Rechtssache C‑286/06
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
Königreich Spanien
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 89/48/EWG – Arbeitnehmer – Anerkennung von Diplomen – Ingenieur“
Leitsätze des Urteils
1. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Arbeitnehmer – Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen – Richtlinie 89/48
(Richtlinie 89/48 des Rates, Art. 3)
2. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Arbeitnehmer – Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen – Richtlinie 89/48
(Richtlinie 89/48 des Rates, Art. 3)
1. Ein Mitgliedstaat, der sich weigert, die beruflichen Qualifikationen eines Ingenieurs anzuerkennen, die in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund einer nur in diesem Mitgliedstaat erfolgten Universitätsausbildung erworben worden sind, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/48 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, in der durch die Richtlinie 2001/19 geänderten Fassung, insbesondere aus ihrem Art. 3.
Vorbehaltlich des Art. 4 der Richtlinie 89/48 ist nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a jeder Antragsteller, der Inhaber eines „Diploms“ im Sinne dieser Richtlinie ist, das ihm die Ausübung eines reglementierten Berufs in einem Mitgliedstaat erlaubt, berechtigt, diesen Beruf in jedem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Das „Diplom“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/48 kann aus einer Gesamtheit von Befähigungsnachweisen bestehen.
Der Aufnahmemitgliedstaat ist daher nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 89/48 verpflichtet, die von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Bescheinigungen in jedem Fall als Nachweis dafür anzuerkennen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Diploms erfüllt sind. Demzufolge kann der Aufnahmemitgliedstaat nicht prüfen, auf welcher Grundlage diese Bescheinigungen ausgestellt wurden; er hat jedoch die Möglichkeit, Kontrollen hinsichtlich derjenigen Voraussetzungen in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/48 durchzuführen, die in Ansehung des Wortlauts dieser Bescheinigungen offenbar nicht bereits erfüllt sind.
Außerdem sieht die Definition des Begriffs „Diplom“ in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/48 zwar bestimmte Vorbehalte in Bezug auf die Geltung dieser Richtlinie für in Drittstaaten erworbene Qualifikationen vor, doch ordnet weder Art. 1 Buchst. a noch eine andere Vorschrift der Richtlinie irgendeine Beschränkung hinsichtlich des Mitgliedstaats an, in dem ein Antragsteller seine beruflichen Qualifikationen erworben haben muss.
Aus Art. 1 Buchst. a Abs. 1 der Richtlinie ergibt sich nämlich ausdrücklich, dass es ausreicht, wenn die Ausbildung „überwiegend in der Gemeinschaft“ absolviert wurde. Dieser Ausdruck deckt sowohl eine Ausbildung, die in vollem Umfang in dem Mitgliedstaat erworben wurde, der den betreffenden Ausbildungsnachweis ausgestellt hat, als auch eine teilweise oder in vollem Umfang in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Ausbildung ab. Außerdem wäre eine solche Beschränkung durch nichts gerechtfertigt, da es maßgeblich darauf ankommt, ob der Antragsteller befugt ist, einen reglementierten Beruf in einem Mitgliedstaat auszuüben. Nach der mit der Richtlinie geschaffenen Regelung wird ein Diplom nicht aufgrund des Wertes anerkannt, der der damit bescheinigten Ausbildung innewohnt, sondern weil es in dem Mitgliedstaat, in dem es ausgestellt oder anerkannt worden ist, den Zugang zu einem reglementierten Beruf eröffnet.
Die mit der Richtlinie 89/48 eingeführte allgemeine Anerkennungsregelung soll es im Übrigen Angehörigen eines Mitgliedstaats, die befugt sind, einen reglementierten Beruf in einem Mitgliedstaat auszuüben, gerade ermöglichen, in anderen Mitgliedstaaten Zugang zu diesem Beruf zu erhalten. Damit kann es für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung der mit der Richtlinie 89/48 eingeführten allgemeinen Anerkennungsregelung darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der einen reglementierten Beruf ausüben möchte, dafür den von ihm bevorzugten Mitgliedstaat wählt. Das Recht der Angehörigen eines Mitgliedstaats, den Mitgliedstaat zu wählen, in dem sie ihre beruflichen Qualifikationen erwerben wollen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus den vom EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten. Der Aufnahmemitgliedstaat ist vorbehaltlich etwaiger Ausgleichsmaßnahmen nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/48 verpflichtet, die Ingenieursdiplome eines anderen Mitgliedstaats nicht nur dann anzuerkennen, wenn die Ausbildung für deren Erwerb ganz oder teilweise in diesem Mitgliedstaat absolviert wurde, sondern auch dann, wenn die Diplome von den zuständigen Stellen dieses Mitgliedstaats am Ende einer in vollem Umfang im Aufnahmemitgliedstaat erfolgten Ausbildung ausgestellt werden.
(vgl. Randnrn. 54-55, 61-64, 71-73, 83 und Tenor)
2. Ein Mitgliedstaat, der die Zulassung zu den Prüfungen für einen internen Aufstieg im öffentlichen Dienst bei Ingenieuren, die ihre beruflichen Qualifikationen in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, von der akademischen Anerkennung dieser Qualifikationen abhängig macht, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/48 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, in der durch die Richtlinie 2001/19 geänderten Fassung, insbesondere aus ihrem Art. 3.
Art. 3 der Richtlinie 89/48 gebietet, dass Diplome, die in einem bestimmten Mitgliedstaat ausgestellt werden, ihrem Inhaber nicht nur den Zugang zu einem reglementierten Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ermöglichen, sondern auch, dass er diesen Beruf dort unter denselben Bedingungen wie die Inhaber inländischer Diplome ausüben kann. Demzufolge ist es Sache der nationalen Behörden, sich zu vergewissern, dass Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen beruflichen Qualifikation dieselben Beförderungsmöglichkeiten haben wie die Inhaber der gleichwertigen inländischen beruflichen Qualifikation.
Sobald nämlich ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Diplom gemäß der Richtlinie 89/48 – gegebenenfalls nach Anordnung von Ausgleichsmaßnahmen – anerkannt worden ist, verleiht es die gleichen beruflichen Qualifikationen wie das gleichwertige nationale Diplom. Wollte man unter diesen Umständen dem Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Diploms allein deshalb nicht dieselben Aufstiegsmöglichkeiten wie den Inhabern des entsprechenden nationalen Diploms einräumen, weil sein Diplom nach einer kürzeren Ausbildungszeit erworben wurde, so liefe das darauf hinaus, die Inhaber eines Diploms eines anderen Mitgliedstaats allein aufgrund der Tatsache zu benachteiligen, dass sie gleichwertige Qualifikationen schneller erlangt haben.
Das Erfordernis einer Homologation ist demzufolge zumindest insoweit mit Art. 3 der Richtlinie 89/48 unvereinbar, als es eine Voraussetzung für die Zulassung zu den Prüfungen für einen internen Aufstieg darstellt, und dies auch in Bezug auf Bewerber, die nur ein Diplom geltend machen, das in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt und gemäß der Richtlinie 89/48 anerkannt wurde.
(vgl. Randnrn. 79-83 und Tenor)