URTEIL DES GERICHTSHOFES
17. Juli 1997(1)
[234s„Artikel 177 Zuständigkeit des Gerichtshofes Nationale Rechtsvorschriften,
die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen Zollkodex der Gemeinschaften
Rechtsbehelf Aussetzung einer zollrechtlichen Entscheidung
Sicherheitsleistung“[s
In der Rechtssache C-130/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Hessischen
Finanzgericht, Kassel, in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Bernd Giloy
gegen
Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 244
der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur
Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, J. L. Murray und
L. Sevón sowie der Richter C. N. Kakouris, P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann,
D. A. O. Edward (Berichterstatter), J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann und
H. Ragnemalm,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen der Kommission der
Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Claudia Schmidt, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kommission in der Sitzung vom
4. Juni 1996,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17.
September 1996,
folgendes
Urteil
- Das Hessische Finanzgericht, Kassel, hat mit Beschluß vom 31. März 1995, beim
Gerichtshof eingegangen am 21. April 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier
Fragen nach der Auslegung von Artikel 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften
(ABl. L 302, S. 1; nachstehend: Zollkodex) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Giloy
(Antragsteller) und dem Hauptzollamt Frankfurt am Main-Ost (Antragsgegner)
wegen eines Haftungsbescheids für eine Einfuhrumsatzsteuerschuld in Höhe von
293 870,76 DM (angefochtener Bescheid).
- Gemäß Artikel 244 Absatz 2 des Zollkodex setzen die Zollbehörden im Rahmen
eines Rechtsbehelfs gegen eine zollrechtliche Entscheidung deren Vollziehung ganz
oder teilweise aus, „wenn sie begründete Zweifel an [ihrer] Rechtmäßigkeit ...
haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte“.
- Artikel 244 Absatz 3 lautet:
„Bewirkt die angefochtene Entscheidung die Erhebung von Einfuhr- oder
Ausfuhrabgaben, so wird die Aussetzung der Vollziehung von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht. Diese Sicherheitsleistung braucht jedoch
nicht gefordert zu werden, wenn eine derartige Forderung aufgrund der Lage des
Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen
könnte.“
- Die deutsche Fassung des letzten Satzes dieser Bestimmung lautete ursprünglich:
„Diese Sicherheitsleistung darf jedoch nicht gefordert werden, wenn ...“; sie wurde
geändert, um sie an die übrigen Sprachfassungen anzugleichen. Die geänderte
Fassung ist in Randnummer 4 wiedergegeben. Auch die italienische Fassung wurde
entsprechend geändert (ABl. 1996, L 97, S. 38 der deutschen und der italienischen
Ausgabe).
- Gemäß Artikel 192 Absatz 1 des Zollkodex setzen die Zollbehörden, falls die
Sicherheitsleistung nach dem Zollrecht zwingend vorgeschrieben ist, diese
Sicherheit in einer Höhe fest, die dem genauen Betrag der zu sichernden Schuld
oder, wenn dieser nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann, dem höchstmöglichen
Betrag der Schuld entspricht, die entstanden ist oder entstehen kann.
- Nach Artikel 192 Absatz 2 setzen die Zollbehörden, falls die Sicherheitsleistung
nach dem Zollrecht nicht zwingend vorgeschrieben ist, sie aber eine Sicherheit
verlangen, deren Betrag so fest, daß er nicht höher ist als der nach Absatz 1
festzusetzende Betrag.
- Artikel 9 Absatz 1 des Zollkodex lautet: „Eine begünstigende Entscheidung wird
widerrufen oder geändert, wenn in anderen als den in Artikel 8 bezeichneten Fällen
eine oder mehrere der Voraussetzungen für ihren Erlaß nicht erfüllt waren oder
nicht mehr erfüllt sind.“
- Vor dem Inkrafttreten des Zollkodex enthielt § 69 Absätze 2 und 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) die Voraussetzungen für die Aussetzung der
Vollziehung von Abgabenbescheiden der Steuerbehörden, zu denen auch
Zollbescheide gehören. Nach der deutschen Rechtsprechung und Lehre sind diese
nach wie vor geltenden Bestimmungen in allen Fällen im Einklang mit Artikel 244
des Zollkodex anzuwenden.
- Gemäß § 21 Absatz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gelten für die
Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Folglich ist § 69
Absätze 2 und 3 FGO auf Anträge auf Aussetzung der Vollziehung von
Einfuhrumsatzsteuerbescheiden anwendbar.
- Der Antragsgegner erließ am 28. März 1990 den angefochtenen Bescheid gegen
den Antragsteller. Dieser legte beim Antragsgegner gegen den Bescheid Einspruch
ein, der am 17. September 1991 als unbegründet zurückgewiesen wurde, und erhob
am 23. Oktober 1991 beim Hessischen Finanzgericht Klage auf Aufhebung des
angefochtenen Bescheids.
- Mit Verfügung vom 16. August 1994 vollstreckte das Hauptzollamt Fulda die
zentrale Vollstreckungsstelle für Hessen den angefochtenen Bescheid durch
Pfändung und Einziehung des Arbeitseinkommens des Antragstellers. Der
rückständige Betrag belief sich damals zusammen mit Säumniszuschlägen auf
451 092,76 DM. In Anbetracht der Höhe dieser Forderung wurde der Antragsteller
mit Wirkung vom 16. September 1994 von seinem Arbeitgeber entlassen und
bezieht seitdem Sozialhilfe.
- Der Antragsteller beantragte beim Hessischen Finanzgericht gemäß § 21 Absatz
2 UStG in Verbindung mit § 69 Absatz 3 FGO die Aussetzung der Vollziehung des
angefochtenen Bescheids. Er machte geltend, daß begründete Zweifel an der
Rechtmäßigkeit dieses Bescheids bestünden. Außerdem müsse seinem Antrag
deshalb stattgegeben werden, weil er aufgrund der Gehaltspfändung seinen
Arbeitsplatz verloren und damit einen unersetzbaren Schaden erlitten habe. Sein
früherer Arbeitgeber habe ihm versichert, daß er wieder eingestellt werde, wenn
die Vollstreckung des angefochtenen Bescheids nicht mehr drohe. Aufgrund seiner
persönlichen wirtschaftlichen Lage könne von ihm im übrigen gemäß Artikel 244
Absatz 3 des Zollkodex keine Sicherheitsleistung gefordert werden, wenn die
Vollziehung ausgesetzt werde.
- Der Antragsgegner vertritt dagegen die Auffassung, daß keine begründeten Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden und daß dem
Antragsteller durch die Vollstreckung dieses Bescheids auch kein unersetzbarer
Schaden entstehen würde.
- Das nationale Gericht sieht sich gehalten, Artikel 244 des Zollkodex anzuwenden;
es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Stehen die beiden in Artikel 244 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr.
2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der
Gemeinschaften genannten Voraussetzungen
- begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit
oder
- unersetzbarer Schaden für den Beteiligten
völlig unabhängig nebeneinander, so daß eine Aussetzung der Vollziehung
auch dann zu gewähren ist, wenn wegen der Rechtmäßigkeit des
Abgabenbescheids, hinsichtlich dessen die Aussetzung der Vollziehung
begehrt wird, keine Zweifel bestehen, die Möglichkeit des Eintritts eines
unersetzbaren Schadens für den Beteiligten aber bejaht wird?
Falls die erste Frage bejaht wird:
2. Schließt das Vorliegen der im zweiten Anstrich genannten Voraussetzung
zwangsläufig die Anforderung einer Sicherheitsleistung aus, oder bedarf es
dazu weiterer wenn ja welcher Voraussetzungen?
3. Stellt der drohende der eventuell infolge der Fälligkeit der
Abgabenforderung schon eingetretene Verlust des Arbeitsplatzes eine
„ernste Schwierigkeit wirtschaftlicher oder sozialer Art“ dar, auch wenn
infolge der innerstaatlichen Gesetze das Existenzminimum z. B. durch
Sozialhilfe gesichert wird?
4. Ist bei Gewährung von Aussetzung der Vollziehung die Sicherheitsleistung
immer in Höhe des Abgabenbetrags festzusetzen, oder besteht die
Möglichkeit, diese unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen
Situation des Antragstellers auf einen Teilbetrag zu beschränken?
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofes
- Im Hinblick auf die Tatsache, daß der Ausgangsrechtsstreit die Erhebung von
Umsatzsteuern und nicht von Zöllen betrifft, weist die Kommission darauf hin, daß
die fraglichen Bestimmungen des Zollkodex auf diesen Rechtsstreit nur aufgrund
des innerstaatlichen deutschen Rechts anwendbar seien. Der Zollkodex gelte
nämlich nach seinem Wortlaut nicht für Einfuhrumsatzsteuern (vgl. Artikel 4 Nr.
10 des Zollkodex). Es sei daher fraglich, ob der Gerichtshof für die Entscheidung
über die ihm vorgelegten Fragen zuständig sei.
- Die Kommission ist allerdings der Ansicht, daß die Zuständigkeit des Gerichtshofes
im vorliegenden Fall zu bejahen sei. Sie stützt sich dabei u. a. auf das Urteil vom
18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89 (Dzodzi, Slg. 1990,
I-3763, Randnr. 37) und auf die Tatsache, daß die fraglichen Bestimmungen des
Zollkodex auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar seien, wenn auch nur auf der
Grundlage des nationalen Rechts.
- In Beantwortung entsprechender Fragen des Gerichtshofes haben sich der
Antragsteller und der Antragsgegner sowie die deutsche Regierung der Auffassung
der Kommission angeschlossen. Die deutsche Regierung hat darauf hingewiesen,
daß die deutschen Zollbehörden bei der Einfuhr für die Erhebung sowohl der Zölle
als auch der Umsatzsteuern verantwortlich seien. Außerdem würden beide
Abgaben regelmäßig gleichzeitig und im selben Bescheid festgesetzt. Folglich seien
die dabei anzuwendenden Verfahren identisch, so daß die einschlägigen
Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden müßten. Zu diesen Verfahren gehörten
auch die in Artikel 244 des Zollkodex vorgesehenen Verfahren, soweit diese im
Rahmen der nationalen Regelung über die Erhebung von Zöllen beachtet werden
müßten.
- Nach Artikel 177 EG-Vertrag entscheidet der Gerichtshof im Wege der
Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Vertrages und der Handlungen der
Organe der Gemeinschaft.
- Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Artikel 177 EG-Vertrag vorgesehene
Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den
nationalen Gerichten. Folglich ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befaßten
nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche
Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen
Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß ihres
Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten
Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil Dzodzi, a. a. O., Randnrn. 33 und 34, und
Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-231/89, Gmurzynska-Bscher,
Slg. 1990, I-4003, Randnrn. 18 und 19).
- Betreffen die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung
einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher
grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 35 bzw. 20). Weder aus dem Wortlaut des Artikels 177
noch aus dem Zweck des dort vorgesehenen Verfahrens ergibt sich, daß die
Verfasser des EG-Vertrags von der Zuständigkeit des Gerichtshofes die
Vorabentscheidungsersuchen hätten ausschließen wollen, die eine
Gemeinschaftsbestimmung in dem besonderen Fall betreffen, daß das nationale
Recht eines Mitgliedstaats auf sie verweist, um einen rein internen Sachverhalt zu
regeln (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 36 bzw. 25).
- Ein von einem nationalen Gericht gestelltes Ersuchen kann nur zurückgewiesen
werden, wenn sich zeigt, daß das Verfahren des Artikels 177 EG-Vertrag
zweckentfremdet wurde und der Gerichtshof in Wirklichkeit mittels eines
konstruierten Rechtsstreits zu einer Entscheidung veranlaßt werden soll, oder wenn
es auf der Hand liegt, daß das Gemeinschaftsrecht auf den konkreten Sachverhalt
weder unmittelbar noch mittelbar angewandt werden kann (vgl. in diesem Sinn
Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 40 bzw. 23).
- In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof wiederholt seine
Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht, die
Gemeinschaftsvorschriften in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens nicht unter das Gemeinschaftsrecht fiel, aber die genannten
Vorschriften entweder durch das nationale Recht oder aufgrund bloßer
Vertragsbestimmungen für anwendbar erklärt worden waren (vgl. in bezug auf die
Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach nationalem Recht Urteile Dzodzi und
Gmurzynska-Bscher sowie Urteile vom 26. September 1985 in der Rechtssache
166/84, Thomasdünger, Slg. 1985, 3001, und vom 24. Januar 1991 in der
Rechtssache C-384/89, Tomatis und Fulchiron, Slg. 1991, I-127, und in bezug auf
die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach Vertragsbestimmungen Urteile vom
25. Juni 1992 in der Rechtssache C-88/91, Federconsorzi, Slg. 1992, I-4035, und
vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-73/89, Fournier, Slg. 1992, I-5621;
im folgenden: Dzodzi-Rechtsprechung). In diesen Urteilen hatten die nationalen
oder vertraglichen Bestimmungen, die die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen,
deren Anwendung augenscheinlich nicht eingeschränkt.
- Im Urteil vom 28. März 1995 in der Rechtssache C-346/93 (Kleinwort Benson, Slg.
1995, I-615) hat der Gerichtshof dagegen seine Zuständigkeit für die Entscheidung
über ein Vorabentscheidungsersuchen verneint, das sich auf das Übereinkommen
vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32;nachstehend: Übereinkommen) bezog.
- In Randnummer 19 dieses Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß die
Vorschriften des Übereinkommens, die dem Gerichtshof zur Auslegung unterbreitet
wurden, anders als in der Dzodzi-Rechtsprechung nicht als solche durch das Recht
des betreffenden Vertragsstaats für anwendbar erklärt worden waren. In
Randnummer 16 dieses Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, daß sich das
fragliche nationale Gesetz darauf beschränkte, das Übereinkommen als Muster zu
nehmen, und dessen Begriffe nur zum Teil wiedergab. Ferner hat er in
Randnummer 18 festgestellt, daß das Gesetz für die Behörden des betreffenden
Vertragsstaats ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, Änderungen vorzunehmen, die
zwischen seinen Vorschriften und den entsprechenden Vorschriften des
Übereinkommens „eine Divergenz ... herbeiführen sollen“. Darüber hinaus wurde
im Gesetz ausdrücklich zwischen den auf Sachverhalte mit Gemeinschaftsbezug und
den auf interne Sachverhalte anwendbaren Bestimmungen unterschieden. Im
erstgenannten Fall waren die nationalen Gerichte bei der Auslegung der
einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes an die Rechtsprechung des
Gerichtshofes zum Übereinkommen gebunden, während sie sie im letztgenannten
Fall nur zu berücksichtigen brauchten und somit von ihr abweichen konnten.
- Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten kein Anhaltspunkt dafür, daß der
Ausgangsrechtsstreit nicht unter Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Normen
entschieden wird.
- Aus diesen Akten geht vielmehr hervor, daß die fraglichen Bestimmungen des
nationalen Rechts in gleicher Weise und bisweilen sogar gleichzeitig sowohl auf
Sachverhalte, die dem nationalen Recht unterliegen, als auch auf Sachverhalte
angewandt werden, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Nach nationalem
Recht sind diese Bestimmungen einheitlich auszulegen und anzuwenden,
gleichgültig, ob nationales oder Gemeinschaftsrecht Anwendung findet. Bei ihrer
Anwendung auf Sachverhalte, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen, sind diese
Bestimmungen im Einklang mit Artikel 244 des Zollkodex auszulegen und
anzuwenden. Folglich verlangt das nationale Recht, daß die fraglichen nationalen
Bestimmungen stets im Einklang mit diesem Artikel angewandt werden.
- Wenn sich also nationale Rechtsvorschriften, wie hier, zur Regelung eines
innerstaatlichen Sachverhalts nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen
Regelungen richten, um sicherzustellen, daß in vergleichbaren Fällen ein
einheitliches Verfahren angewandt wird, besteht ein klares Interesse der
Gemeinschaft daran, daß die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen
Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen
sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige
Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in diesem Sinn Urteil Dzodzi, a. a. O.,
Randnr. 37).
- Nach alledem ist der Gerichtshof für die Entscheidung über die ihm vorgelegten
Fragen zuständig.
Zur ersten Frage
- Zwischen den beiden in dieser Frage erwähnten Voraussetzungen steht in allen
Sprachfassungen von Artikel 244 Absatz 2 des Zollkodex die koordinierende
Konjunktion „oder“. Dieses Wort kann zwar gelegentlich die Verbindung zwischen
zwei Satzteilen anzeigen, aber hier trennt es eindeutig die genannten
Voraussetzungen.
- Aus dem Wortlaut der Bestimmung geht somit hervor, daß nach dem Willen des
Gemeinschaftsgesetzgebers die beiden fraglichen Voraussetzungen zwei gesonderte
Gründe darstellen sollen, die jeweils für sich die Aussetzung der Vollziehung einer
angefochtenen Entscheidung rechtfertigen.
- Diese Auslegung wird im übrigen durch die Entstehungsgeschichte des Zollkodex
bestätigt. Im Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des
Zollkodex der Gemeinschaften, den die Kommission dem Rat am 21. März 1990
vorlegte, bestand der einzige Grund, der die Aussetzung der Vollziehung einer
angefochtenen Entscheidung rechtfertigte, in berechtigten, von den Zollbehörden
anerkannten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung
(Artikel 243 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags, ABl. 1990, C 128, S. 1).
- Der Wirtschafts- und Sozialausschuß wies in seiner Stellungnahme zu diesem
Vorschlag bei Artikel 243 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags darauf hin, daß „es
wünschenswert [wäre], eine Bestimmung vorzusehen, nach der die Vollziehung auch
in solchen Fällen ausgesetzt wird, die für den Betroffenen eine unbillige und nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätten“ (ABl.
1991, C 60, S. 5, S. 11).
- Da die Kommission ihren Verordnungsvorschlag nicht entsprechend änderte (ABl.
1991, C 97, S. 11), ergänzte der Rat selbst Artikel 244 Absatz 2 des Zollkodex um
den Satzteil „... oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen
könnte“ (vgl. Artikel 244 Absatz 2 des vom Rat am 14. Mai 1992 festgelegten und
im ABl. 1992, C 149, S. 1, mitgeteilten gemeinsamen Standpunkts).
- Bei der Auslegung des Begriffes „unersetzbarer Schaden“ ist an den Begriff „nicht
wiedergutzumachender Schaden“ anzuknüpfen, der zu den Voraussetzungen für die
in Artikel 185 EG-Vertrag vorgesehene Aussetzung der Durchführung einer
Handlung gehört (vgl. zum Erfordernis eines nicht wiedergutzumachenden
Schadens Beschluß des Gerichtshofes vom 19. Juli 1995 in der Rechtssache
C-149/95 P[R], Kommission/Atlantic Container Line u. a., Slg. 1995, I-2165,
Randnr. 22).
- Insoweit verlangt die Voraussetzung des „nicht wiedergutzumachenden Schadens“
nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß der Richter der einsteiligen
Anordnung prüft, ob bei Aufhebung der streitigen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren die Lage, die durch den sofortigen Vollzug dieser
Entscheidung entstünde, umgekehrt werden könnte, und andererseits ob die
Aussetzung des Vollzugs dieser Entscheidung deren volle Wirksamkeit behindern
könnte, falls die Klage abgewiesen würde (vgl. in diesem Sinn vorerwähnten
Beschluß Kommission/Atlantic Container Line u. a., Randnr. 50).
- Wie der Gerichtshof entschieden hat, ist ein finanzieller Schaden grundsätzlich nur
dann als schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden anzusehen, wenn er
im Fall eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht
vollständig ersetzt werden könnte (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 26.
September 1988 in der Rechtssache 229/88 R, Cargill u. a./Kommission, Slg. 1988,
5183, Randnr. 17).
- Kann der sofortige Vollzug einer angefochtenen Handlung jedoch zur Auflösung
einer Gesellschaft führen oder einen einzelnen dazu zwingen, seine Wohnung zu
verkaufen, so ist die Voraussetzung für einen nicht wiedergutzumachenden Schaden
erfüllt (vgl. Beschlüsse des Gerichts vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache
T-88/94 R, Société commerciale des potasses et de l'azote und Entreprise minière
et chimique/Kommission, Slg. 1994, II-401, Randnr. 33, und vom 7. November 1995
in der Rechtssache T-168/95 R, Eridania u. a./Rat, Slg. 1995, II-2817, Randnr. 42,
und Beschluß des Gerichtshofes vom 3. Juli 1984 in der Rechtssache 141/84 R, De
Compte/Parlament, Slg. 1984, 2575, Randnr. 5).
- Dabei muß das unmittelbare Bevorstehen des geltend gemachten Schadens nicht
mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden. Insbesondere wenn die Entstehung des
Schadens vom Eintritt einer Reihe von Faktoren abhängt, genügt es, daß er mit
einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist (vgl. in diesem
Sinn vorerwähnten Beschluß Kommission/Atlantic Container Line u. a.,
Randnr. 38).
- Schließlich können die Zollbehörden die Aussetzung nach Artikel 9 Absatz 1 des
Zollkodex widerrufen, wenn trotz der Aussetzung der Vollziehung gemäß Artikel
244 Absatz 2 des Zollkodex der unersetzbare Schaden, der ihre Anordnung
gerechtfertigt hat, später aus anderen Gründen eintritt.
- Im vorliegenden Fall ist den Akten des Ausgangsverfahrens zu entnehmen, daß der
Schaden, den der Antragsteller bei sofortiger Vollziehung der angefochtenen
Entscheidung erleiden würde, die Fortdauer seiner Arbeitslosigkeit ist. Aus den
Akten geht jedoch nicht hervor, daß er im Fall des Obsiegens im
Hauptsacheverfahren und selbst dann, wenn der Arbeitgeber ihn wieder einstellen
würde, berechtigt wäre, von den Zollbehörden Ersatz für die entgangenen
Arbeitseinkünfte zu verlangen. Im übrigen kann nicht ausgeschlossen werden, daß
der Antragsteller bei sofortiger Vollziehung der angefochtenen Entscheidung
andere, unter Umständen unersetzbare Schäden erleiden könnte, wie sie sich z. B.
aus der Pfändung seines Vermögens und dessen Verteilung an seine Gläubiger
ergeben würden.
- Es ist somit Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller im
Ausgangsverfahren relevanten Umstände zu prüfen, ob dem Antragsteller im Fall
der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ein unersetzbarer Schaden im
dargelegten Sinn droht.
- In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist auf die erste Frage zu antworten,
daß die Zollbehörden die Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen
Entscheidung nach Artikel 244 Absatz 2 des Zollkodex ganz oder teilweise
aussetzen, wenn auch nur eine der beiden dort genannten Voraussetzungen erfüllt
ist, so daß eine Aussetzung zu erfolgen hat, wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer
Schaden droht; Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung
brauchen nicht zu bestehen.
Zur zweiten Frage
- Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Zollbehörden die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung dann nicht von
einer Sicherheitsleistung abhängig machen dürfen, wenn dem Beteiligten bei
sofortiger Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht.
- Die Gefahr eines unersetzbaren Schadens rechtfertigt zwar nach Artikel 244 Absatz
2 des Zollkodex die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung,
spielt aber im Hinblick auf das Erfordernis einer Sicherheitsleistung keine Rolle.
- Aus Artikel 244 Absatz 3 Satz 1 des Zollkodex ergibt sich, daß die Aussetzung der
Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung in der Regel von einer
Sicherheitsleistung abhängig zu machen ist, auch wenn die Aussetzung erfolgt, weil
dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden droht.
- Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist der Fall des Artikels 244 Absatz 3 Satz
2 des Zollkodex, daß die Forderung einer Sicherheitsleistung aufgrund der Lage des
Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen
könnte.
- Wenn derartige Schwierigkeiten vorliegen, können die Zollbehörden entscheiden,
ob es zweckmäßig ist, die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung
abhängig zu machen. Auch wenn zur entscheidungserheblichen Zeit die vor der
1996 erfolgten Änderung geltende deutsche Fassung von Artikel 244 Absatz 3 Satz
2 des Zollkodex anzuwenden war, geht aus dem Wortlaut aller übrigen damals
geltenden Sprachfassungen der Bestimmung mit Ausnahme der italienischen
klar hervor, daß die Zollbehörden unter solchen Umständen stets berechtigt sind,
die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
- Auf die zweite Frage ist folglich zu antworten, daß die Zollbehörden die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung auch
dann von einer Sicherheitsleistung abhängig machen dürfen, wenn dem Beteiligten
bei sofortiger Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht. Kann die Forderung
einer Sicherheitsleistung jedoch aufgrund der Lage des Schuldners zu ernsten
Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen, so brauchen die
Zollbehörden keine Sicherheitsleistung zu fordern.
Zur dritten Frage
- Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob es bei
einem arbeitslosen Schuldner, der seit seiner Entlassung Sozialhilfe bezieht, zu
ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen kann, wenn die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung von
einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird.
- Ob es bei einem Schuldner zu derartigen Schwierigkeiten führen kann, wenn von
ihm eine Sicherheitsleistung gefordert wird, müssen die Zollbehörden anhand aller
mit der insbesondere finanziellen Lage des Schuldners zusammenhängenden
Umstände prüfen.
- Im vorliegenden Fall geht aus den Akten des Ausgangsverfahrens hervor, daß der
Antragsteller arbeitslos ist und seit seiner Entlassung Sozialhilfe bezieht. Diese
Entlassung ist erfolgt, bevor er die Aussetzung der Vollziehung der von ihm
angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung beantragt hat. Aus den Akten geht
ferner hervor, daß der Antragsteller dem vorlegenden Gericht vorgetragen hat, daß
er aufgrund seiner finanziellen Lage keine Sicherheitsleistung erbringen könne. Das
Gericht stellt jedoch nicht klar, ob dies tatsächlich der Fall ist.
- Allerdings würde die Forderung einer Sicherheitsleistung einen Schuldner, der nicht
über ausreichende Mittel verfügt, in ernste Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art
bringen. Nach dem Wortlaut des Zollkodex brauchen die Zollbehörden somit die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung nicht von einer
Sicherheitsleistung abhängig zu machen, wenn es dem Schuldner unmöglich ist, eine
Sicherheitsleistung zu erbringen.
- Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß es bei einem Schuldner, der nicht
über ausreichende Mittel für eine Sicherheitsleistung verfügt, zu ernsten
Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen kann, wenn die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung von
einer solchen Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird.
Zur vierten Frage
- Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die
Sicherheit in Höhe des Betrages der streitigen Schuld festgesetzt werden muß oder
ob dieser Betrag unter Berücksichtigung der finanziellen Lage des Schuldners auf
einen Teil der Gesamtschuld beschränkt werden kann, wenn die Aussetzung der
Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung von einer
Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird.
- In Artikel 192 des Zollkodex wird zwischen einer zwingend und einer nicht
zwingend vorgeschriebenen Sicherheitsleistung unterschieden.
- Gemäß Artikel 192 Absatz 1 ist eine Sicherheit, deren Leistung zwingend
vorgeschrieben ist, in einer Höhe festzusetzen, die dem genauen Betrag einer
Schuld oder, wenn dieser nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann, dem
höchstmöglichen Betrag der Schuld entspricht, die entstanden ist oder entstehen
kann.
- Bei einer nicht zwingend vorgeschriebenen Sicherheitsleistung wird dagegen in
Artikel 192 Absatz 2 keine Mindesthöhe für die Sicherheit bestimmt. Vielmehr ist
dort nur vorgesehen, daß eine derartige Sicherheit einen Höchstbetrag, und zwarden in Absatz 1 genannten Betrag, nicht übersteigen darf.
- Daraus folgt, daß die Sicherheit bei einer nicht zwingend vorgeschriebenen
Sicherheitsleistung auf einen niedrigeren Betrag als den der Schuld oder, wenn
dieser nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann, den höchstmöglichen Betrag der
Schuld, die entstanden ist oder entstehen kann, festgesetzt werden kann. Bei der
Festsetzung des für eine solche Sicherheit angemessenen Betrages haben die
Zollbehörden alle relevanten Umstände einschließlich der finanziellen Lage des
Schuldners zu berücksichtigen.
- Wie der Gerichtshof bereits in Randnummer 46 des vorliegenden Urteils ausgeführt
hat, schreibt Artikel 244 Absatz 3 des Zollkodex eine Sicherheitsleistung in der
Regel zwingend vor. Die Sicherheit ist folglich normalerweise in Höhe des genauen
Betrages der Schuld oder, wenn dieser nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann, des
höchstmöglichen Betrages der Schuld festzusetzen, die entstanden ist oder
entstehen kann.
- Könnte die Forderung einer Sicherheitsleistung jedoch aufgrund der Lage des
Schuldners zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen, so
können die Zollbehörden gemäß Satz 2 dieser Bestimmung von einer
Sicherheitsleistung absehen (vgl. Randnrn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils).
- Da es im vorliegenden Fall um eine nicht zwingend vorgeschriebene
Sicherheitsleistung geht, kann die Sicherheit unter Berücksichtigung aller relevanten
Umstände einschließlich der finanziellen Lage des Schuldners auf jeden Betrag
festgesetzt werden, der den Gesamtbetrag der Schuld oder, wenn dieser nicht
zweifelsfrei ermittelt werden kann, den höchstmöglichen Betrag der Schuld, die
entstanden ist oder entstehen kann, nicht übersteigt.
- Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, daß die Sicherheit, wenn die
Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung
gemäß Artikel 244 Absatz 3 des Zollkodex von einer Sicherheitsleistung abhängig
gemacht wird, in Höhe des genauen Betrages der Schuld oder, wenn dieser nicht
zweifelsfrei ermittelt werden kann, des höchstmöglichen Betrages der Schuld, die
entstanden ist oder entstehen kann, festzusetzen ist, es sei denn, daß die Forderung
einer Sicherheitsleistung für den Schuldner zu ernsten Schwierigkeiten
wirtschaftlicher oder sozialer Art führen kann; ist dies der Fall, so kann die
Sicherheit unter Berücksichtigung der finanziellen Lage des Schuldners auf einen
niedrigeren Betrag als den Gesamtbetrag der betreffenden Schuld festgesetzt
werden.
Kosten
- Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die
Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei
dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist
daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Hessischen Finanzgericht, Kassel, mit Beschluß vom 31. März
1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
- Die Zollbehörden setzen die Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen
Entscheidung nach Artikel 244 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr.
2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der
Gemeinschaften ganz oder teilweise aus, wenn auch nur eine der beiden
dort genannten Voraussetzungen erfüllt ist, so daß eine Aussetzung zu
erfolgen hat, wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden droht;
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung brauchen
nicht zu bestehen.
- Die Zollbehörden dürfen die Aussetzung der Vollziehung einer
angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung auch dann von einer
Sicherheitsleistung abhängig machen, wenn dem Beteiligten bei sofortiger
Vollziehung ein unersetzbarer Schaden droht. Kann die Forderung einer
Sicherheitsleistung jedoch aufgrund der Lage des Schuldners zu ernsten
Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen, so brauchen die
Zollbehörden keine Sicherheitsleistung zu fordern.
- Bei einem Schuldner, der nicht über ausreichende Mittel für eine
Sicherheitsleistung verfügt, kann es zu ernsten Schwierigkeiten
wirtschaftlicher oder sozialer Art führen, wenn die Aussetzung der
Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung von einer
solchen Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird.
- Wird die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen
Entscheidung gemäß Artikel 244 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2913/92 von
einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht, so ist die Sicherheit in Höhe
des genauen Betrages der Schuld oder, wenn dieser nicht zweifelsfrei
ermittelt werden kann, des höchstmöglichen Betrages der Schuld, die
entstanden ist oder entstehen kann, festzusetzen, es sei denn, daß die
Forderung einer Sicherheitsleistung für den Schuldner zu ernsten
Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen kann; ist dies der
Fall, so kann die Sicherheit unter Berücksichtigung der finanziellen Lage
des Schuldners auf einen niedrigeren Betrag als den Gesamtbetrag der
betreffenden Schuld festgesetzt werden.
Rodríguez Iglesias Mancini Moitinho de Almeida Murray
SevónKakouris
Kapteyn
GulmannEdward
Puissochet
HirschJann
Ragnemalm
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juli 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
1: Verfahrenssprache: Deutsch.