Language of document : ECLI:EU:C:2019:982

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. November 2019(*)(i)

Inhaltsverzeichnis


Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

EU-Vertrag

Charta

Richtlinie 2000/78

Polnisches Recht

Verfassung

Neues Gesetz über das Oberste Gericht

– Bestimmungen über die Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)

– Bestimmungen über die Ernennung von Richtern an den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)

– Bestimmungen über die Disziplinarkammer

Gesetz über die Organisation der Verwaltungsgerichte

Gesetz über die KRS

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Verfahren vor dem Gerichtshof

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage in den Rechtssachen C 624/18 und C625/18

Zu den Fragen in der Rechtssache C 585/18 sowie zu der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C624/18 und C625/18

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

Zu einer etwaigen Erledigung

Zur Zulässigkeit der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C 624/18 und C625/18

Zur inhaltlichen Prüfung der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C 624/18 und C625/18

Kosten


„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2000/78/EG – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Nichtdiskriminierung wegen des Alters – Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) – Art. 9 Abs. 1 – Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit – Einrichtung einer neuen Kammer beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), die u. a. für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Versetzung der Richter dieses Gerichts in den Ruhestand zuständig ist – Kammer, die mit Richtern besetzt ist, die vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Landesjustizrats neu ernannt werden – Unabhängigkeit des Landesjustizrats – Befugnis, die nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren nationalen Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen – Vorrang des Unionsrechts“

In den verbundenen Rechtssachen C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18

betreffend drei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych) (Oberster Gerichtshof [Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen], Polen) mit Entscheidungen vom 30. August 2018 (C‑585/18) und 19. September 2018 (C‑624/18 und C‑625/18), beim Gerichtshof eingegangen am 20. September 2018 (C‑585/18) und 3. Oktober 2018 (C‑624/18 und C‑625/18), in den Verfahren

A. K.

gegen

Krajowa Rada Sądownictwa (C‑585/18)

und

CP (C‑624/18),

DO (C‑625/18)

gegen

Sąd Najwyższy,

anderer Verfahrensbeteiligter:

Prokurator Generalny, vertreten durch die Prokuratura Krajowa,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský und N. Piçarra,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter, und R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündlichen Verhandlungen vom 19. März und 14. Mai 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von A. K., CP und DO, vertreten durch S. Gregorczyk-Abram, M. Wawrykiewicz und T. Zalasiński, adwokaci,

–        der Krajowa Rada Sądownictwa, vertreten durch D. Drajewicz, J. Dudzicz und D. Pawełczyk-Woicka als Bevollmächtigte,

–        des Sąd Najwyższy, vertreten durch M. Wrzołek-Romańczuk radca prawny,

–        des Prokurator Generalny, vertreten durch die Prokuratura Krajowa, diese vertreten durch S. Bańko, R. Hernand, A. Reczka, T. Szafrański und M. Szumacher,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, und S. Żyrek als Bevollmächtigte im Beistand von W. Gontarski, adwokat,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und V. Soņeca als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und K. Herrmann als Bevollmächtigte,

–        der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch J. S. Watson, C. Zatschler, I. O. Vilhjálmsdóttir und C. Howdle als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2019

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 267 Abs. 3 AEUV, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen A. K., Richter am Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen), und der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) (Rechtssache C‑585/18) und zum anderen zwischen CP und DO, Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen), auf der einen Seite und diesem Gericht auf der anderen Seite (Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18) wegen ihrer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand infolge des Inkrafttretens neuer nationaler Rechtsvorschriften.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 EU-Vertrag

3        Art. 2 EUV lautet:

„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

4        Art. 19 Abs. 1 EUV bestimmt:

„Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.

Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

 Charta

5        In Titel VI („Justizielle Rechte“) der Charta bestimmt Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“):

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

…“

6        Art. 51 („Anwendungsbereich“) der Charta lautet:

„(1)      Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.

(2)      Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“

7        Art. 52 Abs. 3 der Charta lautet:

„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete] Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

8        In den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) wird zu Art. 47 Abs. 2 der Charta klargestellt, dass diese Bestimmung Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) entspricht.

 Richtlinie 2000/78

9        Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen … des Alters … in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“

10      Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.“

11      In Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg … geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommen sein soll, bereits beendet ist.“

 Polnisches Recht

 Verfassung

12      Nach Art. 179 der Verfassung ernennt der Präsident der Republik Polen (im Folgenden: Präsident der Republik) die Richter auf Vorschlag der KRS auf unbestimmte Zeit.

13      Art. 186 Abs. 1 der Verfassung lautet:

„Die [KRS] schützt die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.“

14      Art. 187 der Verfassung bestimmt:

„1.      Die [KRS] besteht aus:

1)      dem Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], dem Justizminister, dem Präsidenten des [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] und einer vom Präsidenten der Republik berufenen Person,

2)      fünfzehn Mitgliedern, die aus der Mitte der Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungs- und Militärgerichte gewählt worden sind,

3)      vier Mitgliedern, die vom [Sejm (Erste Kammer des Parlaments, Polen)] aus der Mitte der Abgeordneten und zwei Mitgliedern, die vom Senat aus der Mitte der Senatoren gewählt worden sind.

3.      Die Amtszeit der gewählten Mitglieder [der KRS] beträgt vier Jahre.

4.      Die Ordnung, den Umfang der Tätigkeit und die Arbeitsweise [der KRS] sowie die Wahl ihrer Mitglieder regelt ein Gesetz.“

 Neues Gesetz über das Oberste Gericht

–       Bestimmungen über die Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)

15      In Art. 30 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 23. November 2002 (Dz. U. 2002, Pos. 240) war das Ruhestandsalter für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) auf 70 Jahre festgesetzt.

16      Am 20. Dezember 2017 unterzeichnete der Präsident der Republik die Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5, im Folgenden: neues Gesetz über das Oberste Gericht), das am 3. April 2018 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz wurde später mehrfach geändert.

17      Art. 37 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht sieht vor:

„§ 1.      Ein Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] tritt mit Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand, es sei denn, er gibt frühestens zwölf und spätestens sechs Monate vor Erreichen dieses Alters eine Erklärung ab, im Amt verbleiben zu wollen, er legt eine Bescheinigung über seine gesundheitliche Befähigung zur Ausübung des Richteramts vor, die nach den für Bewerber um eine Richterstelle geltenden Grundsätzen erteilt wird, und der [Präsident der Republik] erteilt seine Zustimmung zum Verbleib im Amt als Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)].

§ 1a.      Der [Präsident der Republik] holt vor Erteilung der Zustimmung zum Verbleib im Amt als Richter am Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht] eine Stellungnahme [der KRS] ein. [Die KRS] übermittelt dem [Präsidenten der Republik] die Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen ab dem Tag ihrer Anforderung durch den [Präsidenten der Republik]. Wenn innerhalb der in Satz 2 genannten Frist keine Stellungnahme übermittelt worden ist, gilt eine befürwortende Stellungnahme [der KRS] als erteilt.

§ 1b      [Die KRS] berücksichtigt bei der Anfertigung der in § 1a genannten Stellungnahme das Interesse der Rechtspflege oder wichtige öffentliche Interessen, insbesondere die rationelle Nutzung der Personalressourcen des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] oder den Bedarf, der sich aus der Arbeitsbelastung einzelner Kammern des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] ergibt.

§ 4.      Die Zustimmung nach § 1 wird für die Dauer von drei Jahren – höchstens zweimal – erteilt. …“

18      Art. 39 dieses Gesetzes bestimmt:

„Das Datum des Eintritts oder der Versetzung eines Richters des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in den Ruhestand wird vom [Präsidenten der Republik] festgestellt.“

19      In Art. 111 Abs. 1 des Gesetzes heißt es:

„Die Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], die das 65. Lebensjahr bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes vollendet haben oder innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vollenden, treten drei Monate nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in den Ruhestand, es sei denn, sie legen innerhalb eines Monats nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes die Erklärung und die Bescheinigung nach Art. 37 § 1 vor und der [Präsident der Republik] erteilt seine Zustimmung zum Verbleib im Amt als Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)]. …“

–       Bestimmungen über die Ernennung von Richtern an den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)

20      Nach Art. 29 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht werden die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt. Art. 30 dieses Gesetzes nennt die Bedingungen, die eine Person erfüllen muss, um zum Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ernannt werden zu können.

–       Bestimmungen über die Disziplinarkammer

21      Mit dem neuen Gesetz über das Oberste Gericht wurde am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eine neue Kammer mit der Bezeichnung „Izba Dyscyplinarna“ (im Folgenden: Disziplinarkammer) eingerichtet.

22      Art. 20 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht lautet:

„In Bezug auf die Disziplinarkammer und die Richter, die ihr Amt in der Disziplinarkammer ausüben, werden die Befugnisse des Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], wie sie festgelegt sind in

–        Art. 14 § 1 Nrn. 1, 4 und 7, Art. 31 § 1, Art. 35 § 2, Art. 36 § 6, Art. 40 § 1 und 4 und Art. 51 § 7 und 14, vom Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] wahrgenommen, der die Tätigkeit der Disziplinarkammer leitet;

–        Art. 14 § 1 und 2 sowie Art. 55 § 3 Satz 2 vom Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] im Einvernehmen mit dem Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] wahrgenommen, der die Tätigkeit der Disziplinarkammer leitet.“

23      In Art. 27 § 1 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht heißt es:

„Die Disziplinarkammer ist zuständig für

1)      Disziplinarverfahren,

–        die Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen

2)      Verfahren auf dem Gebiet des Arbeits- und des Sozialversicherungsrechts, die Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen;

3)      Verfahren über die Versetzung eines Richters des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in den Ruhestand.“

24      Art. 79 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht sieht vor:

„Für arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten, die Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffen, sowie Streitigkeiten, die die Versetzung eines Richters des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in den Ruhestand betreffen, ist zuständig

1)      im ersten Rechtszug – der [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit einem Richter der Disziplinarkammer;

2)      im zweiten Rechtszug – der [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit drei Richtern der Disziplinarkammer.“

25      In Art. 25 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht heißt es:

„Die Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych [(Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen)] ist zuständig für Rechtsstreitigkeiten, die das Arbeitsrecht, die Sozialversicherung … betreffen“.

26      Zu den Übergangsbestimmungen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht gehören u. a. folgende Bestimmungen:

„Art. 131

Bevor nicht alle Richterstellen in der Disziplinarkammer des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] besetzt sind, können keine Richter aus einer anderen Kammer [dieses Gerichts] auf eine Stelle in dieser Kammer versetzt werden.

Art. 134

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes werden die Richter des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], die der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen sowie Öffentliche Angelegenheiten angehören, zu Richtern, die der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen angehören.“

27      Art. 131 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht wurde durch Art. 1 Nr. 14 der Ustawa o zmianie ustawy o Sądzie Najwyższym (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht) vom 12. April 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 847), das am 9. Mai 2018 in Kraft getreten ist, wie folgt geändert:

„Richter, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes Stellen in anderen Kammern des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] innehaben, können auf Stellen in der Disziplinarkammer versetzt werden. Der Richter, der eine Stelle in einer anderen Kammer des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] innehat, legt nach Einholung der Zustimmung des Ersten Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] und des Präsidenten des [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], der die Tätigkeit der Disziplinarkammer leitet, und der Kammer, in der der seine Versetzung beantragende Richter tätig ist, [der KRS] bis zu dem Tag, an dem erstmals alle Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in der Disziplinarkammer ernannt sein werden, einen Antrag auf Versetzung auf eine Stelle in der Disziplinarkammer vor. Der [Präsident der Republik] nimmt auf Vorschlag [der KRS] die Ernennung eines Richters am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] in der Disziplinarkammer bis zu dem Tag vor, an dem erstmals alle Stellen in dieser Kammer besetzt sein werden.“

 Gesetz über die Organisation der Verwaltungsgerichte

28      Art. 49 der Ustawa – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz über die Organisation der Verwaltungsgerichte) vom 25. Juli 2002 (Dz. U. 2017, Pos. 2188) sieht vor, dass für Fragen, die nicht in diesem Gesetz geregelt sind, die Bestimmungen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht gelten.

 Gesetz über die KRS

29      Die KRS ist in der Ustawa o Krajowej Radzie Sądownictwa (Gesetz über den Landesjustizrat) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. Nr. 126 von 2011, Pos. 714) in der durch die Ustawa zmianie ustawy o Krajowej Radzie Sądownictwa oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: KRS-Gesetz) geregelt.

30      In Art. 9a des KRS-Gesetzes heißt es:

„(1)      Der Sejm wählt aus den Reihen der Richter am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)], an den ordentlichen Gerichten, an den Verwaltungsgerichten und an den Militärgerichten 15 Mitglieder [der KRS] für eine gemeinsame Amtszeit von vier Jahren.

(2)      Bei der Vornahme der Wahl nach Abs. 1 trägt der Sejm soweit wie möglich dem Erfordernis Rechnung, dass Richter verschiedener Arten und Ebenen von Gerichten [in der KRS] vertreten sind.

(3)      Die gemeinsame Amtszeit der aus den Reihen der Richter gewählten neuen Mitglieder [der KRS] beginnt an dem auf ihre Wahl folgenden Tag. Die für die vorherigen Amtszeiten ernannten Mitglieder [der KRS] üben ihre Tätigkeit bis zu dem Tag aus, an dem die gemeinsame Amtszeit der neuen Mitglieder [der KRS] beginnt.“

31      Nach Art. 11a Abs. 2 des KRS-Gesetzes haben das Vorschlagsrecht für Kandidaten für eine Mitgliedschaft in der KRS, die aus der Mitte der Richter ausgewählt werden, eine Gruppe von mindestens 2 000 Bürgern der Republik Polen oder 25 Richtern unter Ausschluss von Richtern im Ruhestand. Das Verfahren für die Ernennung der Mitglieder der KRS durch das Parlament ist in Art. 11d des KRS-Gesetzes geregelt.

32      Gemäß Art. 34 des KRS-Gesetzes nimmt eine aus drei Mitgliedern der KRS bestehende Gruppe Stellung zur Beurteilung der Bewerber um eine Richterstelle.

33      Art. 35 des KRS-Gesetzes bestimmt:

„1.      Hat sich mehr als ein Kandidat um eine Stelle als Richter oder Richteramtsanwärter beworben, stellt die Gruppe eine Liste der empfohlenen Kandidaten auf.

2.      Bei der Festlegung der Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste berücksichtigt die Gruppe in erster Linie die Beurteilung der Qualifikationen der Kandidaten und darüber hinaus

1)      die Berufserfahrung, einschließlich der Erfahrung in der Rechtsanwendung, wissenschaftliche Leistungen, Stellungnahmen von Vorgesetzten, Empfehlungen, Veröffentlichungen und andere, dem Bewerbungsformular beigefügte Dokumente;

2)      die Stellungnahme des kolegium (Kollegiums) des betreffenden Gerichts und die Beurteilung durch die betreffende Generalversammlung der Richter.

3.      Das Fehlen von in Abs. 2 genannten Unterlagen steht der Erstellung einer Liste der empfohlenen Kandidaten nicht entgegen.“

34      Art. 37 Abs. 1 des KRS-Gesetzes sieht vor:

„Hat sich mehr als ein Kandidat um eine Stelle als Richter beworben, prüft und bewertet [die KRS] alle eingereichten Bewerbungen gemeinsam. In diesem Fall verabschiedet [die KRS] eine Entschließung, die ihre Entscheidungen über die Einreichung eines Vorschlags zur Berufung in das Amt eines Richters hinsichtlich aller Kandidaten enthält.“

35      Art. 44 des KRS-Gesetzes bestimmt:

„1.      Ein Teilnehmer an dem Verfahren kann gegen die Entschließung [der KRS] einen Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] mit der Begründung einlegen, dass diese rechtswidrig sei, soweit nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorsehen. …

1a.      In eine Berufung in das Amt eines Richters am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffenden Einzelfällen kann ein Rechtsbehelf beim [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] eingelegt werden. Ein Rechtsbehelf beim [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] kann in diesen Fällen nicht eingelegt werden. Ein Rechtsbehelf zum [Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht)] kann nicht damit begründet werden, dass nicht zutreffend beurteilt worden sei, ob die Kandidaten die Kriterien erfüllen, die bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind, ob der Vorschlag zur Berufung in das Amt eines Richters am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] eingereicht wird.

1b.      Haben nicht alle Beteiligten am Verfahren die Entschließung nach Art. 37 Abs. 1 im eine Berufung in das Amt eines Richters am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] betreffenden Einzelfall angefochten, wird die Entschließung für Verfahrensbeteiligte, die keinen Rechtsbehelf eingelegt haben, insoweit rechtskräftig, als sie die Entscheidung zur Einreichung des Vorschlags zur Berufung in das Amt eines Richters am [Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht)] bzw. die Entscheidung, keinen Vorschlag zur Berufung in das Amt eines Richters am selben Gericht einzureichen, beinhaltet.

2.      Der Rechtsbehelf ist über den Przewodniczący [(Präsident der KRS)] innerhalb von zwei Wochen nach Mitteilung der mit Gründen versehenen Entschließung einzureichen. …“

36      Art. 6 des Gesetzes vom 8. Dezember 2017 zur Änderung des KRS-Gesetzes sieht vor:

„Die Amtszeit der in Art. 187 Abs. 1 Nr. 2 der [Verfassung] genannten Mitglieder [der KRS], die nach den bisherigen Bestimmungen gewählt wurden, dauert bis zum Tag vor dem Beginn der Amtszeit der neuen Mitglieder [der KRS], höchstens jedoch 90 Tage ab dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes, sofern sie nicht vorher durch den Ablauf der Amtszeit endet.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

37      In der Rechtssache C‑585/18 gab A. K., Richter am Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht), der vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht das 65. Lebensjahr vollendet hatte, gemäß Art. 37 § 1 und Art. 111 § 1 dieses Gesetzes eine Erklärung ab, im Amt verbleiben zu wollen. Am 27. Juli 2018 nahm die KRS nach Art. 37 § 1a des Gesetzes zu diesem Antrag ablehnend Stellung. Gegen diese Stellungnahme legte A. K. am 10. August 2018 einen Rechtsbehelf beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ein. Zur Begründung des Rechtsbehelfs trug A. K. insbesondere vor, dass seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand im Alter von 65 Jahren gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta sowie gegen die Richtlinie 2000/78, insbesondere gegen deren Art. 9 Abs. 1, verstoße.

38      Die Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 betreffen zwei Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), CP und DO, die ebenfalls vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht das 65. Lebensjahr vollendet hatten, aber keine Erklärung gemäß Art. 37 § 1 und Art. 111 § 1 dieses Gesetzes abgegeben haben. Nachdem die Betroffenen darüber informiert worden waren, dass der Präsident der Republik gemäß Art. 39 des Gesetzes ihre Versetzung in den Ruhestand mit Wirkung vom 4. Juli 2018 festgestellt habe, stellten sie beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Anträge gegen dieses Gericht auf Feststellung, dass ihr Beschäftigungsverhältnis als Richter im aktiven Dienst dieses Gerichts nicht ab diesem Zeitpunkt in ein solches eines sich im Ruhestand befindlichen Richters dieses Gerichts übergegangen sei. Sie stützen ihre Anträge u. a. auf einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, der Diskriminierungen wegen des Alters verbietet.

39      Die Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych (Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) (im Folgenden: Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen), bei der diese verschiedenen Rechtsbehelfe anhängig sind, weist in ihren Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 darauf hin, dass sie mit diesen Rechtsbehelfen befasst worden sei, als die Disziplinarkammer noch nicht eingerichtet gewesen sei. Es stelle sich deshalb die Frage, ob sie nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 und Art. 47 der Charta verpflichtet sei, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, die die Zuständigkeit für die Entscheidung über solche Rechtsbehelfe einer noch nicht eingerichteten Kammer vorbehielten. Diese Frage könne allerdings ihre Bedeutung verlieren, wenn die Richterstellen in der Disziplinarkammer tatsächlich besetzt würden.

40      Das vorlegende Gericht führt in seinen Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18 zudem aus, dass unter Berücksichtigung insbesondere der Umstände, unter denen die Ernennung der neuen Richter der Disziplinarkammer zu erfolgen habe, ernste Zweifel bestünden, ob die Kammer und ihre Mitglieder hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit böten.

41      Insoweit weist es zunächst darauf hin, dass diese Richter vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt würden und dass aufgrund der sich aus dem Gesetz vom 8. Dezember 2017 zur Änderung des Gesetzes über den Landesjustizrat und bestimmter anderer Gesetze ergebenden Reform die 15 Mitglieder (von den insgesamt 25 Mitgliedern) der KRS, die aus der Mitte der Richter auszuwählen seien, seitdem nicht mehr wie zuvor von den Generalversammlungen der Richter aller Ebenen, sondern vom Sejm ausgewählt würden. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung als Grundlage des demokratischen Rechtsstaats und entspreche nicht den internationalen und europäischen Standards in diesem Bereich, wie sich insbesondere aus der Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats CM/Rec(2010)12, Richter: Unabhängigkeit, Effizienz und Verantwortung, vom 17. November 2010, der Stellungnahme Nr. 904/2017 (CDL‑AD[2017]031) der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) vom 11. Dezember 2017 und der an das Ministerkomitee des Europarats gerichteten Stellungnahme Nr. 10(2007) des Beirats der Europäischen Richter zum Rat für das Justizwesen im Dienste der Gesellschaft vom 23. November 2007 ergebe.

42      Sodann führt das vorlegende Gericht aus, dass sowohl die – insbesondere verfahrensrechtlichen – Voraussetzungen, unter denen die Mitglieder der KRS im Jahr 2018 ausgewählt und ernannt worden seien, als auch eine Prüfung der Art und Weise, in der die KRS in dieser Zusammensetzung bis jetzt agiert habe, zeigten, dass die KRS dem Willen der Politik unterworfen und nicht in der Lage sei, ihre verfassungsmäßige Aufgabe, über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter zu wachen, wahrzunehmen.

43      Zum einen seien die kürzlich erfolgten Wahlen der neuen Mitglieder der KRS nicht transparent gewesen, und es bestünden erhebliche Zweifel, ob sie tatsächlich den Anforderungen der geltenden Gesetzgebung entsprochen hätten. Auch das sich aus Art. 187 Abs. 1 Nr. 2 der Verfassung ergebende Erfordernis der Repräsentativität der verschiedenen Arten und Ebenen von Gerichten sei nicht beachtet worden. Zu den Mitgliedern der KRS gehörten nämlich keine gewählten Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), der Berufungsgerichte oder der Militärgerichte, sondern ein Vertreter eines Woiwodschaftsverwaltungsgerichts, zwei Vertreter von Bezirksgerichten und zwölf Vertreter von Rayongerichten.

44      Zum anderen zeige eine Prüfung der Tätigkeit der neu zusammengesetzten KRS, dass diese im Kontext der Krise, die durch die jüngsten den Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) betreffenden Gesetzesreformen ausgelöst worden sei, nicht für die Wahrung der Unabhängigkeit dieses Gerichts eintrete. Im Gegenteil hätten die KRS oder Mitglieder der KRS die Mitglieder des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) öffentlich dafür kritisiert, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt oder mit den Organen der Union, insbesondere mit der Europäischen Kommission, zusammengearbeitet zu haben. Wie insbesondere die in der Rechtssache C‑585/18 vor dem vorlegenden Gericht angefochtene Stellungnahme der KRS zeige, bestehe ferner die Praxis der KRS, wenn sie eine Stellungnahme zur möglichen Fortsetzung der Richtertätigkeit am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) über das neu auf 65 Jahre festgesetzte Ruhestandsalter hinaus abzugeben habe, darin, ablehnende Stellungnahmen abzugeben, die keine Begründung enthielten, oder sich darauf zu beschränken, den Wortlaut von Art. 37 § 1b des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht wiederzugeben.

45      Darüber hinaus zeige die Auswahl, die von der KRS zur Besetzung der 16 Richterstellen der Disziplinarkammer, die am 24. Mai 2018 durch den Präsidenten der Republik für vakant erklärt worden seien, getroffen worden sei, dass die zwölf von der KRS in Betracht gezogenen Bewerber, nämlich sechs Staatsanwälte, zwei Richter, zwei Rechtsberater und zwei Hochschullehrer, entweder Personen seien, die bis dahin der Exekutive unterstanden hätten, Personen, die während der Krise der Rechtsstaatlichkeit in Polen auf Anordnung der Politik oder im Einklang mit deren Erwartungen gehandelt hätten, Personen, die nicht die gesetzlichen Kriterien erfüllten, oder Personen, gegen die in der Vergangenheit Disziplinarmaßnahmen ergriffen worden seien.

46      Schließlich hebt das vorlegende Gericht hervor, dass das Verfahren, mit dem die KRS die Bewerber um die Richterstellen der Disziplinarkammer auszuwählen habe, die nicht aus den Reihen der sich bereits im Amt befindlichen Mitglieder des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) ausgewählt werden könnten, dahin konzipiert und später geändert worden sei, dass die KRS nach freiem Ermessen handeln könne, ohne dass insoweit eine echte Kontrollmöglichkeit bestehe.

47      Erstens sei nicht mehr vorgesehen, dass der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) an diesem Ernennungsverfahren beteiligt sei, so dass die effektive und konkrete Beurteilung der Verdienste der Bewerber nicht mehr gewährleistet sei. Zweitens sei es, wie sich aus Art. 35 Abs. 3 des KRS-Gesetzes ergebe, bei der Erstellung der Liste der von der KRS empfohlenen Bewerber kein Hindernis mehr, wenn die Bewerber die in Art. 35 Abs. 2 des KRS-Gesetzes genannten Unterlagen nicht vorlegten, die für die Entscheidung zwischen den Betroffenen jedoch von großer Bedeutung seien. Drittens würden die Entscheidungen der KRS nach Art. 44 des KRS-Gesetzes bestandskräftig, wenn sie nicht von allen Bewerbern angefochten worden seien, was eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen tatsächlich unmöglich mache.

48      In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, welche Bedeutung im Hinblick auf die Beachtung des sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernisses der Unabhängigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte und Richter bestimmten Faktoren beizumessen ist, wie z. B. der Unabhängigkeit des für die Auswahl von Richtern zuständigen Gremiums von der Politik und der Umstände bei der Auswahl der Mitglieder einer gerichtlichen Kammer, die in einem Mitgliedstaat von Grund auf neu geschaffen werde, obwohl sie für die Entscheidung über unter das Unionsrecht fallende Rechtssachen zuständig ist.

49      Für den Fall, dass eine solche gerichtliche Kammer dieses Unabhängigkeitserfordernis nicht erfüllt, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es danach verpflichtet ist, die Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die, indem sie die Zuständigkeit dieser gerichtlichen Kammer vorbehalten, seiner eigenen Zuständigkeit für die eventuelle Entscheidung über die Rechtssachen des Ausgangsverfahrens entgegenstehen. In seinen Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 führt das vorlegende Gericht insoweit aus, dass es im Bereich des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts über eine allgemeine Zuständigkeit verfüge, die es insbesondere dazu ermächtige, über Rechtsstreitigkeiten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in denen ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Bereich der Beschäftigung geltend gemacht werde, zu entscheiden.

50      Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych) (Oberstes Gericht [Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof mit den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zu befassen.

51      In der Rechtssache C‑585/18 lauten die Vorlagefragen:

1.      Ist Art. 267 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Art. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass die von Grund auf neu geschaffene Kammer des letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats, die für den Rechtsbehelf eines nationalen Richters zuständig ist und die sich ausschließlich aus Richtern zusammensetzen soll, die von einer nationalen Einrichtung gewählt werden, die über die Unabhängigkeit der Gerichte wachen soll, der KRS, jedoch wegen der Art und Weise, wie sie besetzt wurde und wie sie arbeitet, keine Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive gewährleistet, ein unabhängiges Gericht im Sinne des Unionsrechts ist?

2.      Falls die erste Frage verneint wird: Ist Art. 267 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Art. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass die unzuständige Kammer des letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats, die die Anforderungen des Unionsrechts an ein Gericht erfüllt und bei der der Rechtsbehelf in einer unionsrechtlichen Streitigkeit eingelegt wurde, die Bestimmungen des nationalen Gesetzes unangewendet lassen muss, die sie in dieser Sache für unzuständig erklären?

52      In den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 lauten die Vorlagefragen:

1.      Ist Art. 47 der Charta in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs (Klage) bei einem letztinstanzlichen Gericht eines Mitgliedstaats, mit dem ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gegenüber einem Richter dieses Gerichts geltend gemacht und zugleich ein Antrag auf Sicherung des geltend gemachten Anspruchs gestellt wird, dieses Gericht – zur Wahrung der Rechte, die aus dem Unionsrecht erwachsen, durch Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach innerstaatlichem Recht – verpflichtet ist, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, mit denen die Zuständigkeit in dem Rechtsstreit, in dem der Rechtsbehelf eingelegt wurde, einer Organisationseinheit dieses Gerichts zugewiesen wird, die nicht arbeitsfähig ist, weil die betreffenden Richterstellen nicht besetzt wurden?

2.      Für den Fall, dass die Richterstellen bei der nach nationalem Recht für die Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel zuständigen Organisationseinheit besetzt sind: Ist Art. 267 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Art. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass die von Grund auf neu geschaffene Kammer des letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats, die für den Rechtsstreit eines Richters des nationalen Gerichts in erster und zweiter Instanz zuständig ist und die sich ausschließlich aus Richtern zusammensetzen soll, die von einer nationalen Einrichtung, die über die Unabhängigkeit der Gerichte wachen soll, der KRS, ausgewählt werden, jedoch wegen der Art und Weise, wie sie errichtet wurde und wie sie arbeitet, keine Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive gewährleistet, ein unabhängiges Gericht im Sinne des Unionsrechts ist?

3.      Falls die zweite Frage verneint wird: Ist Art. 267 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 und Art. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass die unzuständige Kammer des letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats, die die Anforderungen des Unionsrechts an ein Gericht erfüllt und bei der der Rechtsbehelf in einer unionsrechtlichen Streitigkeit eingelegt wurde, die nationalen Bestimmungen unangewendet lassen muss, die sie in dieser Sache für unzuständig erklären?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

53      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 5. November 2018 sind die Rechtssachen C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18 verbunden worden.

54      Mit Beschluss vom 26. November 2018, A. K. u. a. (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:977), hat der Präsident des Gerichtshofs dem Antrag des vorlegenden Gerichts, die vorliegenden Rechtssachen dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, stattgegeben. Wie in Art. 105 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehen, ist der Termin für die mündliche Verhandlung umgehend auf den 19. März 2019 festgelegt und den Beteiligten mit der Zustellung der Vorabentscheidungsersuchen mitgeteilt worden. Für die etwaige Einreichung schriftlicher Erklärungen wurde den Beteiligten eine Frist gesetzt.

55      Am 19. März 2019 hat vor dem Gerichtshof eine erste mündliche Verhandlung stattgefunden. Am 14. Mai 2019 hat der Gerichtshof auf Antrag insbesondere der KRS, die keine schriftlichen Erklärungen vor dem Gerichtshof eingereicht hatte, in der ersten mündlichen Verhandlung nicht vertreten worden war und darum ersucht hatte, in die Lage versetzt zu werden, mündliche Ausführungen zu machen, eine zweite mündliche Verhandlung anberaumt, auch um es den Beteiligten zu ermöglichen, sich zu den etwaigen Auswirkungen eines Urteils vom 25. März 2019 auf die vorliegenden Rechtssachen zu äußern, mit dem das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht, Polen) Art. 9a des KRS-Gesetzes für mit Art. 187 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 der Verfassung vereinbar erklärt hat.

56      In der zweiten mündlichen Verhandlung hat die KRS die Entschließung Nr. 6 vorgelegt, die von der Versammlung der Richter der Disziplinarkammer am 13. Mai 2019 angenommen worden war und in der der Standpunkt der Disziplinarkammer zum Verfahren in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen dargelegt wird. Diese Entschließung wurde an die anwesenden Beteiligten verteilt und zu den Verfahrensakten genommen.

57      Mit Schriftsätzen, die am 3. und 29. Juli 2019, am 16. September 2019 und am 7. November 2019 von der polnischen Regierung, am 4. Juli 2019 von der KRS und am 29. Oktober 2019 vom Prokurator Generalny (Generalstaatsanwalt, Polen) bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden sind, ist die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt worden.

58      Zur Begründung ihres Antrags führt die KRS im Wesentlichen aus, dass sie mit den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht einverstanden sei, die auf fehlerhaften Beurteilungen beruhten und ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2019 nicht hinreichend berücksichtigt hätten. Daher sei es auch angebracht, dass das Gericht noch einmal die Möglichkeit prüfe, die zuvor von der KRS übermittelten schriftlichen Erklärungen zu berücksichtigen, die wegen verspäteter Vorlage an sie zurückgesandt worden seien.

59      In ihrem Antrag vom 3. Juli 2019 und in den ergänzenden Erläuterungen, die sie am 29. Juli und 16. September 2019 an den Gerichtshof gerichtet hat, weist die polnische Regierung darauf hin, dass auch sie nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden sei, die gewisse Widersprüche enthielten, und, wie sich aus einigen Nummern dieser Schlussanträge und ähnlichen Nummern in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11. April 2019 in der Rechtssache Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:325) ergebe, auf einem falschen Verständnis der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere des Urteils vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), beruhten. Ferner enthielten die Schlussanträge des Generalanwalts eine Reihe neuer Argumente und Positionen, die nicht hinreichend erörtert worden seien. Diese Gesichtspunkte rechtfertigten angesichts ihrer inhärenten Bedeutung oder ihrer grundlegenden Folgen für die verschiedenen in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsmodelle in Bezug auf die Zusammensetzung der nationalen Justizräte und das Verfahren für die Ernennung von Richtern eine Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, um es allen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich zu diesem Thema zu äußern. In ihrem Antrag vom 7. November 2019, zu dessen Begründung sie ein Protokoll der mündlichen Verhandlung des Sąd Okręgowy w Krakowie (Bezirksgericht Krakau, Polen) vom 6. September 2019 vorlegt, macht die polnische Regierung geltend, dass dieses Dokument befürchten lasse, dass die Entscheidung des Gerichtshofs in den vorliegenden Rechtssachen in Polen zu Rechtsunsicherheit führen könne, und dass es somit eine neue Tatsache darstelle, die entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung des Gerichtshofs haben könne.

60      Schließlich vertritt der Generalsstaatsanwalt, der im Wesentlichen auf die bereits von der KRS und der polnischen Regierung in ihren oben angeführten Anträgen auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens vom 3., 4. und 29. Juli 2019 sowie vom 16. September 2019 angeführten Gesichtspunkte und deren dort dargelegte Argumentation Bezug nimmt, erstens die Auffassung, dass die Umstände der Ausgangsverfahren nicht hinreichend geklärt seien, wie sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts ergebe. Zweitens sei in den Schlussanträgen zu wichtigen Fragen Stellung genommen worden, die nicht zwischen den Parteien erörtert worden seien. Drittens beruhten die Schlussanträge auf einem falschen Verständnis der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs und dieses falsche Verständnis stelle eine neue Tatsache dar, die entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung des Gerichtshofs haben könne.

61      Zu diesem Vorbringen ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Der Gerichtshof kann jedoch gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

64      Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens und der beiden aufeinanderfolgenden mündlichen Verhandlungen über alle für seine Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt. Bei den vorliegenden verbundenen Rechtssachen ist auch kein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich. Ferner ergibt sich aus den verschiedenen Anträgen auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, mit denen er befasst wurde, keine neue Tatsache, die von Bedeutung für seine Entscheidung in diesen Rechtssachen sein könnte. Aus diesen Gründen ist das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen.

65      Schließlich ist in Bezug auf den Antrag, mit dem die KRS erneut darum ersucht, dass der Gerichtshof ihre schriftlichen Erklärungen vom 4. April 2019 berücksichtigt, darauf hinzuweisen, dass diese Partei des Ausgangsverfahrens, die wie die anderen in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union genannten Beteiligten dazu aufgefordert worden war, innerhalb der dafür gesetzten Frist schriftliche Erklärungen einzureichen, hierauf bewusst verzichtet hat, wie schon aus dem Wortlaut ihres Schreibens an den Gerichtshof vom 28. März 2019 hervorgeht. Daher können die von der KRS verspätet eingereichten schriftlichen Erklärungen, die ihr aus diesem Grund zurückgesandt wurden, vom Gerichtshof auch in diesem Stadium des Verfahrens nicht berücksichtigt werden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage in den Rechtssachen C624/18 und C625/18

66      Mit seiner ersten Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einem letztinstanzlichen Gericht eines Mitgliedstaats, mit dem ein Verstoß gegen das sich aus dieser Richtlinie ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters geltend gemacht wird, dieses Gericht verpflichtet ist, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, mit denen die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen solchen Rechtsbehelf einer Einrichtung vorbehalten wird, die – wie die Disziplinarkammer – noch nicht geschaffen wurde, da die Personen, die in ihr tätig werden sollen, nicht ernannt wurden.

67      Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Präsident der Republik kurz nach Erlass der Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 die Richter der Disziplinarkammer ernannt hat, die somit geschaffen worden ist.

68      Aus diesem Grund ist eine Antwort auf die erste Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 für die Entscheidungen, die das vorlegende Gericht in diesen beiden Rechtssachen zu erlassen hat, nicht mehr erheblich. Eine solche Antwort wäre nämlich nur dann erforderlich, wenn die Disziplinarkammer tatsächlich nicht eingerichtet worden wäre.

69      Nach ständiger Rechtsprechung ist das mit Art. 267 AEUV eingerichtete Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 19. Dezember 2013, Fish Legal und Shirley, C‑279/12, EU:C:2013:853‚ Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70      Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt insoweit nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Stellt sich heraus, dass die vorgelegte Frage für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht erheblich ist, so muss der Gerichtshof feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2013, Stoilov i Ko, C‑180/12, EU:C:2013:693, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Folglich kann der Gerichtshof, wie die KRS, die polnische Regierung sowie die Kommission geltend gemacht haben und – wie sich aus Rn. 39 des vorliegenden Urteils ergibt – im Übrigen auch das vorlegende Gericht selbst nahegelegt hat, über die erste Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 nicht entscheiden.

 Zu den Fragen in der Rechtssache C585/18 sowie zu der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C624/18 und C625/18

72      Mit den Fragen in der Rechtssache C‑585/18 sowie der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 2 und 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 267 AEUV und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass eine Kammer eines obersten Gerichts eines Mitgliedstaats wie die Disziplinarkammer, die über Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, die unter das Unionsrecht fallen, unter Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen sie eingerichtet wurde und ihre Mitglieder ernannt wurden, den sich aus diesen Bestimmungen des Unionsrechts ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügt. Ist das nicht der Fall, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass es danach dazu verpflichtet ist, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, die die Zuständigkeit für die Entscheidung über solche Streitigkeiten dieser gerichtlichen Kammer vorbehalten.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

73      Der Generalstaatsanwalt hat erstens vorgetragen, dass der Gerichtshof für eine Entscheidung über die zweite und die dritte Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 nicht zuständig sei, da die in diesen Fragen genannten Bestimmungen des Unionsrechts den Begriff „unabhängiges Gericht“ nicht definierten und keine Regelungen zur Zuständigkeit der nationalen Gerichte und zu den nationalen Justizräten enthielten, so dass diese Fragen in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fielen und dem Einfluss der Union vollständig entzogen seien.

74      Es ist jedoch festzustellen, dass das Vorbringen des Generalstaatsanwalts in Wirklichkeit die Reichweite dieser Bestimmungen des Unionsrechts und damit ihre Auslegung betrifft. Eine solche Auslegung fällt jedoch offensichtlich in die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV.

75      Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt; unbeschadet dessen müssen die Mitgliedstaaten aber bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531‚ Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Der Generalstaatsanwalt hat zweitens geltend gemacht, dass sich hinsichtlich Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta die Unzuständigkeit des Gerichtshofs, über die beiden genannten Vorlagefragen zu entscheiden, auch daraus ergebe, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen weder das Unionsrecht umsetzten noch in dessen Anwendungsbereich fielen und daher nicht anhand dieses Rechts beurteilt werden könnten.

77      Was zunächst die Bestimmungen der Charta anbelangt, trifft es zwar zu, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV das Unionsrecht nur in den Grenzen der ihm übertragenen Zuständigkeiten prüfen kann (Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci, C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78      Der Anwendungsbereich der Charta ist, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in ihrem Art. 51 Abs. 1 definiert. Danach gilt sie für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union; diese Bestimmung bestätigt die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci, C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Im vorliegenden Fall ist insbesondere im Hinblick auf Art. 47 der Charta darauf hinzuweisen, dass die Kläger in den Ausgangsverfahren u. a. sie betreffende Verstöße gegen das in der Richtlinie 2000/78 festgelegte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Bereich der Beschäftigung geltend machen.

80      Zudem wird das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch die Richtlinie 2000/78 bekräftigt, nach deren Art. 9 die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche geltend machen können (Urteil vom 8. Mai 2019, Leitner, C‑396/17, EU:C:2019:375, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Aus dem Vorstehenden folgt, dass die vorliegenden Rechtssachen Situationen entsprechen, die unter das Unionsrecht fallen, und sich die Kläger der Ausgangsverfahren daher auf das ihnen durch Art. 47 der Charta garantierte Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz berufen können.

82      Sodann ist zum Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zum einen darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ gewährleisten soll, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Entgegen der vom Generalstaatsanwalt hierzu vertretenen Auffassung hat der Umstand, dass die der Kürzung von Bezügen dienenden nationalen Maßnahmen, die in der Rechtssache in Rede standen, in der das Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117), ergangen ist, erlassen wurden, weil sich der betreffende Mitgliedstaat gezwungen sah, ein übermäßiges Haushaltsdefizit abzubauen, und mit einem Finanzhilfeprogramm der Union für diesen Mitgliedstaat zusammenhingen, wie sich aus den Rn. 29 bis 40 jenes Urteils ergibt, keine Rolle bei der Auslegung gespielt, die den Gerichtshof zu der Feststellung veranlasst hat, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in der betreffenden Rechtssache anwendbar war. Diese Feststellung stützte sich nämlich auf den Umstand, dass die nationale Einrichtung, um die es in dieser Rechtssache ging, nämlich das Tribunal de Contas (Rechnungshof, Portugal) – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das jene Rechtssache vorlegende Gericht –, als „Gericht“ über Fragen der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hatte (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84      Da in den Ausgangsverfahren Verstöße gegen Vorschriften des Unionsrechts geltend gemacht werden, genügt die Feststellung, dass im vorliegenden Fall die Einrichtung, die diese Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, über Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu entscheiden haben wird.

85      Schließlich ist zum Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf die Republik Polen und das Vereinigte Königreich (ABl. 2010, C 83, S. 313), auf das sich der Generalstaatsanwalt ebenfalls beruft, anzumerken, dass es sich nicht auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bezieht; im Übrigen stellt es auch die Geltung der Charta für Polen nicht in Frage und bezweckt nicht, die Republik Polen von der Verpflichtung zur Einhaltung der Bestimmungen der Charta freizustellen (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Nach alledem ist der Gerichtshof für die Auslegung von Art. 47 der Charta und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in den vorliegenden Rechtssachen zuständig.

 Zu einer etwaigen Erledigung

87      Die KRS, der Generalstaatsanwalt und die polnische Regierung haben darauf hingewiesen, dass der Präsident der Republik am 17. Dezember 2018 die am 1. Januar 2019 in Kraft getretene Ustawa o zmianie ustawy o Sądzie Nawyższym (Gesetz zur Änderung des [neuen Gesetzes über das Oberste Gericht]) vom 21. November 2018 (Dz. U. 2018, Pos. 2507, im Folgenden: Gesetz vom 21. November 2018) unterzeichnet habe.

88      Laut Art. 1 dieses Gesetzes werden Art. 37 §§ 1a bis 4 und Art. 111 § 1 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht aufgehoben und Art. 37 § 1 dieses Gesetzes dahin geändert, dass „[d]ie Richter des Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht] mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt [werden]“. Es wird jedoch auch klargestellt, dass die letztgenannte Bestimmung nur für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gilt, die ihr Amt in dieser Eigenschaft nach dem 1. Januar 2019 angetreten haben. Für die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), die ihr Amt vor diesem Zeitpunkt angetreten haben, gelten die früheren Bestimmungen von Art. 30 des Gesetzes über das Oberste Gericht vom 23. November 2002, die einen Eintritt in den Ruhestand mit 70 Jahren vorsahen.

89      Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 21. November 2018 bestimmt, dass „[a]b dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes … Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) oder am Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht), die nach Art. 37 §§ 1 bis 4 oder Art. 111 § 1 oder § 1a des [neuen Gesetzes über das Oberste Gericht] in den Ruhestand versetzt worden sind, wieder in das Amt eingesetzt [werden], das sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens [dieses Gesetzes] ausgeübt haben. Ihre Amtszeit als Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) oder am Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) gilt als nicht unterbrochen“.

90      Art. 4 des Gesetzes vom 21. November 2018 sieht in Abs. 1 vor, dass „[d]ie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach Art. 37 § 1 und Art. 111 §§ 1 bis 1b des [neuen Gesetzes über das Oberste Gericht] eingeleiteten Verfahren und die in diesen Rechtssachen anhängigen Rechtsbehelfsverfahren … eingestellt [werden]“, und in Abs. 2, dass „[d]ie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingeleiteten und anhängigen Verfahren mit dem Ziel der Feststellung, ob bei den in Art. 2 Abs. 1 genannten Richtern ein Beschäftigungsverhältnis als Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) oder am Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) im aktiven Dienst vorliegt, … eingestellt [werden]“.

91      Nach Ansicht der KRS, des Generalstaatsanwalts und der polnischen Regierung folgt aus den Art. 1 und 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 21. November 2018, dass die Kläger der Ausgangsverfahren, die nach den Bestimmungen des neuen, nunmehr aufgehobenen Gesetzes über das Oberste Gericht in den Ruhestand versetzt worden seien, von Rechts wegen wieder in ihren jeweiligen Gerichten eingesetzt würden, bis sie im Einklang mit den zuvor geltenden nationalen Bestimmungen das Alter von 70 Jahren erreicht hätten. Zugleich sei aber auch jede Möglichkeit entfallen, die Ausübung ihres Amtes über das normale Ruhestandsalter hinaus durch den Präsidenten der Republik verlängern zu lassen.

92      Unter diesen Umständen und gemäß der Regelung in Art. 4 dieses Gesetzes, mit dem die Einstellung von Rechtsstreitigkeiten wie denen der Ausgangsverfahren angeordnet worden sei, seien die Ausgangsverfahren gegenstandslos geworden, so dass der Gerichtshof über die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr zu befinden habe.

93      Vor diesem Hintergrund hat sich der Gerichtshof am 23. Januar 2019 an das vorlegende Gericht gewandt, um zu erfahren, ob es nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 21. November 2018 die Beantwortung seiner Vorlagefragen für den Erlass seiner Entscheidungen in den bei ihm anhängigen Rechtssachen weiterhin für erforderlich halte.

94      In seiner Antwort vom 25. Januar 2019 bejahte das vorlegende Gericht dies und teilte mit, dass es das Verfahren über die Anträge auf Erledigung der Hauptsache, die der Generalstaatsanwalt auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 21. November 2018 bei ihm gestellt habe, mit Beschlüssen vom 23. Januar 2019 bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in den vorliegenden Rechtssachen ausgesetzt habe.

95      In dieser Antwort führt das vorlegende Gericht aus, dass eine Beantwortung der Vorlagefragen in den Rechtssachen der Ausgangsverfahren weiterhin erforderlich sei, um ihm die Entscheidung über Vorfragen verfahrensrechtlicher Art zu ermöglichen, die sich ihm stellten, bevor es seine Urteile in diesen Rechtssachen erlassen könne.

96      Zur Begründetheit der Ausgangsrechtsstreitigkeiten sei hinzuzufügen, dass der Zweck des Gesetzes vom 21. November 2018 nicht darin bestanden habe, die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beseitigen, sondern darin, die einstweiligen Anordnungen umzusetzen, die von der Vizepräsidentin des Gerichtshofs in ihrem Beschluss vom 19. Oktober 2018, Kommission/Polen (C‑619/18 R, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:852), bestätigt durch den Beschluss des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2018, Kommission/Polen (C‑619/18 R, EU:C:2018:1021), angeordnet worden seien. Mit diesem Gesetz seien somit weder die streitigen nationalen Bestimmungen noch ihre Rechtswirkungen ex tunc aufgehoben worden. Während das Gesetz vorgeblich bezwecke, die Kläger des Ausgangsverfahrens nach ihrer Versetzung in den Ruhestand wieder in ihr Amt einzusetzen und eine rechtliche Fiktion der ununterbrochenen Fortsetzung ihres Mandats durch diese Wiedereinsetzung aufzustellen, seien die Klagen in den Ausgangsverfahren auf die Feststellung gerichtet, dass die betreffenden Richter nie in den Ruhestand getreten und während des gesamten Zeitraums im Amt geblieben seien, was sich nur aus der Verdrängung der beanstandeten nationalen Regelungen aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts ergeben könne. Diese Unterscheidung sei aber von grundlegender Bedeutung, um den Status der betroffenen Richter zu bestimmen, sowohl im Hinblick auf ihre Befugnis, gerichtliche, organisatorische und administrative Maßnahmen zu ergreifen, als auch hinsichtlich etwaiger wechselseitiger Ansprüche mit dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis oder der disziplinarrechtlichen Verantwortung. Nach Äußerungen von Vertretern der Politik hätten die betroffenen Richter bis zum 1. Januar 2019, dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes vom 21. November 2018, rechtswidrig gerichtliche Funktionen ausgeübt.

97      Es ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, ist, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98      Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

99      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit den Fragen, die es dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, und mit der Auslegung des Unionsrechts, um die es im vorliegenden Fall ersucht, nicht zu materiell-rechtlichen Fragen der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten, die selbst weitere Fragen zum Unionsrecht aufwerfen, unterwiesen werden möchte, sondern zu einem verfahrensrechtlichen Problem, das von ihm in limine litis zu entscheiden ist, da es die Zuständigkeit dieses Gerichts für die Entscheidung über diese Rechtsstreitigkeiten selbst betrifft.

100    Der Gerichtshof ist insoweit nach ständiger Rechtsprechung befugt, dem nationalen Gericht die Kriterien des Unionsrechts aufzuzeigen, die zur Lösung der Zuständigkeitsfrage, die sich diesem Gericht stellt, beitragen können (Urteile vom 22. Oktober 1998, IN. CO. GE.’90 u. a., C‑10/97 bis C‑22/97, EU:C:1998:498‚ Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C‑470/99, EU:C:2002:746‚ Rn. 43). Dies gilt insbesondere dann, wenn die aufgeworfenen Fragen wie im vorliegenden Fall – wie sich aus den Rn. 79 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt – die Frage betreffen, ob die nationale Einrichtung, die normalerweise für die Entscheidung über einen Rechtsstreit zuständig ist, in dem sich ein Betroffener auf ein Recht beruft, das er aus dem Unionsrecht herleitet, den Anforderungen genügt, die sich aus dem durch Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verbürgten Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf ergeben.

101    Das Gesetz vom 21. November 2018 betrifft nicht die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit für die Entscheidung in den Ausgangsverfahren. Über diese Frage hat das vorlegende Gericht somit zu entscheiden, und es hat dazu vorliegend um eine Auslegung des Unionsrechts ersucht.

102    Zudem kann der Umstand, dass nationale Bestimmungen wie Art. 4 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 21. November 2018 die Einstellung von Rechtsstreitigkeiten wie denen des Ausgangsverfahrens anordnen, den Gerichtshof ohne eine Entscheidung des vorlegenden Gerichts, die Ausgangsverfahren einzustellen oder in der Hauptsache für erledigt zu erklären, grundsätzlich nicht zu dem Schluss veranlassen, dass er nicht mehr über die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen entscheiden kann.

103    Die nationalen Gerichte haben nämlich die umfassende Befugnis, den Gerichtshof mit einer Frage nach der Auslegung der relevanten Bestimmungen des Unionsrechts zu befassen, und aus dieser Befugnis wird für letztinstanzlich entscheidende Gerichte, vorbehaltlich der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ausnahmen, eine Pflicht. Eine nationale Vorschrift kann daher ein nationales Gericht weder daran hindern, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, noch daran, dieser Pflicht nachzukommen. Sowohl diese Befugnis als auch diese Pflicht sind nämlich dem durch Art. 267 AEUV errichteten System der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof und den mit dieser Bestimmung den nationalen Gerichten zugewiesenen Aufgaben des zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Richters inhärent (Urteil vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Daher können nationale Bestimmungen wie die in Rn. 102 des vorliegenden Urteils angeführten eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich mit einer Frage zur Auslegung des Unionsrechts konfrontiert sieht, nicht daran hindern, die Fragen aufrechtzuerhalten, die sie dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.

105    Schließlich ist zu den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18, in denen es darum geht, ob zwischen den Klägern der Ausgangsverfahren und ihrem Arbeitgeber, dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), ein Arbeitsverhältnis als Richter im aktiven Dienst fortbesteht, anzumerken, dass nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts, die in Rn. 96 des vorliegenden Urteils wiedergegeben worden sind, insbesondere in Anbetracht sämtlicher Auswirkungen eines solchen Arbeitsverhältnisses, sich die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht offensichtlich erledigt haben müssen, nur weil Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 21. November 2018 in Kraft getreten ist.

106    Nach alledem können die Annahme und das Inkrafttreten des Gesetzes vom 21. November 2018 nicht rechtfertigen, dass sich der Gerichtshof nicht zur zweiten und zur dritten Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 äußert.

107    In Bezug auf die Rechtssache C‑585/18 ist hingegen festzustellen, dass der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsbehelf gegen eine Stellungnahme der KRS in einem Verfahren gerichtet ist, das potenziell zu einer Entscheidung führen kann, wonach der Kläger des Ausgangsverfahrens sein Richteramt über das neu auf 65 Jahre festgesetzte Ruhestandsalter hinaus ausüben kann.

108    Den genannten Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist jedoch nicht zu entnehmen, dass für diesen Rechtsbehelf noch ein Rechtsschutzinteresse gegeben sein könnte, und insbesondere nicht, dass eine solche Stellungnahme nicht hinfällig sein könnte, obwohl nach den zwischenzeitlich erlassenen nationalen Rechtsvorschriften sowohl die nationalen Bestimmungen über die Einführung des neuen Ruhestandsalters als auch die Bestimmungen, mit denen das Verfahren zur Verlängerung der Ausübung des Richteramts eingeführt wurde, in dem eine solche Stellungnahme erforderlich war, aufgehoben wurden. Der Kläger des Ausgangsverfahrens kann folglich nach den vor Erlass der aufgehobenen Vorschriften geltenden nationalen Rechtsvorschriften bis zum 70. Lebensjahr im Richteramt verbleiben.

109    Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung der in den Rn. 69 und 70 des vorliegenden Urteils dargelegten Grundsätze hat der Gerichtshof nicht mehr über die in der Rechtssache C‑585/18 vorgelegten Fragen zu entscheiden.

 Zur Zulässigkeit der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C624/18 und C625/18

110    Die polnische Regierung macht geltend, dass die zweite und die dritte Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 unzulässig seien. Erstens seien diese Fragen gegenstandslos, weil ihre Beantwortung nicht erforderlich sei, da die Verfahren, die bei der Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen, die die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt habe, anhängig seien, gemäß Art. 379 Nr. 4 der Zivilprozessordnung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften über die Zusammensetzung und Zuständigkeit von Gerichten ungültig seien. Die Kammer bestehe im vorliegenden Fall nämlich aus drei Richtern, während Art. 79 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht vorsehe, dass Rechtssachen wie die in den Ausgangsverfahren in der ersten Instanz von einem Einzelrichter zu entscheiden seien. Zweitens könnten Antworten auf diese Fragen dem vorlegenden Gericht jedenfalls nicht ohne Eingriff in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Gerichtsorganisation und ohne Überschreitung der Zuständigkeit der Union gestatten, sich mit Rechtssachen zu befassen, die in die Zuständigkeit einer anderen Kammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) fielen, und somit auch nicht für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten erheblich sein.

111    Dieses Vorbringen, das Gesichtspunkte der Begründetheit betrifft, kann jedoch die Zulässigkeit der vorgelegten Fragen keinesfalls berühren.

112    Mit ihnen wird nämlich im Wesentlichen gerade erfragt, ob ein Gericht wie das vorlegende ungeachtet der in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden nationalen Vorschriften über die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten nach den in diesen Fragen genannten unionsrechtlichen Bestimmungen verpflichtet ist, diese nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen und sich gegebenenfalls in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten für zuständig zu erklären. Ein Urteil, mit dem der Gerichtshof eine solche Verpflichtung bejahen würde, wäre jedoch für das nationale Gericht und alle anderen Organe der Republik Polen bindend, ohne dass die innerstaatlichen Bestimmungen über die Ungültigkeit von Verfahren oder die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten, auf die sich die polnische Regierung bezieht, dem entgegenstehen könnten.

113    Demnach greifen die Einwände der polnischen Regierung gegen die Zulässigkeit dieser Fragen nicht durch.

 Zur inhaltlichen Prüfung der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C624/18 und C625/18

114    Wie sich aus den Rn. 77 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt, sind in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen die Kläger sie betreffende Verstöße gegen das in der Richtlinie 2000/78 ausgesprochene Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Bereich der Beschäftigung geltend machen, sowohl Art. 47 der Charta, der das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verbürgt, als auch Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie anwendbar, der dieses Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bekräftigt.

115    Insoweit ist es nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei die Mitgliedstaaten allerdings für die Wahrung des in Art. 47 der Charta verbürgten Rechts auf effektiven gerichtlichen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 1998, IN. CO. GE.’90 u. a., C‑10/97 bis C‑22/97, EU:C:1998:498, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 15. April 2008, Impact, C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 44 und 45, sowie vom 19. März 2015, E.ON Földgáz Trade, C‑510/13, EU:C:2015:189, Rn. 49 und 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

116    Zudem haben nach Art. 52 Abs. 3 der Charta darin enthaltene Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden.

117    Wie aus den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, hervorgeht, entsprechen die Abs. 1 und 2 von Art. 47 Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 der EMRK (Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu Horațiu-Vasile Cruduleci, C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Der Gerichtshof muss daher darauf achten, dass seine Auslegung von Art. 47 Abs. 2 der Charta ein Schutzniveau gewährleistet, das das in Art. 6 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantierte Schutzniveau nicht verletzt (Urteil vom 29. Juli 2019, Gambino und Hyka, C‑38/18, EU:C:2019:628, Rn. 39).

119    Was den Inhalt von Art. 47 Abs. 2 der Charta betrifft, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass das in ihm verankerte Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf insbesondere das Recht jeder Person einschließt, dass ihre Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht in einem fairen Verfahren verhandelt wird.

120    Das Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

121    Nach ständiger Rechtsprechung umfasst das Erfordernis der Unabhängigkeit zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt erfordert, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 72).

122    Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 73).

123    Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 74).

124    Im Übrigen ist nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Poltorak, C‑452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35).

125    Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die in Rn. 123 des vorliegenden Urteils angeführten Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen auszuschließen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

126    Diese Auslegung von Art. 47 der Charta wird durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK bestätigt, wonach diese Bestimmung verlangt, dass die Gerichte unabhängig sein müssen, und zwar sowohl von den Parteien als auch von der Exekutive und der Legislative (EGMR, 18. Mai 1999, Ninn-Hansen/Dänemark, CE:ECHR:1999:0518DEC002897295, S. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

127    Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt es für die Frage, ob ein Gericht als „unabhängig“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist, u. a. auf die Art und Weise der Berufung und die Amtszeit seiner Mitglieder, das Bestehen von Schutz gegen die Ausübung von Druck von außen und darauf an, ob es den Eindruck von Unabhängigkeit vermittelt (EGMR, 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 144 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei zu diesem letzten Punkt klargestellt wird, dass es um das Vertrauen selbst geht, das jedes Gericht in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. in diesem Sinne EGMR, 21. Juni 2011, Fruni/Slowakei, CE:ECHR:2011:0621JUD000801407, § 141).

128    Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann die Voraussetzung der „Unparteilichkeit“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf verschiedene Art und Weise beurteilt werden, nämlich nach einem subjektiven Kriterium unter Berücksichtigung der persönlichen Überzeugung und des Verhaltens des Richters, d. h. durch eine Prüfung, ob der Richter im betreffenden Fall Voreingenommenheit oder persönliche Vorurteile gezeigt hat, sowie nach einem objektiven Kriterium, d. h. durch die Feststellung, ob das Gericht durch seine Zusammensetzung hinreichende Gewähr für den Ausschluss berechtigter Zweifel an seiner Unparteilichkeit bietet. Bei der objektiven Beurteilung ist zu fragen, ob unabhängig vom persönlichen Verhalten des Richters bestimmte nachprüfbare Umstände Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lassen können. Hierbei kann auch ein Eindruck von Bedeutung sein. Es geht dabei wieder um das Vertrauen, das die Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen müssen, angefangen bei den Parteien des Verfahrens (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 191 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 145, 147 und 149 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

129    Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt entschieden hat, sind die Begriffe der Unabhängigkeit und der objektiven Unparteilichkeit eng miteinander verknüpft, was ihn in der Regel dazu veranlasst, sie zusammen zu prüfen (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 192 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 150 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird bei der Entscheidung, ob Anlass zu der Befürchtung besteht, dass die Erfordernisse der Unabhängigkeit oder objektiven Unparteilichkeit in einem bestimmten Fall nicht erfüllt sind, der Standpunkt einer Partei zwar berücksichtigt, spielt aber keine entscheidende Rolle. Entscheidend ist, ob die Befürchtungen als objektiv gerechtfertigt angesehen werden können (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 193 und 194 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal, CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, §§ 147 und 152 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

130    In diesem Zusammenhang weist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder darauf hin, dass zwar der Grundsatz der Trennung von Exekutive und Judikative in seiner Rechtsprechung immer wichtiger wird, aber weder Art. 6 noch eine andere Bestimmung der EMRK den Staaten ein bestimmtes Verfassungsmodell vorgibt, das die Beziehungen und das Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Staatsgewalten in einer bestimmten Weise regelt, oder sie verpflichtet, sich nach dem einen oder anderen theoretischen Verfassungskonzept für die Grenzen eines solchen Zusammenwirkens zu richten. Dabei geht es immer um die Frage, ob die Anforderungen der EMRK im Einzelfall erfüllt sind (vgl. u. a. EGMR, 6. Mai 2003, Kleyn u. a./Niederlande, CE:ECHR:2003:0506JUD003934398, § 193 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 9. November 2006, Sacilor Lormines/Frankreich, CE:ECHR:2006:1109JUD006541101, § 59, sowie vom 18. Oktober 2018, Thiam/Frankreich, CE:ECHR:2018:1018JUD008001812, § 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

131    Im vorliegenden Fall beziehen sich die vom vorlegenden Gericht geäußerten Zweifel im Wesentlichen auf die Frage, ob in Anbetracht der nationalen Vorschriften über die Schaffung einer speziellen Einrichtung wie der Disziplinarkammer, die u. a. die ihr zugewiesenen Zuständigkeiten, ihre Zusammensetzung sowie die Voraussetzungen und Modalitäten der Ernennung der in ihr tätigen Richter betreffen, sowie unter Berücksichtigung des Kontexts, in dem sie geschaffen und die Ernennungen vorgenommen wurden, eine solche Einrichtung und ihre Mitglieder den Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügen, die ein Gericht nach Art. 47 der Charta erfüllen muss, wenn es über einen Rechtsstreit zu entscheiden hat, in dem sich ein Rechtsunterworfener wie im vorliegenden Fall auf einen ihn betreffenden Verstoß gegen das Unionsrecht beruft.

132    Die Entscheidung hierüber ist letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, nachdem es die dafür erforderliche Würdigung vorgenommen hat. Art. 267 AEUV gibt dem Gerichtshof nämlich nicht die Befugnis, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Unionsorgane zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof aber das Unionsrecht im Rahmen der durch diesen Artikel begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (Urteil vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

133    Insoweit ist zu den Bedingungen selbst, unter denen die Mitglieder der Disziplinarkammer ernannt wurden, zunächst festzustellen, dass der bloße Umstand, dass diese vom Präsidenten der Republik ernannt werden, keine Abhängigkeit von ihm schaffen oder Zweifel an der Unparteilichkeit der Mitglieder aufkommen lassen kann, wenn diese nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A., C‑175/11, EU:C:2013:45, Rn. 99, sowie EGMR, 28. Juni 1984, Campbell und Fell/Vereinigtes Königreich, CE:ECHR:1984:0628JUD000781977, § 79, 2. Juni 2005, Zolotas/Griechenland, CE:ECHR:2005:0602JUD003824002 §§ 24 und 25, 9. November 2006, Sacilor Lormines/Frankreich, CE:ECHR:2006:1109JUD006541101, § 67, sowie 18. Oktober 2018, Thiam/Frankreich, CE:ECHR:2018:1018JUD008001812, § 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

134    Es ist jedoch sicherzustellen, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 111).

135    Dafür müssen die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein, dass sie den in Rn. 125 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen genügen.

136    Im vorliegenden Fall legt Art. 30 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht alle Voraussetzungen fest, die eine Person erfüllen muss, damit sie zum Mitglied dieses Gerichts ernannt werden kann. Zudem werden die Richter der Disziplinarkammer nach Art. 179 der Verfassung und Art. 29 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht ebenso wie die Richter der anderen Kammern dieses Gerichts vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der KRS ernannt, d. h. dem Gremium, das durch Art. 186 der Verfassung mit der Aufgabe betraut ist, über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter zu wachen.

137    Die Einschaltung eines solchen Gremiums im Verfahren zur Ernennung von Richtern kann zwar grundsätzlich zur Objektivierung dieses Verfahrens beitragen (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 115; vgl. auch in diesem Sinne EGMR, 18. Oktober 2018, Thiam/Frankreich, CE:ECHR:2018:1018JUD008001812, § 81 und 82). Insbesondere kann der Umstand, dass die Möglichkeit des Präsidenten der Republik, einen Richter am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) zu ernennen, selbst davon abhängt, dass ein entsprechender Vorschlag der KRS vorliegt, den Handlungsspielraum, über den der Präsident der Republik bei der Ausübung der ihm eingeräumten Befugnis verfügt, objektiv begrenzen.

138    Das gilt jedoch u. a. nur insoweit, als dieses Gremium selbst von der Legislative und der Exekutive sowie dem Organ, dem es einen solchen Ernennungsvorschlag übermitteln soll, hinreichend unabhängig ist (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 116).

139    Der Grad der Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive, über den die KRS als Gremium, das durch Art. 186 der Verfassung mit der Aufgabe betraut wurde, über die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter zu wachen, bei der Wahrnehmung der ihr durch die nationalen Rechtsvorschriften übertragenen Aufgaben verfügt, kann nämlich von Bedeutung sein, wenn es um die Beurteilung geht, ob die von ihr ausgewählten Richter die sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfüllen.

140    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die KRS hinreichende Gewähr für ihre Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive bietet. Dabei wird es alle erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben, die sowohl die Bedingungen, unter denen die Mitglieder der KRS bestellt wurden, als auch die Art und Weise betreffen, in der diese ihre Aufgabe konkret erfüllt.

141    Das vorlegende Gericht führt eine Reihe von Gesichtspunkten an, die seiner Meinung nach Zweifel an der Unabhängigkeit der KRS aufkommen lassen können.

142    Insoweit ist zwar denkbar, dass der eine oder andere vom vorlegenden Gericht angeführte Gesichtspunkt an und für sich nicht zu beanstanden ist und in diesem Fall in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt und deren Entscheidungen unterliegt, doch kann ihr Zusammenspiel neben den Umständen, unter denen diese Entscheidungen getroffen wurden, Zweifel an der Unabhängigkeit eines am Verfahren zur Ernennung von Richtern beteiligten Gremiums aufkommen lassen, auch wenn sich ein solcher Schluss bei getrennter Betrachtung dieser Gesichtspunkte nicht aufdrängen würde.

143    Unter diesem Vorbehalt können sich von den Gesichtspunkten, die vom vorlegenden Gericht genannt werden, folgende Umstände für eine solche Gesamtwürdigung als erheblich erweisen: erstens der Umstand, dass gleichzeitig mit der Einrichtung der neu zusammengesetzten KRS eine Verkürzung der laufenden vierjährigen Amtszeit der früheren Mitglieder der KRS erfolgte, zweitens der Umstand, dass die 15 Mitglieder der KRS, die aus der Mitte der Richter gewählt werden, zuvor von der Richterschaft gewählt wurden, nun aber von einem Teil der Legislative aus einer Gruppe von Kandidaten, die u. a. von einer Gruppe aus mindestens 2 000 Bürgern oder 25 Richtern vorgeschlagen werden können, wobei eine solche Reform zu Ernennungen führt, durch die sich die Zahl der KRS-Mitglieder, die direkt aus der Politik kommen oder von ihr gewählt werden, auf 23 der insgesamt 25 Mitglieder erhöht, sowie drittens der Umstand, dass es eventuell Unregelmäßigkeiten bei der Ernennung einiger Mitglieder der KRS in ihrer neuen Zusammensetzung gegeben haben könnte, auf die das vorlegende Gericht hingewiesen hat und die es gegebenenfalls zu überprüfen haben wird.

144    Für die Zwecke dieser Gesamtwürdigung darf das vorlegende Gericht auch die Art und Weise berücksichtigen, in der die KRS ihren verfassungsmäßigen Auftrag, über die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter zu wachen, erfüllt und ihre verschiedenen Befugnisse wahrnimmt, insbesondere wenn sie dies in einer Weise tut, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit von der Legislative und der Exekutive aufkommen lassen kann.

145    Ferner ist es in Anbetracht der Tatsache, dass die Entscheidungen des Präsidenten der Republik über die Ernennung von Richtern am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), wie sich aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akten ergibt, nicht justiziabel sind, Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Art und Weise, in der in Art. 44 §§ 1 und 1a des KRS-Gesetzes die Tragweite des Rechtsbehelfs gegen eine Entschließung der KRS definiert ist, in der deren Entscheidungen über die Vorschläge für die Ernennung zum Richter an diesem Gericht enthalten sind, es erlaubt, eine effektive gerichtliche Kontrolle solcher Entschließungen sicherzustellen, die sich wenigstens auf die Prüfung erstreckt, ob sie frei von Befugnisüberschreitung, Ermessensmissbrauch, Rechtsfehlern oder offensichtlichen Beurteilungsfehlern sind (vgl. in diesem Sinne EGMR, 18. Oktober 2018, Thiam/Frankreich, CE:ECHR:2018:1018JUD008001812, §§ 25 und 81).

146    Unabhängig von dieser Prüfung der Bedingungen, unter denen die neuen Richter der Disziplinarkammer ernannt wurden, und der Rolle, die die KRS dabei gespielt hat, kann das vorlegende Gericht, um zu überprüfen, ob die Disziplinarkammer und ihre Mitglieder den sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen an ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügen, auch gehalten sein, verschiedene andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die diese Kammer unmittelbarer kennzeichnen.

147    Das gilt erstens für den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand, dass der Disziplinarkammer durch Art. 27 § 1 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht speziell eine ausschließliche Zuständigkeit für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) betreffende Streitigkeiten im Bereich des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie der Versetzung in den Ruhestand zugewiesen wurde, die bis dahin in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fielen.

148    Auch wenn dieser Umstand als solcher nicht entscheidend ist, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass insbesondere die Zuweisung der Rechtsstreitigkeiten über die Versetzung von Richtern des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in den Ruhestand wie der im Ausgangsverfahren fraglichen an die Disziplinarkammer parallel zu dem scharf kritisierten Erlass der Bestimmungen des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht erfolgte, mit denen das Ruhestandsalter für Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) herabgesetzt und diese Maßnahme auf die sich im Amt befindlichen Richter dieses Gerichts angewandt wurde und außerdem dem Präsidenten der Republik die Befugnis verliehen wurde, den aktiven Dienst der Richter dieses Gerichts über das neu festgelegte Ruhestandsalter hinaus nach freiem Ermessen zu verlängern.

149    Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531), jedoch insoweit entschieden, dass die Republik Polen durch den Erlass dieser Maßnahmen die Unabsetzbarkeit und Unabhängigkeit der Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) beeinträchtigt und gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen hat.

150    Zweitens ist in einem solchen Zusammenhang auf den – auch vom vorlegenden Gericht angeführten – Umstand hinzuweisen, dass die Disziplinarkammer nach Art. 131 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht nur mit neu ernannten Richtern besetzt werden darf, somit nicht mit bereits am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) tätigen Richtern.

151    Drittens scheint die Disziplinarkammer, obwohl sie als Kammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) gebildet ist, im Gegensatz zu den anderen Kammern dieses Gerichts, wie sich u. a. aus Art. 20 des neuen Gesetzes über das Oberste Gericht ergibt, innerhalb des Gerichts über eine besonders weitgehende Autonomie zu verfügen.

152    Jeder einzelne der verschiedenen in den Rn. 147 bis 151 des vorliegenden Urteils angeführten Umstände kann zwar für sich allein und isoliert betrachtet keine Zweifel an der Unabhängigkeit einer Einrichtung wie der Disziplinarkammer aufkommen lassen, doch könnte für ihre Kombination etwas anderes gelten, zumal dann, wenn die Prüfung in Bezug auf die KRS zeigen sollte, dass diese gegenüber der Legislative und der Exekutive nicht unabhängig ist.

153    Somit wird das vorlegende Gericht – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der spezifischen Gründe oder Ziele, die vor ihm in dem Versuch, einige der betreffenden Maßnahmen zu rechtfertigen, eventuell vorgetragen werden – zu beurteilen haben, ob die Kombination der in den Rn. 143 bis 151 des vorliegenden Urteils genannten Umstände und aller anderen ordnungsgemäß nachgewiesenen erheblichen Umstände, von denen es möglicherweise Kenntnis erhält, geeignet ist, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der Disziplinarkammer für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und daher dazu führen kann, dass diese Einrichtung nicht den Eindruck vermittelt, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss.

154    Käme das vorlegende Gericht zu dem Schluss, dass dies der Fall ist, folgte daraus, dass eine solche Einrichtung nicht den Anforderungen aus Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 genügt, da es sich dann nicht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne der erstgenannten Vorschrift handeln würde.

155    Für einen solchen Fall möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob es nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dazu verpflichtet wäre, die nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen, die die gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung in den Ausgangsverfahren der Disziplinarkammer vorbehalten.

156    Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht dadurch gekennzeichnet ist, dass es einer autonomen Quelle, den Verträgen, entspringt und Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten hat, sowie durch die unmittelbare Wirkung einer ganzen Reihe für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Diese wesentlichen Merkmale des Unionsrechts haben zu einem strukturierten Netz miteinander verflochtener Grundätze, Regeln und Rechtsbeziehungen geführt, das die Union selbst und ihre Mitgliedstaaten wechselseitig sowie die Mitgliedstaaten untereinander bindet (Gutachten 1/17 [CETA EU–Kanada] vom 30. April 2019, EU:C:2019:341, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).

157    Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

158    Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

159    Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, das nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen, dem System der Verträge immanent ist, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

160    Ebenfalls nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, verpflichtet, dann, wenn es eine nationale Regelung nicht den Anforderungen des Unionsrechts entsprechend auslegen kann, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

161    Insoweit ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, jede nationale Bestimmung, die einer Bestimmung des Unionsrechts, die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unangewendet zu lassen (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

162    Zu Art. 47 der Charta ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Bestimmung aus sich heraus Wirkung entfaltet und nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden muss, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann (Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 78, und vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 56).

163    Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, da er, wie in Rn. 80 des vorliegenden Urteils ausgeführt, indem er bestimmt, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche geltend machen können, ausdrücklich das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf in dem betreffenden Bereich bekräftigt. Bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78 sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, Art. 47 der Charta zu beachten, so dass die Merkmale des in Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsbehelfs im Einklang mit Art. 47 der Charta zu bestimmen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 55 und 56).

164    Folglich ist das nationale Gericht in dem oben in Rn. 160 des vorliegenden Urteils genannten Fall verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz zu gewährleisten, der den Einzelnen aus Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 erwächst, und für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 79).

165    Eine nationale Bestimmung, die einer bestimmten Einrichtung, die den sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht genügt, die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Rechtsstreit zuwiese, in dem ein Einzelner – wie im vorliegenden Fall – eine Verletzung von Rechten geltend macht, die sich aus den Vorschriften des Unionsrechts ergeben, würde dem Betroffenen jeden wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 vorenthalten und den Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf verkennen (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov, C‑556/17, EU:C:2019:626, Rn. 72).

166    Somit ist, wenn sich herausstellt, dass eine nationale Bestimmung die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Rechtsstreit wie die Rechtsstreitigkeiten des Ausgangsverfahrens einer Einrichtung vorbehält, die nicht den Anforderungen an die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit genügt, die sich aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 47 der Charta, ergeben, eine andere Einrichtung, die mit einem solchen Rechtsstreit befasst ist, zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes im Sinne von Art. 47 der Charta gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet, diese nationale Bestimmung unangewendet zu lassen, damit der Rechtsstreit von einem Gericht entschieden werden kann, das diesen Anforderungen genügt und in dem entsprechenden Bereich zuständig wäre, stünde dem nicht diese Bestimmung entgegen. Das ist in der Regel das Gericht, das nach den Rechtsvorschriften zuständig war, die galten, bevor die Gesetzesänderung erfolgte, mit der die Zuständigkeit der diesen Anforderungen nicht genügenden Einrichtung zugewiesen wurde (vgl. entsprechend Urteile vom 22. Mai 2003, Connect Austria, C‑462/99, EU:C:2003:297, Rn. 42, und vom 2. Juni 2005, Koppensteiner, C‑15/04, EU:C:2005:345, Rn. 32 bis 39).

167    Ferner ist zu den Art. 2 und 19 EUV, die ebenfalls Gegenstand der dem Gerichtshof vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen sind, anzumerken, dass Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe überträgt, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

168    Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nun in Art. 47 der Charta verankert ist, so dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen ein wirksamer Rechtsschutz im Sinne von insbesondere Art. 47 der Charta gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 49 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

169    Unter diesen Umständen erscheint eine gesonderte Prüfung der Art. 2 und 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, die nur die in den Rn. 153 und 154 des vorliegenden Urteils bereits gezogene Schlussfolgerung stützen könnte, für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts und für die Entscheidung über die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich.

170    Schließlich gibt es für den Gerichtshof im vorliegenden Fall auch keinen Grund für eine Auslegung von Art. 267 AEUV, den das nationale Gericht ebenfalls in seinen Fragen erwähnt. In seiner Vorlageentscheidung hat das vorlegende Gericht nämlich nicht erläutert, warum sich eine Auslegung dieses Artikels für die Beantwortung der Fragen, die es in den Ausgangsverfahren zu entscheiden hat, als erheblich erweisen könnte. Jedenfalls reicht ferner die in den Rn. 114 bis 154 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung von Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 aus, um dem vorlegenden Gericht im Hinblick auf die Entscheidungen, die es in diesen Rechtsstreitigkeiten zu treffen hat, eine sachdienliche Antwort zu geben.

171    Nach alledem ist wie folgt auf die zweite und die dritte Frage in den Rechtssachen C‑624/18 und C‑625/18 zu antworten:

–        Art. 47 der Charta und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung des Unionsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit einer Einrichtung fallen können, die kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta ist. Das ist der Fall, wenn die objektiven Bedingungen, unter denen die Einrichtung geschaffen wurde, ihre Merkmale sowie die Art und Weise der Ernennung ihrer Mitglieder geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und daher dazu führen können, dass diese Einrichtung nicht den Eindruck vermittelt, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden erheblichen Erkenntnisse zu ermitteln, ob dies bei einer Einrichtung wie der Disziplinarkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) der Fall ist.

–        In einem solchen Fall ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht dazu verpflichtet, die Bestimmung des nationalen Rechts, die die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten dieser Einrichtung vorbehält, unangewendet zu lassen, damit die Rechtsstreitigkeiten von einem Gericht verhandelt werden können, das den oben genannten Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügt und in dem betreffenden Bereich zuständig wäre, stünde diese Bestimmung dem nicht entgegen.

 Kosten

172    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Fragen der Izba Pracy i Ubezpieczeń Społecznych (Kammer für Arbeits- und Sozialversicherungssachen) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) in der Rechtssache C585/18 und die erste Frage dieses Gerichts in den Rechtssachen C624/18 und C625/18 sind nicht mehr zu beantworten.

2.      Die zweite und die dritte Frage dieses Gerichts in den Rechtssachen C624/18 und C625/18 sind wie folgt zu beantworten:

Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass Rechtsstreitigkeiten über die Anwendung des Unionsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit einer Einrichtung fallen können, die kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 47 der Charta ist. Das ist der Fall, wenn die objektiven Bedingungen, unter denen die Einrichtung geschaffen wurde, ihre Merkmale sowie die Art und Weise der Ernennung ihrer Mitglieder geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen zu lassen, und daher dazu führen können, dass diese Einrichtung nicht den Eindruck vermittelt, unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden kann, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden erheblichen Erkenntnisse zu ermitteln, ob dies bei einer Einrichtung wie der Disziplinarkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) der Fall ist.

In einem solchen Fall ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er das vorlegende Gericht dazu verpflichtet, die Bestimmung des nationalen Rechts, die die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten dieser Einrichtung vorbehält, unangewendet zu lassen, damit die Rechtsstreitigkeiten von einem Gericht verhandelt werden können, das den oben genannten Anforderungen an die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit genügt und in dem betreffenden Bereich zuständig wäre, stünde diese Bestimmung dem nicht entgegen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Polnisch.


i      In der vorliegenden Sprachfassung ist gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung das Inhaltsverzeichnis hinzugefügt worden.