Language of document : ECLI:EU:C:2016:958

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

15. Dezember 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2005/29/EG – Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern – Irreführende Geschäftspraxis – Schneeballsystem – Von neuen Teilnehmern gezahlte Beiträge und von bereits vorhandenen Teilnehmern bezogene Vergütungen – Mittelbarer finanzieller Zusammenhang“

In der Rechtssache C‑667/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) mit Entscheidung vom 3. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2015, in dem Verfahren

Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht

gegen

Paul Adriaensen,

Werner De Kesel,

The Right Frequency VZW

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht, vertreten durch J. Muyldermans, P. Maeyaert und P. Vlaemminck, advocaten,

–        von Herrn Adriaensen, Herrn De Kesel und The Right Frequency VZW, vertreten durch R. Peeters, advocaat,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und D. Roussanov als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht (im Folgenden: Loterie Nationale) auf der einen und Herrn Adriaensen, Herrn De Kesel und The Right Frequency VZW auf der anderen Seite über die Einrichtung eines Systems zur gemeinsamen Teilnahme an öffentlichen Lotterien in Belgien namens „Lucky 4 All“ (im Folgenden: System „Lucky 4 All“) und die Werbung für dieses System.

 Rechtlicher Rahmen

3        Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern. …“

4        Der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 lautet:

„Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“

5        Art. 1 der Richtlinie 2005/29 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.“

6        Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

d)      ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“.

7        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.“

8        Art. 5 der Richtlinie 2005/29 bestimmt:

„(1)      Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.

(2)      Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn

a)      sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht

und

b)      sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.

(4)      Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die

a)      irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7

oder

b)      aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.

(5)      Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“

9        Anhang I („Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten“) der Richtlinie 2005/29 sieht in Nr. 14 vor:

„Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10      Die Loterie Nationale ist eine Aktiengesellschaft öffentlichen Rechts mit Sitz in Belgien, wo sie mit der Veranstaltung öffentlicher Lotterien betraut ist. Mit ihrer Klage bei der Rechtbank van koophandel te Antwerpen, afdeling Antwerpen (Handelsgericht Antwerpen, Abteilung Antwerpen, Belgien) beantragte diese Gesellschaft u. a. die Feststellung, dass das System „Lucky 4 All“ ein verbotenes Schneeballsystem, zumindest aber eine irreführende Geschäftspraxis, darstellt.

11      Mit Urteil vom 7. Oktober 2014 stellte die Rechtbank van koophandel te Antwerpen, afdeling Antwerpen (Handelsgericht Antwerpen, Abteilung Antwerpen, Belgien) fest, dass die Einrichtung des Systems „Lucky 4 All“ und die Werbung dafür tatsächlich eine irreführende Geschäftspraxis darstellten. Allerdings sei eine der vom Gerichtshof im Urteil vom 3. April 2014, 4finance (C‑515/12, EU:C:2014:211), aufgestellten Voraussetzungen für die Einstufung einer Geschäftspraxis als „Schneeballsystem“ im Sinne von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 nicht erfüllt. Insbesondere sei nicht erwiesen, dass die Finanzierung der an die bereits vorhandenen Teilnehmer des Systems „Lucky 4 All“ gezahlten Vergütung „hauptsächlich“ oder „grundsätzlich“ vom finanziellen Beitrag der neuen Teilnehmer abhänge.

12      Loterie Nationale legte gegen dieses Urteil beim Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) ein Rechtsmittel ein, das sie u. a. damit begründet, dass im ersten Rechtszug zu Unrecht entschieden worden sei, dass das System „Lucky 4 All“ kein verbotenes Schneeballsystem darstelle.

13      Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass sich mit dem System „Lucky 4 All“ Gruppen von Personen bilden ließen, die an den Lotterieziehungen von Loterie Nationale teilzunehmen wünschten. Diesem System liege die Idee zugrunde, dass die Spieler gegenseitig ihre Gewinnchancen erhöhten, wenn sie gemeinsam spielten. Eine vollständige Spielergruppe im Sinne dieses Systems stelle eine Pyramide mit acht Ebenen dar und ermögliche es, 9 841 Kombinationen auf einmal zu spielen.

14      Bei seiner Anmeldung zahle jeder neue Teilnehmer des Systems „Lucky 4 All“ 10 Euro für ein „Einstiegspaket“ und anschließend einen Monatsbeitrag von etwa 43 Euro. Letzterer ermögliche den Kauf der Lottoscheine. Nach der Zahlung seines Monatsbeitrags könne ein Spieler online ein Formular ausfüllen, mit dem er pro Woche zehn Lottokombinationen auswählen könne. Anschließend gebe ein Vertreter des Systems die Lottoscheine aller Teilnehmer in einer Verkaufsstelle ab. Bei einem Gewinn würden die Beträge nach einem vorbestimmten Schlüssel verteilt. Genauer gesagt gingen 50 % des Gesamtgewinns an den Gewinner einer Kombination und 40 % an die acht Ebenen oberhalb dieser Kombination, wobei das System „Lucky 4 All“ selbst die ersten vier Ebenen jeder Gruppe einnehme, da erst ab der fünften Ebene die ersten Spieler zugelassen seien. Die übrigen 10 % des Gewinns würden in den Kauf neuer Kombinationen reinvestiert. Gewinne über 1 Mio. Euro würden schließlich nicht an die Spieler ausgekehrt, deren etwaige Gewinne also gedeckelt seien.

15      Das vorlegende Gericht verweist auf das Urteil vom 3. April 2014, 4finance (C‑515/12, EU:C:2014:211), aus dem sich ergebe, dass das Verbot von Schneeballsystemen im Sinne von Anhang I der Richtlinie 2005/29 auf drei kumulativen Voraussetzungen beruhe. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass das System „Lucky 4 All“ die ersten beiden Voraussetzungen erfülle. Zum einen sage es zu, einen wirtschaftlichen Vorteil in Form erhöhter Gewinnchancen zu erlangen, und zum anderen hänge die Einhaltung dieser Zusage von der Einführung immer neuer Mitglieder ab.

16      Die dritte Voraussetzung sei nur erfüllt, wenn die an die bereits vorhandenen Teilnehmer ausgekehrte Vergütung hauptsächlich durch die Beiträge neuer Mitglieder finanziert werde. Diese Voraussetzung verlange somit einen finanziellen Zusammenhang zwischen den gezahlten Beiträgen und der ausgekehrten Vergütung. Es sei jedoch nicht sicher, dass ein System verboten werden könne, wenn dieser Zusammenhang nur mittelbar sei. Der Gerichtshof habe im Urteil vom 3. April 2014, 4finance (C‑515/12, EU:C:2014:211), insoweit keinen eindeutigen Standpunkt eingenommen.

17      Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Setzt die Anwendung von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 voraus, dass ein verbotenes Schneeballsystem nur dann vorliegt, wenn die Einhaltung der finanziellen Zusage gegenüber bereits vorhandenen Mitgliedern

hauptsächlich oder grundsätzlich von der unmittelbaren Weiterreichung der Beiträge der neuen Mitglieder abhängt („unmittelbarer Zusammenhang“),

oder

genügt es, dass die Einhaltung der finanziellen Zusage gegenüber bereits vorhandenen Mitgliedern hauptsächlich oder grundsätzlich von einer mittelbaren Zahlung durch die Beiträge der bereits vorhandenen Mitglieder abhängt, d. h. ohne dass die bereits vorhandenen Mitglieder ihre Vergütung hauptsächlich oder grundsätzlich aus ihrem eigenen Verkauf oder Verbrauch von Waren oder Dienstleistungen erzielen, sondern hinsichtlich der Einhaltung der finanziellen Zusage hauptsächlich oder grundsätzlich von der Einführung und den Beiträgen neuer Mitglieder abhängen („mittelbarer Zusammenhang“)?

 Zur Vorlagefrage

18      Vorab ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren zu prüfen hat, ob das System „Lucky 4 All“ gemäß Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 verboten werden muss.

19      Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass das Verbot von „Schneeballsystemen“ im Sinne von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 auf drei kumulativen Voraussetzungen beruht. Zunächst basiert eine solche Absatzförderung auf der Zusage, dass der Verbraucher die Möglichkeit haben wird, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen. Sodann hängt die Einhaltung dieser Zusage von der Einführung weiterer Verbraucher in ein solches System ab. Schließlich stammt der Großteil der Einkünfte, mit denen die den Verbrauchern zugesagte Vergütung finanziert werden kann, nicht aus einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 20).

20      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts haben die Betreiber des Systems „Lucky 4 All“ ein besonders komplexes System zur gemeinsamen Teilnahme an den Lotterieziehungen von Loterie Nationale eingerichtet und machen dafür Werbung, das die ersten beiden der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt.

21      Zum einen werden die Verbraucher von der Zusage angezogen, einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen zu können, da die gemeinsame Lottoteilnahme ihre Chancen auf einen Gewinn bei diesem Glücksspiel erheblich steigern solle.

22      Zum anderen geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Einhaltung dieser Zusage voraussetzt, dass immer mehr Spieler teilnehmen, was sich unmittelbar schon aus der Organisation und der Logik des Systems „Lucky 4 All“ ergibt. Die Spielergruppen haben nämlich die Form von Pyramiden, deren erste vier Ebenen von dem System selbst belegt sind. Da die Verteilung der Gewinne innerhalb einer Gruppe die höheren Ebenen begünstigt, profitieren vor allem das System von den erhöhten Gewinnchancen und in gewissem Maß die bereits vorhandenen Spieler, die andere Mitglieder geworben haben. Daher hat jeder Spieler ein Interesse daran, neue Spieler zu werben, um seine relative Position zu verbessern.

23      Dem vorlegenden Gericht stellt sich allerdings die Frage, ob die dritte Voraussetzung, die die Finanzierung der finanziellen Zusage betrifft, erfüllt ist, da Rn. 28 des Urteils vom 3. April 2014, 4finance (C‑515/12, EU:C:2014:211), dahin ausgelegt werden könnte, dass diese Zusage unmittelbar durch die Beiträge neuer Mitglieder finanziert werden muss.

24      Folglich möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen, ob Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Bestimmung eine Geschäftspraxis auch dann als „Schneeballsystem“ eingestuft werden kann, wenn seiner Ansicht nach zwischen den Beiträgen, die neue Mitglieder an das System zahlen, und den Vergütungen, die die bereits vorhandenen Teilnehmer beziehen, nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

25      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Schneeballsystem mangels tatsächlicher wirtschaftlicher Tätigkeit, die das Erzielen ausreichender Einkünfte ermöglicht, um die den Verbrauchern zugesagte Vergütung zu finanzieren, zwangsläufig auf dem wirtschaftlichen Beitrag seiner Teilnehmer beruht, da die Möglichkeit eines Teilnehmers an diesem System, eine Gegenleistung zu erhalten, im Wesentlichen von den Kosten abhängt, die zusätzliche Teilnehmer zahlen (Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 21).

26      Ein solches System kann nur dann ein „Schneeballsystem“ sein, wenn für sein Fortbestehen der Beitritt einer immer größeren Zahl von neuen Teilnehmern erforderlich ist, um die Vergütungen zu finanzieren, die den bereits vorhandenen Mitgliedern ausgezahlt werden. Es impliziert auch, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Vergütung für ihren Beitrag zu erhalten, für die zuletzt beigetretenen Teilnehmer am geringsten ist. Dieses System bricht zusammen, wenn der Anstieg der Zahl der neu beitretenden Teilnehmer, die für den Fortbestand des Systems theoretisch ins Unendliche steigen müsste, nicht mehr ausreicht, um die allen Teilnehmern zugesagten Vergütungen zu zahlen (Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 22).

27      Demnach setzt die Qualifizierung als „Schneeballsystem“ im Sinne von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 voraus, dass die Teilnehmer an einem solchen System einen finanziellen Beitrag entrichten (Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 23).

28      Aus denselben Gründen erfordert diese Qualifizierung, dass zwischen den von neuen Teilnehmern gezahlten Beiträgen und den von den bereits vorhandenen Teilnehmern bezogenen Vergütungen ein Zusammenhang besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 27).

29      Hinsichtlich der Art dieses Zusammenhangs geht aus dem Wortlaut der meisten Sprachfassungen von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 hervor, dass die Finanzierung der Vergütung, die ein Verbraucher beziehen kann, „hauptsächlich“ oder „grundsätzlich“ von den später von neuen Teilnehmern an dem System gezahlten Beiträgen abhängt (vgl. Urteil vom 3. April 2014, 4finance, C‑515/12, EU:C:2014:211, Rn. 28).

30      Dem Wortlaut dieser Bestimmung lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass der geforderte finanzielle Zusammenhang zwingend unmittelbar sein muss. Maßgeblich ist, dass die von neuen Teilnehmern an einem solchen System gezahlten Beiträge als „hauptsächlich“ oder „grundsätzlich“ zu qualifizieren sind. Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 kann daher auf ein System Anwendung finden, in dem zwischen den von neuen Teilnehmern gezahlten Beiträgen und den von den bereits vorhandenen Teilnehmern bezogenen Vergütungen ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

31      Im Übrigen bestünde bei einer gegenteiligen Auslegung dieser Bestimmung die Gefahr, dass ihr die praktische Wirksamkeit genommen würde, da das Erfordernis eines unmittelbaren Zusammenhangs es ermöglichte, das absolute Verbot von Schneeballsystemen leicht zu umgehen.

32      Hinsichtlich des für ein solches „Schneeballsystem“ erforderlichen finanziellen Zusammenhangs geht aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte hervor, dass im Ausgangsverfahren die Gewinnchance daran gebunden ist, dass dem System „Lucky 4 All“ in unbegrenztem Maß neue Spieler zugeführt werden, was wiederum eine Beitrittsgebühr und regelmäßige Einsätze voraussetzt. Zudem trägt offenbar auch die Gewinndeckelung, deren Wahrscheinlichkeit entsprechend der Spielerzahl zunimmt, zur Finanzierung dieses Systems bei. Ein solcher finanzieller Zusammenhang erweist sich als mittelbar, aber sicher. Dies hat allerdings das vorlegende Gericht zu prüfen.

33      Jedenfalls erfüllt ein System wie das System „Lucky 4 All“ offenbar die Voraussetzungen für die Qualifizierung als „Geschäftspraktik“ im Sinne des Anhangs I der Richtlinie 2005/29, da es bezweckt, einen Gewinn für das System selbst zu generieren, d. h. für die Betreiber des Systems und nicht nur für die Spieler. Das vorlegende Gericht hat sich hierüber Gewissheit zu verschaffen.

34      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Bestimmung eine Geschäftspraxis auch dann als „Schneeballsystem“ eingestuft werden kann, wenn zwischen den Beiträgen, die neue Mitglieder an das System zahlen, und den Vergütungen, die die bereits vorhandenen Teilnehmer beziehen, nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

 Kosten

35      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass nach dieser Bestimmung eine Geschäftspraxis auch dann als „Schneeballsystem“ eingestuft werden kann, wenn zwischen den Beiträgen, die neue Mitglieder an das System zahlen, und den Vergütungen, die die bereits vorhandenen Teilnehmer beziehen, nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.