müssen ein breites Spektrum von Musik anhören, auswählen, was ihrer Meinung nach zusammen funktionieren würde, und dies dann entsprechend verarbeiten. Das könnte aufwändig sein(174).

121. Ich bin mir darüber bewusst, dass der im Urteil Pelham I vorgenommene Ausschluss von „Samples“, die so sehr verändert wurden, dass sie „beim Hören nicht wiedererkennbar“ sind, vom Vervielfältigungsrecht der Tonträgerhersteller vom Gerichtshof bereits als Beitrag zur Sicherstellung eines „angemessenen Ausgleichs“ zwischen der Freiheit der Kunst und dem Recht des Herstellers auf geistiges Eigentum dargestellt wurde.

122. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Auffassung, „Sampling“ solle frei nutzbar sein, wenn es nicht „wiedererkennbar“ sei, teilweise das Wesen von Kunstformen, die darauf beruhen, Musik durch Nutzung wegen ihrer ästhetischen Merkmale gewählter Aufnahmen zu schaffen, verkennt: Warum sollte man überhaupt ein „Sample“ verwenden, wenn es so sehr verfremdet werden muss, dass es nicht mehr wiedererkennbar ist(175)? Vor allem aber hat der Gerichtshof – mit allem Respekt – die in Frage stehenden Rechte und Interessen nicht sorgfältig abgewogen(176). Zwar hat der Gerichtshof ausgeführt, dass seine Auslegung einen gewissen Spielraum für die freie Wiederverwendung von Samples (durch Verfremdung) lasse(177), doch hat er nicht erklärt, wie ein „wiedererkennbares“ – auch nur sehr kurzes – Sample erstens dem Hersteller die Möglichkeit nehmen könnte, einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen zu erzielen, und zweitens warum sogar bei kurzen Ausschnitten die wirtschaftlichen Interessen des Herstellers dem gesellschaftlichen Grundrecht der Kunstfreiheit vorgehen sollen.

123. Meiner Ansicht nach gibt es mehrere Möglichkeiten, das in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene Ungleichgewicht zu beheben, indem man das von der InfoSoc-Richtlinie geschaffene Regelungssystem ganzheitlich betrachtet.

124. Zum einen könnte der Gerichtshof weiter gehen als im Urteil Pelham I und stattdessen das eher unbestimmte Konzept der „teilweisen Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c bis e der InfoSoc-Richtlinie(178) vergleichend auslegen und dabei die Begründung für das in dieser Vorschrift geregelte Recht angemessen berücksichtigen, nämlich nur Auszüge zu betreffen, die die Möglichkeiten des Herstellers/Sendeunternehmens, zufriedenstellende Erträge auf seine Investition zu erzielen, beeinträchtigen könnten. Die Anwendung einer solchen DeMinimis-Regel würde einen Ausgleich zwischen den verwandten Schutzrechten schaffen und damit ihre Vereinbarkeit mit Art. 52 Abs. 1 der Charta sicherstellen.

125. Zum anderen würde der erforderliche Ausgleich auch dadurch erreicht, dass der Unionsgesetzgeber die InfoSoc-Richtlinie dahin gehend abänderte, dass kurze Auszüge bzw. Ausschnitte aus dem Anwendungsbereich von Art. 2 Buchst. c bis e ausgenommen werden(179) oder dass eine Ausnahmeregelung eingefügt wird, die speziell die Wiederverwendung geschützten Materials wie Ausschnitten aus Tonträgern, Filmen und Sendungen in einer neuen künstlerischen Schöpfung betrifft und u. a. unter dem Vorbehalt des Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie steht (es sei daran erinnert, dass danach „die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt“ werden darf), wie unten in Abschnitt 3 ausgeführt.

2.      Hinreichender Ausgleich in Bezug auf Urheberrechte sichergestellt

126. Demgegenüber erfüllt das unter dem Vorbehalt der „Zitat“‑, „Parodie“- und „Pastiche“-Ausnahmen stehende Verbot, geschützten Werken auch nur geringfügige „Original“-Teile zu entnehmen, um damit ein neues Werk zu schaffen, meiner Ansicht nach die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

127. Der Anspruch des Urhebers auf das geistige Eigentum nach Art. 17 Abs. 2 der Charta ist im Rahmen dieses Ausgleichs gewichtiger als der von Herstellern und Sendeunternehmen, der im vorangegangenen Abschnitt erläutert wurde. Der Sinn des geistigen Eigentums des Urhebers an seinen „Werken“ besteht nämlich darin, sein eigenes Recht auf Kunstfreiheit nach Art. 13 der Charta zu schützen. Es geht dabei nicht bloß um den Schutz einer wirtschaftlichen Investition. Darüber hinaus gibt es weitere – persönlichere und grundsätzlichere – Gründe, die den Urheber mit den Früchten seiner Schöpfung verbinden und deutlich machen, warum sein Wunsch, über ihre Wiederverwendung durch andere Schöpfer mitbestimmen zu können, legitim ist(180).

128. Somit stehen sich bei der Wiederverwendung eines Werks in einer neuen Schöpfung in der Tat zwei Schöpfer mit zwei widerstreitenden Ansprüchen auf die Kunstfreiheit gegenüber, denen auf den ersten Blick in einer demokratischen Gesellschaft ein ähnliches Gewicht zukommt. Das macht einen Ausgleich zwischen diesen konkurrierenden Interessen besonders kompliziert. Insofern ist es gerechtfertigt, dem Unionsgesetzgeber einen besonders weiten Wertungsspielraum zuzubilligen.

129. Auch wenn, wie oben in Nr. 107 ausgeführt, das genaue Gewicht ihrer jeweiligen Forderung in jedem Einzelfall variieren kann, ist nach meinem Dafürhalten der in der InfoSoc-Richtlinie hergestellte „Ausgleich“ auf Systemebene im Allgemeinen „angemessen“. Zwar hat der Umfang des Urhebern an ihren „Werken“ gewährten Vervielfältigungsrechts gemäß Art. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie eine gewisse Auswirkung auf Kunstformen, die auf Wiederverwendung sowie alltäglicher Kommunikation im Internet beruhen(181), doch geht er nicht über das hinaus, was gerechtfertigt ist, denn er beschränkt sich auf das Kopieren von „Original“-Teilen der Werke. Damit ist es jedem freigestellt, Elemente wiederzuverwenden, die nicht die eigene Schöpfung des Urhebers selbst sind, wie oben in Nr. 26 ausgeführt. Überdies lassen die Ausnahmeregelungen für „Zitat“, „Parodie“ und „Pastiche“ Spielraum für die referenzielle/dialogische und imitative Nutzung bestehender Werke und sogar ihre Subversion zu humoristischen oder satirischen Zwecken(182). Das bedeutet allerdings nicht, dass der im gegenwärtigen Regelungssystem erzielte „Ausgleich“ der einzig denkbare ist, wie im nächsten Abschnitt erläutert wird.

3.      Wünschenswerte Entwicklung de lege ferenda

130. Es wird häufig darauf hingewiesen, dass das höchste Ziel der unionsrechtlichen Bestimmungen zum literarischen und künstlerischen Eigentum darin besteht, die Schaffung, Erzeugung und Verbreitung von Informationen, Wissen und Kultur zu fördern(183). Somit wäre es folgerichtig, die ausschließlichen Rechte sowie die Ausnahmen und Beschränkungen im Sinne dieses höchsten Ziels auszugestalten.

131. Insofern wäre es unter Umständen wünschenswert, die Flexibilität dieses Regelungssystems im Hinblick auf die künstlerische (oder sogar kommunikative) Wiederverwendung geschützten Materials zu erhöhen. Es wäre besser auf die Bedürfnisse der verschiedenen zeitgenössischen Kunstbewegungen, wie z. B. Hip-Hop, abgestimmt. Es ist zumindest zweifelhaft, ob dieses Genre in den 1980er Jahren so erfolgreich gewesen wäre, wenn die in der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen ausschließlichen Rechte von Urhebern und Herstellern wortwörtlich angewandt worden wären. Dies gilt ebenso für viele der oben in Nr. 32 angeführten Beispiele aus der Geschichte. Die Entwicklung neuer Kunstformen zu behindern, ist wohl kaum eine gesellschaftlich wünschenswerte Folge. Dieses Regelungssystem könnte auch besser auf die Funktionsweise und die Trends des Internets abgestimmt werden. In diesem Zusammenhang sind nutzergenerierte Inhalte ein bedeutendes gesellschaftliches Phänomen. Und doch gelingt es dem gegenwärtigen Regelungssystem nicht, hierfür gezielte Lösungen anzubieten. Im Internet existieren in einer Art Grauzone zahlreiche wertvolle derivative Ausdrucksformen, überwiegend aufgrund einer stillschweigenden Duldung durch die Rechtsinhaber (oder deren tatsächliches Unvermögen, all diese Formen zu kontrollieren). Vermutlich sollten auch diese Formen der Kreativität unterstützt werden. Das ist nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe, sondern auch der künstlerischen Vielfalt. Wenn zu starre Regeln nicht an ein sich wandelndes Umfeld angepasst werden, besteht letztlich die Gefahr, dass dieses Regelungssystem sowohl von Schöpfern als auch der Öffentlichkeit abgelehnt werden könnte.

132. Die Einführung einer speziellen Ausnahmeregelung für die künstlerische Wiederverwendung geschützten Materials (wie die Vorschrift über die „freie Benutzung“ nach deutschem Recht), die einen konkreten fallweisen Ausgleich der Rechte und Interessen der Parteien erlauben würde, wäre in dieser Hinsicht hilfreich. Hoch kreative und damit gesellschaftlich nützliche Fälle der künstlerischen Wiederverwendung würden dadurch unterstützt, während fantasieloses Kopieren eingedämmt würde. Ein klarer rechtlicher Rahmen für Zwangslizenzen oder eine gesetzlichen Vergütung(184) könnte ebenfalls in Betracht gezogen werden, um die Schöpfer von gestern in bestimmten Fällen zu unterstützen. Eine solche flexible und hinreichend offen ausgestaltete Ausnahmeregelung würde auch dafür sorgen, dass das Regelungssystem des literarischen und künstlerischen Eigentums sich zeitnah an gegenwärtige und künftige soziale und technologische Veränderungen anpasst. Aus wirtschaftlicher Sicht dürfte die Tatsache, dass zahlreiche Länder weltweit eine solche Vorschrift übernommen haben, die Sorge verringern, dass sie die Kulturwirtschaft in der Europäischen Union „zerstören“ würde(185). Es ist jedenfalls dem Gesetzgeber vorbehalten, einen solchen Regelungsmechanismus einzuführen(186).

V.      Ergebnis

133. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist

dahin auszulegen, dass

der Begriff „Pastiche“ im Sinne dieser Vorschrift künstlerische Schöpfungen erfasst, die erstens an ein oder mehrere bestehende Werke, ein Genre, einen Künstler oder eine Schule erinnern, indem seine (bzw. ihre) charakteristische „ästhetische Sprache“ übernommen wird, zweitens gegenüber der imitierten Quelle wahrnehmbare Unterschiede aufweisen und drittens als Nachahmung erkennbar sein sollen. Der mit dieser offenen stilistischen Nachahmung verfolgte Zweck ist hingegen unerheblich. Die Nutzung geschützter Elemente aus Werken oder anderen Schutzgegenständen, wie z. B. „Samples“ aus Tonträgern, fällt unter die entsprechende Ausnahmeregelung, sofern sie zu einer künstlerischen Schöpfung führt, die diese wesentlichen Merkmale aufweist.

2.      Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ist dahin auszulegen, dass

die Nutzung eines geschützten Werks oder sonstigen Schutzgegenstands als „zum Zwecke von … Pastiches“ im Sinne dieser Vorschrift erfolgt, wenn der Charakter dieser Nutzung als „Pastiche“ für denjenigen erkennbar ist, dem das in Bezug genommene geschützte Material bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des „Pastiches“ erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Vgl. die Definition des „Sampling“ in den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham u. a. (C‑476/17, EU:C:2018:1002, Nr. 1, im Folgenden: Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in Pelham u. a.): „Das Sampling (elektronisches Kopieren von Musikfragmenten) ist eine Technik, die darin besteht, einem Tonträger mit Hilfe elektronischer Geräte Auszüge … zu entnehmen, um sie als Bestandteile einer neuen Komposition auf einem anderen Tonträger zu verwenden.“


3      Urheberrechtlich gilt ein „Tonträger“ als ausschließlich klangliches „Aufzeichnen“ von Tönen (also eine Tonaufnahme) (vgl. Art. 3 des internationalen Übereinkommens zum Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, unterzeichnet am 26. Oktober 1961 in Rom [im Folgenden: Rom-Abkommen] und Art. 2 Buchst. b des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger, angenommen in Genf am 20. Dezember 1996, dem die Europäische Union mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 [ABl. 2000, L 89, S. 6] über die Zustimmung im Namen der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist [im Folgenden: WPPT 1996]).


4      Urteil vom 29. Juli 2019, Pelham u. a. (C‑476/17, EU:C:2019:624, im Folgenden: Urteil Pelham I).


5      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 (ABl. 2001, L 167, S. 10).


6      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (ABl. 2019, L 130, S. 92).


7      Art. 17 Abs. 7 Buchst. b der DSM-Richtlinie ist zwar nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar (da es hier weder um das Recht auf öffentliche Wiedergabe noch um die Weiterverwendung geschützter Materialien durch Nutzer von Diensten für das Teilen von Online‑Inhalten geht), doch sollten diese Vorschrift und Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie einheitlich ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Mai 2016, Reha Training, C‑117/15, EU:C:2016:379, Rn. 28 bis 34).


8      Vgl. Art. 5 des Grundgesetzes.


9      Nach dieser Vorschrift darf „[e]in selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, … ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden“. Nach Auffassung des BVerfG könnte diese Vorschrift analog auf die Wiederverwendung von Tonträgern anwendbar sein.


10      Die Mitglieder von Kraftwerk machen zwar in erster Linie die verwandten Schutzrechte von Tonträgerherstellern geltend, subsidiär aber auch Urheberrechte. In jedem Fall findet die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Pastiche“-Ausnahme übergreifend auf Urheberrechte und alle verwandten Schutzrechte Anwendung (siehe hierzu unten, Nr. 36). Die Vorlagefragen zu dieser Ausnahmeregelung beschränken sich somit nicht auf die Nutzung von Tonträgern, sondern beziehen sich ebenfalls auf andere Schutzgegenstände wie etwa Werke. Daher sind beide Arten von Rechten im Rahmen der Würdigung zu berücksichtigen.


11      Diese Problematik betrifft zwar die Künste allgemein, doch da es im Ausgangsverfahren um Musik geht, werden sich meine Ausführungen auf diesen Bereich konzentrieren und nur gelegentlich andere Bereiche berühren.


12      Auf nationaler Ebene wird die Kunstfreiheit von verschiedenen Mitgliedstaaten, wie etwa Deutschland (vgl. Art. 5 des Grundgesetzes), als eigenständiges Grundrecht anerkannt. Auch das Völkerrecht erkennt die Kunstfreiheit an: vgl. Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (im Folgenden: AEMR), Art. 15 Abs. 1 Buchst. a des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UNO (im Folgenden: Sozialpakt) und Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte der UNO.


13      Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) hat festgestellt, dass die durch Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung auch „die Freiheit der künstlerischen Äußerung“ einschließe (EGMR, 24. Mai 1988, Müller u. a./Schweiz, CE:ECHR:1988:0524JUD001073784, § 27). Die Unterscheidung wird danach getroffen, ob die Äußerung „künstlerisch“ ist.


14      Vgl. in diesem Sinne Urteil Pelham I (Rn. 34); EGMR, 24. Mai 1988, Müller u. a./Schweiz, CE:ECHR:1988:0524JUD001073784, § 27, und EGMR, 8. Juli 1999, Karataş/Türkei, CE:ECHR:1999:0708JUD002316894, § 49.


15      Aus der Verwendung des allgemeinen Begriffs „Kunst“ in Art. 13 ergibt sich, dass die betreffende Freiheit weit gefasst ist und alle Formen der künstlerischen Äußerung einschließt, unabhängig vom jeweiligen Medium (ob Literatur, Musik, bildende Kunst etc.) (vgl. Peers, S., Hervey, T., Kenner, J., und Ward, A. [Hrsg.], The EU Charter of Fundamental Rights: A Commentary, Hart Publishing, Oxford 2021, S. 417 bis 419).


16      Vgl. Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Akte von Paris vom 24. Juli 1971) in der Fassung aufgrund der Änderung vom 28. Juli 1979 (im Folgenden: Berner Übereinkunft); Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), angenommen in Genf am 20. Dezember 1996, dem die Europäische Union mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) über die Zustimmung im Namen der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist (im Folgenden: WTC); Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994 L 336, S. 1) genehmigt wurde (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen).


17      Vgl. zu der Tatsache, dass Art. 10 EMRK (und damit auch Art. 13 der Charta) Behörden nicht nur negative (Unterlassen von Eingriffen), sondern auch positive Verpflichtungen auferlegt (Ergreifen von Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Meinungsfreiheit auch tatsächlich ausgeübt werden kann): EGMR, 6. Mai 2003, Appleby u. a./Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:2003:0506JUD004430698, § 39. In der Tat werden die künstlerisches Freiheit und der Urheberrechtsschutz in internationalen Rechtsinstrumenten oftmals zusammen betrachtet (vgl. Art. 27 Abs. 1 und 2 AEMR sowie Art. 15 Buchst. a und c des Sozialpakts).


18      Sowie eine Reihe von „Urheberpersönlichkeitsrechten“ (vgl. Art. 6bis der Berner Übereinkunft), die nicht von der InfoSoc-Richtlinie erfasst werden. Siehe auch unten, Fn. 56.


19      Das heißt, sie spiegeln die Persönlichkeit ihres Urhebers wider (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International, C‑5/08, EU:C:2009:465, Rn. 37, im Folgenden: Urteil Infopaq). Der künstlerische Wert ist hingegen unbeachtlich. Gerichte können nämlich nicht darüber entscheiden, ob etwas „gute“ oder „schlechte“ Kunst ist (dies ist grundsätzlich eine subjektive Frage).


20      Vgl. auch Art. 9 der Berner Übereinkunft.


21      Vgl. Erwägungsgründe 9 bis 11 und 14 der InfoSoc-Richtlinie sowie Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Nr. 83).


22      Aufgrund der weit gefassten Formulierung von Art. 13 der Charta schließt die Freiheit der Kunst ebenso wie die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 11 der Charta nicht nur Zensur aus politischen oder moralischen Gründen aus: Die Beschränkung der Art von Materialien, die Künstler nutzen dürfen, stellt ebenfalls eine Beschränkung der Kunst im Sinne von Art. 13 dar.


23      Vgl. Art. 2 des WTC sowie Art. 9 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens.


24      Vgl. Urteil Infopaq (Rn. 38, 39 und 48).


25      Das spezielle Arrangement solcher Elemente in einer Komposition kann zwar „originell“ sein und Urheberrechtsschutz rechtfertigen. Es macht den Komponisten jedoch nicht zum ausschließlichen Eigentümer eines jeden einzelnen Elements, denn sie sind nicht „seine Schöpfung“, sondern ein gemeinsames Vokabular, das von unzähligen Schöpfern genutzt wird. Vgl. Wilson, L., „The case for common property in musical objects“, Vanderbilt Journal of Entertainment & Technology Law, Bd. 26, Nr. 3, 2024, S. 413 bis 460.


26      Vgl. in diesem Sinne Urteil Infopaq (Rn. 38, 39 und 48) und Urteil vom 1. Dezember 2011 in der Rechtssache Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 36, 40, 41, 42 und 95 bis 98).


27      Vorbehaltlich der Ausnahmen und Beschränkungen, die weiter unten in Abschnitt B erläutert werden.


28      Es gibt keine bestimmte Schwelle, wie beispielsweise die Zahl der Noten, die erlaubnisfrei reproduziert werden dürfen, bei deren Überschreitung das Vervielfältigungsrecht greift. Ob ein Urheberrecht an den entlehnten Elementen weiterbesteht, ist keine quantitative, sondern eine qualitative Frage.


29      Die Prüfung, ob eine Rechtsverletzung vorliegt, besteht in einem Vergleich der gestalterischen Elemente des bereits bestehenden Werks mit denen der neuen Schöpfung. Bei Musikwerken handelt es sich dabei um einen phonetischen Vergleich. Eine Verletzung liegt vor, wenn einige der originellen Merkmale des ersten Werks im zweiten sinnlich wahrnehmbar sind. Geringfügige Abwandlungen, wie etwa Wechsel der Tonart oder des Tempos, sind unbeachtlich. Sofern die Abwandlungen jedoch dergestalt sind, dass die originellen Elemente des ersten Werks in dem anderen Gegenstand nicht mehr erkennbar sind, liegt keine „Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie vor (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2021, VG Bild-Kunst, C‑392/19, EU:T:2021:181, Rn. 25).


30      Ich gehe hier nicht auf das Vervielfältigungsrecht ein, das ausübenden Künstlern in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen gemäß Art. 2 Buchst. b der InfoSoc-Richtlinie gewährt wird, da diesem ein anderer Grundgedanke zugrunde liegt und die Prüfung einer jeden möglichen Fragestellung den Rahmen dieser Schlussanträge sprengen würde.


31      Vgl. auch Art. 10 des Rom-Abkommens, Art. 11 des WPPT 1996 sowie Art. 14 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens.


32      So ist z. B. bei der Aufnahme musikalischer Werke neben dem Urheberrecht an diesem Werk, das dem Urheber zugutekommt, auch die Aufnahme selbst unter dem Leistungsschutzrecht nach Art. 2 Buchst. c der InfoSoc-Richtlinie geschützt, das dem Hersteller gewährt wird.


33      Vgl. zehnter Erwägungsgrund der InfoSoc-Richtlinie.


34      Zu dem Umstand, dass „Sampling“ eine durch Art. 13 der Charta geschützte künstlerische Ausdrucksform ist, vgl. Urteil Pelham I (Rn. 35). Das gleiche gilt entsprechend auch für die Wiederverwendung von Filmmaterial oder Sendungen, um ein Kunstwerk zu schaffen.


35      Vorbehaltlich der Ausnahmen und Beschränkungen, die unten in Abschnitt B erläutert werden.


36      Vgl. Grisse, K., und Kaiser, C., „On the significance of (un)recognisability for the reproduction right in European copyright law: Pelham GmbH v Hutter (C‑476/17)“, European Intellectual Property Review, Bd. 44, Nr. 2, 2022, S. 78 bis 90, 82.


37      Was der Gerichtshof damit genau gemeint hat, ist Gegenstand kontroverser Debatten (vgl. u. a. Grisse, K., und Kaiser, C., oben in Fn. 36 angeführt, S. 82). Meiner Auffassung nach meint der Gerichtshof mit „wiedererkennbar“, dass das „Sample“ durch phonetischen Vergleich dem Original-Tonträger zugeordnet werden kann (vgl. entsprechend oben, Fn. 30). Die Wendung „beim Hören“ soll (offenkundig) bedeuten, dass das „Sample“ durch Menschen wahrnehmbar sein muss. Laute, die nur von Robotern oder Maschinen erfassbar sind, fallen nicht darunter. Die Schwierigkeit besteht darin, zu entscheiden, auf wessen Hörverständnis abgestellt wird. Ein erfahrener Hip‑Hop-Produzent wird mehr Samples erkennen als ein gelegentlicher Hörer. Zur Lösung dieses Problems könnten die Gerichte auf eine rechtliche Fiktion zurückgreifen (ähnlich wie die des „Durchschnittsverbrauchers“ im Markenrecht). In der Tat hat das vorlegende Gericht bei der Anwendung der Antwort des Gerichtshofs im Urteil Pelham I zu diesem Zweck die Fiktion des „durchschnittlichen Musikhörers“ entwickelt. Der BGH war der Auffassung, dass das streitige „Sample“ trotz geringfügiger Änderung in dem Titel „Nur mir“ für einen solchen Hörer immer noch wiedererkennbar sei.


38      Nur wenn der Auszug aus dem Schutzgegenstand so sehr geändert wurde, dass er in der neuen Schöpfung „nicht wiedererkennbar“ ist, greift das betreffende Vervielfältigungsrecht nicht (vgl. Urteil Pelham I, Rn. 29 bis 31). Siehe auch entsprechend oben, Fn. 30.


39      Dem russischen Komponisten Igor Strawinsky zugeschriebenes Zitat.


40      Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Cofemel (C‑683/17, EU:C:2019:363, Nr. 55).


41      Siehe unten, Nr. 66.


42      Es ist jedoch keinesfalls auf diesen Bereich beschränkt. Gemälde wie Monets Das Frühstück im Grünen oder van Goghs Die Schafscherer (nach Millet) sind nur einige wenige Beispiele aus der bildenden Kunst, bei denen wiederverwendetes Material kreativ neu interpretiert wurde. Die Bewegung der „Appropriation Art“ (Aneignungskunst), die im 20. Jahrhundert aufkam und zu der auch Dadaismus, Pop Art, Konzeptkunst etc. sowie Künstler wie Bouchet, Warhol oder Koons gehören, hat in dieser Hinsicht ebenfalls (recht extreme) Beispiele hervorgebracht (vgl. Williams, T., „Appropriation in art“, in Marter, J. [Hrsg.], The Grove Encyclopedia of American Art, Oxford University Press, Oxford, 2011).


43      So sind z. B. Bachs drei Orgelkonzerte BWV 593, 594 und 596 an Vivaldis Konzert für zwei Violinen und Basso Continuo, Op. 3 Nr. 8 (RV 522), Vivaldis Konzert für Violine und Basso Continuo, Op. 7 Nr. 5 (RV 208) und sein Konzert für zwei Violinen und Cello, Op. 3 Nr. 11 (RV 565) angelehnt. Mozarts Zwölf Variationen über „Je suis Lindor“ in Es-Dur, K. 354/299 bauen auf der berühmten Arie aus dem Barbier von Sevilla von Baudron auf.


44      Für die Filmmusik, die er für den Film Fahrkarte nach Marseille aus dem Jahr 1944 komponierte, verwendete Steiner beispielsweise mehrere Akkorde aus der französischen Nationalhymne „La Marseillaise“. Ives zitierte in seiner Sonata No. 2, Concord, Mass wiederholt das Viertonmotiv des Kopfsatzes aus Beethovens 5. Sinfonie, Op. 67.


45      „Sampling“ lässt sich in seiner Komplexität nur schwer abstrakt beurteilen. „Samples“ können viele verschiedene Formen annehmen (lang, kurz, mit oder ohne Unterscheidungskraft). Sie können einmal oder in Dauerschleife (geloopt) gespielt werden. Mitunter werden sie originalgetreu wiedergegeben, mitunter modifiziert und bearbeitet. Zudem beschränkt sich das „Sampling“ nicht auf ein bestimmtes musikalisches Genre. Unter anderem aus historischen Gründen ist es vor allem im Hip‑Hop verbreitet. Als dieses Genre in den 1970er Jahren in der New Yorker Bronx in den USA entstand, loopten DJs bestimmte Abschnitte von Songs, indem sie zwei Kopien derselben Platte auf zwei Plattentellern spielten. So erzeugten sie einen durchgängigen „Beat“, zu dem die Master of Ceremonies (MCs) rappen konnten. Später ermöglichten digitale Klangprozessoren (Sampler) Hip‑Hop-Produzenten, solche „Beats“ zu kreieren, indem sie Ausschnitte aus den Tonträgern von gestern kopierten (vgl. Katz, M., „Capturing Sound: how technology has changed music“, University of California Press, überarbeitete Auflage 2010, S. 124 bis 176).


46      Das Konzept der „Intertextualität“ stammt ursprünglich aus der Literaturtheorie, wurde dann aber auch auf andere Kunstbereiche übertragen. Es besagt, dass kein Werk als eigenständiges Ganzes existieren kann, da erstens jedes Werk von äußeren Bezugnahmen, Zitaten und Einflüssen durchdrungen ist und zweitens die Rezeption eines Werks stets von all den anderen Werken geprägt ist, die der Betrachter, Hörer oder Leser betrachtet, gehört bzw. gelesen hat.


47      Vgl. auch Olufunmilayo, A. B., „From J.C. Bach to hip hop – musical borrowing, copyright and cultural context“, North Carolina Law Review, Bd. 84, 2006, S. 547 bis 645; Boyle, J., Ap Siôn, P. und Redhead, M, „Musical Borrowing and Quotation in the Twentieth and Twenty first Centuries“, Contemporary Music Review, Bd. 33, Nr. 2, S. 125 bis 127; und Myung-Ji Lee, B., The art of borrowing – quotations and allusions in western music, 2016.


48      „Remixing“ beschreibt den Prozess, Elemente bestehender Inhalte auf neue Weise miteinander zu kombinieren; das Ergebnis dieses Prozesses sind Remixe (vgl. Chandler, D., und Munday, R., A Dictionary of Social Media, Oxford University Press, Oxford, 2016, Eintrag „remixing“).


49      Der Begriff „Mash-up“ bezeichnet, vereinfacht gesagt, den Prozess, durch Kombinieren von Inhalten aus verschiedenen bestehenden Quellen etwas Neues zu schaffen, sowie das Produkt dieses Prozesses (vgl. Chandler, D., und Munday, R., oben in Fn. 49 angeführt, Eintrag „mashup“).


50      Ein „Meme“ besteht aus einem einzelnen Bild, das manchmal (aber nicht immer) aus einem berühmten Film oder einer bekannten Sendung stammt, sowie einer humorigen Bildunterschrift; Memes werden intensiv online geteilt (vgl. Chandler, D., und Munday, R., oben in Fn. 49 angeführt, Eintrag „meme [internet meme]“).


51      GIFs bestehen aus ein paar Einzelbildern audiovisueller Inhalte, die Personen oder Situationen zeigen. Sie werden regelmäßig in den sozialen Medien verwendet, um eine Reaktion auf eine Nachricht oder einen Kommentar und dergleichen auszudrücken (vgl. https://www.merriam-webster.com/dictionary/reaction%20GIF).


52      So gab es vor dem 18. Jahrhundert im Allgemeinen keinen urheberrechtlichen Schutz von Musikwerken. Das Leistungsschutzrecht von Tonträgerherstellern entstand erst in den 1960er Jahren und die Leistungsschutzrechte für Aufzeichnungen und Sendungen erst in den 1990er Jahren (vgl. Hugenholtz, P. B., „Neighbouring rights are obsolete“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, Bd. 50, Nr. 8, 2019, S. 1006 bis 1011).


53      Vgl. United States District Court for the Southern District of New York, 17. Dezember 1991, Grand Upright Music v. Warner Bros Records, Inc., 780 F. Supp. 182 (S.D.N.Y. 1991).


54      Die Urhebern an ihren Werken vorbehaltenen „Urheberpersönlichkeitsrechte“ stellen eine zusätzliche Bürde dar. Diesbezüglich gewährt Art. 6bis der Berner Übereinkunft dem Urheber erstens das Recht, die Urheberschaft am Werk für sich in Anspruch zu nehmen („Recht auf Anerkennung“). Das bedeutet für gewöhnlich, dass der Name des Urhebers genannt werden muss, wenn ein Werk in einer neuen Schöpfung wiedergegeben wird. Zweitens – und problematischer – verleiht Art. 6bis dem Urheber das Recht, sich jeder Entstellung, Verstümmelung, sonstigen Änderung oder Beeinträchtigung des Werkes zu widersetzen, die „seiner Ehre oder seinem Ruf nachteilig“ sein könnten („Recht auf Integrität“). Nach dem Recht einiger Mitgliedstaaten, wie z. B. nach französischem Urheberrecht, hat der Urheber sogar das Recht, jegliche wesentliche Änderung seines Werks zu untersagen, selbst wenn diese nicht solchermaßen „nachteilig“ wäre. Das ist offensichtlich ein gewaltiges Hindernis für die kreative Wiederverwendung bestehender Werke.


55      Vgl. in diesem Sinne Art. 17 Abs. 4 der DSM-Richtlinie. Eine umfassende Erläuterung des darin vorgesehenen Systems von Filterpflichten findet sich in den Schlussanträgen des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Polen/Parlament und Rat (C‑401/19, Nrn. 48 bis 69).


56      Vgl. u. a. Cabay, J., und Lambrecht, M., „Remix prohibited – how rigid EU copyright laws inhibit creativity“, Journal of Intellectual Property Law & Practice, Bd. 10, Nr. 5, 2015, S. 359 bis 377; Senftleben, M., „Flexibility grave – partial reproduction focus and closed system fetishism in CJEU, Pelham“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, 2020, S. 751 bis 769; und Westkamp, G., „Two constitutional cultures, technological enforcement and user creativity – the impending collapse of the EU copyright regime?“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, Bd. 53, 2022, S. 62 bis 93.


57      Abgesehen von der in Art. 5 Abs. 1 der InfoSoc-Richtlinie geregelten Ausnahme (die im Rahmen dieser Erörterung ohne Belang ist) ist es den Mitgliedstaaten in der Tat grundsätzlich freigestellt, die übrigen Ausnahmen und Beschränkungen in ihr nationales Recht umzusetzen (siehe jedoch unten, Nr. 105).


58      Vgl. Erwägungsgründe 3 und 31 der InfoSoc-Richtlinie.


59      Vgl. 32. Erwägungsgrund der InfoSoc-Richtlinie.


60      Vgl. Urteil Pelham I (Rn. 63 bis 65); siehe oben, Nrn. 12 bis 15. Ähnliche Vorschriften gab es auch nach dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten (vgl. Hui, A., und Döhl, F., „Collateral damage: reuse in the arts and the new role of quotation provisions in countries with free use provisions after the ECJ's Pelham, Funke Medien and Spiegel Online judgments“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, Bd. 52, Nr. 7, S. 852 bis 892.


61      Urteil vom 29. Juli 2019, Funke Medien (C‑469/17, EU:C:2019:623, Rn. 55 bis 64, im Folgenden: Urteil Funke Medien).


62      Urteil vom 29. Juli 2019, Spiegel Online (C‑516/17, EU:C:2019:625, Rn. 40 bis 49, im Folgenden: Urteil Spiegel Online).


63      Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds (C‑201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 20, im Folgenden: Urteil Deckmyn).


64      Siehe in Bezug auf Frankreich unten, Nr. 52. Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick über das Recht der Mitgliedstaaten in Mezei, P., Jütte, B. J., Sganga, C., und Pascault, L., „Oops, I sampled again … the meaning of ,pastiche‘ as an autonomous concept under EU copyright law“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, Bd. 55, 2024, S. 1225 bis 1256.


65      Demgegenüber waren „Parodien“ und „Karikaturen“ nach der Bestimmung über die „freie Benutzung“ in § 24 Abs. 1 UrhG zulässig (vgl. Stieper, M., „Es ist nicht alles Kunst, was glänzt – Versuch einer Eingrenzung des Pastichebegriffs in § 51a UrhG“, GRUR, 2023, S. 1660 bis 1665).


66      Für andere Nutzungen ist die „Pastiche“-Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie weiterhin fakultativ (siehe jedoch unten, Nr. 105).


67      Der deutsche Gesetzgeber hob dabei die in § 24 Abs. 1 dieses Gesetzes enthaltene Bestimmung über die „freie Benutzung“ auf (als Reaktion auf das Urteil Pelham I) (siehe oben, Nr. 15).


68      § 51a UrhG beschränkt sich nämlich nicht auf die Nutzungen nach Art. 17 der DSM-Richtlinie.


69      Vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 19/27426, 19. Wahlperiode 09.03.2021, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes. In Österreich, Spanien und Ungarn hat sich der Gesetzgeber offenbar eine ähnliche Auslegung der „Pastiche“-Ausnahme zu eigen gemacht (vgl. die rechtsvergleichende Analyse in Mezei, P., Jütte, B.J., Sganga, C., und Pascault, L., oben in Fn. 65 angeführt).


70      Siehe oben, Nr. 16.


71      Vgl. entsprechend in Bezug auf „Parodie“ das Urteil Deckmyn (Rn. 14 und 15). Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie genannte Ausnahme fakultativer Natur ist. Zwar steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, die jeweilige Ausnahmeregelung umzusetzen. Es steht ihnen jedoch nicht frei, ihre Parameter in nicht harmonisierter Weise auszugestalten (ebd., Rn. 16).


72      Vgl. u. a. Urteil Deckmyn (Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).


73      So auch Pollaud-Dulian, F., „Le pastiche en quête de sens“, Recueil Dalloz, Bd. 23, 2024, S. 1138; und Spina Ali, G., „Is EU copyright law an obstacle to internet memes?“, European Intellectual Property Review, Bd. 45, Nr. 12, 2023, S. 714 bis 724, insbesondere S. 721.


74      Nach Angaben von Pelham u. a. war das Oberlandesgericht Hamburg der Auffassung, dass die Tatsache, dass „Nur mir“ zu einem anderen musikalischen Genre gehöre als „Metall auf Metall“, eine hinreichende „Auseinandersetzung“ sei.


75      Ein solcher „Dialog“ ist hingegen für die „Zitat“-Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie erforderlich (siehe unten, Nr. 88).


76      Das entnehme ich zumindest den von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission zur Bedeutung des Begriffs „künstlerische Auseinandersetzung“ abgegebenen Erklärungen, die auffallend vage waren. Vgl. die gleiche Definition in Hudson, E., „The pastiche exception in copyright law – a case of mashed-up drafting?“, Intellectual Property Quarterly, Nr. 4, 2017, S. 346 bis 368; Kreutzer, T., The pastiche in copyright law, Gesellschaft für Freiheitsrechte, 2022, S. 14 bis 22; Opinion on CG and YN v Pelham GmbH and Others, Case C590/23 (Pelham II), Europäische Urheberrechtsgesellschaft, 6. November 2024.


77      So auch Europäische Kommission, Reform des Urheberrechts: Fragen und Antworten, Stand: 22. Februar 2022 (https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/faqs/copyright-reform-questions-and-answers) F: „Verhindert die InfoSoc-Richtlinie, dass Nutzer sich im Internet genauso äußern wie heute? Sind Memes und GIFs … verboten?“ A: „Nein. Im Gegenteil, das Hochladen von Memes und anderen Inhalten, die von Benutzern für Zitate, Kritik, Rezensionen, Karikaturen, Parodien und Pastiches (wie GIFs oder ähnliche) erstellt wurden, ist ausdrücklich erlaubt …“ (Hervorhebung nur hier).


78      Siehe auch unten, Abschnitt C.


79      Vgl. die folgenden Wörterbücher, die entweder ausschließlich oder zumindest als Haupteintrag diese Definition enthalten. Auf Englisch: the Collins English Dictionary; the Oxford Dictionary of English; the Merriam-Webster English Dictionary; the Shorter Oxford English Dictionary; auf Spanisch: Real Academia Española, Diccionario de la Lengua Española; auf Deutsch: Duden; Brockhaus; auf Französisch: Le Littré; Dictionnaire de l’Académie Française; Le Petit Robert, Larousse; Le Robert. Vgl. die Studien von Kunstexperten: Hoesterey, I., Pastiche – cultural memory in art, film, literature, Indiana University Press, 2001, S. 1 bis 10; Dyer, R., Pastiche, Routledge, 2007, S. 28 bis 40. Vgl. juristische Fachliteratur: Döhl, F., „Pastiche zwischen Generalklausel und Auffangtatbestand“, Zeitschrift für geistiges Eigentum, Nr. 4, 2020, S. 380 bis 442.


80      Vgl. Hoesterey, I., oben in Fn. 79 angeführt, S. 1 bis 4.


81      Ebd.


82      So erzählt Proust in seinem Werk „Nachgeahmtes und Vermischtes“ von 1919 von einem Kleinkriminellen in der Manier neun verschiedener Autoren, darunter auch Balzac und Flaubert. Der Humor besteht in dem Kontrast, dass dieser amüsante Vorfall im pathetischen Stil dieser Autoren geschildert wird (vgl. Hoesterey, I., oben in Fn. 79 angeführt, S. 1, 4 bis 7 und 80 bis 94).


83      Vivant, M., Bruguière, J.‑M., Droit d’auteur et droits voisins, Dalloz, Paris 2015, S. 415 bis 416.


84      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Fn. 30).


85      Der „Pastiche“ selbst lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass er Nachahmungen enthält. Die Erkenntnis, dass sich der „Pastiche“ auf etwas bezieht, das ihm vorausgeht, prägt seine Identität (vgl. Dyer, R., oben in Fn. 79 angeführt).


86      Mitunter verbirgt sich hinter der Komposition eines Werks im Stil eines anderen, erfolgreichen Werks eine weniger noble Absicht, nämlich an dessen Erfolg teilzuhaben.


87      Vgl. Hoesterey, I., oben in Fn. 79 angeführt, S. 8 und 9; Jacques, S., The parody exception in copyright law, Oxford University Press, Oxford, 2019, S. 10; und Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 440 bis 443.


88      Vgl. Bell, C., Premonitions of the past – An analysis of pastiche in the films of Quentin Tarantino, Digitized Theses, 2011. So ist Tarantinos Film Jackie Brown von 1997 beispielsweise ein „Pastiche“ aus den Blaxploitation-Filmen der 1970er Jahre mit Frauen in den Hauptrollen, wie etwa Foxy Brown. Vgl. für weitere Beispiele für „Pastiches“ in der Filmkunst Hoesterey, I, oben in Fn. 79 angeführt, S. 47 bis 52; Dyer, R., oben in Fn. 79 angeführt;  und „Pastiche“ in Kuhn, A., und Westwell, G., A Dictionary of Film Studies, 2. Aufl., Oxford University Press, Oxford, 2020.


89      Vgl. DJ Louie XIV, „Pharrell, Bruno Mars and the age of pastiche pop – are chart-topping retro-style hits honoring the past or simply retreading it?“, Medium, 4. Mai 2015 (https://medium.com/cuepoint/pharrell-bruno-mars-and-the-age-of-pastiche-pop-cdeaf98aff54). Ein Beispiel aus der klassischen Musik wären Liszts „Variationen über das Motiv von Bach, S.180“, in denen er Bach „pastichierte“.


90      Blade Runner verschmilzt die futuristische Architektur, Ästhetik und Regieführung sowie die Themen von Fritz Langs Avantgarde-SF‑Kinofilm Metropolis mit der Bildersprache des Film noir und überträgt all diese Elemente in das Stadtbild eines postapokalyptischen Los Angeles (vgl. Kuhn, A., Westwell, G., oben in Fn. 89 angeführt). Bohemian Rhapsody verschmilzt Melodiefiguren, Motive, Strukturen und Harmonien verschiedener Stile, von klassischer Musik über die Oper bis hin zu Metal.


91      Vgl. die folgenden Wörterbücher, die diese Auffassung als alternativen, zweiten Eintrag enthalten; auf Englisch: the Collins English Dictionary, the Oxford Dictionary of English, the Merriam-Webster English Dictionary, the Shorter Oxford English Dictionary; auf Französisch: Le Littré, Le Petit Robert. Vgl. auch Hoesterey, I., oben in Fn. 79 angeführt, S. 10 bis 16; Dyer, R., oben in Fn. 79 angeführt, S. 9 bis 21; und Ortland, E., „Pastiche im europäischen Sprachgebrauch und im Urheberrecht“, Zeitschrift für geistiges Eigentum, Bd. 14, Nr. 1, 2022, S. 3 und 17 bis 19.


92      Der Begriff „Cento“ bezieht sich auf Gedichte der griechischen Antike, die aus einzelnen Versen aus den Werken bekannter Dichter, wie Homer und Virgil, bestanden (vgl. Hoesterey, I., oben in Fn. 79 angeführt, S. 9, 11 und 80). Die „Collage“ ist in der darstellenden Kunst ein Verfahren, das im Gefolge von Braques und Picassos Papiers collés (Klebebilder) um 1910 entstand, wobei Bildmaterial (Zeitungsausschnitte, Zigarettenschachteln etc.) in kubistische Kompositionen eingefügt wurde (ebd., S. 11). Der Begriff „Found Footage“ bezeichnet Filme, die aus einer Neukombinierung bereits existierenden Filmmaterials bestehen, das der Filmemacher sich angeeignet. Hier sei beispielsweise der Film „La Classe américaine“ von Michel Hazanavicius und Dominique Mézerette genannt (vgl. „Found footage“ in Kuhn, A., und Westwell, G., oben in Fn. 89 angeführt).


93      Vgl. „Pastiche“ und „Pasticcio“ in Kennedy, J., Kennedy, M., und Rutherford-Johnson, T., The Oxford Dictionary of Music, 6. Aufl., Oxford University Press, Oxford, 2012.


94      So auch Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 390, 425 und 426 und 429 bis 436.


95      Es ist in der Tat kaum nachvollziehbar, dass der Unionsgesetzgeber beim Entwurf der InfoSoc-Richtlinie an das „Pasticcio-Oper“-Genre des 18. Jahrhunderts gedacht haben soll (ebd., S. 418).


96      Eine vergleichende Analyse der verschiedenen Sprachfassungen der InfoSoc-Richtlinie bringt auch keine Klarheit, denn erstens verwendet die überwältigende Mehrheit dieser Fassungen entweder den französischen Begriff „Pastiche“ (DA, DE, EN, ES, FR, IT, NL, PT) oder einen nahezu identischen ausländischen Begriff (ET „pastišis“; FI „pastississa“; HR „pastiša“; LT „pastišui“; MT „pastiċċ“; PL „pastiszu“; RO „pastișelor“; SL „pastiša“; SV „pastischsyfte“) und zweitens vermitteln die wenigen davon abweichenden Sprachfassungen widersprüchliche Anhaltspunkte, da einige Fassungen Begriffe verwenden, die als „Imitation“ übersetzt werden können (BG „имитация“; EL „μίμηση“; HU „utánzat“) oder sogar als Stilnachahmung (LV „stilizācijās“), während andere Fassungen Begriffe verwenden, die eher ein „Patchwork“ von aus anderen Werken entnommenen Teilen suggerieren (CS, SK: „koláže“).


97      Zugegebenermaßen geht Art. 5 Abs. 3 Buchst. k auf einen Vorschlag der französischen Delegation im Rat der Europäischen Union zurück, der offenkundig an das französische Recht angelehnt war (vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft [SEK/2000/1734 endgültig, Abschnitt 3.2.4]). Dennoch kann der Ursprung einer unionsrechtlichen Bestimmung für sich genommen nicht ihre Auslegung vorgeben. Mit seiner Aufnahme in einen Unionsrechtsakt wurde der Begriff „Pastiche“ zu einem autonomen Begriff; mithin sollte der Gerichtshof seine Definition nicht auf die Rechtstraditionen eines einzigen Landes stützen.


98      Natürlich kann es eine gewisse Überschneidung zwischen den Begriffen „Parodie“ und „Pastiche“ geben. Wie bereits erwähnt, können solchermaßen definierte „Pastiches“ einen humoristischen oder kritischen Zweck verfolgen.


99      Vgl. u. a. Urteil Deckmyn (Rn. 21). In der Praxis wird ein „Pastiche“ jedoch für gewöhnlich „originell“ sein, da die diesbezügliche Schwelle niedrig ist. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass der künstlerische Wert des „Pastiches“ (also ob er gut oder schlecht ist), wie im Urheberrecht üblich (siehe oben, Fn. 20), für die Anwendung der entsprechenden Ausnahmeregelung ohne Belang ist.


100      Vgl. u. a. Urteil Deckmyn (Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


101      Nur der konkrete Ausdruck des betreffenden Stils in einem bestimmten Werk ist solchermaßen geschützt.


102      Zur Idee-Ausdruck-Dichotomie und der Abgrenzung zwischen gewöhnlichen und „originellen“ Elementen siehe oben, Nr. 26.


103      Vgl. Andersen/Stability AI sowie Getty Images/Stability AI, derzeit beim High Court (Hohes Gericht, Vereinigtes Königreich) anhängig.


104      So verklagte z. B. der Rechtsnachfolger des Co-Autors von Marvin Gayes Song „Let’s Get It On“ (1973) im Jahr 2018 Ed Sheeran, weil dieser für seinen eigenen Song „Thinking Out Loud“ angeblich eine Kombination von Akkordfolge und Rhythmus des genannten Songs „geklaut“ hatte. In beiden Fällen wurden die Verletzungsklagen schließlich mit der Begründung abgewiesen, dass die entlehnten Elemente zu gewöhnlich seien, um Urheberschutz zu rechtfertigen (vgl. United States Court of Appeals for the Second Circuit, 1. November 2024, Structured Asset Sales, LLC v. Sheeran, Nr. 23-905 [2d Cir. 2024]). Dennoch erzeugen derartige Prozesse Rechtsunsicherheit bei Musikern, die unverwechselbare Stile imitieren möchten. In der Europäischen Union würde die oben definierte „Pastiche“-Ausnahmeregelung die Rechtsposition von Schöpfern in dieser Hinsicht stärken.


105      Vgl. Döhl, F, oben in Fn. 79 angeführt, S. 427 bis 429. So beschuldigten die Erben von Marvin Gaye und seines Musikproduzenten im Jahr 2013 Pharrell Williams und Robin Thicke, für ihren Song „Blurred Lines“ charakteristische Phrasen, Hooks, Bassmelodien und Wortbilder aus Gayes Song „Got to give it up“ „geklaut“ zu haben. Die US-Gerichte entschieden, dass „Blurred Lines“ die Urheberrechte an „Got to give it up“ verletze, weil die Kombination von entlehnten stilistischen Elementen „einzigartig“ sei (vgl. United States Court of Appeals for the Ninth Circuit, 21. März 2018, Williams v. Gaye, 895 F.3d 1106 [9th Cir. 2018]). In der Europäischen Union wäre mit der „Pastiche“-Ausnahmeregelung ein solches Ergebnis vermeidbar gewesen, da „Blurred Lines“ als „Pastiche“ von „Got to give it up“ betrachtet worden wäre.


106      Sofern die Voraussetzungen des in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen Drei-Stufen-Tests erfüllt sind. In dieser Hinsicht könnte dieser Test insbesondere bei der Beurteilung der Zulässigkeit bestimmter nachgeahmter Kunstwerke, die von der KI durch das Scannen geschützter Werke und anderer Gegenstände erzeugt werden, entscheidend sein.


107      Vgl. entsprechend in Bezug auf die „Zitat“-Ausnahme nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie das Urteil Pelham I (Rn. 68).


108      Entsprechend imitiert Rochbergs „Nach Bach“ den Barock-Stil nicht nur durch die Übernahme bestimmter unverwechselbarer Formen, sondern auch durch die direkte Wiedergabe einiger „einzigartiger“ Teile aus Bachs Werken (vgl. Myung-Ji Lee, B., oben in Fn. 48 angeführt, S. 56).


109      Vgl. Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 424 und 425.


110      Zudem würde dies die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene „Zitat“-Ausnahme überflüssig machen, da jegliche Inhalte, die das Material Dritter wiederverwenden (auch als „Zitat“), als „Pastiche“ betrachtet werden könnten.


111      Ich weise darauf hin, dass einige deutsche Gerichte und Verfasser rechtswissenschaftlicher Literatur – obschon sie der von Pelham u. a., der deutschen Regierung und der Kommission vorgeschlagenen Definition von „Pastiche“ zustimmen – ihren Umfang einschränken, indem sie das Erfordernis der „künstlerischen Auseinandersetzung“ so interpretieren, dass der „Pastiche“ „antithematisch“, also eine kritische Befassung mit dem Quellmaterial, sein müsse (vgl. z. B. Landgericht Berlin, 2. November 2021, The Unkownable, ECLI:DE/LGBE:2021:1102:15O551.19.00) oder zumindest „in einen Dialog“ mit diesem Material eintreten müsse (vgl. Stieper, M., oben in Fn. 66 angeführt, S. 1662). Dieser alternativen Auslegung der „künstlerischen Auseinandersetzung“ schließt sich – anscheinend subsidiär – auch CG an. Nach diesem Verständnis würde die „Pastiche“-Ausnahme nur auf eine engere Untergruppe kreativer Wiederverwendungen Anwendung finden, wobei nutzergenerierte Inhalte überwiegend und die meisten Fälle von „Sampling“ ausgenommen wären, bei denen kein Dialog oder eine antithematische Befassung erkennbar ist. Ich kann jedoch keinen Nutzen bei dieser Auslegung erkennen. Ein Erfordernis, wonach die Nutzung „antithematisch“ sein muss, vermischt „Parodie“ und „Pastiche“ (siehe unten, Nr. 93). Das Erfordernis eines Dialogs verwechselt wiederum „Pastiche“ mit „Zitat“ (siehe unten, Nr. 88).


112      Als eine Ausnahme vom Urheberrecht erlaubt die „Fair Use“-Klausel in Section 107 des Urheberrechtsgesetzes der Vereinigten Staaten jegliche Nutzung geschützten Materials, die unter Berücksichtigung von Faktoren wie Zweck und Art der Nutzung, also z. B. zu gewerblichen Zwecken oder für gemeinnützige Bildungszwecke, die Art des urheberrechtlich geschützten Werks, der Umfang und die Erheblichkeit des genutzten Teils im Verhältnis zum urheberrechtlich geschützten Werk in seiner Gesamtheit sowie die Wirkung der Nutzung auf den potenziellen Markt für oder den Wert des urheberrechtlich geschützten Werks als „fair“ gilt.


113      Insbesondere ist innerhalb des aktuellen Regelungssystems gemäß Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie der in Abs. 5 vorgesehene Drei-Stufen-Test nicht als einzige Bedingung für die Gewährung einer Ausnahme gedacht. Die Funktion dieses Tests besteht nämlich darin, dass er den Anwendungsbereich der (bereits wenigen und engen) in Art. 5 Abs. 1 bis 4 dieser Richtlinie aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen noch weiter beschränkt. Selbst wenn eine solche Nutzung die Voraussetzungen einer dieser Ausnahmen und Beschränkungen erfüllt, ist diese Nutzung nur dann zulässig, wenn sie zudem den Drei-Stufen-Test besteht.


114      Vgl. 70. Erwägungsgrund der DSM-Richtlinie. Vgl. auch entsprechend in Bezug auf die „Parodie“-Ausnahme Urteil Deckmyn (Rn. 25 und 26).


115      Vgl. Urteile Funke Medien (Rn. 70) und Spiegel Online (Rn. 54).


116      Vgl. entsprechend Urteil Deckmyn (Rn. 25).


117      In Bezug auf das einzige Element, das aus den Vorarbeiten zur InfoSoc-Richtlinie stammt, siehe oben, Fn. 99.


118      Vgl. z. B. Gowers, A., Gowers Review of Intellectual Property, 2006, Abschnitte 4.86 bis 4.89, Empfehlung 11: „Propose that Directive 2001/29/EC be amended to allow for an exception for creative, transformative or derivative works, within the parameters of the Berne Three Step Test“.


119      Vgl. u. a. Europäische Kommission, Grünbuch – Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft, 16. Juli 2008, KOM(2008) 466 endg., S. 19 und 20.


120      Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Berichtsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (2014/2256[INI]), Abschnitt 13.


121      Vgl. u. a. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission – Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft, 19. Oktober 2009 (KOM[2009] 532 endg.), S. 9, und Europäisches Parlament, Entschließung vom 9. Juli 2015 zur Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2017, C 265, S. 121), Nr. 42.


122      Wohingegen der Unionsgesetzgeber ansonsten neue Ausnahmeregelungen einführte, die sich auf andere Online-Nutzungen beziehen (vgl. die Art. 3 bis 6 der DSM-Richtlinie). Mithin stellte der Gesetzgeber in dieser Richtlinie zwar fest, dass es „besonders wichtig [ist], um ein Gleichgewicht zwischen den in der Charta … verankerten Grundrechten … und dem Eigentumsrecht, auch betreffend das geistige Eigentum, zu schaffen“, dass eine Wiederverwendung geschützten Materials in gewissem Umfang in nutzergenerierten Inhalten, insbesondere „zu Zwecken des … Pastiche“, zulässig sein muss. Daraus folgt allerdings nicht, dass alle nutzergenerierten Inhalte als „Pastiche“ anzusehen sind.


123      Vgl. Urteile Funke Medien (Rn. 65 bis 76) und Spiegel Online (Rn. 50 bis 59).


124      Vgl. in diesem Sinne Urteile Funke Medien (Rn. 76) und Spiegel Online (Rn. 59).


125      Vgl. Pollaud-Dulian, F., oben in Fn. 74 angeführt. Wie die deutsche Regierung betont, könne erst recht die Tatsache, dass der 31. Erwägungsgrund der InfoSoc-Richtlinie darauf hinweist, dass die in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen „vor dem Hintergrund der neuen elektronischen Medien neu bewertet werden [müssen]“ (einschließlich neuartiger Nutzungen), nicht die Verzerrung der „Pastiche“-Ausnahmeregelung bis hin zu einem „Auffangtatbestand“ für kreative Wiederverwendungen, wie etwa nutzergenerierte Inhalte, rechtfertigen (vgl. Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 417 und 418).


126      Vgl. Erwägungsgründe 4 und 9 der InfoSoc-Richtlinie.


127      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Fn. 30).


128      Vgl. in Bezug auf Werke auch Art. 10 Abs. 1 der Berner Übereinkunft.


129      Vgl. Urteil Pelham I (Rn. 68 und 72).


130      Vgl. in diesem Sinne Urteil Pelham I (Rn. 72).


131      Es ist z. B. kaum vorstellbar, dass ein Jazzmusiker mitten im Refrain anhält, um dem Publikum zu erklären, dass er gerade Gershwins „Summertime“ zitiert hat.


132      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Nr. 68). Dies trägt auch dem Urheberpersönlichkeitsrecht der Anerkennung Rechnung, das Urhebern gewährt wird (siehe oben, Fn. 56).


133      Vgl. in diesem Sinne Urteil Pelham I (Rn. 71). Dies steht unter dem Vorbehalt des in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen „Drei-Stufen-Tests“. Je umfangreicher das Zitat ist, desto größer ist auch die Gefahr, dass der „zitierende“ Inhalt mit der normalen Verwertung der „zitierten“ Quelle konkurriert (vgl. Urteil Spiegel Online [Rn. 79]).


134      Urteil Pelham I (Rn. 71 bis 73). Ist das der Fall, könnte die „Zitat“-Ausnahme in Abweichung von den in Art. 2 Buchst. c bzw. Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie geregelten Rechten die Vervielfältigung sowohl des Tonträgers als auch des zugrunde liegenden Werks rechtfertigen.


135      Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Nr. 64).


136      Vgl. in diesem Sinne Urteil Pelham I (Rn. 72). Solange dies der Fall ist, kann das Quellmaterial meines Erachtens sogar in gewissem Maße modifiziert werden (andere Tonart, anderes Tempo etc.). Wenn das wiederverwendete geschützte Material jedoch so sehr verändert wird, dass es im neuen Inhalt nicht mehr „erkennbar“ ist, ist dies selbstverständlich nicht als „Zitat“ anzusehen, da es die Funktion eines Mittels zur „Interaktion“ nicht erfüllen kann (ebd., Rn. 73). In einem solchen Szenario liegt jedoch keine „Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 der InfoSoc-Richtlinie vor; damit ist die Inanspruchnahme einer Ausnahmeregelung in dieser Situation hinfällig.


137      Das umfasst meines Erachtens auch Beispiele, die von „Zitaten“ berühmter Melodien durch Jazzmusiker in ihren Improvisationen über Laurent Voulzys „Rockolletion“ (der in diesem Popsong Episoden aus seiner Jugendzeit anhand verschiedener Songs illustriert, denen er seinerzeit im Radio lauschte) bis hin zum „Zitieren“ von Volksliedern durch Bartok in seinen Kompositionen reichen (vgl. Myung-Ji Lee, B., oben in Fn. 48 angeführt, S. 38 und 39).


138      Wiederum in Rochbergs „Nach Bach“ zeigt sich ein offensichtlicher und beabsichtigter Kontrast zwischen den „zitierten“ Werken Bachs (die den strengen Harmonien und Strukturen des Barocks folgen) und den von Rochberg komponierten – atonalen – Partien (vgl. Myung-Ji Lee, B., oben in Fn. 48 angeführt, S. 56).


139      So ist insbesondere der Hip-Hop der frühen 1990er Jahre durch die Nutzung von „Samples“ geprägt, die Tonträgern entnommen wurden, die ikonische Werke der afrikanisch-amerikanischen Musik enthalten. Beabsichtigt war dies als erkennbare und an die Hip-Hop-Community gerichtete Anspielung. Verschiedene Hip‑Hop-Songs unterlegen solche „Samples“ sogar mit Kratzgeräuschen, Knistern und anderen Nebengeräuschen, um hervorzuheben, dass hier „echte“ Schallplatten gespielt und also andere Songs „zitiert“ werden (vgl. z. B. Williams, J. A., „Theoretical Approaches to Quotation in Hip-Hop Recordings“, Contemporary Music Review, Bd. 33, Nr. 2, 2014, S. 188 bis 209, insbesondere S. 193 bis 196).


140      Memes werden nur erfasst, falls die Bildunterschrift das entlehnte Bild kommentiert oder kritisiert oder es als Beleg für eine Aussage des Schöpfers nutzt. Die meisten Memes verwenden jedoch vorbestehende Bilder, um ihnen eine völlig neue Bedeutung zu verleihen, und nicht als Mittel der „Interaktion“ mit dem Quellwerk (vgl. Spina Ali, G., oben in Fn. 74 angeführt, S. 722 bis 724).


141      Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I (Nr. 67). Die allem Anschein nach paradoxe Konsequenz dieser Deutung ist, dass lange und erkennbare „Samples“ als „Zitate“ gelten können und damit erlaubnisfrei zulässig wären, während kurze, obskure Samples mit weniger offensichtlichen Bezügen dies nicht wären, obwohl die Beeinträchtigung der Interessen des Herstellers des wiederverwendeten Tonträgers im ersten Fall wohl sehr viel wahrscheinlicher ist als im zweiten. Nach meinem Dafürhalten sollten jedoch kurze und obskure „Samples“ das Vervielfältigungsrecht des Tonträgerherstellers überhaupt erst gar nicht greifen lassen (siehe unten, Abschnitt C).


142      In jedem Fall jedoch auf Einzelfallbasis unter dem Vorbehalt des in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie vorgesehenen Drei-Stufen-Tests.


143      Aufgrund des übergreifenden Charakters von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie und weil er insbesondere die verschiedenen Arten von Vervielfältigungsrechten einschränkt, könnte die „Parodie“-Ausnahmeregelung sowohl die Wiederverwendung eines Werks als auch z. B. die Wiederverwendung von Tonträgern, Filmen oder Sendungen rechtfertigen.


144      Vgl. Spina Ali, G., oben in Fn. 74 angeführt, S. 719.


145      In der Musik mag „Humor“ mitunter andere Formen annehmen als die herkömmliche Verspottung, könnte aus meiner Sicht aber hervorragend durch die stilistische Inkongruenz der Quellen erzielt werden, wie beispielsweise durch das Mixen von Volksliedern mit einer Death-Metal-Tonspur (vgl. Jacques, S., „Mash-ups and mixes – what impact have the recent copyright reforms had on the legality of sampling?“, Entertainment Law Review, Bd. 27, Nr. 1, 2016, S. 3 bis 10, insbesondere S. 6).


146      Den bereits erwähnten Film La classe américaine könnte man meiner Meinung nach als „Parodie“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der InfoSoc-Richtlinie qualifizieren.


147      Vgl. z. B. Tribunal judiciaire de Rennes (Gericht erster Instanz Rennes, Frankreich), 10. Mai 2021, Nr. 17/04478. In jener Rechtssache ging es um Bilder, in denen der Künstler die (urheberrechtlich geschützte) Figur des Tim (aus „Tim und Struppi“) in einem Kontext zeigt, der sich deutlich von seinem „normalen“ Umfeld unterscheidet, bis hin zu komischer Inkongruenz (z. B. Flirts mit Pin-ups, während Tims Sexualität in Hergés Werk überhaupt keine Rolle spielt).


148      Das liegt daran, dass das Urhebern an ihren Werken und Herstellern und Sendeunternehmen an ihren Tonträgern, Filmen und Sendungen gewährte Monopol nicht die freie Verbreitung von Ideen und gebräuchlichen Elementen verhindert, die für jegliche Art künftiger künstlerischer Schöpfungen unentbehrlich ist.


149      Vgl. u. a. Urteil vom 26. April 2022, Polen/Parlament und Rat (C‑401/19 P, EU:C:2022:297, Rn. 82), sowie entsprechend EGMR, 1. September 2022, Safarov/Aserbaidschan (CE:ECHR:2022:0901JUD000088512, § 30).


150      Vgl. u. a. Urteil vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a. (C‑336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 64).


151      Zudem könnten bei Nutzung des „Sample“ auch die verwandten Rechte des Interpreten in der Aufnahme greifen, so dass eine weitere Erlaubnis erforderlich wäre.


152      Es könnte nämlich sehr viel teurer sein, die Freigabe für ein Sample einzuholen als Farben und Pinsel zu kaufen. So werden beispielsweise die meisten Memes nicht zu Geld gemacht. Damit wäre die Leistung von Lizenzgebühren so gut wie unmöglich.


153      Natürlich gibt es zahlreiche Fälle, in denen Rechtsinhaber derivative Ausdrucksformen dulden. Dennoch bleiben diese Ausdrucksformen von ihrem Willen abhängig.


154      Vgl. in diesem Sinne Urteile Funke Medien (Rn. 57 und 58) und Spiegel Online (Rn. 42 und 43). Die Tatsache, dass die den Rechtsinhabern gewährten ausschließlichen Rechte nicht zeitlich unbegrenzt sind, trägt ebenfalls zu einem gewissen Ausgleich zwischen Alt und Neu bei. Dennoch wurde die Dauer der Rechte im Lauf der Zeit erheblich verlängert. Das Urheberrecht besteht nunmehr während der ganzen Lebensdauer des Urhebers und erlischt 70 Jahre nach seinem Tod. Die Rechte der Hersteller von Tonträgern erlöschen 50 Jahre nach der Aufzeichnung (bzw. nach der ersten rechtmäßigen Veröffentlichung) (vgl. jeweils Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. 2006, L 372, S. 12). Dies erschwert es, bei einer neuen Schöpfung zeitgenössische Kultur wiederzuverwenden. Das gilt insbesondere für das „Sampling“.


155      Damit will ich nicht sagen, dass Kopieren immer kreativ ist. Der Punkt ist, dass es kreativ sein könnte und dass das urheberrechtliche Regelungssystem dieser Tatsache nicht in vollem Umfang Rechnung trägt.


156      Vgl. Pollaud-Dulian, F., « Fait d’hiver »: la revanche des trois petits cochons sur le grand méchant Koons“, RTD Com, 2021, S. 818)


157      Vgl. Urteil vom 26. April 2017, Stichting Brein (C‑527/15, EU:C:2017:300, Rn. 70).


158      Es wird sogar argumentiert, dass die vielfache kreative Wiederverwendung den Wert des Quellmaterials noch erhöht. So könnte beispielsweise die Nutzung von „Samples“ vergessener Tonträger und musikalischer Werke das Interesse daran wieder erwecken und so z. B. die Zahl der rechtmäßigen „Streams“ solcher Werke auf Plattformen wie Spotify steigern (vgl. zum Beleg Schuster, W. M., „Fair use, girl talk, and digital sampling – An empirical study of music sampling’s effect on the market for copyrighted works“, Oklahoma Law Review, Bd. 67, Nr. 3, 2015).


159      Um genau zu sein: Diese Erwägungen werden berücksichtigt, allerdings nur im Anwendungsbereich einer bestimmten Ausnahme oder Beschränkung. Sofern eine Nutzung unter eine solche Ausnahme oder Beschränkung fällt, kommt der in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-Richtlinie vorgesehene Drei-Stufen-Test zur Anwendung und es wird berücksichtigt, ob die „Nutzung“ die „normale Verwertung“ des Quellwerks oder Schutzgegenstands beeinträchtigt. Es erfolgt jedoch keine weiter gehende Prüfung. Die Tatsache, dass kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, kann daher keine Abweichung rechtfertigen, wenn weder Ausnahmen noch Beschränkungen Anwendung finden.


160      Vgl. u. a. Urteil vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution (C‑157/14, EU:C:2015:823, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch entsprechend EGMR, 10. Januar 2013, Ashby Donald u. a./Frankreich (CE:ECHR:2013:0110JUD003676908, § 40).


161      Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C‑203/15 und C‑698/15 (EU:C:2016:572, Nr. 248).


162      Dies unterscheidet sich von der Frage, ob der Gesetzgeber den „Wesensgehalt“ eines Grundrechts verletzt hat. Die Achtung dieses „Wesensgehalts“ und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind zwei verschiedene Gebote, die auch so zu behandeln sind.


163      Vgl. Art. 5 des Grundgesetzes, der die Kunstfreiheit gewährleistet.


164      Siehe oben, Nr. 12.


165      Vgl. EGMR, 7. Dezember 1976, Handyside, CE:ECHR:1976:1207JUD000549372, § 49; Garben, S., „Fundamental rights in EU copyright harmonization – Balancing without a solid framework – Funke Medien, Pelham, Spiegel Online“, Common Market Law Review, Bd. 57, Nr. 6, 2020, S. 1909 bis 1932, insbesondere S. 1929 und 1930.


166      Vgl. entsprechend Urteil vom 3. September 2008, Kadi and Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 355 und die dort angeführte Rechtsprechung).


167      Vgl. entsprechend Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. (C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 104 bis 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).


168      Als 1961 das Rom-Abkommen abgeschlossen wurde, erforderte die Produktion von Schallplatten für gewöhnlich umfangreiche Investitionen (aufgrund der Kosten für Aufnahmestudios, Techniker, Mastering, Herstellung und Vertrieb von Schallplatten); es sind eben diese Kosten, die die Gewährung der verwandten Rechte an Tonträgerhersteller rechtfertigten (vgl. WIPO, Guide to the Rome Convention and to the Phonograms Convention, 1981, S. 11). In der juristischen Fachliteratur wird gelegentlich die Frage aufgeworfen, ob diese Begründung immer noch gültig ist, da z. B. die Aufnahme‑, Produktions- und Vertriebskosten für Tonträger nur noch einen Bruchteil dessen ausmachen, was früher dafür aufgewendet wurde (vgl. Hugenholtz, P. B., „Neighbouring rights are obsolete“, International Review of Intellectual Property and Competition Law, Bd. 50, Nr. 8, 2019, S. 1006 bis 1011).


169      Vgl. zehnter Erwägungsgrund der InfoSoc-Richtlinie. Aus der Entstehungsgeschichte des Rom-Abkommens ergibt sich, dass die insbesondere Tonträgerherstellern gewährten verwandten Rechte eine Reaktion auf die massive Zunahme von „Raubkopien“ von Schallplatten in den 1960er Jahren war, als preiswerte und einfach zu bedienende Aufnahmegeräte der Öffentlichkeit in zunehmendem Maße zur Verfügung standen (vgl. WIPO, Guide to the Rome Convention and to the Phonograms Convention, 1981, S. 11). Dieses Recht wurde geschaffen, um zu verhüten, dass sklavische Nachahmungen von Schallplatten auf den Markt kommen, da diese Kopien an die Stelle der Originale treten und die Hersteller daran hindern, ihre Investition zu amortisieren, was zur Folge hätte, dass sie den Anreiz verlieren, auch weiterhin in Tonträger zu investieren (vgl. Hugenholtz, P. B., oben in Fn. 169 angeführt, S. 1006 bis 1011; Westkamp, G., oben in Fn. 57 angeführt; Grisse, K., und Kaiser, C., oben in Fn. 36 angeführt, S. 79 und 80; sowie die oben in Nr. 12 erwähnte BVerfG-Entscheidung, Rn. 104).


170      Vgl. Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. (C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 107 und 108).


171      Desgleichen hat der Gerichtshof in Bezug auf das einem Datenbankhersteller über diese Datenbank gewährte Recht sui generis (vgl. Art. 7 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken [ABl. 1996, L 77, S. 20]) entschieden, dass Entnahmen oder Weiterverwendungen von Inhalten aus einer Datenbank nur dann unter das ausschließliche Recht fallen, „sofern diese Handlungen … eine Gefahr für die Möglichkeiten darstellen, diese Investition durch den normalen Betrieb der fraglichen Datenbank zu amortisieren“ (Urteil vom 3. Juni 2021, CV-Online Latvia, C‑762/19, EU:C:2021:434, Rn. 47), zumeist weil derartige Handlungen der Herstellung eines Ersatzprodukts nahekommen und dem Hersteller der Datenbank dadurch Einnahmen entgehen (ebd., Rn. 40).


172      Dehnte man die verwandten Schutzrechte auf derartige Ausschnitte aus, würde dies im Ergebnis bedeuten, dass Rechtsinhaber ein weiter gehendes Recht genießen, als es Urhebern über ihre Werke zusteht. Produzenten könnten effektiv verhindern, dass erkennbare „Samples“ aus ihren Tonträgern entnommen werden, währenddessen der Urheber des zugrunde liegenden Werks nachweisen müsste, dass das betreffende „Sample“ ein „ursprünglicher“ Teil dieses Werks ist. Bei kurzen oder nicht unterscheidungskräftigen „Samples“, die u. U. gebräuchliche Elemente enthalten und/oder zu kurz sind, um die „Originalität“ dieses Werks zu transportieren, wäre dies oftmals nicht der Fall. Unklar ist vor dem Hintergrund der jeweiligen Begründungen dieser beiden urheberrechtlichen Besitzstände auch, warum der „bloße“ Akt des Aufzeichnens einen besseren Schutz verdient als Kreativität.


173      Vgl. Senftleben, M., oben in Fn. 57 angeführt, S. 757 und 758; Arora, Y., „Music sampling and copyright – are the courts hung up on restricting creativity?“, Trinity College Law Review, Bd. 25, 2022, S. 168 bis 190; Westkamp, G., oben in Fn. 57 angeführt; und Kraetzig, V., „Pastiche als Fair Use?“, Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, 2024, S. 1 bis 9.


174      Vgl. Katz, M., oben in Fn. 46 angeführt; Arora, Y., oben in Fn. 74 angeführt, S. 172 bis 174; Bently, L., und Sherman, B., „Culture of copying – digital sampling and copyright law“, Entertainment Law Review, Bd. 3, Nr. 5, 1992, S. 158 bis 163, insbesondere S. 160.


175      Vgl. Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 422; und Arora, Y., oben in Fn. 74 angeführt, S. 184.


176      So auch Grisse, K., und Kaiser, C., oben in Fn. 37 angeführt, S. 80; Garben, S., oben in Fn. 166 angeführt, S. 1911, 1912, 1927 bis 1929; und Westkamp, G., oben in Fn. 57 angeführt.


177      Vgl. Urteil Pelham I (Rn. 36 bis 38).


178      Meiner Auffassung nach verpflichtet nämlich weder der Wortlaut von Art. 2 Buchst. c der InfoSoc-Richtlinie noch das mit dieser Richtlinie geschaffene Regelungssystem den Gerichtshof, die Worte „teilweise Vervielfältigung“ im Sinne dieser Bestimmung wörtlich auszulegen, so dass sie auch einen Ausschnitt aus einem Tonträger erfassen (Urteil Pelham I [Rn. 29 und 30]). Tatsächlich hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Urhebern über ihre Werke gewährten Vervielfältigungsrechte eine solche wörtliche Auslegung verworfen und stattdessen eine teleologische Auslegung übernommen. In dem entsprechenden Zusammenhang interpretierte der Gerichtshof die Worte „teilweise Vervielfältigung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie dergestalt, dass sie nicht jeden Auszug aus einem Werk erfassen, sondern nur diejenigen, die an der „Originalität“ des Ganzen teilhaben.


179      Wie er es z. B. in Art. 15 Abs. 1 der DSM-Richtlinie in Bezug auf die Presseverlagen gewährten Rechte für die Online-Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft getan hat.


180      Die den Urhebern nach internationalem und einzelstaatlichem Recht gewährten Urheberpersönlichkeitsrechte spiegeln dies wider (siehe oben, Fn. 56).


181      Von den verwandten Rechten von Herstellern und Sendeunternehmen abgesehen, werden in der Tat zahlreiche Memes, GIFs, Mashups, „Samples“ etc. gegen Urheberrechte verstoßen, weil sie „Original“-Teile von Werken enthalten.


182      Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es außergewöhnliche (vom Gesetzgeber nicht vorhersehbare) Umstände gibt, unter denen das Urheberrecht eine offensichtlich unverhältnismäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit darstellen könnte, die es rechtfertigen könnte, dass ein Richter eine auf diese Freiheit gestützte Nutzung frei zulässt (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham I, Nr. 98).


183      Vgl. Erwägungsgründe 9 bis 11 und 14 der InfoSoc-Richtlinie.


184      Wie der „gerechte Ausgleich“, der für Privatkopien gewährt wird (vgl. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der InfoSoc-Richtlinie). Überdies würde in Bezug auf die Wiederverwendung von Werken das im Rahmen der Berner Übereinkunft entwickelte Urheberpersönlichkeitsrecht auf Integrität gewahrt, wenn es dem Urheber gestattet wäre, nur Wiederverwendungen zu verhindern, die seinem Ansehen oder seiner Ehre schaden könnten. Das Urheberpersönlichkeitsrecht der Anerkennung wäre gewahrt, wenn die Schöpfer von morgen verpflichtet würden, ihre Quellen anzugeben. Dies wäre durchaus zumutbar.


185      Vgl. Geiger, C., „Freedom of artistic creativity and copyright law – a compatible combination?“, UC Irvine Law Review, Bd. 8, Ausgabe 3, 2018, S. 413 bis 458; McDonagh, L. T., „Is the creative use of musical works without licence acceptable under copyright law“, International Review of Intellectual property and Competition Law, Bd. 43, Nr. 4, 2012, S. 401 bis 426; Senftleben, M., oben in Fn. 57 angeführt, S. 751 bis 769; Westkamp, G., oben in Fn. 57 angeführt; Döhl, F., oben in Fn. 79 angeführt, S. 387, 417, 440 bis 443.


186      Um dem dreistufigen Test zu genügen, der in den verschiedenen für die Europäische Union verbindlichen internationalen Übereinkünften vorgesehen ist und der die Schaffung neuer Ausnahmeregelungen vom Urheberrecht oder den verwandten Schutzrechten einschränkt (vgl. Art. 9 Abs. 2 der Berner Übereinkunft, Art. 13 des TRIPS-Übereinkommens, Art. 10 Abs. 1 und 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags und Art. 16 Abs. 1 und 2 des WPPT 1996), und um insbesondere das Kriterium der „Sonderfälle“ zu erfüllen, müsste eine solche Ausnahmeregelung durch notwendige und hinreichende Voraussetzungen eingegrenzt sein. Ob die Nutzung die beiden anderen Kriterien erfüllt (keine Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werks oder Schutzgegenstands und keine ungebührliche Verletzung der berechtigten Interessen der Rechtsinhaber), wäre dann von den Gerichten fallweise zu beurteilen.