URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
2. September 2021(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Assoziierungsabkommen EWG-Türkei – Beschluss Nr. 1/80 – Art. 13 – Stillhalteklausel – Neue Beschränkung – Familienzusammenführung minderjähriger Kinder türkischer Arbeitnehmer – Altersgrenze – Besondere Gründe, die für die Familienzusammenführung vorliegen müssen – Zwingender Grund des Allgemeininteresses – Erfolgreiche Integration – Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C‑379/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark) mit Entscheidung vom 3. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 11. August 2020, in dem Verfahren
B
gegen
Udlændingenævnet
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von B, vertreten durch C. Friis Bach Ryhl und T. Ryhl, advokater,
– der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Wolff als Bevollmächtigte im Beistand von R. Holdgaard, advokat,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem türkischen Staatsangehörigen B und dem Udlændingenævn (Beschwerdeausschuss für Ausländer, Dänemark), der den Antrag von B auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Dänemark zum Zweck der Familienzusammenführung abgelehnt hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Beschluss Nr. 1/80
3 Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“
4 Art. 14 des Beschlusses lautet:
„(1) Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
(2) Er berührt nicht die Rechte und Pflichten, die sich aus den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder zweiseitigen Abkommen zwischen der Türkei und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ergeben, soweit sie für ihre Staatsangehörigen eine günstigere Regelung vorsehen.“
Richtlinie 2003/86/EG
5 Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12) bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können im Rahmen einer Ausnahmeregelung vorsehen, dass die Anträge betreffend die Familienzusammenführung minderjähriger Kinder gemäß den im Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie vorhandenen nationalen Rechtsvorschriften vor Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gestellt werden. Wird ein Antrag nach Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gestellt, so genehmigen die Mitgliedstaaten, die diese Ausnahmeregelung anwenden, die Einreise und den Aufenthalt dieser Kinder aus anderen Gründen als der Familienzusammenführung.“
Dänisches Recht
6 § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Udlændingelov (Ausländergesetz) in der durch das Lov nr. 427 (Gesetz Nr. 427) vom 9. Juni 2004 geänderten Fassung sieht vor:
„Auf Antrag kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden
…
2) dem ledigen minderjährigen Kind, das das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, einer Person, die ihren festen Wohnsitz in Dänemark hat, oder des Ehegatten dieser Person, sofern sich das Kind beim Inhaber des Sorgerechts aufhält und keine eigene Familie durch eine Lebensgemeinschaft gegründet hat und sofern der Person, die ihren festen Wohnsitz in Dänemark hat,
…
e) eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit der Möglichkeit zum Daueraufenthalt erteilt worden ist.
…“
7 § 9 c Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes in der durch das Lov nr. 567 (Gesetz Nr. 567) vom 18. Juni 2012 geänderten Fassung bestimmt:
„Auf Antrag kann einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ganz besondere Gründe, wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband und, wenn der Ausländer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dem Kindeswohl, dafürsprechen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 B ist ein am 5. August 1994 in der Türkei geborener türkischer Staatsangehöriger. Am 31. Januar 2012 beantragte er bei der Udlændingestyrelse (Ausländerbehörde, Dänemark) eine Aufenthaltserlaubnis für Dänemark zum Zweck einer Familienzusammenführung mit seinem Vater F, einem türkischen Arbeitnehmer, der sich seit dem 13. Oktober 2003 rechtmäßig in Dänemark aufhält.
9 Mit Bescheid vom 6. November 2012 lehnte die Ausländerbehörde den Antrag nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 und § 9 c Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes mit der Begründung ab, dass B, der zum Zeitpunkt der Antragstellung älter als 15 Jahre gewesen sei, keine ganz besonderen Gründe, wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband und dem Kindeswohl, vorgebracht habe, die es gerechtfertigt hätten, ihm nach diesen Vorschriften eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
10 Gegen diesen Bescheid legte B am 5. Januar 2017 Widerspruch beim Udlændinge- og Integrationsministerie (Ausländer- und Integrationsministerium, Dänemark) ein, das den Widerspruch mit Entscheidung vom 30. Januar 2017 an die Ausländerbehörde zur Prüfung zurückverwies, ob B auf der Grundlage des Beschlusses Nr. 1/80 aufenthaltsberechtigt sei.
11 Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 stellte die Ausländerbehörde unter Berufung auf das Urteil vom 10. Juli 2014, Dogan (C‑138/13, EU:C:2014:2066), fest, dass der Antrag von B nicht erneut geprüft zu werden brauche.
12 Gegen diesen Bescheid legte B einen Rechtsbehelf beim Udlændingenævn (Beschwerdeausschuss für Ausländer, Dänemark) ein. Mit Entscheidung vom 15. Januar 2018 bestätigte dieser den Bescheid der Ausländerbehörde vom 5. Juli 2017.
13 Am 5. Januar 2017 erhob B Klage beim Københavns Byret (Gericht Kopenhagen, Dänemark) mit dem Antrag, die Ausländerbehörde möge feststellen, dass er nach dem Unionsrecht ein Aufenthaltsrecht in Dänemark habe. Am 15. Dezember 2017 verwies dieses Gericht die Rechtssache an das Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark, Dänemark), da nach nationalem Recht erstinstanzliche Gerichte Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung an das Landgericht verweisen können, damit dieses im ersten Rechtszug entscheidet.
14 Das vorlegende Gericht geht wie die Parteien des Ausgangsverfahrens davon aus, dass die Altersgrenze in § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes, die 2004 von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt wurde, eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 darstellt, und möchte wissen, ob eine solche Beschränkung durch den vom Beschwerdeausschuss für Ausländer geltend gemachten zwingenden Grund des Allgemeininteresses, nämlich eine erfolgreiche Integration Drittstaatsangehöriger zu gewährleisten, gerechtfertigt ist.
15 Es führt hierzu erstens aus, dass eine an eine Altersgrenze anknüpfende Voraussetzung zur erfolgreichen Integration eines Kindes in einem Mitgliedstaat beitragen könne. Für eine erfolgreiche Integration in Dänemark sei es förderlich, wenn das Kind so früh wie möglich nach Dänemark komme und damit den größtmöglichen Teil seiner Kindheit und Jugend, einschließlich des Schulbesuchs und der Ausbildung, dort verbringe.
16 Zweitens sei § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes in Verbindung mit dessen § 9 c Abs. 1 Satz 1 zu lesen. Daraus folge, dass die Altersgrenze in § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes keine absolute Voraussetzung sei, da Kindern unter 18 Jahren noch nach § 9 c Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes ein Aufenthaltstitel erteilt werden könne, sofern besondere Gründe, wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband und dem Kindeswohl, dafürsprächen.
17 Unter diesen Umständen hat das Østre Landsret (Landgericht für Ostdänemark) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 der Einführung und Anwendung einer neuen nationalen Maßnahme entgegen, nach der eine Familienzusammenführung zwischen einem erwerbstätigen türkischen Staatsbürger, der sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, und seinem Kind, das das 15. Lebensjahr vollendet hat, voraussetzt, dass ganz besondere Gründe, wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband und dem Kindeswohl, dafürsprechen?
Zur Vorlagefrage
18 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Maßnahme, mit der das Höchstalter, bis zu dem das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen kann, von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt wird, eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt und, wenn ja, ob diese Maßnahme durch das Ziel, die erfolgreiche Integration der betreffenden Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten, gerechtfertigt sein kann.
19 Die in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 enthaltene Stillhalteklausel verbietet allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Beschlusses in dem betreffenden Mitgliedstaat galten (Urteil vom 10. Juli 2019, A, C‑89/18, EU:C:2019:580, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
20 Insbesondere stellt nach ständiger Rechtsprechung eine nationale Regelung, mit der die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung türkischer Arbeitnehmer, die sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten, gegenüber denjenigen verschärft werden, die in diesem Mitgliedstaat galten, als der Beschluss Nr. 1/80 in Kraft trat, im Sinne von Art. 13 des Beschlusses eine neue Beschränkung der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch die türkischen Arbeitnehmer in diesem Mitgliedstaat dar (Urteil vom 10. Juli 2019, A, C‑89/18, EU:C:2019:580, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Vorliegend geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes, mit dem die Altersgrenze für einen Antrag minderjähriger Kinder auf Familienzusammenführung von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt wurde, nach Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 in Dänemark eingeführt wurde und dass damit bei Familienzusammenführungen die Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme in Dänemark von Kindern türkischer Staatsangehöriger, die sich rechtmäßig dort aufhalten, im Vergleich zu den bei Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 in Dänemark geltenden Voraussetzungen verschärft wurden.
22 Eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende stellt daher eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dar.
23 Eine solche Beschränkung ist verboten, es sei denn, sie gehört zu den in Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 aufgeführten Beschränkungen oder ist durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und geht nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinaus (Urteil vom 10. Juli 2019, A, C‑89/18, EU:C:2019:580, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme nicht zu den in Art. 14 des Beschlusses Nr. 1/80 genannten Beschränkungen gehört.
25 Aus der Akte geht vielmehr hervor, dass das mit dieser Maßnahme verfolgte Ziel im Wesentlichen darin besteht, eine erfolgreiche Integration von Drittstaatsangehörigen in Dänemark zu gewährleisten.
26 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass dieses Ziel im Hinblick auf Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann (Urteil vom 10. Juli 2019, A, C‑89/18, EU:C:2019:580, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Folglich ist zu prüfen, ob eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, mit der Familienzusammenführungen minderjähriger Kinder, die älter als 15 Jahre sind, begrenzt werden, geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgeht.
28 In Bezug auf die Frage, ob die Maßnahme geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahme die Integrationsfähigkeit minderjähriger Kinder, die mit ihrer Familie zusammengeführt werden möchten, berücksichtigt werden soll. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das Alter eines der Kriterien im Zusammenhang mit der persönlichen Situation des Kindes sein kann, die dessen Integration im betreffenden Mitgliedstaat beeinflussen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. April 2016, Genc, C‑561/14, EU:C:2016:247, Rn. 61). Die Integration von Kindern im Aufnahmemitgliedstaat wird nämlich erleichtert, wenn sie dort bereits in sehr jungem Alter ankommen, da sie so dort insbesondere zur Schule gehen sowie für ihre Integration wesentliche Sprachkenntnisse erwerben können.
29 Im Übrigen hat der Unionsgesetzgeber selbst den Mitgliedstaaten in der Richtlinie 2003/86 die Möglichkeit eingeräumt, die Familienzusammenführung minderjähriger Kinder, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, zu beschränken. Auch wenn diese Richtlinie in Dänemark nicht anwendbar ist, soll hier zur Veranschaulichung des Kontexts auf Art. 4 Abs. 6 dieser Richtlinie verwiesen werden, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass Anträge betreffend die Familienzusammenführung minderjähriger Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahrs zu stellen sind.
30 Daher ist eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen.
31 Was die Verhältnismäßigkeit einer Altersgrenze wie der in § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes betrifft, so sieht das dänische Recht Ausnahmen von dieser Bestimmung vor.
32 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass § 9 c Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes – wonach einem Ausländer ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann, wenn ganz besondere Gründe, wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband und, wenn der Ausländer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dem Kindeswohl, dafürsprechen – dann anwendbar ist, wenn einem minderjährigen Kind kein Aufenthaltstitel nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Ausländergesetzes erteilt werden kann.
33 Damit kann einem minderjährigen Kind, das älter als 15 Jahre ist, ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn Gründe wie Erwägungen im Zusammenhang mit dem Familienverband oder dem Kindeswohl dies rechtfertigen. Die zuständigen nationalen Behörden müssen dann die Situation des Kindes individuell prüfen und diese Interessen in jedem Einzelfall berücksichtigen.
34 Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass in der Praxis zahlreichen Kindern, die das 15. Lebensjahr bereits vollendet hatten, Aufenthaltstitel nach § 9 c Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes erteilt wurden. Eine systematische Ablehnung solcher Anträge auf Familienzusammenführung durch die Verwaltung scheint es also nicht zu geben.
35 Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Maßnahme über das hinausginge, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist. Dies ist jedoch letztlich vom vorlegenden Gericht zu prüfen.
36 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Maßnahme, mit der das Höchstalter, bis zu dem das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen kann, von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt wird, eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Eine solche Beschränkung kann jedoch durch das Ziel, die erfolgreiche Integration der betreffenden Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten, gerechtfertigt sein, sofern die Einzelheiten ihrer Durchführung nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.
Kosten
37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei ist dahin auszulegen, dass eine nationale Maßnahme, mit der das Höchstalter, bis zu dem das Kind eines türkischen Arbeitnehmers, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen kann, von 18 auf 15 Jahre herabgesetzt wird, eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Eine solche Beschränkung kann jedoch durch das Ziel, die erfolgreiche Integration der betreffenden Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten, gerechtfertigt sein, sofern die Einzelheiten ihrer Durchführung nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist.
Unterschriften