URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
17. Januar 2013(*)
„Verbraucherschutz – Unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern – Regelung eines Mitgliedstaats, die für die Ankündigung eines Ausverkaufes eine vorherige Bewilligung vorsieht“
In der Rechtssache C‑206/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 12. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2011, in dem Verfahren
Georg Köck
gegen
Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič, E. Levits, J.‑J. Kasel und M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Köck, vertreten durch Rechtsanwalt E. Kroker,
– des Schutzverbands gegen unlauteren Wettbewerb, vertreten durch Rechtsanwältin M. Prunbauer,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch und G. Kunnert als Bevollmächtigte,
– der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. September 2012
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22, im Folgenden: Richtlinie).
2 Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Köck und dem Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb über die – ohne die erforderliche vorherige behördliche Bewilligung erfolgte – Ankündigung des Klägers des Ausgangsverfahrens eines „Totalabverkaufs“ seiner Waren und den entsprechenden Ausverkauf.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 8 und 17 der Richtlinie heißt es:
„(8) Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Sie schützt somit auch mittelbar rechtmäßig handelnde Unternehmen vor Mitbewerbern, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten, und gewährleistet damit einen lauteren Wettbewerb in dem durch sie koordinierten Bereich. …
…
(17) Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“
4 Art. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.“
5 Art. 2 der Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;
e) ‚wesentliche Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers‘ die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte;
…
k) ‚geschäftliche Entscheidung‘ jede Entscheidung eines Verbraucher darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insgesamt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen;
…“
6 Art. 3 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.
(2) Diese Richtlinie lässt das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt.
…“
7 Art. 5 der Richtlinie lautet:
„(1) Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.
(2) Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn
a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht
und
b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
(3) Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt.
(4) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7
oder
b) aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.
(5) Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“
8 Art. 11 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen.
Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern, gestatten,
a) gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen
und/oder
b) gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist.
Jedem Mitgliedstaat bleibt es vorbehalten zu entscheiden, welcher dieser Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen wird und ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ermächtigt werden soll, vorab die Durchführung eines Verfahrens vor anderen bestehenden Einrichtungen zur Regelung von Beschwerden … zu verlangen. Diese Rechtsbehelfe stehen unabhängig davon zur Verfügung, ob die Verbraucher sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, oder in einem anderen Mitgliedstaat befinden.
…
(2) Im Rahmen der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften übertragen die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in Fällen, in denen sie diese Maßnahmen unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und insbesondere des öffentlichen Interesses für erforderlich halten,
a) die Einstellung der unlauteren Geschäftspraktiken anzuordnen oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung der Einstellung der betreffenden unlauteren Geschäftspraxis einzuleiten,
oder
b) falls die unlautere Geschäftspraxis noch nicht angewandt wurde, ihre Anwendung jedoch bevorsteht, diese Praxis zu verbieten oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung des Verbots dieser Praxis einzuleiten,
auch wenn kein tatsächlicher Verlust oder Schaden bzw. Vorsatz oder Fahrlässigkeit seitens des Gewerbetreibenden nachweisbar ist.
Die Mitgliedstaaten sehen ferner vor, dass die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens mit
– vorläufiger Wirkung
oder
– endgültiger Wirkung
getroffen werden können, wobei jedem Mitgliedstaat vorbehalten bleibt zu entscheiden, welche dieser beiden Möglichkeiten gewählt wird.
Außerdem können die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse übertragen, die sie ermächtigen, zur Beseitigung der fortdauernden Wirkung unlauterer Geschäftspraktiken, deren Einstellung durch eine rechtskräftige Entscheidung angeordnet worden ist,
a) die Veröffentlichung dieser Entscheidung ganz oder auszugsweise und in der von ihnen für angemessen erachteten Form zu verlangen;
b) außerdem die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung zu verlangen.
(3) Die in Absatz 1 genannten Verwaltungsbehörden müssen
a) so zusammengesetzt sein, dass ihre Unparteilichkeit nicht in Zweifel gezogen werden kann;
b) über ausreichende Befugnisse verfügen, um die Einhaltung ihrer Entscheidungen über Beschwerden wirksam überwachen und durchsetzen zu können;
c) in der Regel ihre Entscheidungen begründen.
Werden die in Absatz 2 genannten Befugnisse ausschließlich von einer Verwaltungsbehörde ausgeübt, so sind die Entscheidungen stets zu begründen. In diesem Fall sind ferner Verfahren vorzusehen, in denen eine fehlerhafte oder unsachgemäße Ausübung der Befugnisse durch die Verwaltungsbehörde oder eine fehlerhafte oder unsachgemäße Nichtausübung dieser Befugnisse von den Gerichten überprüft werden kann.“
9 Art. 13 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung sicherzustellen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“
10 In Anhang I der Richtlinie sind als Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten, u. a. aufgeführt:
„…
4. Die Behauptung, dass ein Gewerbetreibender (einschließlich seiner Geschäftspraktiken) oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist, oder die Aufstellung einer solchen Behauptung, ohne dass den Bedingungen für die Bestätigung, Billigung oder Genehmigung entsprochen wird.
…
7. Falsche Behauptung, dass das Produkt nur eine sehr begrenzte Zeit oder nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar sein werde, um so den Verbraucher zu einer sofortigen Entscheidung zu verleiten, so dass er weder Zeit noch Gelegenheit hat, eine informierte Entscheidung zu treffen.
…
15. Behauptung, der Gewerbetreibende werde demnächst sein Geschäft aufgeben oder seine Geschäftsräume verlegen, obwohl er dies keineswegs beabsichtigt.
…“
Österreichisches Recht
11 § 33a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in seiner für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UWG) bestimmt:
„(1) Unter Ankündigung eines Ausverkaufes im Sinne dieses Bundesgesetzes werden alle öffentlichen Bekanntmachungen oder für einen größeren Kreis von Personen bestimmten Mitteilungen verstanden, die auf die Absicht schließen lassen, Waren in größeren Mengen beschleunigt im Kleinverkauf abzusetzen, und zugleich geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, dass der Gewerbetreibende durch besondere Umstände genötigt ist, beschleunigt zu verkaufen, und deshalb seine Waren zu außerordentlich vorteilhaften Bedingungen oder Preisen anbietet. …
(2) Nicht unter die Bestimmungen der §§ 33a bis 33e fallen jedoch Bekanntmachungen und Mitteilungen über Saisonschlussverkäufe, Saisonräumungsverkäufe, Inventurverkäufe und dergleichen und im bezüglichen Geschäftszweig und zu bestimmten Jahreszeiten allgemein übliche Sonderverkäufe (z. B. ‚Weiße Woche‘, ‚Mantelwoche‘).
(3) Z 7 des Anhangs bleibt davon unberührt.“
12 Z 7 des Anhangs dieses Gesetzes übernimmt Nr. 7 des Anhangs I der Richtlinie unverändert.
13 § 33b UWG bestimmt:
„Die Ankündigung eines Ausverkaufes ist nur mit Bewilligung der nach dem Standorte des Ausverkaufes zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde zulässig. Das Ansuchen um die Bewilligung ist schriftlich einzubringen und hat nachstehende Angaben zu enthalten:
1. die zu veräußernden Waren nach Menge, Beschaffenheit und Verkaufswert;
2. den genauen Standort des Ausverkaufes;
3. den Zeitraum, währenddessen der Ausverkauf stattfinden soll;
4. die Gründe, aus denen der Ausverkauf stattfinden soll, wie Ableben des Geschäftsinhabers, Einstellung des Gewerbebetriebes oder Auflassung einer bestimmten Warengattung, Übersiedlung des Geschäftes, Elementarereignisse und dergleichen;
…“
14 § 33c UWG sieht vor:
„(1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor der Entscheidung über das Ansuchen die nach dem Standort des Ausverkaufes zuständige Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft aufzufordern, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ein Gutachten abzugeben.
(2) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat über das Ansuchen binnen einem Monat nach dessen Einlangen zu entscheiden.
(3) Die Bewilligung ist zu verweigern, wenn keine Gründe im Sinne des § 33b Z 4 vorliegen oder wenn der Verkauf nicht für einen durchgehenden Zeitraum angekündigt werden soll. Die Bewilligung ist außerdem zu verweigern, wenn der Verkauf in die Zeit vom Beginn der vorletzten Woche vor Ostern bis Pfingsten, vom 15. November bis Weihnachten fallen oder länger als ein halbes Jahr dauern soll, es sei denn, es handelt sich um die Fälle des Todes des Gewerbetreibenden, um Elementarereignisse oder andere ebenso rücksichtswürdige Fälle. Besteht der Gewerbebetrieb noch nicht volle drei Jahre, so ist die Bewilligung nur in den Fällen des Todes des Gewerbetreibenden, von Elementarereignissen oder in anderen ebenso rücksichtswürdigen Fällen zu erteilen.
…“
15 § 33d UWG bestimmt:
„(1) Jede Ankündigung des Ausverkaufes hat die Gründe des beschleunigten Verkaufes, den Zeitraum, währenddessen der Ausverkauf stattfinden soll, und eine allgemeine Bezeichnung der zum Verkauf gelangenden Waren zu enthalten. Diese Angaben müssen dem Bewilligungsbescheid entsprechen.
(2) Nach Ablauf des im Bewilligungsbescheid angegebenen Verkaufszeitraumes ist jede Ankündigung eines Ausverkaufes zu unterlassen.
(3) Während des im Bewilligungsbescheid angegebenen Verkaufszeitraumes ist der Verkauf der in der Ankündigung bezeichneten Waren nur in der im Bewilligungsbescheid angegebenen Menge gestattet. Jeder Nachschub von Waren dieser Gattungen ist verboten.
…“
16 § 34 Abs. 3 UWG lautet:
„Wer den Vorschriften dieses Abschnittes zuwiderhandelt, kann unbeschadet der Strafverfolgung auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden. Der Anspruch kann nur im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
17 Herr Köck, ein in Innsbruck (Österreich) ansässiger Einzelunternehmer, kündigte in einem Inserat einen „Totalabverkauf“ der Waren seines Verkaufslokals an und warb dafür auch vor dem Geschäft mit Plakatständern und Scheibenklebern. Neben dem Ausdruck „Totalabverkauf“ verwendete er dabei auch Formulierungen wie „Alles muss raus!“ und „bis zu minus 90 %“. Eine Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde für die Ankündigung des Ausverkaufes hatte Herr Köck nicht eingeholt.
18 Der Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb hielt die Ankündigung von Herrn Köck für eine „Ankündigung eines Ausverkaufes“ im Sinne des nationalen Rechts, die gegen §§ 33a ff. UWG verstoße, da sie ohne vorherige verwaltungsbehördliche Bewilligung erfolgt sei, und erhob deshalb beim Landesgericht Innsbruck Klage auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung.
19 Nachdem die Klage abgewiesen worden war, erhob der Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb Rekurs gegen dieses Urteil beim Oberlandesgericht Innsbruck. Dieses erließ eine einstweilige Verfügung, mit der dem Antrag des Schutzverbands stattgegeben wurde.
20 Herr Köck erhob gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck Revisionsrekurs beim vorlegenden Gericht.
21 Wie sich zum einen aus dem Vorlagebeschluss ergibt, geht es im gerichtlichen Verfahren in der Ausgangsrechtssache nur um die Frage, ob Herr Köck über die entsprechende verwaltungsbehördliche Bewilligung verfügt. Im Rahmen dieses Verfahrens werde die Prüfung der Unlauterkeit einer Geschäftspraxis von den Gerichten auf die Verwaltungsbehörden verlagert, ohne dass damit schon entschieden wäre, dass die Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie „unter allen Umständen“ unzulässig sei.
22 Zum anderen schließt das vorlegende Gericht nicht aus, dass ein gerichtliches Verbot einer Geschäftspraxis nach der Richtlinie nur dann als zulässig angesehen werden könne, wenn die entsprechende Entscheidung der Verwaltungsbehörde selbst den Vorgaben der Richtlinie entspreche.
23 Da der Oberste Gerichtshof der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie abhängt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stehen Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 oder andere Bestimmungen der Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Ankündigung eines Ausverkaufes ohne Bewilligung der zuständigen Verwaltungsbehörde unzulässig und daher in einem gerichtlichen Verfahren zu untersagen ist, ohne dass das Gericht in diesem Verfahren den irreführenden, aggressiven oder sonst unlauteren Charakter dieser Geschäftspraktik prüfen müsste?
Zur Vorlagefrage
24 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie es einem nationalen Gericht verwehrt, das Abstellen einer bestimmten Geschäftspraxis nur deshalb anzuordnen, weil sie nicht vorab von der zuständigen Verwaltungsbehörde bewilligt wurde, ohne selbst diese Praxis auf ihre Unlauterkeit zu prüfen.
25 Zur Beantwortung dieser Frage ist vorab zu prüfen, ob eine Geschäftspraxis wie die Ankündigung eines Ausverkaufes nach § 33a Abs. 1 UWG eine „Geschäftspraxis“ im Sinne des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie darstellt und daher deren Vorgaben unterliegt.
26 Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert den Begriff „Geschäftspraxis“ mit einer besonders weiten Formulierung als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“ (Urteil vom 9. November 2010, Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, C‑540/08, Slg. 2010, I‑10909, Randnr. 17).
27 Werbemaßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die sich auf den Verkauf von Waren an Verbraucher zu günstigen Konditionen oder Preisen beziehen, gehören eindeutig zur Geschäftsstrategie eines Wirtschaftsteilnehmers und zielen unmittelbar auf die Förderung des Absatzes und des Verkaufs dieser Waren ab. Sie stellen daher „Geschäftspraktiken“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie dar und fallen damit in deren sachlichen Anwendungsbereich.
28 Als Nächstes ist zu untersuchen, ob nationale Bestimmungen wie die §§ 33b und 34 Abs. 3 UWG in Anbetracht der mit ihnen verfolgten Ziele in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen können.
29 Insoweit ist festzustellen, dass diese Richtlinie, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, nach ihrem achten Erwägungsgrund „unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ schützt und nach ihrem Art. 1 „durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, … zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ beiträgt (Beschluss vom 4. Oktober 2012, Pelckmans Turnhout, C‑559/11, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, wie sich aus ihrem sechsten Erwägungsgrund ergibt, nur nationale Vorschriften über unlautere Geschäftspraktiken, die „lediglich“ die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen (Urteil Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, Randnr. 21).
31 Im Ausgangsverfahren stellt, wie das vorlegende Gericht ausführt, die „Ankündigung eines Ausverkaufes“ im Sinne des im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits angewandten § 33a Abs. 1 UWG eine „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie dar. Das vorlegende Gericht nimmt damit, wie die Generalanwältin in Nr. 38 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, implizit an, dass diese Bestimmung den Schutz der Verbraucher und nicht nur den Schutz der Mitbewerber und der sonstigen Marktteilnehmer bezweckt.
32 Darüber hinaus sieht § 33b UWG vor, dass die Ankündigung eines Ausverkaufes nur zulässig ist, wenn sie vorher behördlich bewilligt wurde. Er führt auch die Angaben auf, die im Ansuchen um die Bewilligung enthalten sein müssen. § 34 Abs. 3 UWG sieht vor, dass bei Zuwiderhandlungen gegen die §§ 33a bis 33d UWG Klagen auf Unterlassung und – bei Verschulden – auf Schadensersatz erhoben werden können.
33 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass nationale Bestimmungen wie die §§ 33b und 34 Abs. 3 in Verbindung mit § 33a Abs. 1 UWG, die unter Androhung von Sanktionen eine nicht bewilligte Geschäftspraxis verbieten, Maßnahmen zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken im Interesse der Verbraucher darstellen und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.
34 Sodann ist zu prüfen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht.
35 Nach gefestigter Rechtsprechung sind die einzigen Geschäftspraktiken, die nach der nationalen Regelung ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie als unlauter gelten können, diejenigen, die in Anhang I der Richtlinie aufgeführt sind. Eine Praxis, die nicht unter diesen Anhang fällt, kann nur dann für unlauter erklärt werden, wenn sie nach den Kriterien der Art. 5 bis 9 auf ihre Unlauterkeit geprüft wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Januar 2010, Plus Warenhandelsgesellschaft, C‑304/08, Slg. 2010, I‑217, Randnrn. 41 bis 45, und Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag, Randnrn. 30 bis 34).
36 Eine in der Ankündigung eines Ausverkaufes bestehende Geschäftspraxis wie die in § 33a Abs. 1 UWG genannte, die von einem Gewerbetreibenden angewandt wird, der nicht zuvor die entsprechende Bewilligung der zuständigen Behörde eingeholt hat, fällt als solche nicht unter die in Anhang I der Richtlinie angeführten Praktiken.
37 Von den in diesem Anhang aufgeführten Praktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten, sind zunächst diejenigen zu prüfen, die unter den Umständen des Ausgangsverfahrens potenziell einschlägig sein könnten und auf die die Parteien im Verfahren vor dem Gerichtshof hingewiesen haben.
38 Nr. 4 dieses Anhangs nennt die „Behauptung, dass ein Gewerbetreibender (einschließlich seiner Geschäftspraktiken) oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist, oder die Aufstellung einer solchen Behauptung, ohne dass den Bedingungen für die Bestätigung, Billigung oder Genehmigung entsprochen wird“.
39 Diese Nummer enthält kein generelles Verbot von Geschäftspraktiken, die nicht von einer zuständigen Stelle genehmigt wurden. Vielmehr sind dort spezifische Fälle gemeint, in denen die anwendbare Regelung, wie die Generalanwältin in Nr. 93 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, bestimmte Anforderungen insbesondere an die Qualität eines Gewerbetreibenden oder seiner Waren stellt und insoweit ein System der Bestätigung, Billigung oder Genehmigung vorsieht.
40 Ebenso wenig kann die ohne entsprechende vorherige Bewilligung vorgenommene Ankündigung eines Ausverkaufes unter Nr. 7 des Anhangs I der Richtlinie fallen und als eine falsche Behauptung angesehen werden, die die Verbraucher glauben machen könnte, dass das betreffende Produkt „nur eine sehr begrenzte Zeit oder nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar sein werde, um so den Verbraucher zu einer sofortigen Entscheidung zu verleiten, so dass er weder Zeit noch Gelegenheit hat, eine informierte Entscheidung zu treffen“.
41 Auch Nr. 15 dieses Anhangs ist auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar. Sie betrifft eine Praxis in Form der „Behauptung, der Gewerbetreibende werde demnächst sein Geschäft aufgeben oder seine Geschäftsräume verlegen, obwohl er dies keineswegs beabsichtigt“. Im Ausgangsverfahren handelt es sich jedoch nicht um eine Praxis wie die in Nr. 15 genannte, sondern um eine Geschäftspraxis, die nicht im Vorhinein von der zuständigen Verwaltungsbehörde genehmigt wurde.
42 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Ankündigung eines Ausverkaufes im Sinne des § 33a Abs. 1 UWG durch einen Gewerbetreibenden, der nicht über eine entsprechende vorherige Bewilligung verfügt, als solche nicht unter allen Umständen als unlauter gelten kann, da sie nicht unter den Anhang I der Richtlinie fällt.
43 Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils genannte nationale Regelung nicht gegen das durch die Richtlinie geschaffene System verstößt.
44 Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten, wie die Generalanwältin in den Nrn. 44 bis 55 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, einen Wertungsspielraum bezüglich der Wahl der nationalen Maßnahmen, mit denen unlautere Geschäftspraktiken gemäß den Art. 11 und 13 der Richtlinie bekämpft werden sollen, wobei Voraussetzung insbesondere ist, dass die Maßnahmen geeignet und wirksam und die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.
45 Da sich eine Vorabkontrolle oder vorbeugende Kontrolle durch den Staat unter bestimmten Umständen als geeigneter und angemessener erweisen kann als eine Kontrolle im Nachhinein, bei der angeordnet wird, eine bereits durchgeführte oder unmittelbar bevorstehende Geschäftspraxis abzustellen, können diese nationalen Maßnahmen insbesondere darin bestehen, ein sanktionsbewehrtes System der Vorweggenehmigung für bestimmte Praktiken vorzusehen, deren Charakter im Hinblick auf die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken eine solche Kontrolle erfordert.
46 Das mit den nationalen Maßnahmen geschaffene System zur Umsetzung der Richtlinie darf jedoch nicht dazu führen, dass eine Geschäftspraxis – ohne dass sie auf ihre Unlauterkeit geprüft würde – allein deshalb verboten wird, weil sie nicht von der zuständigen Behörde vorab genehmigt wurde.
47 Zum einen steht die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, die es ausschließt, eine nicht in Anhang I der Richtlinie genannte Geschäftspraxis anhand der in den Art. 5 bis 9 dieser Richtlinie genannten Kriterien zu prüfen.
48 Zum anderen ist eine nationale Regelung, nach der eine Geschäftspraxis erst nach dem Verbot wegen Nichterfüllung der Verpflichtung, vorab eine Genehmigung einzuholen, auf ihre Unlauterkeit geprüft wird, mit dem durch die Richtlinie geschaffenen System unvereinbar, da dieser Praxis damit wegen ihres Wesens und insbesondere des damit naturgemäß verbundenen Zeitfaktors jeder wirtschaftliche Sinn für den Gewerbetreibenden genommen würde.
49 Eine nationale Regelung wie die in der vorstehenden Randnummer genannte liefe aber auf ein allgemeines Verbot von im Rahmen einer Sonderregelung durchgeführten Geschäftspraktiken hinaus, obwohl diese gar nicht nach der in Randnr. 35 angeführten Rechtsprechung anhand der in den Art. 5 bis 9 der Richtlinie genannten Kriterien auf ihre etwaige Unlauterkeit geprüft worden sind.
50 Nach alledem ist die Richtlinie dahin auszulegen, dass sie es einem nationalen Gericht verwehrt, das Abstellen einer nicht unter den Anhang I der Richtlinie fallenden Geschäftspraxis nur deshalb anzuordnen, weil diese Praxis nicht vorab von der zuständigen Verwaltungsbehörde bewilligt wurde, ohne selbst diese Praxis anhand der in den Art. 5 bis 9 der Richtlinie genannten Kriterien auf ihre Unlauterkeit zu prüfen.
Kosten
51 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass sie es einem nationalen Gericht verwehrt, das Abstellen einer nicht unter den Anhang I dieser Richtlinie fallenden Geschäftspraxis nur deshalb anzuordnen, weil diese Praxis nicht vorab von der zuständigen Verwaltungsbehörde bewilligt wurde, ohne selbst diese Praxis anhand der in den Art. 5 bis 9 der Richtlinie genannten Kriterien auf ihre Unlauterkeit zu prüfen.
Unterschriften