Language of document : ECLI:EU:C:2020:323

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 30. April 2020(1)

Rechtssache C693/18

Procureur de la République

gegen

Gesellschaft X,

unter Beteiligung von

CLCV u. a.,

A u. a.,

B,

AGLP u. a.,

C u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des für das gerichtliche Ermittlungsverfahren zuständigen Vizepräsidenten des Tribunal de grande instance de Paris [Landgericht Paris, Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Verordnung (EG) Nr. 715/2007 – Kraftfahrzeuge – Schadstoffemissionen – Abschalteinrichtung – Programm, das auf den Motorsteuerungsrechner einwirkt – Technologien und Strategien zur Begrenzung der Erzeugung von Schadstoffemissionen – Dieselmotoren“






 Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des für das gerichtliche Ermittlungsverfahren zuständigen Vizepräsidenten des Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris, Frankreich) betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 10 sowie von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007(2).

2.        In diesem Zusammenhang wird der Gerichtshof erstmals ersucht, die Bedeutung mehrerer in dieser Verordnung verankerter Begriffe, darunter der Begriffe „Abschalteinrichtung“ und „Emissionskontrollsystem“, zu klären(3).

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

3.        Regelung Nr. 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors(4) legt technische Anforderungen in Bezug auf die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen fest(5).

4.        Die Abs. 2.16 bis 2.16.3 dieser Regelung sehen vor:

„2.16      ‚Abschalteinrichtung‘ [bezeichnet] jedes Konstruktionselement, mit dem die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, das Übersetzungsverhältnis, der Krümmerunterdruck oder eine andere Größe erfasst wird, um die Funktion jedes Teils der Abgasreinigungsanlage, das die Wirksamkeit der Abgasreinigungsanlage unter Bedingungen verringert, mit denen beim normalen Betrieb und bei der normalen Nutzung des Fahrzeugs vernünftigerweise gerechnet werden kann, zu aktivieren, zu modulieren, zu verzögern oder zu deaktivieren. Ein solches Konstruktionselement kann nicht als Abschalteinrichtung angesehen werden, wenn

2.16.1      die Notwendigkeit der Nutzung der Einrichtung mit dem Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfällen und der Betriebssicherheit des Fahrzeugs begründet wird,

2.16.2      die Einrichtung nach dem Anlassen des Motors nicht mehr wirksam ist,

2.16.3 die Bedingungen im Wesentlichen in den Verfahren für die Prüfungen Typ I oder Typ VI aufgeführt sind.“

 Unionsrecht

 Beschluss 97/836/EG

5.        Art. 1 des Beschlusses 97/836/EG(6) bestimmt:

„Die Gemeinschaft tritt dem Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen über die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen, die nach diesen Vorschriften erteilt wurden, bei, das nachstehend als ‚Geändertes Übereinkommen‘ bezeichnet wird.

…“

6.        Sein Art. 3 Abs. 1 lautet: „… die Gemeinschaft [erklärt], ihren Beitritt auf die Anwendung der ECE‑Regelungen zu beschränken, die im Verzeichnis in Anhang II dieses Beschlusses aufgeführt sind“.

7.        Die Regelung Nr. 83 (UN/ECE) ist in Anhang II dieses Beschlusses aufgeführt.

 Richtlinie 2007/46/EG

8.        Gemäß den Art. 34 und 35 sowie gemäß Anhang IV der Richtlinie 2007/46/EG(7) ist die Regelung Nr. 83 (UN/ECE) Bestandteil des EG-Typgenehmigungsverfahrens für Fahrzeuge.

 Verordnung Nr. 715/2007

9.        In den Erwägungsgründen 1, 5, 6 und 12 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:

„(1)      … Die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen sollten folglich harmonisiert werden, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften erlassen, und um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

(5)      Um die Ziele der EU für die Luftqualität zu erreichen, sind fortwährende Bemühungen zur Senkung von Kraftfahrzeugemissionen erforderlich. …

(6)      Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich. …

(12)      Es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um striktere Emissionsgrenzwerte einzuführen, einschließlich der Senkung von Kohlendioxidemissionen, und um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen.“

10.      Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung sieht vor:

„…

4.      ‚gasförmige Schadstoffe‘ [bezeichnet] Auspuffemissionen von Kohlenmonoxid, Stickstoffoxiden, ausgedrückt als Stickstoffdioxid (NO2)-Äquivalent, und Kohlenwasserstoffe;

6.      ‚Auspuffemissionen‘ [bezeichnet] die Emissionen gasförmiger und partikelförmiger Schadstoffe;

10.      ‚Abschalteinrichtung‘ [bezeichnet] ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird;

…“

11.      Art. 4 Abs. 1 und 2 bestimmt:

„(1)      Der Hersteller weist nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Der Hersteller weist außerdem nach, dass alle von ihm in der Gemeinschaft verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.

Diese Pflichten schließen ein, dass die in Anhang I und in den in Artikel 5 genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.

(2)      Der Hersteller stellt sicher, dass die Typgenehmigungsverfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung der Produktion, der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge beachtet werden.

Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden. …“

12.      Art. 5 Abs. 1 und 2 lautet:

„(1)      Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.

(2)      Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:

a)      die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;

b)      die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;

c)      die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“

 Verordnung (EG) Nr. 692/2008

13.      In der Verordnung (EG) Nr. 692/2008(8) werden nach deren Art. 1 „Maßnahmen zur Durchführung der Artikel 4, 5 und 8 der [Verordnung Nr. 715/2007] festgelegt“.

14.      Nach Art. 2 Nr. 18 dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Emissionsminderungssystem“ im Zusammenhang mit einem OBD-System (d. h. einem On-Board-Diagnosesystem(9)) „die elektronische Motorsteuerung sowie jedes emissionsrelevante Bauteil im Abgas- oder Verdunstungssystem, das diesem Steuergerät ein Eingangssignal übermittelt oder von diesem ein Ausgangssignal erhält“.

 Französisches Recht

15.      Nach Art. L.213‑1 des Code de la consommation (Verbraucherschutzgesetzbuch) wird strafrechtlich belangt, „wer – ob Vertragspartei oder nicht – durch ein beliebiges Mittel oder Vorgehen, selbst im Wege über einen Dritten, den Vertragspartner über 1. die Natur, die Gattung, den Ursprung, die wesentlichen Eigenschaften, die Zusammensetzung oder den Gehalt an nützlichen Bestandteilen von Waren jeder Art; 2. die Menge gelieferter Sachen oder über deren Nämlichkeit durch die Lieferung einer anderen Ware als der bestimmten Sache, die Vertragsgegenstand war; 3. die Gebrauchstauglichkeit, die mit dem Gebrauch des Erzeugnisses verbundenen Gefahren, die durchgeführten Kontrollen, die Verwendungsarten oder die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen täuscht oder zu täuschen versucht“(10).

16.      Nach Art. L.213‑2 des Verbraucherschutzgesetzbuchs kann die Strafe verschärft werden, wenn „infolge“ der Straftaten „der Gebrauch der Ware nunmehr eine Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier darstellt“(11).

17.      Nach Art. L.213‑6 des Verbraucherschutzgesetzbuchs werden juristische Personen, die für die in den Art. L.213‑1 und L.213‑2 des Verbraucherschutzgesetzbuchs beschriebenen strafbaren Handlungen für strafrechtlich verantwortlich erklärt worden sind, zusätzlich mit den Strafen nach Art. 131‑39 Nrn. 2 bis 9 des Code pénal (Strafgesetzbuch) belegt. Es kann sich beispielsweise um ein Verbot in Bezug auf die Tätigkeit handeln, „in deren Ausübung oder anlässlich deren Ausübung der Verstoß begangen wurde“.

 Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

18.      Die Gesellschaft X ist ein Automobilhersteller, der in Frankreich Kraftfahrzeuge vertreibt. Ausweislich der Vorlageentscheidung soll dieses Unternehmen Fahrzeuge mit einer Software (im Folgenden: streitige Software) in Verkehr gebracht haben, die geeignet ist, die Ergebnisse der Tests für die Typgenehmigung in Bezug auf Emissionen von gasförmigen Schadstoffen, wie etwa Stickstoffoxiden (im Folgenden: NOx), zu verfälschen.

19.      Im Rahmen der Genehmigungsphase in Bezug auf Emissionen von gasförmigen Schadstoffen werden Fahrzeuge nach einem Protokoll getestet, dessen Parameter in Vorschriften genau festgelegt sind. Dabei handelt es sich u. a. um das angewandte Geschwindigkeitsprofil, die Temperatur und die Vorkonditionierung des Fahrzeugs. Das für den Typgenehmigungstest („New European Driving Cycle“, abgekürzt „NEDC“ bzw. Neuer Europäischer Fahrzyklus, abgekürzt „NEFZ“) verwendete Geschwindigkeitsprofil besteht in der Wiederholung von vier Stadtfahrzyklen sowie einem außerstädtischen Fahrzyklus in einem Labor (und nicht unter realen Bedingungen). Mit diesem Typgenehmigungstest soll insbesondere festgestellt werden, ob die ausgestoßene NOx-Menge die von der Verordnung Nr. 715/2007 vorgeschriebenen Grenzwerte nicht überschreitet.

20.      Die hier in Rede stehenden Fahrzeuge enthalten ein Abgasrückführventil (AGR-Ventil).

21.      Das AGR-Ventil ist eine der Technologien, die von den Automobilherstellern (wie beispielsweise der Gesellschaft X) zur Kontrolle und Reduzierung der endgültigen NOx-Emissionen verwendet werden. Es handelt sich um ein System, das darin besteht, einen Teil der Abgase von Verbrennungsmotoren in den Gasansaugkrümmer, d. h. den Lufteinlass des Motors, umzuleiten, um die endgültigen NOx-Emissionen zu verringern.

22.      Genauer gesagt besteht das System einer Reinigung durch Rückführung der Abgase aus einem Leitungsrohr, durch das sich die Abgase (aus der unvollständigen Verbrennung des Treibstoffs) zum Lufteinlass umleiten lassen, wobei dieses Leitungsrohr mit einem Wärmetauscher zur Kühlung der Verbrennungsgase und einem AGR-Ventil ausgestattet ist, das den Durchfluss wieder in den Lufteinlass eingeführter Verbrennungsgase variieren lässt.

23.      Die Öffnung dieses AGR-Ventils wird durch den Motorsteuerungsrechner gesteuert. Dieser Rechner ist das On‑Board-Informationssystem, das physische Einrichtungen innerhalb des Fahrzeugs steuert. Nach Maßgabe der von seinen Sensoren gelieferten Informationen steuert dieser Rechner Aktoren. Diese kontrollieren den Zustand verschiedener mechanischer Bestandteile des Motors. Die Öffnung des AGR-Ventils (von der die Menge des zum Lufteinlass rückgeführten Gases und damit der Wirksamkeitsgrad des Emissionsminderungssystems abhängt) wird in Echtzeit vom Motorsteuerungsrechner gesteuert, der nach Maßgabe der von verschiedenen Sensoren gesammelten Informationen (Geschwindigkeit, Temperatur usw.) Befehle an den Stellantrieb des AGR-Ventils sendet. Der Grad der Öffnung dieses Ventils wird somit von diesem Rechner und letztendlich dem Quellcode der darin integrierten Software (d. h. der hier streitigen Software(12)) bestimmt.

24.      Im vorliegenden Fall zeigte der für Verkehr zuständige Vizepräsident des Regionalrats der Île-de-France (Frankreich) am 28. September 2015 nach Veröffentlichungen in der Presse die Gesellschaft X wegen verdächtiger Handlungen in Bezug auf das AGR-Ventil und die streitige Software, mit der einige ihrer Fahrzeuge ausgestattet waren, bei der Staatsanwaltschaft Paris (Frankreich) an.

25.      Am 2. Oktober 2015 stufte die Staatsanwaltschaft Paris diese verdächtigen Handlungen als schwere Täuschung ein und ersuchte das Office central de lutte contre les atteintes à l’environnement et à la santé publique (Zentralamt für die Bekämpfung von Beeinträchtigungen der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit) (OCLAESP), die Bedingungen, unter denen die betreffenden Fahrzeuge auf dem französischen Markt in Verkehr gebracht worden waren, zu untersuchen.

26.      Gleichzeitig ersuchte das Ministère de l’Écologie (Ministerium für Ökologie, Frankreich) den Service national des enquêtes (Nationaler Ermittlungsdienst) (SNE) der Direction générale de la Concurrence, de la Consommation et de la Répression des Fraudes (Generaldirektion Wettbewerb, Verbraucherschutz und Betrugsbekämpfung) (DGCCRF) um Aufnahme von Ermittlungen, um festzustellen, ob im französischen Hoheitsgebiet vertriebene Fahrzeuge mit der streitigen Software ausgestattet seien.

27.      Der SNE erstellte einen Bericht, dem die Ergebnisse der Tests und Prüfungen beigefügt wurden, die von der Union technique de l’automobile, du motocycle et du cycle (Technischer Verband für Automobile, Motorräder und Fahrräder) (UTAC), dem einzigen Labor, das befugt ist, die Genehmigungstests für Fahrzeuge in Frankreich abzunehmen, durchgeführt worden waren. Mit diesen Tests und Prüfungen sollte das mögliche Vorliegen eines Betrugs festgestellt werden. Daraus geht hervor, dass bei bestimmten Fahrzeugen der Gesellschaft X die NOx-Emissionen im Verhältnis zu den im Stadium ihrer Genehmigung angezeigten theoretischen Werten bisweilen 3,6‑mal höher waren.

28.      Auch anhand zusätzlicher Tests, mit denen das Institut français du pétrole énergies nouvelles (Französisches Institut für Erdöl und neue Energien) (IFPEN) betraut wurde und die drei Fahrzeuge betrafen, konnte festgestellt werden, dass die NOx-Emissionen spezifisch vermindert wurden, wenn ein Typgenehmigungszyklus erkannt wurde(13), wobei das AGR-Ventil dann deutlich weiter geöffnet war.

29.      Im Oktober 2015 führte die Staatsanwaltschaft Paris in den Räumlichkeiten der französischen Tochtergesellschaft der Gesellschaft X eine Hausdurchsuchung durch, um festzustellen, ob aufgrund objektiver Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass diese Tochtergesellschaft von der Existenz der streitigen Software gewusst habe.

30.      Im Januar 2016 wurde der Leiter dieser Tochtergesellschaft im Rahmen einer freien Vernehmung angehört. Er erklärte, dass er von der Existenz der streitigen Software aus der Presse erfahren habe und nichts über deren Funktionsweise wisse. In diesem Rahmen wies der Leiter dieser Tochtergesellschaft jedoch darauf hin, dass die betreffende Software bei bestimmten Dieselmotoren von insgesamt (ca.) 950 000 Fahrzeugen in Frankreich eingesetzt sei, für die ein Rückruf erfolgen werde, um eine Aktualisierung dieser Software vorzunehmen. Er fügte hinzu, dass er diese Software, die seiner Ansicht nach dazu diene, „die NOx-Emissionen im Sinne einer Senkung zu optimieren“, nicht als betrügerisch ansehe.

31.      Die Untersuchung führte zur Einleitung eines gerichtlichen Ermittlungsverfahrens, mit dem der vorlegende Richter und zwei weitere Ermittlungsrichter am 19. Februar 2016 betraut wurden. Im Antrag des Staatsanwalts auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung heißt es, dass die mutmaßliche Straftat darin bestehe, „seit dem 1. September 2009 als Vertragspartei oder nicht … durch ein beliebiges Mittel, selbst im Wege über einen Dritten, die Erwerber von Fahrzeugen, die mit Dieselmotoren ausgestattet sind, über wesentliche Eigenschaften der Fahrzeuge und über durchgeführte Kontrollen getäuscht zu haben, wobei hinzukommt, dass infolge der Taten der Gebrauch der Waren nunmehr eine Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier darstellt“, was u. a. gegen die Art. L.213‑1 und L.213‑2 Verbraucherschutzgesetzbuch verstoße.

32.      In diesem Stadium des Strafverfahrens hat die Gesellschaft X die Stellung eines Zeugen mit Rechtsbeistand. Die am 28. März 2017 vor die Ermittlungsrichter geladene Gesellschaft X weigerte sich förmlich, die Fragen, die diese ihr stellten, zu beantworten. Die Gesellschaft X weigerte sich auch, den Ermittlungsrichtern die Untersuchungsergebnisse, die sie angefordert hatten (und die sich insbesondere auf die Methoden für die Kalibrierung der von der Gesellschaft X verwendeten Motoren bezogen), zur Verfügung zu stellen.

33.      Im Übrigen traten seit Einleitung des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens mehr als 1 200 Personen als Nebenkläger auf.

34.      Im Rahmen dieses Verfahrens wurde ein Sachverständiger beauftragt, eine Analyse der Ergebnisse der von der Verwaltungsbehörde (d. h. der von der UTAC und vom IFPEN) durchgeführten Tests sowie sämtliche anderen technischen Analysen vorzunehmen, um den Mechanismus der streitigen Software zu beschreiben und ihre Wirkungen im Sinne einer Erhöhung der NOx-Emissionen durch die mit ihr ausgestatteten Fahrzeuge darzulegen.

35.      In seinem am 26. April 2017 vorgelegten Bericht (im Folgenden: Sachverständigengutachten) stellte der Sachverständige fest, dass nach den geltenden Rechtsvorschriften die Emissionskontrollsysteme bei normalem Fahrzeugbetrieb im Einsatz sein sollten. Es geht daraus hervor, dass bei normalen Fahrbedingungen das AGR-Ventil in den untersuchten Fahrzeugen nicht wie bei der Genehmigung gesteuert wurde. Wie die von der UTAC durchgeführten Tests zeigten, ließen sich die vorschriftsmäßigen Emissionsgrenzwerte im Normalbetriebmodus nicht einhalten. Ohne eine solche Erkennung des Genehmigungszyklus und ohne diese Veränderung der Funktion des AGR-Ventils wäre es für die fraglichen Fahrzeuge nicht möglich gewesen, diese Grenzwerte unter normalen Nutzungsbedingungen einzuhalten. Die Wirksamkeit des Abgasreinigungssystems war somit in einer realen Situation verringert.

36.      Der Gutachter gelangte somit zu dem Ergebnis, dass eine Vorrichtung vorliege, die in der Lage sei, den Genehmigungszyklus zu erkennen und die Funktion des Abgasrückführungssystems (im Folgenden: AGR-System) im Hinblick auf diese Genehmigung zu verändern. Diese Vorrichtung führe zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen der Fahrzeuge im normalen Verkehr. Der Sachverständige fügte auch hinzu, dass diese Fahrzeuge – insbesondere im Stadtverkehr – deutlich weniger (in einer Größenordnung von 50 %) NOx, aber dafür wahrscheinlich etwas mehr (in einer Größenordnung von 5 %) Kohlenmonoxid, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Kohlendioxid erzeugt hätten, wenn das AGR-Ventil im realen Verkehr wie bei den Genehmigungstests funktioniert hätte(14). Die Leistung dieser Fahrzeuge wäre wahrscheinlich unwesentlich verringert worden. Die Instandhaltungsarbeiten wären u. a. wegen der erhöhten Verschmutzung des Motors häufiger und kostspieliger gewesen.

37.      Schließlich erläuterte der Gutachter, dass das AGR-System insoweit eine Vorrichtung zur Kontrolle der Emissionen sei, als Motoren allein zu dem Zweck mit ihm ausgerüstet würden, um die NOx-Emissionen zu verringern, und führte weiter aus, dass die Verkleinerung seiner Öffnung die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vermindere, zu erhöhten NOx-Emissionen führe und unter normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge tatsächlich festgestellt werde. Im Gegenzug führe die Verkleinerung der Öffnung des AGR-Ventils in der Praxis zu einem besseren Beschleunigungsverhalten des Motors und zu einem größeren Leistungspotenzial. Dies zeige sich auch in einer geringeren Verschmutzung der Einlassleitungen, der Ventile und der Verbrennungskammer, was zur Langlebigkeit und Zuverlässigkeit des Motors beitrage.

38.      In Anbetracht dieser technischen Gesichtspunkte weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Tatbestand der Täuschung – sollte er als erfüllt angesehen werden – darin bestehe, die Erwerber der betreffenden Fahrzeuge über wesentliche Eigenschaften dieser Fahrzeuge getäuscht zu haben, nämlich über ihre Nichtkonformität zur Verordnung Nr. 715/2007, die sich daraus ergebe, dass in diesen Fahrzeugen eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung vorhanden sei, die darin bestehe, den der Motorrechner, der das AGR-Ventil betätige, so zu programmieren, dass er den Genehmigungszyklus erkenne, damit das NOx-Emissionskontrollsystem während dieses Zyklus, nicht aber unter normalen Nutzungsbedingungen, im Sinne einer Verstärkung aktiviert werde.

39.      Die Täuschung gehe insofern mit einem erschwerenden Umstand einher, als der Gebrauch der Fahrzeuge die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet habe, da die Abgase der Dieselmotoren vom Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) im Jahr 2012 als krebserzeugend eingestuft worden seien.

40.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Vorrichtungen, die eingesetzt würden, um die Funktion der Emissionskontrollsysteme zu beeinflussen, in verschiedenen Formen auftreten könnten. Die Definition der „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 der Verordnung Nr. 715/2007 umfasse mehrere Begriffe, die vom Gerichtshof noch nicht ausgelegt worden seien.

41.      Da die Subsumierung unter den Tatbestand der Täuschung, wie sie im Rahmen des anhängigen Verfahrens in Betracht gezogen wird, auf der Einstufung als „Abschalteinrichtung“ beruht, benötigt das vorlegende Gericht seiner Ansicht nach Klarstellungen zur Bedeutung der oben genannten Bestimmungen, um darüber zu entscheiden, ob gegen die Gesellschaft X möglicherweise als Beschuldigte ermittelt werden soll, wie auch darüber, ob nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens das Hauptverfahren gegen sie eröffnet wird.

42.      Unter Berücksichtigung von alledem hat der für das gerichtliche Ermittlungsverfahren zuständige Vizepräsident des Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris) beschlossen, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Auslegung des Begriffs des Konstruktionsteils

a)      Was fällt unter den Begriff des Konstruktionsteils, der in dem eine Abschalteinrichtung (defeat device) definierenden Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 angeführt wird?

b)      Ist ein in den Motorsteuerungsrechner integriertes oder ganz allgemein auf diesen einwirkendes Programm als Konstruktionsteil im Sinne des genannten Artikels anzusehen?

2.      Auslegung des Begriffs des Emissionskontrollsystems

a)      Was fällt unter den Begriff des Emissionskontrollsystems, der in dem eine Abschalteinrichtung (defeat device) definierenden Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 angeführt wird?

b)      Schließt dieses Emissionskontrollsystem lediglich Technologien und Strategien zur Behandlung und Verringerung von Emissionen (u. a. von NOx) nach ihrer Bildung ein, oder erfasst es auch die verschiedenen Technologien und Strategien zur Begrenzung ihrer Erzeugung an der Basis wie die AGR-Technologie?

3.      Auslegung des Begriffs der Abschalteinrichtung (defeat device)

a)      Ist eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der Typgenehmigungsverfahren nach der Verordnung Nr. 715/2007 ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems im Rahmen dieser Verfahren zu aktivieren oder nach oben zu modulieren und damit die Fahrzeugzulassung zu erhalten, eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007?

b)      Falls ja: Ist diese Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten?

c)      Ist eine Einrichtung wie die in Frage 3 a beschriebene als „Abschalteinrichtung“ einzustufen, falls die Modulierung nach oben des Emissionskontrollsystems nicht nur in Typgenehmigungsverfahren, sondern punktuell auch dann wirksam ist, wenn die ermittelten genauen Bedingungen, unter denen das Emissionskontrollsystem in diesen Typgenehmigungsverfahren nach oben moduliert wird, im realen Verkehr gegeben sind?

4.      Auslegung der Ausnahmen nach Art. 5

a)      Was fällt unter die drei Ausnahmen nach Kapitel II Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007?

b)      Könnte vom Verbot einer Abschalteinrichtung [defeat device], die speziell in Typgenehmigungsverfahren die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems aktiviert oder nach oben moduliert, aus einem der drei in Art. 5 Abs. 2 aufgeführten Gründe abgewichen werden?

c)      Gehört eine Verzögerung des Verschleißes oder der Verschmutzung des Motors zu den Erfordernissen, „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“ oder „den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, die das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a rechtfertigen können?

43.      Schriftliche Erklärungen sind von der französischen und von der italienischen Regierung, von Beteiligten des Ausgangsverfahrens (der Gesellschaft X und den Nebenklägern A u. a.) sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden.

44.      Die oben genannten Regierungen, die Beteiligten des Ausgangsverfahrens (die Gesellschaft X sowie die Nebenkläger A u. a., B, AGLP u. a. und C u. a.) und die Kommission haben in der Sitzung, die am 7. November 2019 stattgefunden hat, auch mündliche Ausführungen gemacht.

 Würdigung

 Einleitende Bemerkungen

45.      Es erscheint mir angebracht, einleitend ausführlicher den Regelungsrahmen der Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen innerhalb der Union darzulegen.

46.      Die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen unterliegt im Unionsrecht einer detaillierten Regelung, die auf der Rechtsgrundlage der Bestimmungen über die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts (jetzt Art. 114 AEUV) beruht.

47.      Die Richtlinie 2007/46 schafft einen harmonisierten Rahmen mit den Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in ihren Geltungsbereich fallenden (leichten oder schweren) Neufahrzeuge.

48.      In der Automobilbranche legt jede Rahmengesetzgebung somit das Verfahren und die Rechtsfolgen der Typgenehmigung von Fahrzeugen fest. Die materiellen Voraussetzungen für die Typgenehmigung sind wiederum gesondert geregelt.

49.      Die Typgenehmigung läuft wie folgt ab: Der Hersteller präsentiert den Prototyp eines Fahrzeugs den zuständigen Behörden, um nachzuweisen, dass dieses alle materiellen Voraussetzungen der in Anhang IV der Richtlinie 2007/46 aufgeführten Rechtsakte erfüllt. Wenn die Typgenehmigung von der zuständigen Verwaltungsbehörde erteilt wird, nimmt der Hersteller die Produktion des fraglichen Fahrzeugtyps auf. Jedes nach dem genehmigten Typ hergestellte Fahrzeug darf, ohne dass zusätzliche Tests erforderlich wären, in den Verkehr gebracht werden.

50.      In diesem Zusammenhang werden die harmonisierten technischen Anforderungen in Bezug auf die Emissionen in Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007 präzisiert. Letzterer verpflichtet die Hersteller, ihre Fahrzeuge so auszurüsten, dass sie unter normalen Betriebsbedingungen den Anforderungen dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen entsprechen.

51.      Nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ist außerdem vorbehaltlich bestimmter abschließend angeführter Ausnahmen die Verwendung von „Abschalteinrichtungen“ (die in Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung definiert werden) verboten.

52.      Folglich müssen die Fahrzeuge nach Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007 nicht nur so konstruiert sein, dass sie unter normalen Betriebsbedingungen die in der Verordnung festgelegten Grenzen einhalten, sondern auch so, dass die Wirksamkeit ihres Emissionskontrollsystems „unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“,(15) nicht verringert werden kann.

53.      Für die Anwendung von Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007 sah die Kommission in der Verordnung Nr. 692/2008 spezielle Laborprüfverfahren vor, mit denen die Hersteller im Hinblick auf die Erteilung einer Typgenehmigung feststellen können, dass ein neuer Fahrzeugtyp die Emissionsgrenzwerte einhält.

54.      Im vorliegenden Fall beruhten die im Prüfverfahren vorgesehenen Emissionsmessungen auf dem einzigen Fahrzyklus, der damals zur Anwendung kam, nämlich dem NEFZ (wie er vorhin definiert wurde)(16). Es handelt sich um standardisierte Tests, die im Labor und nicht unter realen Bedingungen durchgeführt werden – was sie für Erkennungs- und Umgehungsstrategien anfälliger macht.

 Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

55.      Vor der Prüfung der dem Gerichtshof zur Beurteilung vorgelegten Fragen in der Sache ist deren Zulässigkeit zu prüfen.

56.      Einige Beteiligte des Ausgangsverfahrens (A u. a.) haben in ihren Erklärungen geltend gemacht, dass die Einstufung als „Abschalteinrichtung“ nur die Ordnungsmäßigkeit der Typgenehmigung der Fahrzeuge betreffe. Unabhängig davon, ob sie erwiesen sei oder nicht, habe sie keine Auswirkung auf das Vorliegen einer Täuschung über die „wesentlichen Eigenschaften“ oder die durchgeführten Kontrollen. Nach Ansicht dieser Beteiligten ahndet das Verbraucherschutzgesetzbuch die Täuschung „durch ein beliebiges Mittel oder Vorgehen“: ob es sich um einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 715/2007 handele (oder nicht), sei daher unerheblich. Somit seien die Vorlagefragen für den Ausgang des Ausgangsverfahrens nicht entscheidungserheblich(17).

57.      Die Gesellschaft X macht ebenfalls geltend, dass diese Vorlagefragen für den Ausgang des Ausgangsverfahrens unerheblich seien. Ihrer Ansicht nach geht es im Ausgangsverfahren (wie es in der Vorlageentscheidung dargestellt wird) darum, zu klären, ob gegen sie als Beschuldigte wegen Täuschung ermittelt und ein Hauptverfahren eröffnet werden dürfe. Die Gesellschaft X macht geltend, nach französischem Strafrecht setze die Straftat der Täuschung die kumulative Erfüllung des objektiven und des subjektiven Tatbestands voraus, die im vorliegenden Fall nicht sicher gegeben sei. Die Gesellschaft X trägt vor, sie könne unabhängig davon, wie der Gerichtshof die Fragen des vorlegenden Gerichts auch beantworten möge, auf keinen Fall beschuldigt (und erst recht nicht vor Gericht angeklagt) werden.

58.      Zudem beruft sich die Gesellschaft X auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege): Mangels einer Vorschrift, mit der die im vorliegenden Fall verfolgten Handlungen ausdrücklich geahndet würden, könne sie nicht wegen Täuschung verurteilt werden.

59.      Im Übrigen macht die Gesellschaft X geltend, dass in diesem Stadium kein Rechtsstreit im Zusammenhang mit den vorgelegten Fragen vorliege, da sie ihren Standpunkt(18) zu eben diesen Fragen vor dem vorlegenden Gericht noch nie, weder mündlich noch schriftlich, geäußert habe. Mit diesen Fragen werde bloß um die Abgabe eines Gutachtens zu den Vorschriften des Unionsrechts ohne Zusammenhang mit irgendeinem Rechtsstreit ersucht. Insoweit seien diese Fragen rein hypothetisch. Dies sei insbesondere bei der vierten Vorlagefrage der Fall, die die Ausnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 betreffe, auf die sich die Gesellschaft X bisher im Rahmen des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens nie berufen habe.

60.      Außerdem sind nach Ansicht der Gesellschaft X die Fragen, bevor sie dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt worden seien, nicht kontradiktorisch erörtert worden, was gegen den Grundsatz der geordneten Rechtspflege verstoße.

61.      Schließlich hat die Gesellschaft X in der mündlichen Verhandlung auch geltend gemacht, dass die Vorlagefragen „verfrüht“ seien, da anhand der bisher durchgeführten (und u. a. im Sachverständigengutachten wiedergegebenen) Analysen der Sachverhalt nicht hinreichend genau festgestellt werden könne.

62.      Meines Erachtens ist das Vorbringen der Beteiligten A u. a. sowie der Gesellschaft X zur Gänze zurückzuweisen.

63.      Es sei vorweg bemerkt, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein dem mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gericht, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, obliegt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegten Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen(19).

64.      Am Rande weise ich, auch wenn diese Frage von den Beteiligten des Ausgangsverfahrens nicht aufgeworfen worden ist, ebenfalls darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung „der Ermittlungsrichter in Strafsachen oder der Amtsträger, der die strafrechtliche Untersuchung durchführt, ein Gericht im Sinne [von Art. 267 AEUV] ist, das im Rahmen eines mit einer gerichtlichen Entscheidung abschließenden Verfahrens unabhängig nach Rechtslage die Rechtssachen zu entscheiden hat, für die es nach dem Gesetz zuständig ist“(20).

65.      Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(21).

66.      Hier geht aus der Vorlageentscheidung eindeutig hervor, dass die Einstufung der streitigen Software (die den Öffnungsgrad des AGR-Ventils und dadurch die Höhe der endgültigen NOx-Emissionen bestimmt) als „Abschalteinrichtung“ im Licht von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 Einfluss auf die Feststellung einer Straftat nach dem französischen Strafrecht (nämlich einer schweren Täuschung nach Art. L.213‑1 und L.213‑2 Verbraucherschutzgesetzbuch) hat. Das Vorbringen der Beteiligten A u. a. und der Gesellschaft X zur Unerheblichkeit der vorgelegten Fragen ist daher zurückzuweisen, da die vorgelegten Fragen einen offensichtlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens aufweisen.

67.      Auch wenn sich die Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 möglicherweise auf die Feststellung der Straftat auswirkt, kann jedoch das Vorbringen der Gesellschaft X zum französischen Strafrecht (insbesondere zur Erfüllung des objektiven und/oder subjektiven Tatbestands) nicht durchgreifen. Sie sind für die Beurteilung der Zulässigkeit der Vorlagefragen (unter dem Blickwinkel des Unionsrechts) unerheblich und betreffen Fragen, die ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts sind(22).

68.      Das Vorbringen zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen ist ebenfalls unerheblich, da die oben genannte Verordnung die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen regelt und als solche keine Strafvorschriften enthält.

69.      Auch in Bezug auf den angeblich hypothetischen Charakter der Vorlagefragen halte ich das Vorbringen der Gesellschaft X für sehr zweifelhaft.

70.      Der Umstand, dass die Verfahrensstrategie der Gesellschaft X vor dem vorlegenden Gericht darin besteht, die Fragen der Ermittler nicht zu beantworten, die Übermittlung des Quellcodes der streitigen Software zu verweigern oder deren betrügerischen Charakter zu leugnen, lässt nicht die Feststellung zu, dass kein Rechtsstreit vorliege: Im Gegenteil neige ich zu der Annahme, dass diese Strategie eine echte Kontroverse aufzeigt, die für den Ausgang des beim vorlegenden Gericht anhängigen Strafverfahrens von grundlegender Bedeutung ist.

71.      Was insbesondere die vierte Vorlagefrage (zur Auslegung der Ausnahmen von dem in Art. 5 Abs. 2 der oben genannten Verordnung enthaltenen Verbot der Abschalteinrichtungen) betrifft, hat die Gesellschaft X behauptet, diese Ausnahmen nie vor dem vorlegenden Gericht geltend gemacht zu haben, so dass diese Frage hypothetisch sei. Hierzu vom Gerichtshof befragt, hat die Gesellschaft X jedoch ganz klar eingeräumt, dass sie die Möglichkeit, sich später in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren auf solche Ausnahmen zu berufen, nicht ausschließe. Dieses Eingeständnis scheint meines Erachtens dafür zu sprechen, dass es sich bei diesen Fragen nicht nur um ein „bloßes Ersuchen um die Abgabe eines Gutachtens“ zu rein hypothetischen Problemen handelt.

72.      Zur nicht erfolgten kontradiktorischen Erörterung vor dem vorlegenden Gericht weise ich nur darauf hin, dass nach Art. 267 AEUV die Anrufung des Gerichtshofs nicht davon abhängt, ob das Verfahren, in dem das nationale Gericht eine Vorlagefrage abfasst, streitigen Charakter hat(23). Insoweit ist das Vorbringen der Gesellschaft X ebenfalls zurückzuweisen.

73.      Was schließlich die Verfrühtheit der hier zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen anbelangt, gebe ich zu bedenken, dass das vorlegende Gericht allein entscheidet, zu welchem Zeitpunkt es beschließt, den Gerichtshof zu befragen(24). Zudem erscheint mir das Vorbringen der Gesellschaft X zu diesem Gesichtspunkt wenig überzeugend. Der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt wurde 2015 aufgedeckt und war Gegenstand mehrerer technischer Analysen (die ihrerseits Gegenstand einer eingehenden Prüfung waren, deren Ergebnisse im Sachverständigengutachten wiedergegeben sind). Insoweit erscheint mir die Behauptung (wie sie die Gesellschaft X in der mündlichen Verhandlung aufgestellt hat) problematisch, dass „in diesem Stadium kein genauer Sachverhalt festgestellt worden ist“. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass der Gerichtshof über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

74.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich daher der Ansicht, dass die Vorlagefragen zulässig sind.

 Zur ersten Vorlagefrage

75.      Mit seiner ersten Vorlagefrage (die aus zwei zusammen zu prüfenden Teilfragen besteht) möchte das vorlegende Gericht – im Wesentlichen – ermitteln, ob ein in den Motorsteuerungsrechner integriertes oder, allgemeiner, auf diesen einwirkendes Programm als „Konstruktionsteil“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 angesehen werden kann.

76.      Nach meiner Ansicht ist diese Frage zu bejahen.

77.      Der Begriff „Abschalteinrichtung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der oben genannten Verordnung bezeichnet jegliches Konstruktionsteil, „das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.

78.      Wie die französische Regierung zu Recht betont hat, verleiht eine solche Definition dem Begriff „Konstruktionsteil“ eine weite Bedeutung. Ein solcher Bestandteil kann sowohl aus mechanischen Teilen als auch aus einer Software bestehen, mit der die Aktivierung solcher Teile gesteuert wird, da er auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert. Dies ist im Übrigen auch der von der Gesellschaft X in ihren schriftlichen Erklärungen vertretene Standpunkt.

79.      Ich stelle klar, dass es sich um einen vom Hersteller des Fahrzeugs stammenden Bestandteil handeln muss. Bei einer On-Board Software kommt es nicht darauf an, ob sie vor dem Verkauf des Fahrzeugs vorinstalliert oder später bei einer Aktualisierung (die vom Hersteller vorgeschrieben oder empfohlen wird) heruntergeladen wird: Es dürfte sich hingegen nicht um einen Bestandteil handeln, der allein auf Betreiben des Eigentümers oder Nutzers des Fahrzeugs ohne Verbindung mit dem Hersteller installiert worden ist.

80.      Daher ist auf die erste Vorlagefrage folgendermaßen zu antworten: Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass ein in den Motorsteuerungsrechner integriertes oder, allgemeiner, auf diesen einwirkendes Programm als ein Konstruktionsteil im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, da es integraler Bestandteil dieses Rechners ist.

 Zur zweiten Vorlagefrage

81.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage (die aus zwei Teilfragen besteht, die ich zusammen prüfen werde) möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ ausschließlich Technologien und Strategien erfasst, die Emissionen im Nachhinein (nach ihrem Entstehen) verringern, oder ob dieser Begriff vielmehr auch Technologien und Strategien umfasst, die, wie das AGR-System, die Emissionen von vornherein (bei ihrem Entstehen) reduzieren.

82.      Es gibt nämlich zwei große Kategorien von Methoden, die es den Herstellern ermöglichen, die Leistung ihrer Fahrzeuge in Bezug auf Schadstoffemissionen zu optimieren: zum einen die sogenannten „motorinternen“ Strategien (wie etwa das AGR-System), die darin bestehen, das Entstehen von gasförmigen Schadstoffen im Motor selbst zu minimieren, und zum anderen die sogenannten „Nachbehandlungsstrategien“, die darin bestehen, die Emissionen nach ihrem Entstehen zu behandeln (z. B. das katalytische System zur Filterung von NOx).

83.      Die Gesellschaft X vertritt eine sehr enge Auslegung des Begriffs „Emissionskontrollsystem“. Dieser Begriff könne nur die emissionsrelevanten Bauteile bezeichnen, die sich im Abgassystem befänden, und nicht die motorinternen Strategien. Diese Auslegung stützt sich (im Wesentlichen) auf Art. 2 Nr. 18 der Verordnung Nr. 692/2008, nach dem der Ausdruck „Emissionsminderungssystem“ im Zusammenhang mit einem OBD-System „die elektronische Motorsteuerung sowie jedes emissionsrelevante Bauteil im Abgas[system], das diesem Steuergerät ein Eingangssignal übermittelt oder von diesem ein Ausgangssignal erhält“, bezeichnet(25).

84.      Ich stimme dem von der Gesellschaft X vertretenen Verständnis nicht zu.

85.      Vorab weise ich darauf hin, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ in der Verordnung Nr. 715/2007 nicht definiert wird.

86.      Um dessen Bedeutung zu klären, ist auf die vom Gerichtshof entwickelten Auslegungskriterien abzustellen. Es sei daran erinnert, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Unionsvorschrift „nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden“(26).

 Grammatikalische Auslegung

87.      Im Hinblick auf den Wortlaut ist ein „Emissionskontrollsystem“ ein Bestandteil eines Fahrzeugs, mit dem dessen Emissionen kontrolliert werden sollen.

88.      Insoweit weise ich darauf hin, dass das AGR-System daher a priori in den Anwendungsbereich dieses Begriffs fallen kann, da es den Zweck hat, die endgültigen NOx-Emissionen zu verringern. Das der Vorlageentscheidung beigefügte Sachverständigengutachten deutet klar darauf hin, dass „Motoren allein zu dem Zweck der Verringerung der NOx-Emissionen“ mit dem AGR-System „ausgestattet sind“ und dass „die im AGR-System zirkulierenden Gase letztendlich in die Atmosphäre ausgestoßen werden“(27). Es handelt sich jedenfalls um eine „Vorrichtung zur Kontrolle der NOx-Emissionen“(28).

89.      Dies ist auch der Standpunkt, den die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vertritt, in denen sie (meinem Dafürhalten nach zu Recht) ausführt, dass das AGR-System offensichtlich Teil eines Emissionskontrollsystems sei, denn es ermögliche, die Menge dieser Emissionen anhand im Voraus festgelegter Parameter zu kontrollieren, indem eine mehr oder weniger große Abgasmenge in das Einlasssystem des Motors eintrete(29).

90.      Die französische und die italienische Regierung sowie die Nebenkläger, die in schriftlichen Erklärungen oder in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen haben, haben eine ähnliche Auslegung vertreten.

91.      Im Gegensatz zur Gesellschaft X denke ich nicht, dass diese Auslegung des Begriffs „Emissionskontrollsystem“ zu weit gefasst oder geeignet ist, jeden beliebigen Fahrzeugbestandteil zu erfassen, der irgendeinen Einfluss auf die Menge der Schadstoffemissionen hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Gesellschaft X vorgetragen, das System der elektrischen Fensteröffnung oder die Klimaanlage wirkten sich ebenfalls auf die Emissionen des Fahrzeugs aus, ohne dass man jedoch von einem „Emissionskontrollsystem“ sprechen könne. Diese Beispiele scheinen mir nicht einschlägig zu sein: Die von der Gesellschaft X angeführten Mechanismen bezwecken nicht die Begrenzung der NOx-Emissionen, wohingegen genau das gerade der Zweck des AGR-Systems ist(30). Gerade dieser Unterschied im Zweck rechtfertigt es meines Erachtens, das AGR-System als Emissionskontrollsystem einzustufen(31).

 Systematische Auslegung

92.      In systematischer Hinsicht sind zunächst die anderen Vorschriften der Verordnung Nr. 715/2007 zu prüfen, um festzustellen, ob sie zu einer zweckdienlichen Antwort beitragen können.

93.      Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung erlegt den Herstellern eine Pflicht auf, die in einem Ergebnis zum Ausdruck kommen muss: Die von diesen ergriffenen technischen Maßnahmen müssen sicherstellen, dass die Auspuffemissionen wirkungsvoll begrenzt werden. Art. 3 Nr. 6 dieser Verordnung definiert den Begriff „Auspuffemissionen“: Es handelt sich um die Emissionen gasförmiger und partikelförmiger Schadstoffe, ohne weitere Präzisierung.

94.      Folglich erläutern weder der genannte Art. 4 Abs. 2 noch der genannte Art. 3 Nr. 6, in welchem Stadium der Funktionsweise des Fahrzeugs (oder mit welchem technischen Mittel) diese Emissionen verändert oder verringert werden müssen.

95.      Die Verordnung Nr. 715/2007 ist technologieneutral, da sie keine bestimmte technologische Lösung vorschreibt. Sie legt lediglich ein Ziel fest, das in Bezug auf die Begrenzung der Emissionen erreicht werden soll, wobei Letztere bei Verlassen des Auspuffrohrs gemessen werden.

96.      Die Unterscheidung, die von der Gesellschaft X zwischen den motorinternen Strategien und den Methoden der Nachbehandlung der Abgase getroffen wird, findet daher im Wortlaut der Verordnung Nr. 715/2007 keine Rechtfertigung. Zudem scheint diese Unterscheidung in tatsächlicher Hinsicht kaum Sinn zu haben. Die Gesellschaft X konnte zwar in der mündlichen Verhandlung leichthin behaupten, dass „was den Motor nicht verlässt, keine Emission ist“, doch in der Praxis bleiben die NOx NOx, wie die Kommission mit simplem gesundem Menschenverstand aufgezeigt hat: Am Ende verlassen sie immer das Auspuffrohr (unabhängig davon, ob ihr Entstehen von vornherein im Motor begrenzt wurde oder ob sie im Abgassystem nachbehandelt wurden)(32).

97.      Die von der Gesellschaft X vorgeschlagene haarspalterische Unterscheidung zwischen von vornherein und im Nachhinein eingesetzten Abgasreduzierungsmethoden findet auch keine Rechtfertigung im Licht der Regelung Nr. 83 (UN/ECE) und insbesondere des Abs. 2.16 dieser Regelung(33). Dass Abs. 6.5.1.3 von Anhang 11 Anlage 1 dieser Regelung zwei Methoden der Nachbehandlung als Abgasreinigungsanlagen (oder Emissionsminderungssysteme) anführt, impliziert ipso facto nicht, dass andere Methoden (wie etwa das AGR-System) nicht in den Anwendungsbereich dieses Begriffs fallen können: Es handelt sich hier nur um einzelne Beispiele und nicht um eine abschließende Aufzählung.

98.      Wie verhält es sich mit der Verordnung Nr. 692/2008, auf die sich die Gesellschaft X sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung berufen hat?

99.      Ich weise zunächst darauf hin, dass die Verordnung Nr. 692/2008, die von der Kommission erlassen wurde(34), im Verhältnis zu der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (die der Rat und das Europäische Parlament erlassen haben), ein nachrangiges Rechtsinstrument ist: Sie kann grundsätzlich deren Anwendungsbereich nicht einschränken. Zudem findet (der von der Gesellschaft X angeführte) Art. 2 Nr. 18 der Verordnung Nr. 692/2008 „im Zusammenhang mit einem [On-Board-Diagnose]-System“ Anwendung und hat keine allgemeine Geltung.

100. Im Übrigen scheint der Standpunkt der Gesellschaft X auf einer falschen Auslegung von diesem Art. 2 Nr. 18 zu beruhen. Denn nach Ansicht der Gesellschaft X setzt diese Bestimmung voraus, dass ein Emissionsminderungssystem nur ein „mit Emissionen zusammenhängendes“ Bauteil sein kann, „das sich im Abgassystem befindet“(35). Diese Vorschrift erfasst aber jedes (emissionsrelevante) Bauteil des Abgassystems, insbesondere in der französischen Fassung der Verordnung(36). Es ist daher nicht erforderlich, dass sich dieses Bauteil physisch im Abgassystem befindet.

101. Mit der Kommission neige ich zu der Vermutung, dass diese falsche Auslegung auf der englischen Fassung der Verordnung Nr. 692/2008 beruht, die „any emission-related component in the exhaust … system“ erfasst(37). Diese Wendung (in der englischen Fassung(38)) erscheint mir im Licht der Verordnung Nr. 715/2007, in deren englischer Fassung es systematisch „tailpipe emissions“ heißt, nicht korrekt (in der französischen Fassung wird dieser Ausdruck mit „émissions au tuyau arrière d’échappement“(39) [Emissionen im/am hinteren Auspuffrohr] wiedergegeben). Die gebräuchlichen Ausdrücke zeugen deutlich von den der Verordnung Nr. 715/2007 zugrunde liegenden Überlegungen: Die Emissionen werden immer bei Verlassen des Auspuffsystems gemessen, da sie letztendlich immer von Letzterem ausgestoßen werden (bevor sie die Luft verschmutzen). Gleichwohl muss sich der Mechanismus, der die Kontrolle der Emissionen ermöglicht, nicht unbedingt im Abgassystem im engeren Sinne befinden.

102. Schließlich möchte ich noch anmerken, dass Anhang XI Anlage 2 der Verordnung Nr. 692/2008 das AGR-System ausdrücklich in seiner Liste von Emissionsminderungssystemen aufführt. Dieser Gesichtspunkt bestätigt, soweit erforderlich, dass die von der Gesellschaft X zu Art. 2 Nr. 18 dieser Verordnung vertretene Auslegung verfehlt ist.

 Teleologische Auslegung

103. Ich komme nun zu den Zielen der Verordnung Nr. 715/2007 und auf ihre Bedeutung für die Auslegung des Ausdrucks „Emissionskontrollsystem“.

104. Den Erwägungsgründen 1 bis 5 dieser Verordnung ist zu entnehmen, dass diese Verordnung u. a. ein hohes Umweltschutzniveau sicherstellen soll und dass, um die Ziele der Union für die Luftqualität zu erreichen, fortwährende Bemühungen zur Senkung von Kraftfahrzeugemissionen erforderlich sind. Der sechste Erwägungsgrund stellt klar, dass „[z]ur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte … insbesondere eine erhebliche Minderung der [NOx‑]Emissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich [ist]“.

105. Zudem ist Art. 4 dieser Verordnung zu entnehmen, dass diese die Emissionen wirkungsvoll begrenzen soll, und zwar während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen.

106. Angesichts des Willens des Unionsgesetzgebers, wie er in diesen Bestimmungen sehr klar zum Ausdruck kommt, bin ich mit der französischen Regierung und der Kommission der Ansicht, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ weit auszulegen ist. Eine Einschränkung der Bedeutung dieses Konzepts auf die Methoden der Nachbehandlung von Abgasen (die motorinterne Strategien wie das AGR-System nicht erfasst) würde der Verordnung Nr. 715/2007 einen erheblichen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit nehmen. Insoweit ist die von der Gesellschaft X vorgetragene Unterscheidung nicht gerechtfertigt.

 Ergebnis

107. Im Licht der grammatikalischen, der systematischen, aber auch der teleologischen Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 bin ich der Ansicht, dass die zweite Vorlagefrage wie folgt beantwortet werden sollte: Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ sowohl die Technologien, die Strategien und die mechanischen oder informationstechnologischen Bestandteile umfasst, die – wie das AGR-System – in der Lage sind, die Emissionen (einschließlich von NOx) von vornherein zu verringern, als auch jene, mit denen sie im Nachhinein, nach ihrem Entstehen, behandelt und verringert werden können.

 Zur dritten Vorlagefrage

108. Die dritte Vorlagefrage umfasst drei Teilfragen: Die zweite Teilfrage werde ich im Zuge der Prüfung der vierten Vorlagefrage im folgenden Abschnitt der vorliegenden Schlussanträge behandeln.

109. Die erste und die dritte Teilfrage betreffen im Wesentlichen die Frage, ob Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Vorrichtung, die einen beliebigen Parameter ermittelt, der mit dem Ablauf der von dieser Verordnung vorgesehenen Typgenehmigungsverfahren zusammenhängt, um bei diesen Verfahren die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren oder im Sinne einer Verstärkung zu verändern und somit die Typgenehmigung des Fahrzeugs zu erlangen, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, und zwar selbst dann, wenn die Aktivierung im Sinne einer Verstärkung der Funktion des Emissionskontrollsystems punktuell auch eintreten kann, wenn genau die Bedingungen, die die Auslösung dieser Aktivierung bewirken, im realen Verkehr auftreten.

110. Meines Erachtens ist diese Frage zu bejahen.

111. Eine „Abschalteinrichtung“ ist ein Konstruktionsteil, das diverse Parameter (Temperatur, Fahrzeuggeschwindigkeit usw.) ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

112. Die Gesellschaft X beruft sich auf zwei Argumente, um eine solche Einstufung im vorliegenden Fall zu widerlegen.

113. Mit ihrem ersten Argument behauptet sie, das AGR-System stelle kein Emissionskontrollsystem dar, und folglich könne ein Konstruktionsteil, das die Funktion des AGR-Systems ändere, nicht als „Abschalteinrichtung“ eingestuft werden. Angesichts der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die zweite Vorlagefrage kann dieses Argument keinen Erfolg haben. Ich werde daher nicht näher darauf eingehen.

114. Ihr zweites Argument ist folgendes: Die Abschalteinrichtungen, mit denen die Funktion eines Emissionskontrollsystems bei Labortests (wie den NEFZ-Tests) im Sinne einer Verstärkung manipuliert wird, verringern nicht die Wirksamkeit dieses Systems. Nur die im Laufe der normalen Nutzung eines Fahrzeugs herbeigeführte Veränderung könne die Existenz einer Abschalteinrichtung belegen.

115. Dieses Argument scheint mir sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ein nicht stichhaltiges Scheinargument zu sein.

116. In tatsächlicher Hinsicht geht aus der Vorlageentscheidung und dem Sachverständigengutachten hervor, dass das AGR-System in zwei Modi funktioniert, die von der streitigen Software gesteuert werden. Wenn ein charakteristischer Zyklus des Typgenehmigungstests erkannt wird, schaltet das AGR-System in „Modus 1“. Standardmäßig schaltet das System, wenn es keine charakteristischen Voraussetzungen des Typgenehmigungstests ermittelt, in „Modus 0“.

117. In Modus 1 weist das AGR-Ventil einen erhöhten Öffnungsgrad auf und ermöglicht es dem Fahrzeug, die vorschriftsmäßigen Grenzen in Bezug auf die NOx-Emissionen einzuhalten. Umgekehrt ist in Modus 0 (d. h. dem in der Praxis unter realen Fahrbedingungen vorherrschenden Modus) das AGR-Ventil nicht völlig deaktiviert, aber weniger weit geöffnet. Eine solche Veränderung führt zu deutlich höheren NOx-Emissionen als jenen, die in der Testphase auftreten(40), und jedenfalls zu einem Ergebnis, das die in der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwerte nicht einhält(41).

118. Wie die Kommission und die französische Regierung zu Recht ausgeführt haben, ist es daher offensichtlich, dass die fragliche Vorrichtung die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems „verändert“, da sie die Emissionshöhe je nach Ermittlung verschiedener im Voraus festgelegter Parameter variieren lässt, indem sie von einem in den anderen Modus schaltet.

119. Mit anderen Worten bewirkt die angewandte Methode, indem sie bei normalen Fahrzeugnutzungsbedingungen standardmäßig in den Modus 0 schaltet, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird. Der Umstand, dass diese Methode nur dann zu einer verstärkten Aktivierung führt, wenn die Bedingungen für den Typgenehmigungstest ermittelt werden, hat keine Auswirkung auf diese Feststellung.

120. In rechtlicher Hinsicht ist festzustellen, dass die von der Gesellschaft X vertretene Auffassung zudem weder mit dem Wortlaut noch mit der Systematik oder dem Zweck von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 im Einklang steht.

121. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, beruht diese Bestimmung nämlich nicht auf einer Dichotomie zwischen der Phase der zur Typgenehmigung eines Fahrzeugs durchgeführten Tests und dem nachfolgenden Zeitraum der normalen Verwendung des Fahrzeugs. Die Genehmigung der Kraftfahrzeuge beruht auf Testverfahren, die so weit wie möglich der künftigen normalen Nutzung des Fahrzeugs nach seinem Inverkehrbringen entsprechen müssen. Der Test soll im Voraus die tatsächlichen Fahrbedingungen widerspiegeln, mit denen das Fahrzeug bei seiner normalen Nutzung konfrontiert sein wird.

122. Die NEFZ-Testmethode stellt in gewisser Weise eine theoretische Teststrecke dar, die diese „Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, (schematisch) zusammenfasst. Eine teilweise oder vollständige Deaktivierung eines Emissionskontrollsystems, die so programmiert ist, dass sie außerhalb dieser theoretischen Teststrecke systematisch eintritt, führt zwangsläufig zu einer Verringerung der Wirksamkeit dieses Systems bei normalen Nutzungsbedingungen. Diese künstliche Deaktivierung kann nur zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 führen.

123. Der Wortlaut bietet daher keine Grundlage für den Standpunkt, den die Gesellschaft X verteidigen möchte.

124. Zudem ist in systematischer Hinsicht auch Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 heranzuziehen: Dieser beinhaltet die Pflicht, sicherzustellen, dass die Auspuffemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeugs bei normalen Nutzungsbedingungen wirkungsvoll begrenzt werden(42). Eine Vorrichtung, deren einziger Zweck darin bestehen würde, die Einhaltung der vorschriftsmäßigen Grenzwerte bei Labortests sicherzustellen, liefe dieser Verpflichtung de facto zuwider. Das Sachverständigengutachten geht ganz in diese Richtung: Nach Ansicht des Sachverständigen „[müssen] die Emissionskontrollsysteme … nach dem Geist der Vorschriften bei normalem Fahrzeugbetrieb im Einsatz sein“(43). Wäre dem Vorbringen der Gesellschaft X Erfolg beschieden, liefe dies darauf hinaus, „zuzulassen, dass die Rechtsvorschriften nicht dazu dienen sollen, die Schadstoffemissionen im Alltag zu verringern …, sondern bloß dazu, die Technologien Tests zu unterziehen, ob sie grundsätzlich in der Lage wären, die Grenzwerte einzuhalten“(44). Es versteht sich von selbst, dass eine solche Auslegung nicht im Einklang mit der systemischen Logik der Verordnung Nr. 715/2007 stünde.

125. Die Überlegung des Sachverständigen bringt mich ganz selbstverständlich zum teleologischen Aspekt der Frage: Im Hinblick auf die mit der Verordnung Nr. 715/2007 verfolgten Ziele (wie sie in den Nrn. 104 und 105 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt wurden) steht außer Zweifel, dass der von der Gesellschaft X vertretene Ansatz zur Folge hätte, die praktische Wirksamkeit der Verordnung Nr. 715/2007 und des Verbots der in Art. 3 Nr. 10 und in Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung enthaltenen Vorschriften ungerechtfertigt einzuschränken.

126. Schließlich bin ich mit der Kommission und der französischen Regierung der Ansicht, dass es unerheblich ist, ob die Veränderung im Sinne einer Verstärkung der Funktion des Emissionskontrollsystems punktuell unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs eintreten kann. Wie die Kommission ausgeführt hat, sind die Chancen, dass ein solcher Zufall eintritt, äußerst gering (im Hinblick auf die Besonderheiten des NEFZ-Tests). Die Einhaltung der in der betreffenden Verordnung festgelegten Grenzwerte durch das Fahrzeug muss unter seinen normalen Nutzungsbedingungen die Regel sein und darf keine Ausnahme darstellen, die an die zufällige Erfüllung von Bedingungen, die jenen der Typgenehmigungstests entsprechen, geknüpft ist.

127. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Überlegungen bin ich der Ansicht, dass die dritte Vorlagefrage wie folgt beantwortet werden sollte: Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Vorrichtung, die einen beliebigen Parameter ermittelt, der mit dem Ablauf der von dieser Verordnung vorgesehenen Typgenehmigungsverfahren zusammenhängt, um bei diesen Verfahren die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren oder im Sinne einer Verstärkung zu verändern und somit die Typgenehmigung des Fahrzeugs zu erlangen, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, selbst wenn die Veränderung im Sinne einer Verstärkung der Funktion des Emissionskontrollsystems punktuell auch eintreten kann, wenn genau die Bedingungen, die sie auslösen, zufällig unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs auftreten.

 Zur vierten Vorlagefrage

128. Mit der dritten Teilfrage b und der vierten Frage (die selbst aus drei Teilfragen besteht) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende erlaubt ist und insbesondere, ob eine solche Einrichtung in den Anwendungsbereich einer der Ausnahmen von dem Verbot gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 fällt. Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob die Verzögerung des Verschleißes oder der Verschmutzung des Motors die Einrichtung erforderlich machen kann, „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen“ oder „um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, wie es in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung heißt, und insoweit das Vorhandensein dieser Abschalteinrichtung rechtfertigen kann.

129. Ich erinnere daran, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist und dieses Verbot nur drei Ausnahmen kennt, nämlich wenn: a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist; oder c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.

130. Die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 715/2007 verankerten Ausnahmen sind offensichtlich im vorliegenden Fall im Hinblick auf die vorhin dargelegten Einzelheiten des Sachverhalts ohne Belang.

131. Zu prüfen ist hingegen die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme, die es erlaubt, das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung zu rechtfertigen, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

132. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Ausnahmen eng auszulegen sind, damit allgemeine Regelungen nicht ausgehöhlt werden(45). Insoweit kann die Auslegung der Ausnahmen nicht über die ausdrücklich von der fraglichen Bestimmung vorgesehenen Fälle hinausgehen(46).

133. Ich kann also nicht anders, als das Argument der Gesellschaft X, wonach die fragliche Ausnahme „weit“ auszulegen oder anzuwenden sei, von vornherein zurückzuweisen(47).

134. Im vorliegenden Fall sind die Begriffe „Unfall“ und „Beschädigung“ auszulegen. Meines Erachtens kann die Bedeutung dieser Begriffe durch eine grammatikalische und teleologische Auslegung geklärt werden.

135. Im Hinblick auf den Wortlaut ist allgemein anerkannt, dass der Ausdruck „Unfall“ ein unvorhergesehenes und plötzliches Ereignis meint, das Schäden oder Gefahren, wie etwa Verletzungen oder den Tod nach sich zieht(48). Der Begriff „Beschädigung“ bezeichnet wiederum einen im Allgemeinen auf einer gewaltsamen oder plötzlichen Ursache beruhenden Schaden(49). Die in der englischen Fassung der Verordnung Nr. 715/2007 verwendeten Ausdrücke „accident“ und „damage“ stehen meines Erachtens dieser Auffassung nicht entgegen(50).

136. Wenn der Wortlaut einer Bestimmung des Unionsrechts klar und unmissverständlich ist, hat man sich an diesen zu halten(51).

137. Eine Abschalteinrichtung kann also nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der oben genannten Verordnung nur gerechtfertigt sein, wenn sie sich als notwendig erweist, um den Motor vor dem Auftreten plötzlicher Schäden zu schützen.

138. Meines Erachtens ist daher die weite Auslegung der italienischen Regierung zurückzuweisen, wonach der Begriff „Beschädigung“ derart ausgedehnt werden müsse, dass er die Abnutzung, den Effizienzverlust oder den Wertverlust des Fahrzeugs aufgrund des Verschleißes und der allmählichen Verschmutzung seines Motors erfasse.

139. Wie die Kommission und die französische Regierung zu Recht ausgeführt haben, sind der Verschleiß und die Verschmutzung des Motors oder eines Motorteils das unausweichliche Ergebnis einer normalen Verwendung des Fahrzeugs. Dabei handelt es sich um gewöhnliche und vorhersehbare Auswirkungen der schrittweisen Ablagerung von Verunreinigungen im Motor während der gesamten normalen Lebensdauer des Fahrzeugs unter normalen Nutzungsbedingungen – die im Übrigen mit Hilfe langfristig geplanter regelmäßiger Wartungsmaßnahmen abgemildert werden können. Es handelt sich somit weder um Unfälle noch um Beschädigungen, noch um Gefahren für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs.

140. Ich komme nun zum teleologischen Aspekt der Frage. Meines Erachtens ist im Hinblick auf die Ziele der Verordnung Nr. 715/2007 und insbesondere jenes des Umweltschutzes und der Verbesserung der Luftqualität innerhalb der Union(52) die von der italienischen Regierung vertretene weite Auslegung keineswegs zu rechtfertigen.

141. Diese Auslegung würde die allgemeine Regel (mit anderen Worten das Verbot von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern) aushöhlen.

142. Denn es obliegt den Fahrzeugherstellern, sicherzustellen, dass Letztere während ihrer gesamten normalen Lebensdauer(53) die in den Emissionsvorschriften festgelegten Grenzwerte einhalten und dass diese Fahrzeuge unter Einhaltung dieser Grenzwerte im Betrieb sicher sind. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Funktion eines Emissionskontrollsystems die Lebensdauer oder die Zuverlässigkeit des Motors (langfristig) negativ beeinflussen kann, dieser Umstand rechtfertigt es jedoch keineswegs, dieses System beim normalen Fahrzeugbetrieb unter normalen Nutzungsbedingungen zu deaktivieren, nur um den Motor gegen seinen Verschleiß oder seine fortschreitende Verschmutzung zu schützen.

143. Mit anderen Worten kann der (im vorliegenden Fall) von der italienischen Regierung vertretenen Auslegung schwerlich gefolgt werden, denn sie läuft darauf hinaus, dem oben genannten Verbot jede praktische Wirksamkeit zu nehmen, und sie konterkariert ganz offensichtlich den Willen des Unionsgesetzgebers, der darin besteht, die Verringerung der Schadstoffemissionen dadurch sicherzustellen, dass Grenzwerte festgelegt werden, die bei der normalen Verwendung jedes in Verkehr gebrachten Fahrzeugs einzuhalten sind.

144. Eine solche Auslegung würde überdies de facto implizieren, dass wirtschaftliche Interessen (wie etwa die Erhaltung des Wiederverkaufswerts des Fahrzeugs) Vorrang vor der öffentlichen Gesundheit haben(54). Dieses Ergebnis stünde im Widerspruch sowohl zum Wortlaut als auch zum Geist der Verordnung Nr. 715/2007(55).

145. Was ist im vorliegenden Fall daraus zu schließen?

146. Meines Erachtens können nur die sofortigen Beschädigungsrisiken, die die Zuverlässigkeit des Motors beeinträchtigen und eine konkrete Gefahr bei der Lenkung des Fahrzeugs darstellen, das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung rechtfertigen.

147. Das vorlegende Gericht – das allein den Sachverhalt feststellt – wird zu ermitteln haben, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abschalteinrichtung unter die oben geprüfte Ausnahme fällt(56).

148. Mir erscheint jedoch der Hinweis angebracht, dass das AGR-System nach dem Sachverständigengutachten „den Motor nicht zerstört“(57). Dieses System kann hingegen die Motorleistung bei Verwendung verschlechtern und die Verschmutzung des Motors beschleunigen, wodurch Instandhaltungsarbeiten „häufiger und kostspieliger“ werden können(58). Angesichts dieser Feststellung erscheint mir die fragliche Abschalteinrichtung nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

149. Die Antwort auf die dritte Teilfrage b und die vierte Vorlagefrage müsste demnach wie folgt lauten: Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, den Einsatz einer Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung nicht rechtfertigt.

 Ergebnis

150. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des für das gerichtliche Ermittlungsverfahren zuständigen Vizepräsidenten des Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

1.      Erste Vorlagefrage

Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge ist dahin auszulegen, dass ein in den Motorsteuerungsrechner integriertes oder, allgemeiner, auf diesen einwirkendes Programm als ein Konstruktionsteil im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, da es Bestandteil dieses Rechners ist.

2.      Zweite Vorlagefrage

Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Emissionskontrollsystem“ sowohl die Technologien, die Strategien und die mechanischen oder informationstechnologischen Bestandteile umfasst, die, wie das Abgasrückführungssystem, in der Lage sind, die Emissionen (einschließlich Stickstoffoxidemissionen) von vornherein zu verringern, als auch jene, mit denen sie im Nachhinein, nach ihrem Entstehen, behandelt und verringert werden können.

3.      Dritte Vorlagefrage

Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Vorrichtung, die einen beliebigen Parameter ermittelt, der mit dem Ablauf der von dieser Verordnung vorgesehenen Typgenehmigungsverfahren zusammenhängt, um bei diesen Verfahren die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren oder im Sinne einer Verstärkung zu verändern und somit die Typgenehmigung des Fahrzeugs zu erlangen, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, selbst wenn die Veränderung im Sinne einer Verstärkung der Funktion des Emissionskontrollsystems punktuell auch eintreten kann, wenn genau die Bedingungen, die sie auslösen, zufällig unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs auftreten.

4.      Vierte Vorlagefrage

Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, den Einsatz einer Abschalteinrichtung im Sinne dieser Bestimmung nicht rechtfertigt.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1).


3      Dem Gerichtshof sind in den Rechtssachen C‑690/18, C‑691/18 und C‑692/18, die derzeit bis zur Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache ausgesetzt sind, ähnliche Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt worden.


4      Diese Regelung wurde aufgrund des am 20. März 1958 in Genf geschlossenen Übereinkommens über die Annahme einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung der Ausrüstungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die gegenseitige Anerkennung der Genehmigung (dessen Bezeichnung in der Folge in „Übereinkommen über die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen, die nach diesen Vorschriften erteilt wurden“ geändert wurde) erlassen. Diese Regelung wird regelmäßig aktualisiert. Ich zitiere hier eine Fassung, die 2006 veröffentlicht wurde (ABl. 2006, L 375, S. 246) (im Folgenden: Regelung Nr. 83 [UN/ECE]). Ich mache darauf aufmerksam, dass es in einer späteren Fassung (ABl. 2015, L 172, S. 1) unter Abs. 2.16 dieser Regelung „Emissionsminderungssystem“ anstelle von „Abgasreinigungsanlage“ heißt.


5      Die Union ist an dieses Rechtsinstrument gebunden: vgl. Nr. 5 der vorliegenden Schlussanträge.


6      Beschluss des Rates vom 27. November 1997 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zu dem Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen über die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Radfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile, die in Radfahrzeuge(n) eingebaut und/oder verwendet werden können, und die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von Genehmigungen, die nach diesen Vorschriften erteilt wurden („Geändertes Übereinkommen von 1958“) (ABl. 1997, L 346, S. 78).


7      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1060/2008 der Kommission vom 7. Oktober 2008 (ABl. 2008, L 292, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2007/46). Vgl. auch den dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1060/2008, der ausdrücklich auf die Regelung Nr. 83 (UN/ECE) verweist.


8      Verordnung der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2008, L 199, S. 1).


9      OBD ist die Abkürzung für den englischen Ausdruck „on-board diagnostics“.


10      Bis zum 18. März 2014 wurde der Verstoß gegen diesen Artikel mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und mit einer Geldstrafe bis zu 35 000 Euro oder mit nur einer dieser beiden Strafen geahndet. Vom 19. März 2014 bis zum 30. Juni 2016 wird der Verstoß gegen diesen Artikel mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren und mit einer Geldstrafe von 300 000 Euro bestraft. Dieser Artikel sieht zudem Folgendes vor: „Die Höhe der Geldstrafe kann proportional zu den aus der Vertragsverletzung gezogenen Vorteilen bis auf 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes, berechnet über die letzten drei zum maßgeblichen Zeitpunkt bekannten Jahresumsätze, heraufgesetzt werden“.


11      In seiner bis zum 18. März 2014 geltenden Fassung sah Art. L.213‑2 des Verbraucherschutzgesetzbuchs die Möglichkeit vor, die in Art. L.213‑1 vorgesehene Strafe zu verdoppeln. Vom 19. März 2014 bis zum 30. Juni 2016 dürfen die normalerweise vorgesehenen Strafen (auch im Fall einer versuchten Straftat) auf bis zu sieben Jahre Freiheitsstrafe und bis zu 750 000 Euro Geldstrafe heraufgesetzt werden. Die Geldstrafe kann proportional zu den aus der Vertragsverletzung gezogenen Vorteilen ebenfalls bis auf 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes, berechnet über die letzten drei zum maßgeblichen Zeitpunkt bekannten Jahresumsätze, heraufgesetzt werden.


12      Das vorlegende Gericht führt aus, die Gesellschaft X habe sich unter Berufung auf „Gründe der Vertraulichkeit“ geweigert, den Ermittlern den betreffenden Quellcode zu übermitteln.


13      Vgl. für weitere Erläuterungen hierzu Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


14      Vgl. S. 76 des Gutachtens.


15      Ich verweise hier auf den Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 a. E. der Verordnung Nr. 715/2007.


16      Siehe Nr. 19 der vorliegenden Schlussanträge. Seither wurden die Labortests modernisiert und durch ein anderes Prüfverfahren zur Messung von Emissionen unter realen Fahrbedingungen (auf Englisch „real driving emissions“ oder „RDE“) ergänzt.


17      In der mündlichen Verhandlung hat der Anwalt der Beteiligten A u. a. dieses Vorbringen jedoch offenbar dahin geändert, dass er nicht beabsichtige, die Zulässigkeit der Vorlagefragen in Frage zu stellen, und dass die Einstufung als „Abschalteinrichtung“ für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der Straftat spreche, für den Nachweis dieser Straftat aber nicht von Haus aus erforderlich sei.


18      Die Gesellschaft X stellt insoweit in Abrede, dass als Äußerung eines Standpunkts ein auf ihre Anfrage von der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Dezember 2015 erstelltes juristisches Kurzgutachten angesehen werden könne, das den Ermittlern vor der förmlichen Einleitung des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens zugeleitet wurde und angeblich nachwies, inwieweit das AGR-System nicht als „Abschalteinrichtung“ gelten könne.


19      Vgl. Urteil vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána (C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20      Beschluss vom 15. Januar 2004, Saetti und Frediani (C‑235/02, EU:C:2004:26, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21      Vgl. Urteil vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána (C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22      Vgl. Urteil vom 13. November 2018, Čepelnik (C‑33/17, EU:C:2018:896, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23      Vgl. Urteil vom 25. Juni 2009, Roda Golf & Beach Resort (C‑14/08, EU:C:2009:395, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24      Im Übrigen hindert nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass sich eine Strafsache im Stadium der Untersuchung befindet, den befassten Richter nicht daran, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: vgl. Beschluss vom 15. Januar 2004, Saetti und Frediani (C‑235/02, EU:C:2004:26, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Für weitere Ausführungen siehe auch: Von Bardeleben, E., Donnat, F., und Siritzky, D., La Cour de justice de l’Union européenne et le droit du contentieux européen, La Documentation française, Paris, 2012, S. 179 und 180.


25      Hervorhebung nur hier.


26      Vgl. Urteil vom 7. Februar 2018, American Express (C‑304/16, EU:C:2018:66, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27      Diese Behauptung findet sich auf S. 65 des Sachverständigengutachtens (Hervorhebung nur hier). Ich weise vorsorglich darauf hin, dass diese Behauptung von der Gesellschaft X nicht bestritten worden ist.


28      Vgl. S. 66 (Nr. 8.5) des Sachverständigengutachtens.


29      Insoweit ist es unerheblich, dass die Aktivierung des AGR-Ventils bei gleichzeitiger starker Reduzierung der NOx-Menge andere Emissionsarten (Kohlenmonoxide oder Partikel) unwesentlich erhöhen kann: Ich verweise hier auf die in Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten Zahlenangaben.


30      Die Gesellschaft X hat auch vorgebracht, dass aus Gründen der Vorhersehbarkeit eine enge Auslegung geboten sei, da das Verfahren (im vorliegenden Fall) der Feststellung einer Straftat diene. Wie ich bereits in Nr. 68 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, ist dieser Gesichtspunkt unerheblich: Die Verordnung Nr. 715/2007 enthält keine Strafbestimmung.


31      Das AGR-System gehört meines Erachtens sowohl zu der weiter gefassten Kategorie der „Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen“ (im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007) als auch zu der engeren Kategorie der „Emissionskontrollsysteme“ (im Sinne von Art. 3 Nr. 10 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007). Außerdem stellt das AGR-System auch eine emissionsmindernde Einrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 11 dieser Verordnung dar, d. h. einen Teil eines Fahrzeugs, der die Auspuffemissionen eines Fahrzeugs regelt und/oder begrenzt (was z. B. die Erwähnung des AGR-Systems in Nr. 3.3 des Anhangs I der Verordnung Nr. 692/2008 erklärt). Nichts in der von mir geprüften Regelung lässt die Annahme zu, dass ein bestimmter Bestandteil nicht gleichzeitig in mehrere Kategorien fallen kann („Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen“, „emissionsmindernde Einrichtungen“ und im vorliegenden Fall „Emissionskontrollsysteme“).


32      Vgl. auch Nr. 88 der vorliegenden Schlussanträge: Die im AGR-System zirkulierenden Gase werden (schlussendlich) in die Atmosphäre ausgestoßen.


33      Im Übrigen weise ich darauf hin, dass in der im Jahr 2015 erlassenen französischen Fassung dieser Regelung der Ausdruck „système de contrôle des émissions“ (Abgasreinigungsanlage) durch den Ausdruck „système antipollution“ („Emissionsminderungssystem“) ersetzt wurde. Diese Änderung, die in den anderen Sprachfassungen nicht notwendigerweise eine Entsprechung findet, scheint mir ebenfalls für ein weites Verständnis dieses Begriffs zu sprechen. Siehe auch Fn. 4 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Es handelt sich nämlich um eine von der Kommission zur Durchführung bestimmter Vorschriften der Verordnung Nr. 715/2007 (nämlich deren Art. 4, 5 und 8) erlassene Verordnung.


35      Ich verweise auf die schriftlichen Erklärungen der Gesellschaft X.


36      Beispielhaft weise ich darauf hin, dass dies auch in der italienischen („del sistema di scarico“), in der spanischen („del sistema de escape“) oder etwa in der polnischen (der Ausdruck „układu“ wird im Genitiv und nicht im Lokativ dekliniert) Fassung der fraglichen Verordnung der Fall ist. Hervorhebung nur hier.


37      Hervorhebung nur hier.


38      Diese Wendung wurde auch in der deutschen Fassung der Verordnung Nr. 692/2008 übernommen, wo es heißt „im Abgas- oder Verdunstungssystem“. Hervorhebung nur hier.


39      In der deutschen Fassung der Verordnung Nr. 715/2007 ist von „Auspuffemissionen“ die Rede.


40      Im Sachverständigengutachten ist die Rede von „einer Erhöhung der NOx-Emissionen um den Faktor 3, die deutlich über den Toleranzwerten in der Messung und im erstellten Protokoll liegt“: vgl. S. 74 des Sachverständigengutachtens.


41      Ebd.


42      Vgl. auch Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007, der von „normalen Betriebsbedingungen“ spricht.


43      Vgl. S. 75 des Sachverständigengutachtens.


44      Ebd.


45      Urteil vom 22. April 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑346/08, EU:C:2010:213, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Vgl. u. a. Urteile vom 16. Mai 2013, Melzer (C‑228/11, EU:C:2013:305, Rn. 24), und vom 5. März 2015, Copydan Båndkopi (C‑463/12, EU:C:2015:144, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).


47      Nach Ansicht der Gesellschaft X müsste dieser weiten Auslegung (oder Anwendung) der Vorzug gegeben werden, weil die oben genannte Ausnahme „nicht vorschreibe, die beste verfügbare Technologie zu verwenden, … und eher einzelfallbezogen als in einem abstrakten Sinne auszulegen ist“. Insoweit betone ich, dass die in Rede stehende Ausnahme überhaupt nicht darauf Bezug nimmt, ob es notwendig (oder nicht notwendig) ist, auf die „beste verfügbare Technologie“ zurückzugreifen. Da diese Ausnahme eine allgemein geltende Regel enthält, muss sie zwangsläufig eine normative und abstrakte Bedeutung haben. Das Vorbringen der Gesellschaft X geht daher ins Leere.


48      Zur Bedeutung dieses Begriffs im Französischen vgl. Wörterbuch Le Petit Robert, Société du Nouveau Littré, Paris, 1973, unter dem Eintrag „Accident“.


49      Zur Bedeutung dieses Begriffs im Französischen vgl. Wörterbuch Le Petit Robert, Société du Nouveau Littré, Paris, 1973, unter dem Eintrag „Dégât“.


50      So kann das Wort „damage“ im Englischen wie folgt definiert werden: „physical harm that impairs the value, usefulness, or normal function of something“ (vgl. in diesem Sinne, Oxford Dictionary of English, OUP, 2016). „Accident“ ist in diesem Wörterbuch so definiert: „An unfortunate incident that happens unexpectedly and unintentionally, typically resulting in damage or injury. An event that happens by chance or that is without apparent or deliberate cause“.


51      Urteil vom 8. Dezember 2005, EZB/Deutschland (C‑220/03, EU:C:2005:748, Rn. 31).


52      Siehe Nrn. 104 und 105 der vorliegenden Schlussanträge.


53      Siehe auch Nrn. 50 und 52 der vorliegenden Schlussanträge.


54      Dem Schutz der öffentlichen Gesundheit ist grundsätzlich gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen vorrangige Bedeutung beizumessen: vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 1997, Affish (C‑183/95, EU:C:1997:373, Rn. 43).


55      Ich weise darauf hin, dass die von mir vorgeschlagene Auslegung ähnlich ist wie die nunmehr von der Kommission in ihrer Bekanntmachung C(2017) 352 final vom 26. Januar 2017 (Leitlinien für die Bewertung zusätzlicher Emissionsstrategien und des Vorhandenseins von Abschalteinrichtungen im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung [EG] Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6]) vertretene. Diese Bekanntmachung hat jedoch keinen bindenden Charakter und kann (als solche) nicht als Grundlage für die Auslegungsarbeit des Gerichtshofs dienen. Im Übrigen ist festzustellen, dass sich der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt vor dem Erlass dieser Bekanntmachung zugetragen hat. Daher ist meines Erachtens diese Bekanntmachung hier nicht zu berücksichtigen.


56      Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich das nationale Gericht allein für die Feststellung und Würdigung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts zuständig: vgl. Urteil vom 8. Mai 2019, Dodič (C‑194/18, EU:C:2019:385, Rn. 45).


57      Vgl. S. 74 und 75 des Sachverständigengutachtens.


58      Vgl. S. 76 des Sachverständigengutachtens.