Language of document : ECLI:EU:C:2017:173

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

7. März 2017(*)

[Text berichtigt mit Beschluss vom 24. März 2017]

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 810/2009 – Art. 25 Abs. 1 Buchst. a – Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit – Erteilung eines Visums aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen – Begriff ‚internationale Verpflichtungen‘ – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Genfer Abkommen – Erteilung eines Visums bei erwiesener Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 4 und/oder Art. 18 der Grundrechtecharta – Fehlen einer Verpflichtung“

In der Rechtssache C‑638/16 PPU

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil du Contentieux des Étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen, Belgien) mit Entscheidung vom 8. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 2016, in dem Verfahren

X und X

gegen

État belge

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, T. von Danwitz und J. L. da Cruz Vilaça, der Kammerpräsidentin M. Berger (Berichterstatterin), der Richter A. Borg Barthet und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan, E. Jarašiūnas, C. G. Fernlund, C. Vajda, S. Rodin und F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von X und X, vertreten durch T. Wibault und P. Robert, avocats,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von C. L’hoir, M. Van Regemorter und F. Van Dijck, Sachverständige, sowie von E. Derriks und F. Motulsky, avocats,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch N. Lyshøj und C. Thorning als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. Armoet als Bevollmächtigte,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér als Bevollmächtigten,

–        der maltesischen Regierung, vertreten durch A. Buhagiar als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. de Ree als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Kamejsza, M. Pawlicka und B. Majczyna als Bevollmächtigte,

–        der slowenischen Regierung, vertreten durch V. Klemenc und T. Mihelič Žitko als Bevollmächtigte,

–        [berichtigt mit Beschluss vom 24. März 2017] der slowakischen Regierung, vertreten durch M. Kianička als Bevollmächtigten,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Februar 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. 2009, L 243, S. 1, berichtigt im ABl. 2013, L 154, S. 10) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 182, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Visakodex) sowie der Art. 4 und 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen X und X und dem belgischen Staat wegen der Verweigerung der Erteilung von Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit.

 Rechtlicher Rahmen

 Internationales Recht

3        Art. 1 („Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) lautet:

„Die Hohen Vertragsparteien sichern allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I [dieser Konvention] bestimmten Rechte und Freiheiten zu.“

4        Der zu Abschnitt I der EMRK gehörende Art. 3 („Verbot der Folter“) bestimmt:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“

5        Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) in der durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ergänzten Fassung (im Folgenden: Genfer Abkommen) sieht in Abs. 1 vor:

„Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgend eine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“

 Unionsrecht

 Charta

6        Art. 4 („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“) der Charta lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

7        In Art. 18 („Asylrecht“) der Charta heißt es:

„Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens … sowie nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union … gewährleistet.“

8        Art. 51 („Anwendungsbereich“) der Charta sieht in Abs. 1 vor:

„[Die] Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. …“

 Visakodex

9        Im 29. Erwägungsgrund des Visakodex heißt es:

„Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der [EMRK] und der Charta … anerkannt wurden.“

10      Art. 1 („Ziel und Geltungsbereich“) des Visakodex bestimmt in Abs. 1:

„Mit dieser Verordnung werden die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen festgelegt.“

11      In Art. 2 des Visakodex heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

2.      ‚Visum‘ die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung im Hinblick auf

a)      die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen;

b)      die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen von Mitgliedstaaten;

…“

12      Art. 25 („Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit“) des Visakodex sieht vor:

„(1)      Ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit wird in folgenden Ausnahmefällen erteilt:

a)      wenn der betreffende Mitgliedstaat es aus humanitären Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich hält,

i)      von dem Grundsatz abzuweichen, dass die in [der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1)] festgelegten Einreisevoraussetzungen erfüllt sein müssen,

ii)      ein Visum zu erteilen, obwohl der gemäß Artikel 22 konsultierte Mitgliedstaat Einwände gegen die Erteilung eines einheitlichen Visums erhebt, oder

iii)      ein Visum aus dringlichen Gründen zu erteilen …

oder

b)      wenn aus von dem Konsulat als gerechtfertigt angesehenen Gründen dem Antragsteller erneut ein Visum für einen Aufenthalt innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen erteilt wird, innerhalb dessen er bereits ein einheitliches Visum oder ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit für einen Aufenthalt von 90 Tagen verwendet hat.

(2)      Ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit ist für das Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats gültig. In Ausnahmefällen kann es für das Hoheitsgebiet von mehr als einem Mitgliedstaat gültig sein, sofern die betreffenden Mitgliedstaaten dem zustimmen.

(4)      Wurde in den in Absatz 1 Buchstabe a beschriebenen Fällen ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit erteilt, so teilen die zentralen Behörden des ausstellenden Mitgliedstaats den zentralen Behörden der anderen Mitgliedstaaten … unverzüglich die einschlägigen Informationen mit.

(5)      Die Daten … werden in das [Visa-Informationssystem] eingegeben, wenn entschieden worden ist, dass das Visum erteilt wird.“

13      Art. 32 („Visumverweigerung“) des Visakodex sieht in Abs. 1 Buchst. b vor:

„Unbeschadet des Artikels 25 Absatz 1 wird das Visum verweigert,

b)      wenn begründete Zweifel an der [vom Antragsteller] bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.“

 Verordnung (EU) 2016/399

14      In Art. 4 („Grundrechte“) der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1, im Folgenden: Schengener Grenzkodex) heißt es:

„Bei der Anwendung dieser Verordnung handeln die Mitgliedstaaten unter umfassender Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Union, einschließlich der Charta …, und des einschlägigen Völkerrechts, darunter auch des Genfer Abkommens … und der Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Zugang zu internationalem Schutz, insbesondere des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, sowie der Grundrechte. Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts werden die Beschlüsse nach dieser Verordnung auf Einzelfallbasis gefasst.“

15      Art. 6 („Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige“) des Schengener Grenzkodex sieht vor:

„(1)      Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen … gelten für einen Drittstaatsangehörigen folgende Einreisevoraussetzungen:

a)      Er muss im Besitz eines gültigen Reisedokuments sein …

b)      Er muss im Besitz eines gültigen Visums sein, falls dies … vorgeschrieben ist …

c)      Er muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen, und er muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts … verfügen …

d)      Er darf nicht … zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.

e)      Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen …

(5)      Abweichend von Absatz 1 gilt Folgendes:

c)      Ein Mitgliedstaat kann Drittstaatsangehörigen, die eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, die Einreise in sein Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestatten. …“

 Richtlinie 2013/32/EU

16      In Art. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60) heißt es:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet – einschließlich an der Grenze, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen – der Mitgliedstaaten gestellt werden, sowie für die Aberkennung des internationalen Schutzes.

(2)      Diese Richtlinie gilt nicht für Ersuchen um diplomatisches oder territoriales Asyl in Vertretungen der Mitgliedstaaten.

…“

 Verordnung (EU) Nr. 604/2013

17      Art. 1 („Gegenstand“) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31), sieht vor:

„Diese Verordnung legt die Kriterien und Verfahren fest, die bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zur Anwendung gelangen …“

18      In Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. …“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens – ein Ehepaar – und ihre drei kleinen Kinder besitzen die syrische Staatsangehörigkeit und leben in Aleppo (Syrien). Am 12. Oktober 2016 stellten sie bei der belgischen Botschaft in Beirut (Libanon) nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex Anträge auf Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit, bevor sie am darauffolgenden Tag nach Syrien zurückkehrten.

20      Zur Stützung dieser Anträge erläuterten die Antragsteller des Ausgangsverfahrens, dass die beantragten Visa es ihnen ermöglichen sollten, die belagerte Stadt Aleppo zu verlassen, um in Belgien Asyl zu beantragen. Einer der Antragsteller des Ausgangsverfahrens gab u. a. an, er sei von einer Terroristengruppe entführt und anschließend geschlagen und gefoltert worden, bevor er schließlich gegen Lösegeld freigelassen worden sei. Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens hoben insbesondere die prekäre Sicherheitslage in Syrien im Allgemeinen und in Aleppo im Besonderen sowie den Umstand hervor, dass sie aufgrund ihres christlich-orthodoxen Glaubens der Gefahr einer Verfolgung wegen ihrer religiösen Überzeugung ausgesetzt seien. Außerdem hätten sie u. a. angesichts der Schließung der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien keine Möglichkeit, sich in einem der angrenzenden Länder als Flüchtlinge registrieren zu lassen.

21      Mit Entscheidungen vom 18. Oktober 2016, die den Antragstellern des Ausgangsverfahrens am 25. Oktober 2016 bekannt gegeben wurden, lehnte das Ausländeramt (Belgien) ihre Anträge ab. Das Ausländeramt führte u. a. aus, dass die Antragsteller des Ausgangsverfahrens beabsichtigt hätten, sich länger als 90 Tage in Belgien aufzuhalten, dass Art. 3 EMRK die Vertragsparteien dieser Konvention nicht verpflichte, „Personen, die eine katastrophale Situation erleben“, in ihr Hoheitsgebiet aufzunehmen, und dass die belgischen diplomatischen Vertretungen nicht zu den Behörden zählten, bei denen Ausländer einen Asylantrag stellen könnten. Die Gestattung der Erteilung eines Einreisevisums für die Antragsteller des Ausgangsverfahrens, damit sie in Belgien einen Asylantrag stellen könnten, liefe darauf hinaus, es ihnen zu ermöglichen, einen solchen Antrag bei einer diplomatischen Vertretung zu stellen.

22      Das vorlegende Gericht, bei dem die Antragsteller des Ausgangsverfahrens diese Entscheidungen anfechten, weist darauf hin, dass sie im innerstaatlichen Verfahren „äußerster Dringlichkeit“ die Aussetzung der Vollziehung der genannten Entscheidungen beantragt hätten. Da die Zulässigkeit eines solchen Antrags aber in Anbetracht der geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften fraglich ist, hat dieses Gericht beschlossen, die Cour constitutionnelle (Verfassungsgerichtshof, Belgien) anzurufen, damit sie über diese Frage entscheide. Bis zur Antwort der Cour constitutionnelle (Verfassungsgerichtshof) setzt das vorlegende Gericht die Prüfung des Ausgangsverfahrens im Verfahren äußerster Dringlichkeit fort.

23      Die Antragsteller des Ausgangsverfahrens machen beim vorlegenden Gericht im Wesentlichen geltend, dass Art. 18 der Charta den Mitgliedstaaten die positive Verpflichtung auferlege, das Asylrecht zu garantieren, und dass die Gewährung internationalen Schutzes das einzige Mittel sei, um die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK und Art. 4 der Charta abzuwenden. Da sie sich, wie die belgischen Behörden im vorliegenden Fall selbst angenommen hätten, in einer humanitären Ausnahmesituation befänden, seien die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex in Anbetracht der dem Königreich Belgien obliegenden internationalen Verpflichtungen erfüllt, so dass ihnen die beantragten Visa aus humanitären Gründen hätten erteilt werden müssen.

24      Der belgische Staat vertritt hingegen die Auffassung, dass weder Art. 3 EMRK noch Art. 33 des Genfer Abkommens ihn verpflichteten, einen Drittstaatsangehörigen in sein Hoheitsgebiet aufzunehmen, und dass die einzige ihm insoweit obliegende Verpflichtung die Verpflichtung zur Nichtzurückweisung sei.

25      Das vorlegende Gericht führt aus, die Antragsteller des Ausgangsverfahrens könnten sich, wie aus Art. 1 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hervorgehe, auf Art. 3 EMRK nur unter der Voraussetzung berufen, dass sie sich in der „Hoheitsgewalt“ Belgiens befänden. Es hat jedoch Zweifel, ob die Durchführung der Visumpolitik als Ausübung von Hoheitsgewalt angesehen werden kann. Außerdem sei fraglich, ob sich aus Art. 3 EMRK und – entsprechend – aus Art. 33 des Genfer Abkommens als logische Folge der Verpflichtung zum Erlass präventiver Maßnahmen und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung eine Einreiseberechtigung ergeben könne.

26      Darüber hinaus hänge die Anwendung von Art. 4 der Charta, anders als bei Art. 3 EMRK, nicht von der Ausübung von Hoheitsgewalt ab, sondern von der Durchführung des Unionsrechts. Weder aus den Verträgen noch aus der Charta ergebe sich jedoch, dass deren Anwendung territorial beschränkt wäre.

27      Art. 25 des Visakodex sehe u. a. vor, dass ein Visum erteilt werde, wenn der betreffende Mitgliedstaat dies aufgrund internationaler Verpflichtungen für erforderlich „hält“. Zweifelhaft sei jedoch der Umfang des den Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang eingeräumten Beurteilungsspielraums; in Anbetracht des zwingenden Charakters der internationalen und der sich aus der Charta ergebenden Verpflichtungen könnte insoweit jeglicher Spielraum ausgeschlossen sein.

28      Unter diesen Umständen hat der Conseil du Contentieux des Étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen vorzulegen:

1.      Beziehen sich die „internationalen Verpflichtungen“ im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex auf sämtliche durch die Charta gewährleisteten Rechte, darunter insbesondere diejenigen, die durch die Art. 4 und 18 gewährleistet werden, und fallen darunter auch die Verpflichtungen, an die die Mitgliedstaaten in Anbetracht der EMRK sowie des Art. 33 des Genfer Abkommens gebunden sind?

2.      a)      Ist Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex unter Berücksichtigung der Antwort auf die erste Frage dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der mit einem Antrag auf ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit befasst ist, vorbehaltlich des Beurteilungsspielraums, über den er hinsichtlich der Umstände des Falles verfügt, verpflichtet ist, das beantragte Visum zu erteilen, wenn die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 4 und/oder Art. 18 der Charta oder gegen eine andere internationale Verpflichtung, an die er gebunden ist, erwiesen ist?

b)      Hat das Vorliegen von Verbindungen zwischen dem Antragsteller und dem mit dem Visumantrag befassten Mitgliedstaat (beispielsweise familiäre Bindungen, Gastfamilien, Garanten und Förderer usw.) Auswirkungen auf die Beantwortung dieser Frage?

 Zum Eilverfahren

29      Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem in Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

30      Zur Stützung dieses Antrags hat es u. a. auf die dramatische Situation des bewaffneten Konflikts in Syrien, das geringe Alter der Kinder der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, deren besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur christlich-orthodoxen Gemeinschaft und insbesondere den Umstand verwiesen, dass es im Rahmen eines Verfahrens äußerster Dringlichkeit zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes angerufen worden sei.

31      Das vorlegende Gericht hat insoweit darauf hingewiesen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die Aussetzung des bei ihm anhängigen Verfahrens zur Folge gehabt habe.

32      Insoweit ist erstens festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen, das die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex betrifft, Fragen zu den Bereichen aufwirft, die von Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des Dritten Teils des AEU-Vertrags erfasst werden. Es kommt daher für ein Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 Abs. 1 der Verfahrensordnung in Betracht.

33      Zweitens steht fest, dass die Antragsteller des Ausgangsverfahrens jedenfalls zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrags, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, tatsächlich Gefahr liefen, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden, was als ein Kriterium für die Dringlichkeit anzusehen ist, das die Anwendung der Art. 107 ff. der Verfahrensordnung rechtfertigt.

34      In Anbetracht dessen hat die Fünfte Kammer des Gerichtshofs am 15. Dezember 2016 auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben. Überdies hat die Kammer entschieden, die Rechtssache an den Gerichtshof zu verweisen, damit er sie der Großen Kammer zuweist.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

35      Die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts wird u. a. von der belgischen Regierung mit der Begründung in Abrede gestellt, dass Art. 25 Abs. 1 des Visakodex, um dessen Auslegung ersucht werde, auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anträge nicht anwendbar sei.

36      Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch zweifelsfrei hervor, dass diese Anträge aus humanitären Gründen auf der Grundlage von Art. 25 des Visakodex gestellt wurden.

37      Die Frage, ob der Visakodex auf Anträge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbar ist, die es Drittstaatsangehörigen ermöglichen sollen, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Asyl zu beantragen, ist untrennbar mit den Antworten verbunden, die auf das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zu geben sind. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof für die Beantwortung dieses Ersuchens zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2015, Wojciechowski, C‑408/14, EU:C:2015:591, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zu den Vorlagefragen

38      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex dahin auszulegen ist, dass die dort genannten internationalen Verpflichtungen die Wahrung sämtlicher durch die Charta, insbesondere in deren Art. 4 und 18, sowie durch die EMRK und durch Art. 33 des Genfer Abkommens garantierter Rechte seitens eines Mitgliedstaats umfassen. Mit seiner zweiten Frage möchte es wissen, ob Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Visakodex unter Berücksichtigung der Antwort auf seine erste Frage dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der mit einem Antrag auf ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit befasst ist, das beantragte Visum erteilen muss, wenn die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 4 und/oder Art. 18 der Charta oder gegen eine internationale Verpflichtung, der dieser Mitgliedstaat nachkommen muss, besteht. Gegebenenfalls möchte es wissen, ob das Vorliegen von Verbindungen zwischen dem Antragsteller und dem mit dem Visumantrag befassten Mitgliedstaat insoweit Auswirkungen hat.

39      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Umstand, dass das vorlegende Gericht eine Frage unter Bezugnahme nur auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran hindert, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. u. a. Urteil vom 12. Februar 2015, Oil Trading Poland, C‑349/13, EU:C:2015:84, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Visakodex auf der Grundlage von Art. 62 Nr. 2 Buchst. a und b Ziff. ii des EG-Vertrags erlassen wurde, wonach der Rat der Europäischen Union Maßnahmen über Visa für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten einschließlich der Verfahren und Voraussetzungen für die Visumerteilung durch die Mitgliedstaaten beschließt.

41      Mit dem Visakodex werden gemäß seinem Art. 1 die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen festgelegt. Nach Art. 2 Nr. 2 Buchst. a und b des Visakodex bezeichnet der Ausdruck „Visum“ im Sinne dieses Kodex „die von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung“ im Hinblick auf „die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder einen geplanten Aufenthalt in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen“ bzw. „die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen von Mitgliedstaaten“.

42      Wie aus der Vorlageentscheidung und den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, stellten die Antragsteller des Ausgangsverfahrens bei der belgischen Botschaft im Libanon ihre auf Art. 25 des Visakodex gestützten Anträge auf Visa aus humanitären Gründen aber in der Absicht, sogleich nach ihrer Ankunft in Belgien in diesem Mitgliedstaat Asyl zu beantragen; sie strebten somit die Erteilung eines Aufenthaltstitels an, dessen Gültigkeit nicht auf 90 Tage beschränkt wäre.

43      Nach Art. 1 des Visakodex fallen solche Anträge, obgleich sie formal auf der Grundlage von Art. 25 dieses Kodex gestellt wurden, nicht in dessen Anwendungsbereich und insbesondere nicht in den Anwendungsbereich seines Art. 25 Abs. 1 Buchst. a, um dessen Auslegung das vorlegende Gericht im Zusammenhang mit dem darin enthaltenen Begriff „internationale Verpflichtungen“ ersucht.

44      Außerdem fallen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anträge allein unter das nationale Recht, weil der Unionsgesetzgeber bisher – wie die belgische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben – keinen auf Art. 79 Abs. 2 Buchst. a AEUV beruhenden Rechtsakt erlassen hat, der die Voraussetzungen betrifft, unter denen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörigen aus humanitären Gründen Visa oder Aufenthaltstitel für einen langfristigen Aufenthalt erteilen.

45      Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation somit nicht vom Unionsrecht geregelt ist, sind die Vorschriften der Charta, insbesondere deren Art. 4 und 18, auf die sich die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen, nicht auf sie anwendbar (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19, und vom 27. März 2014, Torralbo Marcos, C‑265/13, EU:C:2014:187, Rn. 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Das vorstehende Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. b des Visakodex „begründete Zweifel an der [vom Antragsteller] bekundeten Absicht …, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen“, ein Grund für die Verweigerung des Visums und nicht für die Nichtanwendung dieses Kodex sind.

47      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation ist nämlich nicht dadurch gekennzeichnet, dass solche Zweifel bestehen, sondern durch einen Antrag, der einen anderen Gegenstand hat als den eines Visums für einen kurzfristigen Aufenthalt.

48      Das umgekehrte Ergebnis liefe überdies darauf hinaus, dass Drittstaatsangehörige unter Berufung auf den Visakodex, obwohl er für die Zwecke der Erteilung von Visa für Aufenthalte im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen konzipiert wurde, Visumanträge mit dem Ziel stellen könnten, die Gewährung internationalen Schutzes im Mitgliedstaat ihrer Wahl zu erreichen, was die allgemeine Systematik des mit der Verordnung Nr. 604/2013 geschaffenen Systems beeinträchtigen würde.

49      Außerdem würde das umgekehrte Ergebnis bedeuten, dass die Mitgliedstaaten nach dem Visakodex verpflichtet wären, es Drittstaatsangehörigen de facto zu ermöglichen, einen Antrag auf internationalen Schutz bei den Vertretungen der Mitgliedstaaten im Hoheitsgebiet eines Drittstaats zu stellen. Auch wenn der Visakodex nicht dazu dient, die Regelungen der Mitgliedstaaten über den internationalen Schutz zu harmonisieren, ist aber festzustellen, dass die auf der Grundlage von Art. 78 AEUV erlassenen Rechtsakte der Union, die die Verfahren für Anträge auf internationalen Schutz regeln, keine solche Verpflichtung vorsehen; sie schließen im Gegenteil Anträge, die bei den Vertretungen der Mitgliedstaaten gestellt werden, von ihrem Anwendungsbereich aus. So geht aus Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2013/32 hervor, dass sie für Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet – einschließlich an der Grenze, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen – der Mitgliedstaaten gestellt werden, gilt, nicht aber für Ersuchen um diplomatisches oder territoriales Asyl in Vertretungen der Mitgliedstaaten. Ebenso ergibt sich aus Art. 1 und Art. 3 der Verordnung Nr. 604/2013, dass sie die Mitgliedstaaten nur dazu verpflichtet, jeden im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, und dass die in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren nur für solche Anträge auf internationalen Schutz gelten.

50      Unter diesen Umständen haben die belgischen Behörden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anträge fälschlich als Anträge auf Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt eingestuft.

51      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 1 des Visakodex dahin auszulegen ist, dass für einen Antrag auf ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit, der von einem Drittstaatsangehörigen aus humanitären Gründen auf der Grundlage von Art. 25 dieses Kodex bei der Vertretung des Zielmitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines Drittstaats in der Absicht gestellt wird, sogleich nach seiner Ankunft in diesem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und sich infolgedessen in einem Zeitraum von 180 Tagen länger als 90 Tage dort aufzuhalten, nicht der Visakodex gilt, sondern beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts allein das nationale Recht.

 Kosten

52      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass für einen Antrag auf ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit, der von einem Drittstaatsangehörigen aus humanitären Gründen auf der Grundlage von Art. 25 dieses Kodex bei der Vertretung des Zielmitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines Drittstaats in der Absicht gestellt wird, sogleich nach seiner Ankunft in diesem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und sich infolgedessen in einem Zeitraum von 180 Tagen länger als 90 Tage dort aufzuhalten, nicht der Visakodex gilt, sondern beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts allein das nationale Recht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.